248. Die Schatzgräbermönche

248. Die Schatzgräbermönche

Bei Königsberg liegt ein vereinzelter Berggipfel mit schöner Aussicht, der heißt der Galtgartenberg oder der Rinau, und sind dortherum der Höhen nur wenige, und kann einer weit umschauen von der Höhe des Rinau, unter sich die alte Königsstadt und nordwärts die dörferbesäete Landschaft und darüber hinaus rechts das Kurische Haff und links der Ostsee endlosen Spiegel und zwischen beiden zur dämmernden Ferne sich verlierend die grüne Linie der Kurischen Nehrung, südostwärts aber das Frische Haff. Auf diesem Gipfel war vorzeiten auch ein Heidenheiligtum, und soll da droben absonderlich ein Abgott des Namens Ligo verehrt worden sein, ein Gott des Frühlings und der Freude, von welchem uns wenig Kunde überkommen; vielleicht ist er ein und derselbe Gott mit dem, den die Polen Ligiez nannten, ein Ruhestifter und Versöhner. Reine Jungfrauen mußten ihm heilige Flammen nähren. Später sollen die Herren über Samland, Samos Nachkommen, der ein Sohn König Waidewuts war, auf dem Berge gewohnt und ihre Götter droben verehrt haben in einem heiligen Haine, und zwar vornehmlich den Gott der Tafelfreude Curcho oder Gorcho und den Herdengott Warskaito, wie auch den Geflügelgott Ischwambrat, welche Götterdreiheit im uralten Mythus der Preußen den zweiten Rang nach den höchsten Göttern Perkunnos, Pikollus und Potrimpus einnahm. Endlich eroberte der Deutsche Orden auch Samland und zerstörte die heidnischen Heiligtümer, und in noch späterer Zeit drängte die Lehre Luthers auch den Marienorden zur Seite, die Klöster wurden aufgehoben, und die Mönche und Nonnen wurden zu Herden ohne Hirten. Da waren vierzehn Mönche, die hatten nichts mehr zu leben, wohl aber manche Kenntnis von geheimen Dingen, und die wußten wohl, daß auf dem Rinau Schätze vergraben waren in nicht geringer Zahl. Die wanderten hinauf, gar wohl mit allem versehen, was zum Schätzegraben nötig, stießen auf altes Trümmergemäuer und schlugen ein. Da fanden sie ein Gewölbe, darinnen standen große Urnen, aber bei jeder Urne lag ein schwarzer Hund, und jedem Hunde rauchte es aus dem Maule, und das war ein so giftiger Brodem, daß gleich fünf Mönche tot niederstürzten und drei andere, die mit den übrigen flohen, des andern Tages starben. Da sahen die sechs übrigen Mönche, daß sie doch noch nicht alles mit sich getragen zum Schatzgraben, und beredeten sich, es dennoch noch einmal zu versuchen, aber mit besserem Rüstzeug, und gingen nochmals hinauf, nahmen Heiligenbilder mit, mit geweihtem Öle bestrichen, und das Allerheiligste und hielten das an die Grube und lasen eine heilige Messe und sangen Litaneien. Da verschwanden die Hunde, und der Gifthauch ward nicht mehr verspürt, und die Urnen konnten ohne Beschwerde hinweggenommen werden, nur waren sie sehr schwer. Die Mönche hatten eine große Freude, und es war schön anzusehen, wie jeder Mönch eine große schwere Urne vom Berg heruntertrug, daß er schwitzte und keuchte, denn diese Töpfe waren einige Fuß hoch und hatten Bäuche fast wie die der Mönche. Im Beisein des Bischofs und des Hauskomturs schritten sie nun zur sorgfältigen Untersuchung des Inhaltes dieser altheidnischen Aschenkrüge. Da fand sich allerlei Schönes: Lehmen, Sand, kleine Kohlen, Knochenreste, Asche – aber von Metall, geschweige von edlem, nicht ein Splitter. Da zogen die Mönche lange Gesichter, denn sie waren keine Altertumsforscher, sonst hätten sie auch an den leeren Urnen noch eine große Freude gehabt und wären froh gewesen, dieselben ganz und unzerbrochen vom Rinau heruntergebracht zu haben. Und weil niemand da war, an dem sie ihren Verdruß auslassen konnten, so mußte der Teufel herhalten. Er mußte das Gold in den Töpfen in schnöde Asche und Kohlen verwandelt haben und hatte doch im entferntesten nicht daran gedacht, der arme Teufel, dem immer alles in die Schuhe geschoben ward.

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24. Der Kreuzliberg

24. Der Kreuzliberg

Auch im Aargau, ohnweit Baden, wohnte auf einem Burgberge eine Königstochter, die oft zu einem nahen Bühel ging, wo sie im Schatten ruhte und der schönen Landschaft sich freute. Sie wußte aber nicht, daß Geister in dem Bühel hausten, deren Art keine gute war. Eines Tages kam sie abermals zu ihrem Lieblingsplatz, aber kaum erkannte sie ihn wieder; wildes Geklüft und geborstenes Erdreich starrte ihr da entgegen, wo sie noch kurz zuvor auf schwellendem Moos im kühlenden Baumschatten geruht hatte, und weit hinab in die Tiefe gähnte eine jähe Schlucht. Die Jungfrau aber war unerschrocknen Sinnes, weil sie rein und schuldlos war, und so setzte sie die Füße in den düstern Gang, um zu schauen, wie es darinnen beschaffen sei. Da gewahrte sie, daß es ein ungeheurer Keller war, Fässer lagen da über Fässern, und siehe, schreckhafte Gestalten huschten an sie heran, ergriffen sie an den Händen und zogen sie über alle die Fässer weiter und weiter zur Tiefe fort, so daß sie endlich aus Angst und Bangigkeit die Besinnung verlor und nicht mehr wußte, was mit ihr geschah. Da sie nun in der Burg daheim vermißt wurde, ward ausgesandt, sie zu suchen, und ward also gesucht an allen Orten und Enden ringsumher. Siehe, da fand sie einer nicht gar weit von dem Geisterhügel auf einer kleinen Anhöhe stehend, mit in die Erde gewurzelten Füßen, der Leib steinhart und die Arme in Äste ausgewachsen und gen Himmel ausgestreckt, wie die Jungfrau Daphne in der heidnischen Fabel. Alle, die das sahen, entsetzten sich vor dem grausenhaften Anblick solcher Baumverwandlung, und da ward nach dem nahen Kloster Wettingen hinübergesendet, von dort ein Wunderbild zu holen. Als das Bild gebracht ward, da schwand der unheimliche Zauber, der die Königstochter umstrickt hatte, und sie ward wieder erlöset. Des zum Andenken setzte man ein Kreuz auf den Berg, wo diese Sache sich begeben, der hieß fortan der Kreutberg, und jener Bühel, darin die Jungfrau die Fässer erblickt, und der sich wieder geschlossen, heißt der Teufelskeller bis auf den heutigen Tag.

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249. Jodokus‘ Eiche

249. Jodokus‘ Eiche

Nicht allzuweit von Königsberg liegt die Stadt Labiau, dort stand vorzeiten hart am Wasser eine große Eiche, die war dem heiligen Jodokus geweiht, das war ein Schirmvogt der Gewässer. Und die Eiche hatte eine Höhlung, dahinein warfen die Schiffer, die auf der Deine fuhren, im Vorbeifahren einen Opferpfennig, und wer das tat, den sicherte und schirmte der Heilige vor Stürmen, und die Schiffer opferten gern ihren Pfennig, denn es war gar ein wunderbarliches Gefühl ihnen vererbt aus Urväterzeiten her, dieses altheidnische Verehren geheiligter Eichen. Da ließ eines Tages ein Bösewicht sich gelüsten, seine gierige Hand nach dem Schatze auszustrecken, und raubte alles, was er fand, nahe an vierzig Mark. Von Stund an verdorrte die Eiche, aber wie die Eiche verdorrte, verdorrte auch des Räubers Hand. Die Schiffer aber wissen noch immer die Stelle, wo die Eiche stand, und die noch fromm sind unter ihnen, werfen an jener Stelle immer noch ihren Opferpfennig in den Fluß, obschon seit langen Zeiten auch des heiligen Jodokus in jener Gegend kaum noch jemand eingedenk ist. Dieser Wasserheilige ward abgebildet mit dem Stabe in die Erde stoßend, aus welcher eine Quelle entspringt.

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250. Der Hungerkerker in Tapiau

250. Der Hungerkerker in Tapiau

Tief unterm Schlosse zu Tapiau ist ein Gewölbe, das stieß früher an die Sakristei der Krypta der Ordenskirche. Von diesem Gewölbe gehen schaurige Sagen, was alles in ihm die Ordensritter Greuelvolles vollbracht.

Zu Zeiten des Hochmeisters Heinrich von Richtenberg lebte ein frommer und gelehrter Mann, Dietrich von Kuba, der war beider Rechte Doktor und wohlgelitten bei zwei Päpsten, Paulus dem Andern und Sixtus, dessen Nachfolger, und der letztere ernannte ihn zum Bischof von Samland. Das war aber geschehen ganz gegen Wunsch und Willen des Deutschordensmeisters und seines Kapitels, und der Ernannte ward ihnen verhaßt, denn der Orden war verwildert und wollte keinen Römling und Papstgünstling und mehr ritterlich leben denn geistlich. Der Bischof aber gedachte in seinem Sinn unter des Papstes Schutz den verderbten Orden zu bessern und zu reformieren, und wer in der Welt mit Glück reformieren will, der muß eine eiserne Faust, eine eherne Stirne und ein feuriges Herz haben, sonst wird es ihm nimmer gelingen, denn die Welt will nicht reformiert und gebessert sein. Und des Bischofs Dietrich von Kuba Eigenschaften reichten nicht aus, einer zahlreichen ritterlichen stolzen und mutvollen Ritterklerisei allein gegenüberzustehen. Die Ordensgebietiger nahmen ihn gefangen und ließen ihn in das Schloß gen Tapiau führen, wo er in ehrlicher Haft nach Standesgebühr gehalten ward. Aber dort umspann schnöder Verrat den gefangenen Bischof; er wird zu einem Fluchtversuch beredet, entdeckt und nun sein Verderben beschlossen. Der Hochmeister und das Ordenskapitel verdammten den unglücklichen Mann zum Hungertode. In das erwähnte Gewölbe ward er gebracht, dort an die Mauer angeschmiedet und fortan ohne Trank und Speise gelassen. Acht Tage lang schmachtete er hier in unendlicher Qual. Am achten Tage hörte das Volk in der Kirche, da die Sakristeitüre zufällig offengeblieben war, eine heisere Stimme wimmernd rufen: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Mein Gott, mein Gott, erbarme dich meiner!

Diese Stimme ward nachher noch oft gehört, als des Bischofs Leiche längst beigesetzt war, was in Königsberg geschah. Die Untat ward ruchbar, der Papst ergrimmte gegen den Orden, aber der Orden schwur sich rein. Eine Zeit darauf erkrankte der Hochmeister heftig. Schon war er jedoch wieder auf dem Wege der Genesung, als er mit einem Male auffuhr und rief: Meinen Harnisch! Mein Roß! Der Bischof – ich muß fort! Der Bischof ladet mich vor Gottes Gericht! Herr, mein Gott, erbarme dich meiner! – Und sank um und war tot.

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251. Der Schloßberg bei Kreuzburg

251. Der Schloßberg bei Kreuzburg

Über Kreuzburg hat vorzeiten ein Schloß der Deutschherren gestanden, davon sieht man noch Trümmer, und es ist auf dem Berge nicht geheuer. Eine weiße Jungfrau wandelt auch dort und hofft auf Erlösung, wie die Sage an so viele Schloßberge und Trümmerburgen knüpft. Unter den Trümmern ruhen noch viele verborgene Schätze. Spielenden armen Kindern, welche zufällig in eines der halbverfallenen Kellergewölbe gerieten, erschien die weiße Jungfrau und füllte ihnen die Mützen mit Gold. Jubelnd brachten sie die Gabe nach Hause, und die bedrängten Eltern waren glücklich. Andere neideten diesen ihre Begabung, sie durchkrochen alle Gewölbe, es erschienen ihnen aber nur Kröten und Unken und keine gabenspendende Jungfrau. Eines Abends hatten die Schuhmacher ihren Jahrestag gefeiert und sich tüchtig bezecht. Da meinten zwei Gesellen, es wäre doch schön, wenn sie die Jungfrau im Schloßberg aufsuchten, Mut hätten sie dazu, und torkelten in der Nacht den Berg hinaus. Sie sahen auch die Jungfrau in der Tat sitzen, das Kleid derselben kam ihnen ganz blümerant vor, vor sich hatte sie eine Braupfanne voll Gold und in der Hand eine silberne Kelle. Die Schustergesellen boten ihr einen recht schönen guten Abend und baten um einen Zehrpfennig. Da winkte ihnen die Jungfrau, ihre Schurzfelle aufzuhalten, und da strich sie mit der Kelle das gehäufte Gold von der Braupfanne in die Schurzfelle. Sie hatten ganz schwer an der Last zu tragen. Mit Neugier erwarteten die Meister und Gesellen auf der Herberge ihre kecken Kumpane. Endlich kamen sie und jubelten, obschon ihre Köpfe schwerer und ihre Schurzfelle immer leichter geworden waren. Jetzt schütteten sie den Schatz auf den Tisch – 0 pfui alle Teufel – was war das für Gold? Gelbe Molche, grüne Frösche, braune Kröten, faules Holz. Und das Ungeziefer kroch umher und hüpfte gar in das Putziger Bier und in das Danziger Goldwasser, daß es ein Ekel war. Da sind die beiden Gesellen furchtbar durchgebleuet worden, denn das Handwerk hielt es für einen Schimpf und Schabernack, den die beiden ihm hätten antun wollen.

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252. Die Ritter und die Nonnen

252. Die Ritter und die Nonnen

Zu Kreuzburg stand vorzeiten ein uraltes Rathaus auf dem alten Markt, da ward in jeder Neumondmitternacht ein sonderer Spuk erblickt. Vom Schloßberg herab auf dem sogenannten Kirchenweg kam ein Zug von vier offenen uraltväterischen Wagen, jeder mit vier Pferden bespannt, die ersten beiden mit Schimmeln, die andern beiden mit Rappen. Ruhig gingen die Schimmel, unruhig die Rappen; diese bäumten sich und schnaubten Feuerfunken aus den Nüstern.

In den vordern Wagen saßen, je zu sechs, zwölf Nonnen im weißen Ordenshabit mit Skapulier und Rosenkranz, aber ohne Kopf, in den folgenden Wagen zwölf geharnischte Ritter, jeder hielt seinen Helm im Arm, und im Helm steckte auch gleich sein Kopf. In lautloser Stille umkreiste dieser Zug dreimal den Markt, es schallte kein Hufschlag, es ward kein Räderrollen gehört. Der Kutscher der Nonnen war ein weißes Lamm, jener der Ritter ein schwarzer Ziegenbock. Endlich ging der Zug in das alte Rathaus hinein, und drinnen erschallte wilde Musik und wurden Stimmen der Ritter und Nonnen vernommen, laut und brausend und fein und süß, wie Trinklieder und melodische Hymnen durcheinander, wie dort im verwünschten Kloster bei Niederlahnstein am Rhein. Mit dem ersten Glockenschlage der Mitternachtsstunde kamen die Wagen mit ihren Insassen wieder aus dem Rathaus hervor, zogen wieder dreimal um den Markt und fuhren aber nicht die Kirchenstraße zurück, sondern zur Schloßstraße hinaus, und war nur noch das graulich und verwunderlich anzusehen, daß auf den Leibern der Ritter die Nonnenhäupter und auf denen der Nonnen die behelmten Häupter der Ritter saßen.

Als im Jahre 1818 der Markt samt dem alten Rathaus abbrannte bis auf ein einzelnes altes Gebäu, sind die Ritter und Nonnen, aber jedes mit seinem eigenen Kopf auf richtiger Stelle, erschienen, haben über Schutt und rauchende Trümmer neunmal den Markt umzogen und ihr nächtliches Fest in dem einzelnen alten Hause gehalten, doch minder wild und laut, es hat eher geklungen wie Orgelton und fromme Choräle. Beim Neubau des Marktes mußte auch jenes alte beschädigte Haus abgetragen werden, damit der neue Markt größern Raum gewinne, und in der ersten Neumondnacht, nachdem dies geschehen, ward über seiner Stätte gar eine sanfte und liebliche Musik vernommen und ein wonnevoller Gesang: Gloria sit patri, filio et spiritui sancto! Und damit haben die Ritter und Nonnen Abschied genommen und sind eingegangen zur ewigen Ruhe.

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253. Bartensteiner Bartel

253. Bartensteiner Bartel

Bei der Stadt Bartenstein fließt die Alle, die ihre sanfte Strömung nach Königsberg lenkt. Dicht über dem Fluß in der Stadtnähe ist ein Hügel, der eine Burgtrümmer trägt und einen kolossalen Granitblock, der einer menschlichen Figur nicht unähnlich sieht. Die Burg auf dem Hügel war der Sitz eines ehemaligen Herrschers in diesem Lande, Barto geheißen; ein Zauberfluch ließ seine Burg in die Tiefe versinken und den Barto versteinert zutage bleiben. Das Volk nennt den Stein den Bartel, und nach ihm soll die Stadt am Fuße des Hügels heißen. Im Berge sollen noch große Schätze verborgen ruhen, und ein Gang, der unter der Alle hinwegführt, soll in der Kirche eines Nachbardorfes ausmünden, man weiß aber nicht, in welche. Im nahen Bartelsdorf möchte das wohl am ersten sein, wenn es eine Kirche hat.

Ein anderer menschengestaltähnlicher Stein ward früher in der Johanniskirche zu Bartenstein aufbewahrt, jetzt steht er im Rektoratgarten. Ein Bürgermädchen – die Sage nennt sogar dessen Namen, Guste Balde – sollte auf Geheiß der Mutter zur Messe gehen, aber der eitlen Dirne waren ihre Kleider nicht schön genug, und sie weigerte sich gegen ihre Mutter des frommen Ganges. Da rief die Mutter voll Zorn: Ei, daß du zu Stein würdest, du putzsüchtige Närrin! – und darüber stand die Tochter ganz versteinert und blieb ein Stein bis auf den heutigen Tag.

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254. Miligedo

254. Miligedo

Auf dem Schlosse zum Bartenstein saßen die Kreuzherren mit vierhundert Wappnern, und die heidnischen Preußen hielten das Schloß rings umlagert. Ihr Führer hieß Mattingo. Unter der Besatzung des Schlosses war ein starker Riese, der hieß Miligedo, war zuvor ein Heide gewesen, hatte sich aber bekehrt und war als Kämpfer in den Marienorden getreten. Die Heiden fürchteten ihn sehr, denn er war schier unüberwindlich; da sie ihn nun viel lieber unter den Toten als unter den Lebenden sehen wollten, so machten sie einen Anschlag gegen ihn. Ein rüstiger Kämpe mußte Miligedo zum Zweikampfe herausfordern. Miligedo erschien ganz allein und ohne weitere Waffen als eine Keule, aber die war nicht leicht, ihr Knopf war voll Blei gegossen. Jetzt rückte der Kampfgeselle gegen ihn an, gut versteckt aber lauerten noch zwanzig Preußen in einem ganz nahen Hinterhalt. Miligedo begrüßte seinen Gegner mit einem Hauptstreich, er schlug ihm nämlich den Helm gleich in die Hirnschale hinein, daß er tot zusammenstürzte. Da brachen die zwanzig versteckten Feinde hervor und fielen ihn an wie eine Meute Hunde einen Edelhirsch. Miligedo aber wirbelte mit seiner Keule im Kreise herum, und wo die hintraf, wuchs kein Gras. Es dauerte gar nicht lange, so lagen fünfzehn im Sande, und Miligedo hatte noch keine Wunde. Die übrigen entflohen, und Miligedo ging geruhig auf das Schloß Bartenstein zurück.

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243. Hela

243. Hela

Von Danzig und der Weichselmündung gerade nordwärts liegt auf der äußersten Spitze der Landzunge, die das Putziger Wiek von der Ostsee scheidet, ein kleines Städtchen, das führt den Namen Hela. Selbiges ist ein trauriger und düsterer Name, denn Hela hieß die Todesgöttin in dem skandinavischen Mythus, ein Begriff der Erstarrung, der Kälte und des Reiches unter der Erde, und es wollen manche, daß von diesem Namen sogar das deutsche Wort Hölle abstamme. Aber da, wo jetzt Hela liegt, und insonderheit einige tausend Schritte hin am äußersten Oststrande, war vorzeiten keine Hölle, sondern eitel irdischer Glanz und Helle, aber das ist freilich schon viele hundert Jahre her, da stand dort eine reiche, große und prächtige Stadt, belebt vom Handel und Wandel, besucht von allen Völkern des Morgen- und Abendlandes, gleich Stavoren und Vineta und Julin; aber wie es in diesen blühenden Städten ging, also ging es auch in Hela, der wachsende Reichtum machte die Menschen gottvergessen. Aber es steht geschrieben: Wer sich auf seinen Reichtum verlässet, der wird untergehen – und Hela ist untergegangen mitten in seinen Sünden. Es soll dieser Untergang durch die brausende Meeresflut in einer Nacht vom ersten zum zweiten Pfingsttage geschehen sein, weil es dahin gediehen war, daß der Handels- und Betriebsgeist keines Sonn- und Feiertags mehr achtete und Werkeltage aus ihnen machte, wohin auch die Neuzeit wieder steuert, die dem armen arbeitenden Volke seinen Sonntag nimmt – und nur an diesem hohen Festtage kann zuzeiten bei ruhiger See das meerverschlungene Hela erblickt werden. Und da sieht man in den reichen Straßen die Bewohner geschäftig wandeln in ihrer Prunktracht und Verkehr treiben und kann die Uhren schlagen hören und die Glocken läuten, aber in die Kirchen sieht man niemand gehen, weil das die Leute verlernt hatten über dem Jagen nach dem Mammon.

Wenn der erste Pfingsttag still war und den Hinabblick nach Hela vergönnte, erhebt mit Sonnenuntergang sich der Nordostwind und wühlt das Meer auf, als solle sich der alte Pfingststurm erneuen, und als wolle er gar die ganze Landzunge verschlingen. Da eilen Schiffer und Fischer, Fahrzeuge und Nachen zu bergen und den sichern Strand zu gewinnen, denn furchtbar toben an diesem nordöstlichen Strande der Ostsee empörte Wogen.

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244. Werwölfe, Vampire und Unterirdische

244. Werwölfe, Vampire und Unterirdische

Viel weiß des Volkes Glaube und Aberglaube an den Ostseeküsten und dann weit hinab und hinauf in West- und Ostpreußen, in Litauen und bis nach Polen hinein, ja bis Serbien, Bosnien und in die Türkei von dämonischen Wesen zu erzählen, und ließen sich davon allein Bücher füllen.

Der Werwolf oder Wärwolf ist gedacht als ein Mensch, der durch Zaubermittel sich zur Nachtzeit in ein reißendes Tier, insgemein in einen Wolf, verwandelt und Menschen und Vieh anfällt, um ihnen das Blut warm aus dem Herzen zu saugen. Was der Werwolf so im Freien und an Wachenden übt, das tut der Vampir in den Gemächern an den Schlafenden. Der Werwolf wandelt noch unter den Lebenden, der Vampir ist ein Abgeschiedener, der seinem Grabe entsteigt und die Menschen würgt. Das ist beider Gemeinsames und Besonderes, aber die Verwandtschaft ist noch enger begründet. Stirbt der Werwolf und wird begraben, dann wird auch er Vampir und kehrt mordend aus dem Grabe wieder mit nie gestilltem Durst nach dem Blute der Lebendigen. Vampire werden aber auch solche Tote, welche von ihrem Grabeskleid irgendeinen Zipfel oder das Endchen eines Schleiers oder Bandes mit dem Munde erlangen; daran schmatzen sie, und solange sie schmatzen, so lange haben und üben sie des Grabentsteigens und des Blutsaugens dämonische Gewalt. Dabei machen sie den Anfang mit den nächsten Verwandten, dadurch sind schon ganze Familien und Dörfer ausgestorben.

Ein Jäger aus Danzig beging abends sein Revier und sah sich plötzlich von einem ungewöhnlich großen Wolf angefallen, da er aber nicht unvorbereitet war, so schoß er, und seine Kugel zerschlug dem Wolf den rechten Vorderfuß.

Mit lautem Geheul ergriff der Wolf hinkend die Flucht. Der Jäger folgte der Spur des Blutes, nachdem er von neuem seine Büchse geladen, denn er wollte sich in Besitz des schönen Wolfspelzes setzen. Die Spur leitete ihn zu einer Hütte im Walde und in diese hinein. Da fand er eine Frau und einen Mann, und die Frau verband des Mannes rechte Hand, die von einer Kugel zerschmettert war. Der Jäger zeigte die Sache an, der Mann ward eingezogen, bekannte, daß er ein Werwolf sei, und wurde lebendig verbrannt.

Im Dorfe Grabau (manche schreiben Crakau) nahe bei Danzig, nach der Küste zu, begann einmal vor noch nicht allzu langer Zeit ein allgemeines Sterben, und besonders wurden Jungfrauen in der Blüte ihres Lebens hingerafft, und jede so schnell Gestorbene hatte am Herzen ein kleines Wundenmal. Da fielen endlich die Dorfältesten auf den Gedanken, es möge wohl ein Vampir auf ihrem Kirchhof liegen, und ließen viele Gräber und Särge öffnen, und da fand sich auch ein Leichnam, der war nicht verweset gleich den andern, sondern Nägel und Barthaar waren ihm gewachsen, und an seinen Lippen zeigte sich die Spur frischen Blutes. Alsbald wurde das bekannte, bis nach Serbien hinein und dort sehr häufig angewandte Mittel ebenfalls angewandt. Das Haupt des Toten wurde mittelst eines Grabscheites vom Körper abgestoßen und durch das Herz ein Pfahl von Dornholz geschlagen und alles zu Asche verbrannt. Da hörte das Sterben auf.

Vor Herzog Albert in Preußen wurde einstens von den Bauern ein Gefangener gebracht und beschuldigt, derselbe sei ein Werwolf; da befahl der Herzog, ihn genau zu beobachten, ob und wie er sich in einen Wolf verwandle. Und der Gefangene gestand ohne Zwang, er werde alljährlich um das Johannisfest und um Weihnachten ganz wild, es wüchsen ihm unter großen Schmerzen Wolfshaare, und er bekomme einen heftigen und unbändigen Trieb, Menschen und Tiere zu zerfleischen, daher mochte er wohl den Bauern einige Enten und Gänse, vielleicht auch Schafe zerrissen haben. Eine Verwandlung des Gefangenen aber in eine Wolfsgestalt erfolgte nicht.

In Livland wissen die Leute zu erzählen, daß, wenn die Christnacht vorüber ist, ein hinkender Junge durch die Orte gehe und die Bösen zusammenrufe wie der Hirte seine Herde, und ein anderer langer Mann haue die Säumigen, die nicht folgen wollen, grausam mit einer Draht- und Stachelgeißel und treibe sie mit Zwang von hinnen. Dann, indem sie diesem Hirten folgen, nehmen sie Wolfsgestalt an und fallen in die Herden, wo sie deren finden, aber Menschen dürfen sie nicht verletzen. Fließende Wasser teilt der Führer des Werwolfheeres mit seiner Rute oder Geißel, daß sie trocknen Fußes hindurchgehn. Solcher Spuk dauert nur, solange die zwölf Nächte währen, vom ersten Christtag bis zum heiligen Dreikönigstage oder großen Neujahr, dann legen jene schrecklichen Ungetüme ihre Werwolfsgestalt ab und werden wieder in Menschen verwandelt.

Der Blutspur nach gehen auch gern nach dem Volksglauben in der Gegend um Danzig die Unnereerdschkens (Unterirdische) und weilen am liebsten da, wo Menschenblut vergossen wurde. Auf einem Dorfe bei Danzig hatte sich ein Knecht im Stalle erschossen, und alsbald schlugen in diesem Stalle die Unterirdischen ihre Wohnung auf, quälten und vertrieben das Gesinde und wichen nicht eher, bis der Stall abbrannte. Die Natur dieser Erdgeister wird von den Bewohnern nicht wie anderwärts als aus Güte und Tücke gemischt geschildert, sondern durchweg boshaft, schadenfroh und menschenfeindlich, ganz der Nachtseite der slawischen Dämonenwelt angehörend. Auch sie bringen Wechselbälge in die Wochenstuben und legen diese an die Stelle schöner Kinder.

Einst ging ein Schäfer, der ein geübter Geigenspieler war, zur Nacht nach Hause, da begegnete ihm ein kleines, ganz gelb gekleidetes Männchen und fragte ihn, ob er mitkommen, aufspielen und Geld verdienen wolle. Dem Schäfer war nichts lieber, und ließ sich willig leiten. In einem hellen Saal traf er Hunderte von Zwergenmännlein und Fräulein an, alle waren gelb gekleidet; sie reihten sich zum Ball, und der Schäfer spielte trotz dem Musikanten auf dem Pervisch zu Aachen, bis er fast nicht mehr konnte. Hierauf wurden ihm die Taschen mit Geld gefüllt und ihm gesagt, er möge nichts davon anrühren, bis er zu Hause sei. Dann ward er hinweggeführt, und es war ihm, als lege er sich daheim nieder, sehr ermüdet. Als er erwachte, lag er auf seinem Kartoffelacker unter einem Baume und die Geige neben ihm, die Sonne aber stand schon hoch am Himmel. Wie ein Traum dünkte alles dem Geiger, doch gedachte er des empfangenen reichen Lohnes und griff in seine Tasche. Die waren voll Schuppen der Tannenzapfen. Verruchter Dreck! murmelte der Schäfer und leerte ärgerlich seine Taschen aus. Als er heimkam und die Jacke auszog, klingelte etwas in der einen Tasche, und wie er hineinfühlte, zog er einige uralte Mariengroschen heraus. Die waren noch hängengeblieben am Futter. Als ob der Kopf ihm brenne, eilte der Mann wieder hinaus zu seiner luftigen Schlafstelle – er fand nichts mehr, wohl aber war ihm, als höre er hoch auf des Baumes Zweigen und unter dem dichten Kartoffelkraut ein schadenfrohes Gekicher.

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