140. Die Isabellenfarbe

140. Die Isabellenfarbe

Es geschahe, daß die Spanier die Stadt Ostende belagerten, welches aber die Holländer auf das allerhartnäckigste verteidigten. Wenn jene auch ein Außenwerk einnahmen, so warfen die Belagerten alsbald ein neues Bollwerk auf. Isabella, die Gemahlin des Erzherzogs Albert von Österreich, eine Infantin von Spanien, die bei ihrem Gemahl im Lager war und kriegslustigen Gemütes, tat einen Schwur und sagte: Ich will nicht eher mein Hemde wechseln, bis daß Ostende über und von uns genommen ist, und meinte, es würde eine längste Zeit sein, wenn sie das Hemde acht Tage ungewechselt auf dem Leibe trüge. Aber so schnell ging es nicht, die Belagerung dauerte etwas länger; siebenzigtausend Spanier ließen vor Ostende das Leben, funfzigtausend Leben kostete die Verteidigung den Staatengeneralen von Holland. Ostende wurde darüber fast ein Steinhaufen, und Isabella blieb ihrem Schwur getreu und trug das Hemde fort und fort. Als die Belagerung begann (22. Juni 1601), war die Jahreszahl in den Worten enthalten: OstenDe nobIs paCeM: zeige uns den Frieden – und als sie endlich endete, nachdem sie nicht weniger als drei Jahre, zwei Monate und siebenzehn Tage gewährt, da konnte man das Jahr in den Worten finden: OstenDaM paCIs InItIa: ich will euch zeigen des Friedens Anfang.

Und da nun endlich die Frau Erzherzogin Isabella ihr so lange getragenes Hemde auszog, so hatte das ohne die Löcher, die hineingefallen waren, eine sehr eigentümliche und unentschiedene Farbe, welche äußerst in Mode kam und nach der Infantin benamt wurde. Nie hat die Erfindung irgendeiner Farbe auf der Welt so viel gekostet als die Isabellenfarbe.

*

 

141. Doktor Faust und sein Teufel Jost

141. Doktor Faust und sein Teufel Jost

Auch das Niederland hat seine eigne Sage vom weitberufenen Doktor Faust. Selbiger war gar ein gelahrter Mann und hatte seinen Wohnsitz auf dem Schlosse Waerdenberg bei Bommel. Alldort laborierte und alchimisierte er, suchte den Stein der Weisen und konnte ihn nicht finden. Da dachte der Teufel, mit dem Doktor sei wohl ein Fang zu tun, trat daher zu ihm und sprach: Ohne mich wird dir nichts glücken, deine Köcheleien, und was du braust und destillierst, das alles taugt den Teufel nicht. Nimm mich zum Diener an, so sollst du haben, was dein Herz begehrt, sieben Jahre diene ich dir, und dann dienst du mir. Das war dem Doktor Faust recht, daß ihm der Teufel dienen wollte, denn er glaubte nicht an eine Ewigkeit und an eine Strafe drüben, und verschrieb sich dem Teufel mit seinem Blut. Und wie er das getan hatte, so war nichts so schön auf der Welt, was Doktor Faust nicht begehrt hätte; aus Paris mußten die besten Kleider kommen, aus Amsterdam die besten Leckereien, aus Harlem die schönsten und teuersten Tulpen, im Sommer aß Faust Eis und im Winter süße Trauben, das alles mußte der Teufel, sein Diener, der sich Jost nannte, herbeischaffen, denn Faust hatte seine größte Freude daran, den höllischen Knecht gehörig im Trabe zu erhalten. Wenn Faust von Waerdenberg nach Bommel fahren wollte, wozu er nicht länger Zeit brauchte als nach Konstantinopel, als wohin er auch zum öftern fuhr, so rief er seinen Teufel: Jost! Schlag eine Brücke über die Schelde, und brich sie hinter mir ab! Rasch! – Und in einem Augenblicke war die Brücke da und auch da gewesen. Die Bommeler Straßen hatten ein vorsündflutliches Pflaster, gerade wie manche gute Stadt im lieben Thüringer- und im übrigen Deutschland, da rief Faustus: Jost, pflastere rasch, pflastere vor den Pferden her, und hinter dem Wagen räume ab, ich kann die Bommeler nicht leiden – sie können auch fernerweit im Drecke baden. –

In einem Keller zu Bommel hatten sie prächtiges Bier aus Tiel, das schmeckte Faustum, und er bezechte sich, und danach setzte er sich auf das Faß, wie er dort zu Leipzig in Auerbachs Keller auch getan, und Jost mußte das Faß samt Faustum aus dem Keller schroten, während derselbe reitend daraufsaß, das haben viele Gäste mit angesehen.

Da Faustus wahrnahm, daß der Teufel ihm nichts zuliebe tat, sondern alles aus grimmem Haß, so ärgerte er ihn, ließ ihm keinen Augenblick Ruhe, und wenn der Teufel gedachte, es wäre genug getan, er wollte nun auch ruhen und ausschnaufen, da war es weit gefehlt, da säete sein schlimmer Herr einen Scheffel Korn unter die Dornhecken, dann mußte Jost alles zusammenlesen, da durfte kein Körnlein mangeln, oder der Doktor schüttete einen Sack Mehl aus dem Fenster, und Jost hatte es wieder aufzusammeln, daß ja kein Stäublein fehle. Darüber wurde der arme Teufel ganz mager, dünn und spinnebeinig, und er hatte es dicksatt und sprach endlich zu Faust: Höre, mein werter Doktor! Bei dir kann es kein Teufel aushalten, für solche Herrschaft dank‘ ich schön. Ich habe diese vier Jahre her mehr geschwitzt und gebraten als meine ganzen Lebetage in der Hölle. Du heizest einem ja ärger ein als Beelzebub und machst einem so warm, uff! Ich schenke dir die vier Jahre und deinen Kontrakt, gib mich frei, du sollst alles umsonst genossen haben! Aber Faust sagte: Quod non Diabole! Verträge muß man halten, bist du meiner müde, bin ich doch nicht deiner müde! Und so mußte der Teufel Jost dem Doktor Faust noch drei volle Jahre dienen. Als diese drei Jahre herum waren, wer war da froher als der Teufel? Er fuhr so recht wie der Teufel auf das Schloß Waerdenberg, packte Faustum und zerrte ihn an den Haaren durch ein engvergittertes Fenster des Schloßturmes, daß das helle Blut ringsherum spritzte. Das machte Flecken, die nicht wegzuwaschen sind und immer noch gezeigt werden.

Seltsam ist’s, daß die weitumgehende Sage vom Teufelsbündner Doktor Faust sich gern an Orte nahe verwandten Klanges heftet, die deutsche Sage läßt ihn im Lande Württemberg zu Knittlingen geboren werden, läßt ihn in Wittenberg lehren, in dessen Nähe enden, und die deutsch-niederländische Sage versetzt ihn nach Schloß Waerdenberg. Diesem Zusammenhang mögen die Forscher der Sage weiter nachsinnen, ob dies mehr als bloßer Zufall sei.

*

 

131. Sankt Remaclus Fuß zu Spa

131. Sankt Remaclus Fuß zu Spa

In dem quellenreichen Spa, darinnen mehr denn hundert Gesundbrunnen ihre Heilwasser ausströmen, ist eine Quelle, die heißt Groesbeeck, die ist ein Jungbrunnen und Frauenbad, absonderlich heilsam und kräftigend. Nahe dabei ist das Zeichen eines Fußes tief in den Boden eingetreten. Einstens kam der heilige Remaclus, welcher im Lütticher Lande wohnte, zu dieser Quelle und verrichtete allda seine Andacht. Der heilige Mann mochte aber ermüdet sein oder sich allzu tief in sein Gebet versenken, er schlief ein über dem Gebet. Solches hat den lieben Gott in etwas verdrossen, und er schuf, daß einer der Füße des heiligen Mannes tief in die Erde sank und das Wahrzeichen also blieb, daß es nimmermehr wieder ausgefüllt werden konnte. Der heilige Remaclus aber fühlte tiefe Reue über sein Vergehen und legte sich die strengste Buße auf, dies sahe Gott mit Wohlgefallen an und schuf der Fußtapfe eine wunderwirkende Kraft. Frauen, welche Nachkommenschaft entbehren und Nachkommenschaft wünschen, halten in der Kirche des heiligen Remaclus zu Spa eine neuntägige Andacht und trinken an jedem dieser Tage aus dem Brunnen Groesbeeck ein Glas Wasser, indem sie den einen Fuß in die Fußtapfe des heiligen Remaclus setzen. Vielen hat dort ihr Glaube geholfen.

*

 

132. Die schlafenden Kinder

132. Die schlafenden Kinder

Im Lütticher Lande, zu Stockum, lebte ein armes Weiblein, eine Wittib mit drei Kindern, kümmerlich, denn es war teure Zeit, und sie mußte betteln gehen und konnte doch nichts erbitten und erbeten. Da kam sie voll Jammer zu ihren drei Kindlein daheim und sagte: Weh uns Armen! Die Herzen der Menschen sind hart, und Gott hat ihr Ohr verschlossen. Lasset uns mitsammen sterben, das ist das Beste für uns viere, da hungern wir nicht mehr! – Da die Kinder diese Worte vernahmen, begannen sie zu weinen, und eines derselben sprach: Ach, liebe Mutter, du wirst doch dich und uns nicht schlachten wollen – denn die Alte hielt schon das scharfe Messer in der Hand – laß uns doch lieber schlafen bis zum Herbst, da gibt es wieder Korn und Obst, da lesen wir wieder Ähren mit dir und können leben. Da fiel der Mutter das Messer aus der Hand, und den Kindern allen dreien fielen die Augen zu, und entschliefen, und schliefen und schlummerten in einem fort, durch den Winter und Frühling und Sommer, und wachten nie nicht auf. Viele Menschen kamen herbei aus Lüttich und aus Brabant und sahen mit Verwunderung die immer schlafenden Kinder, und alle schenkten der armen Frau etwas, und davon wurde die arme Frau sehr reich. Und als der Monat August kam, da die Sicheln der Ährenschnitter im Felde klangen, da wachten die Kinder allzumal auf und hatten einmal recht ausgeschlafen, lobten Gott und den frommen Heiland mit ihrer Mutter und litten nie wieder Mangel.

*

 

133. Roß Bayard und Schloß Bayard

133. Roß Bayard und Schloß Bayard

Die vier Haimonskinder ritten zumal auf einem großen überstarken Rosse, des Name war Bayard. Viele Wahrzeichen gibt es noch von ihm im Lütticher Lande und der Gegend dort herum. Nahe bei Lüttich ist ein Felsen, der zeigt eine kahle glatte Stelle, darauf ist ein Rosseshuf eingetreten, der rührt vom Bayard her. Als das Roß auf Kaiser Karls Befehl von den vier Haimonskindern zur Sühne dargebracht wurde, ließ es der harte Kaiser von der Brücke zu Paris in die Seine werfen, nachdem es mit Stricken gebunden war, aber mit seiner Kraft zersprengte es die Stricke und kam wieder hervor aus dem Wasser und lief zu seinem Herrn und leckte ihm die Hand. Da ließ der Kaiser das Roß mit Steinen belasten und abermals in den Strom stürzen, und wiederum kam es hervor und hatte die Steine von sich geschüttelt und lief zu seinem Herrn und stand – und zitterte. Aber der Kaiser fand seines Zornes gegen das Roß kein Ende und gebot, es solle am Hals und an den Füßen mit Mühlsteinen belastet und zum dritten Male in die Flut geworfen werden. Als das kluge Roß Bayard dieses grausame Wort vernahm, erschrak es und entfloh ins Weite – aber der Kaiser gebot Reinhold von Dordone, dem jüngsten, aber stärksten Sohne Haimons, des Rosses Herrn, dem es willig wie ein Kind diente und gehorchte, daß er gehe und den Bayard fange. Da ging Reinhold – schwerer am Kummer auf seinem Herzen tragend, als das Roß an Steinen getragen hatte – und fing den Bayard und brachte ihn geführt, und so wurde das treue Roß zum dritten Male in die Flut gestoßen, so schwer belastet, daß es sich nicht wieder ihr entringen konnte. Es hob nur noch ein einziges Mal den Kopf in die Höhe und blickts auf Reinhold, seinen Herrn, hin, dann versank es. Da tat sich Reinhold aller ritterlichen Gewaffen ab, wanderte als Büßer von hinnen, kam nach Köln, der heiligen Stadt, und arbeitete allda unter den Maurern um kargen Lohn am Dombau, bis neidische Mitgesellen ihn durch einen Steinwurf töteten, den sie von einer Höhe niederwarfen.

Das Roß Bayard aber blieb unvergessen, vielfach blieb sein Name in Ehren, ja es geht auch die Sage, daß es sich an ferner Stelle dennoch wieder aus dem Strom gerettet und in den Ardennerwald sich geborgen habe, wo es noch immer bisweilen sich sichtbar zeige. Bei Dinant ist ein vielfach zerklüfteter Fels, der heißt der Bayardsfelsen, und ohnweit Charleroi, oberhalb dem Dorfe Couillet, wird auch ein Bayardstritt im Stein gezeigt. Dem Rosse zu Ehren hatten die vier Haimonskinder ein Schloß Bayard genannt, das steht zu Dhuy in der Grafschaft Namur, dort haben sie öfter gewohnt, sowie auch auf dem Schlosse Reinoldstein in der Provinz Lüttich, wo nahe dabei Schloß Poulseur gelegen war, darauf Malagys, der Vetter der vier Haimonskinder, ein mächtiger und listiger Zauberer, wohnte, wie auch im Schloß Amblème, das noch nach ihnen heißt, und in Eggernwalde. Auch liegt ein Dorf, Berthem, im belgischen Lande, das hat das Roß Bayard zum Wappen. Auch zeigte man allda des Rosses große Krippe und nahe bei Berthem, im Walde Meerdael, auch einen Bayardhuftritt. Als Reinhold von Dordone von seinen Brüdern geschieden war, entsagte auch sein ältester Bruder Adelard der Welt, begabte die Abtei Corvey mit der Oberherrlichkeit von Berthem und trat als Mönch in jenes Stift, verstarb auch alldort eines seligen Todes. Über dem Hochaltare der Kirche zu Berthem fand sich vordem ein Gemälde aufgestellt, darauf sahe man Adelard und seine Brüder samt dem Rosse Bayard vor einem Kreuze knieen.

*

 

134. Die Toten in Löwen

134. Die Toten in Löwen

Zu Löwen war ein Totengräber, der sollte ein Grab bereiten, fühlte sich aber krank, zumal war es am Abend Allerheiligen (Vorabend Aller Seelen) und schon recht kalt, und da bot sich, wie er klagte, sein Gevatter an, das Grab für ihn zu machen, was aber zu Nacht noch geschehen mußte. Vor Mitternacht war der Mann mit seiner Arbeit fertig und wollte vom Kirchhof hinweggehen, da sah er eine Prozession auf diesen gezogen kommen, die schritt über alle Gräber; es schienen weiße Mönche zu sein, und jeder trug eine Kerze, und wie sie an den Gevatter kamen, der ein Spielmann war, ließen alle ihre Kerzen vor ihm hinfallen, der letzte Mönch aber warf eine große Kugel vor ihm hin, mit zwei Dochten. – Ei, dachte der unerschrockene Spielmann, das ist schön weiß gebleichtes Wachs und ein guter Lohn für meine Mühe; sammelte daher alles sorglich auf, band es in sein Tuch und barg es daheim unters Bette, schlief auch ganz ruhig in dieser Nacht.

Andern Tages aber, als der Spielmann sich früher niedergelegt hatte, konnte er nicht einschlafen, sondern wachte die Mitternachtstunde heran; siehe, da tat seine Kammertüre sich auf, und es kamen alle die weißen Mönche herein und stellten sich um die Betten her, in denen der Spielmann und seine Frau lagen, und bückten sich und schauten unter des Spielmanns Bette und zogen das Tuch mit den vermeinten Kerzen hervor, und über dem Bücken entfielen den Mönchen ihre weißen Kapuzen und Mäntel, und waren eitel scheußliche Gerippe, und schrieen: Mein Arm! Mein Bein! Mein Kreuz! Meine Rippe! Und meine Rippe! Und mein Kopf! schrie das letzte Gerippe, das hatte in der Tat keinen Kopf, und alle den andern Gerippen fehlte das, wonach sie riefen, und das alles hatte der Spielmann in seinem Tuche zusammengebunden und in der Meinung, es seien Wachskerzen und eine Wachskugel, nach Hause getragen. Nun langten alle mit ihren klapperdürren Armen nach ihren Gliedmaßen, und das Gerippe ohne Kopf bückte sich, und der Spielmann mußte ihm den Kopf selbst auf- und zurechtsetzen, dann langte es nach des Spielmanns Geige, drückte sie ihm in die Hände und machte das Zeichen, daß er aufspielen sollte, und nun faßten sich alle die Gerippe mit den dürren Fingern an und tanzten nach dem Spiel und klapperten, und der Spielmann klapperte auch nebst seiner Frau, und jene kreisten wild in der Kammer herum, war gar ein schauriger Totentanz und dauerte eine ewig lange Zeit, und wenn der Spielmann müde wurde, so langte ihm ein Gerippe eine Maulschelle in das Gesicht, die sehr weh tat. Endlich beim ersten Hahnschrei hüllten die Gerippe sich wieder in ihre Mäntel und huschten von hinnen.

Der Spielmann und seine Frau haben von Stund an, als sie dies Schreckliche erlebt, nicht mehr geredet, nur daß sie in der Beichte erzählten, was sie gesehen, und dann sind sie bald darauf mitsammen gestorben.

Besser als diesem Spielmann ist es einem frommen Bötticher zu Löwen ergangen. Der ging allabends, da er nahe an Sankt Quintini Kirchhof wohnte, auf diesen Kirchhof und betete für die Ruhe der Toten einen Rosenkranz oder zwei. Da geschah es, daß er eine Summe Geldes für abgelieferte Arbeit einnahm, das er zu sich steckte, da er gerade auf den Kirchhof gehen wollte, seiner Gewohnheit noch für die Ruhe der Toten zu beten. Es waren aber einige Spitzbuben in der Nähe, die wußten, daß der Bötticher Geld einnehmen sollte, und dachten gleich, er werde es zu sich stecken, die lauerten auf ihn, und da er auf den Kirchhof kam, fielen sie über ihn her und wollten ihn niederwerfen. Aber da rauschte und brauste, rasselte und prasselte es ringsumher, und es erhoben sich alle Toten, für deren Ruhe der Büttner so oft gebetet hatte, und schlugen mit Arm- und Beinknochen härtiglich auf die Räuber los, daß denen ein Grauen ankam und sie teils niederstürzten, teils eilends entflohen. So war der fromme Meister befreit und gerettet und hat nachher um so eifriger für die Ruhe der Toten gebetet. Der Magistrat aber ließ die Geschichte auf eine Tafel malen und diese an der äußern Kirchenmauer aufhängen, allwo sie noch zu sehen ist.

Diese Sage geht auch mit weniger Veränderung in Deutschland von einem Ritter, Torringer geheißen, der, wenn er nachts am Kirchhof vorüberritt, nie unterließ, ein Gebet für die Toten zu sprechen. Eines Abends jagte er aber, von einer ganzen Schar wütender Feinde verfolgt, welche dicht hinter ihm waren, vorüber nach seiner Feste zu. Siehe, da erhoben sich die Toten rasch aus ihren Gräbern und traten zwischen den Fliehenden und seine Verfolger, die voll Entsetzen zurückprallten, wie sie die Schädel und Gerippe im Mondenscheine dastehen sahen und ihnen den Weg sperrten, und unbeschadet konnte der Ritter seine sichere Feste erreichen.

*

 

135. Der Schwanritter

135. Der Schwanritter

Da Herzog Gottfried von Brabant zum Sterben kam und hatte keinen Sohn, so wollte er sein Land und Erbe seiner Gemahlin und seiner Tochter überlassen. Aber Gottfrieds Bruder, der Sachsenherzog, wollte darein nicht willigen und sagte, das Land sei kein Weiberlehen und Erbe, und nahm Brabant für sich. Da ward die Herzogin klagend bei König Karl, und der lud sie und auch ihren Schwager gen Reumagen (Nimwegen, Nijmegen) am linken Arm des Rheinstroms, die Wal geheißen, und da kam sie mit ihrer Tochter hin, und auch ihr Gegner. Und da geschah es, daß Karolus durch ein Fenster hinausschaute und hinab auf den Strom, da sah er einen Schwan schwimmen, der hatte ein silbern Halsband um und zog mit diesem an silberner Kette einen Nachen nach sich, und in dem Nachen lag ein Ritter im gleißenden Harnisch, auf seinem Schilde ruhte sein Haupt, seinen Helm und Halsberge hatte er abgetan und neben sich gelegt, und der Schwan ruderte an das Ufer heran. Alle Hofleute, die das samt dem Kaiser sahen, verwunderten sich hoch, vergaßen den Rechtshandel und eilten nach dem Ufer hinunter. Der ritterliche Jüngling im Nachen aber erwachte, tat sein Gewaffen wieder an, erhob den Schild, darauf acht Szepterlein um einen weißen Karfunkel gestellt waren, und stieg aus der Barke, zu dem Schwane sprechend: Fliege deinen Weg wohl hin, lieber Schwan, so ich deiner bedarf, will ich dir rufen! Da wandte sich der Schwan und ruderte im Wasser und entschwand samt dem Nachen den Augen der ihm Nachblickenden. Alles blickte ganz verwunderungsvoll nach dem Gast, dem Karol selbst die Hand bot und ihn nach der Burg geleitete, dann setzte er sich auf den Richterstuhl und hieß den Fremdling bei den Fürsten und Herren eine Stelle einnehmen. Es erhub nun die Herzogin ihre Klagen, und ihr Schwager brachte seine Gegenrede vor und sprach, daß er bereit sei, für sein Recht zu kämpfen, sie solle ihm nur einen Kämpen stellen, der mit ihm für ihr und ihrer Tochter vermeintes Recht stritte. Der Sachsenherzog war aber gar ein mannlicher Held und dem Besten im Kampfe überlegen, darum erbebte die Herzogin, denn sie wußte keinen Kämpen in ihrer Sippschaft, den sie wagen konnte aufzufordern, sich jenem gegenüberzustellen. Da weinte sie im bittern Schmerz, und ihre Tochter weinte mit ihr, und es war ihr weh im Herzen. Siehe, da erhob sich der junge Ritter, so mit dem Schwan gekommen war, von seinem Stuhl, neigte sich gegen den Kaiser und sprach: So du es mir vergönnest, großer Kaiser, so will ich wohl dieser Frauen Kämpe sein. Das wurde ihm gewährt, und er stritt darauf einen schweren Streit mit dem Sachsenherzog, doch obsiegte er ihm endlich und machte so der Herzogin und ihrer Tochter Erbe frei und ledig. Die danketen ihm in Züchten, und die Herzogin bot ihm jeden Kampfeslohn, den sie gewähren könne, und wär‘ es selbst ihrer Tochter Hand und einstiges Erbe. Da sagte der Jüngling, Werteres könne ihm nimmer geboten werden; sein Name sei Helias, das und mehr könne er von sich nicht sagen, und müsse er unerläßlich bedingen, daß seine Braut und Vermählte nie und nimmermehr ihn frage, wo er hergekommen, welches sein Geschlecht sei, wer ihm Vater und Mutter wäre, und solcher Fragen mehr, denn sowie sie solche Frage auch nur die leiseste und nur ein einziges Mal an ihn richte, müsse sie auf immer ihn verlieren.

Diese Bedingnis deuchte der Prinzessin von Brabant gar leicht zu halten; sie gelobte ihm das und vermählte sich dem Schwanenritter Helias. Sie zogen nach Cleve, der uralten Stadt, wo schon Julius Cäsar eine Burg erbaut, erneuern das Schloß und nannten es die Schwanenburg und freuten sich des Lebens und der Landschaft, die schon manche mit den elyseischen Feldern der alten Mythe ob ihrer Anmut verglichen. Beide gewannen auch zwei blühende Kinder und waren sehr glücklich, wären es auch geblieben, wenn nicht der Weiber Erbsünde, die schlimme Neugier, die junge Herzogin gequält und immer mehr gequält hätte. Die mochte gar zu gerne wissen, wer denn eigentlich ihrer Kinder Vater sei, und so drückte es ihr fast das Herz ab, bis sie endlich die Frage tat, die ihr doch so ernst verboten war. Da sprach Helias: Nun hast du dein Glück zerbrochen und mein Glück und hast mich am längsten gesehen. – Und waffnete sich und winkte zum Fenster hinaus – da kam schon der Schwan geschwommen mit seinem Schifflein. Und der Herzog küßte seine Kinder und drückte seiner Gemahlin stumm und schmerzlich die Hand – die weinte überlaut und stürzte ihm voll Reue zu Füßen und wollte ihn zurückhalten, und auch alles Volk flehte ihn an, daß er bleiben sollte. Aber Helias konnte nicht bleiben – er segnete alle, bestieg seinen Kahn und fuhr von bannen. Tief drang der Kummer ins Gemüt der Herzogin, doch erzog sie die Kinder zu tüchtigen Rittern, und ihnen entstammten alle spätem Grafen und Herzoge von Cleve und Geldern und Reineck, die führten meist den Schwan im Wappen. Des Landes Heerschild aber blieb der weiße Stein im roten Felde, um den die acht goldnen Szepterstäbe gestellt sind, bis auf diesen Tag. Auf dem Schwanenturme der Schwanenburg aber zeugt noch ein weißer Schwan, der sich im Winde dreht, von dieser Geschichte.

*

 

136. Gelre, Gelre!

136. Gelre, Gelre!

Im weiten offnen Lande zwischen dem Rheinstrom und der Maas hauste zu Kaiser Karl des Kahlen Zeiten ein untümlicher Drache, der zehrte Menschen und Tiere auf, und wenn er Hunger hatte, so schrie er mit lauter gellender Stimme immerfort: Gelre, Gelre! Die Menschen wichen aus der Gegend hinweg, die doch schön und fruchtbar war, denn das Untier war unüberwindlich. Nun saß in der Nähe ein Edler, Otto, Herr von Pont, der hatte drei Söhne, deren Altester hieß Leupold, und dieser Leupold war ein tapferer junger Degen und hatte Mut, dem Ungetüm zu Leibe zu gehen. Er wappnete sich auf das beste und erkundete den Ort, wo der Drache hause. Da ward ihm ein alter Birnbaum gewiesen, der voller Mistelpflanzen stand, und da dauerte es nicht lange, so hörte Herr Leupold den Drachen schon schreien: Gelre, Gelre! – Harre nur, dachte der junge Degen, ich will dich schon begelren, und rückte auf den Drachen zu. Dieser funkelte ihn mit feurigen Augen an, die wie Sterne blitzten, und sperrte seinen Rachen greulich auf und blies giftigen Atem daraus hervor, aber Herr Leupold stieß ihm seine Lanze hinein, daß am Hinterkopfe die Spitze wieder hervordrang, und stach ihn mit dem Schwerte in die Weichen und tötete ihn. Voll Dankes priesen die Bewohner der Gegend des jungen Ritters Heldentat und ernannten ihn zu ihrem Oberherrn. Er erbaute sich darauf da, wo er den Drachen überwunden, ein Schloß und nannte das nach dem Drachenschrei Gelre. Daraus ist der Name Geldern entstanden, den die blühende Provinz noch heute führt.

*

 

137. Des Riesen Handwerfen

137. Des Riesen Handwerfen

Am Scheldefluß hauste zu Julius Cäsars Zeiten ein Riese auf einem hohen Turme, soll Antigonus geheißen haben, der bewachte das Land und nahm allen, welche dort vorüberreisten oder über das Wasser setzen wollten, die Hälfte ihrer Güter als Zoll ab. Wollten sie den nicht entrichten, so mußten sie mit ihm kämpfen, und dann hieb er dem Besiegten jedesmal die rechte Hand ab und warf sie in die Schelde. Da kam ein Mann, der hieß Brabon, mit mehrern andern Gefährten an die Stelle der Überfahrt, und fanden allda den Knecht des Riesen auf der Wacht, der wehrte ihnen den Übergang; sie sollten erst mit dem Riesen, seinem Herrn, das Ihre teilen, oder sie müßten ihre rechte Hand lassen. Dazu war Brabon nicht geneigt, weder zum einen noch zum andern; darauf schlug der Knecht an eine Eisenstange, die gab tiefen Glockenschall, und da kam der Riese trutziglich vom Turme herunter und fragte: Wer ist es, der mit mir kämpfen will? – Ich allein! erwiderte Brabon, und alsbald begann der Kampf. Da fiel manch harter Kampf und schwerer Streich. Der Riese war ein starker Wigand, und wohin er schlug, wuchs kein Gras mehr. Endlich aber obsiegte ihm dennoch der mannhafte Held Brabon und schlug ihm erst die rechte Hand, hernach auch den Kopf ab, und nahm die Hand und warf sie über den breiten Strom und rief: So weit ich diese Hand werfe, so weit soll auch dieser Strom zu dem Lande gehören, das ich mir jetzt erkämpft! – Und ging, und dankte für seinen Sieg dem Kriegsgotte Mars, und brachte ihm Opfer in seinem Tempel. Und die Hand fiel in des Stromes Mitte, und das Land ward nach dem Helden Brabant geheißen, und die Hälfte der Schelde gehörte fortan zu Brabant.

Da nun Julius Cäsar aus Britannien zurückkehrte, kam Brabon zu ihm und erzählte ihm sein Abenteuer mit dem Riesen Antigonus, den er im Ried an der Schelde erschlagen. Da lobte ihn der große Feldherr, und zog mit ihm nach dem Ort, und ließ dort eine Burg erbauen, und weihte sie und gab ihr und dem Lande große Rechte und Freiheiten, und machte Brabon zu einem Markgrafen des römischen Reiches. Der Ort aber ward von dem Handwerfen Handwerpen genannt und wuchs und ward groß und mächtig und ist jetzt die Stadt Antwerpen.

Damals hat Julius Cäsar Turnhout gegründet und mit großen Freiheiten begabt, und nahe bei Löwen das Kaiserschloß gebaut. Da er mit dem Helden Brabon dort auf die Jagd ging, schoß er einen mächtig großen Adler und nahm das für ein glückverkündendes Orakel der Götter an. Darum gründete er an jenem Ort eine neue Kolonie und nannte sie Aarschuß, das heutige Aerschot.

*

 

138. Herr Lem

138. Herr Lem

Überhaupt gab es in frühen Zeiten in den niedern Landen gegen das Meer hin gar viele und gewaltige Riesen und Heunen, die waren aus Britannien gekommen, von der großen weißen Kreideinsel Albionien, das nach dem Trojaner Britus seinen spätern Namen Britannien empfing. Solch ein Riese saß da, wo jetzt Leiden liegt, der hieß Lem, und bekam einen Sohn, der hieß auch Lem, und später gründete er eine Stadt, da wurde er Herr Lem genannt, weil er darinnen als ein Herr gebot, und die wurde nach ihm genannt, das ist Harlem. Im Harlemer Walde stand ein Bacchustempel, und der ganze Wald war diesem Gotte heilig. Von ihm wird noch ein Kanalgraben bei Harlem Bakenessergracht genannt, und wo der alte Bacchustempel stand, steht jetzt die Bakenesserkerk. Des Riesen Herr Lem Frau hieß Walberech und soll ein abscheulich großes und starkes Mensch gewesen sein. Wenn sie von Holland nach England wollte, tat sie nur einen Schritt. Sie hatte große Pferde und Rinderherden, die weideten am Ufer der Nordsee, da kam ein Schiff mit Räubern gefahren, die landeten an und nahmen das Vieh von der Weide und beluden ihr Schiff damit, das nicht klein war. Als Walberech kam, nach ihren Herden zu sehen, waren diese fort, und fern auf der See schwamm das Schiff, wo die Herden darin waren. Da trat Walberech in das Wasser, langte hin, nahm ihre Herde wieder, hing die Ochsen und Kühe auf die eine Seite, die Pferde auf die andere, und die Schafe setzte sie auf ihren Kopf, die krochen darauf herum wie die Schafläuse auf einem Schafkopf. Das Schiff aber nahm Walberech, hob es hoch und schleuderte es dann mit Gewalt in das Wasser bis zum Grunde. Die Räuber fraß Walberech und trank ihr warmes Blut und ging dann wieder nach Hause.

*