91. Die Martyrergräber

91. Die Martyrergräber

Sankt Maximin heißt unterhalb Trier am Moselflusse eine alte, weitberühmte Abtei. Schon die Stätte, darauf sie steht, soll zur Heidenzeit einen Dianentempel getragen haben, und als ihrer Gründer rühmt sie sich des Kaisers Konstantin des Großen und seiner Gemahlin Flavia Helena. Zuerst wurde das Stift in die Ehre Johannes des Täufers geweiht, dann in die des heiligen Hilarius, unter dem vierten Abt Tranquillus aber erhielt das Stift den Leichnam Sankt Maximins und trug nun von diesem den Namen. In diesen Gegenden – manche sagen bei Neumagen – soll es gewesen sein, daß dem Kaiser Konstantin dem Großen das Kreuzeszeichen am Himmel erschien mit dem berühmten I. H. S. In Hoc Signo – scilicet vinces, in diesem Zeichen wirst du siegen, welche Buchstaben nach alter Schreibart den Namen Ihesus bedeuten. Hier sollen die heiligen Kirchenväter Ambrosius, Hieronymus und Athanasius eine Zeitlang gelebt, hier soll der letztere das nach ihm benannte Glaubensbekenntnis niedergeschrieben haben. Hier ruhen die Erzbischöfe Nicetius und Basinus, hier ruht Ada, Karls des Großen Schwester, welche einen Codex aureus der Evangelien schrieb.

Und nahe bei Sankt Maximin liegt auf diesem uralt-heiligen Boden des Trierschen Gaues die Abtei zu Sankt Paulini. Die Krypta dieses Klosters ward zum riesigen Aschenkrug für eine Reihe der vornehmsten Märtyrer. Rictiovar, Kaiser Maximinians Präfekt, verfolgte auf seines Herrn Befehl die christliche sogenannte Thebanische Legion allenthalben, auch in dieser Gegend, und mordete schonungslos. Paulinus, Triers Erzbischof, wurde in eisernen Ketten aufgehenkt; einen der Heerführer der Legion, namens Tirsus, begrub man zur linken Paulins, den Konsul Palmatius ihm zur rechten Hand. Zu Häupten des Heiligen ruhten sieben Ratsherrn, die mit den Thebanern zugleich die Martyrerkrone empfingen, unter ihnen einer des Namens Maxentius. An diese reihten sich Constantius, Crescentius, Justinus, Leander, Alexander, Soter, die letzten drei Brüder. Zu Sankt Paulini Füßen wurden vier Martyrer beigesetzt, welche Rictiovar vor seinen Augen enthaupten ließ nach vorhergegangenen gräßlichen Martern: Hormisda, Papinius, Constans und Jovianus. Das Blut der gemordeten Tausende in Trier und auf diesem Gebiete floß in Bächen hinab zur Mosel und färbte ihre Wogen weit hinab rot, bis zum Schlosse Neumagen.

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919. Die Farrensamenholer

919. Die Farrensamenholer

Die in Thüringen der Farn- oder Farrenkrautsame für magisch hülfreich, seine Gewinnung aber, wem sie nicht durch unversehenen Glücks- und Zufall wird wie dem Mann zu Berka an der Werra, für seelengefährlich gilt, so auch in Schwaben. Die Gewinnung ist immer nur durch Teufelsbeihülfe möglich, und es ist eine sehr schwere Sache damit. Nicht beten, in keine Kirche gehen, keinem Weihkessel nahen, auf Kreuzwege treten und die Erscheinungen Verstorbener festen Mutes anschauen, ihnen nicht Rede stehen, über Teufelsfratzen nicht lachen, sollten sie auch so lächerlich sein, wie die, als eine Hexe, die zum Wuodesheer zu spät kam, nackt auf den Kopf gestellt wurde und nun mit auf sie gesteckten Lichtern leuchten mußte – das sind die schweren Proben, die bei der Farrensamengewinnung bestanden werden müssen. Sind sie bestanden, so kommt der grüne Jäger, als welches kein anderer ist denn der Teufel, und bringt ein Tütchen voll Farnsamen, nicht so viel, als in eine Schachtel voll Schneeberger Schnupftabak geht, das trägt der Farrensamenholer dann stets bei sich. Nun schlägt ihm nichts fehl, jede Kugel, die der Jäger aus dem Rohre schießt, trifft; sein Gewehr schießt um eine Ecke herum. Des Handwerkers Arbeit fleckt, als hätte er zwanzig Gehülfen. Ein Holzhauer in Rothenburg am Neckar hatte die Proben bestanden, der machte jeden Tag fünfhundert Büschele Holz, das sollt‘ ihm einmal einer nachtun. Auch war daselbst vor vielen hundert Jahren einmal ein Leinewebergesell, der hatte auch Farnsamen gewonnen, lebte die ganze Woche in Saus und Braus, arbeitete aber am Sonntag, weil das Sabbatschänden auch zu den Bedingnissen der Teufelsbündner gehört, aber da webte er ungeheure Stücken, bis die Teufelsweberei zuletzt an Tag kam und es damit ein dreckig Ende gewann. Jeder Farnsamenholer kann selben Samen aber nur auf sein eigenes Gewerb oder Handwerk holen, darin gelingt ihm dann nach bestandenen Proben alles. Wenn aber die Bäuerlein, wie auch schon dagewesen, Jäger werden wollen und die Dorfschulmeisterlein Staatsräte und die Advokaten gar Regenten – das glückt nicht, und wenn sie noch so viel roten Farnsamen vom Teufel in Tüten erlangt hätten.

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920. Das Rockertweible

920. Das Rockertweible

Im Murgtale hinauf ist kaum vom ewigen Jäger die Rede, auch nicht vom Wutesheer, da lebt und webt vielmehr eine wilde Jägerin, aber doch nicht gleich der Frau Holla und Perchta. Sie heißt bloß das Rockertweible, vom Walde Rockert, der ihr Lieblingsaufenthalt ist. Das Weibleln wird geschildert als ein uraltes Fräle, in altmodischer, nicht gut gehaltener Tracht, die das viele Jagen durch Disteln und Dörner ihm zerschlitzt hat. Es trägt ein großes Schlüsselbund, hat immer mehrere Hunde bei sich, lockt sie wie der wilde Jäger die seinigen und geistet so umher. Das Rockertweible soll anfänglich eine Gräfin von Eberstein gewesen sein, welche sich dadurch in den Besitz eines guten Teiles vom Rockertwalde und dem Schwann, auch einem ausgedehnten Bergwald, setzte, daß sie ihr sehr angezweifeltes Anrecht daran mit dem Schwur besiegelte: So wahr mein Schöpfer über mir ist, so wahr stehe ich hier auf meinem eigenen Grund und Boden. Sie hatte aber von ihrer eignen Erde in ihre Schuhe getan und heimlich ihren Schöpfer – so nannte man dort den Eßlöffel – unter die Federn auf ihren schwarzen Samthut gesteckt. Selbigen Hut muß sie nun auch noch alsfort tragen. Manche sagen, sie erscheine nicht mehr, und könnte wohl sein, daß sie erlöst wäre.

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921. Venusberge

921. Venusberge

Zu den Venusbergen in Thüringen, deren vornehmster der weitberufene Hörseelenberg ist, in welchem Frau Holle Hof hält, gesellt sich mit obschon leisem sagenhaften Anklang auch ein Venusberg in Schwaben bei Lorch im Remstale. Ist derselbe auch nur ein nicht hoher Hügel und führt den mythischen Namen, mehr als vielleicht der Hügel, nur ein Gehöft, so begegnet doch wundersam genug neben dem Venusberghof ein zweiter, der Hollenhof geheißen, nächstdem daß in der Nähe dortherum an einem Götzenbach eine Götzenmühle liegt. Ein zweiter Hof des Namens Venusberg liegt im schwäbischen Oberamte Waldsee zwischen Ober- und Unter-Essendorf, auf hoher Bergeshalde, mit einer berufenen heilkräftigen Felsquelle. Nahe dabei ist ein ausgehöhlter Fels von Mannesform, in den man sich passend einlegen kann, gleichwie in den Herrgottsstein an der Eger. Dürfte schwerlich das Lustlager der Frau Venus gewesen sein, wird aber als dienlich gegen Rückenschmerzen gepriesen, so einer deren hat und sich hineinlegt. Und wer keine hat, kann welche darin bekommen, kalt genug und hart genug ist der Stein dazu.

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922. Vom Urschelberg

922. Vom Urschelberg

Über Pfullingen erhebt sich ein Berg, der Urschelberg genannt. Wie sein Name an den Hörseelenberg, vom Volke Hörschelberg gesprochen, in Thüringen erinnert, so hat er auch an einem Abhang, der das Hörnle heißt, gleich jenem, der unter seinem Eisenach zugestreckten Horn eine Höhle hat, das Hörselloch, ebenfalls eine solche, die bei den Umwohnern das Nachtfräuleinöloch genannt wird.

Gleich der Frau Holle, der alten Spinnefrau im Hörseelenberge, wohnt die alte Urschel als Spinnerin im Urschelberge, und ist des Berges ganze Umgegend mit Sagen über sie erfüllt. Ein Teil dieser Sagen deutet darauf hin, daß die Urschel gleich andern wandernden Jungfrauen aus verwünschten oder versunkenen Schlössern – zwei Schlösser sollen auf dem Urschelberge versunken sein – auf Erlösung harre, die auf einer Eichel, deren Erwachsen zum Baume, auf das Fertigen einer Wiege aus diesem Baume und auf einem darin gewiegten Sonntagskinde beruht, der Hoffenden aber stets fehlgeschlagen, weil der erkorene Gesell, der sie durch ein aufgefundenes Pferdekumt sichtbar geschaut, nicht Mut genug gehabt, das Werk der Erlösung zu vollführen. Nach andern war es keine Eiche, sondern eine von der Urschel selbst gepflanzte Buche, aus welcher die Wiege gefertigt wurde, und noch immer soll eine solche Buche auf dem Urschelberge stehen und von ihr gehütet werden. Andernteils deuten die Urschelsagen rein auf sie als Spinnefrau. Wie die Berchta im Vogtlande ihr Gefolge hat von Heimchen, hat die Urschel eines von Nachtfräulein, nur nicht so zahlreich, meist nur auf die Dreizahl beschränkt. In deren Begleitung kam sie nach Pfullingen auf die Wiek, eine also genannte Häuserreihe, an welcher die Heergasse vorüberführt – leise Hindeutung auf die Urschel auch als wilde Jagdfrau – in die Lichtkarz und spannen albda sehr fleißig. Einst machte sich aber ein Bursche den Scherz, einem der Nachtfräulein den Faden abzubrechen, und wollte nach der üblichen Sitte, indem er den Rocken nahm, diesen mit einem Kuß ausgelöset haben – das nahmen die Urschel und die Nachtfräulein sehr übel, nahmen ihre Spindeln, gingen von bannen und kamen nie wieder in dieses Haus. Von dem Hause aber wich seitdem aller Segen. Sie besuchten dagegen bisweilen andere Häuser und spannen nicht allein für sich, sondern auch für die Frauen, die sie besuchten, und spannen deren Kunkeln ganz leer und alle Spindeln voll, und dert seinsten Faden, den es geben konnte, spannen sie, und wann sie gingen, sah man ihre schloßschleierweißen Kleider beim Schein ihres Laternchens bis nahe an das Nachtfräuleinsloch am Urschelberge leuchten. In Reutlingen heißen sie Bergfräulein, weil sie im Urschelberge wohnen, da sollen sie ihren Aus- und Eingang, wenn sie auch dorthin zum Spinnen kamen, mitten auf dem Markt gehabt haben. So ganz ledigen Standes müssen aber die Urschelbergerinnen doch nicht gelebt haben, denn es sind Sagen von in den Berg geholten Hebammen vorhanden, welche mit Strohhalmen belohnt wurden, von denen sich die in Goldstangen und Goldstücke verwandelten, die nicht verächtlich weggeworfen worden waren.

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923. Die Nachtfräulein

923. Die Nachtfräulein

Im Urschelberge haben kleine Fräulein gewohnt, die sind hinein verwunschen gewesen und sind als einmal herausgekommen zu guten Menschen. Es waren ihrer drei, und man nannte sie auch Nonnen, wobei wohl wegen der Dreizahl kaum an Nornen zu denken sein dürfte; sie kamen häufig nach Pfullingen zu einem armen Mann, brachten ihre Spindeln mit und spannen gar fleißig, doch nicht länger als elf Uhr. Sprechen taten sie gar nicht, denn das war ihnen verboten; für das Licht, das ihrethalb verbrannt wurde, zahlten sie eine kleine Gabe. Wenn man sie ja sprechen hörte, so war ihre Sprechweise kindisch. Gleich der Urschel liehen auch sie Getreide dar und jammerten, als das zurückerhaltene am Sonntage ausgedroschen war. Sie sprachen dabei von ihrem Vater, den sie kindisch Vi-Vater nannten, und als eines Abends einem dieser Fräulein von selbst der Faden riß oder, nach dortigem Ausdruck, brach, so klagte dieses: Pfitzede pfitz, der Faden is broche. – Darauf sprach die zweite: Pfitz’n wieder z’sämen, so is er wieder pfaatz (ganz). – Nun begann die dritte strafend: Hat nit der Vi-Vater g’sait, sollest nit bätze?! (schwätzen). – Darauf hat am andern Morgen vor des armen Mannes Haus ein Sack mit Frucht gestanden und oben darauf ein Geldstück, die Fräulein aber sind niemals wiedergekommen.

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924. Erdweible im Heuchelberg

924. Erdweible im Heuchelberg

Zwischen Tübingen und Nürtingen liegt ein Flecken des Namens Walddorf, dahin sind zu unterschiedlichen Zeiten im Winter zwei Fräulein in die Lichtkarz gekommen und haben gesagt, sie kämen aus dem Heuchelberg im Unterlande, und haben wacker mit den andern Mädchen gesponnen. Regelmäßig aber sind sie mit dem Glockenschlag zehn Uhr wieder fortgegangen. Auch Brot haben sie für die Menschen gebacken und sonstiger reiner Arbeit sich unterzogen. Bisweilen kam auch nur eine, dann wieder alle zwei, und so fort den ganzen Winter hin bis zum Frühling. Eines Abends saßen sie wieder beide in der Spinnstube bei den Mädchen, als vor der Türe eine unbekannte Stimme rief:

O weh, o weh!
Der Heuchelberg brennt! –

Da schrie das eine Fräulein:

O weh, o weh!
Meine armen Kind! –

und fort waren beide wie der Wind und kamen niemals wieder.

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925. Das Hardtfräulein

925. Das Hardtfräulein

Auf dem Berge, welcher der Hardt heißt, der mit dem großen Heuberg zusammenhängt, geistet auch ein Fräulein, das nennt man nach dem Berge, gleich der Urschel, das Hardtfräulein oder Hardtweible. Es ist schwarz gekleidet, zum Gegensatz der weißgekleideten Nachtfräulein und der grün gekleideten Urschel, und trägt einen runden schwarzen Schlapphut. Das Hardtfräulein hat die Eigenschaft, die Leute zu necken, zu verblenden und dann gehörig zu verlachen, ja es kann sogar sehr feindselig verfahren, die Leute in Abgründe stürzen, das Vieh scheu machen, daß Unglück daraus entsteht, und dergleichen. Einst verblendete das Hardtfräulein einen Mann so ganz und gar, daß er sich gar nicht mehr auskannte, und als er nach Hause kam, kannte er sein eignes Heim nicht, griff nach kurzer Rast nach Stock und Hut und sagte zu seiner Frau: Nun b’hüet‘ Euch Gott, ich muß machen, daß ich heimkomme, sonst keift meine Frau wie dem Teufel seine Großmutter.

Es ist gar nicht zu sagen, wie vielerlei Fräulein und Weible in Schwaben spuken gehn, auf allen Burgen und Bergen, an allen Seen und Teichen. Im Lautlinger Tale liegt der Gröblesberg, da liegt ein Schatz und schwebt ein Fräulein, das ist halb weiß, halb schwarz. In einer Schlucht bei Friedingen, durch welche die Donau fließt, spukt ein Weible, das ist ganz schwarz, und die Schlucht heißt der Weiblesteich.

Im Erlenbach bei Bieringen an der Jaxt geisten drei weiße Fräulein, auf dem Stöffelesberg bei Gönningen desgleichen. Man kann sie nicht alle zählen und aufzählen. Die Urschel scheint, gleich der thüringischen Hörschel- und Venusbergfrau, nur dunkelmythischer Nachklang der antiken Aphrodite Melainis, der auch, in den Schatten der Nacht gehüllt, die Trias der Charitinnen folgt.

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926. Das Pelzweible

926. Das Pelzweible

In der Nähe von Schlatt liegt ein Hof, Rommenthal genannt, und nahe dabei eine alte Burg gleichen Namens. Dort geht ein Weibchen um, welches das Pelzweible heißt, und hütet eine Grube, das Pelzweiblesloch genannt, darin der Schatz liegt, der bis zur Erlösung des Pelzweibles ruhen muß. Die Erlösung beruht nicht auf so schweren Proben wie jene der verschiedenen Jungfrauen, die sich in Schlangen verwandeln, was manche erst dann tun, wenn sie bereits aus ihrem Jungfernstande erlöst sind. Das Pelzweible verlangt keine Küsse. Einem Amtmann zu Süßen erschien es einstmals und flehte ihn um die Erlösung an. Es werde ihm in dreimaliger Verwandlung erscheinen, sprach es, er möge nur Mut haben und jede der drei Gestalten mit einer Rute berühren. Der Amtmann, der noch jung und ledig war, fühlte sich sehr beherzt, hatte auch in der Amtsstube, den Bauern gegenüber, sich stets bis über den Mut hinüber mutig gezeigt. Jetzt begannen die Proben; das Pelzweible verwandelte sich vor seinen sichtlichen Augen in eine Krott und empfing einen Schlag; darauf verwandelte sich die Krott in eine große Schlange, das war dem beherzten Amtmann schon außer dem Spaß, doch als die Schlange zischend auf ihn zuschoß, wehrte er sich seiner Haut, hieb sie mit der Rute über den Kopf, und weg war die Schlange. Plötzlich aber stand ein Pudel vor ihm mit feurigen Augen, und Feuer aus dem Rachen pustend, und groß wie ein Kalb, und sperrte den Rachen gegen ihn, und machte Miene, ihm die Nase abzubeißen; da fiel dem Amtmann das Herz in die Kniekehle und die Rute aus der Hand, und er wandte sich und entfloh auf seinem Pferde, das er vorsorglich gesattelt neben sich gestellt, und der Pudel schoß hinter ihm her und hatte sich ganz wütig. Der Amtmann hatte von diesem Erlösungsversuch fast den Tod und hat all sein Lebetag kein Weible mehr erlösen mögen, sondern ist ledigen Standes verblieben.

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909. Sankt Meinrad

909. Sankt Meinrad

Zu Kaiser Karl des Großen Gezeiten war im Sülichgau ein Graf des Namens Berthold, der versorgete seine Kinder in Klöster, und wie er sonst konnte und mochte. Da ward ihm auch ein Söhnlein, das ward Meginhard oder Meinrad genannt, das taten die Eltern frühzeitig auf die Insel Reichenau im Bodensee zum Abt Hatto. Später aber entwich Meinrad in eine öde Wildnis, in eine Einöde auf dem Etzelberg, erbaute allda eine Siedelei und diente Gott darin mit Gebet und Fasten sieben Jahre. Da nun, vom Rufe seiner übergroßen Frömmigkeit angezogen, viele Menschen ihn aufsuchten, so hob er sich von dannen und zog in einen noch finstrern Wald und nahm nichts mit sich als einige heilige Bücher, erbaute ein Kapellchen und lebte darin gottseliglich. Schon war der heilige Mann sechsundzwanzig Jahre in dieser Einsiedelei verblieben, nicht ohne mancherlei Versuchung und Anfechtung vom Teufel, da bewegte der böse Feind zwei gottlose Räuber, daß sie, indem sie Schätze bei dem heiligen Mann zu finden verhofften, ihn aufsuchten, in der Absicht, ihn zu ermorden und zu berauben. Freundlich empfing der fromme Meinrad die Männer, aber zwei junge Raben, die er aufgezogen, schrieen sehr und flogen den Mördern nach den Gesichtern. Meinrad war aber schon durch ein göttliches Gesicht offenbaret, daß er von diesen Mördern sterben müsse. Und es geschahe der grause Mord unter Wunderzeichen, denn als sich des Heiligen Sinn verdunkelte, rief er flehend nach Licht, und plötzlich umfloß eine von edlem Ruch durchduftete Helle Zelle und Wald. Entsetzt entflohen die Mörder, als der fromme Meinrad seine Seele ausgehaucht und seine Raben noch zu Zeugen dieser Untat aufgerufen hatte, und siehe, die Raben folgten ihnen mit Gekreisch und schossen ihnen stets auf die Häupter. Und da die Mörder gen Wolrow kamen, sahe die Raben ein Zimmermann, der sie kannte, denn er hatte Meinrad die Zelle gezimmert, und der Heilige war sein Gevatter, der schöpfte Verdacht, hieß seinen Bruder den Mördern folgen und eilte nach der Einsiedelei. Da schmeckte er den süßen Ruch im ganzen Walde und fand die entseelte Leiche und neben ihr brennende Kerzen, von Engelhand entzündet. Und darauf ist die ganze Untat an den Tag gekommen, und die Raben wichen nicht von den Mördern und nicht von ihrer Richtstatt, bis sie gerädert waren, und dann verbrannt, und dann ihre Asche in das Wasser geschüttet, wie die des Paukers von Niklashausen. Das alles ist geschehen im Jahre 863 nach Christi Geburt, und wurde des heiligen Mannes Eingeweid auf dem Etzel begraben, sein Leichnam aber in dem Gotteshaus Einsiedeln, das sich am Ort von Sankt Meinrads Kapelle erhob und zu hohem Ruhm emporwuchs, und geschahen alldort große Wunder.

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