Die Lebensgeschichte der Maus Sambar

Ludwig Bechstein

Die Lebensgeschichte der Maus Sambar

Ich bin geboren in dem Hause eines frommen Einsiedlers; es waren unsrer viele Geschwister, und außer meinen lieben verstorbenen Eltern lebten auch deren Geschwister, Vettern und Muhmen und deren Kinder allzumal in diesem Haus.Es fehlte uns niemals an Nahrungsmitteln aller Art, denn die guttätigen Leute in der Nachbarschaft trugen dem Einsiedler alle Tage Brot, Mehl, Käse, Eier, Butter, Früchte und Gemüse zu, viel mehr als er brauchte, darum, daß er für sie beten solle.Ob er für sie gebetet, und ob das ihnen etwas geholfen hat, weiß ich nicht.Nun gönnte der Einsiedler mir und meinen Verwandten doch nicht alles und hing deshalb einen Korb mitten in seine Küche, wo wir nicht dazu konnten.Da ich mich aber schon als junges Mäuslein durch Mut, gepaart mit List und Vorsicht, vorteilhaft auszeichnete, so sprang ich von der nahen Wand dennoch in den Korb, aß, soviel mir nur schmeckte und warf das übrige meinen Verwandten herunter, die an jenem Tag einen wahren Festtag feierten.

Als der Einsiedler hereinkam und sah, was geschehen war, traf er Anstalt, den Korb noch höher zu hängen. Da besuchte ihn ein Wallbruder, den bewirtete er nach seinem Vermögen, und als sie miteinander gegessen und getrunken hatten, tat der Einsiedel die Speisereste in den Korb und hing ihn an den neuen Ort und gedachte, achtzuhaben, ob das Mäuslein auch da hineinkommen möchte? Indes begann der Gast zu reden und zu erzählen von seinen Fahrten zu Land und zu Meer und seinen Abenteuern, die er erlebt und bestanden, aber er nahm wahr, daß der Gastfreund immer nur mit halbem Ohr auf ihn hörte und immer dem Korbe mit Leib und Blicken halb zugewendet blieb. Da ward der Waller unwillig und sprach: „Ich erzähle dir die schönsten Abenteuer, und du achtest nicht darauf und scheinst keine Lust daran zu haben“ – „Mitnichten“, erwiderte der Einsiedler, „ich höre gar gern deine Reden, aber ich muß achthaben, ob die Mäuse wieder in den Speisekorb kommen, denn dieses Ungeziefer frißt mir alles weg, daß kaum etwas für mich übrigbleibt, und besonders ist eine, die springt in den Korb für alle andern.“ Damit meinte er mich, die kleine Sambar. Darauf sagte der Wallbruder: „Bei deiner Rede machst du mich der Fabel eingedenk von einer Frau, die zu ihrer Freundin sprach: Diese Frau gibt nicht ohne Ursache den ausgeschwungenen Weizen für den unausgeschwungenen.“ -„Wieso? Wie war das?“ fragte der Einsiedler, und der Waller sagte: „Laß dir erzählen.

Einstmals auf meiner Wanderschaft herbergte ich bei einem ehrenwerten Mann, den hörte ich des Nachts, da ich nebenan schlief, zu seiner Frau sprechen: ‚Frau, morgen will ich etliche Freunde zu Gaste laden.‘ Dem antwortete das Weib: ‚Du vermagst nicht alle Tage Gäste zu haben und Wirtschaft zu machen; damit vertust du, was wir haben, und zuletzt bleibt uns im Haus und Hof gar nichts mehr.‘ Da sprach der Mann: ‚Hausfrau, laß dir das nicht mißfallen, was mein Wille ist, besonders in solchen Sachen! Ich sage dir, wer allewege karg ist, und nur immer einnehmen und zusammenscharren, aber niemals wieder ausgeben will, und dessen, was er hat, nicht recht froh wird, der nimmt ein Ende, wie der Wolf.‘

‚Wie war denn das Ende von dem Wolf?‘ fragte die Frau, und ihr Mann erzählte: ‚Es war einmal, so sagt man, ein Jäger, der ging nach dem Walde mit seinem Schießzeug, Pfeil und Armbrust, da begegnete ihm ein Rehbock, den schoß er und lud sich denselben auf, ihn heimzutragen. Darauf aber begegnete ihm ein Bär, der eilte auf ihn zu, und der Jäger, sich seiner zu erwehren, spannte in Eile die Armbrust, legte den Pfeil darauf, aber er vermochte nicht anzulegen, weil ihn der Rehbock hinderte und legte geschwind die Armbrust nieder, zückte sein Weidmesser und begann den Kampf mit dem Bären, und er rannte ihm das Messer durch den Leib in dem Augenblick, wo der Bär ihn umfaßte und ihn totdrückte. Wie der Bär die schwere Wunde fühlte, brüllte er und riß sie aus Wut noch weiter auf, so daß er sich bald verblutete. Abends ging ein Wolf des Wegs, der fand nun einen toten Rehbock, einen toten Bären und einen toten Jäger. Darüber ward er herzlich froh und sprach in seinem Herzen: Das alles, was ich hier finde, das soll alles mein bleiben, davon kann ich mich lange nähren. Meine Brüder sollen nichts davon bekommen. Vorrat ist Herr, sagt das Sprichwort. Heute will ich sparen und nichts davon anrühren, daß der Schatz lang dauert, obschon mich sehr hungert. Da liegt aber eine Armbrust, deren Sehne könnte ich abnagen. Und da machte sich der Wolf mit der gespannten Armbrust zu schaffen, die schnappte los, und der ausgelegte Strahl oder Bogenpfeil fuhr ihm mitten durchs Herz!‘ – ‚Siehe, Frau‘, so fuhr der Mann fort, dem ich zuhörte, sprach der Wallbruder zu dem Einsiedler, von welchem das Mäuslein Sambar ihren Freunden, dem Raben und der Schildkröte erzählte: – ‚Siehe, Frau, da hast du ein Beispiel, daß es nicht immer gut sei, zu sammeln, und das Gesammelte treue Freunde nicht mitgenießen lassen zu wollen. ‚ Darauf sprach die Frau: ‚Du magst recht haben.‘ Als nun der Morgen kam, stand sie auf, nahm ausgehülsten Weizen, wusch ihn, breitete den aus, daß er trockne und setzte ihr Kind dazu, ihn zu hüten, und dann ging sie weiter zur Besorgung ihrer übrigen Geschäfte. Aber das Kind tat, wie Kinder tun, es spielte und hatte nicht acht auf den Weizen, und da kam die Sau, fraß davon und verunreinigte den übrigen Weizen, den sie nicht fraß. Als die Frau hernach kam, und das sah, ekelte ihr vor dem übrigen Weizen, nahm ihn und ging auf den Markt und bot ihn feil gegen ungehülsten zu gleichem Maß. Da hörte ich eine Nachbarsfrau jener, die gesehen hatte, was vorgegangen war, spöttisch zu einer dritten sagen: ‚Schau, wie gibt die Frau so wohlfeil gehülsten Weizen gegen den ungehülsten! Es hat alles seine Ursache.‘ – So ist’s auch mit der Maus, von der du sagst, sie springe in den Korb für die andern Mäuse alle zusammen, und das muß wohl seine Ursache haben. Gib mir eine Haue, so will ich dem Mausloch nachgraben und die Ursache wohl finden.‘- „Diese Rede hörte ich“, so erzählte Sambar weiter, „im Löchlein einer meiner Gespielinnen; in meiner Höhle aber lagen tausend Goldgulden verborgen, ohne daß ich noch der Einsiedler wußten, wer sie hineingelegt, mit denen spielte ich täglich und hatte damit meine Kurzweil. Der Waller grub und fand bald das Gold, nahm es und sprach: ‚Siehe, die Kraft des Goldes hat der Maus solche Stärke verliehen, so keck in den hohen Korb zu springen. Sie wird es nun nicht mehr vermögen.‘

Diese Worte vernahm ich mit Bekümmernis, und leider befand ich sie bald wahr.Als es Morgen wurde, kamen die andere Mäuse alle zu mir, daß ich sie, wie gewohnt, wieder füttere und waren hungriger als je; ich aber vermochte nicht, wie ich sonst gekonnt und getan, in den Korb zu springen, denn die Kraft war von mir gewichen, und alsbald sah ich mich von den Mäusen, meinen nächsten Freunden und Verwandten, ganz schnöd behandelt; ja sie besorgten sich, am Ende mir etwas geben und mich ernähren zu müssen, deshalb ging eine jede ihres Wegs, und keine sah mich mehr an, als ob ich sie auf das bitterste beleidigt hätte.“

„Da sprach ich zu mir traurig in meinem Gemüte diese Worte: Gute Freunde in der Not, gehn fünfundzwanzig auf ein Lot; soll es aber ein harter Stand sein , so gehen fünf auf ein Quintlein. Wer keine Habe hat, hat auch keine Brüder; wer keine Brüder hat, hat keine Verwandtschaft; wer keine Verwandtschaft hat, hat auch keine Freundschaft, und wer keine Freundschaft hat, der wird vergessen. Armut ist ein harter Stand; Armut macht das Leben krank. Keine Wunde brennt so heftig als Armut. Vieles Lob wird dem Reichen, wenn aber der Reiche arm wird, dann wird ihm doppelter und dreifacher Tadel; war er mild und gastfrei, so ist er ein Verschwender gewesen; war er edel und freisinnig, so heißt er nun stolz und streitsüchtig; ist er still und verschlossen, so heißt er tiefsinnig; ist er gesprächig, so heißt er ein Schwätzer. Tod ist minder hart als Armut. Dem armen Mann ist eher geholfen, wenn er seine Hand in den offenen Rachen einer giftigen Schlange steckt, als wenn er Hilfe begehrt von einem Geizhals.“

„Weiter sah ich nun, daß der Waller und der Einsiedler die gefundenen Goldgulden zu gleichen Hälften unter sich teilten und fröhlich voneinander schieden; und der Einsiedler legte sein Geld unter das Kopfkissen, darauf er schlief Ich aber gedachte, mir etwas davon anzueignen, um meine verlorene Kraft wieder zu ersetzen, aber der Einsiedler erwachte von meinem leisen Geräusch und gab mir einen Schlag, daß ich nicht wußte, wo mir der Kopf stand und wie ich in mein Loch kam. Dennoch hatte ich keine Ruhe vor meiner Gier nach dem Gold und machte einen zweiten Versuch; da traf mich der Einsiedler abermals so hart, daß ich blutete und todwund in meine Höhle entrann. Da hatte ich genug und dachte nur mit Schrecken an Gold und Geld und sagte mir vier Sprüche vor in meinen Schmerzen und in meiner Traurigkeit: Keine Vernunft ist besser als die, seine eigenen Sachen wohl betrachten und nicht nach fremden streben. Niemand ist edel ohne gute Sitten. Kein besserer Reichtum als Genügsamkeit. Weise ist der, welcher nicht nach dem strebt, was ihm unerreichbar ist. So beschloß ich, in Armut und edlem Sinn zu beharren, verließ des Einsiedlers Haus und wanderte in die Einöde. Dort richtete ich mir ein wohnlich Wesen ein und lernte die friedsame Taube kennen, die ihre Hilfe bei mir suchte, dadurch auch du, Freund Rabe, dich zu mir gesellt hast, der mir von seiner Freundschaft zu dir, Schildkröte Korax, viel erzählte, so daß ich gern Verlangen trug, dich kennenzulernen, denn es ist auf der Welt nichts Schöneres, als Gesellschaft treuer Freunde, und kein größeres Betrübnis gibt’s, als einsam und freundlos sein.“

Damit endete das kluge Mäuslein Sambar seine Lebensgeschichte, und die Schildkröte nahm das Wort und sprach gar mild und freundlich: „Ich sage dir besten Dank für deine so lehrreiche Geschichte; viel hast du erfahren, und dein Schatz ist Weisheit geworden, die mehr ist als Gold.Nun vergiß hier bei uns dein Leiden und deinen Verlust und denke, daß das edle Gemüt man ehrt, auch wenn am irdischen Besitz es Mangel hat.Der Löwe, ob er schlafe, ob er wache, bleibt gefürchtet, und seine Stärke geht mit ihm, wohin er geht.Der Weise aber wechselt gern den Aufenthalt, auf daß er kennenlerne fremde Landesart, und zur Begleiterin erwählt er Gold nicht, nein – Vernunft.“

Wie der Rabe diese Worte hörte, freute er sich herzinnig über die Einigung seiner Freundinnen und sprach zu ihnen freundliche Worte; indem so kam ein Hirsch gelaufen, und als die treuen Tiere ihn hörten, so flohen sie, die Schildkröte in das Wasser, die Maus in ein löchlein, der Rabe auf einen Baum.

Und wie der Hirsch an das Wasser kam, erhob sich der Rabe in die Luft, zu sehen, ob vielleicht ein Jäger den Hirsch verfolge, da er aber niemand sah, so rief er seinen Freundinnen, und da kamen sie wieder hervor. Die Schildkröte sah den Hirsch am Wasser stehen mit ausgestrecktem Hals, als scheute er sich zu trinken, und rief ihm zu: „Edler Herr, wenn dich dürstet, so trinke; du hast hier niemand zu fürchten!“ Da neigte der Hirsch sein Haupt und grüßte die Schildkröte und näherte sich ihr, und sie fragte, woher er käme? Er antwortete: „Ich bin lange im wilden Walde gewesen, da habe ich gesehen, daß die Schlangen von einem Ende an das andere wandelten und habe Furcht gefaßt, es möchten Jäger den Wald einkreisen und bin hierher gewichen.“ Die Schildkröte sprach: „Hierher kam noch nie ein Jäger, darum fürchte dich nicht. Und willst du hier wohnen, so kannst du von unsrer Gesellschaft sein; es ist hier rings gute Weide.“ Das hörte der Hirsch gern und blieb auch da, und die Tiere erkoren einen Platz unter den Ästen eines schattenreichen Baumes, da kamen sie alle zusammen und erzählten einander von dem Laufe der Welt und auch schöne Märchen.

So kamen eines Tages die treubefreundeten Tiere auch zusammen, der Rabe, die Maus und die Schildkröte, aber der Hirsch blieb aus und fehlte.Da sorgten sie sich, ob ihm etwa von einem Jäger etwas begegnet wäre, und der Rabe wurde ausgesandt, nach ihm zu spähen und Botschaft zu bringen.Da sah er ihn nach einer Weile im Walde, nicht allzu fern von ihrem Aufenthalt, in einem Netz gefangen liegen, kam wieder und sagte das seinen lieben Gesellen an.Sobald die Maus das vernahm, bat sie den Raben, sie zum Hirsch zu tragen, und dort sprach sie zu ihm: „Bruder, wer hat dich so überwältiget?Man rühmet doch als der verständigsten Tiere eines dich!“ Darauf seufzte der Hirsch und sprach: „O liebe Schwester!Verstand schirmt nicht gegen den Urteilsspruch, der uns von oben kommt.Des Läufers Schnelle und des Starken Kraft zerreißt das Netz nicht, das Verhängnis heißt.“

Wie diese zwei noch redeten, kam die Schildkröte daher, sie war gekrochen, so schnell sie konnte; da wandte der Hirsch sich zu ihr und sprach: „O liebe Schwester, warum kommst du zu uns her? Und welchen Nutzen bringt uns deine Gegenwart? Die Maus allein vermag mich zu erledigen, und naht der Jäger, so entfliehe ich gar leicht, der Rabe fliegt von dannen, und die Maus entschlüpft. Dir aber, die Natur gemachsam schuf, nicht schnellen Schritts, auch fluchtgewandt nicht, dir droht schmähliche Gefangenschaft.“ Darauf antwortete die Schildkröte: „Ein treuer Freund, der auch Vernunft hat, wird sich nicht wert des Lebens dünken, wenn er um seine Freunde kam. Und wenn ihm nicht vergönnt ist, daß er helfe, so mag er trösten doch nach seinen Kräften. Das Herz aus seinem Busen zieht ein treuer Freund und reicht es seinem treuen Freunde dar.“

Als dies die Schildkröte noch sprach, während die Maus bereits das Netz eifrig zernagt hatte, hörten die Tiere den Jäger nahen, da entrann schnell der Hirsch, der Rabe entflog, die Maus entschlüpfte.Der Jäger aber fand sein Netz zernagt, erschrak, sah sich um und fand sonst niemand als die Schildkröte.Die nahm er, daß es Rabe und Maus mit Bedauern sahen, und band sie fest in einen Fetzen von dem Netz.

Die Maus rief dem Raben zu: „O wehe, weh!Wenn einem Glück kommt, wartet er auf das folgende, und kommt ein Unglück, überfällt auch gleich ein zweites ihn.Trug ich nicht Leids genug an meines Goldes Verlust, und nun bin ich der liebgewordenen Schwester bar, sie, die mein Herz vor allem liebgewonnen hat.Weh mir, weh meinem Leib, der aus einem Trübsalsnetz ins andre rennt, und dem nichts andres beschert ist als nur Widerwärtigkeit.“

Da sprachen Rabe und Hirsch zur Maus: „O kluge Freundin, klage nicht so sehr, denn Klagen ist nicht, was der Freundin frommt, und deine und unsre Trauer macht sie nicht von Banden frei. Ersinne Listen, wie wir sie befreien!“

Da sann das kluge Mäuslein Sambar eine Weile, dann sprach’s: „Ich hab’s. Du, Hirsch, gewinne schnell die Straße des Jägers und falle nahe dabei hin, wie halb tot, und du, Rabe, steh auf ihm, als ob du von ihm essest. Wenn das der Jäger sieht, so wird er, was er trägt, aus den Händen legen, dann schleppst du, Freund Hirsch, dich gemachsam etwas tiefer in den Wald, damit er dich verfolgt, indes zernage ich das Netz und mache unsere liebe Schwester frei.“

Dieser Ratschlag ward auch schnell ausgeführt.Der Hirsch und der Rabe eilten nun geschwind auf einem Umweg dem Jäger voraus und taten, wie ihnen die Maus geraten.

Der Jäger war gierig, den Hirsch zu erreichen, und warf alles, was er trug, von sich; der Hirsch kroch ins Dickicht, der Rabe flog nach, und der Jäger lief nach, und die Maus zernagte das Netz der Schildkröte und ging mit ihr nach Hause, dort fanden sie schon den Raben und den Hirsch, die schnell dem Jäger aus den Augen gekommen waren.Wie dieser nun zurückkehrte an den Ort, wo er seine Sachen hingeworfen hatte, die er noch dazu eine gute Länge suchen mußte, so fand er das Netz zernagt, und konnte sich nicht genug wundern.“Das muß der böse Teufel getan haben, und kein guter Geist!“ fluchte er, und dachte, daß böse Geister und Zauberer diese Gegend innehaben müßten, welche die Jäger in Tiergestalten äfften, ging furchtsam nach Hause und jagte nie mehr in diesem Wald.Und da wohnten nun die befreundeten Tiere miteinander in Ruhe, Eintracht und Glückseligkeit, und von Zeit zu Zeit kam auch die Taube in diese schöne Einsamkeit und besuchte die kluge Maus Sambar, ihre liebe Freundin, und brachte Neuigkeiten aus der Welt und allerlei schöne Geschichten, daran alle ihre Freude hatten.

Die Kornähren

Ludwig Bechstein

Die Kornähren

Es war einmal eine Zeit, aber das ist schon undenklich lange her, da trugen alle Komhalme, und auch die von anderem Getreide, volle goldgelbe Ähren herab bis auf den Boden; da gab es keine Armut und keine Hungersnot, niemals, und das war die goldene Zeit. Da konnten sich alle Menschen mit Wonne sättigen, und auch die Vögel, die gerne Körner fressen, Hühner und Tauben und andere Vögel, fanden Futter vollauf.

Aber da waren unter den Menschen welche, die waren undankbar und gottvergessen und achteten die schöne werte Gottesgabe, das liebe Getreide, für gar nichts. Da gab es Frauen, die nahmen, wenn ihre kleinen Kinder sich verunreinigt hatten, die vollen Ährenbüschel und reinigten damit ihre Kinder und warfen die Ähren auf den Mist; und die Mägde scheuerten mit den vollen Ähren, und die Buben und kleine Mädchen jagten sich durch das liebe Korn, spielten Verstecken darin, wälzten sich darauf herum und zertraten es. Das jammerte den lieben Gott, der das Getreide den Menschen zur Nahrung gegeben hatte und dem Vieh zum Futter und nicht zum Verderben, und dachte bei sich, wir wollen es anders machen und die goldne Zeit soll ein Ende haben.

Und da schuf der liebe Gott, daß hinfort jeder Halm nur eine einzige Ähre trug, einmal für die Menschen, damit sie das liebe Getreide besser schonen lernten, und einmal für die unschuldigen Tiere, damit sie doch noch ihr Futter haben sollten, wenn auch die Menschen nicht einmal die eine Ahre wert wären.

Von da an ist Hunger und Teuerung und Armut in die Welt gekommen. Nur zuweilen und selten läßt der liebe Gott da oder dort einen Wunderhalm mit vielen, vielen Ähren emporschießen und zeigt so dem Menschen, wie es einst beschaffen war um das Getreide und was Er kann. Und es geht eine alte Prophezeihung unter dem Volke, daß einmal nach langen Jahren, wenn das Engelwort sich erfüllt haben wird: Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und unter allen Menschen Wohlwollen, Segnung und Liebe, daß dann der Boden auch wieder von Gott erweckt werden solle, solche Halme zu tragen, die bis zur Wurzel voll Ähren sind. Unser keiner aber wird das erleben.

Die Jagd des Lebens

Ludwig Bechstein

Die Jagd des Lebens

Es war einmal ein Jäger, der ging zu Wald in eine öde Wildnis, dort zu jagen. Da kam er einem Tiere auf die Fährte, als er dieses aber endlich entdeckte, wünschte er es nimmermehr gesehen zu haben, denn es war ein mächtiges Einhorn, welches sich gegen ihn stellte. Eilig wandte er sich zur Flucht, und stets verfolgte ihn das Einhorn, bis er auf eine steile Felswand kam, deren schroffen Abhang tief unten die Wellen eines dunklen Sees bespülten. In dem See schwamm ein ungeheurer Drache, der den Rachen gähnend aufriß, und plötzlich glitt der Jäger aus und wäre gerade hinab in den See und in des Drachen Schlund gestürzt, wenn er nicht an einem einer Felsritze entsproßten Strauch sich festgehalten hätte. Da war nun des Jägers Lage eine todängstliche. Droben stand, wie ein Wächter, das schreckliche Einhorn, drunten lauerte auf seinen Hinabsturz der greuliche Seedrache. In dieser Not ward seine Angst und Qual aber noch vermehrt, denn mit einem Male erblickte er zwei Mäuse, eine weiße Maus und eine schwarze Maus; die begannen an den Wurzeln der Staude zu nagen, und der Jäger vermochte nicht, sie hinwegzuscheuchen, weil er sich mit beiden Händen anhalten mußte. So mußte er jeden Augenblick gewärtig sein, daß die Wurzeln des Strauchs diesen nicht mehr halten würden. Über ihm stand ein Baum, von dem träufelte süßer Honig nieder, und gar zu gern hätte der Jäger diesen Baum erlangt, denn damit meinte er aller Qual erledigt zu sein, und über den Baum vergaß er aller ihm drohenden Gefahr. Wir wissen nicht, ob es ihm gelungen, aus seiner dreifachen Qual erlöst zu werden, oder ob die Mäuse des Strauches Wurzeln ganz abgenagt. Der alte Dichter dieser Märe gibt ihr eine allegorische Deutung, indem er sagt: Der Jäger, das ist der Mensch, und das Einhorn, das ist der Tod, der ihm begegnet, ehe er es vermeint, und ihn immerdar verfolgt. Die steile Felswand ist die Erde, und der Strauch ist das Lehen, daran der Mensch nur mit schwachen Banden hängt. Die weiße und die schwarze Maus, welche das Leben an der Wurzel benagen, sind Tag und Nacht oder die rastlose Zeit, die an unserm Leben zehrt. Der dunkle See ist die Hölle, und sein Drache der Teufel, die darauf lauern, daß der Mensch falle und in ihren Rachen stürze. Der Honigbaum aber ist die Liebe, die das Leben versüßende, welcher der Mensch zustrebt und sie zu erlangen hofft zwischen Not und Tod, zwischen Qual und Pein, keiner Gefahr achtend, und mit deren Erringung er seine irdische Seligkeit findet. Doch soll der Mensch sich täglich hüten, da die Mäuse ihm an der Lebenswurzel zehren, daß er nicht in den See des Verderbens falle.

Die hoffärtige Braut

Ludwig Bechstein

Die hoffärtige Braut

Ein Pfarrer hatte eine schöne Tochter, die war über die Maßen eitel und hoffärtig, also daß sie jeden jungen Burschen, der sich in ihr hübsches Lärvchen vergaffte, über die Achsel ansah, denn sie trug das Näschen so hoch, daß sie sich einbildete, irgendein reicher Graf oder gar ein Prinz müsse kommen und sie heimfahren.Der Pfarrer war darüber sehr betrübt, weil er sie gern an einen braven Mann, am liebsten an einen Amtsbruder, verheiratet hätte. Wollte man aber glauben, die schöne Pfarrerstochter habe gar nicht nach den Männern sich umgesehen, so würde man sehr irren; jeden schönen jungen Mann, wenn er nur vornehm gekleidet war, musterte sie mit verstohlenen Blicken, ob sie nicht aus irgendeiner Falte den verkappten Prinzen herausfinde.Das kränkte den Vater noch mehr, und er hatte gar nicht Augen genug, sie zu hüten.Einst mußte er eine notwendige Reise unternehmen und die Tochter unter der Obhut der alten Magd zurücklassen.Er schärfte ihr aufs strengste ein, fein sittsam zu Hause zu bleiben, ja nicht einmal zum Fenster hinauszusehen; aber es ist eine bekannte Sache, daß man manchen Frauen nur verbieten darf, was sie tun sollen, so tun sie es gewiß.Der Vater hatte kaum den Rücken gewendet, als die gehorsame Tochter schon zum Fenster hinaussah, und siehe da, der Zufall wollte es, daß ein junger schöner Herr auf einem stolz sich bäumenden Rosse die Straße daher sprengte; sie konnte sich nicht satt an ihm sehen, und auch er hatte sie bemerkt, denn er wandte mehrmals den Kopf nach ihr um. Es war ihr auf einmal so sonderlich zu Sinn, als sei es ihr angetan; sie hatte keine Ruhe und Rast und hätte vor Freude laut aufjubeln mögen, als ein zierlich gefaltetes Briefchen an sie kam, worin sie gebeten wurde, sich zu der und der Stunde an einem bestimmten Orte einzufinden.Die Glocke hatte noch nicht geschlagen, als sie, aufs beste geschmeckt, sich auf den Weg machte; die alte Magd wurde durch eine Notlüge begütigt, und so stand die Pfarrerstochter bald vor dem jungen schönen Manne, den sie ins Herz geschlossen.Dieser war denn auch nicht blöde, gestand ihr, daß er sie liebe, Küsse und Schwüre wurden ausgetauscht, und der Fremde, der sich für einen Baron ausgab, versprach ihr, in den nächsten Tagen wiederzukommen und sie auf sein Schloß, das er ihr nannte, heimzuführen.

Die Pfarrerstochter schwamm von nun an in Lust und Wonne; Baronin zu werden erreichte zwar nicht das Ziel ihrer Wünsche, aber der Baron war so schön und fein, wie wohl mancher Fürst nicht.Aber Tag um Tag verging, und er kam nicht, sie abzuholen, auch der Vater war noch nicht von seiner Reise zurückgekehrt.Darüber wurde die schöne junge Braut ungeduldig und entschloß sich kurz, den Baron selbst heimzusuchen.Sie schmeckte sich deshalb mit ihren besten Gewändern und all ihrem Geschmeide, steckte ein großes Stück Schinken zu sich und machte sich zur Nachtzeit auf den Weg. Vor der Tür lag aber ein großer Kettenhund, der fing an zu knurren, als sie sich behutsam davonschleichen wollte und murrte:

 	»Bleibst du da, so bist du klug! 	Gehst du fort, so siehst du Trug!«

Aber sie hörte nicht darauf und schnitt ein Stück von ihrem Schinken ab, warf es dem Wächter hin, und während dieser danach schnappte und daran kaute, eilte sie davon.Sie mußte lange, lange gehn, bis sie das Schloß ihres Geliebten vor sich aufsteigen sah; mit klopfendem Herzen stieg sie den Berg hinan und trat ungehindert in das Tor, das offenstand und nur von einem großen mächtigen Hund bewacht wurde, der sie mit feurigen Augen ansah und murrte:

 	»Kehrst du um, so ist es gut, 	Bleibst du da, so siehst du Blut!«

Aber sie warf auch ihm ein Stück Schinken vor, und er ließ sie eintreten. Alles im Schloß war aber so wunderbar ruhig, daß ihr fast graute. Sie stieg die Wendeltreppe hinan, trat in das erste beste Gemach, wo verschiedene männliche Kleidungsstücke unordentlich umherlagen, von diesem in ein zweites, das mit allerlei Waffen angefüllt war, darauf in ein drittes, das noch die Spuren eines wüsten Zechgelages an sich trug, und endlich in ein viertes, in dem an beiden Seiten große Fässer standen. Sie wollte eben in das folgende treten, als sie Stimmen hörte; rasch verbarg sie sich hinter einem Faß und sah bald den Baron und mehrere wild aussehende Gesellen hereintreten, die ein junges, schön geschmücktes Frauenzimmer mit sich schleppten. Das Frauenzimmer wimmerte leise und rang flehend die Hände, als der Baron mit rauher Stimme zu ihr sagte: »Bereite dich zum Tode!« Sie beschwor ihn bei seiner Liebe, sie zu schonen; er möge all ihren Schmuck nehmen, und sie wolle ihm schwören, nichts zu verraten, nur möge er sie zu ihrem armen Vater heimkehren lassen. Der Baron sagte kalt: »Du mußt sterben! Und du wirst bald Gesellschaft bekommen, die Tochter eines Pfarrers, auch so ein hoffärtiges Ding als du, wird dir folgen!« Da gerann der Versteckten freilich das Blut zu Eis, aber sie hatte noch so viel Besinnung, sich mit keinem Atemzug zu verraten. Und bald hörte sie das Röcheln der Sterbenden, deren Blut über die Dielen floß bis in ihr Versteck, und sie mußte sehn, wie die wilden Gesellen ihren Schmuck abnahmen und ihr die Ringe von den Fingern ziehen wollten; die Finger waren aber geschwollen, deshalb griffen die Mörder nach einem Beile und hackten sie ab. O Entsetzen, einer davon sprang auf den Schoß der Pfarrerstochter! Sie hätte laut aufgeschrien, wenn der Schreck ihr nicht die Zunge gelähmt hätte. Die Räuber suchten nach den Fingern und vermißten den einen. Wehe, wenn sie sorgfältig danach suchten, und das schienen sie wirklich tun zu wollen, und einer näherte sich schon dem Fasse, hinter dem die Pfarrerstochter verborgen war. Diese betete in ihrer Angst gar inbrünstig zum Himmel und das Gelübde, alle Hoffart abzulegen, wenn sie nur diesmal aus der Mörderhöhle befreit würde. Da sprach der Baron: »Genug für heute; morgen ist auch ein Tag; ich bin schläfrig und müde.« Die Gesellen ließen ab vom Suchen und begaben sich in das anstoßende Gemach, durch welches die Pfarrerstochter gekommen war.

Bald hörte sie ein tiefes Schnarchen und dachte nun daran, das Schloß wieder heimlich zu verlassen.Sie schlich auf den Zehen aus ihrem Versteck, aber, o wehe! die Schläfer lagen knapp an der Schwelle und so dicht aneinander, daß sie nicht über sie hinwegschreiten konnte, ohne sie zu berühren.Sie faßte sich jedoch ein Herz, indem sie dachte: bleibst du hier, so bist du gewiß verloren, wagst du jetzt zu entfliehen, so gelingt dir’s vielleicht!Mit Gott und keck schritt sie über die Schläfer hinweg.Da regten sich diese, stießen sich an, und einer sprach zum andern: »Was stößest du mich denn?«

»Der Satan vergelte dir’s, du hast mich gestoßen!« antwortete der andere, und sie gerieten darüber fast in Streit, schliefen aber wieder ein, während das Mädchen sich niedergeduckt hatte. Als sie fest schliefen, eilte das Mädchen durch die andern Gemächer, die Wendeltreppe hinab, warf dem Hunde den Rest ihres Schinkens vor und flog davon, so schnell sie konnte. Zum Tod erschöpft kam sie an ihres Vaters Hause an. Er war zurückgekehrt, und sie fand ihn in großer Sorge um sie. Sie gestand ihm alles mit Tränen, zeigte ihm den Finger, den sie mitgenommen, und er dankte Gott für ihre Rettung und nahm sich vor, den Bösewicht zu entlarven.

Einige Tage vergingen, als der schöne junge Baron wieder durch das Dorf ritt und die Pfarrerstochter zu sich berief.Der Pfarrer gab ihr Anweisung, was sie tun solle, und schön geschmückt ging sie nach dem Platz des Stelldicheins.Er sagte, er sei gekommen, sie mit auf sein Schloß zu nehmen; sie aber tat ängstlich und sagte, sie habe einen bösen Traum gehabt. Als er in sie drang, ihm den Traum zu erzählen, da schilderte sie alles, was ihr wirklich begegnet war, daß der Baron sie betroffen ansah, jedoch sie mit den Worten zu beruhigen suchte: »Träume sind Schäume, liebes Kind!« »Aber der Traum war gar zu natürlich«, antwortete sie, »so natürlich, daß ich selbst den Finger noch habe, der mir auf den Schoß flog.« Dabei zog sie den Finger aus der Tasche.Als den der Baron sah, zog er einen Dolch und wollte sie niederstoßen; er hatte jedoch nicht Zeit dazu, denn er sah sich von Häschern umringt und festgehalten.Man durchsuchte das Schloß, fing die ganze Bande des Räubers und fand eine Menge geraubter Kostbarkeiten.Die Fässer aber waren alle voll Menschenfleisch.Dem Baron und seinen Gesellen wurde ihr Recht angetan, die Pfarrerstochter war ganz von ihrer Hoffart geheilt und ist später die brave Hausfrau eines Landgeistlichen geworden.

Die drei Nüsse

Ludwig Bechstein

Die drei Nüsse

Es war einmal ein Prinz, der war ein großer Jagdliebhaber, und obgleich seine Eltern ihm das Jagen strenge verboten hatten, so ging er doch eines Tages wieder in den Wald. Hier verfolgte er anhaltend einen Hirsch, bis dieser sich in ein großes schönes Haus flüchtete, das plötzlich vor dem überraschten Jäger stand, der aber auch in dieses Asyl dem Hirsch nachfolgte. Es war aber dieses Haus ein bezaubertes Schloß, und darinnen lebten drei schöne Prinzessinnen unter strenger Obhut ihrer Eltern, welche böse Zauberer waren. Kaum war der Jüngling eingetreten, so fiel hinter ihm ein starkes Gattertor, und er sah sich gefangen. Der alte Zauberer legte ihm gleich eine Arbeit auf, mit der er sich selbst lösen sollte.

Er sollte mit einem hölzernen Beile und mit einer hölzernen Säge eine große Menge Holz zerkleinern, wenn er dies nicht vollbringe, ward gedroht, würde er sein Leben verlieren. Als der Prinz sehr traurig über die Unmöglichkeit dieser schweren Aufgabe nachdachte und sich schon auf den unvermeidlichen Tod vorbereitete, trat die eine Prinzessin zu ihm und sagte mitleidig und freundlich: »Ruhe du jetzt, müder Jüngling, ich will dich von deiner Sorge befreien und diese dir unmögliche Arbeit für dich vollbringen.« Bald fiel der Prinz in Schlummer, da er von der Verfolgung des Hirsches sehr ermattet war, und als er erwachte, war die schwere Aufgabe gelöst. Er dankte der liebreichen Jungfrau, wobei es geschah, daß ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit sein ganzes Herz bezauberte. Heimlich trug er ihr Herz und Hand an, und die holde Jungfrau lächelte ihm Gewährung, sagte ihm aber auch schmerzlich, daß es ihn und sie noch schwere Kämpfe kosten werde, ehe sie zum Ziel gelangen würden. »Denn«, so sagte sie, »meine Eltern werden einen Tag festsetzen, wo ich mit meinen zwei Schwestern ganz überein angekleidet vor dir erscheinen werde, dazu mit bedecktem Gesicht, so daß es dir wegen der großen Ahnlichkeit unserer Gestalten schwer werden wird, mich von ihnen zu unterscheiden; wählst du aber im Irrtum eine meiner Schwestern, so kostet es dich das Leben – vielleicht auch mich, zur Strafe, daß ich Mitleid mit dir hatte. Doch will ich, Teurer, dir ein Zeichen geben, mich zu erkennen; sieh hier am Halse eine blaue Ader, welche dir das bange Klopfen meines Herzens verkünden wird; diese haben meine Schwestern nicht so sichtbar.

Der ängstliche Tag der schweren Wahl kam heran. Die sich ganz ähnlichen Schwestern saßen, überein gekleidet, mit ihren Eltern in einem Zimmer, in welches der Prinz geführt wurde. Lange sah er zweifelnd und ängstlich die drei Mädchengestalten an, doch plötzlich gewahrte er die klopfende Ader an dem Halse seiner auserwählten Braut, die ihm nun von den Eltern zugesagt wurde.

Aber diese hegten beide Zorn und Tücke gegen die jüngste Prinzessin, denn das war des Prinzen Geliebte, und hätten das Glück gern einer ältern Tochter gegönnt. Dieses wußte die kluge Braut aber recht gut, und da sie auch etwas von der Zauberkunst verstand, so gab sie irgendeinem Gegenstand im Palaste eine geheime Kraft, daß, wenn die Mutter aus feindlicher Absicht fragen würde, ob sie und der Prinz schliefen, eine Stimme immer nein antwortete. Des Nachts kam wirklich auch die Mutter und fragte ein Mal um das andere: »Schlaft ihr?« Drei Mal ertönte es: Nein! doch beim vierten Mal schwieg es. Jetzt glaubte die Mutter nun, sie seien eingeschlafen und rief dem Vater ganz laut zu: »Jetzt ist die Zeit, jetzt kannst du den Prinzen töten!«

Dieses entging den lauschenden Ohren des Prinzen und der Prinzessin nicht; sie flüchteten sich eilend, und als der Vater mit einem Speer in das Schlafgemach trat, fand er es leer. Als das Brautpaar eine Strecke geflohen war, sagte die Braut: »Sieh dich um, es brennt mich heiß auf den Rücken.« Der Prinz tat es, sah sich um und gewahrte hinter sich einen großen Raben. Als er dies der PrInzessin sagte, denn sie selbst durfte sich nicht umdrehen, sprach sie erschrocken: »Der schwarze Rabe, das ist meine Mutter, welche sich in diese Gestalt verwandelt hat, ich will mich schnell in einen Garten verwandeln und dich in einen Gärtner, aber behüte die Blumen sorgfältig, daß sie keine abpflücke.« Sogleich erfolgte die Verwandlung, und der Rabe umschwärmte kreischend den blühenden Garten, indessen der Gärtner wohl auf seiner Hut war, daß ihm keine Blume entwendet würde, und wehrte den Raben kräftig ab. Nach langem vergeblichen Streben, eine Blume nehmen zu können, flog der Vogel zuletzt mit häßlichem Gekreisch davon. Die Prinzessin und der Prinz nahmen nun wieder ihre natürliche Gestalt an und eilten weiter. Nach einiger Zeit sagte die Braut wieder: »Sieh dich um, es brennt mich heiß auf meinen Rücken.« Der Prinz sah sich wieder um und gewahrte einen großen Stoßvogel. Als er es seiner Braut sagte, verwandelte sie sich in einen Teich und ihren Geliebten in eine Ente. Schnell stürzte der Vogel herab und trank das Wasser so rein aus, daß nicht ein Tröpfchen mehr darin blieb, dann flog er in die Höhe und ließ drei Nüsse fallen mit dem Zuruf: »Damit, meine Tochter, wirst du dein Glück machen!« Dieser Vogel war der verwandelte Vater der Prinzessin. Das Brautpaar nahm nun wieder seine natürliche Gestalt an und erreichte nicht lange darauf eine Mühle.

Der Prinz war aber der Zaubereien und Verwandlungen schon müde; er dachte an seine Eltern, die nicht wußten, was aus ihm geworden, und sprach zu seiner Begleiterin: »Meine Teure, verbirg dich jetzt in die ser Mühle und erhole dich; ich will erst einmal in meine Heimat gehen, meine alten Eltern vergehen sonst vor Gram, wenn ich nicht wieder zurückkehre, dann will ich dich festlich von hier abholen und heimführen.« Traurig ging die Prinzessin hinein in die Mühle, und da sie unerkannt bleiben wollte, so verdingte sie sich als Magd hinein und diente da. Der Prinz ging fort nach seiner Heimat. Und bald vergaß er die gute Braut, die ihn doch befreit und erettet, und verlobte sich mit einer andern Prinzessin. Dieses hörte die Verlassene in der Mühle, nahm dort Abschied und ging traurig nach dem Schloß des Ungetreuen. Hier öffnete sie eine der drei Nüsse, es entfaltete sich ein herrliches Gewand daraus. Darauf ging die Prinzessin mit dem kostbaren Kleid zu der neuen Braut des Prinzen und ließ ihr das Kleid zeigen. Das gefiel der Braut über alle Maßen wohl, und sie ließ gleich die Besitzerin kommen und fragen, was sie dafür verlange. Da verlangte jene, ohne Beisein eines Menschen in das Gemach des Prinzen gelassen zu werden. Dies sagte die Braut zu und bestimmte die Stunde, in welcher die Prinzessin dem Prinzen nahen durfte. Aber als nun die Unterredung stattfinden sollte und die Prinzessin in das Gemach des Prinzen trat, fand sie ihn schlafend, denn die arge Braut hatte ihm einen Schlaftrunk eingegeben, so daß er nicht mit der reden konnte, die ihn zu sprechen begehrte. Da diese Arme nun so überlistet war, ging sie weinend fort und öffnete ihre zweite Nuß. Aus der quoll noch ein schönres Kleid, und damit tat die Prinzessin, wie sie mit dem ersten getan. Die habgierige Braut wollte wohl auch dieses Kleid haben, deshalb sagte sie auch der Prinzessin zu, daß sie ohne Beisein eines Menschen mit dem Prinzen reden sollte, aber sie hatte einen abgerichteten großen Hund, den ließ sie in das Gemach des Prinzen kurz vorher, ehe die Prinzessin eintrat, und der bellte nun so laut und fürchterlich, daß sie erschrak und kein Wort sprechen konnte und weinend fortgehen mußte, denn er ließ sich von dem Prinzen nicht beschwichtigen. Jetzt nahm sie zur dritten Nuß ihre Zuflucht, öffnete sie, und das allerköstlichste Gewand, schöner als je eins auf Erden war, kam heraus. Dies trug sie abermals der Prinzessin hin, ließ sich aber diesmal das Wort geben, daß ihr vergönnt sein müsse, mit dem Prinzen zu reden, anders würde sie das Kleid nicht lassen. Da siegten die Pracht des Kleides und der Braut Putzsucht und Eitelkeit über Eifersucht und Tücke, und sie gewährte die erbetene Unterredung.

Als aber nun die Prinzessin zu dem Prinzen trat, gab sie sich ihm zu erkennen und hielt ihm sein Unrecht sanft vor, sagte ihm auch, wie hartnäckig und arglistig ihr die Unterredung zweimal vereitelt worden sei. Da schwand alle Neigung zu der Braut aus des Prinzen Herz und kehrte sich wieder zu der sanften und duldenden Prinzessin. Er führte sie zu seinen Eltern und gab jener andern Braut wiederum den Abschied, doch die Kleider durfte sie behalten. Als sie sich damit aber schmücken wollte, fiel eins nach dem andern in eitel Fetzen ihr vom Leibe herab.

Die drei Musikanten

Ludwig Bechstein

Die drei Musikanten

Es zogen einmal drei junge Musikanten aus ihrer Heimat in die Fremde, sie hatten alle drei bei einem Meister die Musik gelernt und wollten nun auch vereint bleiben und ihr Glück in fremden Landen versuchen.Von Ort zu Ort wanderten sie fröhlich dahin, spielten auf zu Kirmes- und Festtagtänzen und gewannen durch ihre lustigen Musikstücklein gar manchen schweren Batzen, neben dem stillen und lauten Beifall.So kamen sie denn auch einmal in ein Städtchen und belustigten am Abend die Gesellschaft mit schöner Musik.Endlich hörten sie auf aufzuspielen, sondern tranken eines, taten manchem Bescheid und gaben auch zum Gespräch der Gäste ihren Teil.Da ward mancherlei Verwunderliches durcheinander geplaudert und erzählt.Zunächst ging die Rede von einem Zauberschloß, welches sich in der Nähe des Städtchens befände und von welchem ebensoviel Wunderschönes als Wunderbares erzählt wurde.Bald hieß es: ja, dort sind ungeheure Schätze, dort ist stets Überfluß an den köstlichsten Lebensmitteln, obgleich keine Menschenseele darinnen wohnt – bald hieß es wieder: aber dort ist ein schrecklicher Gespensterspuk.Wer seinen Buckel weiß hinein trägt, bringt ihn braun und blau gefärbt wieder heraus, ohne die Schätze gehoben oder den Zauber gelöst zu haben.Dies und vieles andere wurde hin und her geredet über das verzauberte Schloß.Die drei Musikanten waren nicht sobald allein in ihrem Schlafkämmerlein, als sie sich lange unterredeten und zugleich den Gedanken erfaßten, das rätselhafte Schloß sich näher zu besehen, ja, sogar sich hineinzuwagen, um möglicherweise die dort verborgenen und verzauberten Schätze zu heben.Nun wurden sie einig unter sich, daß ein jeder einzeln, einer nach dem andern, sich hineinwagen sollte, je nach der Älte, und daß einem jeden ein ganzer Tag dazu vergönnt sein sollte, sein Abenteuer zu bestehen.

Der erste Glücksversuch fiel dem Geiger zu.Der machte sich mutvoll und ohne Säumen auf das Schloß und fand, als er dort anlangte, die Eingangspforten schon offen, als ob man seiner geharrt hätte; doch als er über die Schwelle geschritten war, schlug hinter ihm die schwere Türe zu, und es sprang ein riesiger Eisenriegel vor, obgleich kein lebendes Wesen zu erblicken war, doch als wenn ein strenger Pförtner hier sein Amt verrichte und Wache halte – und dem Geiger kam ein Grausen an, so daß sein Haar sich auf dem Wirbel sträubte.Aber er konnte weder umkehren noch verweilen, und es kräftigte ihn wieder der Gedanke an das zu hoffende Glück, an Gold und Schätze.Treppe auf, Treppe ab wanderte der Jüngling, durch herrliche Zimmer, kostbare Säle, trauliche Kabinettchen – alles prachtvoll ausgestattet und in der schönsten Sauberkeit erhalten.Aber überall war eine Totenstille, auch nicht das kleinste Mückchen lebte und wohnte hier.Doch dem Jüngling wuchs der Mut aufs neue, zumal als er den untern Räumen, Küche und Gewölben, sich zuwandte, wo in Fülle die seltensten und köstlichsten Speisevorräte vorhanden waren, in den Gewölben die Weinflaschen hoch aufgespeichert lagen und alle Sorten süßer eingemachten Früchte in großen Gläsern nach der Reihe standen.In der schönen blanken Küche knisterte vertraulich ein helles Feuerlein, und darüber ward von unsichtbarer Hand ein Bratrost gesetzt, und ein ausgesuchtes Wildbretfleisch tanzte aus dem Gewölbe herein in die Küche und auf den Rost; und viele andre Speisen, feine Gemüse und Pasteten und köstliches Backwerk wurden ebenso schnell als kostbar von unsichtbaren Händen zubereitet und dann in eins der schönsten Zimmer, wohin sich der Jüngling begeben hatte, ihm nachgetragen und auf einer gedeckten Tafel vor ihm ausgesetzt.Der Jüngling ergriff zuerst sein Instrument und ließ klangvoll seine schönen Melodien durch die stillen Räume schallen, worauf er sich dann ohne Zaudern zur einladenden Tafel setzte und zu schmausen anfing.Doch nicht lange, so öffnete sich die Türe, und es trat ein Männlein herein, etwa drei Ellenbogen hoch, mit einem Scharlachröcklein angetan, mit verwelktem Gesichtlein und einem grauen Bart, der bis auf die großen silbernen Schuhschnallen reichte.Und das Männlein setzte sich schweigend neben den Geiger und schmausete mit.Als nun die Reihe an den schönen Wildbretbraten kam, nahm der Geiger die Schüssel und nickte dem Männlein zu, doch zuerst zuzulangen, und dieses spießte lächelnd ein Stück Fleisch an die Gabel und nickte wieder und ließ dabei das Bratenstückchen unter den Tisch fallen.Gefällig bückte sich da gleich der gute Geiger, um es wieder aufzuheben; aber im Nu saß ihm schon das Bartmännlein auf dem Rücken und bläute so unbarmherzig auf ihn los, als ob es ihm das Lebenslicht ausblasen wolle.Und auch des Geigers Mund wurde zugehalten, bis unter unaufhörlichen Prügeln derselbe endlich zur großen Eingangspforte hinausgeschoben ward.Draußen schöpfte der halbtote Geiger frischen Odem und schlich dann ächzend dem Gasthof zu, wo die Kameraden geblieben waren.Es war schon Nacht, als er ihn erreichte, und jene beiden schliefen bereits.Am andern Morgen sahen sie ganz erstaunt den Geiger ebenfalls im Bette liegen und bestürmten ihn bald mit vielen Fragen; doch er kraute sich Kopf und Rücken, gab sehr kurze Antworten und sprach: »Gehet hin und sehet selber zu! Es ist eine kitzliche Sache.«

Der zweite Musiker, ein Trompeter, trat nun den Gang nach dem Zauberschloß an, fand alles ebenso wie das gebläute Geigerlein und wurde auch ebenso bewirtet mit Pasteten und Prügeln, so daß er am folgenden Morgen ebenfalls wie ein geprellter Fuchs auf seinem Lager lag und klagte, es sei ihm absonderlich aufgespielt worden, aus grober Tonart.

Dennoch hatte der dritte, ein Flötenbläser, noch Mut genug, um sein Heil im Zauberschloß zu versuchen.Er war der pfiffigste.Furchtlos durchwanderte er das ganze Schloß, es deuchte ihm recht angenehm, diese schönen Räume für immer zu besitzen; in Küche und Keller war ja Vorrat an Lebensmitteln die Hülle und Fülle.Bald ward auch für ihn eine kostbare Tafel gedeckt, und als er lange genug fröhlich singend und flöteblasend herum gewandert war, nahm er Platz und ließ es sich behagen.Da trat wieder das Bartmännlein herein und setzte sich neben den Gast.Und der unerschrockene Musikant ließ sich mit ihm in ein Gespräch ein und tat gerade, als ob er ihn schon hundertmal hier getroffen, doch war das Männlein nicht sehr redselig.Endlich kam es wieder an den Braten, und das Männlein ließ wieder mit Absicht ein Stück fallen; gutmütig war eben der Flötenbläser im Begriff es aufzunehmen, als er gewahrte, daß das Zwerglein flugs auf seinen Rücken springen wollte.Da wandte er sich alsbald rasch um, riß es von sich und packte und schüttelte das Männlein an seinem Bart so derb, bis er denselben zuletzt ganz herausriß und der kleine Alte ächzend niederstürzte.Aber so wie der Jüngling den Bart in seinen Händen hatte, überkam ihn eine außerordentliche Kraft, und er erschaute im Schloß noch viel wunderbarere Dinge als vorher; dagegen hatte das Männlein fast alles Leben verloren; es winselte und flehte: »Gib, o gib mir meinen Bart wieder, so will ich dir allen Zauber, der dieses Schloß umfaßt, kundtun und dir dazu verhelfen, den Zauber zu lösen, so daß du dadurch reich und ewig glücklich werden wirst.«

Der kluge Flötenbläser aber sprach: »Deinen Bart sollst du wieder haben, doch mußt du mir zuvor alles dies kundtun, sonst bist du ein Schalk.Und eher gebe ich den Bart nicht aus meinen Händen.« Da mußte der Alte sich bequemen, erst sein Versprechen zu erfüllen, ob er es gleich nicht willens gewesen war, sondern nur mit List seinen Bart wieder an sich bringen wollte.Der Jüngling mußte ihm nun folgen, durch dunkle geheime Gänge, unterirdische Gewölbe und greuliche Felsklüfte, bis sie endlich auf ein freies Gefilde kamen, das gänzlich aussah wie eine viel schönere Welt als die unsrige.Und an einen Strom kamen sie, der brausete wild; doch das Männlein zog einen kleinen Stab hervor und schlug ins Wasser, worauf alsobald die Flut auseinander trat und stille stand, bis beide trockenen Fußes hinüber waren.Drüben war es eine Pracht! da ging es weiter durch grüne, herrliche Laubgänge, überall Blumen, Vöglein mit Silber- und Goldfedern, die sangen wundersam, und glänzende Käfer und Schmetterlinge gaukelten und tanzten herum, und andere niedliche Tiere schäkerten in Büschen und Hecken; und der Himmel über ihnen sah nicht blau, sondern wie pure Goldstrahlen aus, und die Sterne waren viel größer und kreiseten wie in verschlungenen Tänzen durcheinander.

Der Jüngling staunte; und staunte noch mehr, als er von dem grauen Zwerglein in ein noch weit prachtvolleres Gebäude als das Wunderschloß geführt wurde.Auch hier herrschte neben aller Herrlichkeit die tiefste Stille in den Gemächern, und als sie deren viele durchwandert, kamen sie in eins, das ganz mit Schleiern behangen war, wo in der Mitte des Zimmers ein dicht verhalltes Bette stand, darüber ein schöner Vogelbauer hing mit einem Vöglein, das gar helle Lieder durch die einsame Stille schmetterte.Das graue Männlein hub die Schleier und Hüllen vom Bette und führte den Jüngling näher; dieser sah hier auf weichen seidenen Kissen, die reich mit Goldtroddeln behangen waren, ein gar liebliches Mädchen schlafend daliegen, das war so schön wie ein Engel, hatte ein weißes Kleidchen an, und über ihre Brust und Schultern wallten die goldnen Locken herab, und auf dem Haupte blitzte eine demantne Krone; aber ein tiefer totenähnlicher Schlaf hielt die sanften Züge gefangen, und kein Geräusch vermochte die holde Schläferin zu erwecken.Da sprach das Männlein zu dem verwunderten Jüngling: »Siehe hier dieses schlafende Kind!Es ist eine hohe Prinzessin.Dieses schöne Schloß und dieses gesegnete Land ist ihr Erbgut, wann sie erlöset ist; aber seit Jahrhunderten schläft sie den festen Zauberschlaf, und auch seit Jahrhunderten fand noch keine menschliche Seele den Weg, der hierher fährt, den nur ich täglich zurücklegte, um dort im Schloß, das meine Wohnung ist, zu speisen und etwa die goldbegierigen Menschen, die sich einfanden, mit einem Gericht Prügel zu bedienen.Ich bin der Wächter über diese Schläferin und mußte sorgfältig verhüten, daß kein Fremder hier eindringe, und dazu ward mir mein Bart, in dem solche übermäßigen Kräfte wohnen, daß auch ich ebenfalls seit Jahrhunderten diesen Zauber zu üben vermag. Doch nun, wo mir der Bart entrissen, bin ich kraftlos und muß dieses überschwengliche Glück, das mit der holden Prinzessin erwacht, dir entdecken und überlassen.Und so schicke dich rasch zur Ausführung des Erlösungswunders.Nimm diesen Vogel, der über der Prinzessin hängt und der sie einst in den Zauberschlummer gesungen hat und seitdem jene Melodien auch immerfort singen mußte, nimm ihn, schlachte ihn und schneide ihm das kleine Herz aus, brenne es dann zu Pulver und gib dieses der Prinzessin in den Mund, alsobald wird sie davon erwachen und wird dich beglücken mit Hand und Herz, mit Land und Schloß und allen ihren Schätzen.«

Das Männlein schwieg erschöpft, und der Jüngling säumte nicht, an das Werk der Erlösung zu gehen.Schnell und gut wurde alles getreu nach der Angabe des kleinen Alten ausgeführt und das Pülverlein bereitet.Nach wenigen Minuten, als es der Prinzessin gegeben war, schlug sie frisch und lächelnd die Augen auf und hob sich vom Lager empor und sank dem glücklichen Jüngling an die Brust, liebkosete und dankte ihm und nahm ihn zu ihrem Gemahl an. Und in demselben Moment zog ein Donnern und Krachen durch das Schloß, auf allen Treppen wurde es laut, und in allen Zimmern wurde es geräuschvoll.Und endlich kam eine Schar Diener und Dienerinnen mit freundlichen Gesichtern in das Zimmer getreten, in dem das glückliche Paar weilte, und alle freuten sich und flogen dann flink und froh in die Küchen und Kellerräume, in Zimmer und Säle und Gänge an ihre Arbeit, und waren alle wie neugeboren.

Das graue Zwerglein aber heischte nun streng seinen Bart von dem Jüngling und gedachte immer noch in seinem boshaften Herzen, dem Glücklichen einen Possen zu spielen.Denn, wenn ihm der Bart erst wieder am Kinn saß, hatte er Macht, alle Sterblichen zu überwältigen. Allein der kluge Flötenbläser gebrauchte noch immer Vorsicht mit dem tückischen Männlein, er sprach: »Oh, deinen Bart sollst du wieder haben, sei nicht bange, ich will ihn dir zum Abschied überreichen, aber erlaube, daß wir beide, meine holde Braut und ich, dich eine kleine Strecke begleiten dürfen.« Das konnte das Männlein nicht verweigern.Sie gingen nun weit durch schöne Laubgänge und Blumenbeete mit dem Zwerg und kamen endlich an das ungeheuer tiefe, rauschende Wasser, das viele viele Meilen weit in der Runde um das Land der Prinzessin strömte und gleichsam die Grenzscheidung bildete.Keine Brücke und kein Nachen war rings vorhanden, worauf Menschen das jenseitige Ufer erreichen konnten; auch kein kühner Schwimmer hätte es errungen, denn die Wellenflut war zu tosend und wild.Da sprach der Jüngling zu dem Männlein: »Gib mir deinen Stab, auf daß ich dir diesmal noch zur Ehre das Wasser auseinander scheide.« Und das Männlein mußte gehorchen, weil es seine Bartkräfte noch nicht wieder hatte, und dachte auch im stillen noch in hämischer Freude: wenn er mir drüben über dem Wasser den Bart überreicht, so bekomme ich ihn doch in meine Gewalt, nehme ihm dann den Stab wieder ab, und beide können ihr wunderschönes Land nie betreten.Aber nicht also gingen des Zwerges boshafte Gedanken aus.Der kluge, glückliche Jüngling schlug mit dem Stab ins Wasser, es teilte sich behende und stand stille, und der Zwerg ging voran und ging hinüber, und schnell hinter ihm brausete die Flut zusammen; aber der Jüngling war mit seiner lieben Braut am andern Ufer zurückgeblieben, er behielt den Zauberstab und schleuderte nur den Bart übers Wasser hinüber, so daß ihn der Zwerg drüben auffing und sich ihn wieder ansetzte; und so ward der Alte doch um seinen Zauberstab betrogen und durfte hinfort nimmer wieder das herrliche Gebiet betreten.Und der glückliche Jüngling kehrte zurück ins Schloß mit seiner Holden, zu steter Freude und Glückseligkeit; und keine Sehnsucht kam ihm in sein Herz, je wieder zu seinen Kameraden zurückzukehren.Die saßen lange im Wirtshaus, und als jener nicht wiederkam, sprachen sie: »Der ist flöten gegangen« – und das ist hernach zum Sprichwort geworden, wenn einer oder eine Sache abhanden und nicht wiederkommt.

Die drei Hunde

Ludwig Bechstein

Die drei Hunde

Ein Schäfer hinterließ seinen beiden Kindern, einem Sohn und einer Tochter, nichts als drei Schafe und ein Häuschen, und sprach auf seinem Totenbett: „Teilt euch geschwisterlich darein, daß nicht Hader und Zank zwischen euch entstehe.“ Als der Schäfer nun gestorben war, fragte der Bruder die Schwester, welches sie lieber wollte, die Schafe oder das Häuschen? Und als sie das Häuschen wählte, sagte er: „So nehm‘ ich die Schafe und gehe in die weite Welt: es hat schon mancher sein Glück gefunden, und ich bin ein Sonntagskind.“ Er ging darauf mit seinem Erbteil fort; das Glück wollte ihm jedoch lange nicht begegnen. Einst saß er recht verdrießlich an einem Kreuzweg, ungewiß, wohin er sich wenden wollte; auf einmal sah er einen Mann neben sich, der hatte drei schwarze Hunde, von denen der eine immer größer als der andere war. „Ei, junger Gesell“, sagte der Mann, „Ihr habt da drei schöne Schafe. Wißt Ihr was, gebt mir die Schafe, ich wie Euch meine Hunde dafür geben.“ Trotz seiner Traurigkeit mußte jener lachen. „Was soll ich mit Euren Hunden tun?“ fragte er; „meine Schafe ernähren sich selbst, die Hunde aber wollen gefüttert sein.“ – „Meine Hunde sind von absonderlicher Art“, antwortete der Fremde; „sie ernähren Euch, statt Ihr sie, und werden Euer Glück machen. Der Kleinere da heißt: ‚Bring Speisen‘, der zweite ‚zerreiß’n‘, und der große Starke ‚brich Stahl und Eisen‘.“ Der Schäfer ließ sich endlich beschwatzen und gab seine Schafe hin. Um die Eigenschaft seiner Hunde zu prüfen, sprach er: „Bring Speisen!“ und alsbald lief der eine Hund fort und kam zurück mit einem großen Korb voll der herrlichsten Speisen. Den Schäfer gereute nun der Tausch nicht; er ließ sich’s wohl sein und zog lange im Lande umher.

Einst begegnete ihm ein Wagen mit zwei Pferden bespannt und ganz mit schwarzen Decken bekleidet und auch der Kutscher war schwarz angetan. In dem Wagen saß ein wunderschönes Mädchen in einem schwarzen Gewande, das weinte bitterlich. Die Pferde trabten traurig und langsam und hingen die Köpfe. „Kutscher, was bedeutet das?“ fragte der Schäfer. Der Kutscher antwortete unwirsch, jener aber ließ nicht nach zu fragen, bis der Kutscher erzählte, es hause ein großer Drache in der Gegend, dem habe man, um sich vor seinen Verwüstungen zu sichern, eine Jungfrau als jährlichen Tribut versprechen müssen, die er mit Haut und Haar verschlingt. Das Los entscheide allemal unter den vierzehnjährigen Jungfrauen und diesmal habe es die Königstochter betroffen. Darüber sei der König und das ganze Land in tiefster Betrübnis und doch müsse der Drache sein Opfer erhalten. Der Schäfer fühlte Mitleid mit dem schönen jungen Mädchen und folgte dem Wagen. Dieser hielt endlich an einem hohen Berge. Die Jungfrau stieg aus und schritt langsam ihrem schrecklichen Schicksal entgegen. Der Kutscher sah nun, daß der fremde Mann ihr folgen wollte, und warnte ihn, der Schäfer ließ sich jedoch nicht abwendig machen. Als sie die Hälfte des Berges erstiegen hatten, kam vom Gipfel herab ein schreckliches Untier mit einem Schuppenleib, Flügel und ungeheuren Krallen an den Füßen; aus seinem Rachen loderte ein glühender Schwefelstrom und schon wollte es sich auf seine Beute stürzen, da rief der Schäfer: „Zerreiß’n!“ und der zweite seiner Hunde stürzte sich auf den Drachen, biß sich in der Weiche desselben fest und setzte ihm so zu, daß das Ungeheuer endlich niedersank und sein giftiges Leben aushauchte; der Hund aber fraß ihn völlig auf, daß nichts übrigblieb als ein Paar Zähne, die steckte der Schäfer zu sich. Die Königstochter war ganz ohnmächtig vor Schreck und vor Freude, der Schäfer erweckte sie wieder zum Leben, und nun sank sie ihrem Retter zu Füßen und bat ihn flehentlich, mit zu ihrem Vater zu kommen, der ihn reich belohnen werde. Der Jüngling antwortete, er wolle sich erst in der Welt umsehen, nach drei Jahren aber wiederkommen. Und bei diesem Entschluß blieb er. Die Jungfrau setzte sich wieder in den Wagen, und der Schäfer ging eines anderen Weges fort.

Der Kutscher aber war auf böse Gedanken gekommen. Als sie über eine Brücke fuhren, unter der ein großer Strom floß, hielt er still, wandte sich zur Königstochter und sprach: „Euer Retter ist fort und begehrt Eures Dankes nicht. Es wäre schön von Euch, wenn Ihr einen armen Menschen glücklich machtet. Saget deshalb Eurem Vater, daß ich den Drachen umgebracht habe; wollt Ihr aber das nicht, so werf‘ ich Euch hier in den Strom und niemand wird nach Euch fragen, denn es heißt, der Drache habe Euch verschlungen.“ Die Jungfrau wehklagte und flehte, aber vergeblich; sie mußte endlich schwören, den Kutscher für ihren Retter auszugeben und keiner Seele das Geheimnis verraten. So fuhren sie in die Stadt zurück, wo alles außer sich vor Entzücken war; die schwarzen Fahnen wurden von den Türmen genommen und bunte daraufgesteckt, und der König umarmte mit Freudentränen seine Tochter und ihren vermeintlichen Retter. „Du hast nicht nur mein Kind, sondern das ganze Land von einer großen Plage errettet“, sprach er. „Darum ist es auch billig, daß ich dich belohne. Meine Tochter soll deine Gemahlin werden; da sie aber noch allzu jung ist, so soll die Hochzeit erst in einem Jahr sein.“ Der Kutscher dankte, ward prächtig gekleidet, zum Edelmann gemacht und in allen feinen Sitten, die sein nunmehriger Stand erforderte, unterwiesen. Die Königstochter aber erschrak heftig und weinte bitterlich, als sie dies vernahm, und wagte doch nicht, ihren Schwur zu brechen. Als das Jahr um war, konnte sie nichts erreichen, als die Frist noch eines Jahres. Auch dies ging zu Ende und sie warf sich dem Vater zu Füßen und bat um noch ein Jahr, denn sie dachte an das Versprechen ihres wirklichen Erretters. Der König konnte ihrem Flehen nicht widerstehen und gewährte ihr die Bitte, mit dem Zusatz jedoch, daß dies die letzte Frist sei, die er ihr gestattete. Wie schnell verrann die Zeit! Der Trauungstag war nun festgesetzt, auf den Türmen wehten rote Fahnen, und das Volk war im Jubel.

An demselben geschah es, daß ein Fremder mit drei Hunden in die Stadt kam.Der fragte nach der Ursache der allgemeinen Freude und erfuhr, daß die Königstochter eben mit dem Manne vermählt werde, der den schrecklichen Drachen erschlagen.Der Fremde schalt diesen Mann einen Betrüger, der sich mit fremden Federn schmücke.Aber er wurde von der Wache ergriffen und in ein enges Gefängnis mit eisernen Türen geworfen.Als er nun so auf seinem Strohbündel lag und sein trauriges Geschick überdachte, glaubte er plötzlich draußen das Winseln seiner Hunde zu hören; da dämmerte ein Lichter Gedanke in ihm auf.“Brich Stahl und Eisen!“ rief er so laut er konnte, und alsbald sah er die Tatzen seines größten Hundes an dem Gitterfenster, durch welches das Tageslicht spärlich in seine Zelle fiel. Das Gitter brach, und der Hund sprang in die Zelle und zerbiß die Ketten, mit denen sein Herr gefesselt war; darauf sprang er wieder hinaus, und sein Herr folgte ihm.Nun war er zwar frei, aber der Gedanke schmerzte ihn sehr, daß ein anderer seinen Lohn ernten solle.Es hungerte ihn auch und er rief seinen Hund an: „Bring Speisen!“ Bald darauf kam der Hund mit einer Serviette voll köstlicher Speisen zurück; in die Serviette war eine Königskrone gestickt.

Der König hatte eben mit seinem ganzen Hofstaat an der Tafel gesessen, als der Hund erschienen war und der bräutlichen Jungfrau bittend die Hand geleckt hatte.Mit freudigem Schreck hatte sie den Hund erkannt und ihm die eigene Serviette umgebunden.Sie sah dies als einen Wink des Himmels an, bat den Vater um einige Worte und vertraute ihm das ganze Geheimnis. Der König sandte einen Boten dem Hunde nach, der bald darauf den Fremden in des Königs Kabinett brachte.Der König führte ihn an der Hand in den Saal; der ehemalige Kutscher erblaßte bei seinem Anblick und bat kniend um Gnade.Die Königstochter erkannte den Fremdling als ihren Retter, der sich noch überdies durch die Drachenzähne, die er noch bei sich trug, auswies.Der Kutscher ward in einen tiefen Kerker geworfen, und der Schäfer nahm seine Stelle an der Seite der Königstochter ein.Diesmal bat sie nicht um Aufschub der Trauung.Das junge Ehepaar lebte schon eine geraume Zeit in wonniglichem Glück, da gedachte der ehemalige Schäfer seiner armen Schwester und sprach den Wunsch aus, ihr von seinem Glück mitzuteilen.Er sandte auch einen Wagen fort, sie zu holen, und es dauerte nicht lange, so lag sie an der Brust ihres Bruders.Da begann einer der Hunde zu sprechen und sagte: „Unsere Zeit ist nun um; du bedarfst unser nicht mehr.Wir blieben nur so lange bei dir, um zu sehen, ob du auch im Glück deine Schwester nicht vergessen würdest.“ Darauf verwandelten sich die Hunde in drei Vögel und verschwanden in den Lüften.

Die drei Hochzeitsgäste

Ludwig Bechstein

Die drei Hochzeitsgäste

Es waren einmal in einem Dorfe drei Hofhunde, die hielten gute Nachbarschaft miteinander, und da sollte eine große Bauernhochzeit sein; zu derselbigen war alt und jung geladen, und es wurde gekocht und gebacken, gesotten und gebraten, daß der Geruch durchs ganze Dorf zog. Die drei Hunde waren auch beisammen und rochen den feinen Dunst und ratschlagten, wie sie auch hin zur Hochzeit gehen wollten und sehen, ob nichts für sie abfallen werde. Aber um unnützes Aufsehen zu vermeiden, beschlossen sie, nicht zugleich alle drei auf einmal hinzulaufen, sondern einzeln, einer nach dem andern.

Der erste ging, machte sich in das Schlachthaus, erschnappte jählings ein großes Stück Fleisch und wollte damit seiner Wege gehen, allein er wurde erwischt und empfing eine fürchterliche Tracht Prügel, nächstdem, daß man ihm das Stück Fleisch aus den Zähnen riß.

So kam er hungrig und übelgeschlagen zurück auf den Hof zu seinen Nachbargesellen, die hungerten schon nach guter Nachricht und fragten: »Nun, wie hat es dir ergangen und gefallen?«

Nun schämte sich aber der Hund, die Wahrheit zu gestehen, daß sein Hochzeitmahl in einer scharfgesalzenen Prügelsuppe bestanden, sprach deshalb: »Ganz wohl! Aber es geht dort scharf her, und muß einer hart und weich vertragen können!«

Die Kameraden, als sie das hörten, vermeinten, es werde über alle Maßen gegessen und getrunken auf der Hochzeit, und es fallen viele gute Bröcklein ab, harte und weiche, Fleisch und Bein, und alsbald rannte der zweite Hund in vollen Sprüngen nach dem Hochzeithaus, gerade in die Küche, und nahm, was er fand – aber ehe er noch den Rückweg fand, war er schon bemerkt, und es ward ihm ein Topf voll siedendheißes Wasser über den Rücken gegossen, daß es nur so dampfte, als er von dannen schoß wie ein Pudel, der aus dem Wasser kommt; doch ob’s ihn auch schrecklich brannte, er verbiß seinen Schmerz. Als er nun auf den Hof kam, wo die beiden Kameraden seiner harrten, fragten die gleich: »Nun, wie hat es dir gefallen?«

»Ganz wohl!« antwortete der Hund, »aber es geht dort heiß her, und muß einer kalt und warm vertragen können!«

Da dachte der dritte Hund: die Hochzeitgäste sind beim Schmaus in voller Arbeit, und kalte und warme Speisen wechseln ab, wollte daher nichts versäumen und wenigstens zum Nachtisch da sein, wenn der mürbe Kuchen aufgetragen wird. Eilte sich, was er konnte. Kaum aber war er im Hause, so erwischte ihn einer, klemmte ihm den Schwanz zwischen der Stubentür, gerbte ihm das Fell windelweich und klemmte so lange, bis die Haut vom Schwanze sich abstreifte und der Hund verschändet entsprang.

»Nun, wie hat es dir auf der Hochzeit gefallen?« fragten die Freunde, jeder mit etwas Spott im Herzen.

Der Übelzugerichtete zog seinen geschundenen Schwanz, so gut es gehen wollte, zwischen die Beine, daß man diesen nicht sah und sprach: »Ganz wohl, es ging recht toll her und gab viel Mürbes, aber Haare lassen muß einer können.«

Und da dachten die drei Hunde noch lange daran, wie wohl ihnen die Hochzeitsuppe, die Hochzeitbrühe und der Hochzeitkuchen geschmeckt hatte, und vom Braten hat jeder genug gerochen.

Die drei Federn

Ludwig Bechstein

Die drei Federn

Einem Mann wurde ein Söhnlein geboren, und da der Vater ausging, einen Paten zu suchen, der das Kind aus der Taufe hebe, so fand er einen jungen wunderschönen Knaben, gegen den sein Herz gleich ganz voll Liebe wurde. Und als er ihm nun seine Bitte vortrug, war der schöne Knabe gern bereit, mitzugehen und das Kind zu heben, und hinterließ ein junges weißes Roß als Patengeschenk. Dieser Knabe ist aber niemand anders gewesen als Jesus Christus, unser Herr.

Der junge Knabe, der in der Taufe den Namen Heinrich empfangen hatte, wuchs zu seines Vaters und seiner Mutter Freude, und wie er die Jünglingsjahre erreicht hatte, da hielt es ihn nicht mehr daheim, sondern zog ihn in die Ferne, nach Taten und Abenteuern. Nahm daher Urlaub von seinen Eltern, setzte sich auf sein gesatteltes Rößlein, das ihm der unbekannte Knabe zum Patengeschenk gegeben, obschon er nicht wußte, wie viel dieses Rößlein wert war, und ritt frisch und fröhlich darauf in die Weit hinein. Da ritt er eines Tages durch einen Wald, und siehe, da lag hart am Wege eine Feder aus dem Rad eines Pfauen, und die Sonne schien auf die Feder, daß ihre bunten Farben in ihrem Glanze prächtig leuchteten. Der junge Knabe hielt sein Rößlein an und wollte absteigen, um die Feder aufzuheben und sie an seinen Hut zu stecken. Da tat das Rößlein sein Maul auf und sprach: »Ach, laß die Feder auf dem Grunde liegen!« Des verwunderte sich der junge Reiter, daß das Rößlein sprechen konnte, und es kam ihm ein Schauer an; blieb im Sattel, stieg nicht ab, hob die Feder nicht auf, ritt weiter. Nach einer Zeit geschah es, daß der Knabe am Ufer eines Bächleins hinritt, siehe, da lag eine bunte, viel schönere Feder auf dem grünen Gras, als jene war, die im Walde gelegen hatte, und des Knaben Herz verlangte nach ihr, seinen Hut damit zu schmücken; denn dergleichen Pracht von einer Feder hatte er all sein Lebtag noch nicht gesehen. Aber wie er absteigen wollte, sprach das Rößlein abermals: »Ach, laß die Feder auf dem Grunde!« Und wieder verwunderte sich der Knabe über alle Maßen, daß das Rößlein sprach, während es doch sonst nicht redete, folgte auch diesesmal, blieb im Sattel, stieg nicht ab, hob die Feder nicht auf, ritt weiter.

Nun währte es nur eine kleine Zeit, da kam der Knabe an einen hohen Berg, wollte da hinauf reiten, da lag an seinem Fuße im Wiesengrunde wieder eine Feder, das war nach seinem Vermeinen aber die allerschönste in der ganzen weiten Weit, und die mußte er haben. Sie glänzte und funkelte wie lauter blaue und grüne Edelgesteine oder wie die hellen Tautropfen in der Morgensonne. Aber wiederum sprach das Rößlein: »Ach, laß die Feder auf dem Grunde!« Diesesmal vermochte der Jüngling dem Rößlein nicht zu gehorchen und wollte seinen Rat nicht hören, denn es gelüstete ihm allzusehr nach dem lieblichen und stattlichen Schmuck. Er stieg ab, hob die Feder vom Grunde und steckte sie auf seinen Hut. Da sprach das Rößlein: »O weh, das tust du dir zum Schaden. Es wird dich wohl noch reuen!« Weiter sprach es nichts. Wie der Jüngling weiter ritt, so kam er an eine stattliche und wohlgebaute Stadt, da sah er viel geschmückte Bürgersleute, und es kam ihm ein feiner Zug entgegen mit Pfeifern, Paukern und Trompetern und vielen wehenden Fahnen, und das war prächtig anzusehen. Und in dem Zuge gingen Jungfrauen, die streuten Blumen, und die schönsten trugen auf einem Kissen eine Königskrone. Und die Ältesten der Stadt reichten die Krone dem Jüngling und sprachen: »Heil dir, du uns von Gott gesandter edler Jüngling! Du sollst unser König sein! Gelobt sei Gott der Herr in alle Ewigkeit!« Und alles Volk schrie: »Heil unserm König!« Der Jüngling wußte nicht, wie ihm geschehen, als er auf seinem Haupt die Königskrone fühlte, kniete nieder und lobte Gott und den Heiland. Hätte er die erste Feder aufgehoben, so wäre er ein Graf geworden; die zweite: ein Herzog, und hätte er die dritte Feder nicht aufgehoben, so hätte er auf dem Bergesgipfel eine vierte gefunden, und das Rößlein hätte dann gesprochen: »Diese Feder nimm vom Grunde.« Dann wär er ein mächtiger Kaiser geworden über viele Reiche der Welt, und die Sonne wäre nicht untergegangen in seinen Landen. Doch war er auch so zufrieden und ward ein gütiger, weiser, gerechter und frommer König.

Die drei Bräute

Ludwig Bechstein

Die drei Bräute

Es war einmal ein Müller, der hatte drei schöne Töchter von aufgeweckter Gemütsart; die jüngste aber war die verständigste unter ihnen. Einst waren sie in der Stadt gewesen und kehrten nun zu ihrer Mühle zurück. Unterwegs plauderten sie dies und das, und die eine sprach: »Wenn wir nur nicht so streng gehalten würden, so hätten wir auch Liebhaber, und der meinige hätte mir gewiß auch ein so schönes seidnes Halstuch gekauft, wie die Margarethe von ihrem Liebsten geschenkt bekam.«

»Ja«, sagte die andere darauf, »und der meinige hätte mich gewiß zu Tanze geführt, wie es die Mädchen alle von ihren Burschen wurden.« Die dritte sprach nichts; das Leid ihrer Schwestern schien ihr wenig zu Herzen zu gehen.

Ehe sie sich’s aber versahen, war ein hübscher Mann bei ihnen, der sprach sie freundlich an und kramte allerlei kleine Geschenke aus, die er unter sie verteilte; die Mädchen nahmen sie errötend an und nachdem er ihnen noch versprochen, sie bei ihrem Vater wiederzusehen, ging er seines Wegs. Die Mädchen tauschten nun ihre Bemerkungen und Mutmaßungen über ihn aus, darin aber waren alle einig, daß er ein hübscher liebenswerter Mann sei. Der Müller schüttelte den Kopf, als sie ihm ihr Abenteuer erzahlten, aber noch mehr erstaunte er, als der Fremde eines Tags in der Mühle erschien, den Müller beiseite nahm und ihn um die Hand einer seiner Töchter bat. Die beiden Männer hielten eine lange Zwiesprache, deren Resultat war, daß der Müller dem Freier die Wahl unter seinen Töchtern freistellte.

Der Fremde wählte sich die Älteste; Kisten und Kasten wurden gepackt, und die junge Braut zog mit dem Bräutigam nach dessen weit entlegenem Schlosse. Hier war alles aufs beste eingerichtet, und der jungen Braut blieb kein Wunsch unerfüllt. Da sprach er eines Tages zu ihr: »Du sollst Herrin meines Schlosses sein, wenn ich dich in allen Stücken gehorsam gefunden habe. Dieses weiße Tuch binde um deinen Leib, es ist ein Ei darin; und hier hast du die Schlüssel zu allen Gemächern meines Schlosses, du darfst in alle gehen, nur in das eine nicht, zu dem dieser große Schlüssel paßt. Ich verreise; wenn ich zurückkomme und finde, daß du gehorsam gewesen bist, so will ich dich als mein treues Weib auf den Händen tragen, wo nicht, so wirst du einen schlimmen Mann an mir finden.«

Als er abgereist war, ging die junge Frau mit der Serviette, dem Ei und den Schlüsseln im Hause umher, schloß alle Türen auf und sah sich in den Zimmern um; endlich in einem abgelegenen Teil des Schlosses kam sie an eine Tür, zu welcher der große Schlüssel paßte. Sie dachte an das Verbot ihres Mannes, aber die Neugier siegte, schon hatte sie den Schlüssel im Schloß umgedreht, die Tür knarrte, sie trat über die Schwelle, ließ aber das Ei vor Schreck aus der Serviette fallen und floh. Als der Mann zurückkam, sah er denn gleich, was geschehen war und gab der Ungehorsamen trotz ihres Flehens den Tod.

Darauf ging er zum Müller, klagte ihm, daß ihm seine Frau an einer kurzen, aber unheilbaren Krankheit gestorben und bat ihn um die Hand seiner zweiten Tochter. Der Müller versagte ihm diese nicht, und so zog der Fremde abermals mit einer jungen Frau auf sein Schloß. Aber es begab sich mit dieser nicht anders als mit der ersten, und der Fremde erschien wieder beim Müller und sagte, die junge Frau sei mit einem seiner Bedienten davongelaufen, und bat ihn um die dritte Tochter. Der Müller war zwar sehr betrübt, daß er all seine Kinder verlieren sollte, willigte aber endlich doch ein.

Als sie mit ihrem Manne nun aufs Schloß gekommen, gab er ihr dieselbe Prüfung wie ihren Schwestern. Sie war aber klüger als diese und dachte: Ei, was sollst du dich mit dem Ei schleppen? Sie ließ das Ei und die Serviette deshalb in ihrer Kammer zurück und besichtigte das Schloß. Auch sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, die verbotene Tür zu öffnen, und als sie über die Schwelle trat, sah sie mit Entsetzen eine Reihe von Leichen, und die letzten waren ihre beiden Schwestern. Sogleich dachte sie daran, den Bösewicht zur Strafe zu ziehen, aber sie wußte auch, daß sie es listig anzufangen habe. Sie nahm den abgeschnittenen Kopf ihrer zuletzt ermordeten Schwester, schloß sorgfältig die Tür wieder zu, verbarg den Kopf in einer Blumenscherbe, schüttete Erde darauf und pflanzte eine Hyazinthe hinein. Ihren zurückkehrenden Mann empfing sie freundlich, und als er sah, daß das Ei unverletzt war, war er zärtlich gegen sie und pries ihren Gehorsam.

So war einige Zeit vergangen, da bat sie ihn, er möge sie doch zu ihrem Vater begleiten, der unruhig über ihr Schicksal sein werde. Er konnte ihr diesen Wunsch nicht abschlagen, und so fuhren sie in einem prächtigen Wagen nach der Mühle; die herrlich aufgeblühte Hynzinthe hatte sie mitgenommen. Der Müller freute sich sehr, als er seine Tochter wohlbehalten und anscheinend glücklich wiedersah, diese aber konnte keinen Augenblick gewinnen, mit dem Vater allein zu sein; überall bewachte sie ihr Mann, sei es zufällig oder weil ihm das böse Gewissen eine Ahnung eingab. Da schrieb sie ein kleines Briefchen, um es dem Vater zuzustecken, und als sie eben nachsann, auf welche Weise, flog ein Rabe auf ihre Schulter, der sang ihr ins Ohr:

 »Gib, gib, gib! Wir fangen den Dieb!«

Der Rabe nahm das Briefchen in seinen Schnabel und flog zum Müller; dieser las es mit Entsetzen und sandte in die nahe Stadt nach den Dienern der Gerechtigkeit, und ehe eines Morgens der Fremde sich noch den Schlaf aus den Augen gerieben, sah er sich ergriffen und gefesselt. Sein Leugnen half nichts; als man die Hyazinthe aus dem Topfe riß, sah man das halbvermoderte Haupt der gemordeten Müllerstochter, das der Müller noch an seinen schönen braunen Flechten erkannte. Das Raubschloß wurde zerstört und der Mörder zur Strafe für seine Verbrechen hingerichtet.

Der Hingerichtete hatte aber noch Spießgesellen, die den Tod ihres Hauptmanns zu rächen beschlossen. Als einst die unglückliche junge Witwe zufällig unter ihr Bett griff, fühlte sie einen behaarten Gegenstand; sie erschrak, denn sie wußte wohl, daß es der Kopf eines Mannes war, tat aber, als hielte sie ihn für die Katze, indem sie rief: »Bist du wieder da, Katze? Nun, heute magst du noch da bleiben; daß du mir aber deine Jungen nicht aufs Bett trägst!« Sie machte sich noch eine Weile zu schaffen, ging dann zur Tür hinaus und entdeckte das Geheimnis ihrem Vater; der rief die Mühlknappen zusammen; das Haus ward durchsucht, und man fand die Spießgesellen des hingerichteten Räubers in verschiedenen Räumen des Hauses versteckt. Sie wurden alle dem Gericht überliefert. Die junge Frau hatte nun zwar fürder Ruhe, aber sie konnte den Mann nicht vergessen, der ein Mörder gewesen war und den sie doch geliebt hatte. Sie trauerte bis an ihr Lebensende, und der Weise Vater sah sie noch vor sich zur Grube sinken.