272. Ein Dieb rettet Thorn

272. Ein Dieb rettet Thorn

Im Dreißigjährigen Kriege, der seine verderblichen Heereswogen auch über das alte Preußenland wälzte, rückte der schwedische Obrist Helmold Wrangel, insgemein der tolle Helm genannt, in Eile vor Thorn und wollte nach seiner tollen Art die Stadt überrumpeln und einnehmen. Solches wäre ihm auch fast geglückt, aber er hatte keinen guten Tag und keine günstige Stunde gewählt, denn zufällig traf es sich, daß die Thorner einen Dieb hängen wollten, und wie der Dieb auf der Leiter stand und ihm schon die Schlinge um den Hals gelegt werden sollte, schaute er in das weite Feld hinaus und sahe die feindlichen Heerhaufen daherziehen, schrie deshalb überlaut: Der Feind, der Feind! Da liefen die Leute nach der Stadt, und das Amt lief, und die Schergen liefen, und der Henker ließ den Dieb von der Leiter fallen und lief, und der Dieb lief auch, und drinnen in Thorn stürmten sie mit den Glocken und griffen zu den Waffen, den Feind abzuwehren, und wie der tolle Helm ans Tor kam, da war es zu, und von der Mauer herab knallte böser Gruß entgegen, da mußte der Obrist Helmold von Wrangel wieder umkehren und der Stadt Thorn den Rücken zeigen. Dem armen Dieb, der seines Leibes vor dem Tore keinen Rat gewußt und auch wieder mit in die Stadt hineingelaufen war, wurde gern das Leben geschenkt.

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264. Die heilige Dorothea

264. Die heilige Dorothea

Es war im Preußenlande eine fromme Wundertäterin Dorothea; die Gabe der Weissagung war ihr verliehen, und sie hat auch den Fall des Deutschen Ordens vorausgesagt. Als sie unzählige Wunder getan und viele Wallfahrten verrichtet hatte, verschloß sie sich in eine Bußzelle am Dom zu Marienwerder, und als sie ihr Ende herannahen fühlte, ließ sie den Domherrn Johannes von Marienwerder rufen, daß er ihre letzte Beichte höre. Als die Mitternachtstunde kam, umwogte eine himmlische Helle das enge Gemach der frommen Büßerin, und Engelstimmen erklangen in harmonischen Chören zwei Stunden lang um ihre Zelle. Währenddessen ward Dorotheas Seele zu Gott enttragen, und es fingen des Domes Glocken von selbst zu läuten an, und das dauerte so lange, bis jener himmlische Gesang zu Ende ging. Im kleinen Chor der Domkirche zu Marienwerder wurde Dorothea beigesetzt, und noch an ihrem Grabe geschahen große Wunder, und Scharen frommer Pilger wallten zu demselben. Das Volk sprach sie heilig, wenn auch nicht der Papst zu Rom. Denn die römische Kirche hatte schon eine Heilige dieses Namens, die unter Diokletian ihr Martyrium empfing.

Eine zweite Heilige des gleichen Namens wurde unter Kaiser Nero enthauptet samt ihrer Schwester Euphemia, und eine dritte litt dieselbe Strafe ihrer Glaubenstreue zu Cäsarea in Kappadozien.

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265. Die Geister auf der Christburg

265. Die Geister auf der Christburg

Da, wo heute die Stadt Christburg liegt, war eine Heidenfeste, welche der Marienorden lange belagert hielt. Endlich in einer heiligen Christnacht ward die Feste von dem Orden erobert und von da an besessen und empfing von dem Tage an den Namen Christburg. Das Schloß wurde neu erbaut und mehr und mehr befestigt und war lange Jahre ein starkes und unüberwindliches Bollwerk gegen das Heidentum. Da kam die Zeit, daß sich der Orden beriet, Krieg zu führen gegen den tapferen Polenkönig Jagiello, da war ein Komtur auf Christburg, der hieß Otto von Sangerwitz, der sah dieses Krieges unglückseliges Ende voraus und widerriet ihn. Allein er wurde überstimmt und mußte mit ausziehen. Da nun der Auszug begann, so fragte ein Chorherr den Komtur: Wem willst du nun dieses Schloß anvertrauen? – und darauf antwortete Otto von Sangerwitz ganz heftig: Dir und allen bösen Geistern, die zu diesem Kriege geraten haben! – Über diese harte Antwort erschrak der Chorherr heftig, fiel in ein hitziges Fieber, und andern Tages war er tot. Von Stund an mußte sein Geist im Schlosse zu Christburg spuken. Als nun die unglückliche Schlacht am Tannenberge geschlagen war, in welcher unter so vielen anderen tapfern Streitern auch der Komtur von Christburg fiel, kehrten die Geister aller Kreuzherrn, die zu diesem verderblichen Kriege geraten hatten, der den Orden fast ganz aufrieb, auf das Schloß Christburg zurück und spukten dort greulich. Kein Mensch hatte Ruhe vor ihnen, es ging alles darunter und darüber. Die Pferde standen unversehens in der Küche, wenn der Koch an sein Geschäft gehen wollte, und wenn die Knechte auf den Boden gingen, Futter für die Pferde zu holen, lagen die Weinfässer droben; der Kellermeister, wenn er in den Keller kam, fand einen Brunnentrog und Wasserkübel. Ein neuer Komtur des Namens von Frauenburg konnte es nicht auf dem verwünschten Schlosse aushalten; die Geister hingen ihn im Brunnen auf, setzten ihn auf den First des höchsten Daches, zündeten ihm seinen Bart an, daß er brannte wie ein Strohwisch – bis er von dannen zog, und blieb kein Ritter mehr dort, ward also das Schloß verlassen und verfiel. Da kam einstmals nach ein paar Jahren ein Schmied aus Christburg von einer Wallfahrt heim und hörte von dem Spuk, wie es zugehe da droben auf dem Schlosse, daß die Ordensritter, wenn sie essen wollten, die Schüsseln voll Blut gefunden hätten, und wenn sie hätten beten wollen, hätten sie Kartenspiele in den Händen gehabt statt der Breviere, und da dachte der Schmied, er wolle doch auch einmal sich hinaufmachen auf das wüste Schloß, ging aber weislich nicht abends, sondern am hellen Mittag hinauf. Und wie er auf die Brücke kam, da traf er gleich einen Bekannten, der sein Gevatter war, und hatte ihm ein Kind aus der Taufe gehoben, und war der Bruder des Komturs Otto von Sangerwitz. Den schrie der Schmied fröhlich an und freute sich, ihn wiederzusehen – sei ihm doch, als habe er gehört, der Herr Gevatter sei auch in der Tannenberger Schlacht geblieben. Und wie es komme, daß die Leute drunten in der Stadt sich so wunderliche Dinge von dem Schloß erzählten? Der Ritter sprach: Folge mir, ich will dir zeigen, wie das alles kommt. Und führte ihn über Wendelstiegen und durch Säle und Hallen und zeigte ihm des Unfuges und des Greuels so viel, daß dem Schmied die Haare sich zu Berge hoben. Dann gingen sie wieder aus dem Schlosse, und hinter ihnen schallte ein Heulen und Wehklagen wie das Heulen der Verdammten, und konnte nicht entsetzlicher und schrecklicher sein in der untersten Hölle. Und da sprach der Ritter zu dem Schmied: Gehe hin und sage dem neuen Hochmeister an, was du hier gehört und gesehen, denn so war unser Leben, und so ist nun unser ewiger Jammer; und sage ihm, er solle den Orden bessern. Und als diese Worte gesprochen waren, verschwand die Gestalt des Komturs vor des Schmiedes sichtlichen Augen, und es grauste ihn, denn nun erst nahm er wahr, daß er mit einem Geiste es zu tun gehabt, und allerdings war auch dieser Bruder in der Tannenberger Schlacht geblieben.

Seinen Auftrag zu vollziehen, ging der Schmied zum neuen Hochmeister und sagte ihm treulich alles an, dieser aber ergrimmte über solchen Bericht, als wolle der Schmied seinen hochwürdigen Orden schänden, ließ ihn greifen und verurteilte ihn zum Tode des Ersäufens.

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266. Der Irrgarten

266. Der Irrgarten

Als die Lust und Neigung, gen Jerusalem zu ziehen und die Heilige Stadt gegen den Feind zu schirmen und zu verteidigen oder wieder einzunehmen, wenn sie in Feindes Händen sei, was des Deutschen Ordens erster Zweck und erste Aufgabe war, bei dem Orden in Abnahme kamen, ward ein Ausweg ersonnen, das Gelübde scheinbar zu erfüllen. Es wurden in der Nähe der befestigten Schlösser Irrgänge mit Gräben und Verschanzungen angelegt, diese stellten die Heilige Stadt vor und wurden Jerusalem genannt, dann wurden Kriegsübungen vorgenommen mit Angriff und Verteidigung. Eine Zeitlang mochte es damit den Rittern ernst sein, bald aber wurde ein Schimpfspiel daraus, eine Kurzweil, die den schwelgerischen Gelagen folgte. Auch bei Riesenburg war ein solcher Irrgarten und in ihm ein großes Kreuz gegraben, da ist es nun geschehen, daß die Ritter, welche den Ernst der Eroberung Jerusalems zum Schimpfspiel verdreht hatten, durch die Irrgänge spuken mußten zu ihrer großen Qual, aber in das Kreuz kamen und durften die Geister nicht hinein. Hatten sie früher ihre Knechte durch den Irrgang gejagt und getrieben, so trieben nun die Knechte die Ritter und wurden hinwiederum von Teufeln getrieben, ein toller Spuk, der durch die Nächte bis zum ersten Hahnschrei währte.

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267. Die umreitenden Feldmesser

267. Die umreitenden Feldmesser

Es ist eine allgemeine Sage, daß ungetreue Feldmesser nach ihrem Tode auf den Feldern, die sie falsch und treulos vermessen haben, rast- und ruhelos umgehen müssen, bis irgendein Zufall sie erlöst, manche aber haben auch keine Erlösung zu hoffen bis zum Jüngsten Tage. Nahe bei Graudenz am Weichselufer aber werden Feldmesser, welche parteiisch die Ländereien einer Gemeindefeldflur vermessen, allnächtlich als spukhafte Reiter erblickt, welche auf schwarzen, feuerschnaubenden Rossen mit glühenden Mähnen über das Gefilde jagen, glühende Meßketten und Stäbe in den Händen. Viele der Umwohner dieser Gegend wollen sie also erblickt haben.

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268. Kulmer Pfarrkirche

268. Kulmer Pfarrkirche

Als die schöne und ehrwürdige Pfarrkirche zu Kulm erbaut wurde, gedachte der Baumeister sie nach dem Stil seiner Zeit mit zwei hohen Türmen nebeneinander von gleicher Höhe zu versehen, war aber verpflichtet worden und hatte das versichern müssen, zu einer bestimmten Zeit den Bau ganz vollendet zu haben. Allein beim Bauen geht es, wie jedermänniglich weiß, nie so geschwind, als die Leute meinen, die nichts davon verstehen, und kann niemals alles pünktlich an einem bestimmten Tage fertig sein. Also erging es auch beim Kirchenbau zu Kulm, und als der Endtermin herannahte, war wohl die Kirche und der eine Turm fertig, der zweite aber kaum bis zur Hälfte. Der Meister wollte sein Wort halten und es zwingen, nahm der Arbeiter mehr und ließ arbeiten Werktag und Sonntag und Feiertag ohne Aufhören. Und wirklich wurde noch zu rechter Zeit der Turm fertig, und das Weihefest sollte begangen werden. Aber da umdüsterte sich der Himmel, ein Wetter zog heran mit grauenvollem Gewölk, und aus dem Gewölk heraus zuckte der Engel des Herrn mit flammendem Schwert und traf des letzten Turmes Krone, und der Turm brannte aus und nieder bis auf den Grund. Das übrige Gebäu blieb aber alles unversehrt. Hernach ist abermals der Turm wieder erbaut worden, allein kaum war er vollendet, so traf ihn der Feuerstrahl des Himmels aufs neue, und so blieb der Turm hierauf für alle folgenden Zeiten unvollendet.

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26. Die Basler Uhrglocke

26. Die Basler Uhrglocke

Vorzeiten haben die Basler in ihrer Stadt eine sondre Zeitrechnung gehabt, daß allemal die Uhrglocke eine Stunde früher schlug als anderswo, darüber gehen noch verschiedene Sagen. Es habe ein Konzilium zu Basel noch etwas länger gedauert als der Unterflachsenfinger Landtag, nämlich dreizehn volle Jahre, das sei geschehen 1431 bis 1444, und da habe man die Zeit beschleunigen wollen und die Uhr um eine Stunde vorgerückt, sei aber mit diesem Fortschritt kein Haar breit weitergelangt. Andere sagen, daß einstmals eine Verschwörung zu Basel angezettelt gewesen sei, und hätten die Verschwörer zur zwölften Stunde den Rat überfallen und meuchlings ermorden wollen. Aber der allsehende Gott habe das durch ein Wunder verhindert, indem alle Glocken der Stadt mit einem Male statt zwölf Uhr ein Uhr geschlagen. Dadurch sei über die Aufwiegler ein sonderbarer Schreck gekommen, ihr Anschlag sei vernichtet, sie selbst verraten und insgesamt erschlagen worden. Darauf habe der Rat verordnet, stets die Uhrglocke eine Stunde vor der gewöhnlichen Zeit vorausschlagen zu lassen.

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255. Die Allensteiner Zwergmännlein

255. Die Allensteiner Zwergmännlein

Höher hinauf an der Alle liegt das Städtchen Allenstein, dem sie ebenso den Namen verlieh wie dem tiefer abwärtsliegenden Allenburg. In Allenstein hausen Zwergmännlein in großer Zahl. Eines reichen Ratsmannes Frau namens Schellendorf saß eines Abends allein in ihrer Stube; die Mägde waren im Hause beschäftigt, die Frau feierte und hatte kein Licht. Sie hing ihren Gedanken nach. Da öffnete sich die Stubentüre ganz weit, und in die Stube wimmelten die kleinen Männlein, jedes trug einen spitzen Hut und ein Laternchen mit blau brennendem Licht, auch führte jedes ein Zwergenfrauchen oder Jungfräulein im besten Putz. Die Frau Schellendorf erschrak und schlug die Hände vor die Augen, blinzelte aber durch die Finger und sah, daß sich die Pärlein zum Reigen stellten und solchen auch alsbald gar zierlich begannen. Da trat plötzlich ein Männlein aus dem Kreis vor die Frau und rief mit grölzender Stimme: Was blinzelst du? Du sollst nicht blinzeln! Mache deine Augen ganz zu! – Die Frau tat es nicht, sie äugelte ferner durch die Finger. Da sprach das Männlein wieder: Laß dir raten, Frau, und mache deine Augen zu! Sie aber tat es dennoch nicht. Darauf sprach das Zwergmännlein zu einem andern: Verschließe die Fenster! Und gleich trat dieses andere Männlein vor die Frau und blies ihr in die Augen. Vom Augenblicke sah sie keinen Stich mehr und ist blind geblieben all ihre Lebetage.

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256. Die weißen Tauben

256. Die weißen Tauben

Als der Deutsche Ritterorden im Jahre 1325 nötig fand, die von ihm bis jetzt behaupteten Landstrecken zu schützen und feste Punkte zu haben, wurden im Lande Galindien das Schloß Wartenburg (auch an der Alle) und im Bartenlande das Schloß Gerdauen gegründet und erbaut, um welche Schlösser sich hernachmals Städtlein anbauten. Da nun der priesterliche Ritterorden diese beiden neuen Schlösser mit feierlichem Hochamt und Messe einweihete, da flog über dem Schlosse Wartenberg eine ganz weiße Haustaube, über Gerdauen aber flogen zwei, und das war das erstemal, daß in dieser Gegend Haustauben erblickt wurden, denn damals war das meiste Land umher nur noch eine öde weite Wildnis, von düstern Föhrenwaldungen unterbrochen, in denen nur die wilde Taube heimisch war.

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257. Die Barstukken

257. Die Barstukken

In der Stadt Rastenburg und bei derselben gibt es auch Zwergmännlein, die führen dort den seltsamen Namen Barstukken, auch Fingerlinge, und die sind nicht so böse als die andern, die weiter nordwärts hausen. Sie wohnen vornehmlich in einem Hügel bei dem Dorfe Heiligelinde, wo in den Heidenzeiten eine übergroße Linde gestanden haben soll, unter welcher nach dem Volksbrauch die Götter verehrt wurden.

Die Barstukken erscheinen als gute und hülfreiche Hausgeister, welche bei Kranken wachen, wenn die Wächter schlummern, besonders bei Mondschein. Denen sie gütig gesinnt sind, denen schleppen sie zu, was sie von denen nehmen, die sich nicht hold gegen sie beweisen. Man mußte ihnen ein sauberes Tischchen decken und darauf einfache Kost stellen, Brot, Butter, Käse, Bier, Milch, damit waren sie zufrieden und verzehrten es. Blieb alles unberührt, so war das kein gutes Zeichen, dann wollten die Barstukken nichts mehr von dem Hausbesitzer wissen und taten für das Gesinde keine Arbeit mehr. Die Barstukken, auch Berstuken genannt, hatten einen Gott über sich, der hieß Puschkait. Seine und ihre Wohnung war unter Holunderbüschen.

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