775. Die Schwerbeladenen

775. Die Schwerbeladenen

Unter der Stoffelskuppe, auch einer basaltgekrönten Erhebung zwischen der Rhön und dem Werratale, ist es nicht sicher; eine große Blöße heißt die Kuheller; dort hüten die Roßdorfer Hirten. Eines Abends wandelte der Roßdorfer Schulze über diese Bergestrift, da erblickte er auf der Waldblöße im Dämmerlicht zwei dunkle Männer, die in einiger Entfernung voneinander gleichmäßig schritten, war froh, Gesellschaft zu finden, und näherte sich ihnen eilend. Jetzt entdeckte sein Auge, daß die beiden Männer einen übergroßen und mächtigen, baumartigen Balken auf ihren Schultern trugen, unter dessen Last beide fast erlagen, und daß kaum zu begreifen war, wie ihrer zwei eine so entsetzliche Last zu tragen vermochten. Das wunderte den Mann gar sehr, daß in so später Stunde an so einsamer Stelle noch jemand also bemüht war, und er rief die Tragenden an mit lautem: Hollah! Wer seid ihr? Wohinaus? – Die Männer hörten ihn nicht und antworteten ihm nicht. Noch einmal rief er: Wer seid ihr, worauf geht ihr zu? – Tiefes Schweigen. Nun rief der Schulze zum drittenmal noch lauter: Heda, ihr Männer? Wo wollt ihr hin? – Da scholl gleichzeitig von beiden wie aus einem Mund und mit überaus schrecklicher Stimme die Antwort: Nach Ungnadhausen! – Und die Männer wandelten hin und verschwanden in die Nacht. Dem Frager aber kam ein übermächtiges Grausen an, und er konnte, solange er lebte, welches nicht gar lange mehr war, jenen Ton und jenes Wort nicht vergessen, das wie eine Stimme des Jüngsten Gerichtes erklungen war. Auch andere haben bisweilen jene Schwerbeladenen über die Waldblöße wandeln sehen, doch sich wohl gehütet, sie fragend anzureden.

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776. Die fliegenden Knaben

776. Die fliegenden Knaben

Es war am Ende des siebzehnten Jahrhunderts, als an einem Spätherbsttage drei muntere Knaben ohnweit des Städtchens Lengsfeld und zwischen diesem und dem Baier auf immergrüner Waldwiese eine Anzahl Rinder weideten. Kaum war die Sonne gesunken, die noch ihre letzten goldnen Strahlen auf den hohen nachbarlichen Berg warf, so fachten die Knaben nach ihrer Weise ein Feuer an und stachen Rasen ab, um sich eine Bank zu bauen, auf welcher sie vertraulich und sich am Feuer wärmend sitzen wollten. Wie es nun oft zu geschehen pflegt, daß heitre unbedachte Jugend in lächerliche Wünsche ausbricht, deren Erfüllung schier unmöglich dünkt, so auch hier. Einer sprach: Wäre nur dieses Stück Rasen ein Stück Eisenkuchen! Kaum war dieser Wunsch laut geworden, so trat schon ein unbekannter Mann auf die Trift, begrüßte die jungen Hirten und sprach: Hört, ihr habt Eisenkuchen gewünscht! Hier habt ihr solche, laßt sie euch schmecken! – Und teilte Eisenkuchen unter sie aus. Freudig und begierig ward die Spende angenommen und verzehrt, und der Mann erbot sich, sie täglich mit solchen Kuchen zu erfreuen, wenn er nur wüßte, auf welchem Hutplatz sie immer anzutreffen wären. Die Knaben nannten den Platz, wo sie am nächsten Tage hüten würden, und der Unbekannte hielt sein Wort und brachte das für die Knaben so leckere Mahl am nächsten Abend ihnen wieder. Als das verzehrt und der Mann hinweggegangen war, trat eine alte Frau aus Lengsfeld den Knaben nahe und bat sie, doch einmal mit ihr zu dem nahen Talbrunnen zu gehen, sie wollte ihnen dort etwas zeigen. Die Knaben willfahrten ihr, wurden aber nichts gewahr, als daß die Alte sie mit dem Wasser des Brunnens besprengte und unverständliche Worte dazu murmelte, weshalb sie ihr bald entliefen und mit Gelächter zu ihrer kleinen Herde zurückkehrten und diese wohlgemut nach Hause trieben. Am dritten Tag trafen sich die Knaben frühmorgens auf dem Weg zur Schule, grüßten sich munter, und der eine sprach zu dem andern: Höre, ich fühle mich heute so federleicht, daß ich meine, ich müßte fliegen können, wie ein Vogel! – Ich auch, ich auch! riefen die beiden andern, und da hoben alle drei die Arme empor und flogen. Sie flogen auf die kleine runde Mauer, die den Marktplatz umzog, und über dieser gegenseitig hin und her, zum größten Erstaunen aller ihrer indes sich zahlreich versammelnden Schulkameraden. Die Kunde dieses wunderbaren Ereignisses durchdrang mit Blitzesschnelle das Städtchen und kam auch zuletzt zu den Ohren des Kantors, der nach beendigter Schulstunde die drei Knaben aufrief, ihre Kunst auch in der geräumigen Schulstube zu üben. Sie traten auf den Tisch und flatterten von ihm herab und schwebten auf und nieder. Den Kantor überfällt ein Grausen, und er entsendet eilig einen Boten zum Oberpfarrer und Inspektor und läßt den geistlichen Hirten bitten, zur Schule sich zu bemühen und selbst Zeuge eines nie erhörten Wunders zu sein. Der Geistliche kommt und staunt und nimmt die Knaben scharf in das Verhör, denn er wittert Satans Trug und Tücke. Diese erzählen treuherzig alles, was sich mit ihnen begeben, und fügen noch dieses hinzu: In der vergangenen Nacht machten wir uns den Spaß und setzten uns zu dritt auf einen Schimmel, der in unsers Nachbars Scheuer stand. Kaum spürte uns das Pferd, so setzte sich’s gegen unsern Willen in Trab und brachte uns an einen Ort, allwo es uns sehr wohl gefiel; dann brachte es uns wieder nach Hause, und darauf fühlten wir uns so leicht. – Der Oberpfarrer ging bestürzt hinweg, um dem Gerichte Anzeige zu tun, damit dieses sich der sicherlich Behexten bemächtige und ihnen den Prozeß mache, denn fliegen zu können schien ihm ein arges Verbrechen.

Mittlerweile kamen die Knaben arg- und sorglos und ihrer Fliegekraft froh nach Hause, den Ihrigen das Wunder selbst zu verkündigen oder zu bestätigen. Der Vater des einen Knaben war der Scharfrichter, hieß Michael Weber, erzürnte sich sehr über die Kunde, die er schon vernommen, glaubte, sein Kind sei ein Teufelsbündner, und beschloß, den Sohn zu opfern. Daher schwang er, als dieser vor ihn trat, das Richtschwert und schlug ihm das Haupt ab. Zwei weiße Ströme Milch sprangen statt des Blutes zur Decke, und dem Scharfrichter entsank das Schwert.

Die zwei andern fliegenden Knaben, als sie das gesehen, hoben sich auf und davon, und niemand hat sie jemals wieder erblickt, und so kam keine Aufklärung über den tiefrätselhaften Vorfall zutage. Er ward vergessen, verklang zur Sage, und nur der Brunnen, wo das alte Weib die Knaben besprengt, heißt von jener Zeit an der Hexenbrunnen.

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764. Das graue Männchen

764. Das graue Männchen

In der Mitte des vorigen Jahrhunderts sind einmal unterschiedliche boineburgische Jäger an einem nassen Herbsttage auf dem Burgberge zusammengekommen und haben Schutz vor dem Regen in der Trümmer des alten Schlosses gesucht. Da fanden sie ein altes kleines graues Männlein mit schneeweißem Haar sinnend auf Moos und Steinen sitzen. Sie redeten es an, fragten es dies und das, allein das Männlein gab ihnen keine Antwort. Darüber wurden die Jäger böse und gaben dem Männlein einige Schläge, aber es verzog darob keine Miene, weder zum Lächeln, noch zum Schmerz, es blieb sein Antlitz still und kalt und sein Mund geschlossen. Da banden sie das Männlein mit Hundeleinen und führten es also gefesselt herab zu ihrem Herrn nach Reichensachsen, da sollte es, meinten sie, schon Rede und Antwort geben, allein es tat dies ebensowenig als droben. Es nickte nicht und schüttelte nicht, es öffnete nicht den Mund, es deutete auch keinen Wunsch an, rührte auch nicht an Trank und Speise, achtete keiner Freundlichkeit und keines Zürnens. Nun dachten die Herren, die Zeit werde es schon mürbe machen, sperrten es in ein wohlverwahrtes Gemach, ließen dieses zum Überfluß von außen bewachen, aber am andern Morgen – andere sagen, nach drei Tagen – da war das Männlein verschwunden, hatte aber zum Andenken ein Vergißmeinnicht auf den Tisch gesetzt, das jenem Veilchen täuschend ähnlich sah, welches ein gewisser Hofnarr zu Meißen unter den Hut des Hofmeisters legte, der über das erste gefundene Veilchen gedeckt war; als welche sonderbare Historie im Treppenhause des Meißner Schlosses in Stein gehauen zu erblicken ist.

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765. Der letzte Trauerritter

765. Der letzte Trauerritter

Vor alters und bis in die jüngere Zeit war es Brauch im Hessenlande und auch anderswo, daß, wenn ein Fürst und Landesherr gestorben war, ein vom Kopf zum Fuß Geharnischter in schwarzer Rüstung auf schwarzgepanzertem Roß dem Sarg zu allernächst beim Leichenzuge folgen mußte; solchen Ritter nannte man den Trauerritter, und es ging die Sage, daß der, den solches Nachreiten träfe, noch selben Jahres dem Fürsten nachfolge in das Schattenreich, wie er ihm lebend nachgefolgt hinab in die dunkle Gruft. Da nun Kurfürst Wilhelm I. zu Hessen 1821 verstorben war, wurde ein junger Herr von Eschwege dazu bestimmt, als Trauerritter den Sarg zu geleiten.

Herr Ludwig von Eschwege, ein vollkräftiger, stattlicher, blühend schöner Mann, der in den Jahren 1811 bis 1813 in Dreißigacker Forstwissenschaft studiert hatte und seinen Hieber wacker führte, eignete sich vollkommen zu dieser Rolle – aber die Seinen drückte die Sage, sie warnten, sie rieten ab – doch der ritterliche junge Mann konnte und wollte sich nicht dem letzten Ehrendienst entziehen, den er seinem Fürsten und Herrn erweisen sollte. Er folgte im vollen Harnisch zu Roß dem Leichenwagen, er folgte dem Sarge nach in die kühle Gruft. Aber auch an ihm bewährte die Sage ihr Recht – nach wenigen Tagen war Herr Ludwig von Eschwege eine Leiche. Da stellte der Nachfolger des verstorbenen Kurfürsten den alten Hofbrauch ab, und seitdem folgt kein Ritter im schwarzen Harnisch mehr dem Sarge des Landesherrn.

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766. Des Frankenlandes Apostel

766. Des Frankenlandes Apostel

Als der berühmte Bischof Remigius nach einem Siege des großen Westfrankenherrschers Chlodio dessen Schwester Albofledis und mit ihr dreitausend Franken dem Christentume gewonnen und getauft hatte und zu ihnen die Worte gesprochen: Betet an, was ihr zuvor verbrannt habt, und verbrennt, was ihr zuvor angebetet habt – da drangen auch nach dem Ostfrankenreiche die Strahlen des neuen Glaubens.

Zu jenen Zeiten wurde mehr und mehr in Schottland, Irland und England ein rühmlicher Eifer rege, die Heiden zum Christentum zu bekehren, und es wurden aus der Geistlichkeit der dortigen Klöster fromme und gottbegeisterte Männer gewählt, die unter dem Namen Regionarii als Missionare den Christenglauben zu den Heiden aller Lande zu tragen bemüht waren. So fuhr denn auch ein als Regionär geweihter Bischof namens Killena (Kilian) mit noch eilf andern Gefährten im Jahr 685 auf das Festland herüber, um den deutschen Heiden das Evangelium zu predigen, zu welchem Amte sie in Rom Auftrag und Bestätigung einholten. Nachdem die Bekehrer sich in verschiedene Regionen verteilt, blieben bei Kilian der Priester Kolonat und der Diakon Totnan und pilgerten in das Frankenland, wo Kilians frommer Wandel nicht minder wie seine feurige Beredsamkeit ihm bald Jünger und Anhänger zuführte. Damals herrschte über Franken im Namen des fernen Frankenkönigs Herzog Gozbert, ein Sohn Hetans, welcher beschloß, den Apostel an seinen Hof zu berufen und dessen Lehre zu vernehmen. Herzog Gozbert hatte seine Residenz auf dem Berge über Würzburg, wo der Sage nach ein römischer Dianentempel stand. Kilian und seine Gefährten aber hatten ihren Wohnsitz in dem rauhen Rhöngebirge aufgeschlagen und dort auf dem höchsten Berge das Zeichen der neuen Lehre und des neuen Bundes, das heilige Kreuz, errichtet. Davon zeugen noch im Frankenlande die vielen, allerwärts vorkommenden Kiliansberge und Kilianskuppen, sowie vornehmlich der Hochgipfel der Rhön, der heilige Kreuzberg. Doch vergingen Jahrhunderte, bevor dieser Berg seinen jetzigen Namen empfing. Aschberg nannte ihn das Volk, und nicht unmöglich wäre es, daß er als Asenberg in der Heidenzeit der germanischen Frühe schon den Umwohnern zu ihrem einfachen Naturtempeldienst, gleich andern Hochwarten deutscher Gebirge, heilig gewesen. Als das Jahr, in welchem St. Kilian mit seinen Genossen in diesen Gegenden erschien, wird 668 angegeben. Sie fanden am Fuße des Berges friedliche Ansiedler, welche die Fremden, die kamen, um das zu bekehrende Land zu überschauen und kennenzulernen, gastlich aufnahmen und mit offenen Gemütern den Verkündigungen lauschten, welche die heiligen Männer ihnen brachten. Bald strömten Hörer ihrer Lehre aus den Nachbargauen herbei, und das Christentum begann Wurzel zu schlagen. Und als die Gottesmänner in Würzburg den Märtyrertod erlitten hatten, als das Heidentum den jungen Baum der Christuslehre dort wieder mächtig überwucherte, soll in den Wäldern und Hainen um den Kreuzberg sich die neue Christengemeinde heimlich zusammengefunden und dem Heiland unter einem Kreuze da gedient haben, wo jetzt die Wallfahrtkirche steht. Noch wird der Kilianshof am Fuße des Kreuzberges als die Stätte genannt, die dem Heiligen ein schirmendes Obdach verlieh; noch zeigt man den Kilianskopf, darauf er gepredigt, und den Heilbronn, daraus er die Heiden getauft haben soll.

Nahe am Kreuzberge liegt, von drei Seiten von hohen Bergen umschlossen, das uralte Städtchen Bischofsheim. Als der heilige Kilian mit seinen Gefährten das Christentum in diese rauhen Gefilde brachte, fand er der Sage nach zuerst hier sichern Aufenthalt und friedliches Obdach. Darum wurde das Haus jener Ansiedler, die den hohen Fremdling beherbergten, das Bischofshaus genannt, und als die Zahl der Häuser zu einem Orte anwuchs, empfing dieser den Namen Bischofsheim. Auch in späterer Zeit genoß Bischofsheim rühmlicher Auszeichnung dadurch, daß Lioba, die fromme Schwester des heiligen Bonifazius, sich von ihrem Aufenthaltsort Kissingen dorthin begab und eine Zeitlang dort wohnte. Vom Altertum des Städtchens, das schon im Jahre 1270 ummauert war, zeugt noch ein Turm im byzantinischen Baustil am königlichen Rentamt, der wohl früher als Kirchturm und Warte zugleich diente.

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767. Die Moorjungfrauen

767. Die Moorjungfrauen

Auf dem Rücken der hohen Rhön, da wo jetzt das rote und das schwarze Moor ihre weiten und grundlosen Sumpfstrecken breiten, standen vor alten Zeiten zwei Dörfer; das auf dem roten Moor hieß Poppenrode und versank infolge lasterhaften Lebens seiner Bewohner oder eines über diese ausgesprochenen Fluches. Das auf dem schwarzen Moor hieß Moor, ging auf ähnliche Weise unter, und nichts ist mehr davon übrig als eine Art basaltischen Pflasters, das die Rhönbewohner unter dem Namen der steinernen Brücke kennen, und die altermorsche Moorlinde, die man als die Dorflinde des versunkenen Dorfes betrachtet. Früher häufiger als jetzt zeigten sich auf beiden Mooren die Moorjungfrauen des Nachts in Gestalt glänzender Lichterscheinungen; sie schweben und flattern über die Stätte ihres ehemaligen Wohnplatzes. Oft kamen auch ihrer zwei oder drei nach Wüstensachsen und mischten sich unter die Kirchweihtänze, sangen auch wohl gar lieblich, blieben aber nie über die zwölfte Stunde, sondern wenn die Zeit ihres Bleibens herum war, so kam jedesmal eine weiße Taube geflogen, der sie folgten; sie wandelten singend zum nächsten Berg hinein und entschwanden so den Augen der Nachblickenden oder neugierig Nachfolgenden. Auch ist das rote Moor der Gegend ein Wetterprophet. Wenn in der Frühe ein kleiner Dunst darüberschwebt, so gibt es keinen schönen Tag; ist der Dunst stärker, so wird schlechtes Wetter, raucht gar das Moor, so kommen Regen, Schloßen und Gewitter; tobt es aber und werfen die schlammigen Moorwässer Wellen, dann sind Stürme, Orkane und sogar Erdbeben zu fürchten.

Aus dem versunkenen Dorfe Poppenrode, so geht auch noch die Sage, waren nur zwei tugendhafte Mädchen übriggeblieben, die vom Strafgerichte Gottes verschont wurden. Einst aber gingen auch sie zum Tanze und sanken in den Arm sündiger Weltlust, da kamen sie plötzlich hinweg. Eifrig suchten nach den Schönen ihre erkornen Jünglinge, aber lange vergebens, bis ihnen ein lichtgrauer Mann erschien, der sprach: Euer Suchen ist all vergebens; nehmt aber eine Rute, schlagt mit ihr auf das rote Moor und besehet sie dann. Dieses taten die Jünglinge, und siehe, von der Rute floß Blut ab, zum Wahrzeichen, daß sie die schönen Tänzerinnen nie wiedersehen würden.

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768. Sankt Gangolf und die Milseburg

768. Sankt Gangolf und die Milseburg

Die Milseburg ist ein mächtiger Klingsteinberg der Rhön, den man in weiter Ferne mit seiner eigentümlichen Form über seine Nachbarberge emporragen sieht. Diese Form gleicht einem der hochgetürmten Heuwagen, welche im Juni so zahlreich von den grasreichen Flächen des Hochgebirges in die näheren und ferneren Talorte fahren, und heißt deshalb das Heufuder. Er gleicht aber auch einem Sarge und wird darum vom Volk die Totenlade genannt. Gleich andern Hochgipfeln dient der Berg den Umwohnern als Wetterprophet, und diese sagen stets richtig Regenwetter voraus, wenn die Milseburg raucht oder, nach dem Ausdruck des gemeinen Mannes, Klöße kocht. Viele Heilkräuter und sonstige seltene Pflanzen wachsen auf diesem Berge, und viele Sagen gehen von ihm im Munde des Volkes um. Daß aber der Berg eigentlich Melusinenberg heiße, wie einige geschrieben haben, ist ein ersonnen Märlein und ein Diftlerlug; das Rhöngebirg kennt keine Melusine, und Melusine war eine Wasserfeine, keine Bergidise oder Waldividie. Da der heilige Gangolfus diesen Berg zum Lieblingsaufenthalt erwählt haben soll, so heißt er aüch der Gangolfsberg, und es wurde die auf seiner Höhe stehende kleine Wallfahrtkapelle, welche im Jahre 1493 erbaut sein soll, diesem Heiligen geweiht. Vor langen Zeiten stand auf der Höhe des Berges eine Ritterburg, bewohnt von wilden Raubgesellen, die auf dem von der Natur durch fast unersteigliche Klippen geschirmten Felsenhorst lange ungestraft ihre Untaten zum Schrecken der ganzen Gegend verübten. Wer diese Burg erbaute, und wann sie zuerst erbaut wurde, weiß niemand zu sagen. Der heilige Gangolf brachte auch einen gar schönen, frischen und heilkräftigen Quellbrunnen auf die Milseburg, und es trug sich damit gerade so wunderbarlich zu wie mit dem Grafen Gangolf in Languedoc, so daß die Sage jenes Landes hier am hohen felsreichen Rhöngebirge ein treu erwiderndes Echo gefunden hat. Auf der Milseburg befindet sich auch des heiligen Gangolfs Keller, aber an welcher Stelle, weiß niemand zu sagen. Er ist voll großer Schätze, aber verwunschen und verschlossen. Keiner weiß ihn zu finden. Einst war eine alte Frau so glücklich, mittelst einer Schlüsselblume, die sie zufällig pflückte, diesen Keller zu entdecken. Sie sah ihn plötzlich offenstehen, doch ging sie nicht hinein, denn es kam ihr ein Grauen an, und sie ging von dannen, andern anzusagen, was ihr begegnet war, und was sie gesehen hatte. Alle, welche die Mär hörten, verwunderten sich, und viele folgten der Alten an den Ort, aber da war der Keller wieder verschwunden, und nimmermehr fand die Alte jene Stelle wieder.

Aber nicht allein auf der Milseburg hat Sankt Gangolf seine geweihten Stätten, zwischen Hildenburg und Oberelsbach liegt der Gangolfsberg mit den Trümmern des Gangolfsklosters unter einer natürlichen Felsengrotte, welche auch der Gangolssbergkeller heißt. Auch dieses Kloster wurde im Bauernkriege zerstört. Nicht weit davon ist die Teufelskirche oder das steinerne Haus, über dem Dörfchen Ginolfs bei Weißbach gelegen. Es stellt sich hier eine Basaltzertrümmerung in höchst malerisch übereinander aufgehäuften Säulen in großer Regelmäßigkeit des fünf- und sechskantigen Gesteins dar, das bis zu vierzig Fuß hoch aufgestapelt ist. Davon meldet die Sage des Volks: Einst wollte man drunten im Tale eine Kirche erbauen und fuhr fleißig Steine zu dem Bauplatz hin. Darüber erzürnte sich der Teufel mächtiglich und trug jede Nacht ebenso viele Steine vom Platz hinweg und auf diese Berghöhe, wo er sie also neben- und ineinanderschichtete, daß man keinen davon hinwegnehmen konnte, und kein Mensch vermochte die Steine wieder herunterzuschaffen. Man spricht insgemein, daß da, wo der Teufel seinen Stein hinlege,es vergeblich sei, diesen hinwegzunehmen, denn sooft das auch geschehe, ebenso oft lege der Teufel denselben Stein oder einen andern an die nämliche Stelle.

Wo aber der Teufel sich also eingenistet, daß er, wie hier, sogar eine Kirche hat, da hat er auch, wie auf dem Harz und dem Thüringerwalde, insgemein noch sonstige Besitztümer und Errungenschaften, so auch auf dem Rhöngebirge, von denen manche Sagen gehen.

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76. Die glühenden Kohlen

76. Die glühenden Kohlen

Im Städtchen Lorch am Rhein, da, wo die Wisper in den Strom fällt, steht an der Stadtmauer auch eine Mühle, deren Räder die raschen Wellen der Wisper treiben. Einer Nacht erwachte die Magd in dieser Mühle sehr früh, es war ganz hell, und sie meinte schon, sich verschlafen zu haben, und eilte, das Feuer in der Küche zu schüren. Da gewahrte sie, wie sie durch das Küchenfenster in den Hof hinabsah, einen Haufen glühender Kohlen und ging eilend hinab, um davon um so schneller für ihr Herdfeuer Brand zu gewinnen. Drunten lagen um das Kohlenfeuer einige ihr unbekannte fremde Männer, sie aber fuhr, ohne sich an diese Männer zu kehren, mit ihrer Schaufel in die Kohlen hinein und kehrte mit der Schaufel voll in das Haus zurück. Aber als sie die Kohlen auf den Herd schüttete, so glühten sie nicht mehr, sondern waren erloschen. Sofort lief die Magd noch einmal hinaus und holte wieder eine Schaufel voll – es ging aber gerade wie beim ersten, die Kohlen waren tot. Und nochmals rannte die geschäftige Magd hinaus, da sprach einer der Männer mit tiefer Stimme: Du, höre, dieses ist das letzte Mal! – Die Magd erschrak, und befiel sie ein Bangen, doch sprach sie kein Wort und eilte nur, daß sie wieder an ihren Herd kam. Aber die Kohlen waren abermals erloschen – und jetzt hob die Turmuhr auf der Stadtkirche aus und schlug – und die Magd horchte und wollte gern wissen, wie früh es wäre, und zählte drei – vier – sechs– sieben – so spät könnt‘ es doch noch nicht sein – acht – neun – was ist das? – und die Uhrglock‘ schlug immer zu, und schlug Zwölf – und im Hof verschwand das Kohlenfeuer, verschwanden die Männer. Der Magd gruselte fürchterlich – sie eilte in ihre Bettkammer, kroch tief unter die Decke und betete so viele Seufzerlein und Reimgebetlein, als sie konnte und wußte. Am Morgen verschlief sie sich in aller Form, und statt ihrer trat der Müller zuerst in die Küche, der traute seinen Augen kaum, als er auf dem Herd statt glühender Kohlen einen Haufen glitzender Goldstücke liegen sah, nahm den Schatz und erbaute sich davon ein neues Haus zu Lorch, gab auch der Magd ihren guten Anteil vom durch sie gewonnenen Reichtum.

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769. Teufelsbauten im Rhöngebirge

769. Teufelsbauten im Rhöngebirge

Als der Teufel sah, daß man auf der Milseburg eine Kirche baute, verhieß er einem Bewohner der Gegend, auf einem Nachbarberg ein Wirtshaus zu erbauen, und dieser gelobte ihm sich und seine Seele, wenn er das Wirtshaus nur einen Tag eher vollende als die Kirche. Da aber beim Bau des Milseburgkirchleins der heilige Gangolfus selbst behülflich war und auf dessen Gebet die Steine sich schneller fügten wie auf des Teufels Flüche, so wurde das Kirchlein fertig, eben als der Teufel mit dem letzten Stein durch die Lüfte geflogen kam. Kaum sah er, daß er seine Wette und obendrein eine Seele verloren hatte, so schleuderte er den mächtigen Felsstein auf das Wirtshaus herab und zertrümmerte seinen ganzen Bau, der noch also zu sehen ist. Die Felsen liegen übereinander her wie gespaltene Eichstämme in einem Holzhaufen.

Der Teufelswand, auch Steinwand, wird ähnlicher Ursprung zugeschrieben. An ihr stehen Säulen von Basalt achtzig bis neunzig Fuß hoch senkrecht empor, und sie gleicht einer großen alten Mauer. Dort finden sich auch die Teufelskanzel und seiner Großmutter Milchkammer, Felsenbildungen eigentümlicher Form, und ungeheuere Trümmermassen, mit basaltischem Gerölle durchmischt, verkündigen die unheimliche Einöde, in deren Schöße die Tradition gern den einst so fest geglaubten Feind des Menschengeschlechts heimisch sein läßt.

Eine Stunde von Bischofsheim liegt in einer schauerlichen Gebirgsschlucht an einem Bergbach, der sich zwischen dem Holzberg und Bauernberge über eine achtzig Fuß hohe Felswand als Kaskade herabstürzt und das Schwarzbacher Wasser bildet, ein mehrere Schuh tiefes Felsenbecken, die Teufelsmühle. In demselben werden oft große Steine bei angeschwollener Flut malmend und unter wildem Strudeln und Wirbeln umgetrieben. Man will bei Gewittern oft einen schwarzen riesenhaft gebauten Mann geschäftig die Felswand auf- und abklimmen und in wilden Sprüngen um seine Mühle rennend gesehen haben.

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770. Muttergottesbild am Fels

770. Muttergottesbild am Fels

Wenn man unten von der Tanzwiese und dem Hof, der denselben Namen führt, zu den schroffen und steilen Felsklippen der Milseburg emporsteigt, wo seltene Blumen und Kräuter wachsen, so führt ein schmaler und steiniger Pfad zum Gipfel, welcher Pfad der Kirchweg heißt. Dem Wanderer zur Linken steht auf diesem Pfade, ganz nahe dem Weg, frank und frei auf einem Felsblock ein kleines, farbig angemaltes steinernes Muttergottesbild, den Heiland im Schoß und mit Perlen und Kränzen von frommen Händen geschmückt, aber allem Ungetüm der Witterung auf dieser rauhen Höhe ausgesetzt. Einst gedachten einige Gläubige, dieses Bild besser zu schützen, damit es nicht Schaden leide vom Sturm und Wetter, und wölbten nur wenige Schritte von der Stelle, wo das Bild stand, aber zur rechten Hand des Felsenpfades eine schützende Nische. In diese trugen sie mit Andacht das kleine Bildnis. Allein am andern Tage, als sie nachsahen, stand es wieder an seiner vorigen Stelle. Dies geschah dreimal nacheinander; dreimal wurde das Bild in die Nische getragen, dreimal kehrte es auf den vorigen Stand zurück. Da ließ man dasselbe ferner unangetastet. Das Bild ist noch gar nicht so alt; es ist an seinem Fuße die Jahrzahl 1664 nebst dem Namen GEORG STEPLING zu lesen. Mächtig schützt der Segen der göttlichen Jungfrau den Ort und die Waller zur Höhe. Obgleich an gewissen heiligen Tagen Tausende diese steilen und zerklüfteten Klippen und Schluchten besteigen und beklettern, noch von keinem hat man gehört, daß er einen gefährlichen Fall getan und an seinem Leibe zu Schaden gekommen sei. Und noch heute sitzt die gute Jesusmutter am Felsenwege zur Kapelle unter einem kleinen Schirmdache frei und offen da, und noch nie ist von ihrem Schmuck auch nur das mindeste entwendet worden.

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