23. Der Besserstein

23. Der Besserstein

Im Aargau, da, wo Reuß und Limmat in die Aar und die Aar in den Rhein fließen, liegt der Geißberg, der trägt auf seinem Gipfel die Trümmer einer Ritterburg. Ein Herr von Villigen baute die Burg auf das schönste und festeste, hatte seine Herzensfreude daran, gedachte in ihr glücklichen Alters froh zu werden und in Leutseligkeit und Güte seinen Untersassen ein treuer Vater zu sein. Fertig stand der Bau, und festlich sollte er eingeweiht werden. Des Bauherrn Söhne und alle Gefreundete rings im Gau waren versammelt, und die Humpen kreisten. Der Ritter von Villigen sprach zu den Söhnen: Da schaut nun, wie gut sich’s hier wohnen wird in der Pracht der Gegend, rund um uns her unsre fleißigen Leute und Mannen, mitten im Kreis der Dörfer unser stattliches Burghaus, fest gegen den Feind, offen dem Freund, den Bedrängten ein Schutz, den Dürftigen ein Hospitium! So wollt ich’s haben.

Ja, Vater, sprachen die Söhne, das ist traun eine wackre Trutzburg worden; da mag sich das nichtsnutzige Volk auflehnen oder nicht, wir zwingen es von hier aus, wir werden ihm den Fuß auf den Nacken setzen. Von hier aus können wir Zölle legen auf die Flüsse und den Rheinstrom, auf Wege und Stege. Der ganze Gau muß uns tributpflichtig werden, damit unser Gut sich mehre und unser Name ein gefürchteter sei im Rhein- und Schweizerlande. – Als der Herr von Villigen diese Rede seiner Söhne vernahm, war es ihm, als wolle sein Blut stocken und sein Herz brechen, und zürnend brach er aus: Entartete Söhne! So ist euer Sinn? Wartet, den will ich euch bessern! – Und warf seinen vollen Humpen zur Erde, daß er in tausend Scherben zerklirrte. Wie dieser Humpen zertrümmert liegt, so soll dieser stolze Bau, meine Lust und meine Freude, zertrümmert liegen! – Und berief seine Mannen, seine Untersassen, sein ganzes Volk, und hieß sie den neuen Bau abbrechen und verfluchte die Hand, die ihn wiederum zu bauen beginnen werde. Besser Stein, ein wüster Stein, als eine Zwingburg des Volkes und des Gaues, die Schimpf auf den edeln Namen derer von Villigen häuft! rief er – und seitdem liegt auf dem Geißenberge der öde Mauerrest und heißt allwege im Volke der Besserstein.

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239. Der König im Berge

239. Der König im Berge

Auf einer Höhe bei Lauenburg in Kassuben hatte sich im Jahre 1596 eine ungeheure Kluft aufgetan. Deren Tiefe, und wie sie innen beschaffen sei, hätte der Rat gern erfahren; nun waren allda zu Lauenburg zwei Gefangene, das waren zum Tode verurteilte Missetäter, denen bot der Rat Leben und Freiheit, wenn sie es wagen wollten, hinab in die Tiefe zu steigen und Kunde heraufzubringen von dem, was sie drunten gesehen. Diese Missetäter fuhren hinab, tief, unendlich tief, und als sie endlich drunten im Berge ankamen, da erblickten sie einen großen und schönen Garten, und in dem Garten stand ein Baum mit lieblicher weißer Blüte. Und unter dem Baume stand ein Kind, das winkte den Männern und führte sie über einen weiten Plan zu einem Schloß. Daraus klang vernehmlich mancherlei Saitenspiel und liebliches Getöne, und wie das Kind den Männern die Pforte öffnete, sahen sie drinnen im Saal einen König auf silbernem Stuhle sitzen, der hielt in der einen Hand einen goldenen Szepter und in der andern Hand einen Brief. Diesen Brief gab der König in des Kindes Hand, und das Kind gab ihn den Missetätern. Die brachten ihn herauf, und dann ward ihnen ewiges Schweigen auferlegt, und sie wurden freigelassen, und niemals hat jemand erfahren, was in dem Briefe gestanden hat.

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240. Danzig

240. Danzig

Vom Ursprünge des Namens der Stadt Danzig gehen vielerlei Sagen, von denen manche sehr haltlos und offenbar später erst gemacht sind. Vom Tanz, den man früher Danz schrieb, kommt vielleicht der Name, vielleicht auch nicht. Ein Dorf des Namens Hochzeit liegt nahe bei Danzig, warum sollte der Tanz von Hochzeit fern sein? Es wird aber erzählt, daß im Dorfe Wiek am Ostseestrande ein vornehmer Däne hauste, der war ein großer Seeräuber, machte seinen Namen furchtbar und barg in Wiek seine Raubschätze; da gaben die Umwohner dem Orte den Namen Danske-Wiek, des Dänen Wiek, und daraus wurde durch der Zeiten und der Sprache Wandlung Danswieg, Danzig. Ob nun dieser Däne des umliegenden Landes Herr geworden oder ein von der Sage genannter Hagel, der auf dem nahen Hagelsberge saß und tyrannisch herrschte, bleibt ungewiß. Zu dem Gebietiger des Landes aber kamen die Einwohner des Ortes Wiek und trugen ihm das Anliegen vor, eine Stadt zu erbauen, er sollte ihnen nur so viel Raum und Boden vergönnen, als sie mit ihren Armen umfangen könnten. Andere nennen als solchen Grundherrn den ersten Herzog von Pommerellen, Sobislaus, der habe, da er vom König Woldemar von Dänemark mit Krieg überzogen worden, noch keinen festen Platz im Lande und daher selbst den Wunsch gehabt, einen solchen zu gründen. Daher habe er sich gegen die Wieker erboten, ihnen den Grund und das Holz zu solchem Aufbau zu schenken, und die Bewohner haben nun gebeten, ihnen so viel Boden einzuräumen, als sie mit ihren Armen umspannen würden. Und als dieses bewilligt war, da kamen auf den bestimmten Tag alle Bewohner des Ortes zusammen, jedes Geschlechtes und Alters, was nur gehen konnte, und faßten sich an den Händen und umschritten einen mächtigen Platz und kreisten so viel Raum ein, als hernach die Altstadt Danzig bedeckt hat. Das war die erste und auch die größte große Runde, die jemals getanzt worden ist, und von da an mag wohl der Rundtanz aufgekommen sein.

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241. Marienkirche zu Danzig

241. Marienkirche zu Danzig

Die Danziger Marienkirche (Ober-Pfarrkirche) enthält viel Wunderbarliches, davon weit und breit erzählt wird. Über St. Hedwigs Kapelle, andere sagen vor der Kapelle der elftausend Jungfrauen, ist ein Schnitzbild des gekreuzigten Heilandes von unübertrefflicher Schönheit und grausenhafter Wahrheit. Der Künstler, der dieses Bild fertigte, hatte, wie die Sage geht, sich einen schönen Jüngling gewonnen und ihn an sich gelockt mit mancherlei Verheißung, darunter auch die, ihm seine Tochter, die der Jüngling liebte, zur Frau zu geben, habe ihn aber, um ein wahrheit- und lebendigtreues Vorbild für sein Kunstwerk zu haben, erst betäubt und dann an ein Kreuz geschlagen, sein Sterben beobachtet und dann sein Gebilde vollendet. Da nun aber über den Tod des Geliebten auch der Tochter Herz brach, erfaßte die Reue den Künstler, und er endete sein Leben durch Selbstmord.

Ein Tabernakelschrein umschließt in derselben Kirche ein wundersam liebliches Tonbild der heiligen Jungfrau. Der Künstler, der dasselbe fertigte, tat dies im Gefängnis, wo er auf den Tod saß. Als er sein Bild vollendet hatte, sandte er es dem Rate der Stadt als ein Andenken für die Marienkirche. Wer das Bild sahe, wurde von seiner Schönheit und dem jungfräulichen Liebreiz ergriffen, den es zeigte. Da meinten die Väter der Stadt, und alles Volk meinte das gleiche, dieser Künstler sei ein Mann, den ein frommer und hoher Geist beseele, und dem sein Vergehen müsse verziehen werden. Solches ist denn auch geschehen, und der Künstler hat nachher noch lange in Ehren gelebt.

Wie im Münster zu Straßburg, so auch in der Pfarrkirche zu Danzig war ein treffliches Uhrwerk, das hatte ein Meister aus Nürnberg gefertigt, der hieß Hans Düringer. Zwei große Scheiben zeigten Sonnen-, Planeten- und Mondeslauf, des Tierkreises Bilder und die heiligen Feste und Zeiten. Wandelnd traten, in sinnreichen Bildnissen ausgedrückt, die Evangelien von Sonntag zu Sonntag vor die Augen der Frommen. Die zwölf Apostel schritten im Kreise hervor, die Tagesstunden bezeichnend; über ihnen schlugen Adam und Eva auf Glocken, die Stunden und Viertelstunden anzuzeigen, und auch die Jahreszeiten waren künstlich vorgestellt. Herrlich war das Werk im Gange und die Bewunderung aller Welt. Da geschah, was auch in Straßburg sich begab. Der Neid erwachte, der Künstler sollte kein zweites Werk solcher Art vollbringen – er ward geblendet – gab vor, im Uhrwerk noch etwas nachsehen zu müssen, ward hineingeführt, hemmte durch einen einzigen Griff für immer des Werkes Gang und stürzte sich vom Turme herunter.

Der Marienkirche höchster Stolz und höchster Schmuck ist ein Gemälde des Jüngsten Gerichts, vollendet von den Künstlerhänden der berühmten Maler Johann van Eyck und seines Bruders Georg. Dieses herrliche Bild hatte der Papst für Rom bestellt, aber der Himmel bestellte es für Danzig. Ein Seeräuber erbeutete das Schiff, auf dem es nach der Heiligen Stadt befördert werden sollte, aber ein Danziger Schifffahrer, der mit dem Seeräuberschiff in Kampf kam und es eroberte, gewann es für sich und schenkte es seiner Vaterstadt. Andere sagen, jenes holländische Schiff sei gescheitert und das Bild samt seiner Kiste fern im Meere schwimmend von einem Danziger Schiffer aufgefunden worden. Der König von Frankreich habe vergebens eine Tonne Goldes für das Bild geboten.

Auch versteinertes Brot wird in der Marienkirche zu Danzig gezeigt, und geht davon mehr als eine Sage. Einmal habe zur Zeit großer Hungersnot ein Mönch ein Brot in der Kutte getragen, und ein hungernd Weib habe ihn für ihr verschmachtendes Kind um ein Brosamlein angefleht, er aber habe gesagt, er trage kein Brot, er trage nur einen Stein, und da sei über den Notschrei der Frau das Brot alsbald zu Stein geworden.

Aber es wird auch gesprochen, daß eine reiche Danziger Frau in der Zeit derselben Hungersnot ihr schönes und sehr geliebtes kleines Kind, da es sich verunreinigt hatte, weil Tuch und Schwamm ihr nicht sanft und weich genug für des Kindes zarte Haut gewesen, mit Semmelkrumen abgeputzt habe, da wäre ihr unter der Hand die Krume zu einem rauhen Steine geworden, der des Kindes Haut blutrünstig gerissen, daß es an der nimmer heilenden Wunde gestorben, worüber die Mutter in Wahnsinn verfallen.

Ganz ähnlich wie die von dem Brotstein des Danziger Mönchs lautet auch eine Sage vom Brotstein im Kloster Oliva (berühmt durch den Friedensschluß 1660) nahe bei Danzig, allwo der Brotstein noch hängt und außer der einen noch manche andere Sagen von ihm erzählt werden. Er soll sogar noch wie Brot riechen.

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242. Der Spring in Heiligenbrunn

242. Der Spring in Heiligenbrunn

Ein reicher Kaufmann zu Danzig hatte eine schöne Tochter, und diese traf das Unglück, daß sie nach einer schweren Krankheit erblindete, und keine Kunst der Ärzte vermochte ihr das verlorene Augenlicht wiederzugeben. Das hatte schon ein Jahr gedauert, als die Jungfrau mit ihren Eltern sich auf dem Johannesberg erging, und da sie bekümmert und erschöpft war und über ihr Unglück weinte, so wurde ihr aus einer nahen Quelle Wasser gereicht, die schmerzenden Augen zu netzen und die Glut zu kühlen. Aber siehe, wie sie sich mit dem Wasser benetzt hatte, wurden unversehens ihre Augen aufgetan, und sie ward wieder sehend. Da dankten Vater, Mutter und Tochter dem himmlischen Helfer im heißen Gebet und rühmten allüberall der Quelle Wunderheilkraft, und das Land ward ihres Rufes voll; viele Blinde wurden sehend, und die Quelle wurde heilig gehalten und der Ort, der sich um sie her anbaute, Heiligenbrunn genannt. Da kam ein Spötter und Wunderleugner nach Heiligenbrunn, der ritt auf einem alten blinden Gaul und rief: Ist euer Wasser so wunderwirkend, so muß es auch dem Vieh gedeihen. Wenn es meine Mähre sehend macht, will ich’s glauben. – Und ritt das blinde Pferd nach der Heilquelle und ließ es aus ihr trinken. Und senkte das Tier seinen ganzen Kopf in den Born, und da es diesen aus dem Wasser zog, sahe der Ritter, daß es sehend geworden, weiter aber sahe er hernach nichts mehr, denn über seine Augen lagerte sich die Nacht der Blindheit. Aber von derselben Stunde an verlor das Wasser seine Heilkraft, wie an andern wunderwirkenden Quellen bei deren frevler Entheiligung auch geschehen.

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243. Hela

243. Hela

Von Danzig und der Weichselmündung gerade nordwärts liegt auf der äußersten Spitze der Landzunge, die das Putziger Wiek von der Ostsee scheidet, ein kleines Städtchen, das führt den Namen Hela. Selbiges ist ein trauriger und düsterer Name, denn Hela hieß die Todesgöttin in dem skandinavischen Mythus, ein Begriff der Erstarrung, der Kälte und des Reiches unter der Erde, und es wollen manche, daß von diesem Namen sogar das deutsche Wort Hölle abstamme. Aber da, wo jetzt Hela liegt, und insonderheit einige tausend Schritte hin am äußersten Oststrande, war vorzeiten keine Hölle, sondern eitel irdischer Glanz und Helle, aber das ist freilich schon viele hundert Jahre her, da stand dort eine reiche, große und prächtige Stadt, belebt vom Handel und Wandel, besucht von allen Völkern des Morgen- und Abendlandes, gleich Stavoren und Vineta und Julin; aber wie es in diesen blühenden Städten ging, also ging es auch in Hela, der wachsende Reichtum machte die Menschen gottvergessen. Aber es steht geschrieben: Wer sich auf seinen Reichtum verlässet, der wird untergehen – und Hela ist untergegangen mitten in seinen Sünden. Es soll dieser Untergang durch die brausende Meeresflut in einer Nacht vom ersten zum zweiten Pfingsttage geschehen sein, weil es dahin gediehen war, daß der Handels- und Betriebsgeist keines Sonn- und Feiertags mehr achtete und Werkeltage aus ihnen machte, wohin auch die Neuzeit wieder steuert, die dem armen arbeitenden Volke seinen Sonntag nimmt – und nur an diesem hohen Festtage kann zuzeiten bei ruhiger See das meerverschlungene Hela erblickt werden. Und da sieht man in den reichen Straßen die Bewohner geschäftig wandeln in ihrer Prunktracht und Verkehr treiben und kann die Uhren schlagen hören und die Glocken läuten, aber in die Kirchen sieht man niemand gehen, weil das die Leute verlernt hatten über dem Jagen nach dem Mammon.

Wenn der erste Pfingsttag still war und den Hinabblick nach Hela vergönnte, erhebt mit Sonnenuntergang sich der Nordostwind und wühlt das Meer auf, als solle sich der alte Pfingststurm erneuen, und als wolle er gar die ganze Landzunge verschlingen. Da eilen Schiffer und Fischer, Fahrzeuge und Nachen zu bergen und den sichern Strand zu gewinnen, denn furchtbar toben an diesem nordöstlichen Strande der Ostsee empörte Wogen.

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244. Werwölfe, Vampire und Unterirdische

244. Werwölfe, Vampire und Unterirdische

Viel weiß des Volkes Glaube und Aberglaube an den Ostseeküsten und dann weit hinab und hinauf in West- und Ostpreußen, in Litauen und bis nach Polen hinein, ja bis Serbien, Bosnien und in die Türkei von dämonischen Wesen zu erzählen, und ließen sich davon allein Bücher füllen.

Der Werwolf oder Wärwolf ist gedacht als ein Mensch, der durch Zaubermittel sich zur Nachtzeit in ein reißendes Tier, insgemein in einen Wolf, verwandelt und Menschen und Vieh anfällt, um ihnen das Blut warm aus dem Herzen zu saugen. Was der Werwolf so im Freien und an Wachenden übt, das tut der Vampir in den Gemächern an den Schlafenden. Der Werwolf wandelt noch unter den Lebenden, der Vampir ist ein Abgeschiedener, der seinem Grabe entsteigt und die Menschen würgt. Das ist beider Gemeinsames und Besonderes, aber die Verwandtschaft ist noch enger begründet. Stirbt der Werwolf und wird begraben, dann wird auch er Vampir und kehrt mordend aus dem Grabe wieder mit nie gestilltem Durst nach dem Blute der Lebendigen. Vampire werden aber auch solche Tote, welche von ihrem Grabeskleid irgendeinen Zipfel oder das Endchen eines Schleiers oder Bandes mit dem Munde erlangen; daran schmatzen sie, und solange sie schmatzen, so lange haben und üben sie des Grabentsteigens und des Blutsaugens dämonische Gewalt. Dabei machen sie den Anfang mit den nächsten Verwandten, dadurch sind schon ganze Familien und Dörfer ausgestorben.

Ein Jäger aus Danzig beging abends sein Revier und sah sich plötzlich von einem ungewöhnlich großen Wolf angefallen, da er aber nicht unvorbereitet war, so schoß er, und seine Kugel zerschlug dem Wolf den rechten Vorderfuß.

Mit lautem Geheul ergriff der Wolf hinkend die Flucht. Der Jäger folgte der Spur des Blutes, nachdem er von neuem seine Büchse geladen, denn er wollte sich in Besitz des schönen Wolfspelzes setzen. Die Spur leitete ihn zu einer Hütte im Walde und in diese hinein. Da fand er eine Frau und einen Mann, und die Frau verband des Mannes rechte Hand, die von einer Kugel zerschmettert war. Der Jäger zeigte die Sache an, der Mann ward eingezogen, bekannte, daß er ein Werwolf sei, und wurde lebendig verbrannt.

Im Dorfe Grabau (manche schreiben Crakau) nahe bei Danzig, nach der Küste zu, begann einmal vor noch nicht allzu langer Zeit ein allgemeines Sterben, und besonders wurden Jungfrauen in der Blüte ihres Lebens hingerafft, und jede so schnell Gestorbene hatte am Herzen ein kleines Wundenmal. Da fielen endlich die Dorfältesten auf den Gedanken, es möge wohl ein Vampir auf ihrem Kirchhof liegen, und ließen viele Gräber und Särge öffnen, und da fand sich auch ein Leichnam, der war nicht verweset gleich den andern, sondern Nägel und Barthaar waren ihm gewachsen, und an seinen Lippen zeigte sich die Spur frischen Blutes. Alsbald wurde das bekannte, bis nach Serbien hinein und dort sehr häufig angewandte Mittel ebenfalls angewandt. Das Haupt des Toten wurde mittelst eines Grabscheites vom Körper abgestoßen und durch das Herz ein Pfahl von Dornholz geschlagen und alles zu Asche verbrannt. Da hörte das Sterben auf.

Vor Herzog Albert in Preußen wurde einstens von den Bauern ein Gefangener gebracht und beschuldigt, derselbe sei ein Werwolf; da befahl der Herzog, ihn genau zu beobachten, ob und wie er sich in einen Wolf verwandle. Und der Gefangene gestand ohne Zwang, er werde alljährlich um das Johannisfest und um Weihnachten ganz wild, es wüchsen ihm unter großen Schmerzen Wolfshaare, und er bekomme einen heftigen und unbändigen Trieb, Menschen und Tiere zu zerfleischen, daher mochte er wohl den Bauern einige Enten und Gänse, vielleicht auch Schafe zerrissen haben. Eine Verwandlung des Gefangenen aber in eine Wolfsgestalt erfolgte nicht.

In Livland wissen die Leute zu erzählen, daß, wenn die Christnacht vorüber ist, ein hinkender Junge durch die Orte gehe und die Bösen zusammenrufe wie der Hirte seine Herde, und ein anderer langer Mann haue die Säumigen, die nicht folgen wollen, grausam mit einer Draht- und Stachelgeißel und treibe sie mit Zwang von hinnen. Dann, indem sie diesem Hirten folgen, nehmen sie Wolfsgestalt an und fallen in die Herden, wo sie deren finden, aber Menschen dürfen sie nicht verletzen. Fließende Wasser teilt der Führer des Werwolfheeres mit seiner Rute oder Geißel, daß sie trocknen Fußes hindurchgehn. Solcher Spuk dauert nur, solange die zwölf Nächte währen, vom ersten Christtag bis zum heiligen Dreikönigstage oder großen Neujahr, dann legen jene schrecklichen Ungetüme ihre Werwolfsgestalt ab und werden wieder in Menschen verwandelt.

Der Blutspur nach gehen auch gern nach dem Volksglauben in der Gegend um Danzig die Unnereerdschkens (Unterirdische) und weilen am liebsten da, wo Menschenblut vergossen wurde. Auf einem Dorfe bei Danzig hatte sich ein Knecht im Stalle erschossen, und alsbald schlugen in diesem Stalle die Unterirdischen ihre Wohnung auf, quälten und vertrieben das Gesinde und wichen nicht eher, bis der Stall abbrannte. Die Natur dieser Erdgeister wird von den Bewohnern nicht wie anderwärts als aus Güte und Tücke gemischt geschildert, sondern durchweg boshaft, schadenfroh und menschenfeindlich, ganz der Nachtseite der slawischen Dämonenwelt angehörend. Auch sie bringen Wechselbälge in die Wochenstuben und legen diese an die Stelle schöner Kinder.

Einst ging ein Schäfer, der ein geübter Geigenspieler war, zur Nacht nach Hause, da begegnete ihm ein kleines, ganz gelb gekleidetes Männchen und fragte ihn, ob er mitkommen, aufspielen und Geld verdienen wolle. Dem Schäfer war nichts lieber, und ließ sich willig leiten. In einem hellen Saal traf er Hunderte von Zwergenmännlein und Fräulein an, alle waren gelb gekleidet; sie reihten sich zum Ball, und der Schäfer spielte trotz dem Musikanten auf dem Pervisch zu Aachen, bis er fast nicht mehr konnte. Hierauf wurden ihm die Taschen mit Geld gefüllt und ihm gesagt, er möge nichts davon anrühren, bis er zu Hause sei. Dann ward er hinweggeführt, und es war ihm, als lege er sich daheim nieder, sehr ermüdet. Als er erwachte, lag er auf seinem Kartoffelacker unter einem Baume und die Geige neben ihm, die Sonne aber stand schon hoch am Himmel. Wie ein Traum dünkte alles dem Geiger, doch gedachte er des empfangenen reichen Lohnes und griff in seine Tasche. Die waren voll Schuppen der Tannenzapfen. Verruchter Dreck! murmelte der Schäfer und leerte ärgerlich seine Taschen aus. Als er heimkam und die Jacke auszog, klingelte etwas in der einen Tasche, und wie er hineinfühlte, zog er einige uralte Mariengroschen heraus. Die waren noch hängengeblieben am Futter. Als ob der Kopf ihm brenne, eilte der Mann wieder hinaus zu seiner luftigen Schlafstelle – er fand nichts mehr, wohl aber war ihm, als höre er hoch auf des Baumes Zweigen und unter dem dichten Kartoffelkraut ein schadenfrohes Gekicher.

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236. Die fliegenden Toten

236. Die fliegenden Toten

In der Stadt Ragnit sind zwei Kirchhöfe, einer für die deutsche, einer für die litauische Gemeinde, einer östlich, der andere südwestlich von der Stadt, doch liegen sie so, daß zwischen ihnen weder Haus noch Hecke, weder Baum noch Zaun noch Mauer steht. Und da begibt es sich besonders in Sturmnächten, daß die Toten beider Gemeinden, die einander im Leben gut kannten, sich gegenseitig besuchen und durch die Nacht zu Hunderten, ja zu Tausenden von einem Kirchhofe zum andern fliegen, gar nicht hoch über der Erde und in gerader Linie. Nicht jeder ist imstande, sie zu sehen, aber die in der Mitternachtstunde eines Sonntags Geborenen, die sehen den grauenhaften Totenflug. Und dem kann nichts widerstehen. Ein Fremder zog nach Ragnit, baute sich dort an mit einem hübschen und festen Haus am südlichen Stadtende, aber die erste Sturmnacht warf es über den Haufen, während einige alte, schon halb verfallene Häuser, die aber seitwärts standen, unversehrt blieben. Der Fremde ließ das Haus wieder aufrichten, und es ereignete sich ganz das nämliche. Da sagte ihm ein Mann, der in der Mitternachtstunde vom Sonnabend auf den Sonntag geboren war, daß sein Haus in der Linie des Weges der fliegenden Toten stehe, und zeigte ihm eine Scheuer in der gleichen Richtung, von der nur eine Dachspitze in diese Linie hineinragte, die stets und stets, sooft sie erneut worden, wieder abgerissen worden sei. Darauf rückte der Fremde sein Haus zur Seite und den fliegenden Toten aus dem Wege, und da steht es heute noch, ohne jemals wieder Schaden genommen zu haben.

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226. Die Könige Widewuto und Bruteno

226. Die Könige Widewuto und Bruteno

Es waren in alten Heidenzeiten zwei Brüder im Lande Preußen, bevor es noch diesen Namen führte, die herrschten über den kimbrischen Volksstamm und waren auf Flößen an das Ostseegestade gefahren gekommen, hatten das Land eingenommen und sich mit ihrem Volke Wohnsitze gebaut. König Widewuto erfand den berauschenden Trank des Met zu bereiten, und Bruteno diente den Göttern als oberster Priester, und beide wurden hochbetaget. Da Bruteno einhundertundzweiunddreißig Jahre alt geworden, Widewuto aber einhundertundsechzehn Jahre, so versammelten sie all ihr Volk zu einem großen Opferfesttag und verteilten das Land. Widewutos ältester Sohn hieß Lithuo, der empfing, indem er den Göttern Gehorsam gelobte und Andacht, und indem er mit der einen Hand seines Vaters Haupt berührte und mit der andern die heilige Eiche, das Land vom Briko und Nyemo (Bug und Niemen), den beiden Flüssen, bis an den Wald Thamsoan, und dieses Land wurde dann nach ihm Litauen geheißen. Hierauf gelobte Widewutos zweiter Sohn, des Namens Samo, und empfing auf gleiche Weise das Land von Krono und Hailibo bis an das Wasser Skara, und das wurde hernachmals Samland genannt. Samo hatte ein Weib, die hieß Pregolla, die ist später in dem Flusse Skara ertrunken, und darauf hat dieser Fluß den Namen Pregel empfangen. Widewutos übrige Söhne, deren noch zehne waren, empfingen allzumal auch weites Land, darinnen ein jeder Raum hatte zu herrschen. Bruteno, der den Göttern als erster Priester diente, hatte keine Söhne, aber nach seinem Namen wurde Land und Volk genannt, Brutenien und Brutenen, aber die Massovier, der Brutenen Feinde, nannten sie Bruti – darüber entspann sich ein Krieg, und die Brutenen wollten sich nicht Bruti, das ist wilde Bestien, schimpfen lassen; darauf nahmen die Massovier Vernunft an und nannten die Brutener auch prudentes und praescii, das ist die Gescheiten, daraus ist der Name Pruski und Preußen geworden, und diesen Namen haben sie sich eher und besser gefallen lassen und ihn vor andern liebgewonnen und beibehalten.

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227. Romove

227. Romove

Wo die heilige Eiche der alten Preußen stand, war eine große Stadt, und die hatte von ihren Erbauern, welche einen Heereszug gen Rom gemacht hatten, den Namen Roma nova erhalten, daraus ward in der Folge Romove. Die Eiche war sechs Ellen im Durchmesser, Sommer und Winter blieb sie grün, und durch ihr dichtes Gezweig und Laub fiel nicht Regen noch Schnee. Ringsum war durch acht Ellen hohe seidene Vorhänge ihres Stammes Anblick den Uneingeweihten entzogen. Drei Götter wurden unter dieser heiligen Eiche verehrt, das waren Perkunos, der Donnergott, Pikollos, der Todesgott, und Potrimpos, der Kriegsgott und der Ernten. Geopfert wurden diesen Göttern alle Christen, welche die heidnischen Preußen in ihre Gewalt bekamen.

Außer dieser heiligen Eiche standen deren noch mehr im alten Preußenlande, alle vom Volke hochverehrt und beschirmt, so eine nahe bei Wehlau an der Straße von Königsberg nach Ragnit; eine andere stand am Flüßchen Bachnau, ohnweit dem Frischen Haff, eine dritte eine Stunde davon, wo die Stadt Thoren liegt, nach dem Meeresstrande zu. Die heiligen Eichen und selbst die Plätze, darauf sie gestanden, blieben noch lange lange Zeit beim Volke in hohen Ehren, als längst schon das Christentum ihm mit Feuer und Schwert gepredigt worden war.

Als dies geschehen, wurde zu Romove eine Kirche und ein Kloster erbaut, es ist aber damit, wie mit der ganzen Stadt, zum Ende gediehen, und es ist kaum noch eine Spur mehr von Stadt, Kirche und Kloster vorhanden.

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