210. Der Herthasee

210. Der Herthasee

Im Eiland Rügen war das Heiligtum der Mutter Erde, als Göttin gedacht von den alten Urvölkern des germanischen Norden und Hertha geheißen. Ein geheiligter Buchenwald, die Stubbenitz genannt, umgab einen tiefen See; im Walde stand der mit einem Gewand bedeckte Wagen der Göttin, darin sie alljährlich einmal das Land durchfuhr im Geleite eines einzigen Priesters, dem ihr Wille offenbart ward. Zwei heilige Kühe zogen den Wagen der Göttin, und wohin derselbe kam, da war Freude die Fülle und eitel Friedensfest; niemand durfte da streiten, keine Waffe durfte ergriffen werden. Das währte so lange, als die Göttin an einem Orte verweilte, und wenn sie nicht mehr weilen wollte, da führte der Priester sie zurück in ihr Heiligtum. Dann wurde in dem düstern See ihr Wagen, Gewande und ihr Bildnis gereinigt, und die Sklaven, welche dabei dienten, wurden in dem See geopfert, damit ihrer keiner je erzähle, was er geschaut. Die Sage geht, daß die Insel Rügen weder Wölfe noch Katzen dulde.

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211. Pape Dönes Glockenspiel

211. Pape Dönes Glockenspiel

Wie der Stürzebecher und seine Raub- und Mordgesellen auf Jasmund ihre geheimen Schlupfwinkel hatten, so saß ein ähnlicher Kumpan in einem unwegsamen Walde bei Ratzeburg, nur daß dieser kein Seeräuber war, sondern ein Landräuber, der hieß Pape Döne und war von unermeßlicher Stärke, die er sich durch ein Teufelsbündnis verschafft hatte. Er durchstreifte die Fluren als Bettler, fiel über die Reisenden her, überwältigte auch den stärksten Mann und schleppte ihn und all sein Gut nach seiner verborgenen Höhle und Mordgrube. Dort schnitt er seinen Ermordeten die Hirnschalen ab, zog die Haut davon, trocknete und bleichte erstere und hing sie an einer Schnur zwischen Bäumen auf, dann schlug er mit seinem Stecken daran und lauschte, welchen Klang oder Ton die Hirnschale von sich gab, und fand, daß nie einer klang wie der andere, und wie jeder Mensch seinen eignen Kopf hat, so ist auch der Klang seines Gehirndeckels vom andern verschieden, woraus leichtlich zu erklären, warum so viele Menschen so unharmonisch miteinander leben, weil eben ihre Hirnschalentöne nicht zusammenpassen. Von dieser Erfindung, welche Pape Döne sein Glockenspiel nannte, soll er auch, indem er Töne suchte, den Beinamen Döne erhalten haben. Wenn nun der musikalische Mann, der Urerfinder der Schädellehre, gleich wie auf einer Strohfiedel auf den Hirnschalen sich hören ließ, so machte er sich das Vergnügen, diese zu gleicher Zeit auch tanzen zu lassen, und dazu sang er wohlgemut eine spöttische Tanzweise:

So danzet, so danzet, min levesten Söne,
Dat Danzen, dat maket ju Vater Pape Döne.

Diesen verruchten Musikanten soll endlich der Teufel niedergeworfen haben, willens, mit seiner Seele an einen Ort zu fahren, wo Tanz und Spiel ein Ende haben, aber Pape Döne wollte nicht und versprach dem Teufel sieben Seelen statt seiner armen einzigen, wenn er ihm noch Frist gönne, und der Teufel war auch so dumm, sich im Netz der Arglist Pape Dönes fangen zu lassen. Kaum war der Teufel fort, so ging Pape Döne nach Lübeck, suchte einen Mönch auf und beichtete ihm seine Sünden, indem er herzlich bat, jener möge ihn gegen den Teufel in Schutz nehmen. Der Mönch versprach dies, wenn Pape Döne alle seine Untaten bekennen, alle ernstlich bereuen und dafür der strafenden Gerechtigkeit sein Leben zur Sühne bringen wolle. Pape Döne war von der letzten Bedingung nichts weniger als erbaut, aber es galt seine Seele zu retten. Da nun der Teufel nach einer Zeitlang kam und nach den sieben Seelen Erkundigung einziehen wollte, war Pape Döne fromm geworden, herzte und küßte ein Kruzifix und hielt es dem Teufel hin, er sollte es auch küssen. So etwas war dem Teufel noch nicht vorgekommen, er pfauchte Feuer und ließ Gestank fahren und fuhr ab, lauerte aber, als am andern Tage Pape Döne zum Galgen geführt wurde, um an selbigem als bußfertiger Sünder zu sterben, auf Pape Dönes Seele. Wie ward aber dem Teufel, als er zwei Engel sah, welche der fromme Mönch aus dem Himmel herabgebetet, und welche die Seele ganz frisch, wie sie aus dem Körper fuhr, in Empfang nahmen und mit in den Himmel! Darüber ärgerte sich der Teufel so sehr, daß er schwarz wurde. Seitdem ist der Teufel schwarz.

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212. Die Ururalte

212. Die Ururalte

Zu jener Zeit, als das Wünschen noch etwas half, denn heutzutage hilft es wunderwenig mehr, und war auch dazumal schon der Wünsche Erfüllung nicht allewege heilsam, da lebte zu Lübeck eine Frau, die war frisch und munter, gesund und stark, sie aß auch gern und trank gern und hatte alles, was ihr Herz begehrte. Und weil es nun also mit ihr stand, so gefiel es ihr auf der Welt ausnehmend wohl, und sie wünschte sich, nie zu sterben, sondern ewig zu leben, nicht aber in einem ewigen seligen Leben, wie andere fromme Christen wünschen und hoffen, sondern hienieden auf dieser Erdenwelt, bei gutem Essen und Trinken. Und weil damals mit Wünschen noch etwas anzufangen war, so wurde jener Frau der Wunsch erfüllt, und sie lebte immer darauf los und war gar eine lustige Alte; sie hatte aber doch etwas beim Wünschen vergessen, nämlich des Körpers Rüstigkeit mit einzubedingen. Nun tat es ja wohl einhundert Jahre leidlich gut, aber als sie die hundert Jahre aufgeladen hatte, da drückten diese doch gar sehr, so daß die Alte zusammenkroch, mehr und mehr, und konnte erst nicht mehr gehen, dann nicht mehr stehen und hernach auch nicht mehr selbst essen und trinken, und sterben konnte sie auch nicht. Die Menschen mußten sie füttern wie ein kleines Kind und heben und tragen. Das war aber noch nicht genug; sie kroch hernach noch immer mehr und mehr zusammen und trank und aß zuletzt gar nichts mehr. Endlich vermochte sie sich nur noch dann und wann ein wenig zu regen. Da meinten die Leute, es wäre am besten, wenn sie ihnen untern Füßen wegkäme, weil aber doch noch Leben in ihr war, so taten sie die kleine zusammengeschrumpfelte Alte unter ein Glas und hingen sie in der Kirche auf. Da hängt sie nun noch immer in der Lübecker Marienkirche, ist so groß wie eine Maus und bewegt sich nur alle Jahre einmal.

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213. Altmecklenburg

213. Altmecklenburg

Ohnweit Wismar liegt ein Kirchflecken am Schiffgraben, der aus dem Schweriner See in die Ostsee führt, der heißt Mecklenburg, dort ist noch ein alter Wall zu sehen, und das ist die Stätte, die dem ganzen großen Lande Mecklenburg den Namen verliehen hat. Im Innern dieses Walles ruhet noch, wie die Sage geht, eine goldene Wiege und im Grunde der wasserreichen Wiese eine vorzeiten versunkene kupferne Brücke. Viel altes Scherbengerät hat sich dort gefunden, auch nennt und zeigt man noch die Stelle, wo der Brunnen dieser alten Wendenburg soll gestanden haben, die eine große Stadt geschirmt, von welcher nichts mehr übrig als der heutige offne Flecken, der allein den alten Namen gerettet. Der Name soll vom Mäkeln (Handeln) herrühren, und das alte Mecklenburg soll vorzeiten eine hochberühmte Handelsstadt gewesen sein und fünf deutsche Meilen im Umfang gehabt haben. Einst führte Herzog Albert von Mecklenburg Krieg mit der Königin von Dänemark, der schwarzen Gret, und wurde ihr Gefangener, da haben die Frauen des Herzogtums zusammengeschossen Gold und Geschmeide, um ihren Herrn aus der Gefangenschaft zu lösen, und haben ihn erlöset, und da hat er ihnen das Recht verliehen, Lehengüter besitzen zu dürfen gleich den Männern, und soll dort die ausschließlichen Mannlehen nicht geben.

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214. Der Fürstin Traum

214. Der Fürstin Traum

Nach Mecklenburgs Abblühen kam die Stadt Wismar zu hohem Flor. Dort schlug seinen Wohnsitz auf Fürst Johannes, der Theologe zubenamt, der erkürte zur Gemahlin Luitgardis von Henneberg und gewann von ihr sechs Söhne. Der älteste, Heinrich, vermählte sich mit Anastasia, Herzog Barnim I. in Pommern Tochter. Fromme Sehnsucht trieb den Fürsten zu einem Zuge nach dem Heiligen Lande, davon er den Beinamen der Pilgrim empfing, aber seine Gemahlin kam während seiner Heilfahrt in Not und Bedrängnis. Denn Markgraf Otto von Brandenburg verband sich mit den Fürsten von Sachsen, Meißen, Thüringen und Holstein und fiel in das Mecklenburger Land. Da nun die Fürstin Anastasia um ihre beiden Söhne und um ihr Land in großen Sorgen stand, so erschien ihr der heilige Franziskus im Traume und sprach zu ihr: Fasse Mut, ich verheiße dir und den Deinen den Sieg. Des zum Zeichen wirst du morgen des Tages in den Lüften eine Erscheinung sehen. Und als die Fürstin am andern Morgen erwachte und gläubig hoffend zum Himmel aufblickte, so sahe sie ein Panier schweben mit dem Bilde des Heiligen, der ihr erschienen war. Da sandte Anastasia sogleich nach einem Maler, der mußte den heiligen Franziskus malen, und es mußte ein neues Panier mit diesem Bilde gefertigt werden, das gab sie ihrem ältesten Sohne, welcher auch Heinrich hieß, und verhieß ihm und seinem Bruder den Sieg. Da zogen die Fürstensöhne mit dem neuen Panier hinaus und führten ihr Heer gegen den weit überlegenen Feind und schlugen diesen bei Gadebusch aufs Haupt. Der junge Fürst Heinrich kämpfte mit Löwenmut und wurde Hernachmals auch der Löwe zubenamt. Seine Söhne wurden die ersten Herzoge von Mecklenburg.

Fürstin Anastasia aber, die ihren Traum so wunderbar erfüllt sah, wendete ihren Dank dem Kloster des heiligen Franziskus in Wismar zu, zeigte sich mild und freigebig gegen dasselbe und schmückte den Chor der Klosterkirche mit drei neuen Fenstern, von denen das mittelste die heilige Jungfrau und zu den Seiten die Bildnisse des heiligen Franziskus von Assisi und des heiligen Antonius von Padua im herrlichsten Farbenschmuck zeigten. So bezeugte Fürstin Anastasia ihren Dank für die Traumerscheinung und die göttliche Hülfe.

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215. Das Teufelsgitter

215. Das Teufelsgitter

In der Marienkirche zu Wismar ist um den Taufstein ein eisernes Gitter gestellt, das hat der Schmied vollbracht mit der Hülfe des Satans und ist also künstlich, daß keiner es vermag nachzumachen oder Anfang und Ende zu finden. Ein solches Gitter, aber um die Kanzel herum, zeigt man auch in Lübeck und nennt denselben künstlichen Meister wie in Wismar. In einer Nacht soll der Teufel es verfertigt haben.

Zu Wismar war auch ein Priester, der hatte ein seltsamliches Gelüsten. Er legte sich ein Buch an, dahinein schrieb er die Namen reicher Leute der Stadt mit gewissen Summen, als wenn sie ihm diese Summen schuldeten, und dann ging er hin und bestahl nach und nach diese Reichen. Wenn er nun einen bestohlen hatte, so schrieb er in seinem Buche zu dessen Namen dedit, zu Dank vergnügt. Endlich kam die Sache an den Tag, nachdem der Schlaukopf lange Jahre so fort gestohlen, und wurde der Täter vom verdienten Strang zu lebenslänglichem Gefängnis begnadigt.

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216. Der englische Schweiß

216. Der englische Schweiß

Im Jahre 1529 kam aus England eine gefahrliche Krankheit, die wurde die Schweißsucht oder der englische Schweiß genannt. In Hamburg gewann sie auf dem Festland den ersten Boden und raffte binnen zweiundzwanzig Tagen tausend Menschen dahin. Von da ging sie weiter nach Lübeck, Wismar, Rostock, Greifswalde, Stettin, Danzig und breitete sich weit umher im Lande aus. Sie flog gleichsam durch die Städte und Länder im Hui. Man schrieb ihre Ursache der eigentümlichen Witterung des Jahres zu: gelinder Winter, trockner Mai, naßkalter Sommer und darauf solche Hitze, daß es unmöglich war, nicht zu schwitzen, und wenn einer nackend gegangen wäre, und mit dieser lähmenden Hitze kam die Sucht.

Zu Lübeck war ein Doktor, der hieß Varus und hatte seines Glaubens halber aus England flüchten müssen, der heilte manchen von der schwitzenden Krankheit. Da Doktor Varus nun ein frommer und glaubenseifriger Mann war und wahrnahm, daß die Geistlichen und ihr Anhang das Evangelium nach der neuen Lehre nicht wollten gelten und sich ausbreiten lassen, so begab er sich zu einem hohen Ratsverwandten mit einem Buche in der Hand und fragte ihn, ob er nicht Gottes Lohn verdienen wolle und wolle helfen, daß eines frommen Mannes Testament möchte bestätigt werden und Rechtskraft erlangen. – Darauf sagte der Ratsherr: Wenn das Testament recht gemacht ist, so wird es ein ehrbarer Rat wohl konfirmieren. – Da hub der Doktor wieder an und sprach: Der es aufgerichtet hat, ist ein guter, frommer Mann und heißt Jesus Christus. Er hat sein Testament mit seinem Tode und seiner Auferstehung bestätigt, will nun ein ehrbarer Rat zu Lübeck dasselbige auch konfirmieren, so wird er Gott einen großen Dienst erweisen. – Der Ratsherr wendete sich um und ließ den Doktor stehen, aber am andern Tage wurde ihm die Stadt verboten.

Die Schweißsucht regierte so heftig, daß mehr als ein Haus ganz verlassen und verschlossen werden mußte. Auf der Universität Rostock wurde im Jahre 1529 kein einziger Student immatrikuliert. Binnen vierundzwanzig Stunden wendete sich die Krankheit zum Leben oder zum Tode. Die hülfreichen Mittel gegen diese Krankheit, welche weder Kinder noch Alte, sondern nur die Kräftigen und Kräftigsten ergriff, waren: nicht überwarmes Lager, aber Bewahrung vor jeder Zugluft, einfachste Kost, Leibesöffnung durch Rhabarbar, reine Luft, sorgsame Wartung; die Kranken sollten sich nicht durch Umwälzen erkühlen, keine Luft unter die Arme kommen lassen. Je stiller der Kranke lag, um so besser, und beim Umkehren, wenn es durchaus nötig, solle er vor aller Luft behütet werden. Auch solle man ihm guten Trost einreden, daß seine Schwitzqual nur eine kurze Zeit daure und er dann genese, solle ihn mit duftendem Rosenwasser bestreichen am Haupt, hinter den Ohren und über dem Nacken und an den Schläfen und ihn starken Weinessig durch die Nase einatmen lassen. Der Essig übertreffe, sagten die Schweißärzte, um vieles Kamphor und Opium. Zum Labetrunk keinen Malvasier, Würzwein, pommerschen Schlurf oder Ratzeburger Rommeldaus, das starke Bier, sondern dünnen Kovent, durch ein Röhrlein gesogen. Gut zum Tranke war auch Ochsenzungen- und Borretschwasser mit Kandiszucker, wenig auf einmal, kaum einen Löffel voll durch ein Rohr. In Anfang der Krankheit mußten die Kranken vor dem Schlafe bewahrt werden, denn Schlaf war der halbe Tod. Nasenbluten, das sich nicht selten einstellte, sollte man nicht zu stillen suchen. Nach dem Verlauf der vierundzwanzig oder achtundzwanzig Stunden vorsichtiger Wechsel der Wäsche, gewärmt, und später zum Getränk Einbeckisch und Güstrower Bier und zuletzt wieder, was jedem schmeckte und was er haben konnte.

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204. Der Gast des Toten

204. Der Gast des Toten

In alten Zeiten war ein Totengräber über das ganze Kirchspiel Großberkentime, der mußte eines Abends um neun Uhr noch ein Grab graben, denn der Tote sollte am andern Morgen beigesetzt werden. Als er eine Weile gegraben hat, stößt er auf einen Sarg mit plattem Deckel, und da dieser ihm im Weg ist, holt er ihn heraus und stellt ihn beiseite und macht das Grab so viel tiefer, daß ein Sarg auf dem andern Raum hat. Der Sarg war aber so hübsch, fast wie neu, und der Totengräber, neugierig, wer darin liege, schraubt ihn auf. Da hat der Tote gar ein schönes Kissen von rotem Samt unter seinem Kopf. – Du scheinst mir ein vornehmer Herr gewesen zu sein, bei dir möcht‘ ich wohl gastieren. Da antwortete der Tote: Diese Ehre kannst du haben. – Darauf antwortete der Totengräber: Komm du erst bei mich zu Gast. – Das kann geschehen! sprach der Tote. – Nun, so komme morgen abend an die große Kirchenpforte, da will ich dich empfangen. –

Den andern Tag sprach der Totengräber: Mutter, ich bringe heute abend einen Gast. – Was soll das für ein Gast sein? fragte die Frau. – Nun, du wirst ihn schon zu sehen bekommen, erwiderte der Mann, war Glock neun an der Kirchentüre, holte seinen Gast, brachte ihn ins Haus und aß und trank mit ihm wie mit einem andern. Als der Gast gesättigt war, holte er ihm eine Pfeife und Tabak, und da rauchte jener auch eine Pfeife, und nach einer Stunde Verweilens sagte der Gast: Nun gibst du mir das Geleite bis zur großen Kirchentür, und morgen abend bist du bei mir zu Gast.

Und am andern Tage mit dem nämlichen Glockenschlag und an der nämlichen Stelle empfing der Gast den Totengräber und ging mit ihm durch eine Gruft unter die Erde. Da war gar eine schöne Stube, und daran stieß noch eine Stube, darin war prächtige Musik, in diese aber hineinzugehen verwehrte der unterirdische Gastfreund. Es war auch außerhalb schon schön genug, und der Totengräber sagte: Ach hier ist es ja herrlich, da möcht‘ einer wohl hundert Jahre sein. – Siehe, da kamen Leute, die gingen schweigend durch das Vorzimmer in jene Stube hinein, aus welcher die herrliche Musik ertönte, darunter war auch des Totengräbers eigner Vater. Ei, Vater, wo wollt Ihr denn hin? rief er ihn an, aber jener antwortete ihm nicht. Es dauerte nicht lange, so kam des Totengräbers Frau, und er rief ihr zu: Ei, Mutter! wo willst du denn hin? Aber sie hat ihm nicht geantwortet und ist auch dahinein gegangen, wo die wunderschöne Musik war. Nun kam seine älteste Tochter, wieder rief er, blieb ohne Antwort, schweigend ging sie hinein. Es kamen Vettern, Nachbarn, Bekannte, jeden Alters, selbst Kinder, und wen er anrief, antwortete nicht. Endlich kam auch seine jüngste Tochter, sein Liebling, und er rief: Meine Dirn, wo willst denn hin? Aber auch sie sah ihn nicht an und antwortete ihm nicht, still schritt sie dahin und ging hinein. Nun wurde der Totengräber aber böse und sagte: Ha, was ist das hier für ein Donnerloch, daß alles vom Hause wegläuft nach der schönen Musik? Und hatte Lust, auch hineinzugehen, aber da kam sein Gastfreund wieder, und er meinte auch, die Stunde sei wohl herum, die er ihm habe schenken wollen, und jener brachte ihn wieder vor die große Kirchentüre und verabschiedete ihn. Der Totengräber ging nach Hause und klopfte an, die Uhr schlug gerade zehn. Da rief drinnen eine fremde Stimme: Wer ist draußen? – Frag nicht lange, ich bin’s! Wo sind meine Frau und meine Töchter? – Was für eine Frau? Was für Töchter? fragte es drinnen. – Meine, zum Kuckuck, ich bin ja der Totengräber. – Nein! rief der drinnen, das bin ich, du bist wohl wirr im Schädel! Warte, ich will dir gleich Beine machen! – Den Totengräber wunderte die Geschichte, und er rief: Schwerenot, dann behalte mich wenigstens über Nacht, morgen früh wollen wir sehen, wer von uns beiden der rechte Totengräber ist. – Und bat so lange, bis jener ihn einließ. Und da blieb er die Nacht über auf einem Stuhl sitzen, und am andern Morgen fragte er, wie der Priester heiße. Jener nannte den Namen. Hm! sagte der Totengräber, den Namen kenne ich nicht akkurat, geh doch mit mir zu dem Pastoren. – Da gingen die beiden hin, und der Pastor fragte den alten Totengräber nach seinem Namen und schlug im Kirchenbuche nach, da stand darin aufgezeichnet der richtige Name und war dazu geschrieben: Deeser Kulengraver is in de Gemeen wegkommen, unn kener het wüst, wo he blöven is. Und das war geschrieben worden vor hundert Jahren. Da fragte ihn der Pastor, ob er nicht das Nachtmahl empfangen wolle, und jener sprach ja. Darauf wurde der Küster geholt, die Kirche aufzuschließen, und der Priester reichte ihm das Abendmahl; das empfing der Alte mit gläubiger Seele, und als er den Wein empfangen hatte, sank er leise in sich zusammen und war tot.

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205. Till Eulenspiegels Grab

205. Till Eulenspiegels Grab

Wer kennte nicht den lustigen Landfahrer und unverwüstlichen Vaganten des deutschen Volksbuches, Till Eulenspiegel? Der Urvater deutschderber Natürlichkeit, Schalkhaftigkeit und Possenreißerei, in dessen Spiegel so mancher spätere Schalksnarr sein eignes Gesicht erblicken mag, war dieser Till. Viele sprachen ihm die Persönlichkeit ab, weil sein Name symbolisch klinge, allein so gut im vierzehnten Jahrhundert, darin Eulenspiegel gelebt haben soll, einer Regenbogen, Rabenzagel oder Rosenblüt hieß, ebensogut konnte einer auch Eulenspiegel heißen. Genug, der lustige Geselle endete seine lustig genug beschriebene Abenteurerfahrt in der Stadt Möllen im Lande Sachsen-Lauenburg und ward allda begraben. Und wenn einer irgendwo stirbt und begraben wird, so ist doch mit einiger Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß er zuvor gelebt habe. Aber wie Eulenspiegel vielen zum Ärger und Possen allerlei Verkehrtes getan all sein Leben lang, so ist’s auch geschehen, daß er im Tode noch die Leute äffte; sein Sarg kippte um und rutschte so in das Grab, daß er aufrecht darinnen stand, und die Totengräber meinten, weil er es einmal so haben wolle, möcht‘ er auch seinen Willen haben, und warfen das Grab zu. Darauf haben ihm die Möllner einen Grabstein gesetzt, auch denselben einigemal erneuern lassen. Auf den obern Ecken war links eine Eule, rechts ein Spiegel eingehauen, und noch in Mitte des vorigen Jahrhunderts las man darauf:

Anno 1350 iß düsse Steen upgehafen,
Tylle Eulenspiegel lehnent hirunter begraven,
Merkt wol und denkt daran
All de hier vor över gan,
Wat ick gewest up Erden
Möten my glieck werden.

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206. Dort tanzt Bornholm hin

206. Dort tanzt Bornholm hin

Dieses Sprüchwort wird in Holstein häufig vernommen. Einst gab ein Dänenkönig diese dänische Insel der Stadt Lübeck in Versatz, weil er ihr ein ziemliches Geld schuldete. Nach einiger Zeit aber beehrte der König die Stadt Lübeck mit seinem Besuche, da ward ihm zu Ehren ein großes Bankett veranstaltet und ihm ein Tanzfest gegeben, und die Frau des Bürgermeisters mußte dem Könige zur Rechten sitzen, und er sagte ihr viel Schönes und führte sie zum Tanze, den ersten Reigen mit ihr zu tanzen. Und wie nun dieses Paar sich gar schön mit Tanzen blicken ließ, da sagten die Lübecker: Dort tanzt Bornholm hin!, denn sie wußten wohl, daß der Bürgermeister die vom Könige seiner Frau angetane Ehre werde im Übermaße zu schätzen wissen, und sie irrten auch nicht, denn gar bald danach hatte der Dänenkönig sein Pfand wieder frei, ohne die schuldigen Gelder bezahlt zu haben. Seitdem hat sich das Sprüchwort erhalten.

Andere erzählen diese Sage anders. Der Bürgermeister habe, von Eitelkeit gebläht, die Ehre haben wollen, mit der Frau Königin zu tanzen, und der König habe das ihm in höchsten Gnaden und nur unter der kleinen Bedingung gewährt, daß ihm Bornholm wieder freigegeben werde, und so sei es hingetanzt worden.

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