Das Natterkrönlein

Ludwig Bechstein

Das Natterkrönlein

Alte Großväter und Großmütter haben schon oft ihren Enkeln und Urenkeln erzählt von schönen Schlangen, die goldene Krönlein auf ihrem Haupte tragen; diese nannten die Alten mit mancherlei Namen, Otterkönig, Krönleinnatter, Schlangenkönigin und dergleichen, und sie haben gesagt, der Besitz eines solchen Krönleins bringe großes Glück.

Bei einem geizigen Bauern diente eine fromme, mildherzige Magd, und in dessen Kuhstalle wohnte auch eine Krönelnatter, die man zuweilen des Nachts gar wunderschön singen hörte, denn diese Nattern haben die Gabe, schöner zu singen als das beste Vögelein. Wenn nun die treue Magd in den Stall kam und die Kühe molk oder sie fütterte und ihnen streute, was sie mit großer Sorgfalt tat, denn ihres Herrn Vieh ging ihr über alles, da kroch manchmal das Schlänglein, welches so weiß war wie ein weißes Mäuschen, aus der Mauerspalte, darin es wohnte, und sah mit klugen Augen die geschäftige Magd an, und dieser kam es immer vor, als wolle die Schlange etwas von ihr haben. Und da gewöhnte sie sich, in ein kleines Untertäßchen etwas euterwarme Kuhmilch zu lassen und dem Schlänglein dieses hinzustellen, und das trank die Milch mit gar großem Wohlbehagen, drehte und wendete dabei sein Köpfchen, und da glitzerte das Krönlein wie ein Demant oder ein Karfunkelstein und leuchtete ordentlich in dem dunkeln Stalle.

Das gute Mädchen freute sich über die weiße Schlange gar sehr und nahm auch wahr, daß, seit sie dieselbe mit Milch tränkte, ihres Herrn Kühe sichtbarlich gediehen, viel mehr Milch gaben, stets gesund waren und sehr schöne Kälbchen zur Welt brachten, worüber sie die größte Freude hatte.

Da traf sich’s einmal, daß der Bauer in den Stall trat, als just die Krönleinnatter ihr Töpfchen Milch schleckte, das ihr das gute Mädchen hingestellt, und weil er geizig und happig über alle Maßen war, so begehrte er gleich so wild auf, als ob die arme Magd die Milch eimerweise weggeschenkt hätte.

»Du miserable, nichtsnutze Magd, die du bist!« schrie der böse Bauer. »So gehst du also um mit Hab und Gut deines Herrn? Schämst du dich nicht der Sünde, einen solchen giftigen Wurm, der ohnedies den Kühen zur Nacht die Milch aus den Eutern zieht, auch noch zu füttern und in den Stall zu gewöhnen? Hat man je so etwas erlebt? Schier glaub ich, daß du eine böse Hexe bist und dein Satanswesen treibst mit dem Teufelswurm!«

Das arme Mädchen kounte diesem Strome harter Vorwürfe nur mit reichlich geweinten Tränen begegnen, aber der Bauer kehrte sich nicht im mindesten daran, daß sie weinte, sondern er schrie und zankte sich mehr und mehr in den vollen Zorn hinein, vergaß alle Treue und allen Fleiß der Magd und fuhr fort zu wettern und zu toben: »Aus dem Hause, sag ich, aus dem Hause! Und auf der Stelle! Ich brauche keine Schlangen als Kostgänger! Ich brauche keine Milchdiebinnen und Hexendirnen! Gleich schnürst du dein Bündel, aber gleich! Und machst, daß du aus dem Dorfe fort kommst, und laßt dich nimmer wieder blicken, sonst zeig ich dich an beim Amt, da wirst du eingesteckt und kriegst den Staubbesen, du Malefiz-Wetterdirn!«

Laut weinend entwich die so hart gescholtene Magd aus dem Stalle, ging hinauf in ihre Kammer, packte ihre Kleider zusammen und schnürte ihr Bündlein, und dann trat sie aus dem Hause und ging über den Hof. Da wurde ihr weh ums Herz, im Stalle blökte ihre Lieblingskuh. Der Bauer war weiter gegangen; sie trat noch einmal in den Stall, um gleichsam im stillen und unter Tränen Abschied von ihrem lieben Vieh zu nehmen, denn frommem Gesinde wird das Vieh seiner Herrschaft so lieb, als wäre es sein eigen, daher pflegt man auch zu sagen, im ersten Dienstjahre spricht die Magd: meines Herrn Kuh, im zweiten: unsere Kuh, und im dritten und in allen folgenden: meine Kuh.

Und da stand nun die Magd im Stalle und weinte sich aus und streichelte noch einmal jede Kuh, und ihr Liebling leckte ihr noch einmal die Hand – und da kam die Schlange mit dem Krönlein auch gekrochen.

»Leb wohl, du armer Wurm, dich wird nun auch niemand mehr füttern.« Da hob sich das Schlänglein empor, als wollte es ihr seinen Kopf in die Hand legen, und plötzlich fiel das Natterkrönlein in des Mädchens Hand, und die Schlange glitt aus dem Stalle, was sie nie getan, das war ein Zeichen, daß auch sie aus dem Hause scheide, wo man ihr fürder nicht mehr ein Tröpflein Milch gönnen wollte.

Jetzt ging das arme Mädchen seines Weges und wußte nicht, wie reich es war. Es kannte des Natterkrönleins große Tugend nicht. Wer es besitzt und bei sich trägt, dem schlägt alles zum Glücke aus, der ist allen Menschen angenehm, dem wird eitel Ehre und Freude.

Draußen vor dem Dorfe begegnete der scheidenden Magd der reiche Schulzensohn, dessen Vater vor kurzem gestorben war, der schönste junge Bursche des Dorfes, dem entbrannte gleich in Liebe das Herz zu der jungen Frau und er grüßte sie und fragte sie: Wohin sie gehe und warum sie aus dem Dienst scheide. Da sie nun ihm ihr Leid klagte, hieß er sie zu seiner Mutter gehen, und sie solle dieser nur sagen, er sende sie. Wie nun die Magd zu der alten Frau Schulzin kam und ausrichtete, was der Schulzensohn ihr aufgetragen, da faßte die Frau gleich zu ihr ein großes Vertrauen und behielt sie im Hause, und als am Abende die Knechte und die Mägde des reichen Bauern zum Essen kamen, da mußte die Neuaufgenommene das Tischgebet sprechen, und da deuchte allen, als flössen des Gebetes Worte von den Lippen eines heiligen Engels, und wurden alle von einer wundersamen Andacht bewegt und gewannen zu dem Mädchen eine mächtig große Liebe. Und als abgegessen war und die fromme Magd wieder das Gebet und den Abendsegen gesprochen hatte, und das Gesinde die Stube verlassen, da faßte der reiche Schulzensohn die Hand des ganz armen Mädchens und trat mit ihr vor seine Mutter und sagte: »Frau Mutter, segnet mich und die – denn die nehm ich mir zur Frau oder keine. Sie hat mir’s einmal angetan!«

»Sie hat’s uns allen angetan«, antwortete die alte Frau Schulzin. »Sie ist so fromm als sie schön ist, und so demütig als sie makellos ist. In Gottes Namen segne ich dich und sie und nehme sie von Herzen gern zur Schwiegertochter.«

So wurde die arme Magd zu des Dorfes reichster Frau und zu einer ganz glücklichen noch dazu.

Mit jenem geizigen Bauern aber, der um die paar Tröpflein Milch sich so erzürnt und die treueste Magd aus dem Hause getrieben, ging es baldigst den Krebsgang. Mit der Krönleinnatter war all sein Glück hinweg. Er mußte erst sein Vieh verkaufen, dann seine Äcker, und alles kaufte der reiche Schulzensohn, und seine Frau führte die lieben Kühe, die nun ihre eigenen waren, mit grünen Kränzen geschmückt, in ihren Stall und streichelte sie und ließ sich wieder die Hände von ihnen lecken und molk und fütterte sie mit eigener Hand. Auf einmal sah sie bei diesem Geschäfte die weiße Schlange wieder. Da zog sie schnell das Krönlein hervor und sagte: »Das ist schön von dir, daß du zu mir kommst. Nun sollst du auch alle Tage frische Milch haben, so viel du willst, und da hast du auch dein Krönlein wieder, mit tausend Dank, daß du mir damit so wohl geholfen hast. Ich brauch es nun nicht mehr, denn ich bin reich und glücklich durch Liebe, durch Treue und durch Fleiß.«

Da nahm die weiße Schlange ihr Krönlein wieder und wohnte in dem Stalle der jungen Frau, und auf deren ganzem Gute blieb Friede, Glück und Gottes Segen ruhen.

Das Mäuslein Sambar, oder die treue Freundschaft der Tiere

Ludwig Bechstein

Das Mäuslein Sambar, oder die treue Freundschaft der Tiere

In einem weiten Wald war des Wildes viel, und darin stand ein großer Baum mit vielen Ästen, auf dem hatte ein Rabe sein Nest.Da sah er zu einer Zeit den Vogelsteller kommen und ein Garn unter den Baum spannen, erschrak und bedachte sich und dachte: Spannt dieser Weidmann sein Jagdzeug deinetwegen oder wegen anderer Tiere?Das wollen wir doch sehen!Indem so streute der Vogelsteller Samen auf die Erde, richtete sein Garn und stellte sich auf die Lauer.Bald darauf kam eine Taube mit einer ganzen Schar anderer Tauben, deren Führerin sie war, und da sie den Samen sahen und des Garns nicht acht gaben, so fielen sie darauf, und das Netz schlug zusammen und bedeckte sie alle.Des freute sich der Vogler, und die Tauben flatterten unruhig hin und her.Da sprach die Taube, welche die Führerin war, zu den andern Tauben: „Verlasse sich keine auf sich allein und habe keine sich selbst lieber als die andern, sondern lasset uns alle zugleich aufschwingen, vielleicht, daß wir das Garn mit in die Höhe nehmen, so erledigt eine jegliche sich selbst und die andern mit ihr.“ Diesem Rate folgten die Tauben, flogen zugleich auf und hoben das Garn mit in die Lüfte.Der Vogelsteller hatte das Nachsehen und das Nachlaufen, um zu gewahren, wo sein Netz wieder herab zur Erde fallen werde; der Rabe aber dachte bei sich: du willst doch auch nachfolgen und sehen, was aus diesem Wunder werden will?

Als die kluge Führerin der Tauben sah, daß der Jäger ihrem Flug nachlief, sprach sie zu ihren Gefährtinnen: „Sehet, der Weidmann folgt uns nach; beharren wir auf der Richtung über dem Wege, so bleiben wir ihm im Gesicht, und werden ihm nicht entgehen, fliegen wir aber über Berge und Täler, so vermag er uns nicht im Auge zu behalten und muß von seiner Verfolgung abstehen, da er daran verzweifeln wird, uns wieder zu finden. Nicht weit von hier ist eine Schlucht, da wohnt eine Maus, meine Freundin, ich weiß, daß, wenn wir zu ihr kommen, sie uns das Netz zernagt und uns erlöst.“

Die Tauben folgten dem Rat ihrer Führerin und kamen dem Vogler aus dem Gesicht.Der Rabe aber flog langsam hinter ihnen her, um zu sehen, was aus dieser Geschichte werden würde, und auf welche Weise sich wohl die Tauben von dem Netz erledigen würden, und ob er nicht lernen werde, in eigener Gefahr ihr Rettungsmittel zu gebrauchen?

Indessen erreichten die Tauben jene Schlucht, wo das Mäuschen wohnte, ließen sich nieder und sahen, daß die Maus wohl hundert Löcher und Aus- und Eingänge zu ihrer unterirdischen Wohnung hatte, um an vielen Enden bei drohender Gefahr sich verbergen zu können.Die Maus hieß Sambar, und die kluge Taube rief nun der Freundin: „Sambar, komm heraus!“ – Da rief das Mäuslein inwendig: „Wer bist du?“ und da rief die Taube: „Ich bin es, die Taube, deine Freundin!“ Und da kam das Mäuslein, guckte aus einem der Löcher vorsichtig und fragte: „O liebe Gesellin, wer hat dich so überstrickt?“ Da sprach die Taube: „O liebe Freundin!Weißt du nicht, daß keiner lebt, dem Gott nicht ein widerwärtiges Verhängnis schickt?Und der Betrügerinnen arglistigste ist die Zeit!Sie streute mir süße Weizenkörner und verbarg meinen Augen das trugvolle Netz, so daß ich mit meinen Freundinnen hineinfiel.Niemand verwahret sich der Schickung, die von oben kommt, ja Mond und Sonne leiden auch Verfinsterung, und aus des Sees grundloser Tiefe lockt der Menschen Trug den Fisch, wie er den Vogel aus der Lüfte Meer herab in seine falschen Schlingen zieht.“

Als die Taube dies mit vieler Beredsamkeit gesprochen, begann die Maus das Netz zu zernagen, und zwar an dem Ende, wo ihre Gespielin, die Taube, lag, diese aber sprach: „Fange an bei den andern, meinen Schwestern, und wenn du sie alle befreit hast, dann befreie auch mich.“ Aber die Maus folgte ihr nicht, obgleich sie wiederholt bat, und wie sie noch einmal die Maus darum ansprach, so fragte diese: „Was sagst du mir dies so oft, als ob du nicht auch wünschtest frei zu sein?“ Darauf antwortete die Taube: „Laß meine Bitte dir nicht mißfallen; diese meine Schwestern haben mir vertraut als ihrer Führerin; sie folgten willig mir und voll Vertrauen und durch meine Unvorsichtigkeit gerieten sie unter das Netz, darum ist es billig, daß ich auf ihre Erlösung eher denke als auf die meinige, zumal es nur durch ihre gemeinsame Hilfe gelang, auch mich zu erheben samt des Voglers Garn.Auch möchtest du ermüden bei den andern, weißt du aber mich, deine liebste Freundin, noch im Netz, so wirst du mich nicht verlassen.“

Darauf sprach das Mäuslein: „O liebe gute Taube, Taubenherz; viel Ehre macht dir diese Gesinnung und muß die Liebe stärken zwischen dir und deinen Gesellinnen.“ Und sie zernagte das Netz allenthalben, und die Tauben flogen frei und fröhlich ihren Weg, die Maus aber schlüpfte wieder in ihr Löchlein.

Das alles hatte der Rabe, der in der Nähe sich auf einen Baum niedergelassen hatte, gesehen und mitangehört, und hielt hierauf ein Selbstgespräch: „Wer weiß“, sprach er, „ob ich nicht auch in gleiche Lage und Gefahr komme wie diese Tauben?Dann ist es doch gar herrlich, edle Freunde zu haben, die uns aus der Not helfen.Mit dieser Maus möchte mir Freundschaft allewege frommen!“

Und da flog er von seinem Baum und hüpfte zu der Schlucht und rief: „Sambar, komme heraus!“ Und drinnen rief das Mäuselein: „Wer bist du?“ Da sprach er: „Ich bin der Rabe und habe gesehen, was deiner lieben Freundin, der Taube begegnet ist, und wie Gott sie befreit hat durch deine Treue, deshalb komme ich, auch deine Freundschaft zu suchen.“ Da sprach Sambar, das kluge Mäuslein, ohne daß es hervorkam: „Es kann nicht Freundschaft sein zwischen dir und mir; ein Weiser strebt nur zu erlangen das, was möglich ist, und unweise gilt, der das Unmögliche erringen will.So führe einer Schiffe übers Land und Karren übers Meer.Wie könnte zwischen uns Gesellschaft sein, da ich dein Fraß bin, und der Fresser du?“ Da sprach der Rabe: „Mäuselein, versteh mich wohl und sinn meiner Rede nach.Was frommte mir, fräße ich dich auf, dein Tod!Dein Leben soll mir hilfreich sein, und deine Freundschaft so beständig wie Ambra, der lieblich duftet, ob man auch verhüllt ihn trägt.“ Darauf sprach die Maus: „Wisse, Rabe, der Haß der Begierde ist der größte Haß.Löwe und Elefant hassen einander ihrer Stärke halber, das ist ein edler und gleicher Haß des Mutes und des Streites; aber der eingefleischte Haß des Starken gegen den Schwachen, das ist ein unedler und ungleicher Haß; so haßt der Habicht das Rebhuhn, die Katze die Ratte, der Hund den Hasen, und du mich.Erhitze Wasser am Feuer, daß es gleich dem Feuer dicht brennt, es wird darum doch kein Feuer sein, auch nie des Feuers Freund, sondern es wird, in das Feuer geschüttet, dieses dennoch dämpfen.Die Weisen sagen: Wer seinem Feind anhängt, gleicht dem, der eine giftige Schlange in seine Hand nimmt; er weiß nicht, wann sie ihn beißen wird.Der Kluge traut seinem Feinde niemals, sondern er hält sich fern von ihm, sonst geschieht ihm, wie einst dem Manne mit der Schlange geschah.“

Der Rabe fragte: „Wie geschah dem?“ Und da erzählte ihm die Maus folgendes Märchen:

Das Märchen vom Mann im Monde

Ludwig Bechstein

Das Märchen vom Mann im Monde

Vor uralten Zeiten ging einmal ein Mann am lieben Sonntagmorgen in den Wald, haute sich Holz ab, eine großmächtige Welle, band sie, steckte einen Staffelstock hinein, huckte die Welle auf und trug sie nach Hause zu.

Da begegnete ihm unterwegs ein hübscher Mann in Sonntagskleidern, der wollte wohl in die Kirche gehen, blieb stehen redete den Wellenträger an und sagte: »Weißt du nicht, daß auf Erden Sonntag ist, an welchem Tage der liebe Gott ruhte, als er die Welt und alle Tiere und Menschen geschaffen? Weißt du nicht, daß geschrieben steht im dritten Gebot, du sollst den Feiertag heiligen?«

Der Fragende aber war der liebe Gott selbst; jener Holzhauer jedoch war ganz verstockt und antwortete: »Sonntag auf Erden oder Mondtag im Himmel, was geht das mich an, und was geht es dich an?«

»So sollst du deine Reisigwelle tragen ewiglich!« sprach der liebe Gott, »und weil der Sonntag auf Erden dir so gar unwert ist, so sollst du fürder ewigen Mondtag haben und im Mond stehen, ein Warnungsbild für die, welche den Sonntag mit Arbeit schänden!«

Von der Zeit an steht im Mond immer noch der Mann mit dem Holzbündel, und er wird wohl auch so stehen bleiben bis in alle Ewigkeit.

Das Kätzchen und die Stricknadeln

Ludwig Bechstein

Das Kätzchen und die Stricknadeln

Es war einmal eine arme Frau, die in den Wald ging, um Holz zu lesen. Als sie mit ihrer Bürde auf dem Rückwege war, sah sie ein krankes Kätzchen hinter einem Zaun liegen, das kläglich schrie. Die arme Frau nahm es mitleidig in ihre Schürze und trug es nach Hause zu. Auf dem Wege kamen ihre beiden Kinder ihr entgegen, und wie sie sahen, daß die Mutter etwas trug, fragten sie: »Mutter, was trägst du?« und wollten gleich das Kätzchen haben; aber die mitleidige Frau gab den Kindern das Kätzchen nicht, aus Sorge, sie möchten es quälen, sondern sie legte es zu Hause auf alte weiche Kleider und gab ihm Milch zu trinken. Als das Kätzchen sich gelabt hatte und wieder gesund war, war es mit einem Male fort und verschwunden.

Nach einiger Zeit ging die arme Frau wieder in den Wald, und als sie mit ihrer Bürde Holz auf dem Rückwege wieder an die Stelle kam, wo das kranke Kätzchen gelegen hatte, da stand eine ganz vornehme Dame dort, winkte die arme Frau zu sich und warf ihr fünf Stricknadeln in die Schürze. Die Frau wußte nicht recht, was sie denken sollte, und dünkte diese absonderliche Gabe ihr gar zu gering; doch nahm sie die fünf Stricknadeln des Abends auf den Tisch. Aber als die Frau des andern Morgens ihr Lager verließ, da lag ein Paar neue fertiggestrickte Strümpfe auf dem Tisch. Das wunderte die arme Frau über alle Maßen, und am nächsten Abend legte sie die Nadeln wieder auf den Tisch, und am Morgen darauf lagen neue Strümpfe da. Jetzt merkte sie, daß zum Lohn ihres Mitleids mit dem kranken Kätzchen ihr diese fleißigen Nadein beschert waren, und ließ dieselben nun jede Nacht stricken, bis sie und die Kinder genug hatten. Dann verkaufte sie auch Strümpfe und hatte genug, bis an ihr seliges Ende.

Das klagende Lied

Ludwig Bechstein

Das klagende Lied

Es war einmal ein König, der starb und hinterließ seine Frau, die Königin, und zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter.Die Tochter war aber ein Jahr älter als der Sohn.Und eines Tages stritten die beiden Königskinder miteinander, welches von ihnen beiden König werden sollte, denn der Bruder sagte: »Ich bin ein Prinz, und wenn Prinzen da sind, kommen Prinzessinnen nicht zur Regierung.«

Die Tochter aber sprach dagegen: »Ich bin die erstgeborene und älteste, mir gebührt der Vorrang.« Beides, was die Kinder da sagten, sagten sie in aller Unschuld und hatten die Worte nur so aufgeschnappt von dem Hofgesinde, ohne den Sinn so recht eigentlich zu verstehen.

Da sie nun über ihren Streit nicht einig wurden, so gingen sie miteinander zur Mutter und fragten diese: »Sage, liebe Mutter, welches von uns beiden wird dereinst König werden?«

Diese Frage betrübte die Mutter, denn es blickte der Keim der Herrschsucht durch dieselbe, die nicht wurzeln soll im Gemüte eines Kindes, und sie antwortete: »Liebe Kinder!Seht einmal hier das schöne Blümlein recht genau an, und dann gehet in den Wald und suchet.Wer von euch beiden dieses Blümchen zuerst findet, der wird dereinst König werden.«

Die Kinder sahen sich voll Aufmerksamkeit das Blümchen an; sein Stengel war gestaltet wie ein Szepterlein und endete in einer halbaufgeschlossenen Lilie . Und die Kinder gingen ganz harmlos zusammen in den Wald und begannen zu suchen, und wie sie so suchten, so kamen sie bald auseinander, daß eins das andere aus den Augen verlor. Und da fand die kleine Prinzessin zuerst das Blümchen und freute sich darüber und sah sich nach dem Bruder um, der war aber nicht da. Und da dachte das Kind, er wird wohl bald kommen, ich will hier auf ihn warten, und legte sich auf den weichen Rasen und in den kühlen Baumschatten, und es war so still im Walde, Käfer und Bienen summten bloß, und eine nahe Quelle murmelte leise, und der Himmel blickte tiefblau durch die grünen Baumwipfel herab auf den grünen Waldesrasen. Die kleine Prinzessin hatte ihr Blümchen in die Hand genommen, und weil es so still und sie ein wenig müde war, so entschlummerte sie in Gottes Namen.

Es dauerte nur eine kleine Weile, so kam der Bruder an die Waldstelle, wo seine Schwester schlief; er hatte aber das Blümchen, welches er suchte, nicht gefunden; und da sah er die Schwester am Boden liegen, süß schlummernd, und die hatte das Blümchen in ihrer Hand.

Da stiegen in des Prinzen Seele schwarze Gedanken auf, und Schreckliches kam ihm in den Sinn.

Ich muß König werden, ich! dachte er, und die Schwester soll es nicht werden!Lieber will ich sie töten und will die Blume nehmen und damit heimgehen, und dann werde ich König.

Ach, da hieß es recht: gedacht und getan.Der Prinz ermordete sein unschuldiges Schwesterlein im Schlafe, verscharrte es im Walde und deckte Erde darauf und Rasen auf die Erde, und kein Mensch erfuhr etwas von dieser bösen Tat, denn wie der Prinz nach Hause kam, so sagte er, seine Schwester sei im Walde von ihm hinweg und ihren eigenen Weg gegangen.Wie er die Blume gefunden gehabt, habe er den Rückweg nach Hause angetreten und geglaubt, sie sei auch schon nach Hause.

Und da sind viele Jahre hingegangen, und die alte Königin hat fort und fort getrauert über die verlorene Tochter, die sie im ganzen Walde fruchtlos suchen ließ, und hat sich den Tod gewünscht, weil sie selbst die geliebte Tochter fortgeschickt hatte, und als ihr Sohn nun die Jahre seiner Mündigkeit erreicht hatte, so ward er König.

Und nach manchem, manchem Jahre kam ein Hirtenknabe in jenen Wald, der hütete dort seine Herde und stocherte zum Zeitvertreibe und aus Langeweile mit seiner Schippe in dem Rasen herum, wie die Hirten öfter tun, die manchesmal Herzen und Namen und Kreuze in den grünen Rasen graben, und da grub er von ohngefähr ein Totenbeinlein aus von der getöteten Prinzessin, das war so rein und weiß wie Schnee. Und der Hirtenknabe machte ein paar Löchlein in das Beinlein, so wurde daraus eine kleine Flöte, und diese setzte der Hirtenknabe an seine Lippen und blies. Da quollen klagende Töne aus dem Totenbeine, ach, so unendlich traurig, und es war ordentlich, als singe in demselben eine weinende Kindesstimme, daß der Hirtenknabe selbst weinen mußte, und konnte doch nicht aufhören zu blasen. Es lautete aber das klagende Lied also.

 	»O Hirte mein, o Hirte mein, 	Du flötest auf meinem Totenbein! 	Mein Bruder erschlug mich im Haine.  	Nahm aus meiner Hand 	Die Blum, die ich fand, 	Und sagte, sie sei die seine. 	Er schlug mich im Schlaf, er schlug mich so hart - 	Hat ein Grab gewühlt, hat mich hier verscharrt - 	Mein Bruder - in jungen Tagen. 	Nun durch deinen Mund 	Soll es werden kund, 	Will es Gott und Menschen klagen.«

Und immer war nur das eine und immer das eine Lied aus der beinernen Flöte zu bringen, und immer blies es der junge Hirte wieder, während ihm jedesmal die hellen Tränen über die Wangen herabrollten.

Wenn das klagende Lied im Walde erklang, da wurden alle Vögelein stumm und traurig, hingen Köpflein und Flügel und schwiegen; auch die Käfer und Bienen summten nicht mehr, und selbst das Murmeln der plätschernden, geschwätzigen Quelle war nicht mehr zu hören – es wurde so recht, was man sagt: totenstill.

Schallte das klagende Lied über eine Trift, so hingen die Tiere der Weide wehmütig die Häupter, und keines gab einen Laut; auch der Hund bellte nicht mehr und sprang nicht, wie sonst, fröhlich umher, vielmehr duckte er sich und winselte ganz leise, denn es war für alle Kreatur etwas Herzzerschneidendes in dem klagenden Liede. Aber der Hirtenknabe konnte nicht müde werden, dieses Lied zu flöten, bis einst ein Rittersmann am Hang vorüberkam, der hörte auch das Lied und fühlte, daß seine Augen tropften, und hielt und ließ nicht nach, bis der Hirtenknabe ihm, dem Ritter, die kleine Flöte käuflich abtrat. Und nun zog der Ritter im ganzen Lande herum, blies das Lied und brachte mit demselben alle Welt zu Tränen.

So kam dieser auch an den Hof, wo der junge König auf dem Throne saß, von dem das Lied sang und klagte und die alte Königin Mutter lebte auch noch, und es wurde ihr Kunde gebracht von dem ritterlichen Spielmanne, der ein Lied flöte, von dessen Melodei alle Herzen erzitterten und alle Seelen mit tiefer Trauer erfüllt würden.

Die alte Königin aber, die stets traurig war, sprach: »Was könnte es in der Welt geben, das trauriger wäre als meine Trauer?Ich wüßte nichts, mich wird das klagende Lied des Spielmannes nicht trauriger machen, als ich ohnehin bin.Lasset ihn immerhin kommen.«

Der ritterliche Spielmann kam und blies:

 	»O Ritter mein, o Ritter mein, 	Du flötest auf meinem Totenbein! 	Mein Bruder erschlug mich im Haine.«

Kaum hatte die alte Königin diese wenigen Worte vernommen, so schoß schon ein Tränenstrom aus ihren Augen – aber als es weiter tönte:

 	»Nahm aus meiner Hand 	Die Blum, die ich fand, 	Und sprach, sie wäre die seine« -

da stieß die Königin einen gellenden Schrei aus und fiel in eine tiefe Ohnmacht. Der Spielmann erschrak darüber und wollte absetzen, aber das konnte er nicht – das Lied wollte jedesmal, wenn es begonnen war, zu Ende gespielt sein – und als der letzte Ton mit tiefer Klage verzitterte, da erwachte die Königin aus ihrer Ohnmacht und rief: »Mir, mir die Flöte! Um alle meine Schätze – mir diese Flöte!«

Und der ritterliche Spielmann ließ der Königin die beinerne Flöte und sagte, er begehre keine Schätze – und nahm nichts an und zog weiter.

Und die Königin schloß sich ganz allein in ihre tiefsten Gemächer und blies das Lied und weinte so lange, bis sie fast keine Tränen mehr hatte.

Der König aber war ein lebenslustiger froher Herr geworden, der hatte seine Freude an Sang und Klang, feierte gern heitere Feste und freute sich seines Lebens.Einst geschah es, daß er auch ein Fest zu feiern beschlossen hatte, und es waren zahlreiche Sänger und Spielleute bestellt und zahlreiche Gäste eingeladen worden.Der Sitte gemäß hatte der junge König nie unterlassen, seine Mutter auch jedesmal einzuladen zu seinen Festen, aber sie hatte niemals teilgenommen, weil sie, wie sie dem Sohne dankend sagen ließ, zu viele Trauer im Herzen habe.Als aber diesesmal die Einladung wiederum an sie gelangte, da ließ sie sagen, sie werde teilnehmen.Dies wunderte den König und befremdete ihn, und er wußte nicht, ob er sich darüber freuen sollte.

Da nun alle Gäste in bunter Pracht versammelt waren und alle Sänger und Spielleute bereit und der Hof eintrat in den herrlich geschmückten Königssaal, darin das Fest stattfand, so erregte es fast eine bange Verwunderung, die alte Königin zu sehen in langem schleppenden, schwarzen Trauergewande und im Witwenschleier – der Jubel der Instrumente, der Harfen und Pauken, Flöten und Cymbeln aber brach los, und die Chöre der Sänger begannen in erhabenen Weisen eine Hymne zum Preise des Königs.

Was aber tut die alte Königin? Sie setzt sich nicht, sie steht starr, wie ein Marmorbild. Was hält sie denn für ein seltsames kleines Szepter in der Hand? Das ist ja kein Szepter, das ist ein Totenbein. Und warum hebt sie denn dies Totenbein zum Munde? Warum hält sie es so, wie Spielleute ihre Flöten halten?

Horch!Ein Ton – und es verstummen alle Pauken und Harfen und Cymbeln – noch ein Ton, und jeder Sängermund wird stumm.

Dort aber sitzt der König und blickt entsetzt, von ungeheuerem Grauen durchrieselt, auf seine Mutter, und alle, alle blicken auf die alte Königin.

Die alte Königin spielt ein Flötensolo.

 	»O Mutter mein, o Mutter mein - 	Du flötest auf meinem Totenbein!«

Da erbeben, erzittern schon alle Herzen, da bleibt schon kein Auge trocken, Hofstaat und Gäste, Sänger und Spielleute, alle weinen.

 	»Mein Bruder erschlug mich im Haine.«

Ha!« schreit der König, und das Szepter entsinkt seiner Hand, und er faßt mit beiden Händen nach seiner Krone.

 	»Nahm aus meiner Hand 	Die Blum, die ich fand, 	Und sagte, sie sei die seine.«

Da rollte die Krone von des Königes Haupte herab, fiel auf den Marmorboden und zerschellte.Es klang, als ob ein Totenschädel auf dem Marmor rasselte.

 	»Er schlug mich im Schlaf - er schlug mich so hart - 	Hat ein Grab gewühlt, mich im Walde verscharrt -«

Da stürzte der König selbst vom Throne herab und fiel auf sein Angesicht und stöhnte und wimmerte.

 	»Mein Bruder - in jungen Tagen«.

Der König wand sich in Todeszuckungen und bäumte sich und schrie: »Ende!Mutter – ende!«

Aber die alte Königin konnte nicht von selbst das klagende Lied beendigen, es tönte fort:

 	»Nun durch deinen Mund 	Soll es werden kund, 	Will es Gott und Menschen klagen.«

Da flohen, während diese Worte entsetzlich und zermalmend, und doch gar nicht laut, vernommen wurden, alle Gäste, Spielleute, Sänger und Hofdienerschaft zu allen Türen des Saales hinaus – darüber Instrumente und Sessel viele zerbrachen, und die Kerzen löschten aus, bis auf zwei – und als das Lied zu Ende geklungen war, war niemand mehr im weiten Saale als nur die Königin im Trauergewande und ihr sterbender Sohn in seinem bunten Flitterstaate, reich besetzt mit Gold und Perlen. Und sie kniete neben dem noch immer am Boden liegenden Sohne nieder, hielt sein Haupt in ihren Händen und weinte heiße Tränen darauf. Da löschte langsam die eine der beiden noch brennenden Kerzen aus.

Die alte Königin aber weinte und betete noch bis Mitternacht – dann verlöschte sie selbst die letzte Kerze und zerbrach die Flöte, auf daß niemand mehr das klagende Lied vernehme.

Das Hellerlein

Ludwig Bechstein

Das Hellerlein

Ein fremder Wandergast trat in ein Bauernhaus und fand alldadie Familie, den Vater mit Frau und Kindern, in trüber Stimmung und in Trauerkleidern, denn ihnen war vor wenigenWochen ein liebes und schönes Kind, ein Mädchen, gestorben.Die Leute ließen den Fremden, der ihnen jedoch verwandtwar, an ihrem Mittagsmahle Anteil nehmen. Man setzte sichnach gesprochenem Gebete zu Tische, da schlug es zwölf Uhr.Und mit dem letzten Schlage der Uhr ging ganz leise die Stubentüre auf, und es trat ein bleiches Kind herein in die Stube,grüßte niemand, sah sich nicht um, sprach kein Wort, sondernging schwebenden Ganges in die Kammer. Niemand sprach einWort, und auch der Fremde fragte nicht, aber es überlief ihnein Schauer.

Geschäfte hielten den Verwandten noch einen und den andern Tag im Orte und bei den Leuten, die ihn aufgenommen,fest, sonst wäre er lieber gegangen, denn am zweiten Tagezeigte sich dieselbe Erscheinung; das bleiche Kind kam zurStubentüre herein und ging schweigend in die Kammer – ohnedaß die Leute es nur zu gewahren schienen. Dasselbe geschaham dritten Tage, da hielt der Fremde nicht länger an sich,sondern fragte: »Ei, saget doch, was ist das für ein Kind, dasjeden Mittag Glock zwölf so still durch die Stube und in dieKammer geht?«

»Ich weiß von keinem solchen Kinde, ich sah noch keins«,antwortete der Vater, die Mutter aber begann zu weinen.

Jetzt ging der Fremde zu der Kammertüre, öffnete sie einwenig und blickte in die Kammer. Da gewahrte er das Kind. Essaß an der Erde und grub mit den Fingern in einer Ritzezwischen zwei Dielen gar emsiglich und wühlte und seufzeteleise: »Ach, das Hellerlein! Ach, das Hellerlein!« als aber dieKammertüre ein wenig knarrte, fuhr das Kind erschrockenzusammen und verschwand.

Nun sagte der Gast den Leuten an, was er gesehen, undbeschrieb des Kindes Gestalt, da rief die Mutter schluchzendaus: »Ach Gott, ach Gott! Das war unser Kind, das wir vor vierWochen begraben haben! Warum nur hat es keine Ruhe imGrabe?« Nun gab der Gast den Rat, die Diele aufzubrechen,und als das geschah, so fand sich darunter ein armseliges Hellerlein, das hatte das Kind in der Kirche in den Klingelbeutellegen sollen, hatte es aber behalten, bis es noch eines zweitenhabhaft würde, dann hatte es sich wollen Pfennigsemmel kaufen. Zu Hause aber hatte das Kind das Hellerlein fallen lassen,und es war zwischen den Dielen in die Ritze gefallen. Deshalbhatte das Kind keine Ruhe im Grabe. Am Tage darauf warf desKindes Mutter das Hellerlein in den Klingelbeutel, und vonnun an kam das Kind nicht wieder.

Aschenpüster mit der Wünschelgerte

Ludwig Bechstein

Aschenpüster mit der Wünschelgerte

Es war einmal ein reicher Mann, der hatte eine einzige schöne Tochter, welche er über alle
Maßen liebte. Seine Frau war gestorben. Die Tochter war außerordentlich schön, und was
sie nur immer wünschte, das gab ihr der Vater, weil er kein größeres Glück kannte, als sein
Mägdlein zu erfreuen, vielleicht auch, weil sie ein Wünschelfräulein war, dem jeder Wunsch
ausging.

»Schenke mir ein Kleid, Vater, das von Silber steht, ich will dir auch einen Kuß dafür
geben!« sprach eines Tages die Tochter zum Vater, und sie empfing bald das Kleid, und der
Vater empfing seinen Kuß.

»Schenke mir ein Kleid, lieber Vater, das vom Golde steht!« sprach die Tochter bald darauf,
»und ich will dir zwei Küsse geben.« Auch diesen Tauschhandel ging der Vater ein.
»Schenke mir ein Kleid, das von Diamanten steht, liebster Vater, und ich will dir drei Küsse
geben!« bat wiederum die Tochter, und der Vater sagte ihr: »Du sollst es haben, aber du
machst mich arm.«

Der Vater schaffte das Kleid, und die Tochter fiel ihm dankend um den Hals, küßte ihn
dreimal und rief: »Nun, herzgoldener, herzallerliebster Vater, schenke mir eine Glücksrute und
Wünschelgerte, so will ich stets dein Goldkind sein und alles tun, was ich dir an den Augen
absehen kann!«

»Mein Kind«, sprach der Vater, »eine solche Gerte habe ich nicht, auch wird sie schwer zu
bekommen sein, doch will ich mein Glück versuchen, dich ganz glücklich zu machen.«

Da verreisete der Vater und nahm sein letztes Vermögen mit und forschte nach einer
Wünschelgerte, aber kein Kaufmann hatte dergleichen feil. So kam der Mann weit in ein
fernes Land, da fand er einen alten Zauberer und hörte, daß dieser eine Wünschelgerte
besitze. Diesen Zauberer suchte der nur zu gute Vater auf, trug ihm sein Anliegen vor und
fragte, was die Gerte kosten solle.

Der alte Zauberer sprach: »Wenn die Menschen Wünschelgerten mit Gelde kaufen könnten,
so würde es auf Erden bald keinen Wald mehr geben, und wenn auch jedes Bäumelein und
jedes Zweigelein eine solche Rute wäre. Der eine solche Gerte empfängt, opfert seine Seele
und stirbt drei Tage nachher, wenn er sie aus der Hand gegeben, es wäre denn, er gäbe sie
jemand, der auch seine Seele dafür zu opfern gelobt und bereit ist. Dann geht die Seele des
Besitzers frei aus.«

»Gut«, sprach der Vater jener Tochter. »Meinem Kinde zuliebe scheue ich das verlangte
Opfer nicht. Gib mir die Gerte!« Der alte Zauberer ließ den Mann seinen Namen in ein Buch
schreiben und erfüllte sein Verlangen. Die weite Reise nach der Gerte zehrte den letzten Rest
des Vermögens des reichen Mannes auf, der alles an die Tochter gewendet, aber es war ihm
einerlei. Sie nur durch Erfüllung aller ihrer Wünsche glücklich zu sehen, war sein einziger
Wunsch und Gedanke. Es ist gut, dachte er, wenn ich sterbe, denn sie würde doch noch mehr
wünschen, und wenn ich ihr nun keinen Wunsch mehr erfüllen könnte, würde ich selbst sehr
unglücklich sein.

Mit größter Freude empfing die Tochter aus ihres Vaters Hand, den sie mit Sehnsucht
zurückerwartete, die Wünschelgerte und wußte nicht, wie sie ihm danken sollte.

Aber nach drei Tagen hatte die Tochter einen neuen Wunsch. Sie hatte von einem überaus
schönen Prinzen gehört, der in einem fernen Lande wohne, sehr reich und aller Liebe würdig
sei. Den wollte sie gern zum Gemahl haben.

Der Vater aber sprach: »Meine geliebte Tochter, ich gab dir alles, was ich besitze, und für
deine Wünschelgerte gab ich Leib und Leben, ja meine Seele dahin. Ich scheide von dir;
schaffe du dir den Prinzen selbst, den du dir wünschest, lebe glücklich und denke mein in
Liebe.« Mit diesen Worten neigte der Vater sein Haupt und verschied. Seine Tochter
beweinte ihn aufrichtig und schmerzlich und sprach: einen bessere Vater hat es nie gegeben!
Und darin hatte sie sehr recht.

Als nun der Vater dieser Tochter zur Erde bestattet war, blieben ihr nicht Verwandte, nicht
Geld und Gut. Da tat sie ein Alltagskleid an, das war ein Krähenpelz, nahm ihr Silberkleid,
ihr Goldkleid und ihr Diamantkleid und hing alle drei über ihre Schulter, dann nahm sie die
Wünschelgerte in die Hand, schwang sie und wünschte sich in die Nähe des Schlosses, darin
der gerühmte Prinz wohnte. Da war es, als ob ein Wind sie sanft erhebe, und sie schwebte,
von der Luft getragen, eilend zur Ferne und war bald in einem Parkwalde, in dessen Nähe
sie das Prinzenschloß durch die dicken Eichbaumstämme schimmern sah. Sie schlug mit der
Gerte an die dickste dieser Eichen und wünschte, daß da drinnen ein Schrein wäre, in dem
sie ihre Kleider aufhängen könne, und ein Stübchen, sich darin umzukleiden, und das geschah
auch gleich alles. Sie verstellte nun ihre Gestalt in die eines Knaben und trat, mit dem
Krähenpelze angetan, in das Prinzenschloß. Der Geruch feiner Speisen führte sie der Küche
zu; dort bot sie dem Koch ihre Dienste an, als ein eltern- und heimatloser Knabe.

»Wohlan«, sprach der Koch, »du sollst mein Aschenpüster werden, sollst früh die Feuer
anschüren und am Tage unterhalten und sorgen, daß keine Asche umherfalle, dafür sollst du
dich alle Tage satt essen. Mußt aber auch des gnädigsten Herrn Prinzen Röcke ausbürsten
und seine Stiefel putzen und glänzend machen.« Das Mädchen wartete als Knabe ihres Amtes
und sahe nach einigen Tagen den Prinzen, der von der Jagd kam, den Küchengang
entlangschritt und einen Vogel, den er geschossen, in die Küche warf, damit derselbe gebraten
werde. Der Prinz war so schön und herrlich von Gestalt und Ansehen, daß Aschenpüster
alsbald eine heftige Liebe zu ihm fühlte. Gar zu gerne wäre sie ihm genaht, doch wollte sich
das nicht schicken. Da hörte sie, drüben auf einem Nachbarschlosse werde eine fürstliche
Hochzeit gehalten, die daure drei Tage lang, und da sei der Prinz der vornehmste Gast und
fahre täglich hinüber zum Tanze. Alles Volk und wer vom Schloßgesinde nur immer konnte,
lief hinüber, die Pracht der Festlichkeiten mit anzusehen. Da bat Aschenpüster den Koch, ihr
doch auch zu erlauben, hinüberzugehen und dem Tanze zuzusehen, denn die Küche sei in
Ordnung, jedes Feuer gelöscht, jedes Fünklein tot und die Asche wohl verwahrt. Der Koch
erlaubte seinem Diener, sich das erbetene Vergnügen zu gewähren. Aschenpüster eilte nach
ihrer Eiche, kleidete sich in das silberne Kleid und verwandelte ihre Knabengestalt in die
eigene, dann schlug sie an einen Stein mit ihrer Wünschelgerte, da wurde ein Galawagen
daraus, und rührte an ein Paar Roßkäfer, daraus wurden stattliche pechschwarze Rosse, und
ein Grasfrosch wurde zum Kutscher und ein grüner Laubfrosch zum Livreejäger. In den
Wagen setzte sich Aschenpüster, und heidi, ging es fort, als flögen wir davon. In den Tanzsaal
trat die stattliche Jungfrau, und von ihrer Schönheit war alles geblendet. Der Prinz gewann sie
gleich lieb und zog sie zum Tanze; sie tanzte entzückend, und war sehr glücklich, aber nach
einigen Reigen schwand sie aus dem Saale, bestieg ihren draußen harrenden Wagen, schwang
die Gerte und rief:

	»Hinter mir dunkel, und vor mir klar,
	Daß niemand sehe, wohin ich fahr!«

Es sah es auch niemand, wohin sie fuhr, aber der Prinz war über das schnelle Verschwinden
seiner schönen Tänzerin sehr unruhig, und da auf alle seine Fragen, wer sie gewesen und
woher sie sei, niemand Auskunft geben konnte, so verbrachte er die Nacht in großer Unruhe,
die sich am Morgen in einen schrecklichen Mißmut und in die üble Stimmung verwandelte, von
der selbst Prinzen bisweilen befallen werden können.

Der Koch brachte des Prinzen Stiefel in die Küche und klagte über dessen Mißlaune, indem er
die Stiefel Aschenpüster zum Putzen und Wichsen übergab. Sie übernahm diese Arbeit und
wichste die Stiefel so schön, daß der Kater sich mit Wohlgefallen darin spiegelte und seinem
Ich im Spiegel einen Kuß gab; davon verschwand an der Stelle, wo der Kater sich geküßt, der
Glanz.

Als Aschenpüster nun in ihrer Knabengestalt und im Krähenpelze in des Prinzen Zimmer
trat und die Stiefel hineinstellte, sah der Prinz gleich den matten Fleck, nahm den Stiefel, warf
ihn ihr an den Kopf und schrie: »Du Bengel von Aschenpüster! Wirst du wohl besser Stiefel
putzen lernen?!«

Aschenpüster hob den Stiefel auf und machte ihn wieder durchweg glänzend und schwieg.

Abends fuhr der Prinz abermals zum Tanze, und Aschenpüster erbat noch einmal Urlaub.
Da Aschenpüster am vorigen Abende bald wiedergekommen und nicht über die Zeit
ausgeblieben war, wie manches Dienstgesinde gerne tut, so gewährte der Koch wiederum
die Bitte – und nun ging Aschenpüster zu ihrem Schrein und Kämmerlein in der Eiche und tat
das goldene Kleid an, schuf sich mit der Wünschelgerte einen neuen Wagen, neue Rosse,
neue Bedienung und fuhr zum Schlosse hinüber. Dort war bereits der Prinz aber verstimmt.
Alles fehlte, weil sie fehlte. Da trat sie ein, strahlend wie eine Königin. Er eilte auf sie zu und
führte sie zum Tanze – O wie glücklich machte ihn ihr holdes Lächeln, ihr sinniges Gespräch,
ihre heitere schelmische Necklust! Viel hatte er heute zu fragen, unter anderem, wo sie her
sei. Lachend antwortete Aschenpüster, »Aus Stiefelschmeiß

Eine kurze Stunde weilte Aschenpüster beim Tanze – mit einem Male war sie aus dem Saale
verschwunden, rasch saß sie wieder in ihrem Wagen und sprach ihr Zauberwort:

	»Hinter mir dunkel, und vor mir klar,
	Daß niemand sehe, wohin ich fahr!«

Des Prinzen Blick suchte vergebens die geliebte Gestalt. Nach ihr fragend, wandte er sich
an diesen und jenen der Hochzeitgäste, niemand kannte sie. Er fragte seinen Geheimen Rat,
der mit ihm als sein Begleiter gekommen war: »Sagen Sie mir doch, mein lieber Geheimerat,
wo liegt der Ort oder das Schloß Stiefelschmeiß

Der Geheimerat machte eine tiefe Verbeugung und antwortete: »Durchlauchtigster Prinz!
Höchstdieselben geruhen? Stiefelschmeiß – o ja, das liegt – das liegt – in – in – fatal, nun fällt es
mir im Augenblicke nicht ein, wo es liegt. Sollte es wirklich ein Ort oder ein Schloß dieses
seltsamen Namens geben? Wo sollte selbiges liegen, Eure Durchlaucht?«

Der Prinz drehte dem Sprecher den Rücken zu und murmelte ärgerlich durch die Zähne: »Ich
lasse diesem Geheimerat jährlich dreitausend Taler Gehalt auszahlen, und nun weiß er nicht
einmal, wo Stiefelschmeiß liegt! Es ist schauderhaft!«

Daraus erklärte sich von selbst, daß, als die Morgenröte des nächsten Tages rosig
emporstieg, die Laune des Prinzen dennoch keine rosenfarbene war. Er hatte keine Ruhe,
wollte früh schon ausgehen, zog seinen Rock an, den Aschenpüster rein gebürstet hatte,
entdeckte darauf einige Stäubchen, rief nach einer Bürste und stampfte mit dem Fuße. Eilend
lief Aschenpüster im Krähenpelze mit der Bürste herbei, der Prinz war aber so schrecklich
böse, daß er ihr die Bürste aus der Hand riß, sie ihr an den Kopf warf und ihr zuschrie, sie
solle ein anderesmal gleich besser bürsten.

Am letzten Abende des nachbarlichen Hochzeitfestes lief wieder alles hinüber zum Schlosse,
und auch der Prinz fuhr wieder hin. Da bat Aschenpüster zum drittenmal um Erlaubnis, auch
zusehen zu dürfen, darüber schüttelte der Koch sehr den Kopf, daß der Junge so neugierig sei,
doch dachte er: Jugend hat nicht Tugend, und sagte: »Es ist heute das letztemal, laufe hin!«

Aschenpüster lief geschwinde in den Park in die Eiche, zog das Diamantkleid an, zauberte sich
wieder Rosse und Wagen, Kutscher und Lakaien und erschien wie ein lebendiger
Schönheitsstrahl beim Feste. Der Prinz tanzte vor allem mit ihr und nur mit ihr und fragte sie
zärtlich, wie sie denn heiße. Aschenpüster lächelte schelmisch und antwortete: »Cinerosa
Bürstankopf

Den Vornamen, der auf Rosa ausging, fand der Prinz, zumal er kein Latein verstand, sehr
schön, den Zunamen befremdlich – er hatte diese gewiß reiche und angesehene Familie noch
nie nennen hören, doch sprach er, von Liebe bezwungen, indem er ihr seinen Ring an einen
Finger schob: »Wer du auch sein magst, schönste Cinerosa! Mit diesem Ringe verlobe ich
mich dir!« Mit hoher Schamröte auf den Wangen blickte Aschenpüster zur Erde und zitterte.
Gleich darauf entfernte sie sich, als der Prinz nur einen Augenblick seine Augen anderswohin
wandte. Schnell saß sie im Wagen, aber der Prinz hatte soeben Befehl gegeben, den seinen
dicht hinter dem ihren aufzufahren, damit er ihr folgen könne. Aschenpüster schwang ihre
Wünschelgerte und sprach:

	»Hinter mir dunkel, und vor mir klar,
	Daß niemand sehe, wohin ich fahr!«

Und da rollte sie hin – rasch saß jetzt auch der Prinz in seinem Wagen und rollte ihr nach, aber
da war ihr Wagen nicht mehr zu sehen, gleichwohl hörte man dessen Räder rollen, und so
folgte der Wagenlenker des Prinzen diesem Schall. Der Tanz hatte diesesmal am längsten
gedauert, schon zog der frühe Morgen dämmernd heran; die Stunde war bereits da, in der die
Küchenarbeit begann, Aschenpüster zauberte schnell ihren Wagen und ihre Bedienung fort und
hatte nicht Zeit, sich erst umzukleiden, sie verbarg daher eiligst ihr Diamantkleid unter dem
Krähenpelze und eilte in die Küche. Der Prinz aber, welcher dem Wagen des herrlichen
Mädchens nachgefahren war, sah sich mit Verwunderung dicht vor seinem eigenen Schlosse
und wußte nicht, wie ihm geschah, war daher wieder sehr mißmutig und dazu sehr unmustern
und übernächtig.

»Unser Prinz ist gar nicht wohl auf!« sagte zu Aschenpüster der Koch. »Er muß ein
Kraftsüpplein haben oder eine Schokolade – zünde rasch Feuer an.« Der Morgenimbiß wurde
schnell bereitet, Aschenpüster warf des Prinzen Ring hinein, der Koch trug die Tasse auf. Der
Prinz trank und fand am Boden mit Erstaunen seinen Ring und fragte hastig: »Wer war so früh
schon in der Küche?«

»Euer Durchlaucht, niemand als ich und der Aschenpüster«, antwortete der Koch.

»Schicke mir diesen Burschen gleich einmal herein!« gebot der Prinz, und als Aschenpüster
kam, sah ihn der Prinz ganz scharf an, aber der Krähenpelz verhallte alle Schönheit.

»Komme her, tritt näher, Aschenpüster!« gebot der Prinz. »Komm, kämme mich, mein
Friseur liegt noch in den Federn!« Aschenpüster gehorchte; sie trat ganz nahe an den Prinzen
heran und strählte ihm mit elfenbeinernem Kamme das volle weiche Haar. Der Prinz befühlte
den Krähenpelz; derselbe war an einigen Stellen abgetragen, daher etwas mürb und
fadenscheinig, und durch die abgeschabten Fäden blitzte es so funkelklar wie Morgentau, das
war der Diamantglanz des Prachtgewandes, das Aschenpüster noch unter ihrem Krähenpelze
trug.

»Jetzt kenne ich dich, o Liebe!« rief voll unaussprechlicher Freude der Prinz. »Jetzt bist du
mein, jetzt bin ich dein! Auf ewig!« Und schloß die Braut in die Arme und küßte sie.

Kurz vor der Hochzeit bat die schöne Braut sich von ihrem geliebten Bräutigam noch eine
Gnade aus. Der gute Koch, der Aschenpüster so wohlwollend aufgenommen und so
freundlich und gütig behandelt hatte, empfing von dem Prinzen den Ritterschlag und wurde zum
Erbtruchseß erhoben. Das war ihm recht, da brauchte er das Essen nicht mehr zu kochen,
wie sonst, sondern konnte es an der fürstlichen Tafel in aller Ruhe selbst mit verzehren helfen,
und als die Hochzeit prachtvoll gefeiert wurde, da trug er im vollen Glanze seiner neuen
Würde, geschmückt mit Stern und Orden, dem prinzlichen Paare mit eigener Hand die Speisen
auf.

Aschenbrödel

Ludwig Bechstein

Aschenbrödel

Ein Mann und eine Frau hatten zwei Töchter, und es war auch
noch eine Stieftochter da, des Mannes erstes liebes Kind, gar
fromm und gut, aber nicht gern gesehen von ihrer Stiefmutter
und den Stiefschwestern, deshalb wurde es auch schlecht
behandelt. Es mußte in der Küche den ganzen Tag über wohnen,
alle Küchenarbeit tun, früh aufstehen, kochen, waschen und
scheuern, und nachts mußte es in der Bodenkammer schlafen.
Da kroch es bisweilen lieber in die Asche am Küchenherd und
wärmte sich, und da es davon nicht sauber aussehen konnte, so
wurde es von der Mutter und den Schwestern noch obendrein
Aschenbrödelchen genannt, aus Spott und Bosheit.

Einst war der Vater zur Messe gereist und hatte die Mädchen
gefragt, was er ihnen mitbringen solle; da hatte die eine schöne
Kleider, die andere Perlen und Edelgesteine gewünscht
Aschenbrödel aber nur ein grünes Haselreis. Diese Wünsche
hatte der Vater auch erfüllt. Die Schwestern putzten und
schmückten sich, Aschenbrödel aber pflanzte das Reis auf das
Grab ihrer Mutter und begoß es alle Tage mit ihren Tränen. Da
wuchs das Reis sehr schnell und wurde ein schönes Bäumlein,
und wenn Aschenbrödel auf dem Grab ihrer Mutter weinte, so
kam allemal ein Vöglein geflogen, das sah sie mitleidig an.

Da begab sich’s, daß der König ein Fest anstellte und dazu
alle Jungfrauen des Landes einladen ließ, denn sein Sohn sollte
sich aus ihnen eine Braut wählen. Und da schmückten sich die
Schwestern überaus reizend, und Aschenbrödel mußte ihnen
die Haare kämmen und schöne Zöpfe flechten, und daß sie
auch gern zum Tanz mitgehen mochte, das fiel gar niemand ein.
Als sie endlich es wagte, um Erlaubnis zu bitten, ward sie
schrecklich ausgelacht, daß sie sich einfallen ließe, zum Tanz
gehen zu wollen, da sie doch keine schönen Kleider habe und
Schuhe. Die böse Stiefmutter nahm geschwind eine Schüssel
voll Linsen, warf diese in die Asche und sagte: »So, so,
Aschenbrödel, mache dir etwas zu tun, lies erst die Linsen; dann sollst
du mitgehen, mußt aber in zwei Stunden fertig sein.«

Das arme Kind ging in den Garten und rief dem Vöglein auf
ihrem Haselnußbaum und auch den Täubchen, daß sie lesen
sollten die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen,
und bald wimmelte es von Tauben und andern Vögeln, da
währte es gar nicht lange, so war die Schüssel voll Linsen ganz
rein gelesen. Aber wie das gute Mädchen voller Freude die
Linsen brachte, ärgerte sich die Stiefmutter und schüttete jetzt
zwei Schüsseln voll Linsen in die Asche, und die sollte es nun
auch noch in zwei Stunden lesen. Aschenbrödel weinte, rief
aber die Vöglein wieder, und bald war auch diese Arbeit getan.
Es wurde ihr aber dennoch nicht Wort gehalten, sondern sie
wurde ausgelacht, denn sie habe ja keine Kleider und keine
Schuhe, und wie sie sei, könne sie sich nimmermehr sehen
lassen, auch müsse der Königssohn und jeder andre einen
schlechten Geschmack haben, der mit ihr tanze, und da gingen
jene Stolzen fort und ließen Aschenbrödel tief betrübt zurück.
Die ging zu ihrem Bäumchen und weinte bitterlich, da kam das
Vöglein geflogen und rief:

»Mein liebes Kind, O sage mir,

Was du wünschest, schenk ich dir!«

Da rief Aschenbrödel, indem sie das Bäumchen anfaßte:

»O liebes Bäumchen, rüttle dich!

O liebes Bäumchen, schüttle dich!

Wirf schöne Kleider über mich!«

Da flogen ein schönes Kleid herunter und kostbare Strümpfe
und Schuhe, das zog Aschenbrödel geschwind an und ging auf
den Ball, und das Mädchen war so schön, ach, so schön, daß es
gar niemand kannte, auch nicht einmal seine Mutter und seine
Schwestern, und der Königssohn tanzte nur mit ihm und mit
keiner andern Jungfrau, und als es abends nach Hause ging,
wollte er ihm folgen, es entwich ihm aber, zog geschwind Kleid
und Schuhe aus auf dem Grabe, unter dem Bäumchen, und
legte sich in seine Asche. Kleider und Schuhe verschwanden
augenblicklich.

So ging es noch zweimal, immer kam Aschenbrödel
unerkannt und in stets schönern Kleidern zum Tanze, immer tanzte
der Königssohn nur mit ihm, und immer folgte dieser, und beim
dritten Mal verlor es von ungefähr den einen kleinen goldnen
Schuh; der Königssohn hob ihn auf, bewunderte seine
Zierlichkeit und sprach es laut, ließ es auch durch die Herolde
kundtun,nur die Jungfrau, an deren Fuß der kleine Schuh passe, solle
seine Gemahlin werden, und ritt von Haus zu Haus, die Probe
zu machen.

Vergebens probierten die beiden Schwestern den kleinen
Schuh; es war, als ob ihre Füße ordentlich größer würden, da
fragte der Königssohn, ob nicht drei Töchter da wären, und der
Mann sagte: »Ja, Herr Prinz! Noch ein kleines Aschenbrödelchen !«

Und die Mutter setzte gleich hinzu: »Die sich nicht sehen
lassen kann.«

Der Königssohn wollte sie aber doch sehen; Aschenbrödel
wusch sich fein und rein und trat ein, auch in ihrem aschgrauen
Kittelchen durch ihre Schönheit die Schwestern überstrahlend.
Und wie es den goldnen Schuh anzog, so paßte er prächtig, wie
angegossen. Und der Königssohn erkannte sie nun auch gleich
wieder und rief: »Das ist meine holde Tänzerin, meine liebe
Braut!« nahm sie, führte sie aufs Schloß und befahl, ein
stattliches Hochzeitsfest zuzurüsten.

Beim Kirchgang hatte Aschenbrödel ein ganz goldenes Kleid
an und ein goldnes Krönlein auf dem Kopf; ihre Schwestern
gingen ihr voll Neid zur Rechten und zur Linken. Da kam das
Vöglein vom Haselbäumchen und pickte jeder ins Auge, daß
dies erblindete. Als nun die Braut aus der Kirche ging, kam
wieder das Vöglein und pickte wieder jeder das andere Auge
aus, und so waren sie für ihren Neid und Bosheit mit Blindheit
geschlagen ihr Leben lang.