12. Die Herdmanndli ziehen weg

12. Die Herdmanndli ziehen weg

Es ist schon viel gesagt, wie gut gegen die guten Menschen die Berglütlenen des Pilatus waren; kleine, zwei Fuß hohe Männlein mit grünen oder grauen Röckchen, mit Füßen, die man nicht sah, langem Silberbart bis zur Erde herunter, die hüteten das edle Gestein im Berge, waren den Menschen hülfreich, kamen wohl auch und begehrten Speise, liebten insonderheit das Schweinefleisch, und wer ihnen gab, hatte es gut und erfreute sich ihrer Gunst. Wenn ihnen die Sennerinnen etwas Milch beiseite stellten, so molken und fütterten sie, und waren ganz heimisch bei den Mägden; sie konnten auch wahrsagen aus Karten und Händen und waren geschickt zu allen Dingen, aber erzürnen durfte man sie nicht. Wem sie im Sommer beim Heuen halfen, der konnte zufrieden sein, sie mehreten das Heu wunderbar. Manchmal sahen sie auch dem Heuen zu und halfen nicht. Einstmals verdroß das einen Heuer, der machte mit noch einem Kameraden, bevor die Arbeit anging, ein Feuer auf den Felsstein, darauf die Herdmanndli zu sitzen und zuzusehn pflegten, und kehrten dann geschwind Asche und Kohlen vom heißen Steine weg. Als die Manndli kamen und den Stein betraten, verbrannten sie sich ihre Füße. Da schrien sie überlaut: O böse Welt! O böse Welt! – und kamen nimmermehr wieder.

So auch kamen Bergmanndli vom Pilatus ins Haslital von der Flüh herunter, den Heuern zuzuschauen; die waren gewohnt, sich auf die Äste und Zweige eines schattigen Ahornbaumes zu setzen. Das merkten Schälke und sägten die Äste knapp durch, daß die armen Manndli herunterfielen. Da erhuben sie ein jämmerlich Geschrei und riefen:

O wie ist der Himmel so hoch!
O wie ist die Untreu so groß!
Heute hier und nimmermehr!

Und nachher hat sich im Haslital niemals wieder eins sehen lassen.

*

 

129. Die buckligen Musikanten auf dem Pervisch

129. Die buckligen Musikanten auf dem Pervisch

Zu Aachen, in der alten Reichsstadt, haben einmal zwei Musikanten gelebt, von denen hatte jeder einen nicht kleinen Buckel; das war aber auch alles, was sie miteinander gemein hatten, denn der eine war gut und wohlgesinnt, der andere war neidisch und tückisch, scheelsüchtig und habsüchtig. Nun trug sich’s einstmals zu, daß der erstere auf ein Dorf erfordert war, dort zu einer Hochzeit mit aufzuspielen, und erst am späten Abend heimwanderte. Er mochte dort manch gutes Trünklein getan haben, denn er war ganz fröhlich, und als er auf seinem Wege am hohen Dome vorbeikam, pfiff er wohlgemut ein lustiges Schelmenstücklein. Indem schlug die Glocke Mitternacht, und alsbald war um ihn her ein Schwirren und Schweben, geisterhaft und grauenhaft, und die Gespensterfurcht ergriff den Spielmann und trieb ihn eilend vorwärts durch die Schmiedegasse vor auf den Pervisch, das ist der Fischmarkt. Siehe, da traf es der Spielmann ganz hell an, alle Fischbänke waren illuminiert, Wein und Speisen die Hülle und Fülle standen auf reich gedeckten Tafeln in köstlichen Gefäßen, und vornehme Frauen saßen da und schmausten und zechten. Da trat eine solche Dame auf den Spielmann zu und sprach: Holla, Fiedler! Du kommst gerade recht, jetzt geig uns eins auf, wir wollen tanzen! Doch zuvor trink erst einmal! – Und reichte ihm würzigen Wein in einem Goldpokal, und er trank und erglühte vor Lust, nahm sein Saitenspiel und geigte fröhlich darauf los. Und die Frauen begannen miteinander zu tanzen im wilden Reigen, und des Geigers Tanzweisen gellten wie toll durch die Nacht. Da schlug es drei Viertel auf Eins, und jetzt ließen allgemach die wirbelnden Paare vom Tanzen ab, wie ermüdet – und die Frau, die den Geiger angesprochen, trat jetzt wieder zu diesem und sprach: Habe Dank und auch Lohn – und dabei strich sie ihn mit ihrer Hand sanft über den Rücken, daß er vermeinte, sie wolle ihn an sich ziehen – aber indem war sie verschwunden, und alle andern Frauen desgleichen, und die Lichter, die Speisen, die Geräte – alles – und die Münsteruhr schlug eins. Der Spielmann ging nach Hause, so leicht, so wohlig – er wußte gar nicht, wie ihm geschehen. Und siehe, als er sich auskleidete, weg war sein Buckel, den hatte zum Lohn die nächtliche Tanzfrau ihm abgestreift. Bald lief durch ganz Aachen die Wundermär, die hörte nicht sobald der andere Buckelmusikant, als der Neid über ihn kam, und dachte, mir soll das doch wohl auch gelingen, was jenem Lump gelang. Konnte kaum die Nacht erharren, stand lange vor Mitternacht schon auf dem Pervisch, seine Geige mit dem Fiedelbogen in der Hand. Endlich schlug’s, und da glänzten auch die Fischbänke voll Lichter, da standen die kostbaren Geräte, da reichte ihm eine Dame würzigen Wein, alles wie vor geschehen, und forderte auch ihn auf, seine Tanzweisen aufzuspielen. Solches tat er, aber seine Tänze wurden, ohne daß er wollte, Grabmelodien, der Tanz wurde ein Totentanz, die holden Frauenbilder wurden zu Gerippen, und als es drei Viertel schlug, huschte ein molkiges Schattengebild an den Spielmann heran, das hatte zuvor aus einem Silbergefäß etwa ein Kleinod gehoben, und sprach: Habe Dank und auch Lohn – und hing ihm und drückte ihm das Kleinod an die Brust, schier wie einen Orden. Dann schwand alles hinweg, und der Spielmann wankte und schwankte nach Hause, und war ihm weh auf der Brust, und hatte kurzen Odem. Und als er sich auszog, da hatte er den Buckel seines Spielgesellen vorn auf der Brust, und seinen eigenen dahinten, den hatte er auch noch, und mußte beide Buckel tragen bis an sein Ende. –

*

 

116. Herr Gryn und der Löwe

116. Herr Gryn und der Löwe

Zu Köln saß auf dem geistlichen Herrscherstuhle Erzbischof Engelbert, der hatte viel Streitens mit der Bürgerschaft, das bis zum blutigen Kampf gedieh. Dieser Bischof hatte einen Löwen, den hatten ihm zwei Domherren aufgezogen. Gegen den Bischof stand im steten Streite der Bürgermeister der Stadt, Herr Hermann Gryn, und hielt zur Gemeinde und verteidigte deren Rechte, doch war er mit den Domherren gleichwohl persönlich nicht verfeindet. So luden die zwei, welche des Erzbischofs enge Freunde waren, eines Tages – es soll im Jahre 1266 sich zugetragen haben – den Bürgermeister zu sich ein zu einem Gastmahl und brachten das Gespräch auf den Löwen, den sie heimlich hatten fasten und sehr hungrig werden lassen, und erboten sich, vor dem Essen ihm den Löwen sehen zu lassen. Sie führten Hermann Gryn an die Pforte des Löwenzwingers, öffneten diese und stießen ihn unversehens hinein, worauf sie die Türe zuschlugen und vermeinten, der Löwe werde ihn alsobald zerreißen. Der Löwe, als er den Mann sah, riß den Rachen mit den scharfen Zähnen weit auf, schlug einen Schweifring und legte sich nach Katzenart zum Sprunge; Herr Hermann Gryn aber, wie er sah, was ihm drohte, schlang rasch seinen Mantel um den linken Arm und faßte seine Gugel, die er in der Hand hielt, fest und zog sein Schwert und wartete nicht, bis der Löwe sprang, sondern stürzte sich auf ihn mit gezücktem Schwerte, fuhr ihm mit dem linken Arm in den Rachen hinein und durchstieß ihn mit dem Schwerte. Dann gewann er einen Ausgang und ging, ohne gegessen zu haben, seinem Hause zu. Dieses Mittagessen bekam aber den beiden Domherren gar übel, denn der Bürgermeister sandte seine Häscher unversehens und ließ sie greifen und aufhenken an einen Balken gleich am Tore des Chorherrenhauses neben dem Dom, das nannte man seitdem das Pfaffentor. Darauf wurde zum Andenken solchen Mutes das Bild Gryns mit noch dreien andern Löwenbändigern in Gesellschaft in Stein ausgeführt und zur Zier über dem Pfeilerbogengang am Rathaus angebracht, da sieht man die Mär von Herzog Heinrich dem Löwen, Simsons Löwenkampf und Daniel in der Löwengrube dem Kölner Löwensieger beigesellt. –

*

 

117. Die Pferde aus dem Bodenloch

117. Die Pferde aus dem Bodenloch

Zu Köln nahe dem Eingange der Kirche zu den heiligen zwölf Aposteln war ein Gemälde zu schauen, das stellte eine gar absonderliche Geschichte dar. Es war ein Bürgermeister daselbst, hieß Richmuth von Andocht, dem starb sein Eheweib und ward begraben, und da man am Grabe den Sarg nochmals öffnete, wie es sonst üblich war, und über der Leiche betete, so sähe der Totengräber, daß die Frau einen großen goldnen Ring am Finger hatte, mit Edelsteinen wohl geziert. Da wurde in dem Totengräber die Gier lebendig, zur Nacht das Grab wieder zu öffnen und der Leiche den Ring zu stehlen. Aber wie er das tat, drückte die Leiche ihm die Hand zusammen, denn sie war nicht tot, sondern lebend begraben, und wollte sich aus dem Sarge helfen. Eilend entfloh voller Schreck der Totengräber, die Begrabene aber wickelte sich aus den Grabtüchern los, trat aus dem Grabe und ging auf ihr Haus zu, klopfte und befahl dem Diener, zu öffnen, sie sei es. Der Diener vermeinte ein Gespenst zu sehen und zuhören und lief eilend zu seinem Herrn, ihm die Begebenheit zu melden, und stammelte: Ach Herr! Unsere Frau – drunten vorm Hause steht sie leibhaftig und will, daß ich ihr auftue. – Du bist ein Narr, antwortete der Bürgermeister, Herr Richmuth von Andocht. Ebenso wahr könntest du sagen, meine Schimmel stünden droben auf dem Heuboden. – Kaum hatte er das Wort ausgeredet, so erhob sich von unten nach oben ein grausamer Tumult, und als der Diener nachsah, so standen schon die sechs Kutschenpferde oben, ohne die andern, die noch nachkamen. Der Bürgermeister war ganz starr vor Schreck und glaubte nun, und die Frau ward eingelassen und ihrer mit warmen Tüchern und Arzeneien wohl gepflegt, daß sie sich wieder erholte. Am andern Tage schauten zu jedermanns Verwunderung die Pferde aus den Bodenlöchern heraus, und man mußte große Gerüste und Maschinen anwenden, um sie nur wieder herunter in den Stall zu bringen. Darauf wurden einige Pferde ausgestopft, die mußten zum Andenken auch fürder oben herausschauen. Und die Frau lebte noch sieben Jahre lang und spann und webte einen schönen großen Vorhang von weißem Linnen, den sie in die Apostelkirche verehrte.

Solche Sage ist an mehr als einem Orte gangbar, unter andern auch in der vormaligen alten Reichsstadt Schweinfurt, wo die Frau des Syndikus Albert Angetraute war, die als Wöchnerin beerdigt worden, und die der Totengräber durch seine Raubsucht erweckte, doch lebte sie samt ihrem Kindlein nicht lange, und ihr Grabmal wird noch auf dem Schweinfurter Gottesacker gezeigt.

*

 

118. Umrittener Wald

118. Umrittener Wald

Nicht gar weit von Dören, zwischen Köln und Aachen, liegt ein Dorf, das führt den Namen Arnoldsweiler, und denselben Namen führt es von einem frommen Sänger, der am Hofe Kaiser Karl des Großen lebte und sein Liebling war. Da forderte einst der große Kaiser von Arnold, seinem Sänger, derselbe möge sich einen Lohn erbitten für seine vielen und schönen Lieder, und der Sänger bat, Karl wolle ihn mit einem Stück Wald begaben, so viel, als Arnold werde umreiten können in der Zeit, wo Karl sein Mahl halte. Das ward ihm gewähret; Arnold hatte aber schon von Strecke zu Strecke, so weit ein Roß im gestreckten Lauf aushalten konnte, ausgeruhte Rosse, die seiner harrten, aufgestellt und damit eine Waldstrecke vom Bürgelwald umstellt, die ein Mann kaum in eines Tages Länge umschritten hätte. Darauf begann er, als der Kaiser sein Mittagmahl begann, sein Jagen, bezeichnete und bestreute allenden, wo er vorbeisauste, durch Schwerthiebe in die Äste seinen Weg mit grünen Brüchen von Eichen- und Buchenlaub und kam schon wieder und trat vor den Kaiser, bevor dieser noch sein Mahl beendet, dieweil er noch beim Apfelessen verweilte. Da sprach Karl: Du hast dir gewißlich ein zu kleines Stück erritten, da du so bald wiederkehrest. – Arnold aber antwortete: Mitnichten, ich umritt ein großes Stück, das ein Mann wohl kaum in Tageslänge umwandeln kann. – Da fiel auf den Sänger ein ernster Blick seines Herrn, welcher bei sich dachte, daß im Bürgelwald für Arnold die Blume der Bescheidenheit wohl nicht gewachsen sei, und der Kaiser schwieg. Da nahm aber Arnold das Wort und sprach: Du zürnest mir, mein hoher kaiserlicher Herr! Zürne nicht! Nicht für mich umritt ich deinen Bürgelwald. Sieh, alle den Dörfern von Dören bis Bredburg und von Jülich bis Bergheim gebricht es an Holz. Für sie habe ich den Wald, den du mir zu schenken angeboten, umritten. – Da freute sich Kaiser Karl über seines Sängers Biederherzigkeit und sagte ihm gern die ganze Waldstrecke zu.

*

 

11. Die Bergmanndli schützen Herden und Fische

11. Die Bergmanndli schützen Herden und Fische

Die Bergzwerge schätzen und lieben die Gemsen, sie wollen nicht, daß die Jäger sie töten, und manchem Alpenjäger ist es deshalb schon gar schlecht ergangen. Guten Jägern, denen sie wohlwollten, haben sie wohl auch das eine und das andre Stück z’weg gestellt, der dürft‘ aber denn bei Leib und Leben nit mehr schießen, als mit den Bergmanndli verakkordiert war, sonst schmissen sie ihn die Felsen hinunter und bliesen ihm das Lebenslicht aus elendiglich. Da war einmal ein Gemsjäger, der verstieg sich hoch in die Felsen, auf einmal stand ein eisgraues Bergmanndli vor ihm da und sprach ihn zornig an: Was verfolgst du meine Herde? – Der Jäger war ganz erschrocken und sprach: Hab‘ ich doch nit gewußt, daß die Gemsen dein sind. – Sprach der Berggeist: Du sollst jede Woche vor deiner Hütte ein Grattier finden, aber du hütest dich und schießest mir kein andres. – So geschah’s, der Jäger fand alle Wochen den frischen Braten, der macht‘ ihm aber gar keine Freud, er konnte die Jagdlust nicht bezwingen, stieg wieder hinauf zu Berg und Holz, ward auch bald eines Gemsenleitbocks ansichtig, auf den legte er rasch an, zielte und schoß – aber wie er losdrückte, hob sich hinter ihm der Berggeist aus dem Boden und zog ihm die Haxen unterm Leib weg, daß er niederstürzte und in den Abgrund hinunterschmetterte.

In Malters saß ein Untervogt, der hieß Hans Bucher, der wollt‘ auch gern einmal ein Herdmanndli sehen; war gar ein eifriger Fischer und Jäger, aber sonst ein frommer Mann, stieg eines Tages hinauf am Pilatus, folgte dem Rümligbach und wollte gern Forellen fangen, da sprang ihm jählings ein Herdmanndli hinterwärts auf den Rücken und drückte ihn mit solcher Gewalt mit dem Gesicht in den Bach nieder, daß er schier vermeinte, er müsse versaufen. Dabei sagte das Herdmanndli zürnend: Ich will dir wohl lehren meine Tierlein fangen und jagen. – Als der Untervogt nach Hause kam, war er halbtot und sah im Gesicht aus wie der Tod von Ypern; war auch auf der einen Seite erlahmt und kam nimmermehr auf den Berg, zu jagen oder zu fischen.

In Obwalden war ein alter Landammann, der hieß Heinrich Immlin, der hat selbst erzählt, wie er einmal zum Pilatus hinangestiegen auf die Gemsjagd, da begegnete ihm ein Zwergmanndli und heischte, er solle flugs umkehren. Nun ist der Landammann ein starker stattlicher Mann gewesen, der spottete des Zwergs und sagte: He, du wirst wohl große Macht haben, mir was zu wehren! – Kaum gesagt, so sprang ihn der Zwerg an, drückt‘ ihn an einen Felsen, schwer wie ein Pferd, daß ihm schier die Seele ausfuhr und die Sinne ihm vergingen. Lag da eine halbe Stunde für tot, bis die Seinen ihn fanden, erquickten und heimführten.

*

 

119. Kaiser Karls Apfelschnitze

119. Kaiser Karls Apfelschnitze

Der große Kaiser und König Karl hatte eine Gewohnheit an sich, daß er allewege nach dem Essen am Tische sitzenblieb und einen Apfel aß, den er selber schälte. Einmal standen seine drei Söhne neben seinem Stuhl, da wollte er sie bewähren, wie gehorsam sie seien, und rief dem Ältesten, der hieß Karl, wie er selber, und sprach: Komm zu mir und tue deinen Mund auf und empfahe einen Apfelschnitz von mir. Karl aber sprach: Herr Vater, es wäre eine Schande, sollt‘ ich von Euch einen Apfelschnitz empfahen; ich kann wohl selbst einen Apfel schälen und auch essen. Da rief der Vater den andern Sohn, der hieß Pipin, und sprach: Komm, empfahe du den Apfelschnitz von mir in deinen Mund. Pipin sprach: Vater, was Ihr befehlt, dem bin ich gehorsam, und ging hin und kniete nieder und empfing den Apfelschnitz in seinen Mund, und der Vater sprach dazu: Ich mache dich zum König über Gallia und Italien. Und rief darauf den dritten Sohn, der hieß Ludwig, und sprach: Komm und empfahe den Apfelschnitz. Und Ludwig gehorchte gleichermaßen, da sprach der Vater: Dir gebe ich Lothringen und Burgund, und das ganze Deutsche Reich soll dein sein, wenn ich sterbe. Da kam Karl nun auch und sprach: Sieh, Vater, ich tue meinen Mund auch auf, gebt mir auch einen Apfelschnitz. Aber der König antwortete ihm: Mein Sohn, du bist zu spät gekommen. Ich gebe dir weder Apfelschnitz, noch Land, noch Leute. Darnach ist in diesen Landen ein Sprüchwort aufgekommen: Karle, du hast zu spät aufgeginnet.

*

 

120. Dom zu Aachen

120. Dom zu Aachen

Da der Dom zu Aachen erbauet ward, hehr und prächtig, drohte es zu gehen wie beim Dombau zu Köln; es gebrach an Geld, der Bau konnte nicht fortgeführt werden, und unvollendet stand das herrliche Münster. Da erschien vor dem hohen Rat ein reicher Fremder, der sagte, er habe wohl Geldes die Fülle, wolle das auch geben zu dem Dombau, damit er vollendet werde, aber ein hoher Rat müsse ihm auch etwas versprechen. Als nun der Rat den Fremden fragte, was es denn sei, das er begehre, da antwortete jener: Nicht viel, nur die Seele des Ersten, der nach der Vollendung den Dom betreten wird, verlange ich zu eigen. Muß damals eine fromme Menschheit gelebt haben, daß sich’s einer so viel kosten ließ, um einer Seele habhaft zu werden, hat sie später schockweise billiger haben können – der Rat aber merkte, nun, daß der Fremde der Teufel sei – schauderte, zauderte, bedachte sich lange, sagte aber doch zu, unter dem Beding, daß der Pakt geheimgehalten werde. Und ward nun mit besonderer Kunst und Hülfe das Münster schnell und herrlich ausgebaut, ward aber auch das Geheimnis ruchtbar unter den Leuten, und wollte niemand in den Dom gehen, weder Pfaffen noch Laien. Der Teufel lauerte Tag auf Tag auf die erste arme Seele, und ward ihm schier Zeit und Weile lang, es kam niemand, und da bedräute er den hohen Rat, daß er bald genug einen aus seiner Mitte holen werde, wenn er nicht bald einen ersten Kirchengänger schaffe. Da ward dem Rat bange, sann auf eine List, ließ im Gebirg einen Wolf fangen, diesen an das Haupttor des Domes bringen, ließ die Glocken lauten, wie zum hohen Feste, und stieß, nachdem das Portal geöffnet war, den Wolf ins Gotteshaus, wo der Teufel schon so lange lauerte, da es noch nicht geweiht war. Alsbald fuhr der Teufel zu und packte mit einem Griff den armen Wolf, daß ihm alsbald die Seele aus dem Halse fuhr. Wie aber der Teufel sah, daß er nur eine schlechte Wolfsseele erlangt hatte, fuhr er mit Gebrüll aus dem Tempel und schlug die eherne Türpforte so heftiglich zu, daß sie borst und sich spaltete, und ist der Spalt noch heute zu sehen. Der Rat aber war froh, daß er des Teufels ledig war, und ließ den Wolf und dessen arme Seele in Erz gießen und im Dome befestigen. Die Seele hält das Mittel zwischen einer Artischocke und einem Tannenzapfen.

Andere erzählen diese Sage anders, und zwar also. Der Rat zu Aachen hatte just, als der Teufel seine Bedingung machte, eine arme Sünderin in seinem Gewahrsam, die schon zum Tode verurteilt war, und deren Seele verloren gegeben wurde. Diese Verurteilte nun ward in die Kirche hineingestoßen und ihre Seele vom Teufel in Empfang genommen, der aber deshalb aus Ärger die Tür zuwarf, daß sie borst, weil des Weibes Seele ohnehin schon sein gewesen wäre. Hernachmals goß man das eherne Bild und stellte den Teufel selbst in Gestalt eines unreinen Tieres, des Wolfes, dar, welcher bemüht ist, die Seele in Form eines Tannenzapfens in seinen Rachen hinabzuschlingen.

*

 

121. Der Teufel im Ponellenturm

121. Der Teufel im Ponellenturm

Zu Aachen in der Stadtmauer steht ein starker Turm, heißt der Ponellenturm, dahinein haben sie einen Teufel gebannt, daß er nimmermehr wieder heraus kann, darin höret man ihn öfters wild rumoren, plärren, an die Glocke schlagen, auch äfft er sonderlich die Vorübergehenden, aber heraus kann er nicht, der gebannte Teufel, ehe denn der Jüngste Tag kommt. Daraus ist ein Sprüchwort im Volke von einem Ding der Unmöglichkeit, oder wenn einer eine Sache, die ein anderer als nahe in Aussicht stellt, bezweifeln will, so sagt er: Ja, das wird kommen, wenn der Teufel von Aachen kommt – das ist so viel als nimmermehr.

*

 

113. Der Bürger Marsilius

113. Der Bürger Marsilius

Zu den Heidenzeiten geschah es, daß ein römischer Kaiser Köln belagerte und es in große Not brachte. Es begann in der Stadt an allem zu mangeln, am meisten aber war Mangel am Holz. Da war ein edler Bürger und Hauptmann in der Stadt gesessen, der hieß Marsilius, der ersann einen listigen Anschlag und gab guten Rat. Eine Schar Frauen, als Männer verkleidet, mußte mit Karren und Holzwagen zu dem einen Tore aus und nach dem Walde ziehen, dort Holz zu fällen oder auch nur so zu tun, als sei das der Schar Geschäft und Wille, die Bürger aber unter ihrem Führer Marsilius zogen zu einem andern Tore hinaus, um den Feind, sobald er sich gegen die Schar der Frauen wenden würde, in den Rücken zu fallen. Und es geschah alles so, wie es vorgesehen war, und die Bürger drangen mit großer Macht auf den Feind, und auch die Frauen trugen ihre Wehren nicht zum Schein, und die Kölner gewannen einen vollständigen Sieg, erwarben viele Beute und gewannen eine große Schar von Gefangenen, darunter den Kaiser selbst, der ihre Stadt belagert. Der ward in einen tiefen Turm gelegt und sollte dann auf offenem Markte enthauptet werden. Schon war ein köstlicher Teppich bereitet, der des Römerkaisers Blut trinken sollte, und schon mußte der Kaiser auf ihn niederknien; da sprach er: Ließet ihr mich leben, ihr Bürger von Colonia, so sollte euch mein Leben viel nützer sein denn mein Tod. – Da wurde dem Henker geboten, noch zu harren, und wurde noch einmal Rat gehalten, und Marsilius riet, dem Kaiser das Leben zu schenken, aber von ihm stattliche Gerechtsame zu begehren. Der Rat war den Kölnern abermals genehm, und Marsilius und die Senatoren entwarfen die Gerechtsame, welche sie fordern wollten, und schrieben sie auf eine glatte Tierhaut, und der Kaiser mußte sie besiegeln und seinen großen Ring in ein dickes Stück Wachs auf dem pergamentnen Brief drücken und seinen Namenszug danebenschreiben nach alter Sitte. Solches geschah an einem Donnerstage im Monat Junius, und hernachmals haben die zu Köln fort und fort am Donnerstag nach dem heiligen Pfingstfest diesen Tag begangen und ihn Holzfahrttag geheißen und sind mit Gesang und Spiel und Festlust nach dem Walde gezogen. Marsilius aber ward ob seines guten Rates hoch geehrt und der Stadt vornehmster Bürger und Hauptmann, und als er gestorben war, wurde sein Sarg in die Stadtmauer beigesetzt, da, wo man es nachher zu St. Aposteln genannt hat, und ihm ein steinern Denkmal aufgerichtet. Auch ist seine Bildsäule noch am Gürzenich zu sehen, dem alten Kauf- und Ballhaus der Stadt Köln, neben ihrem Begründer Marcus Agrippa, zu ewigen Ehren und Gedächtnis.

*