199. Die Krempner Glocke

199. Die Krempner Glocke

Wieviel die Hamburger des Goldes übrig und genug hatten, erhellt aus dieser Sage. Zu Krempen hing eine herrliche Glocke in dem Kirchturm. Es hatte sich bei ihrem Guß etwas Besonderes zugetragen; da nämlich die Speise schon flüssig und alles zum Gusse fertig war, hatte der Meister noch ein Geschäft und befahl dem Lehrjungen die Obhut des Gießofens. Da stand auf einer Kapelle ein Schmelztiegel, in welchem Silber floß, der Meister mochte das wohl zu einer Zier oder Inschrift benutzen wollen, der Junge aber meinte, das müsse noch zur ganzen Masse, um sie recht gut und wohlklingend zu machen, und schüttete den Tiegel voll Silbers hinein zur Glockenspeise. Der Meister kam gerade dazu, ergrimmte und schlug mit seinem Stock so hart auf den Jungen, daß dieser tot niederfiel. Der Glockenguß fand statt, und als nun die Glocke Maria getauft war, in ihrem Stuhle hing und geläutet wurde, da hatte sie von dem Silber gar einen hellen, reinen Klang, dergleichen noch niemand so schön gehört hatte, aber immer klangen und lauteten die Worte hindurch: Schad um den Jungen! Schad um den Jungen.

Da nun die Glocke so schön tönte, wurden die Hamburger neidisch auf die Krempner und machten sie ihnen feil. Sie boten und boten und boten zuletzt eine Kette von Gold, so groß, daß sie um ganz Krempen herumreichen sollte. Das waren endlich die zu Krempen zufrieden, die gute Maria ward auf einen Wagen gesetzt und fortgefahren. Aber auf einer nahen Anhöhe stand der Wagen und sank ein. Es wurde vorgespannt noch so viel, die Pferde vermochten nicht, ihn weiterzubringen. Da spannte man zwei Pferde am hintern Teile des Wagens an, und siehe, mit Leichtigkeit ließ er samt der Glocke sich ziehen, wieder hinab nach Krempen zu. Da hing die Maria bald wieder im Turm und ließ ihre wehmutvolle Klangstimme ertönen: Schad um den Jungen! Im Kriege der Russen gegen die Schweden, der auch über diese friedlichen Gefilde sich hinwälzte, haben die Schweden die schöne Kirche von Krempen in die Luft gesprengt, aber von der Glocke ist nichts entdeckt worden. Die Sage geht, sie sei in die Erde versunken und werde dereinst wohl wieder gefunden werden.

Die Sagen von versunkenen Glocken sind über ganz Deutschland zahllos verbreitet, die vom Glockenguß in Verbindung mit des Lehrlings Tod begegnet nicht minder an vielen Orten, z. B. in der Stadt Breslau; Glocken in Wassertiefen hört man läuten, sowohl aus Orten, die wegen ihrer Sünden versanken, als auch einzelne Glocken, welche räuberisch hinweggeführt wurden und dann sich selbst der Räuberhand entrückten, so eine von Haddeby, eine von Gramm in Nordschleswig, eine Kapellglocke aus Neukirchen, eine im Flemhuder See u. a.

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200. Enten zeigen den Mord an

200. Enten zeigen den Mord an

Nahe bei Glückstadt steht einsam eine große alte Eiche und weit und breit herum keine zweite. An dieser Eiche Stelle stand früher nur ein kleiner Busch, und an ihm saßen ein paar Männer und sahen, wie denselben Ruheplatz ein wandernder Handwerker wählte, der sie nicht sah und, sich allein glaubend, sein Geld zählte. Schnell reifte im Herzen der Männer der Entschluß zu einer Untat. Sie überfielen den Handwerker und ermordeten ihn. Da rauschte aus dem Wasser des nahen Teiches ein Flug wilde Enten auf, die flogen schreiend über den Busch, und der Unglückliche hob sterbend seine Hand und rief: Zeugt, ihr Vögel, zeugt von dieser ungetreuen Tat! Die Mörder verscharrten die Leiche unter dem Busch und entflohen. An jener Stelle wuchs ein blutrotes Kraut, und die Pferde, welche dorthin zur Weide getrieben wurden, scheuten und bäumten sich, wenn sie vorbei sollten, und wieherten und scharrten mit den Hufen. Dies tun sie immer da, wo Unschuldige getötet wurden. Lange Zeit ging vorüber; der eine jener beiden Mörder verheiratete sich in einem nahen Dorfe, der andere diente auf einem Hofe als Knecht, sie waren alt und grau, und ihr Lebenswandel war untadelig. Eines Abends ging der eine mit seiner Frau spazieren und kam von ohngefähr an den Busch und an den roten Fleck – so hieß die Stelle schon seit lange von dem roten Kraut, das dort wuchs und nirgends anders in der ganzen Umgegend. Und da kam zufällig auch der Knecht und wollte ein Pferd von der Weide holen, und da flog ein Flug Enten schreiend aus dem Weiher auf, und beide Männer riefen erschrocken aus einem Munde unwillkürlich: Ha die Enten, die Zeugen! – dann aber schwiegen sie und erbleichten, und die Frau sah beide forschend an, und die Enten kreischten wieder, und die Männer erzitterten. Und daheim wurde der verheiratete Mann wortkarg und still und ging wie schwermütig umher, und die Frau klagte ihr Leid und sein Leiden den Nachbarn, und so habe es angefangen, dort am roten Fleck, wo die Enten geschrieen und die Männer gerufen hätten: Ha die Enten, die Zeugen! – Das kam vor den Bauernvogt, und der ließ in aller Stille beim roten Fleck nachgraben, und da fand sich ein Gerippe, und die Männer wurden verhaftet und gestanden im ersten Verhör die vor vierzig Jahren begangene Tat. Reuig erlitten sie zu Glückstadt den Armensündertod, und zum Gedächtnis wurde jene Eiche gepflanzt, die noch heute steht. So zeigten hier Enten die Mordtat an, wie im altdeutschen Märchen das Rebhuhn und in der griechischen Sage die Kraniche des Ibykus.

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188. Totenkopf wandert

188. Totenkopf wandert

Nicht weit von der Jütlandgrenze lagen zwei Burgen, Fobeslet und Drenderup, die Güter sind noch vorhanden. Auf Drenderup saß ein wüster Gesell, Ritter Adelbrand, auf Fobeslet aber ein holdes Fräulein, Antolille geheißen. Der Ritter liebte das Fräulein, und das Fräulein haßte den Ritter. Sie sagte ihm, er sehe aus wie ihres Vaters Hund, und ein andersmal, er sei nicht besser als ein alter Pantoffel. Das verwandelte des Ritters Liebe in grimmen Haß, und er schwur dem Fräulein furchtbare Rache. Sieben Jahre bewachte er ihre Burg, sieben Jahre durfte sie sich nicht herauswagen, und da sie dies auch nicht tat, so bekam er sie nicht in seine Gewalt. Da gab er, scheinbar des Harrens müde, seine Bewachung auf und reiste weg, und bald kam das Gerücht, er sei gestorben. Sieben Jahre war das Fräulein Antolille in keine Kirche gekommen, sie sehnte sich in eine solche, und da sie nun sich sicher glaubte, so verließ sie ihre Burg mit ihrem Gefolge. Plötzlich brach aus einem Hinterhalt Ritter Adelbrand, versprengte die Diener und ergriff die Unglückliche, die seine Liebe mit so bitterm Hohn gelohnt. Er band sie an den Schweif seines Pferdes und jagte so mit ihr davon auf seine Burg zu. Ihre Mutter sah’s von den Burgzinnen und starb mit Antolille zu gleicher Zeit. Als Adelbrand seine wilde Rache gekühlt, tötete er alsbald sich selbst. In Drenderup begrub man die drei Leichen. Aber Adelbrands Schädel fand keine Ruhe in der Gruft; wie er so rastlos sieben Jahre arger Gedanken voll gewesen, so spukte und rollte er bald da, bald dort umher, schreckte die Menschen und weilte in keinem Grabe.

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18. Der ewige Jude auf dem Matterhorn

18. Der ewige Jude auf dem Matterhorn

Hoch im Alpengebirge, ohnweit Welschlands Grenzen und dem hohen Monte Rosa, des Name schon italienisch genannt wird, hebt sich ein mächtiger Bergstock, das Matterhorn geheißen, darunter liegt der Matterberg mit einem Gletscher, dessen ablaufendes Gewässer die Visper bildet, welche noch ihre Wellen nach deutschem Boden herabrollt. Da droben, wo jetzt nur das Schweigen der Öde lagert oder das Eis der Gletscher donnernd kracht, habe voreinst, so geht die Sage, eine blühende Stadt gelegen. Dahin sei auf seiner ewig rastlosen Wanderung auch der ewige oder, wie man in der Schweiz sagt, der laufende Jude gekommen, da haben die Leute ihm angesehen, daß er der laufende Jude war, und kein Mensch habe ihn in sein Haus aufnehmen wollen. So habe der laufende Jude gesagt, indem er bekümmert über der Menschen Härte hinweggegangen: Jetzt finde ich hier eine Stadt, und wenn ich werde wiederkommen, wird hier doch wachsen Gras, und werden stehen Bäume, und werden liegen große Felsen, und wird nichts mehr zu sehen sein von Häusern und Gassen, Mauern und Türmen. Und wenn ich nochmal werde kommen wieder, wird hier doch nichts mehr zu sehen sein von Gras und Kräutern, Bäumen und Steinen, sondern als nur Schnee und Eis, und wird liegen, als so lang ich noch muß wandern. – Und alles ist so in Erfüllung gegangen, wie der laufende Jude gesagt hat, der wandern muß bis an der Welt Ende, weil er unsern Heiland auf seinem Todesgange nicht Ruhe vor seiner Haustüre vergönnt hat, und wird allemal, wenn er hundert Jahre alt geworden, wieder so jung, wie unser Heiland war, da er nach Golgatha wanderte.

Tiefer drunten im Vispertale, wo man von oben herein in das Nicolaital eingeht, liegt ein Dorf unterm Weißhorn, das heißt Täsch, und über Täsch rechter Hand lag auf sonniger Matte noch ein Dorf gleichen Namens, da stand einmal eine reiche Bäuerin, die hatte überm Feuer einen Kessel mit Anke (Rahm), den sott sie, und sollte gute Butter geben. Da kam ein armer alter Mann herein und bat, sie möge ihm doch ein Weniges von ihrer Anke zur Speise geben, ihn hungere gar sehr. Geh weg, du Lump! sagte die Frau, hier ist nichts übrig für solche Stromer. – O Bäuerin! sprach der Mann, hättest du mir etwas gegeben, so hätt‘ ich deinen Kessel segnen wollen, daß er nimmermehr leer geworden, so aber sei verflucht mit dem ganzen Dorfe! – Und da krachten alsbald droben der Cimagipfel und das Mittaghorn zusammen und schütteten Fels auf Fels herunter, und der ganze Ort wurde unter Trümmern begraben, und blieb nichts mehr sichtbar als die Fläche des Kirchenaltars, und über diesen fließt jetzt ein Bächlein aus dem Praborgne-Gletscher, der das Dorf überdeckt, herunter nach Täsch durch die Felsenschluchten in die Visp.

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189. Die schwarze Schule

189. Die schwarze Schule

Viele Sagen gehen in Nordfriesland und in Norddithmarschen von der schwarzen Schule, in welcher kein anderer der Schulmeister ist als der Teufel selbst. In diesem seinem Seminarium unterrichtet der Schwarze junge Theologen und Schulmeister in gar mancherlei geheimen Künsten, doch nicht umsonst, sie müssen ihm ihre Seele verschreiben und eine gewisse Bedingung festhalten, fehlt einer deren und versieht’s einmal, so ist seine Seele verloren. Die meisten versehen’s. Da muß einer nur ein Strumpfband tragen, ein anderer darf sich nur einmal die Woche rasieren, ein dritter darf nie anders die Strümpfe anziehen als verkehrt. Die Künste, welche diese schwarzen Scholaren lernten, bestanden in Bannen, Festmachen, sich an andere Orte schnell hinzücken, erfahren, was daheim geschieht, und wenn sie noch so weit vom Hause sind, andere, besonders Diebe, stehenbleiben machen, sie festschreiben, festlesen und dgl. Bisweilen glückt es einem oder dem andern, den Teufel, der seinen Bündnern fort und fort nachstellt und dahin wirkt, daß sie das Gelobte nicht halten, zu überlisten, denn manchem Pastoren und Schulmeister auf dem Lande ist fürwahr der Teufel selbst noch nicht klug und schlau genug. So wird viel gesprochen von einem Pastor in Medelby im Amte Tondern, des Namens Fabricius, der konnte mehr als Brot essen, weil er in die schwarze Schule gegangen, und der durfte niemals zwei Strumpfbänder anlegen, sondern immer nur eins. Damit er nun sich vergäße, lagen gar manchesmal früh beim Aufstehen zwei Strumpfbänder auf seinem Stuhle, damit fing ihn aber der Teufel keineswegs. Hierauf plagte der Teufel das Mädchen, das für den Pfarrer Strümpfe strickte, als Floh, da ließ sie oft die Maschen fallen und juckte sich, und da wurden die Strümpfe zu weit, weil sie sich auch zum öftern verzählte, nun fiel der Strumpf ohne Band herunter auf die Ferse, das verschlug aber dem Pfarrer alles nichts, er band ihn doch nicht fest, sondern ließ ihn hängen, und der Teufel konnte ihm nichts anhaben. Ein anderer Pastor, hieß Ziegler, durfte auch nur ein Strumpfband tragen, doch nur auf Zeit eines Kontraktes mit dem Teufel, nach dessen Ablauf wollte jener kommen und ihn holen. Da nun die Zeit um war, kam der Teufel frühmorgens, und der Pfarrer zog sich langsam an; zuerst zog er die Strümpfe verkehrt an, das war dem Teufel schon ganz zuwider, dann zog er sich weiter sehr langsam an, und der Teufel verlor die Geduld und sagte: Mache endlich, daß du fertig wirst, das dauert ja eine Ewigkeit! Ich habe mehr zu tun. Jetzt warte ich keinen Augenblick länger, als bis du dein Strumpfband angelegt. Der Pastor Ziegler hatte schon das Strumpfband in der Hand, aber als der Teufel das sagte, legte er es ganz langsam wieder hin, sprach zum Teufel: Guten Morgen! – und legte sich auf die andere Seite. Wütend fuhr der Teufel von dannen und kam nimmermehr wieder, und nimmermehr wieder trug der Pastor ein Strumpfband. Als er noch einmal herumgeschlafen hatte, nahm er eine Schere und schnitt seine Strümpfe unter der Wade ab, so erfand er die Strumpfsocken, wie sie die meisten Männer jetzt tragen, und brauchte keine Strumpfbänder mehr.

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190. Spottnamen und Schildbürger im Norden

190. Spottnamen und Schildbürger im Norden

Im innern Deutschland denken wir wunders was für weise Lalenburger wir im Schwaben- und Frankenlande, in Schilda und Schöppenstätt, in Wasungen und Ummerstadt usw. haben. Da schaut einmal hinauf nach Dithmarschen und Schleswig-Holstein, da ist des Volkes Necklust lebendig über alle Maßen. Da sind die Jagler bei Schleswig, die heißen die tollen Jagler, wie auf dem Rhöngebirge die Einwohner des Dorfes Ditges die tollen Dittiser; die wollten einen Balken partout die Quere durch ihr Tor schaffen, bis sie einen Spatzen mit einem Strohhalm fliegen sahen, der den Halm zur Längst in sein Nest zog. Die Hostrupper haben eine Scheuer, in der sie alle Dummheiten einheimsen und aufspeichern, daher das Sprüchwort gilt: Geh nach Hostrupp und laß dir die Narrheit verschneiden. Zu Gabel ging es mit einer Katze fast gerade wie zu Wasungen. Sie kauften solch ein rares Tier zum Mäuseausrotten für dreihundert Taler. Als der Handelsmann fort war, fiel den Gablern erst ein, daß sie zu fragen vergessen, was denn dieses Tier fresse. (Zu Wasungen kam die Rückantwort: Die Katze frißt alles, da entstand große Furcht, und man schaffte schleunigst die Katze wieder ab.) Dem reitenden nacheilenden Boten aber rief der Händler zu: Milch und Mäuse! Nun pfiff gerade der Wind etwas stark, und der Bote verstand: Milch und Menschen! und brachte im Galopp diese Antwort zurück. Welch ein Schreck! Wie da zu raten und zu helfen? Im äußersten Haus war schon die Katze, sie sollte von da reihum gehen, wie der Dorfspieß. Man wagte sich nicht an das menschenfressende Untier, man steckte das Haus in Brand, da sollte es drinnen verbrennen. Als das Haus im schönsten Brennen war, wurde es der Katze zu warm darin, sie sprang daher geschwinde heraus und lief in das nächste. Das wurde auch angesteckt; die Katze sprang von da, weil es wieder zu warm wurde, in das dritte Haus, und immer so fort, bis kein Haus mehr da war, da lief sie über Feld und kam nicht wieder. Die Gabler aber waren froh, daß sie die Katze und zugleich auch ihre Hausmäuse los waren, wie jene Guten, die ihr Haus niederbrannten, um die Wolterkens samt allen Wanzkern los zu werden. Die Romöer sind auch eine kluge Sorte. Sie wollten gern ihre Kirche zwei Ellen weiterschieben und meinten, da nur wenige Leute diese erbaut, so würden viele Leute die Kirche doch leicht fortschieben können. Damals trug man allgemein zu Romöe rote Jacken; alle hatten welche, nur Paul Moders, ein armer Robbenfänger, hatte keine. Da sagte er, alle Romöer sollten sich an der Nordseite zum Schieben anstellen, an der Südseite aber eine Jacke zwei Ellen weit von der Kirche legen, damit man richtig sehen könne, ob die Kirche weit genug geschoben sei. Der Vorschlag gefiel, die Jacke ward hingelegt, und alles schob. Jetzt kam Paul Moders und schrie: Genug! genug! haltet ein! Ihr habt die Kirche schon über die rote Jacke hinübergeschoben, ihr Simsone ihr! – Da waren die Romöer froh, daß es ihnen so wacker gelungen war. Am nächsten Sonntag wunderte sich jedermänniglich, daß auch Paul Moders mit einer roten Jacke in die Kirche kam, konnten gar nicht begreifen, wie der arme Transchlucker zu einer roten Jacke gekommen war.

Die Büsumer an der See, die sind auch von den Pfiffigen. Einstmalen gingen ihrer Neun zu baden und schwammen wie die Enten. Jetzt hob sich der Vordermann und sagte: Mine Jongens, ik mutt doch würftig mal teilen, ob ay noch all dohopen sünt. Nun zählte er: Einer, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, ich bin ich, es muß beim Donner einer versoffen sin! Stille, laßt mich einmal zählen! rief ein anderer und zählte gerade wieder so. Ach Gott! ach Gott! Einer von uns muß versoffen sin! – Jetzt schwammen alle traurig zum Ufer; ein Fremder kam, dem klagten sie ihr Herzeleid, und der riet ihnen, sie sollten sich niederlegen und ihre Nasen in den Sand stecken, hernach die Löcher zählen. Selbiges taten sie, hurrah! da gab es neun Löcher, und keiner war versoffen. Den Mond wollten die Büsumer aus dem Brunnen schneiden, einen Hummer haben sie für einen Schneider angesehen, auf ein Feld säeten sie Kuhplapper, meinten, von selbigen Eiern sollten Kühe wachsen. Ein Mann stahl ihnen einen weißen Mühlstein, lange zogen sie ihm nach, folgten seiner Spur bis nach Hamburg, taten sich dort viel zugute auf Gemeindeunkosten, gingen auch in St. Michaels Kirche und erhoben auf einmal einen Heidenspektakel, indem sie überlaut schrien: Unser Mühlstein! unser Mühlstein! Der Herr Pastor hat ihn, hat sin Köpken durchgesteckt! – Sie hielten den großen und breiten runden Halskragen von Batist, den die Mode den Geistlichen um den Hals gelegt, für ihren großen weißen Mühlstein.

Die Bishorster leitete ein Schalk an einem Seil in einen tiefen Brunnen, als sie nach gewohnter Weise die Christnachtmette besuchen wollten und sich an dem Seile, das sie ausgespannt hatten, um in der Nacht des Weges nicht zu fehlen, forthalfen. So erzählen die Haseldörfer, Bishorst aber hat die Elbe nach und nach ganz hinweggeflutet.

Die Kisdorfer haben eine Sense, die ein Grasdieb liegen ließ, für ein gefährliches Tier angesehen und eilend eingezäunt. Auch sie trugen, wie ihre witzigen Brüder in Deutschland, den Tag in Säcken in ein neugebautes Haus.

Die Fockbecker haben einen Teich mit eingesalzenen Heringen besetzt, meinten, übers Jahr reichliche Brut davon zu haben. War aber gefehlt; als der Teich abgelassen ward, war kein Hering drin, nur ein großer Aal. – Das ist der Heringsfresser, der muß sterben! rief der klügste Fockbecker. Wir wollen ihn essen, wie er unsere Heringe gegessen hat! schlug einer vor. Das ist nicht Strafe genug! rief ein zweiter, der sich einmal gebrannt hatte. Verbrennt ihn! Nein! schrie ein dritter, der einmal fast ertrunken wäre, brennen ist sehr schlimm, aber versaufen ist schlimmer. Wir wollen ihn in die Au schmeißen und ihn versaufen! – Alle stimmten dem letzten bei, zumal er am meisten schrie, und wie der Aal nun im Wasser fröhlich schnalzte und sich krümmte und schlängelte, da rief der letzte Weise: Seht ihr, wie er sich quält! Ja – das ist der schlimmste Tod, das Versaufen. – Wenn das Verdursten nicht noch schlimmer ist! rief einer, der gern das letzte Wort haben wollte.

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191. Die Rungholder auf Nordstrand

191. Die Rungholder auf Nordstrand

Husum gegenüber in der Nordsee liegt die Insel Nordstrand, darauf lag einst ein reicher Ort, Rungholt, dessen Bewohner bauten große feste Dämme, und darauf stehend sprachen sie zum Meere voll Übermutes: Trotz um, blanke Hans! – In ihrem Übermut haben sie einmal eine Sau im Wirtshaus betrunken gemacht, ihr eine Schlafmütze aufgesetzt und sie ins Bett gelegt, dann sind sie zum Pfarrer gelaufen und haben ihm gesagt, er müsse kommen und einem Todkranken das heilige Abendmahl reichen. Da er nun das Sakrament nicht also schändlich entweihen wollen, haben sie ihn bedräut und mißhandelt, und schmählichen Unfug fortgetrieben. Da erging in der Nacht an den Pfarrer ein Zeichen und eine Stimme: Gürte dein Gewand und ziehe deine Schuhe an und wandere. – Da wanderte der Pfarrer fort mit den Seinen, so eilend er konnte. Darauf erhob sich ein Wind, und es schwoll das Wasser, und wuchs und wuchs an den Dämmen hinan, die dort Deiche heißen, und ging über die Dämme, und stand über ihnen vier Ellen hoch, und den Flecken Rungholt auf Nordstrand und sieben andere Kirchspiele verschlang das Meer. Einst soll es wieder auferstehen. Bei heller See erblicken Schiffer zum öftern den Ort und das Land auf des Wassers Grunde, seine Häuser, seine Türme und Windmühlen, auch wollen manche die Glocken der versunkenen Kirchtürme haben erklingen hören.

Gleich den Rungholtern haben auch einstmals die bösen Bauern zu Lichtenau im großen Werder in Preußen (bei Danzig) getan, es ist ihnen solches aber übel genug bekommen.

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192. Die getreue Alte

192. Die getreue Alte

Zu Husum sollte einst ein Winterfest gefeiert werden auf dem Eise, denn das Eis war fest. Zelte wurden aufgeschlagen auf der herrlichen blanken Fläche zwischen dem Ufer und der Insel Nordstrand, Schlittschuh lief, was laufen konnte, Stuhlschlitten flogen dahin, Musik und Tanz, Lied und Becherklang verherrlichte den schönen Tag und die nahe lichthelle Mondnacht, die den Jubel noch vermehren sollte, denn schon ging der Mond auf.

Alles und alles war hinaus aufs Eis und machte sich lustig, nur ein steinaltes Mütterlein war zurückgeblieben, hatte die Weltlust hinter sich, und wenn sie ja wollte, konnte sie hinaus und hinab aufs Eis sehen, denn ihr Häuslein stand auf dem Damme. Und sie tat’s, sie sah gegen Abend hinaus und sah im Westen ein Wölkchen über die Kimmung heraufziehen, da befiel sie große Angst, denn sie war eines Schiffers Witwe und kannte die See und die Zeichen von Wetter und Wind. Sie rief, sie winkte – niemand vernahm sie, niemand blickte nach ihr – aber das Wölkchen wuchs zusehends und war ein Bote der Flut und schnell umspringenden Windes von Nord nach West. Und wenn die auf dem Eise nur noch eine halbe – eine Viertelstunde zögerten, so war es um sie getan, so stand Husum menschenleer. Wie die Wolke wuchs, zusehends, riesengroß, schwarz – wie sie schon den lauen Windhauch spürte, wuchs auch der Alten unsägliche Angst – und sie war allein, krank, halb gelähmt, machtlos. Dennoch ermannt sie sich, kriecht auf Händen und Füßen zum Ofen, nimmt einen Brand, zündet das Stroh ihres eignen Bettes an und kriecht zur Türe des Häuschens hinaus. Bald schlägt die Flamme aus dem Fenster, hinauf zum Dach, des Sturmes Odem facht hellodernde Glut an, und: Feuer! Feuer! schreit es auf dem Eise, und die Zelte werden verlassen, die Schlittschuhläufer fliegen dem Strande zu, die Schlitten lenken sich heimwärts. Und da faucht schon der Wind über die Eisfläche, da pocht’s schon drunten und poltert, und wie Kanonendonner kracht das Eis in der Ferne. Die schwarze Wolke überzog den Mond und den ganzen Himmel, wie ein Leuchtturm flammt das Haus der Witwe und zeigt den Heimwärtseilenden die sichere Bahn. Wie die letzten am Strande sind, rollt die Flut ihre Wogen über das Eis und reißt Zelte und Tonnen, Wagen und Zechgeräte in ihre rauschenden Wirbel.

Die arme Alte hatte ihr Häuschen geopfert, die Bewohner ihrer Stadt zu retten. Es wird ihr ja wohl nicht unvergolten geblieben sein.

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193. Treuer Herr, treuer Knecht

193. Treuer Herr, treuer Knecht

Als auf der Lohheide die Holsten gegen die Dänen die große Siegesschlacht schlugen, fielen der Dänen so viele, daß die ganze Feldmark voll Leichen lag. Die schwarze Gret hat auch in dieser Schlacht mitgefochten. Graf Geert, der Holstenführer, ward im Schlachtgetümmel vom Pferde geworfen, aber ein Bauer aus Büttel bei Brockdorf in der Wilstermarsch half ihm wieder zu Roß und sprach: Nun gebrauche wieder deiner vorigen Kräfte. Zum Dank dafür befreite der Graf das ganze Dorf von der Landesschatzung. Einen Edelmann, Wedeke von Osten, der in dieser mörderlichen Schlacht fiel, hatte Graf Geert so lieb, daß er um ihn weinte. Derselbe Graf ließ in Rendsburg eine Schar Landsknechte zurück, an welche die Bürgerschaft noch Forderung hatte. Als sie aber den Lärm der Schlacht hörten, machte sich die Schar unter Führung des Ritters Burchard von Itzehude, des Grafen Marschall, auf, und dem Getümmel zu. Es war aber Nacht, und wie sie gegen Sehestedt oder Königsfährde kamen, ritt ihnen ein Dänenhaufe stracks in die Hände, den griffen sie an, erschlugen einen Teil und fingen die anderen, und der Marschall ritt mit ihnen nach Schloß Gottorp und pochte an, den Grafen Geert zu sprechen. Dieser war schwer verwundet, erhob sich aber dennoch vom Lager. Da sprach Burchard zu ihm: Herr, da ich Euch zuziehen und Hülfe leisten wollte, bin ich verwundet und gefangen worden und nur unter Geleit entlassen. Wes soll ich mich trösten? Wollet Ihr mich vom Feinde lösen? – Ohne Zweifel! antwortete der Graf. Ich habe der Dänen genug gefangen und gebe ihrer viele darum, dich frei zu machen. – Getreuer Herr, getreuer Knecht! sprach darauf der Marschall zu sich selber und rief dem Grafen freudiglich zu: Herr, ich bin nicht wund und nicht gefangen, aber ich bringe Euch gefangen den Dänenkönig, seine schwarze Gret und sein ganzes Gefolge! Laßt das Schloß auftun und verwahret alle wohl. – Da hat sich der König mit großem Gelde lösen müssen, und es wurde ein Sprüchwort unter den Leuten im Lande: Treu Herr, treu Knecht.

Dasselbige Sprüchwort hat sich weit verbreitet, und hat in späterer Zeit ein Herzog zu Sachsen-Weimar es sogar auf Münzen prägen lassen, und liegt ein tiefer Sinn darin für Herren und Diener.

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194. Der Dom zu Schleswig

194. Der Dom zu Schleswig

Die Domkirche zu Schleswig war vorzeiten die schönste und prächtigste im ganzen Lande, aber durch Kriegszeiten geriet sie im Verfall, und als sie in Feindes Händen war, ward gar übel in ihr gehaust. Das Kriegsvolk lagerte in ihr, soff, spielte und fluchte. Bei einem Kartenspiele war einem wüsten Gesellen das Glück abhold, da verschwur er sich mit lästerlichen Flüchen und schrie: Ei so will ich dem alten Gott die Augen ausstechen! und warf sein Schwert hoch hinauf gegen das Domgewölbe. Und siehe – es fiel nicht wieder herab, sondern blieb droben am Gewölbe im Gemäuer fest stecken. Als die Feinde ihren Abzug genommen, wurde das Schwert entfernt, aber wenn man drunter stand, sähe man immer noch, wie man zuvor gesehen, des Schwertes Schatten, und der war nicht wieder auszutilgen.

In derselben Kirche stand auch ein hölzern Bildnis des Erlösers, Christus unter dem Kreuze sitzend. Ein Trunkener stolperte mit einem Beil daher und hieb im frechen Übermut dem Bilde die große Zehe des linken Fußes ab. Da schmerzte ihn gar plötzlich sein eigner linker Fuß, und wie er nach Hause kam, hatte er den Stiefel voll Blut, und seine eigene Zehe war abgehauen.

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