Der Schmied von Jüterbogk

Ludwig Bechstein

Der Schmied von Jüterbogk

Im Städtlein Jüterbogk hat einmal ein Schmied gelebt, von dem erzählen sich Kinder und Alte ein wundersames Märlein. Es war dieser Schmied erst ein junger Bursche, der einen sehr strengen Vater hatte, aber treulich Gottes Gebote hielt. Er tat große Reisen und erlebte viele Abenteuer, dabei war er in seiner Kunst über alle Maßen geschickt und tüchtig. Er hatte eine Stahltinktur, die jeden Harnisch und Panzer undurchdringlich machte, welcher damit bestrichen wurde, und gesellte sich dem Heere Kaiser Friedrichs II. zu, wo er kaiserlicher Rüstmeister wurde und den Kriegszug nach Mailand und Apulien mitmachte. Dort eroberte er den Heer- und Bannerwagen der Stadt und kehrte endlich, nachdem der Kaiser gestorben war, mit vielem Reichtum in seine Heimat zurück. Er sah gute Tage, dann wieder böse und wurde über hundert Jahre alt. Einst saß er in seinem Garten unter einem alten Birnbaum, da kam ein graues Männlein auf einem Esel geritten, das sich schon mehrmals als des Schmiedes Schutzgeist bewiesen hatte. Dieses Männchen herbergte bei dem Schmied und ließ den Esel beschlagen, was jener gern tat, ohne Lohn zu heischen. Darauf sagte das Männlein zu Peter, er solle drei Wünsche tun, aber dabei das Beste nicht vergessen. Da wünschte der Schmied, weil die Diebe ihm oft die Birnen gestohlen, es solle keiner, der auf den Bimbaum gestiegen, ohne seinen Willen wieder herunter können – und weil er auch in der Stube öfters bestohlen worden war, so wünschte er, es solle niemand ohne seine Erlaubnis in die Stube kommen können, es wäre denn durch das Schlüsselloch. Und dann tat der Schmied den dritten Wunsch, sagend: »Das Beste ist ein guter Schnaps, so wünsche ich, daß diese Bulle niemals leer werde!«

»Deine Wünsche sind gewährt«, sprach das Männchen, strich noch über einige Stangen Eisen, die in der Schmiede lagen, mit der Hand, setzte sich auf seinen Esel und ritt von dannen. Das Eisen war in blankes Silber verwandelt.

Der vorher arm gewordene Schmied war wieder reich und lebte fort und fort bei gutem Wohlsein, denn die nie versiegenden Magentropfen in der Bulle waren, ohne daß er es wußte, ein Lebenselixier. Endlich klopfte der Tod an, der ihn so lange vergessen zu haben schien; der Schmied war scheinbar auch gern bereitwillig, mit ihm zu gehen, und bat nur, ihm ein kleines Labsal zu vergönnen und ein paar Birnen von dem Baum zu holen, den er nicht selbst mehr besteigen könne aus großer Altersschwäche. Der Tod stieg auf den Baum, und der Schmied sprach: »Bleib droben!« denn er hatte Lust, noch länger zu leben. Der Tod fraß alle Birnen vom Baum, dann gingen seine Fasten an, und vor Hunger verzehrte er sich selbst mit Haut und Haar, daher er jetzt nur noch so ein scheulich dürres Gerippe ist. Auf Erden aber starb niemand mehr, weder Mensch noch Tier, darüber entstand viel Unheil, und endlich ging der Schmied hin zu dem klappernden Tod und akkordierte mit ihm, daß er ihn fürder in Ruhe lasse, dann ließ er ihn los. Wütend floh der Tod von dannen und begann nun auf Erden aufzuräumen.

Da er sich an dem Schmied nicht rächen konnte, so hetzte er ihm den Teufel auf den Hals, daß dieser ihn hole. Dieser machte sich flugs auf den Weg, aber der pfiffige Schmied roch den Schwefel voraus, schloß seine Türe zu, hielt mit den Gesellen einen ledernen Sack an das Schlüsselloch, und wie Herr Urian hindurch fuhr, da er nicht anders in die Schmiede konnte, wurde der Sack zugebunden, zum Amboß getragen, und nun wurde ganz unbarrnherziglich mit den schwersten Hämmern auf den Teufel losgepocht, daß ihm Hören und Sehen verging, er ganz mürbe wurde und das Wiederkommen auf immer verschwur.

Nun lebte der Schmied noch gar lange Zeit in Ruhe, bis er, wie alle Freunde und Bekannte ihm gestorben waren, des Erdenlebens satt und müde wurde. Machte sich deshalb auf den Weg und ging nach dem Himmel, wo er bescheidentlich am Tore anklopfte. Da schaute der heilige Petrus herfür, und Peter der Schmied erkannte in ihm seinen Schutzpatron und Schutzgeist, der ihn oft aus Not und Gefahr sichtbarlich errettet und ihm zuletzt die drei Wünsche gewährt hatte. Jetzt aber sprach Petrus: »Hebe dich weg, der Himmel bleibt dir verschlossen; du hast das Beste zu erbitten vergessen: die Seligkeit!«

Auf diesen Bescheid wandte sich Peter und gedachte, sein Heil in der Hölle zu versuchen, und wanderte wieder abwärts, fand auch bald den rechten, breiten und vielbegangenen Weg. Wie aber der Teufel erführ, daß der Schmied von Jüterbogk im Anzuge sei, schlug er das Höllentor ihm vor der Nase zu und setzte die Hölle gegen ihn in Verteidigungsstand. Da nun der Schmied von Jüterbogk weder im Himmel noch in der Hölle seine Zuflucht fand, und auf Erden es ihm nimmer gefallen wollte, so ist er hinab in den Kyffiläuser gegangen zu Kaiser Friedrichen, dem er einst gedient. Der alte Kaiser, sein Herr, freute sich, als er seinen Rüstmeister Peter kommen sah und fragte ihn gleich, ob die Raben noch um den Iurm der Burgruine Kyffhausen flögen? Und als Peter das bejahte, so seufzte der Rotbart. Der Schmied aber blieb im Berge, wo er des Kaisers Handpferd und die Pferde der Prinzessin und die der reitenden Fräulein beschlägt, bis des Kaisers Erlösungsstunde auch ihm schlagen wird.

Und das wird geschehen nach dem Munde der Sage, wenn dereinst die Raben nicht mehr um den Berg fliegen, und auf dem Ratsfeld nahe dem Kyffhäuser ein alter dürrer abgestorbener Birnbaum wieder ausschlägt, grünt und blüht. Dann tritt der Kaiser hervor mit all seinen Wappnern, schlägt die große Schlacht der Befreiung und hängt seinen Schild an den wieder grünen Baum. Hierauf geht er ein mit seinem Gesinde zu der ewigen Ruhe.

Der Richter und der Teufel

Ludwig Bechstein

Der Richter und der Teufel

In einer Stadt saß ein Mann, der hatte alle Kisten voll Geld und Gut, er selbst aber war voll aller Laster, so schlimm war er, daß es die Leute schier Wunders dünkte, daß ihn die Erde nicht verschlang. Dieser Mann war noch dazu ein Richter, das heißt ein Richter, der aller Ungerechtigkeit voll war. An einem Markttage ritt er des Morgens aus, seinen schönen Weingarten zu sehen, da trat der Teufel auf dem Heimweg ihn an, in reichen Kleidern und wie ein gar vornehmer Herr gestaltet. Da der Richter nicht wußte, wer dieser Fremdling war, und solches doch gern wissen mochte, so fragte er ihn nicht eben höflich, wer und von wannen er sei. Der Teufel antwortete: »Euch ist besser, wenn Ihr’s nicht wisset, wer und woher ich bin!«

»Hoho!« fuhr der Richter heraus, »seid wer Ihr wollt, so muß ich’s wissen, oder Ihr seid verloren, denn ich bin der Mann, der hier Gewalt hat, und wenn ich Euch dies und das zu Leide tue, so ist niemand, der es mir wehren wird und kann. Ich nehm Euch Leib und Gut, wenn Ihr mir nicht auf meine Frage Bescheid gebt!«

»Steht es so schlimm«, antwortete der Arge, »so muß ich Euch wohl meinen Namen und mein Gekommen offenbaren; ich bin der Teufel.«

»Hm!« brummte der Richter, »und was ist hier deines Gewerbes, das will ich auch wissen?«

»Schau, Herr Richter«, antwortete der Böse, »mir ist Macht gegeben, heute in diese Stadt zu gehen und das zu nehmen, was mir in vollem Ernst gegeben wird.«

»Wohlan!« versetzte der Richter, »tue also, aber laß mich dessen Zeuge sein, daß ich sehe, was man dir geben wird!«

»Fordre das nicht, dabei zu sein, wenn ich nehme, was mir beschieden wird«, widerriet der Teufel dem Richter; dieser aber hub an, den Fürsten der Hölle mit mächtigen Bannworten zu beschwören, und sprach: »Ich gebiete und befehle dir bei Gott und allen Gottes Geboten, bei Gottes Gewalt und Göttes Zorn, und bei allem, was dich und deine Genossen bindet, und bei dem ewigen Gerichte Gottes, daß du vor meinem Angesicht, und anders nicht, nehmest, was man dir ernstlich geben wird.«

Der Teufel erschrak, daß er zitterte bei diesen fürchterlichen Worten, und machte ein ganz verdrießliches Gesicht, sprach auch: »Ei, so wollte ich, daß ich das Leben nicht hätte! Du bindest mich mit einem so starken Band, daß ich kaum jemals in größerer Klemme war. Ich gebe dir aber mein Wort als Fürst der Hölle, das ich als solcher niemals breche, daß es dir nicht zum Frommen dient, wenn du auf deinem Sinn bestehst. Stehe ab davon!«

»Nein, ich stehe nicht ab davon!« rief der Richter. »Was mir auch darum geschehe, das muß ich über mich ergehen lassen; ich will jenes nun einmal sehen! Und sollt es mir an das Leben gehn!«

Nun gingen beide, der Richter und der Teufel, miteinander auf den Markt, wo gerade Markttag war, daher viel Volks versammelt, und überall bot man dem Richter und seinem Begleiter, von dem niemand wußte, wer er sei, volle Becher und hieß sie Bescheid tun. Der Richter tat das auch nach seiner Gewohnheit und reichte auch dem Teufel eine Kanne, dieser aber nahm den Trunk nicht an, weil er wohl wußte, daß es des Richters Ernst nicht war.

Nun geschah es von ungefähr, daß eine Frau ein Schwein daher trieb, welches nicht nach ihrem Willen ging, sondern die Kreuz die Quere, da schrie die zornige Frau im höchsten Arger dem Schwein zu: »Ei, so geh zum Teufel, daß dich der mit Haut und Haar hole!«

»Hörst du, Geselle?« rief der Richter dem Teufel zu. »Jetzt greife hin und nimm das Schwein.« Aber der Teufel antwortete: »Es ist leider der Frau nicht Ernst mit ihrem Wort. Sie würde ein ganzes Jahr lang trauern und sich grämen, nähme ich ihr das Schwein. Nur was mir im Ernste gegeben wird, das darf ich nehmen.«

Ähnliches geschah bald hernach mit einer Frau und einem Kind. Das letztere ging auch nicht so, wie die Frau es lenken wollte, so daß sie auch zu schreien begann: »Hole dich der Teufel, und drehe dir den Hals um!«

»Hörst du, Geselle?« fragte da wieder der Richter. »Das Kind ist dein, hörst du nicht, daß man es dir ernstlich gibt?«

»O nein, es ist auch nicht ihr Ernst!« antwortete der Teufel. »Sie würde bitterlich wehklagen, nähme ich sie beim Wort, und das Kind nicht fahren lassen.«

Jetzt sahen beide eine Frau, die hatte viel mit einem Kinde zu schaffen, welches heftig schrie und sich sehr unartig gebärdete, sodaß die Frau voll Unwillens war und ausrief: »Willst du mir nicht folgen, so nehme dich der böse Feind, du Balg!«

»Nun, nimmst du auch nicht das Kind?« fragte der Richter ganz verwundert, und der Teufel antwortete: »Ich habe des keine Macht, das Kindlein zu nehmen. Diese Frau nähme nicht zehn, nicht hundert und nicht tausend Pfund und gönnte mir im Ernst das Kind; wie gern ich’s auch nähme, darf ich doch nicht, denn es ist nicht der Frau rechter Ernst.«

Nun kamen die beiden recht mitten auf den Markt, wo das dichteste Volksgedränge war, da mußten sie ein wenig stille stehen und konnten nicht durch das Gewimmel und Getümmel schreiten. Da wurde eine Frau des Richters ansichtig, die war arm und alt und krank und trug ein großes Ungemach; sie begann laut zu weinen und zu schreien und ließ vor allem Volk folgende heftige Rede vernehmen: »Weh über dich, Richter! Weh über dich, daß du so reich bis und ich so arm bin; du hast mir ohne Schuld, göttliche und menschliche Barmherzigkeit verleugnend, mein einziges Kühlein genommen, das mich ernährte, von dem ich meinen ganzen Unterhalt hatte. Weh über dich, der du es mir genommen hast! Ich flehe und schreie zu Gott, daß er durch seinen Tod und bitteres Leiden, die er für die Menschheit und für uns arme Sünder trug, meine Bitte gewähre, und die ist, daß deinen Leib und deine Seele der Teufel zur Hölle führe!«

Auf diese Rede tat der Richter weder Sage noch Frage, aber der Teufel fuhr ihn höhnisch an und sprach: »Siehst du, Richter, das ist Ernst, und den sollst du gleich gewahr werden!« Damit streckte der Teufel seine Krallen aus, nahm den Richter beim Schopf und fuhr mit ihm durch die Lüfte von dannen, wie der Geier mit einem Huhn. Alles Volk erschrak und staunte, und weise Männer sprachen die Lehre aus:

 	»Es ist ein unweiser Rat, 	Der mit dem Teufel umgaht. 	Wer gern mit ihm umfährt, 	Dem wird ein böser Lohn beschert.«

Der Müller und die Nixe

Ludwig Bechstein

Der Müller und die Nixe

Es war einmal ein Müller, der war reich an Geld und Gut und führte mit seiner Frau ein vergnügtes Leben. Aber Unglück kommt über Nacht; der Müller wurde arm und konnte zuletzt kaum noch die Mühle, in der er saß, sein eigen nennen. Da ging er des Tages voll Kummer umher, und wenn er abends sich niederlegte, fand er keine Ruhe, sondern verwachte die ganze Nacht in traurigen Gedanken.

Eines Morgens stand er früh vor Tage auf und ging ins Freie; er dachte es sollte ihm leichter ums Herz werden.

Als er nun auf dem Damme an seinem Mühlteiche sorgenvoll auf und nieder ging, hörte er es auf einmal in dem Weiher rauschen, und als er hinsah, da stieg eine weiße Frau daraus empor. Da erkannte er, daß es die Nixe des Weihers sein müsse und vor großer Furcht wußte er nicht, ob er davon gehen, oder stehen bleiben sollte. Indem er so zauderte, erhob die Nixe ihre Stimme, nannte ihn bei Namen und fragte ihn, warum er so traurig wäre? Als der Müller die freundlichen Worte hörte, faßte er sich ein Herz und erzählte ihr, wie er sonst so reich und glückselig gewesen wäre und jetzt sei er so arm, daß er sich vor Not und Sorgen nicht zu raten wisse. Da redete ihm die Nixe mit tröstlichen Worten zu und versprach ihm, sie wolle ihn noch reicher machen, als er je gewesen sei, wenn er ihr dagegen das gebe, was eben in seinem Hause jung geworden sei.

Der Müller dachte, sie wolle ein Junges von seinem Hunde oder seiner Katze haben, sagte ihr also zu, was sie verlangte, und eilte guten Mutes nach seiner Mühle. Aus der Haustür trat ihm seine Magd mit freudiger Geberde entgegen und rief ihm zu, seine Frau habe soeben einen Knaben geboren. Da stand nun der Müller und konnte sich über die Geburt seines Kindes, die er nicht so bald erwartet hatte, nicht freuen. Traurig ging er ins Haus und erzählte seiner Frau und seinen Verwandten, die herbei kamen, was er der Nixe gelobt hatte. „Mag doch alles Glück, das sie mir versprochen hat, verfliegen“, sprach er, „wenn ich nur mein Kind retten kann.“ Aber niemand wußte andern Rat, als daß man das Kind sorgfältig in acht nehmen müsse, damit es niemals dem Weiher zu nahe käme.

Der Knabe wuchs fröhlich auf und unterdessen kam der Müller nach und nach zu Geld und Gut, und es dauerte nicht lange, so war er reicher als er je gewesen war. Aber er konnte sich seines Glückes nicht recht freuen, da er immer seines Gelübdes gedachte und fürchtete, die Nixe werde über kurz oder lang auf die Erfüllung dringen. Aber Jahr auf Jahr verging, der Knabe wurde groß und lernte die Jägerei, und weil er ein schmucker Jäger war, nahm in der Herr des Dorfes in seinen Dienst, und der Jäger freite sich ein junges Weib und lebte friedlich und in Freuden.

Einstmals verfolgte er auf der Jagd einen Hasen, der endlich auf das freie Feld ausbog. Der Jäger setzte ihm eifrig nach und streckte ihn mit einem Schusse nieder. Sogleich machte er sich ans Ausweiden und achtete nicht darauf, daß er sich in der Nähe des Weihers befand, vor dem er sich von Kind auf hatte hüten müssen. Mit dem Ausweiden war er bald fertig und ging nun an das Wasser, um seine blutigen Hände zu waschen. Kaum hatte er sie in den Weiher getaucht, als die Nixe emporstieg, ihn mit nassen Armen umfing und ihn mit sich hinabzog, daß die Wellen über ihm zusammenschlugen.

Als der Jäger nicht heimkehrte, geriet seine Frau in große Angst, und als man nach ihm suchte und am Mühlteiche seine Jagdtasche liegen fand, da zweifelte sie nicht mehr daran, wie es ihm ergangen sei. Ohne Rast und Ruhe irrte sie an dem Weiher umher und rief wehklagend Tag und Nacht ihren Mann. Endlich fiel sie vor Müdigkeit in einen Schlaf, darinnen es ihr träumte, wie sie durch eine blühende Flur zu einer Hütte wanderte, worin eine Zauberin wohnte, die ihr ihren Mann wieder zu schaffen versprach.

Als sie am Morgen erwachte, beschloß sie der Eingebung zu folgen und die Zauberin aufzusuchen. So wanderte sie aus und kam bald zur blühenden Flur und dann zu der Hütte, worin die Zauberin wohnte. Sie erzählte ihren Kummer und daß ein Traum ihr Rat und Hülfe von ihr versprochen habe. Die Zauberin gab ihr zum Bescheid: sie solle beim Vollmond an den Weiher gehen und dort mit einem goldnen Kamme ihre schwarzen Haare strählen und dann den Kamm ans Ufer legen. Die junge Jägersfrau beschenkte die Zauberin reichlich und begab sich auf den Heimweg.

Die Zeit bis zum Vollmonde verging ihr langsam; als es aber endlich Vollmond war, ging sie zum Weiher und strählte sich mit einem goldnen Kamme ihre schwarzen Haare und als sie fertig war, legte sie den Kamm am Ufer nieder und sah dann ungeduldig in das Wasser. Da rauschte es und brauste es aus der Tiefe und eine Welle spülte den goldnen Kamm vom Ufer und es dauerte nicht lange, so erhob ihr Mann den Kopf aus dem Wasser und sah sie traurig an. Aber bald kam wiederum eine Welle gerauscht und der Kopf versank, ohne ein Wort gesprochen zu haben. Der Weiher lag wieder ruhig wie zuvor und glänzte im Mondscheine und die Jägersfrau war um nichts besser dran als vorher.

Trostlos durchwachte sie Tage und Nächte, bis sie wieder ermüdet in Schlaf sank, und derselbe Traum, der sie an die Zauberin gewiesen hatte, wieder über sie kam. Abermals ging sie am Morgen nach der blühenden Flur und nach der Hütte und klagte der Zauberin ihren Kummer. Die Alte gab ihr zum Bescheid: sie solle beim Vollmond an den Weiher gehen, auf einer goldnen Flöte blasen und dann die Flöte an das Ufer legen.

Als es Vollmond geworden war, ging die Jägersfrau zum Weiher, blies auf einer goldnen Flöte und legte sie dann ans Ufer. Da rauschte es und brauste es aus der Tiefe und eine Welle spülte die Flöte vom Ufer und bald erhob der Jäger den Kopf über das Wasser und tauchte immer höher empor, bis über die Brust, und breitete seine Arme nach seiner Frau aus. Da kam wieder eine rauschende Welle und zog ihn in die Tiefe zurück. Die Jägersfrau hatte voller Freude und Hoffnung am Ufer gestanden und versank in tiefen Gram, als sie ihren Mann in dem Wasser verschwinden sah.

Aber zum Troste erschien ihr wiederum der Traum, der sie zu der blühenden Flur und zu der Hütte der Zauberin verwies. Die Alte gab diesmal den Bescheid: sie solle, sobald es Vollmond sein werde, an den Weiher gehen, dort auf einem goldnen Rädchen spinnen und dann das Rädchen ans Ufer stellen. Als der Vollmond kam, befolgte die Jägersfrau das Geheiß, ging an den Weiher, setzte sich nieder und spann auf einem goldnen Rädchen und stellte dann das Rädchen ans Ufer. Da rauschte es und brauste es aus der Tiefe und eine Welle spülte das goldne Rad vom Ufer, und bald erhob der Jäger den Kopf über das Wasser und tauchte immer höher empor, bis er endlich an das Ufer stieg und seiner Frau um den Hals fiel. Da fing das Wasser an zu rauschen und brausen und überschwemmte das Ufer weit und breit und riß beide, wie sie sich umfaßt hielten, mit sich hinab. In ihrer Herzensangst rief die Jägerin den Beistand der Alten an und auf einmal war die Jägerin in eine Kröte und der Jäger in einen Frosch verwandelt. Aber sie konnten nicht beisammen bleiben, das Wasser riß sie nach verschiedenen Seiten hin, und als die Überschwemmung vergangen war, da waren zwar beide wieder zu Menschen geworden, aber der Jäger und die Jägerin waren jedes in einer fremden Gegend und wußten nichts voneinander. Der Jäger entschloß sich als Schäfer zu leben und auch die Jägerin ward eine Schäferin. So hüteten sie lange Jahre ihre Herden, eines vom andern entfernt.

Einstmals aber trug es sich zu, daß der Schäfer dahin kam, wo die Schäferin lebte. Die Gegend gefiel ihm und er sah, daß sie recht fruchtbar gelegen sei zur Weide seiner Herde. Er brachte also seine Schafe dorthin und hütete sie wie zuvor. Schäfer und Schäferin wurden gute Freunde, aber sie erkannten einander nicht.

An einem Abende aber saßen sie im Vollmond beieinander, ließen ihre Herden grasen und der Schäfer blies auf seiner Flöte. Da gedachte die Schäferin jenes Abends, wo sie am Weiher bei Vollmond auf der goldenen Flöte geblasen; sie konnte sich nicht länger halten und brach in lautes Weinen aus. Der Schäfer fragte sie, was sie so weine und klage? – bis sie ihm erzählte, was ihr alles widerfahren sei. Da fiel es wie Schuppen von den Augen des Schäfers, er erkannte seine Jägerin und gab sich ihr zu erkennen. Nun kehrten sie fröhlich in ihre Heimat zurück und lebten zusammen ungestört und in Frieden.

Der Mann und die Schlange

Ludwig Bechstein

Der Mann und die Schlange

Es war einmal ein Mann, in dessen Haus wohnte eine Schlange, die wurde von dem Weibe dieses Mannes wohl gehalten und bekam täglich ihre Nahrung. Sie hatte ihre Wohnung ganz nahe bei dem Herde, wo es immer hübsch warm war, in einem Mauerloch. Der Mann und das Weib bildeten sich ein, nach dem herrschenden Aberglauben, daß es Glück bringe, wenn eine Schlange im Hause sei! Nun geschah es an einem Sonntag, daß dem Hausherrn das Haupt schmerzte, deshalb blieb er früh in seinem Bett liegen, und hieß die Frau und das Gesinde in die Kirche gehen. Da gingen sie alle aus, und es war nun ganz still im Hause; jetzt schlüpfte die Schlange leise aus ihrem Loch und sah sich allenthalben sehr um. Das sah der Mann, dessen Kammer offenstand, und wunderte sich im stillen, daß sich die Schlange, gegen ihre sonstige Gewohnheit so sehr umsah. Sie durchkroch alle Winkel und kam auch in die Kammer und guckte hinein, sah aber niemand, denn der Hausherr hatte sich verborgen. Und nun kroch sie auf den Herd, wo ein Topf mit der Suppe am Feuer stand, hing ihren Kopf darüber und spie ihr Gift in den Topf, darauf verbarg sie sich wieder in ihrer Höhle. Der Hausherr stieg alsbald auf, nahm den Topf und grub ihn mit Speise und Gift in die Erde. Wie nun die Zeit da war, daß man essen wollte, wo auch die Schlange gewöhnlich hervorzukommen pflegte, stellte sich der Mann mit einer Axt vor das Loch, willens, sobald sie herausschlüpfen werde, ihr den Kopf vom Rumpfe zu hauen. Aber die Schlange steckte ganz vorsichtig ihren Kopf erst nur ein klein wenig aus dem Loch, und wie der Mann zuschlug, fuhr sie blitzschnell zurück und zeigte, daß sie kein gutes Gewissen hatte. Nach einigen Tagen redete die Frau ihrem Manne zu, er solle mit der Schlange Frieden schließen, sie würde wohl nicht wieder so Böses tun; der Hauswirt war gutwillig und rief einen Nachbarn, der sollte Zeuge sein des Friedensbundes mit der Schlange und einen Vertrag mit ihr aufrichten, daß eins sicher sein sollte vor dem andern. Hierauf riefen sie der Schlange und machten ihr den Antrag; die Schlange aber sagte: „Nein! – Unsre Gesellschaft kann fürder in Treuen nicht mehr bestehen, denn, wenn du daran denkst, was ich dir in deinen Topf getan, und wenn ich bedenke, wie du mir mit scharfer Axt nach meinem Kopf gehauen hast, so möchte wohl keiner von uns dem andern trauen. Darum gehören wir nicht zusammen; gib du mir frei Geleit, das ist alles, was ich von dir begehre, und laß mich meine Straße ziehen, je weiter von dir, desto besser, und du bleibe ruhig in deinem Hause.“ Und also geschah es.

Der Rabe, als er diese Erzählung aus dem Mund des Mäusleins Sambar vernommen hatte, nahm wieder das Wort und sprach: „Ich fasse wohl die Lehre, die dein Märlein in sich hält, allein bedenke deine Natur und meine Aufrichtigkeit, sei minder streng, und weigere mir nicht deine Genossenschaft.Es ist ein Unterschied zwischen edel und unedel; der Becher aus Gold hält länger als der aus Glas, und wenn der Glaspokal zerbricht, so ist er hin, leidet aber der Goldpokal, so ist der Wert noch nicht verloren.Die Freundschaft der bösen und unedlen Gemüter ist gar keine Freundschaft, du aber hast ein edles Gemüt, das hab ich wohl erkannt, und so sehnt sich mein Herz nach deiner Freundschaft und bedarf ihrer, und ich werde nicht weichen vom Eingang deiner Wohnung und nicht eher essen noch trinken, bis du meiner Bitte Gehör gegeben!“

Darauf sprach das kluge Mäuslein Sambar: „Ich nehme jetzt deine Gesellschaft an, denn ich habe noch nie eine billige Bitte ungewährt gelassen. Du magst aber wohl erwägen, daß ich mich nicht zu dir gedrängt, auch daß ich in meiner Wohnung sicher vor dir bin, aber ich begehre nützlich zu sein allen, die meiner Hilfe begehren, darum rühme dich nicht etwa: Haha, ich habe eine unvorsichtige und unvernünftige Maus gefunden! – damit es dir nicht gehe, wie dem Hahn mit dem Fuchs.“

„Wie war das?“ fragte der Rabe, und da erzählte das Mäuslein ein Gleichnis:

Der Mann ohne Herz

Ludwig Bechstein

Der Mann ohne Herz

Es sind einmal sieben Brüder gewesen, waren arme Waisen, hatten keine Schwester, mußten alles im Hause selbst tun, das gefiel ihnen nicht, wurden Rates untereinander, sie wollten heiraten.Nun gab es aber da, wo sie wohnten, keine Bräute für sie, da sagten die älteren, sie wollten in die Fremde ziehen, sich Bräute suchen, und ihr Jüngster sollte das Haus hüten, und dem wollten sie eine recht schöne Braut mitbringen.Das war der Jüngste gar wohl zufrieden, und die sechse machten sich fröhlich und wohlgemut auf den Weg.Unterwegs kamen sie an ein kleines Häuschen, das stand ganz einsam in einem Walde, und vor dem Häuschen stand ein alter alter Mann, der rief die Brüder an und fragte: »Heda!Ihr jungen Gieke in die Welt! Wohin denn so lustig und so geschwind?«

»Ei, wir wollen uns jeder eine hübsche Braut holen und unserm jüngsten Bruder daheim auch eine!« antworteten die Brüder.

»O liebe Jungen!« sprach da der Alte, »ich lebe hier so mutterseelenallein, bringt mir doch auch eine Braut mit, aber eine junge, hübsche muß es sein!«

Die Brüder gingen von dannen und dachten: Hm, was will so ein alter, eisgrauer Hozelmann mit einer jungen, hübschen Braut anfangen?

Da nun die Brüder in eine Stadt gekommen waren, so fanden sie dort sieben Schwestern, so jung und so hübsch, als sie sie nur wünschen konnten, die nahmen sie, und die jüngste nahmen sie für ihren Bruder mit.Sie kamen wieder durch den Wald, und der Alte stand wieder vor seinem Häuschen, als wartete er auf sie, und sagte: »Ei, ihr braven Jungen!Das lob ich, daß ihr mir so eine junge, hübsche Braut mitgebracht habt!«

»Nein!« sagten die Brüder, »die ist nicht für dich, die ist für unsern Bruder zu Hause, dem haben wir sie verspro?chen!«

»So?« sagte der Alte, »versprochen?Ei, daß dich!Ich will euch auch versprechen!« und nahm ein weißes Stäbchen und murmelte ein paar Zauberworte und rührte die Brüder und die Bräute mit dem Stäbchen an – bis auf die jüngste -, da wurden sie alle in graue Steine verwandelt.Die jüngste aber von den Schwestern führte der Mann in das Haus, und das mußte sie nun beschicken und in Ordnung halten, tat das auch gern, aber sie hatte immer Angst, der Alte könne bald sterben, und dann werde sie in dem einsamen Häuschen im wilden, öden Walde auch so mutterseelenallein sein, wie der Alte zuvor gewesen war.Das sagte sie ihm, und er antwortete: »Hab kein Bangen, fürchte nicht und hoffe nicht, daß ich sterbe.Sieh, ich habe kein Herz in der Brust!Stürbe ich aber dennoch, so findest du über der Türe mein weißes Zauberstäbchen und rührst damit an die grauen Steine, so sind deine Schwestern und ihre Freier befreit, und du hast Gesellschaft genug.«

»Wo aber in aller Welt hast du denn dein Herz, wenn du es nicht in der Brust hast?« fragte die junge Braut.

»Mußt du alles wissen?« fragte der Alte. »Nun wenn du es denn wissen mußt, in der Bettdecke steckt mein Herz.«

Da nähte und stickte die junge Braut, wenn der Alte fort und seinen Geschäften nachging, in ihrer Einsamkeit gar schöne Blumen auf seine Bettdecke, damit sein Herz eine Freude haben sollte.Der Alte aber lächelte darüber und sagte: »Du gutes Kind, es war ja nur mein Scherz; mein Herz, das steckt -« »Nun, wo steckt es denn, lieber Vater?«

»Das steckt in der – Stubentür!«

Da hat die junge Frau am andern Tage, als der Alte fort war, die Stubentüre gar schön geschmeckt mit bunten Federn und frischen Blumen und hat Kränze daran gehangen.Fragte der Alte, als er heimkam, was das bedeuten solle? sagt?e sie: »Das tat ich, deinem Herzen was zu Liebe zu tun.«

Da lächelte wieder der Alte und sagte: »Gutes Kind, ganz wo anders, als in der Stubentüre, ist mein Herz.«

Da wurde die junge Braut sehr betrübt und sprach: »Ach Vater, so hast du doch ein Herz und kannst sterben, und ich werde dann so allein sein.« Da wiederholte der Alte alles, was er ihr schon zweimal gesagt, und sie drang aufs neue in ihn, ihr zu sagen, wo doch eigentlich sein Herz sei.

Da sprach der Alte: »Weit, weit von hier liegt in tiefer Einsamkeit eine große uralte Kirche, die ist fest verwahrt mit eisernen Türen, um sie ist ein tiefer Wallgraben gezogen, über den führt keine Brücke, und in der Kirche da fliegt ein Vogel wohl ab und auf, er ißt nicht und trinkt nicht und stirbt nicht, und niemand vermag ihn zu fangen, und so lange der Vogel lebt, so lange lebe auch ich, denn in dem Vogel ist mein Herz.«

Da wurde die Braut traurig, daß sie dem Herzen ihres Alten nichts zu Liebe tun konnte, und die Zeit wurde ihr lang, wenn sie so allein saß, denn der Alte war fast den ganzen Tag auswärts.

Da kam einmal ein junger Wandergesell am Häuschen vorüber, der grüßte sie, und sie grüßte ihn, und sie gefiel ihm, und er kam näher, und sie fragte ihn, wohin er reise, woher er komme. »Ach!« seufzte der junge Gesell. »Ich bin gar traurig.Ich hatte noch sechs Brüder, die sind von dannen gezogen, sich Bräute zu holen, und mir, dem Jüngsten, wollten sie auch eine mitbringen, sind aber nimmer wieder gekommen, und da bin ich nun auch fort vom Hause und will meine Brüder suchen.«

»Ach, lieber Gesell!« rief die Braut, »da brauchst du nicht weiter zu gehen!Erst setze dich und iß und trinke etwas, und dann laß dir erzählen!« Und gab ihm zu essen und zu trinken und erzählte ihm, wie seine Brüder in die Stadt gekommen, und wie sie? ihre Schwestern und sie selbst als Bräute mit sich nach Hause hätten führen wollen, und daß sie für ihn, ihren Gast, bestimmt gewesen, und wie der Alte sie bei sich behalten und die andern in graue Steine verwandelt habe.Das alles erzählte sie ihm aufrichtig und weinte dazu, und auch, daß der Alte kein Herz in der Brust habe und daß es weit, weit weg sei in einer festen Kirche und in einem unsterblichen Vogel.

Da sagte der Bräutigam: »Ich will fort, ich will den Vogel suchen, vielleicht hilft mir Gott, daß ich ihn fange.«

»Ja, das tue, daran wirst du wohl tun, dann werden deine Brüder und meine Schwestern wieder Menschen werden!« und versteckte den Bräutigam, denn es wurde schon Abend, und als am andern Morgen der Alte wieder fort war, da packte sie dem Wandergesellen viel zu essen und zu trinken ein und gab es ihm mit und wünschte ihm alles Glück und Gottes Segen auf seine Fahrt.

Als nun der Gesell eine tüchtige Strecke gegangen war, deuchte ihm, es sei wohl Zeit zu frühstücken, packte seine Reisetasche aus, freute sich der vielen Gaben und rief: »Holla!Nun wollen wir schmausen!Herbei, wer mein Gast sein will!« Da rief es hinter dem Gesellen: »Muh!« Wie er sich umsah, stand ein großer, roter Ochse da und sprach: »Du hast eingeladen, ich möchte wohl dein Gast sein!«

»Sei willkommen und lange zu, so gut ich’s habe!« Da legte sich der Ochse gemächlich an den Boden und ließ sich’s schmecken und leckte sich dann mit der Zunge sein Maul recht schön ab, und als er satt war, sagte er: »Habe du großen Dank, und wenn du einmal jemand brauchst, dir in Not und Gefahr zu helfen, so rufe nur in Gedanken nach mir, deinem Gast.« Und erhob sich und verschwand im Gebüsch.

Der Gesell packte seine Tafelreste zusammen und pilgerte weiter; wieder eine tüchtige Strecke, da deuchte ihm nach dem kurzen Schatten, d?en er warf, es müsse Mittag sein, und seinem Magen deuchte das nämliche.Da setzte er sich an den Boden hin, breitete sein Tafeltuch aus, setzte seine Speisen und Getränke darauf und rief: »Wohlan!Mittagmahlzeit! Jetzt melde sich, wer mittafeln will!«

Da rauschte es ganz stark in den Büschen, und es brach ein wildes Schwein heraus, das grunzte: »Qui oui oui«, und sagte: »Es hat hier jemand zum Essen gerufen! ich weiß nicht, ob du es warst und ob ich gemeint bin?«

»Immerhin, lange nur zu, was da ist!« sprach der Wandersmann, und da aßen sie beide wohlgemut miteinander, und es schmeckte beiden gut.Darauf erhob sich das wilde Schwein und sagte: »Habe Dank, bedarfst du mein, so rufe dem Schwein!« und damit trollte es in die Büsche.

Nun wanderte der Gesell gar eine lange Strecke und war schon gar weit gewandert, da wurde es gegen Abend, und er fühlte wieder Hunger und hatte auch noch Vorrat, und da dachte er: wie wär es mit dem Vespern?Zeit wär es, dächt ich; und breitete wieder sein Tuch aus und legte seine Speisen darauf, hatte auch noch etwas zu trinken und rief: »Wer Lust hat, mit zu essen, der soll eingeladen sein.Es ist nicht, als wenn nichts da wäre!«

Da rauschte über ihm ein schwerer Flügelschlag, und es wurde dunkel auf dem Boden, wie vom Schatten einer Wolke, und es ließ sich ein großer Vogel Greif sehen, der rief: »Ich hörte jemand hier unten zur Tafel einladen!Für mich wird wohl nichts abfallen?«

»Warum denn nicht?Lasse dich nieder und nimm vorlieb, viel wird’s nicht mehr sein!« rief der Jüngling, und da ließ sich der Vogel Greif nieder und aß zur Genüge, und dann sagte er: »Brauchst du mich, so rufe mich!« hob sich in die Lüfte und verschwand.Ei, dachte der Geselle: der hat’s recht eilig; er hätte mir wohl den Weg nach der Kirche zeigen können, denn so finde ich sie wohl nimm?er, und raffte seine Sachen zusammen und wollte vor dem Schlafengehen noch ein Stückchen wandern . Und wie er gar nicht lange gegangen war, so sah er mit einem Male die Kirche vor sich liegen und war bald bei ihr, das heißt, am breiten und tiefen Graben, der sie rings ohne Brücke umzog.Da suchte er sich ein hübsches Ruheplätzchen, denn er war müde von dem weiten Weg, und schlief, und am andern Morgen da wünschte er sich über den Graben und dachte: Schau, wenn der rote Ochse da wär und hätte rechten Durst, so könnte er den Graben aussaufen, und ich käme trocken hinüber. Kaum war dieser Wunsch getan, so stand der Ochse schon da und begann den Graben auszusaufen.Nun stand der Gesell an der Kirchenmauer, die war gar dick und die Türme waren von Eisen, da dachte er so in seinen Gedanken: ach, wer doch einen Mauerbrecher hätte!Das starke wilde Schwein. könnte vielleicht hier eher etwas ausrichten als ich.Und siehe, gleich kam das wilde Schwein daher gerannt und stieß heftig an die Mauer und wühlte mit seinen Hauern einen Stein los, und wie erst einer los war, so wühlte es immer mehr und immer mehr Steine aus der Mauer, bis ein großes, tiefes Loch gewühlt war, durch das man in die Kirche einsteigen konnte.Da stieg nun der Jüngling hinein und sah den Vogel darin herumfliegen, vermochte aber nicht ihn zu ergreifen.Da sprach er: »Wenn jetzt der Vogel Greif da wäre, der würde dich schon greifen, dafür ist er ja der Vogel Greif!« Und gleich war der Greif da, und gleich griff er den Vogel, in dem des alten Mannes Herz war, und der junge Gesell verwahrte selbigen Vogel sehr gut, der Vogel Greif aber flog davon.

Nun eilte der Jüngling, so sehr er konnte, zur jungen Braut, kam noch vor Abends an und erzählte ihr alles, und sie gab ihm wieder zu essen und zu trinken und hieß ihn unter die Bettstelle kriechen mitsamt seinem Vog?el, damit ihn der Alte nicht sähe . Dies tat er alsbald, nachdem er gegessen und getrunken hatte; der Alte kam nach Hause und klagte, daß er sich krank fühle, daß es nicht mehr mit ihm fortwolle – das mache, weil sein Herzvogel gefangen war.Das hörte der Bräutigam unter dem Bette und dachte, der Alte hat dir zwar nichts Böses getan, aber er hat deine Brüder und ihre Bräute verzaubert, und deine Braut hat er für sich behalten, das ist des Bösen nicht wenig, und da kneipte er den Vogel, und da wimmerte der Alte: »Ach, es kneipt mich!Ach, der Tod kneipt mich, Kind – ich sterbe!« Und fiel vom Stuhl und war ohnmächtig, und ehe sich’s der Jüngling versah, hatte er den Vogel totgekneipt, und da war es aus mit dem Alten.Nun kroch er hervor, und die Braut nahm den weißen Stab, wie sie der Alte gelehrt hatte, und schlug damit an die zwölf grauen Steine, siehe, da wurden sie wieder die sechs Brüder und die sechs Schwestern, das war eine Freude und ein Umarmen und Herzen und Küssen, und der alte Mann war tot und blieb tot, konnt ihn keine Meisterwurz wieder lebendig machen, wenn sie ihn auch hätten wieder lebendig haben wollen.Da zogen sie alle miteinander fort und hielten Hochzeit miteinander und lebten gut und glücklich miteinander lange Jahre.

Der König im Bade

Ludwig Bechstein

Der König im Bade

Es war einmal ein König, dem waren viele Lande deutscher und welscher Zunge untertan, darob wurde sein Herz übermütig, und er glaubte, es gäbe in der Welt keinen mächtigen Herrn, außer ihm allein . Nun geschah es, daß er eines Abends in die Vesper ging und hörte den Priester die Worte lesen: Deposuit potentes de sede, et exaltavit humiles.Da fragte er, weil er kein Latein verstand, die gelehrten Männer, die um ihn waren, was diese Worte bedeuteten.Und da wurde ihm die Deutung: Gott der Herr wirft die Mächtigen vom Throne und erhöhet die Niedrigen.Der König erschrak über diesen Spruch und wurde zornig und gab ein Gebot, daß dieser Ausspruch des Evangelisten Lukas fürder nicht mehr solle gelesen werden, auch solle niemand ihn hören und er solle ganz und gar vertilgt werden aus den heiligen Büchern.Das Gebot trugen des Königs Sendboten in alle Lande und zu allen Geistlichen und in alle Klöster.Die Bücher aber, darin diese Schriftstelle stehen blieb, die sollten verbrannt werden.Also wurden jene Worte vielfach zerstört und ausgetilgt und wurden öffentlich in den Kirchen nicht mehr gelesen oder gesungen.

Nun geschah es zu einer Zeit, daß der König in ein Bad ging; da sandte Gott, auf daß er büße für den Frevel am heiligen Wort des Evangeliums, einen Engel, der nahm des Königs Gestalt an und schlug die Augen aller mit Blindheit, daß sie ihn für den König hielten, den König selbst aber nicht als den, der er war, erkannten.Als der König aus dem Bade trat, setzte er sich auf eine Bank, auf welcher der Engel schon saß.Da hieß ihn der Bader aufstehen und sich anderswo hinsetzen. »Bist du trunken, Bader?« fragte der König, »daß du also schmachvoll mir redest?Ich bin’s, der König, dein Gebieter!«

»Ein Narr mögt Ihr sein!« antwortete der Bader. »Mein Herr, der König sitzt ja hier; wessen König seid Ihr denn?Und wo ist das Reich Eurer Majestät?Wohl Narragonia?«

»Bösewicht!« schrie der König voller Zorn, nahm einen Kübel und warf den an des Baders Kopf, da hörte das Badegesinde den Lärm, eilte herzu und salbte den König mit Faustöl, bis der Engel des König dazwischentrat und ihn aus den Händen des Gesindes befreite.Dann aber verließ er ihn, trat aus der Badestube, und da legten ihm des Königs Diener, die den Engel für ihren Herrn halten mußten, jenes köstliche Gewand an und geleiteten ihn auf stolzen Rossen in allem Glanze nach der Hofburg.Den König aber warfen der Bader und seine Gesellen nackt und bloß aus dem Hause, und da stand er vor der Türe und wußte nicht, wie ihm geschehen war.Und das Volk sammelte sich um ihn und spottete über ihn, dazu sein eignes Gesinde, denn es kannte ihn keiner mehr.Und er eilte nackend, wie er war, und mit großer Scham von den Leuten hinweg, die ihm aber nachliefen wie einem Toren, zum Hause seines Schenken und viel treuen Rates.

Es war nach der Zeit des Mittagsimbisses, und der Schenk saß und pflegte der Mittagsrast, als der König am Tore schellte und Einlaß begehrte.Der Pförtner fragte, wer er sei und was er begehre, und jener sagte: »Ich, der König!«

»Ei, pfui dich!« rief der Pförtner. »So schandbar hab ich noch keinen König gesehen.Du kommst mitnichten herein!« Da schrie und lärmte der König ungetümlich, daß der Schenk es hörte, und fragte, was es gebe.Der Pförtner sprach: »Herr, es stehet ein Mann draußen, der ist nackt und bloß und sagt, er sei dein Herr und König, und das Volk ist hinter ihm und hat seinen Narren an dem Affen.«

»Laßt ihn herein!« sprach mitleidvoll der Schenk, »und reicht ihm ein notdürftig Gewand, auf daß er seine Blöße bedecke.«

Dies geschah, und dann trat der König herein zu dem Schenken, der ihn auch nicht als seinen Herrn zu erkennen vermochte, und sprach: »O mein Freund, du wirst und mußt mich erkennen, daß ich dein König bin, obschon mich heut ein wunderlich Verhängnis heimsucht und von Ehren und Gute mich vertreibt.Denke der Reden, die wir gestern früh vertraulich miteinander pflogen, als ich euch, meinen Räten, einen Befehl gab, den ich erfüllt sehen wollte und ihr mir es ausredetet, als eines Fürsten nicht würdig.«

Und solcher Heimlichkeiten sagte der König zum Schenken noch mehr, der aber begann zu lachen und sprach: »Die Wahrheit sagt Ihr ja, aber Euch muß sie der Teufel ins Ohr geblasen haben!«

Und der König sprach: »Womit ich auch das Unglück verdient, das mich schlägt, mein Herz sagt mir, daß ich ein gerechter und wahrhafter König bin.«

Der Schenke mochte nicht widersprechen, weil das die Narren aufzubringen pflegt und bei Klugen auch nicht für ein Zeichen von guter Lebensart gilt, aber er gebot, dem Fremden Speise aufzutragen, und dachte bei sich: ich will diesen seltnen Fall doch dem König als Neuigkeit hinterbringen.Er, der Schenke, galt bei Hof so viel durch seine weisen Ratschläge, daß er zu jeder Zeit freien Zutritt hatte, und so machte er sich gleich auf zur Königsburg, trat vor den Engel und verkündete ihm die Mär von seinem wunderlichen Gast.Der gebot ihm, den König zu Hofe zu führen, und es sammelte sich in einem großen Saale der ganze Hofstaat, und das Gesinde erfüllte alle Treppen und Galerien.Wie nun der Schenk den gedemütigten König brachte, schrie alles spöttisch: »Grüß Gott, Herr König ohne Land!«

Der Engel saß in reicher Pracht neben der schönen Königin auf dem Throne und grüßte seinen Doppelgänger, dessen Herz in Haß aufwallte, als er den vermeinten Feind bei seiner eignen Gemahlin sitzen sah.Der Engel sprach: »Sagt an, ist das wahr, seid Ihr hier König?«

Und der König antwortete: »Wohl sah ich den Tag, da ich hier gewaltig war, wo meine Gemahlin noch mich empfing als ihren König und Herrn, deren gütlichen Gruß ich nun ganz entbehre, der mir doch sonst nie versagt ward, bis heute an diesem Tag meiner Schmach und meines Leides. O wie freundlich schied ich noch heute morgen aus ihren minniglichen Armen!«

Die Königin ward ob dieser Rede ganz schamrot, daß sie sollte den fremden Mann umfangen haben und sprach zum Engel: »Mein königlicher Herr und Gemahl, dieser Mann ist wohl unsinnig!« und ein alter Hofritter rief: »Schweige, Bösewicht!Dich müsse man auf einer Kuhhaut zum Galgen schleifen!« und die jungen Lecker am Hofe wollten schon sich Gunst machen und ihren Heldenmut sehen lassen und griffen nach dem König, hätten ihm auch übel genug mitgespielt, aber der Engel wehrte sie ab und führte den König mit sich hinweg in ein schönes einsames Gemach.

Dort sprach er zu ihm: »Sag an, glaubst du oder glaubst du nicht, daß Gott Gewalt habe über alle Geschöpfe?Siehe, wie seine allmächtige Kraft dich in den Staub tritt!Was hilft dir dein mächtiges Kriegsheer?Wer gehorcht deinem Rufe und Gebote?Noch lebt die Wahrheit: Deposuit potentes de sede, und du und deinesgleichen werdet sie ewig nicht unterdrücken!«

So sprach der Engel zum König, und dieser fragte erbebend: »Mann, wer seid Ihr?Seid Ihr Gott der Allmächtige, von dem Ihr redet, so erbarme sich Eure Gnade über mich armen, betörten Mann!«

»Ich bin nicht Gott!« sprach darauf der Engel: »Aber seiner Boten einer bin ich und des wahren Christus Diener.Der sandte mich, und dir sandte er die Strafe deiner Hoffart.Gott erhöhet und erniedrigt, wen er will!Warum verfolgst du diese Wahrheit?«

Da fiel der König hin zu des Engels Füßen und bat um Gottes Huld und Verzeihung.Der Engel hieß ihn aufstehen und sprach: »Du mußt Glauben haben an das Wort der Schrift aus der Priester Munde!Du mußt barmherzig sein gegen die, so dir ihren Kummer klagen!Du mußt gerecht sein gegen die Kleinen, wie gegen den Großen!Willst du das, so sollst du wieder einnehmen den Stuhl deiner Macht und deiner Ehren.«

Da demütigte sich aufs neue der König vor dem Boten des Herrn, neigete sich, kniete nieder und sprach: »Ich folge dir gerne, gewähre mir durch Gott Gnade!« Da bot ihm der Engel seine Hand und reichte ihm die Königsgewande und verlieh ihm die Königsgestalt wieder, und der König legte das dürftige Röcklein ab, das der Schenk ihm geben ließ.Der Engel aber verschwand vor den Augen des Königs und flog wieder auf gen Himmel, in die Heimat der Seelen, in das Reich des ewigen Vaters.

Der König sprach: »Gelobt sei der süße Christ, der Gewaltige.Was der Engel mir sagte, das ist die rechte Wahrheit.« Und ging hervor aus dem Gemach wie einer, dem nie ein Leid widerfahren.Da fragten ihn die Dienstmannen ehrfurchtsvoll: »Herr, wo ist der Narr geblieben?« Er aber berief die Königin und alle die Seinen um sich her und erzählte ihnen alles, wie es sich begeben und was er erlitten, seinen Streit mit dem Bader und alles andere und zeigte ihnen das dürftige Röcklein.Des erschraken die Schranzen und schämten sich, daß sie den Herrn also gekränkt und mißkannt, und meinten ihrer viele, es werde ihnen nunmehr an Leib und Gut gehen.Selbst die Königin bat den Gemahl um Huld und Gnade und versicherte heilig und teuer, daß sie ihn nicht erkannt habe.Er schloß sanft ihre Hände in seine Hand und sprach: »Frau, schweigt stille!Gott hat es so gewollt!Kannte ich doch zuletzt mich selbst nicht mehr.«

Dann hieß er den Spruch Deposuit wieder in alle Bücher schreiben, wo er ausgelöscht worden, und ließ ihn wieder in den Kirchen lesen und ward gar ein demütiger Herrscher. Und wer diese Mär lieset, der demütige sein Herz vor Gott und bitte, daß er ihn vor Hoffart und Übermut gnädiglich bewahren wolle.

Der kleine Däumling

Ludwig Bechstein

Der kleine Däumling

Es war einmal ein armer Korbmacher, der hatte mit seiner Frau sieben Jungen, da war immer einer kleiner als der andere, und der jüngste war bei seiner Geburt nicht viel über Fingers Länge, daher nannte man ihn Däumling.Zwar ist er hernach noch etwas gewachsen, doch nicht gar zu sehr, und den Namen Däumling hat er behalten.Doch war es ein gar kluger und pfiffiger kleiner Knirps, der an Gewandtheit und Schlauheit seine Brüder alle in den Sack steckte.

Den Eltern ging es erst gar übel, denn Korbmachen und Strohflechten ist keine so nahrhafte Profession wie Semmelbacken und Kälberschlachten, und als vollends eine teure Zeit kam, wurde dem armen Korbmacher und seiner Frau himmelangst, wie sie ihre sieben Würmer satt machen sollten, die alle mit äußerst gutem Appetit gesegnet waren.Da beratschlagten eines Abends, als die Kinder zu Bette waren, die beiden Eltern miteinander, was sie anfangen wollten, und wurden Rates, die Kinder mit in den Wald zu nehmen, wo die Weiden wachsen, aus denen man Körbe flicht, und sie heimlich zu verlassen.Das alles hörte der Däumling an, der nicht schlief, wie seine Brüder, und schrieb sich der Eltern üblen Ratschlag hinter die Ohren.Sinnierte auch die ganze Nacht, da er vor Sorge doch kein Auge zutun konnte, wie er es machen sollte, sich und seinen Brüdern zu helfen.

Früh morgens lief der Däumling an den Bach, suchte die kleinen Taschen voll weiße Kiesel und ging wieder heim. Seinen Brüdern sagte er von dem, was er erhorcht hatte, kein Sterbenswörtchen. Nun machten sich die Eltern auf in den Wald, hießen die Kinder folgen, und der Däumling ließ ein Kieselsteinchen nach dem andern auf den Weg fallen, das sah niemand, weil er, als der jüngste, kleinste und schwächste, stets hintennach trottete. Das wußten die Alten schon nicht anders.

Im Wald machten sich die Alten unvermerkt von den Kindern fort, und auf einmal waren sie weg. Als das die Kinder merkten, erhoben sie allzumal, Däumling ausgenommen, ein Zetergeschrei. Däumling lachte und sprach zu seinen Brüdern: »Heult und schreit nicht so jämmerlich!Wollen den Weg schon allein finden.« Und nun ging Däumling voran und nicht hintendrein und richtete sich genau nach den weißen Kieselsteinchen, fand auch den Weg ohne alle Mühe.

Als die Eltern heimkamen, bescherte ihnen Gott Geld ins Haus; eine alte Schuld, auf die sie nicht mehr gehofft hatten, wurde von einem Nachbarn an sie abbezahlt, und nun wurden Eßwaren gekauft, daß sich der Tisch bog.Aber nun kam auch das Reuelein, daß die Kinder verstoßen worden waren und die Frau begann erbärmlich zu lamentieren: »Ach du lieber, allerlieber Gott! Wenn wir doch die Kinder nicht im Wald gelassen hätten!Ach, jetzt könnten sie sich dicksatt essen, und so haben die Wölfe sie vielleicht schon im Magen!Ach, wären nur unsre liebsten Kinder da!«

»Mutter, da sind wir ja!« sprach ganz ruhig der kleine Däumling, der bereits mit seinen Brüdern vor der Türe angelangt war und die Wehklage gehört hatte; öffnete die Türe, und herein trippelten die kleinen Korbmacher – eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben.Ihren guten Appetit hatten sie wieder mitgebracht, und daß der Tisch so reichlich gedeckt war, war ihnen ein gefundenes Essen. Die Herrlichkeit war groß, daß die Kinder wieder da waren, und es wurde, so lange das Geld reichte, in Freuden gelebt, dies ist armer Handarbeiter Gewohnheit.

Nicht gar lange währte es, so war in des Korbmachers Hütte Schmalhans wieder Küchenmeister, und ein Kellermeister mangelte ohnehin, und es erwachte aufs neue der Vorsatz, die Kinder im Walde ihrem Schicksal zu überlassen. Da der Plan wieder als lautes Abendgespräch zwischen Vater und Mutter verhandelt wurde, so hörte auch der kleine Däumling alles, das ganze Gespräch, Wort für Wort und nahm sich’s zu Herzen.

Am andern Morgen wollte Däumling abermals aus dem Häuschen schlüpfen, Kieselsteine aufzulegen, aber o weh, da war’s verriegelt, und Däumling war viel zu klein, als daß er den Riegel hätte erreichen können, da gedachte er sich anders zu helfen.Wie es fort ging zum Walde, steckte Däumling Brot ein und streute davon Krümchen auf den Weg, meinte, ihn dadurch wieder zu finden.

Alles begab sich wie das erstemal, nur mit dem Unterschied, daß Däumling den Heimweg nicht fand, dieweil die Vögel alle Krümchen rein aufgefressen hatten. Nun war guter Rat teuer, und die Brüder machten ein Geheul in dem Walde, daß es zum Steinerbarmen war. Dabei tappten sie durch den Wald, bis es ganz finster wurde, und fürchteten sich über die Maßen, bis auf Däumling, der schrie nicht und fürchtete sich nicht. Unter dem schirmenden Laubdach eines Baumes auf weichem Moos schliefen alle sieben Brüder und als es Tag war, stieg Däumling auf einen Baum, die Gegend zu erkunden . Erst sah er nichts als eitel Waldbäume, dann aber entdeckte er das Dach eines kleinen Häuschens, merkte sich die Richtung, rutschte vom Baume herab und ging seinen Brüdern tapfer voran. Nach manchem Kampf mit Dickicht, Dornen und Disteln sahen alle das Häuschen durch die Büsche blicken und schritten gutes Mutes darauf los, klopften auch ganz bescheidentlich an der Türe an. Da trat eine Frau heraus, und Däumling bat gar schon, sie einzulassen, sie hätten sich verirrt und wüßten nicht wohin. Die Frau sagte: »Ach, ihr armen Kinder!« und ließ den Däumling mit seinen Brüdern eintreten, sagte ihnen aber auch gleich, daß sie im Hause des Menschenfressers wären, der besonders gern die kleinen Kinder fräße. Das war eine schöne Zuversicht! Die Kinder zitterten wie Espenlaub, als sie dieses hörten, hätten gern lieber selbst etwas zu essen gehabt und sollten nun statt dessen gegessen werden. Doch die Frau war gut und mitleidig, verbarg die Kinder und gab ihnen auch etwas zu, essen. Bald darauf hörte man Tritte, und es klopfte stark an der Türe; das war kein andrer als der heimkehrende Menschenfresser. Dieser setzte sich an den Tisch zur Mahlzeit, ließ Wein auftragen und schnüffelte, als wenn er etwas röche, dann rief er seiner Frau zu: »Ich wittre Menschenfleisch!« Die Frau wollte es ihm ausreden, aber er ging seinem Geruch nach und fand die Kinder. Die waren ganz hin vor Entsetzen. Schon wetzte er sein langes Messer, die Kinder zu schlachten, und nur allmählich gab er den Bitten seiner Frau nach, sie noch ein wenig am Leben zu lassen und aufzufüttern, weil sie doch gar zu dürr seien, besonders der kleine Däumling. So ließ der böse Mann und Kinderfresser sich endlich beschwichtigen. Die Kinder wurden zu Bette gebracht, und zwar in derselben Kammer, wo ebenfalls in einem großen Bette Menschenfressers sieben Töchter schliefen, die so alt waren wie die sieben Brüder. Sie waren von Angesicht sehr häßlich, jede hatte aber ein goldenes Krönlein auf dem Haupte. Das alles war der Däumling gewahr geworden, machte sich ganz still aus dem Bette, nahm seine und seiner Brüder Nachtmützen, setzte diese Menschenfressers Töchtern auf und deren Krönlein sich und seinen Brüdern.

Der Menschenfresser trank viel Wein, und da kam ihn seine böse Lust wieder an, die Kinder zu morden, nahm sein Messer und schlich sich in die Schlafkammer, wo sie schliefen, willens, ihnen die Hälse abzuschneiden. Es war aber stockdunkel in der Kammer, und der Menschenfresser tappte blind umher, bis er an ein Bett stieß, und fühlte nach den Köpfen der darin Schlafenden. Da fühlte er die Krönchen und sprach: »Halt da! Das sind deine Töchter. Bald hättest du betrunkenes Schaf einen Eselsstreich gemacht!«

Nun tappelte er nach dem andern Bette, fehlte da die Nachtmützen und schnitt seinen sieben Töchtern die Hälse ab, einer nach der andern.Dann legte er sich nieder und schlief seinen Rausch aus – Wie der Däumling ihn schnarchen hörte, weckte er seine Brüder, schlich sich mit ihnen aus dem Hause und suchte das Weite.Aber wie sehr sie auch eilten, so wußten sie doch weder Weg noch Steg, und liefen in der Irre herum voll Angst und Sorge, nach wie vor.

Als der Morgen kam, erwachte der Menschenfresser und sprach zu seiner Frau: »Geh und richte die Krabben zu, die gestrigen!« Sie meinte, sie sollte die Kinder nun wecken, und ging voll Angst um sie hinauf in die Kammer. Welch ein Schrecken für die Frau, als sie nun sah, was geschehen war; sie fiel gleich in Ohnmacht über diesen schrecklichen Anblick, den sie da hatte. Als sie nun dem Menschenfresser zu lange blieb, ging er selbst hinauf, und da sah er, was er angerichtet. Seine Wut, in die er geriet, ist nicht zu beschreiben. Jetzt zog er die Siebenmeilenstiefel an, die er hatte, das waren Stiefel, wenn man damit sieben Schritte tat, so war man eine Meile gegangen, das war nichts kleines. Nicht lange, so sahen die sieben Brüder ihn von weitem über Berg und Täler schreiten und waren sehr in Sorge, doch Däumling versteckte sich mit ihnen in die Höhlung eines großen Felsens. Als der Menschenfresser an diesen Felsen kam, setzte er sich darauf, um ein wenig zu ruhen, weil er müde geworden war, und bald schlief er ein und schnarchte, daß es war, als brause ein Sturmwind. Wie der Menschenfresser so schlief und schnarchte, schlich sich Däumling hervor wie ein Mäuschen aus seinem Loch und zog ihm die Meilenstiefel aus und zog sie selber an. Zum Glück hatten diese Stiefel die Eigenschaft, an jeden Fuß zu passen, wie angemessen und angegossen. Nun nahm er an jede Hand einen seiner Brüder, diese faßten wieder einander an den Händen, und so ging es, hast du nicht gesehen, mit Siebenmeilenstiefelschritten nach Hause. Da waren sie alle willkommen, Däumling empfahl seinen Eltern ein sorglich Auge auf die Brüder zu haben, er wolle nun mit Hilfe der Stiefel schon selbst für sein Fortkommen sorgen und als er das kaum gesagt, so tat er einen Schritt, und er war schon weit fort, noch einen, und er stand über eine halbe Stunde auf einem Berg, noch einen, und er war den Eltern und Brüdern aus den Augen.

Nach der Hand hat der Däumling mit seinen Stiefeln sein Glück gemacht und viele große und weite Reisen, hat vielen Herren gedient, und wenn es ihm wo nicht gefallen hat, ist er spornstreichs weitergegangen.Kein Verfolger zu Fuß noch zu Pferd konnte ihn einholen, und seine Abenteuer, die er mit Hilfe seiner Stiefel bestand, sind nicht zu beschreiben.

Der Hasenhüter und die Königstochter

Ludwig Bechstein

Der Hasenhüter und die Königstochter

Es hatte ein reicher König eine sehr schöne Tochter; als diese sich verheiraten wollte, mußten sich alle Freier auf einer großen grünen Wiese versammeln, da warf sie nun einen goldenen Apfel mehrmals in die Luft, und wer ihn auffing und sich unterstand, drei Bund oder drei Aufgaben, die sie selbst aufgab, zu lösen, der sollte sie dann zur Gemahlin haben.Da hatten nun viele den Apfel aufgefangen, zuletzt auch ein schöner muntrer Schäfersbursch, aber von allen war keiner imstande, die drei Aufgaben zu lösen.Da kam nun die Reihe an den Schäfersburschen, als an den letzten und geringsten unter den Freiern.Die erste Aufgabe war die: Der König hatte in einem Stalle hundert Hasen, wer die auf die Weide trieb, hütete und am Abend alle wieder zurückbrachte, der hatte die erste Aufgabe erledigt.Als das der Schäfersbursche vernahm, sprach er, er wollte sich erst noch einen Tag darüber besinnen, am andern Tage aber ganz gewiß bestimmen, ob er sich getraue, die Sache zu unternehmen oder nicht.Nun lief aber der Schäfersbursche auf den Bergen umher und war traurig, denn er scheute sich vor dem gewagten Unternehmen.Da begegnete ihm ein altes Mütterchen und fragte ihn nach der Ursache seiner Traurigkeit; er aber sagte: »Ach, mir kann niemand helfen.«

Da sprach das graue Mütterchen: »Urteile nicht so vorlaut; sage dein Anliegen, vielleicht kann ich dir helfen.« Und da erzählte er denn die Aufgabe.Da gab ihm das Mütterchen ein Pfeifchen und sagte: »Hebe es wohl auf, es wird dir nützen!« Und ehe noch der Bursche sich bedankt hatte, war das Mütterchen verschwunden.

Nun ging er fröhlich hin zum König und sprach: »Ich will die Hasen hüten!« Und da wurden sie aus dem Stalle herausgelassen. Als aber der letzte heraus war, sah man den ersten schon nicht mehr, der war schon über alle Berge. Der Bursche aber ging hinaus aufs Feld und setzte sich auf einen grünen Hügel und dachte: Was fang ich an? Da fiel ihm sein Pfeifchen ein; er tat es schnell heraus und pfiff, da kamen die hundert Hasen alle wieder gesprungen und weideten lustig um ihn herum an dem grünen Hügel.

Dem König und der schönen Prinzessin aber war gar nichts daran gelegen, daß der Schäfer die Aufgabe löse und die Prinzessin sich gewinne, weil er ein so geringer Schlucker war und nicht hochgeboren, und sie sannen auf Listen, daß der Hasenhüter seine Herde nicht vollzählig heimbringe.

Da kam die Königstochter daher gegangen und hatte sich verkleidet und ihr Gesicht verändert, daß er sie nicht kennen sollte, aber er kannte sie doch.Als sie nun die Hasen noch alle erblickte, fragte sie: »Kann man hier nicht einen von den Hasen kaufen?«

Da sagte der Bursche: »Zu verkaufen gibt’s keinen, aber abzuverdienen!«

Da fragte sie weiter: »Wie ist das zu verstehen?«

Da sprach der Bursche: »Wenn Ihr Euch mir zum Liebchen gebet und eine süße Schäferstunde mit mir haltet!« Sie wollte aber nicht.Da sie aber doch gern einen Hasen wollte und er keinen anders hergab, so bequemte sie sich endlich doch dazu.Da er sie nun genugsam geherzt und geküßt hatte, fing er ihr einen Hasen und steckte ihn in ihr Handkörbchen, und sie ging fort.Als sie nun wohl eine Viertelstunde weit von ihm weg war, pfiff er auf seinem Pfeifchen, und geschwind drückte der Hase den Deckel des Körbchens auf, sprang heraus und kam wieder gesprungen.

Nicht lange währte es, da kam der alte König und hatte sich auch vermummt, aber der Bursche kannte ihn doch. Der König kam auf einem Esel geritten und hatte hüben und drüben einen Korb hängen. Der König fragte: »Wird kein Hase verkauft?«

»Nein, verkauft nicht, aber abverdient kann einer werden!« antwortete ihm dreist der Bursche.

»Wie ist das zu verstehen?« fragte der König.

»Wenn Ihr den Esel hier unter den Schwanz küßt«, begann der Bursche, »sollt Ihr einen haben!« Das wollte der König aber nicht tun; und er bot ihm schweres Geld, wenn er einen verkaufen wollte; der Bursche aber tat es nicht.Da nun der König sah, daß er keinen Hasen zu kaufen kriegte, bequemte er sich endlich dazu und gab dem Esel einen tüchtigen Schmatz unter den Schwanz; dann wurde ein Hase gefangen, in den einen Korb am Esel gesteckt, und der König zog fort.Er war aber noch nicht weit, da pfiff der Bursche, und der Hase hüpfte aus dem Korbe heraus und kam wieder.

Darauf kam der König nach Hause und sagte: »Es ist ein loser Bursche, ich konnte keinen Hasen bekommen!« Was er getan hatte, sagte er nicht.

»Ja!« erwiderte die Prinzessin, »so ging mir es auch!« Was sie aber getrieben hatte, gestand sie auch nicht.Als es Abend war, kam der Bursche mit seinen Hasen und zählte dem Könige sie vor, alle hundert zum Staff hinein.

Nun begann der König: »Die erste Aufgabe ist gelöst und nun geht es an die zweite!Merk auf!Hundert Maß Erbsen und hundert Maß Linsen liegen auf meinem Boden, diese habe ich untereinander schütten und wohl durchmengen lassen, wenn du diese in einer Nacht ohne Licht auseinander sonderst, dann hast du die zweite Aufgabe vollbracht.«

Der Bursche sprach: »Ich kann es!« Und da wurde er auf den Boden gesperrt, und es wurde die Türe fest verschlossen.Da nun alles im Schlosse ruhig war, pfiff er auf seinem Pfeifchen; da kamen gekrochen viele tausend Ameisen und wimmelten und krabbelten so lange, bis die Erbsen wieder auf einem besonderen Haufen waren und die Linsen auch.

Als nun früh der König nachsah, war die Aufgabe gel&oumlst, die Ameisen aber sah er nicht, die waren wieder fort. Der König wunderte sich und wußte nicht, wie es der Bursche machte. Darauf sprach er: »ich will dir nun auch die dritte Aufgabe sagen. Wenn du in künftiger Nacht dich durch eine große Kammer voll Brot hindurchissest, daß nichts übrig bleibt, dann hast du die dritte Aufgabe vollbracht und dann sollst du meine Tochter haben!«

Als es nun dunkel war, wurde der Bursche in eine Brotkammer gesteckt, die war so voll, daß bei der Türe nur ein Plätzchen leer war, wo er hintrat.Wie aber alles ruhig im Schlosse war, pfiff er wieder auf seinem Pfeifchen; da kamen daher so viele Mäuse, daß es ihm schier unheimlich wurde; und als es tagte, war das Brot alles aufgefressen, daß kein Krümchen mehr übrig war!Er aber polterte an der Türe und schrie: »Macht auf!Ich habe Hunger!« Da war nun auch die dritte Aufgabe gelöst.

Der König aber sagte: »Sage uns zum Spaß noch einen Sack voll Lügen, dann sollst du meine Tochter bekommen!«

Da fing der Bursche an und sagte schreckliche Lügen einen halben Tag lang, aber der Sack wollte immer nicht voll werden.Da erzählte er endlich: »Ich habe mit der allerliebsten Prinzessin, meiner Braut, auch schon ein Schäferstündchen gehalten!«

Bei diesen Worten wurde sie feuerrot, der König sah sie an, und ob es gleich Lügen sein sollten, so glaubte er’s doch und bildete sich schon ein, wie und wo es geschehen sei. »Der Sack ist aber noch nicht voll!« rief er.

Da begann der Bursche: »Der Herr König hat auch den Esel … «

»Er ist voll, er ist voll! Strickt zu!« rief der König, denn er schämte sich und wollte es nicht wissen lassen, welche Ehre dem Esel durch seinen königlichen Mund zuteil geworden war, da sein ganzer Hofstaat im Kreise herumstand. Und wurde die Hochzeit des Schäferburschen mit der Königstochter gefeiert, vierzehn Tage lang, und da ging es so hoch her und lustig zu, daß der es erzählt hat, wünscht, er wäre auch ein Gast dabei gewesen.

Der Hase und der Fuchs II

Ludwig Bechstein

Der Hase und der Fuchs II

Ein Hase und ein Fuchs reisten beide miteinander.Es war Winterszeit, es grünte kein Kraut, und auf dem Felde kroch weder Maus noch Laus.“Das ist ein hungriges Wetter“, sprach der Fuchs zum Hasen, „mir schnurren alle Gedärme zusammen.“ – „Jawohl“, antwortete der Hase.“Es ist überall dürr, und ich möchte meine eigenen Löffel fressen, wenn ich damit ins Maul langen könnte.“

So hungrig trabten sie miteinander fort.Da sahen sie von weitem ein Bauernmädchen kommen, das trug einen Handkorb, und aus dem Korb kam dem Fuchs und dem Hasen ein angenehmer Geruch entgegen, der Geruch von frischen Semmeln.“Weißt du was!“ sprach der Fuchs: „Lege dich hin der Länge lang, und stelle dich tot. Das Mädchen wird seinen Korb hinstellen und dich aufheben wollen, um deinen armen Balg zu gewinnen, denn Hasenbälge geben Handschuhe; derweilen erwische ich den Semmelkorb, uns zum Troste.“

Der Hase tat nach des Fuchsen Rat, fiel hin und stellte sich tot, und der Fuchs duckte sich hinter eine Windwehe von Schnee.Das Mädchen kam, sah den frischen Hasen, der alle Viere von sich streckte, stellte richtig den Korb hin und bückte sich nach dem Hasen. jetzt wischte der Fuchs hervor, schnappte den Korb und strich damit querfeldein, gleich war der Hase lebendig und folgte eilend seinem Begleiter.Dieser aber stand gar nicht still und machte keine Miene, die Semmeln zu teilen, sondern ließ merken, daß er sie allein fressen wollte.Das vermerkte der Hase sehr übel.Als sie nun in die Nähe eines kleinen Weihers kamen, sprach der Hase zum Fuchs: „Wie wäre es, wenn wir uns eine Mahlzeit Fische verschafften? Wir haben dann Fische und Weißbrot, wie die großen Herren!Hänge deinen Schwanz ein wenig ins Wasser, so werden die Fische, die jetzt auch nicht viel zu beißen haben, sich daran hängen.Eile aber, ehe der Weiher zufriert.“

Das leuchtete dem Fuchs ein, er ging an den Weiher, der eben zufrieren wollte, und hing seinen Schwanz hinein, und eine kleine Weile, so war der Schwanz des Fuchses fest angefroren.Da nahm der Hase den Semmelkorb, fraß die Semmeln vor des Fuchses Augen ganz gemächlich, eine nach der andern, und sagte zum Fuchs: „Warte nur, bis es auftaut, warte nur bis ins Frühjahr, warte nur, bis es auftaut!“ Und lief davon, und der Fuchs bellte ihm nach, wie ein böser Hund an der Kette.

Der Hase und der Fuchs

Ludwig Bechstein

Der Hase und der Fuchs

Ein Hase und ein Fuchs reisten beide miteinander. Es war Winterszeit, grünte kein Kraut, und auf dem Felde kroch weder Maus noch Laus. »Das ist ein hungriges Wetter«, sprach der Fuchs zum Hasen, »mir schnurren alle Gedärme zusammen.«

»Jawohl«, antwortete der Hase. »Es ist überall Dürrhof, und ich möchte meine eignen Löffel fressen, wenn ich damit ins Maul langen könnte.«

So hungrig trabten sie miteinander fort. Da sahen sie von weitem ein Bauernmädchen kommen, das trug einen Handkorb, und aus dem Korb kam dem Fuchs und dem Hasen ein angenehmer Geruch entgegen, der Geruch von frischen Semmeln. »Weißt du was!« sprach der Fuchs: »Lege dich hin der Länge lang und stelle dich tot. Das Mädchen wird seinen Korb hinstellen und dich aufheben wollen, um deinen armen Balg zu gewinnen, denn Hasenbälge geben Handschuhe; derweilen erwische ich den Semmelkorb, uns zum Troste.«

Der Hase tat nach des Fuchsen Rat, fiel hin und stellte sich tot, und der Fuchs duckte sich hinter eine Windwehe von Schnee. Das Mädchen kam, sah den frischen Hasen, der alle Viere von sich streckte, stellte richtig den Korb hin und bückte sich nach dem Hasen. Jetzt wischte der Fuchs hervor, erschnappte den Korb und strich damit querfeldein, gleich war der Hase lebendig und folgte eilend seinem Begleiter. Dieser aber stand gar nicht still und machte keine Miene, die Semmeln zu teilen, sondern ließ merken, daß er sie allein fressen wollte. Das vermerkte der Hase sehr übel. Als sie nun in die Nähe eines Meinen Weihers kamen, sprach der Hase zum Fuchs: »Wie wäre es, wenn wir uns eine Mahlzeit Fische verschafften?

Wir haben dann Fische und Weißbrot, wie die großen Herren! Hänge deinen Schwanz ein wenig ins Wasser, so werden die Fische, die jetzt auch nicht viel zu beißen haben, sich daran hängen. Eile aber, ehe der Weiher zufriert.«

Das leuchtete dem Fuchs ein, er ging hin an den Weiher, der eben zufrieren wollte, und hing seinen Schwanz hinein, und eine kleine Weile, so war der Schwanz des Fuchses fest angefroren. Da nahm der Hase den Semmelkorb, fraß die Semmeln vor des Fuchses Augen ganz gemächlich, eine nach der andern und sagte zum Fuchs: »Warte nur, bis es auftaut, warte nur bis ins Frühjahr, warte nur bis es auftaut!« und lief davon, und der Fuchs bellte ihm nach, wie ein böser Hund an der Kette.