Der Hahn und der Fuchs

Ludwig Bechstein

Der Hahn und der Fuchs

In einer kalten Winternacht kroch ein hungriger Fuchs aus seinem Bau und ging dem Fange nach.Da hörte er auf einem Meierhofe einen Hahn fort und fort krähen, der saß auf einem Kirschbaum und hatte schon die ganze Nacht gekräht. Jetzt strich der Fuchs hin nach dem Baum und fragte: „Herr Hahn, was singst du in dieser kalten und finstern Nacht?“ Der Hahn sprach: „Ich verkünde den Tag, dessen Kommen meine Natur mich erkennen lehrt.“ Darauf versetzte der Fuchs: „O Hahn, so hast du etwas Göttliches in dir, daß du zukünftig kommende Dinge weißt!“ Und alsbald begann der Fuchs zu tanzen. Jetzt fragte der Hahn: „Herr Fuchs, warum tanzest du?“ Ihm antwortete der Fuchs: „So du singest, o weiser Meister, so ist billig, daß ich tanze, denn es ziemet, sich zu freuen mit den Fröhlichen. O Hahn, du edler Fürst aller Vögel, du bist nicht allein begabt zu fliegen in den Lüften, nein, auch hohe Prophetengaben lieh dir die Natur! O wie bevorzugte sie dich vor allen andern Tieren!Wie glücklich wär‘ ich, gönntest du mir deine Gunst! Wie gerne küßt‘ ich dein weisheitdurchdrungenes verehrtes Haupt! O wie beneidenswert, wenn ich dann künden könnte meinen Freunden: ich war der Glückliche, dem ein Prophet sein Haupt zum Kusse hingeneigt!“ Der alberne Hahn glaubte dem Schmeichelwort des arglistigen Fuchses, flog vom Baum und hielt ihm seinen Kopf zum Küssen hin.Mit einem Schnapper war er abgebissen, und lachend sprach der Fuchs: „Ich habe den Propheten ohne alle Vernunft befunden.“

Als das Mäuslein diese Fabel geendigt hatte, fuhr es fort, zum Raben zu sprechen: „Ich habe dir dies nicht gesagt, weil ich glaube, daß ich der Hahn sei und du der Fuchs, ich die Speise und du der Fresser, vielmehr will ich glauben, daß deine Worte nicht mit zweigespaltener Schlangenzunge gesprochen sind.“ Und darauf ging die Maus in die Öffnung ihres Türloches. Der Rabe fragte: „Warum stellst du dich unter die Türe? Was macht dich so zaghaft, zu mir herauszugeben? Hegst du immer noch Furcht vor mir?“ Darauf antwortete das Mäuslein: „Ich habe meinen Glauben und mein Vertrauen auf dich gesetzt, denn du gefällst mir, und nicht Furcht vor deiner Unredlichkeit hält mich ab, hervorzukommen. Aber du hast viele Gesellen deiner Art, doch vielleicht nicht deines Gemütes, und deren Freundschaft ist nicht mit mir, wie deine. Sieht mich einer, so muß ich fürchten, daß er mich frißt.“ Dagegen sprach der Rabe: „Zu treuer Genossenschaft gehört doch vor allem, daß einer sei seines Genossen treuer Freund und Feind seines Feindes; sei gewiß, o Freundin Sambar, daß mir kein Freund lebt, der nicht ebenso treuer Freund dir sein soll, wie ich selbst. Auch habe ich Macht und Kraft genug, dich zu schützen und zu schirmen.“ Nun endlich ging das Mäuslein Sambar hervor aus seinem Löchlein und verschwor sich mit dem Raben zu einem unverbrüchlichen Freundschaftsbündnis, und als das geschehen war, wohnten sie bei- und nebeneinander friedsam und freundlich und erzählten einander alle Tage schöne Märchen.

Endlich aber zu einer Zeit sprach der Rabe zur Maus: „Höre, meine liebe Freundin Sambar, deine Wohnung ist doch gar laut und zu nahe am Weg; ich besorge, es kommt einmal einer, der dich oder mich schießt oder schädigt, auch fällt es mir schwer, hier meine Nahrung zu finden.Aber ich weiß einen lustigen und nützlicheren Aufenthalt, da gibt es Wasser und Wiesen, Früchte und Futter, und dort in dem Wasser wohnt auch noch eine alte Freundin von mir, gar eine treue Genossin; ich wünschte, du zögest mit mir an jenen Ort.“

„Das will ich dir gern zuliebe tun“, sprach die Maus, „den ich bin hier selbst scheu und halte mich nicht recht sicher, deshalb siehst du auch die vielen Ein- und Ausgänge meiner Wohnung. Glaube nur, lieber Freund, mir sind schon gar mancherlei Fährlichkeiten begegnet. davon ich dir erzählen will, wenn wir an den neuen Aufenthalt kommen.“

Darauf nahmen beide Abschied von ihrem alten Wohnort, und der Rabe faßte die Maus am Schwänzlein in seinen Schnabel und flog mit ihr dahin an den Ort, den er meinte.Da guckte ein Tier mit dem Kopf aus dem Wasser, das erschrak vor der Maus, denn es erkannte sie nicht, wie der Rabe sie aus dem Schnabel ließ, und tauchte schnell unter.Der Rabe flog auf einen Baum und rief „Korax, Korax!“ Da kam das Tier aus dem Wasser hervor, das war seine Freundin, eine Schildkröte, die freute sich, den Raben wiederzusehen und fragte ihn, was ihn zu seinem langen Außenbleiben bewogen?Da erzählte ihr der Rabe die Geschichte von der Taube und der Maus und stellte seine Freundinnen einander vor, und die Schildkröte verwundene sich über die hohe Vernunft der Maus, kroch zu ihr, gab ihr die Hand und freute sich sehr, ihre Bekanntschaft zu machen. Hernach bat der Rabe die Maus, ihm und seiner alten Freundin doch ihre Lebensgeschichte zu erzählen, und sie ließ sich dazu gern bereit und willig finden und erzählte, wie folgt:

Der goldne Rehbock

Ludwig Bechstein

Der goldne Rehbock

Es waren einmal zwei arme Geschwister, ein Knabe und ein Mädchen, das Mädchen hieß Margarete, der Knabe hieß Hans. Ihre Eltern waren gestorben, hatten ihnen auch gar kein Eigentum hinterlassen, daher sie ausgehen mußten, um durch Betteln sich fortzubringen. Zur Arbeit waren beide noch zu schwach und klein; denn Hänschen zählte erst zwölf Jahre und Gretchen war noch jünger. Des Abends gingen sie vors erste beste Haus, klopften an und baten um ein Nachtquartier, und vielmal waren sie schon von guten mildtätigen Menschen aufgenommen, gespeiset und getränket worden; auch hatte mancher und manche Barmherzige ihnen ein KIeidungsstückchen zugeworfen.

So kamen sie einmal des Abends vor ein Häuschen, welches einzeln stand; da klopften sie ans Fenster, und als gleich darauf eine alte Frau heraussah, fragten sie diese, ob sie hier nicht über Nacht bleiben dürften? Die Antwort war: »Meinetwegen, kommt nur herein!« Aber wie sie eintraten, sprach die Frau: »Ich will euch wohl über Nacht behalten, aber wenn es mein Mann gewahr wird, so seid ihr verloren; denn er isset gern einen jungen Menschenbraten, daher er alle Kinder schlachtet, die ihm vor die Hand kommen!«

Da wurde den Kindern sehr angst; doch konnten sie nunmehr nicht weiter, es war schon ganz dunkle Nacht geworden. So ließen sie sich gutwillig von der Frau in einem Faß verstecken und verhielten sich ruhig. Einschlafen konnten sie aber lange nicht, zumal da sie nach einer Stunde die schweren Tritte eines Mannes vernahmen, der wahrscheinlich der Menschenfresser war. Des wurden sie bald gewiß, denn jetzt fing er an mit brüllender Stimme auf seine Frau zu zanken, daß sie keinen Menschenbraten für ihn zugerichtet. Am Morgen verließ er das Haus wieder und tappte so laut, daß die Kinder, die endlich doch eingeschlummert waren, darüber erwachten.

Als sie von der Frau etwas zu frühstücken bekommen hatten, sagte diese: »Ihr Kinder müßt nun auch etwas tun, da habt ihr zwei Besen, geht oben hinauf und kehrt mir meine Stuben aus, deren sind zwölf, aber ihr kehret davon nur ell, die zwölfte dürft ihr um Himmeiswillen nicht aufmachen. Ich will derzeit einen Ausgang tun. Seid fleißig, daß ihr fertig seid, wenn ich wieder komme.«

Die Kinder kehrten sehr emsig, und bald waren sie fertig. Nun mochte Gretchen doch gar zu gerne wissen, was in der zwölften Stube wäre, das sie nicht sehen sollten, weil ihnen verboten war, die Stube zu öffnen. Sie guckte ein wenig durchs Schlüsselloch und sah da einen herrlichen, kleinen, goldenen Wagen, mit einem goldenen Rehbock bespannt. Geschwind rief sie Hänschen herbei, daß er auch hineingucken sollte. Und als sie sich erst tüchtig umgesehen, ob die Frau nicht heimkehre, und da von dieser nichts zu sehen war, schlossen sie schnell die Türe auf, zogen den Wagen samt Rehbock heraus, setzten drunten sich hinein in den Wagen und fuhren auf und davon. Aber nicht lange, so sahen sie von weitem die alte Frau und auch den Menschenfresser sich entgegen kommen, gerade des Wegs, den sie mit dem geraubten Wagen eingeschlagen hatten. Hänslein sprach: »Ach, Schwester, was machen wir? Wenn uns die beiden Alten entdecken, sind wir verloren.«

»Still!« sprach Gretchen, »ich weiß ein kräftiges Zaubersprüchlein, welches ich noch von unserer Großmutter gelernt habe:

 Rosenrote Rose sticht; Siehst du mich, so sieh mich nicht!«

Und alsbald waren sie verwandelt in einen Rosenstrauch. Gretchen wurde zur Rose, Hänslein zu Dornen, der Rehbock zum Stiele, der Wagen zu Blättern.

Nun kamen beide, der Menschenfresser und seine Frau, daher gegangen und letztere wollte sich die schöne Rose abbrechen, aber sie stach sich so sehr, daß ihre Finger bluteten und sie ärgerlich davon ging. Wie die Alten fort waren, machten sich die Kinder eilig auf und fuhren weiter und kamen bald an einen Backofen, der voll Brot stund. Da hörten sie aus demselben eine hohle Stimme rufen: »Rückt mir mein Brot, rückt mir mein Brot.« Schnell rückte Gretchen das Brot und tat es in ihren Wagen, worauf sie weiter fuhren. Da kamen sie an einen großen Bimbaum, der voll reifer schöner Früchte hing, aus diesem tönte es wieder: »Schüttelt mir meine Birnen, schüttelt mir meine Birnen!« Gretchen schüttelte sogleich, und Hänschen half gar fleißig auflesen und die Birnen in den goldenen Wagen schütten. Und wieder kamen sie an einen Weinstock, der rief mit angenehmer Stimme: »Pflückt mir meine Trauben, pflückt mir meine Trauben!« Gretchen pflückte auch diese und packte sie in ihren Wagen.

Unterdessen aber waren der Menschenfresser und seine Frau daheim angelangt und hatten mit Ingrimm wahrgenommen, daß die Kinder ihren goldenen Wagen samt Rehbock gestohlen, gerade wie diese beiden ebenfalls vor langen Jahren Wagen und Rehbock gestohlen und noch dazu bei dem Diebstahl auch einen Mord begangen hatten, nämlich den rechtmäßigen Eigentümer erschlagen. Der mit dem Rehbock bespannte Wagen war nicht nur an und für sich von großem Wert, sondern er besaß auch noch die vortreffliche Eigenschaft, daß, wo er hinkam, von allen Seiten Gaben gespendet wurden, von Baum und Beerstrauch, von Backofen und Weinstock. So hatten denn die Leute, der Menschenfresser und seine Frau, lange Jahre den Wagen, wenn auch auf unrechtmäßige Weise, besessen, hatten sich gute Eßwaren spenden lassen und dabei herrlich und in Freuden gelebt. Da sie nun sahen, daß sie ihres Wagens beraubt waren, machten sie sich flugs auf, den Kindern nachzueilen und ihnen die köstliche Beute wieder abzujagen. Dabei wässerte dem Menschfresser schon der Mund nach Menschenbraten; denn die Kinder wollte er sogleich fangen und schlachten. Mit weiten Schritten eilten die beiden Alten den Kindern nach und wurden dieselben bald von ferne ansichtig, weil sie vorausfuhren. Die Kinder kamen jetzt an einen großen Teich und konnten nicht weiter, auch war weder eine Fähre noch eine Brücke da, daß sie hinüber hätten flüchten können. Nur viele Enten waren darauf zu sehen, die lustig umherschwammen. Gretchen lockte diese ans Ufer, warf ihnen Futter hin und sprach:

 »Ihr Entchen, ihr Entchen, schwimmt zusammen, Macht mir ein Brückchen, daß ich hinüber kann kommen!«

Da schwammen die Enten einträchtiglich zusammen, bildeten eine Brücke, und die Kinder samt Rehbock und Wagen kamen glücklich ans andere Ufer. Aber flugs hinterdrein kam auch der Menschenfresser und brummte mit häßlicher Stimme:

 »Ihr Entchen, ihr Entchen, schwimmt zusammen, Macht mir ein Brückchen, daß ich hinüber kann kommen!«

Schnell schwammen die Entchen zusammen und trugen die beiden Alten hinüber – meint ihr? nein! in der Mitte des Teiches, da das Wasser am tiefsten war, schwammen die Entchen auseinander, und der böse Menschenfresser nebst seiner Alten plumpsten in die Tiefe und kamen um. Und Hänschen und Gretchen wurden sehr wohlhabende Leute, aber sie spendeten auch von ihrem Segen den Armen viel und taten viel Gutes, weil sie immer daran dachten, wie bitter es gewesen, da sie noch arm waren und betteln gehen mußten.

Der Garten im Brunnen

Ludwig Bechstein

Der Garten im Brunnen

Ein Bauer hatte nach dem Tod seiner ersten Frau, die ihm ein Mädchen und einen Knaben geboren hatte, eine zweite geheiratet und bekam von dieser noch einen Sohn, der hieß Kasperle. Sie war aber gegen jene zwei Kinder eine böse Stiefmutter, behandelte sie übel, ließ sie zerlumpt umhergehen und gab ihnen kaum satt zu essen, während sie Kasperle alles zu Willen tat, ihn in den besten Kleidern einhergehen ließ und ihn in allen Stücken vorzog. Der Vater durfte darüber nichts sagen, so oft ihm auch die armen Kinder ihr Leid klagten, denn er ward nachgerade kränklich und mußte selbst von seiner Frau alles gebrannte Herzeleid erdulden. Die böse Stiefmutter kam endlich sogar auf den Gedanken, die beiden Kinder aus dem Wege zu räumen und ihrem Sprößling das Erbe allein zuzuwenden. Sie nahm deshalb einmal die Kinder mit tief hinein in den Wald, um Erdbeeren zu suchen; der Abend kam heran, und als sich die Kinder umsahen, war die Mutter verschwunden. Das Mädchen weinte sehr, denn sie glaubte schon im Walde umkommen zu müssen; aber der Knabe tröstete sie und sprach: »Wir kommen schon nach Hause, denn ich habe an dem Wege Reiser von den Hecken und Bäumen geknickt.« Und die Kinder kamen wirklich nach Hause zurück, zum Ärger der Stiefmutter. Sie dachte es nun klüger anzufangen und führte sie noch tiefer in den Wald, aber der Knabe hatte Erbsen auf den Weg gestreut, und die Kinder kamen wiederum aus der greulichen finstren Wildnis.

Die böse Stiefinutter ergrimmte aber über dies Fehlschlagen ihrer Pläne immer mehr, und als der Knabe einst aus dem tiefen Ziehbrunnen im Garten seines Vaters Wasser schöpfte, warf sie ihn hinein. Statt in das Wasser zu fallen, kam der Knabe in einen wunderschönen Garten, der voll Blumen und Bäume stand. Er konnte sich nicht satt sehen und lief immer zu; endlich aber erkannte er, daß er vom Schauen wirklich nicht satt geworden war; denn es hungerte ihn sehr; da sah er ein Bäumchen voll schöner roter Äpfel und sprach voll Sehnsucht:

 »Liebes Bäumchen, schüttle dich und rüttle dich Und wirf deine Äpfel über mich.«

Und das Bäumchen schüttelte sich, und eine Menge der schönen rotfarbigen Äpfel lagen im Gras. Der Knabe aß sich satt und ging weiter. Da sah er ein Bäumchen stehen, das hing über und über voll Gold. Das blitzte dem Knaben gar sehr in die Augen, und er sprach:

 »Liebes Bäumchen, schüttle dich und rüttle dich Und wirf Goldblättlein über mich.«

Kaum hatte er ausgesprochen, da flimmerten seine Kleider von dem feinsten Golde. Nun kam aber die Sehnsucht nach dem Vater und der Schwester in sein Herz, und er seufzte: »Ach, wenn ich doch bei meinem Vater wäre!«

Siehe, da stand ein graues Männlein vor ihm, zeigte ihm einen Weg und sprach: »Gehe nur immer gradaus, bis du an die Stelle kommst, wo du hergekommen bist; deine Schwester wird Wasser schöpfen, da hänge dich an den Eimer.«

Der Knabe tat also, und es geschah alles, was das Männchen gesagt hatte.

Die Schwester verwunderte sich sehr, als sie den goldbedeckten Bruder am Eimer hängen sah. Sie freute sich gar sehr darüber und ließ sich von dem Bruder auch in den Brunnen hinablassen, nachdem er ihr alles erzählt hatte. Dem Mädchen widerfuhr dasselbe, und sie wurde ebenso wieder herausgezogen. Nun gingen die beiden Kinder zum Vater und sagten: »Freue dich, nun haben wir Reichtum genug und wollen glücklich sein!«

Die böse Stiefmutter ärgerte sich gewaltig darüber, tat sich’s aber nicht aus, sondern ließ sich alles von den Kindern genau erzählen. Dann unterrichtete sie ihren Sohn Kasperle und warf ihn auch in den Brunnen. Kasperle kam ebenfalls in den schönen Garten. Als ihn hungerte, sah auch er ein Bäumchen voll Äpfel. Da sprach er:

 »Liebes Bäumchen, schüttle dich und rüttle dich, Wirf deine Äpfel über mich!«

Da schüttelte sich das Bäumchen, und die Äpfel fielen dem Kasperle gar hart auf den Kopf! Er griff hastig nach dem ersten und biß hinein, mußte aber den Mund verziehen, so sauer schmeckte der Apfel, und es war ein garstiger Wurm darin. Der Hunger zwang ihn indes, doch davon zu essen. Bald darauf sah er ein Bäumchen, das glänzte wie Gold, und er sagte:

 »Liebes Bäumchen, schüttle dich und rüttle dich, Wirf deine Blütlein über mich!«

Da troff es von dem Bäumchen herab, und er war alsbald mit einer dicken Pechkruste überzogen. Er weinte und schrie und verlangte nach seiner Mutter, damit sie ihn aus der unbequemen Haut erlöse. Und das graue Männchen stand vor ihm und sagte: »Gehe dahin und hänge dich an den Eimer, mit dem deine Mutter Wasser schöpfen wird.«

Die Stiefmutter hatte am Brunnen gewartet und zog hastig vor Begierde den Eimer herauf, als sie eine schwere Last sich dran hängen fühlte. Sie hoffte nichts gewisser, als daß Kasperle mit Gold bedeckt zurückkehren werde. Wie erboste sie sich daher, als sie den armen Jungen in solchem Zustande fand. Sie schalt und schlug sogar nach ihm. Das Pech ließ sich gar nicht ablösen, und sie kam auf den Gedanken, ihn in den warmen Backofen zu stecken, da sie eben Brot gebacken; da werde das Pech schon abfließen, meinte sie. Sie tat es, vergaß aber den Jungen, und als sie den Ofen endlich öffnete, floß ihr das Pech entgegen, das Kasperle war erstickt und verbrannt.

Die Stiefmutter starb bald darauf vor Ärger und Betrübnis, der Vater aber lebte mit seinen glücklichen Kindern herrlich und in Freuden.

Der Fuchs und der Krebs

Ludwig Bechstein

Der Fuchs und der Krebs

Ein Krebs kroch aus seinem Bache hervor auf das grüne Gras einer Wiese, allda er sich gütlich tat. Da kam ein Fuchs daher, sah den Krebs langsam kriechen und sprach spöttisch zu ihm: »Herr Krebs, wie geht Ihr doch so gemächlich? Wer nahm Euch Eure Schnelligkeit? Oder wann gedenkt Ihr über die Wiese zu kommen? Aus Euerm Gange merke ich wohl, daß Ihr besser hinterrücks als vorwärts gehen könnt!«

Der Krebs war nicht dumm, er antwortete alsobald dem Fuchs: »Herr Fuchs, Ihr kennt meine Natur nicht. Ich bin edel und wert, ich bin schneller und leichter und laufe rascher als Ihr und Eure Art, und wer mir das nicht gönnt, den möge der Teufel riffeln. Herr Fuchs, wollt Ihr mit mir eine Wette laufen? Ich setze gleich ein Pfund zum Pfande!«

»Nichts wäre mir lieber«, sprach der Fuchs. »Wollt Ihr von Bern nach Basel laufen oder von Bremen nach Brabant?«

»O nein«, sprach der Krebs, »das Ziel wäre zu fern! Ich dächte, wir liefen eine halbe oder eine ganze Melle miteinander, das wird uns beiden nicht zu viel sein!«

»Eine Meile, eine Meile!« schrie der Fuchs eifrig.

Und der Krebs begann wieder: »Ich gebe Euch auch eine hübsche Vorgabe, ohne daß Ihr die annehmt, mag ich gar nicht laufen. «

»Und wie soll die Vorgabe sein?« fragte der Fuchs.

Der Krebs antwortete: »Gerade eine Fuchslänge soll sie beschaffen sein. Ihr tretet vor mich, und ich trete hinter Euch. daß Eure Hinterfüße an meinen Kopf stoßen, und wenn ich sage: Nun wohl hin! – so heben wir an zu laufen.«

Dem Fuchs gefiel die Rede wohl; er sagte: »Ich gehorche Euch in allen Stücken.«

Und da kehrte er dem Krebs sein Hinterteil zu, mit dem großen und starken haarigen Schwanze, in den schlug der Krebs seine Scheren, ohne daß der Fuchs es merkte, und rief: »Nun wohl hin!«

Und da lief der Fuchs, wie er in seinem Leben noch nicht gelaufen war, daß ihm die Füße schmerzten, und als das Ziel erreicht war, so drehte er sich geschwind herum und schrie: »Wo ist nun der dumme Krebs? Wo seid Ihr? Ihr säumt gar zu lange! «

Der Krebs aber, der dem Ziele jetzt näher stand als der Fuchs, rief hinter ihm: »Herr Fuchs! Was will diese Rede sagen? Warum seid Ihr so langsam? Ich stehe schon eine hübsche Weile hier und warte auf Euch! Warum kommt Ihr so saumselig?«

Der Fuchs erschrak ordentlich und sprach: »Euch muß der Teufel aus der Hölle hergebracht haben!« zahlte seine Wette, zog den Schwanz ein und strich von dannen.

Der beherzte Flötenspieler

Ludwig Bechstein

Der beherzte Flötenspieler

Es war einmal ein lustiger Musikant, der die Flöte meisterhaft spielte; er reiste daher in der Welt herum, spielte auf seiner Flöte in Dörfern und in Städten und erwarb sich dadurch seinen Unterhalt. So kam er auch eines Abends auf einen Pächtershof und übernachtete da, weil er das nächste Dorf vor einbrechender Nacht nicht erreichen konnte. Er wurde von dem Pächter freundlich aufgenommen, mußte mit ihm speisen und nach geendigter Mahlzeit einige Stücklein auf seiner Flöte vorspielen. Als dieses der Musikant getan hatte, schaute er zum Fenster hinaus und gewahrte in kurzer Entfernung bei dem Scheine des Mondes eine alte Burg, die teilweise in Trümmern zu liegen schien. »Was ist das für ein altes Schloß?« fragte er den Pächter. »Und wem hat es gehört?« Der Pächter erzählte, daß vor vielen, vielen Jahren ein Graf da gewohnt hätte, der sehr reich, aber auch sehr geizig gewesen wäre. Er hätte seine Untertanen sehr geplagt, keinem armen Menschen ein Almosen gegeben und sei endlich ohne Erben (weil er aus Geiz sich nicht einmal verheiratet habe) gestorben. Darauf hätten seine nächsten Anverwandten die Erbschaft in Besitz nehmen wollen, hätten aber nicht das geringste Geld gefunden. Man behaupte daher, er müsse den Schatz vergraben haben und dieser möge heute noch in dem alten Schloß verborgen liegen. Schon viele Menschen wären des Schatzes wegen in die alte Burg gegangen, aber keiner wäre wieder zum Vorschein gekommen. Daher habe die Obrigkeit den Eintritt in dies alte Schloß untersagt und alle Menschen im ganzen Lande ernstlich davor gewarnt. Der Musikant hatte aufmerksam zugehört, und als der Pächter seinen Bericht geendigt hatte, äußerte er, daß er großes Verlangen habe, auch einmal hinein zu gehen, denn er sei beherzt und kenne keine Furcht. Der Pächter bat ihn aufs dringendste und endlich schier fußfällig, doch ja sein junges Leben zu schonen und nicht in das Schloß zu gehen. Aber es half kein Bitten und Flehen, der Musikant war unerschütterlich.

Zwei Knechte des Pächters mußten ein Paar Laternen anzünden und den beherzten Musikanten bis an das alte schaurige Schloß begleiten. Dann schickte er sie mit einer Laterne wieder zurück, er aber nahm die zweite in die Hand und stieg mutig eine hohe Treppe hinan. Als er diese erstiegen hatte, kam er in einen großen Saal, um den ringsherum Türen waren. Er öffnete die erste und ging hinein, setzte sich an einen darin befindlichen altväterischen Tisch, stellte sein Licht darauf und spielte die Flöte. Der Pächter aber konnte die ganze Nacht vor lauter Sorgen nicht schlafen und sah öfters zum Fenster hinaus. Er freute sich jedesmal unaussprechlich, wenn er drüben den Gast noch musizieren hörte. Doch als seine Wanduhr elf schlug und das Flötenspiel verstummte, erschrak er heftig und glaubte nun nicht anders, als der Geist oder der Teufel, oder wer sonst in diesem Schlosse hauste, habe dem schönen Burschen nun ganz gewiß den Hals umgedreht. Doch der Musikant hatte ohne Furcht sein Flötenspiel abgewartet und gepflegt; als aber sich endlich Hunger bei ihm regte, weil er nicht viel bei dem Pächter gegessen hatte, so ging er in dem Zimmer auf und nieder und sah sich um. Da erblickte er einen Topf voll ungekochter Linsen stehen, auf einem andern Tische standen ein Gefäß voll Wasser, eines voll Salz und eine Flasche Wein. Er goß geschwind Wasser über die Linsen, tat Salz daran, machte Feuer in dem Ofen an, weil auch Holz dabei lag, und kochte sich eine Linsensuppe. Während die Linsen kochten, trank er die Flasche Wein leer, und dann spielte er wieder Flöte. Als die Linsen gekocht waren, rückte er sie vom Feuer, schüttete sie in die auf dem Tische schon bereitstehende Schüssel und aß frisch darauf los. Jetzt sah er nach seiner Uhr, und es war um die zwölfte Stunde. Da ging plötzlich die Türe auf, zwei lange schwarze Männer traten herein und trugen eine Totenbahre, auf der ein Sarg stand. Diesen stellten sie, ohne ein Wort zu sagen, vor den Musikanten, der sich keineswegs im Essen stören ließ, und gingen ebenso lautlos, wie sie gekommen waren, wieder zur Türe hinaus. Als sie sich nun entfernt hatten, stand der Musikant hastig auf und öffnete den Sarg. Ein altes Männchen, klein und verhutzelt, mit grauen Haaren und grauem Barte lag darinnen, aber der Bursche fürchtete sich nicht, nahm es heraus, setzte es an den Ofen, und kaum schien es erwärmt zu sein, als sich schon Leben in ihm regte. Er gab ihm hierauf Linsen zu essen und war ganz mit dem Männchen beschäftigt, ja fütterte es wie eine Mutter ihr Kind. Da wurde das Männchen ganz lebhaft und sprach zu ihm: »Folge mir!« Das Männchen ging voraus, der Bursche aber nahm seine Laterne und folgte ihm sonder Zagen. Es führte ihn nun eine hohe verfallene Treppe hinab, und so gelangten endlich beide in ein tiefes schauerliches Gewölbe.

Hier lag ein großer Haufen Geld. Da gebot das Männchen dem Burschen: »Diesen Haufen teile mir in zwei ganz gleiche Teile, aber daß nichts übrig bleibt, sonst bringe ich dich ums Leben!« Der Bursche lächelte bloß, fing sogleich an zu zählen auf zwei große Tische herüber und hinüber und brachte so das Geld in kurzer Zeit in zwei gleiche Teile, doch zuletzt – war noch ein Kreuzer übrig. Der Musikant besann sich kurz, nahm sein Taschenmesser heraus, setzte es auf den Kreuzer mit der Schneide und schlug ihn mit einem dabei liegenden Hammer entzwei. Als er nun die eine Hälfte auf diesen, die andere auf jenen Haufen warf, wurde das Männchen ganz heiter und sprach: »Du himmlischer Mann, du hast mich erlöst! Schon hundert Jahre muß ich meinen Schatz bewachen, den ich aus Geiz zusammengescharrt habe, bis es einem gelingen würde, das Geld in zwei gleiche Teile zu teilen. Noch nie ist es einem gelungen, und ich habe sie alle erwürgen müssen. Der eine Haufen Geld ist nun dein, den andern aber teile unter die Armen. Göttlicher Mensch, du hast mich erlöst!« Darauf verschwand das Männchen. Der Bursche aber stieg die Treppe hinan und spielte in seinem vorigen Zimmer lustige Stücklein auf seiner Flöte.

Da freute sich der Pächter, daß er ihn wieder spielen hörte, und mit dem frühesten Morgen ging er auf das Schloß (denn am Tage durfte jedermann hinein) und empfing den Burschen voller Freude. Dieser erzählte ihm die Geschichte, dann ging er hinunter zu seinem Schatz, tat wie ihm das Männchen befohlen hatte, und verteilte die eine Hälfte unter die Armen. Das alte Schloß aber ließ er niederreißen, und bald stand an der vorigen Stelle ein neues, wo nun der Musikant als reicher Mann wohnte.

Der alte Zauberer und seine Kinder

Ludwig Bechstein

Der alte Zauberer und seine Kinder

Es lebte einmal ein böser Zauberer, der hatte vorlängst zwei zarte Kinder geraubt, einen Knaben und ein Mägdlein, mit denen er in einer Höhle ganz einsam und einsiedlerisch hauste. Diese Kinder hatte er, Gott sei’s geklagt, dem Bösen zugeschworen, und seine schlimme Kunst übte er aus einem Zauberbuche, das er als seinen besten Schatz verwahrte.

Wenn es nun aber geschah, daß der alte Zauberer sich aus seiner Höhle entfernte und die Kinder allein in derselben zurückblieben, so las der Knabe, welcher den Ort erspäht hatte, wohin der Alte das Zauberbuch verbarg, in dem Buche und lernte daraus gar manchen Spruch und manche Formel der Schwarzkunst und lernte selbst ganz trefflich zaubern. Weil nun der Alte die Kinder nur selten aus der Höhle ließ und sie gefangen halten wollte bis zu dem Tage, wo sie dem Bösen zum Opfer fallen sollten, so sehnten sie sich um so mehr von dannen, berieten miteinander, wie sie heimlich entfliehen wollten, und eines Tages, als der Zauberer die Höhle sehr zeitig verlassen hatte, sprach der Knabe zur Schwester: »Jetzt ist es Zeit, Schwesterlein! Der böse Mann, der uns so hart gefangenhält, ist fort, so wollen wir uns jetzt aufmachen und von dannen gehen, soweit uns unsere Füße tragen!«

Dies taten die Kinder, gingen fort und wanderten den ganzen Tag.

Als es nun gegen den Nachmittag kam, war der Zauberer nach Hause zurückgekehrt und hatte sogleich die Kinder vermißt. Alsobald schlug er sein Zauberbuch auf und las darin, nach welcher Gegend die Kinder gegangen waren, da hatte er sie wirklich fast eingeholt; die Kinder vernahmen schon seine zornig brüllende Stimme, und die Schwester war voller Angst und Entsetzen und rief: »Bruder, Bruder! Nun sind wir verloren; der böse Mann ist schon ganz nahe!« Da wandte der Knabe seine Zauberkunst an, die er gelernt hatte aus dem Buche; er sprach einen Spruch, und alsbald wurde seine Schwester zu einem Fisch, und er selbst wurde ein großer Teich, in welchem das Fischlein munter herumschwamm.

Wie der Alte an den Teich kam, merkte er wohl, daß er betrogen war, brummte ärgerlich: »Wartet nur, wartet nur, euch fange ich doch!« und lief spornstreichs nach seiner Höhle zurück, Netze zu holen, und den Fisch darin zu fangen. Wie er aber von hinnen war, wurden aus dem Teich und Fisch wieder Bruder und Schwester, die bargen sich gut und schliefen aus, und am andern Morgen wanderten sie weiter, und wanderten wieder einen ganzen Tag.

Als der böse Zauberer mit seinen Netzen an die Stelle kam, die er sich wohl gemerkt hatte, war kein Teich mehr zu sehen, sondern es lag eine grüne Wiese da, in der es wohl Frösche, aber keine Fische zu fangen gab; da wurde er noch zorniger wie zuvor, warf seine Netze hin und verfolgte weiter die Spur der Kinder, die ihm nicht entging, denn er trug eine Zaubergerte in der Hand, welche ihm den richtigen Weg zeigte.

Und als es Abend war, hatte er die wandernden Kinder beinahe wieder eingeholt; sie hörten ihn schon schnauben und brüllen, und die Schwester rief wieder: »Bruder, lieber Bruder! Jetzt sind wir verloren, der böse Feind ist dicht hinter uns!«

Da sprach der Knabe wiederum einen Zauberspruch, den er aus dem Buche gelernt, und da ward aus ihm eine Kapelle am Weg und aus dem Mägdlein ein schönes Altarbild in der Kapelle.

Wie nun der Zauberer an die Kapelle kam, merkte er wohl, daß er abermals geäfft war, und lief fürchterlich brüllend um dieselbe herum; er durfte sie aber nicht betreten, weil das immer im Pakt der Zauberer mit dem Bösen stand, daß sie niemals eine Kirche oder eine Kapelle betreten durften.

»Darf ich dich auch nicht betreten, so will ich dich doch mit Feuer anstoßen und auch zu Asche brennen!« schrie der Zauberer und rannte fort, sich aus seiner Höhle Feuer zu holen.

Während er nun fast die ganze Nacht hindurch rannte, wurden aus der Kapelle und dem schönen Altarbild wieder Bruder und Schwester; sie bargen sich und schliefen, und am dritten Morgen wanderten sie weiter und wanderten den ganzen Tag, wänrend der Zauberer, der einen weiten Weg hatte, ihnen aufs neue nachsetzte. Als er mit seinem Feuer dahin kam, wo die Kapelle gestanden, stieß er mit der Nase an einen großen Steinfelsen, der sich nicht mit Feuer anstoßen und zu Asche verbrennen ließ, und dann rannte er mit wütenden Sprüngen auf der Spur der Kinder weiter fort.

Gegen Abend war er ihnen nun ganz nahe, und zum drittenmal zagte die Schwester und gab sich verloren; aber der Knabe sprach wieder einen Zauberspruch, den er aus dem Buche gelernt, da ward er eine harte Tenne, darauf die Leute dreschen, und sein Schwesterlein war in ein Körnlein verwandelt, das wie verloren auf der Tenne lag.

Als der böse Zauberer herankam, sah er wohl, daß er zum drittenmal geäfft war, besann sich aber diesmal nicht lange, lief auch nicht erst wieder nach Hause, sondern sprach auch einen Spruch, den er aus dem Zauberbuche gelernt hatte; da ward er in einen schwarzen Hahn verwandelt, der schnell auf das Gerstenkorn zulief, um es aufzupicken; aber der Knabe sprach noch einmal einen Zauberspruch, den er aus dem Buche gelernt, da wurde er schnell ein Fuchs, packte den schwarzen Hahn, ehe er noch das Gerstenkorn aufgepickt hatte, und biß ihm den Kopf ab, da hatte der Zauberer, wie dies Märlein, gleich ein Ende.

Das winzige, winzige Männlein

Ludwig Bechstein

Das winzige, winzige Männlein

Es waren einmal drei lustige Gesellen, ein Schmied, ein Schneider und ein Jäger, die waren gute Freunde zueinander, kamen öfters zusammen und besprachen sich, mitsammen in die Fremde zu gehen, weil es ihnen in der Heimat nicht mehr so recht gefallen wollte.Wie sie nun ihren Entschluß ausführten und wanderten, führte sie ihr Weg in einen tiefen Wald, aber heraus führte er sie nicht; sie verirrten sich und liefen im Walde umher, bis die Nacht einbrach und sie weder Weg noch Steg sehen konnten.Endlich stieg der Schmied auf einen Baum und erblickte in einiger Entfernung ein Licht, merkte sich die Richtung, stieg vom Baume herab und ging nun mit seinen Gefährten auf das Licht zu.Sie kamen alle drei an ein Haus, welches offenstand, aber leer war, wenigstens ließ sich niemand blicken, aber das Licht stand darin und schien.

»Wer hier wohnt, wird es uns nicht so sehr übelnehmen, wenn wir hier die Nacht verbringen, wir können nun einmal doch nicht weiter!« sprachen die drei einer zum andern und legten sich nieder, wo sich just für jeden ein geeignetes Plätzchen fand.Ohne alle Störung schliefen die drei Gesellen die ganze Nacht und erwachten, als der Morgen da war, fröhlich und wohlgemut.

»Es ist hübsch in diesem Häuschen«, sprach der Schmied. »Ich dächte, wir verließen es nicht so schnell, damit wir dem Bewohner danken für die Gastfreundschaft, die wir uns angeeignet.«

»Vielleicht kann ich ihm etwas flicken«, meinte der Schneider.

»Ich bin auch nicht dagegen, hier zu rasten«, sprach der Jäger, »aber wenn wir das wollen, so müssen wir nun etwas zu essen haben, denn hier scheint Schmalhans Küchenmeister zu sein. Ich schlage daher vor, einer von uns bleibt hier und zweie gehen in den Wald und fangen oder schießen etwas, damit wir zu leben haben.«

»Der Rat ist richtig«, sagte der Schmied. »Draußen springt ein Quellbrunnen; der daheim bleibt, macht indes ein Feuerlein an und setzt Wasser bei, daß wir uns hernach eine gute Suppe kochen können.«

Der Schmied und der Jäger gingen, und der Schneider blieb im Häuschen, entzündete ein Feuer, setzte Wasser bei und sich daneben.Da erschien mit einem Male ein winzig, winzig kleines Männchen und sagte:

 	»Schneider, Schneider, Schneiderlein, 	Ich blas dir aus dein Feuerlein.«

»Ja, untersten dich!« rief der Schneider voller Mut, weil das Männlein so winzig war, aber das machte – ft! – und da war das Feuer aus und das Männlein verschwunden.

Bald kamen der Jäger und der Schmied und brachten ein Stück Wild und gute Wurzeln, der Schneider erzählte, was ihm begegnet sei, und nun mußten sie von neuem Feuer anzünden und Wasser beisetzen.

Als das Wild verzehrt war, gingen der Schmied und der Schneider in den Wald, und der Jäger hütete das Haus und machte ein schönes Feuer an, setzte Wasser bei und sich dazu.Da kam abermals das winzige, winzige Männchen, und wisperte:

 	»Jäger, Jäger, Jägerlein! 	Ich lösch dir aus dein Feuerlein.«

»Probier es nur!Ich drehe dir den Hals um!« rief der Jäger, aber – ft! – und das Feuer erlosch, und das Männlein verschwand.

Wie die Kameraden kamen, hatten sie kein Wild und kein Feuer; zwar rühmte sich der Schneider, dem der Jäger sein Gewehr geliehen, er habe bald einen Bock geschossen, aber nur bald, das Gewehr habe einen Fehler, die Kugel sei links gegangen.

»Nun probiere ich’s einmal!« rief der starke Schmied. »Habt acht, ich zahle den Knirps aus.« Nun blieb er zu Hause, und der Jäger ging mit dem Schneider auf die Jagd.

Der Schmied saß noch gar nicht lange bei dem Feuer, das er angezündet, nachdem er einen Schraubstock hergerichtet, als das winzige, winzige Männlein zum dritten Male erschien und wisperte:

 	»Schmied, Schmied, Schmiedelein! 	Ich lösch dir aus dein Feuerlein.«

Aber anstatt zu antworten, griff der Schmied dem Männlein an den Kragen, schüttelte es tüchtig und klemmte es in dem Schraubstock fest, daß es erbärmlich zappelte und heulte.Das half ihm aber nichts, denn der Schmied bearbeitete es auch noch äußerst handgreiflich, und wie nun der Jäger und der Schneider kamen, so putzte der erstere das winzige Männchen auch noch aus, und der Schneider freute sich und flickte es ebenfalls gehörig durch.

Das Zaubermännchen im Schraubstock tat aber gar erbärmlich und sagte: »Laßt mich los, und gehe einer mit mir! Einen kann und will ich glücklich machen.Schneiderlein, geh du mit mir!«

»Männlein, ich geh nicht mit dir!« antwortete der Schneider. »Jäger, so gehe du mit mir!« bat das winzige, winzige Männlein. »Ei, der Kuckuck geh mit dir!« antwortete der Jäger.

»Schmied, Schmied, gehe du mit mir!« bat gar zu kläglich das Männlein.

Da sagte der Schmied: »Gut, ich will mit dir gehen, aber denke nicht, daß ich dich loslasse, denn du würdest mich sonst schön führen.Und die andern zwei müssen ein Stück hinter uns drein gehen.«

»Meinetwegen, ich bin alles zufrieden!« winselte das winzige, winzige Männlein. »Macht mich nur aus dem Schraubstock los!«

Das tat denn der Schmied, hielt aber das Männlein fest am Kragen, und nun ging es durch eine Türe in der Stube und durch einen Kellergang in ein großes, matt erhelltes Gewölbe. In diesem Gewölbe saß auf einem elfenbeinernen Stuhle der Menschenfresser, und hinter ihm stand seine Frau und kämmte ihm mit einem beinernen Kamme das lange, zottelige Wirrhaar.

Jetzt sprach der Menschenfresser: »Hup, hup!Es riecht nach Menschenfleisch! Hup, hup – Menschenfleisch«, und schnappte behaglich.

»Ach«, antwortete die Frau, »wer weiß was du riechst?«

Doppelt fest hielt der Schmied das winzige Männlein Kragen, denn hätte er es losgelassen, so hätte dasselbe ihn und seine Gesellen dem Menschenfresser überliefert – aber so führte er den Schmied in einen Seitengang, und die andere folgten, und da kamen sie an ein Bergloch, davor lag ein großer Stein, und da sagte das Männlein: »Wälze diesen Stein hinweg, krieche dann durch die Öffnung hinaus und rufe: ‚Vivat!Ich bin erlöst!‘ « »Zum Steinwälzen brauch ich aber zwei Arme«, sagte der Schmied, gab dem Jäger das zappelnde Männlein am Kragen festzuhalten, denn dem Schneider mocht er’s nicht anvertrauen, der dünkte ihn nicht stark genug.Gleichwohl half auch der Schneider halten, er hielt das Männlein an beiden Beinchen fest.Jetzt wälzte der Schmied den Stein; da entstand im Gewölbe ein Poltern und Krachen, als wenn alles zusammenbreche, vor ihnen aber strahlte blendender Schimmer, Tageshelle, und vor aller Augen lag ein stattliches Schloß.Geschwinde krochen alle drei, eigentlich vier, heraus.Erst der Schmied, dann der Jäger mit dem Männlein, zuletzt der Schneider, der des winzigen Männleins Beine hielt, und jeder schrie: »Vivat, ich bin erlöst.«

Und siehe, das winzige Männlein schrie auch mit und verschwand jenen unter den Händen. Aus dem Schlosse aber trat ein prächtig gekleidetes Musikkorps und spielte einen wunderschönen Tanz, dann kamen drei herrliche Prinzessinnen, die tanzten dem Schmied, dem Jäger und dem Schneider entgegen; dann ein kleiner Mann, aber angetan wie ein König, mit Krone und Szepter, im hermelinverbrämten Purpurmantel, und seine Züge waren die des winzigen Männleins. »Dank euch, die ihr uns erlöset habt!« sprach der kleine König mit gravitätischer Würde. »Dank und Lohn!«

Hierauf erhob der König die drei muntren Gesellen in den Prinzenstand, jeder durfte eine von den drei wunderschönen Prinzessinnen heiraten, alle lebten glücklich beisammen in dem schönen Schlosse, bedient von zahlreichem Hofgesinde, und keinem wurde wieder sein Feuerlein ausgeblasen.

Das Tränenkrüglein

Ludwig Bechstein

Das Tränenkrüglein

Es waren einmal eine Mutter und ein Kind, und die Mutter hatte das Kind, ihr einziges, lieb von ganzem Herzen und konnte ohne das Kind nicht leben und nicht sein. Aber da sandte der Herr eine große Krankheit, die wütete unter den Kindern und erfaßte auch jenes Kind, daß es auf sein Lager sank und zum Tod erkrankte. Drei Tage und drei Nächte wachte, weinte und betete die Mutter, die nun allein war auf der ganzen Gotteserde, ein gewaltiger und namenloser Schmerz, und sie aß nicht und trank nicht und weinte, weinte wieder drei Tage lang und drei Nächte lang ohne Aufhören und rief nach ihrem Kinde. Wie sie nun so vollen tiefen Leides in der dritten Nacht saß, an der Stelle, wo ihr Kind gestorben war, tränenmüde und schmerzensmatt bis zur Ohnmacht, da ging leise die Türe auf, und die Mutter schrak zusammen, denn vor ihr stand ihr gestorbenes Kind. Das war ein seliges Engelein geworden und lächelte süß wie die Unschuld und schön wie in Verklärung. Es trug aber in seinen Händchen ein Krüglein, das war schier übervoll. Und das Kind sprach: »0 lieb Mütterlein, weine nicht mehr um mich! Siehe, in diesem Krüglein sind deine Tränen, die du um mich vergossen hast; der Engel der Trauer hat sie in diesem Gefäß gesammelt. Wenn du noch eine Träne um mich weinest, so wird das Krüglein überfließen, und ich werde dann keine Ruhe haben im Grabe und keine Seligkeit im Himmel. Darum, O lieb Mütterlein, weine nicht mehr um dein Kind, denn dein Kind ist wohlaufgehoben, ist glücklich, und Engel sind seine Gespielen.« Damit verschwand das tote Kind und die Mutter weinte hinfort keine Träne mehr, um des Kindes Grabesruhe und Himmelsfrieden nicht zu stören.

Das Rotkäppchen

Ludwig Bechstein

Das Rotkäppchen

Es war einmal ein gar allerliebstes, niedliches Ding von einen Mädchen, das hatte eine Mutter und eine Großmutter, die waren gar gut und hatten das kleine Ding so lieb. Die Großmutter absonderlich, die wußte gar nicht, wie gut sie’s mit dem Enkelchen meinen sollte, schenkt‘ ihm immer dies und das und hatte ihm auch ein feines Käppchen von rotem Sammet geschenkt, das stand dem Kind so überaus hübsch, und das wußte auch das kleine Mädchen und wollte nichts andres mehr tragen, und darum hieß es bei alt und jung nur das Rotkäppchen. Mutter und Großmutter wohnten aber nicht beisammen in einem Häuschen, sondern eine halbe Stunde voneinander, und zwischen den beiden Häusern lag ein Wald. Da sprach eines Morgens die Mutter zum Rotkäppchen: »Liebes Rotkäppchen, Großmutter ist schwach und krank geworden und kann nicht zu uns kommen. Ich habe Kuchen gebacken, geh und bringe Großmutter von dem Kuchen und auch eine Flasche Wein, und grüße sie recht schön von mir, und sei recht vorsichtig, daß du nicht fällst und etwa die Flasche zerbrichst, sonst hätte die kranke Großmutter nichts. Laufe nicht im Walde herum, bleibe hübsch auf dem Wege, und bleibe auch nicht zu lange aus.«

»Das will ich alles so machen, wie du befiehlst, liebe Mutter«, antwortete Rotkäppchen, band ihr Schürzchen um, nahm einen leichten Korb, in den es die Flasche und den Kuchen von der Mutter legen ließ, und ging fröhlichen Schrittes in den Wald hinein. Wie es so völlig arglos dahinwandelte, kam ein Wolf daher. Das gute Kind kannte noch keine Wölfe und hatte keine Furcht. Als der Wolf näher kam, sagte er: »Guten Tag, Rotkäppchen !«
»Schönen Dank, Herr Graubart!«
»Wo soll es denn hingehen so in aller Frühe, liebes Rotkäppchen?« fragte der Wolf.
»Zur alten Großmutter, die nicht wohl ist!« antwortete Rotkäppchen.
»Was willst du denn dort machen? Du willst ihr wohl was bringen?«
»Ei, freilich, wir haben Kuchen gebacken, und Mutter hat mir auch Wein mitgegeben, den soll sie trinken, damit sie wieder stark wird.«

»Sage mir doch noch, mein liebes scharmantes Rotkäppchen, wo wohnt denn deine Großmutter? Ich möchte wohl einmal, wenn ich an ihrem Hause vorbeikomme, ihr meine Hochachtung an den Tag legen«, fragte der Wolf.

»Ei, gar nicht weit von hier, ein Viertelstündchen, da steht ja das Häuschen gleich am Walde, Ihr müßt ja daran vorbeigekommen sein. Es stehen Eichenbäume dahinter, und am Gartenzaun wachsen Haselnüsse!« plauderte das Rotkäppchen.

O du allerliebstes, appetitliches Haselnüßchen du – dachte bei sich der falsche, böse Wolf. Dich muß ich knacken, das ist einmal ein süßer Kern. – Und tat, als wolle er Rotkäppchen noch ein Stückchen begleiten, und sagte zu ihm: »Sieh nur, wie da drüben und dort drüben so schöne Blumen stehen, und horch nur, wie allerliebst die Vögel singen! Ja, es ist sehr schön im Walde, sehr schön, und wachsen so gute Kräuter hierinnen, Heilkräuter, mein liebes Rotkäppchen. «

»Ihr seid gewiß ein Doktor, werter grauer Herr?« fragte Rotkäppchen. »Weil Ihr die Heilkräuter kennt. Da könntet Ihr mir ja ein Heilkraut für meine kranke Großmutter zeigen!«

»Du bist ein ebenso gutes als kluges Kind!« lobte der Wolf. »Ei, freilich bin ich ein Doktor und kenne alle Kräuter, siehst du! Hier steht gleich eins, der Wolfsbast, dort im Schatten wachsen die Wolfsbeeren, und hier am sonnigen Rain blüht die Wolfsmilch, dort drüben findet man die Wolfswurz.«

»Heißen denn alle Kräuter nach dem Wolf?« fragte Rotkäppchen.

»Die besten, nur die besten, mein liebes, frommes Kind!« sprach der Wolf mit rechtem Hohn. Denn alle, die er genannt, waren Giftkräuter. Rotkäppchen aber wollte in ihrer Unschuld der Großmutter solche Kräuter als Heilkräuter pflücken und mitbringen, und der Wolf sagte:

»Lebewohl, mein gutes Rotkäppchen, ich habe mich gefreut, deine Bekanntschaft zu machen; ich habe Eile, muß eine alte schwache Kranke besuchen!«

Und damit eilte der Wolf von dannen und spornstreichs nach dem Hause der Großmutter, während das Rotkäppchen sich schöne Waldblumen zum Strauße pflückte und die vermeintlichen Heilkräuter sammelte.

Als der Wolf an das Häuschen der Großmutter des Rotkäppchens kam, fand er es verschlossen und klopfte an. Die Alte konnte nicht vom Bette aufstehen und nachsehen, wer da sei, und rief: »Wer ist draußen?«

»Das Rotkäppchen!« rief der Wolf mit verstellter Stimme. »Die Mutter schickt der guten Großmutter Wein und auch Kuchen! Wir haben gebacken!«

»Greife unten durch das Loch in der Türe, da liegt der Schlüssel!« rief die Alte, und der Wolf tat also, öffnete die Türe, trat in das Häuschen, in das Stübchen, und verschlang die Großmutter ohne weiteres – zog ihre Kleider an, legte sich in ihr Bett, zog die Decke über sich her und die Bettvorhänge zu. Nach einer Weile kam das Rotkäppchen; es war sehr verwundert, alles so offen zu finden, da doch sonst die Großmutter sich selbst gern unter Schloß und Riegel hielt, und wurd ihm schier bänglich um das junge Herzchen.

Wie das Rotkäppchen nun an das Bett trat, da lag die alte Großmutter, hatte eine große Schlafhaube auf und war nur wenig von ihr zu sehen, und das wenige sah gar schrecklich aus. »Ach, Großmutter, was hast du so große Ohren?« rief das Rotkäppchen.

»Daß ich dich damit gut hören kann!« war die Antwort.
»Ach, Großmutter! Was hast du für große Augen!«
»Daß ich dich damit gut sehen kann!«
»Ei, Großmutter, was hast du für haarige große Hände!«
»Daß ich dich damit gut fassen und halten kann!«
»Ach, Großmutter, was hast du für ein so großes Maul und so lange Zähne!«
»Daß ich dich damit gut fressen kann!«
Und damit fuhr der ganze Wolf grimmig aus dem Bette heraus und fraß das arme Rotkäppchen. Weg war’s.

Jetzt war der Wolf sehr satt, und es gefiel ihm sehr im Stübchen der Alten und in dem weichen Bett, und er legte sich wieder hin und schlief ein und schnarchte, daß es klang, als schnarre ein Räderwerk in einer Mühle.

Zufällig kam ein Jäger vorbei, der hörte das seltsame Geräusch und dachte: Ei, ei, die arme alte Frau da drinnen hat einen bösen Schnarcher am Leib, sie röchelt wohl gar und liegt im Sterben! Du mußt hinein und nachsehen, was mit ihr ist. – Gedacht, getan; der Jäger ging in das Häuschen, da fand er den Herrn Isegrimm im Bette der Alten liegen, und die Alte war nirgends zu erblicken. »Bist du da?« sprach der Jäger und riß die Kugelbüchse von der Schulter. »Komm du her, du bist mir oft genug entlaufen!«

Schon legte er an – da fiel ihm ein: halt – die Alte ist nicht da, am Ende hat der Unhold sie mit Haut und Haar verschlungen, war ohnedies nur ein kleines dürres Weiblein. Und da schoß der Jäger nicht, sondern er zog seinen scharfen Hirschfänger und schlitzte ganz sanft dem fest schlafenden Wolf den Bauch auf, da guckte ein rotes Käppchen heraus, und unter dem Käppchen war ein Köpfchen, und da kam das niedliche allerliebste Rotkäppchen heraus, und sagte: »Guten Morgen! Ach, was war das für ein dunkles Kämmerchen da drinnen!« Und hinter dem Rotkäppchen zappelte die alte Großmutter, die war auch noch lebendig, viel Platz hatten sie aber nicht gehabt im Wolfsbauch.

Der Wolf schlief noch immer steinfest, und da nahmen sie Steine, gerade wie die alte Geiß im Märchen von den sieben Geißlein, füllten sie dem Wolf in den Bauch und nähten den Ranzen zu, hernach versteckten sie sich, und der Jäger trat hinter einen Baum, zu sehen, was der Wolf endlich anfangen werde. Jetzt wachte der Wolf auf, machte sich aus dem Bett heraus, aus dem Stübchen, aus dem Häuschen, und humpelte zum Brunnen, denn er hatte großen Durst. Unterwegs sagte er »Ich weiß gar nicht, ich weiß gar nicht, in meinem Baucl wackelt’s hin und her, hin und her, wie Wackelstein – sollte das die Großmutter und Rotkäppchen sein?« Und wie er an den Brunnen kam und trinken wollte, da zogen ihn die Steine, und er bekam das Übergewicht und fiel hinein und ertrank. So sparte der Jäger seine Kugel; er zog den Wolf aus dem Brunnen und zog ihm den Pelz ab, und alle drei, der Jäger, die Großmutter und das Rotkäppchen, tranken den Wein und aßen den Kuchen und waren seelenvergnügt, und die Großmutter wurde wieder frisch und gesund, und Rotkäppchen ging mit ihrem leeren Körbchen nach Hause und dachte: du willst niemals wieder vom Wege ab und in den Wald gehen, wenn es dir die Mutter verboten hat.

Das Nußzweiglein

Ludwig Bechstein

Das Nußzweiglein

Es war einmal ein reicher Kaufmann, der mußte in seinen Geschäften in fremde Länder reisen. Da er nun Abschied nahm, sprach er zu seinen drei Töchtern: »Liebe Töchter, ich möchte euch gerne bei meiner Rückkehr eine Freude bereiten, sagt mir daher, was ich euch mitbringen soll?«

Die Älteste sprach: »Lieber Vater, mir eine schöne Perlenhalskette! «

Die andere sprach: »Ich wünschte mir einen Fingerring mit einem Demantstein «

Die Jüngste schmiegte sich an des Vaters Herz und flüsterte: »Mir ein schönes, grünes Nußzweiglein, Väterchen.«

»Gut, meine lieben Töchter!« sprach der Kaufmann, »ich will mir’s aufmerken und dann lebet wohl.«

Weit fort reisete der Kaufmann und machte große Einkäufe, gedachte aber auch treulich der Wünsche seiner Töchter. Eine kostbare Perlenhalskette hatte er bereits in seinen Reisekoffer gepackt, um seine Älteste damit zu erfreuen, und einen gleich wertvollen Demantring hatte er für die mittlere Tochter eingekauft. Einen grünen Nußzweig aber konnte er nirgends gewahren, wie er sich auch darum bemühte. Auf der Heimreise ging er deshalb große Strecken zu Fuß und hoffle, da sein Weg ihn vielfach durch Wälder führte, endlich einen Nußbaum anzutreffen; doch dies war lange vergeblich, und der gute Vater fing an betrübt zu werden, daß er die harmlose Bitte seines jüngsten und liebsten Kindes nicht zu erfüllen vermochte.

Endlich, als er so betrübt seines Weges dahinzog, der ihn just durch einen dunklen Wald und an dichtem Gebüsch vorüberführte, stieß er mit seinem Hut an einen Zweig, und es raschelte, als fielen Schlossen darauf; wie er aufsah, war’s ein schöner, grüner Nußzweig, daran eine Traube goldner Nüsse hing. Da war der Mann sehr erfreut, langte mit der Hand empor und brach den herrlichen Zweig ab. Aber in demselben Augenblicke schoß ein wilder Bär aus dem Dickicht und stellt sich grimmig brummend auf die Hintertatzen, als wollte er den Kaufmann gleich zerreißen. Und mit furchtbarer Stimme brüllte er: »Warum hast du meinen Nußzweig abgebrochen, du? Warum? Ich werde dich auffressen.«

Bebend vor Schreck und zitternd sprach der Kaufmann: »O lieber Bär, friß mich nicht, und laß mich mit dem Nußzweiglein meines Weges ziehen, ich will dir auch einen großen Schinken und viele Würste dafür geben!«

Aber der Bär brüllte wieder: »Behalte deinen Schinken und deine Würste! Nur wenn du mir versprichst, mir dasjenige zu geben, was dir zu Hause am ersten begegnet, so will ich dich nicht fressen.« Dies ging der Kaufmann gerne ein, denn er gedachte, wie sein Pudel gewöhnlich ihm entgegenlaufe, und diesen wollte er, um sich das Leben zu retten, gerne opfern. Nach derbem Handschlag tappte der Bär ruhig ins Dickicht zurück; und der Kaufmann schritt, aufatmend, rasch und fröhlich von dannen.

Der goldene Nußzweig prangte herrlich am Hut des Kaufmanns, als er seiner Heimat zueilte. Freudig hüpfte das jüngste Mägdlein ihrem lieben Vater entgegen; mit tollen Sprüngen kam der Pudel hinterdrein, und die ältesten Töchter und die Mutter schritten etwas weniger schnell aus der Haustüre, um den Ankommenden zu begrüßen. Wie erschrak nun der Kaufmann, als seine jüngste Tochter die erste war, die ihm entgegenflog! Bekümmert und betrübt entzog er sich der Umarmung des glücklichen Kindes und teilte nach den ersten Grüßen den Seinigen mit, was ihm mit dem Nußzweig widerfahren. Da weinten nun alle und wurden betrübt, doch zeigte die jüngste Tochter den meisten Mut und nahm sich vor, des Vaters Versprechen zu erfüllen. Auch ersann die Mutter bald einen guten Rat und sprach: »Ängstigen wir uns nicht, meine Lieben, sollte je der Bär kommen und dich, mein lieber Mann, an dein Versprechen erinnern, so geben wir ihm, anstatt unsrer Jüngsten, die Hirtentochter, mit dieser wird er auch zufrieden sein.« Dieser Vorschlag galt, und die Töchter waren wieder fröhlich und freuten sich recht über diese schönen Geschenke. Die Jüngste trug ihren Nußzweig immer bei sich; sie gedachte bald gar nicht mehr an den Bären und an das Versprechen ihres Vaters.

Aber eines Tages rasselte ein dunkler Wagen durch die Straße vor das Haus des Kaufmanns, und der häßliche Bär stieg heraus und trat brummend in das Haus und vor den erschrockenen Mann, der Erfüllung seines Versprechens begehrend. Schnell und heimlich wurde die Hirtentochter, die sehr häßlich war, herbeigeholt, schön geputzt und in den Wagen des Bären gesetzt. Und die Reise ging fort. Draußen legte der Bär sein wildes zotteliches Haupt auf den Schoß der Hirtin und brummte:

 »Graue mich, grabble mich, Hinter den Ohren zart und fein, Oder ich freß dich mit Haut und Bein!«

Und das Mädchen fing an zu grabbeln; aber sie machte es dem Bären nicht recht, und er merkte, daß er betrogen wurde; da wollte er die geputzte Hirtin fressen, doch diese sprang rasch in ihrer Todesangst aus dem Wagen.

Darauf fuhr der Bär abermals vor das Haus des Kaufmanns und forderte furchtbar drohend die rechte Braut. So mußte denn das liebliche Mägdlein herbei, um nach schwerem bittren Abschied mit dem häßlichen Bräutigam fortzufahren. Draußen brummte er wieder, seinen rauhen Kopf auf des Mädchens Schoß legend:

 »Graue mich, grabble mich, Hinter den Ohren zart und fein, Oder ich freß dich mit Haut und Bein!«

Und das Mädchen grabbelte, und so sanft, daß es ihm behagte und daß sein furchtbarer Bärenblick freundlich wurde, so daß allmählich die arme Bärenbraut einiges Vertrauen zu ihm gewann. Die Reise dauerte nicht gar lange, denn der Wagen fuhr ungeheuer schnell, als brause ein Sturmwind durch die Luft. Bald kamen sie in einen sehr dunklen Wald, und dort hielt plötzlich der Wagen vor einer finstergähnenden Höhle. Diese war die Wohnung des Bären. Oh, wie zitterte das Mädchen! Und zumal da der Bär sie mit seinen furchtbaren Klauenarmen umschlang und zu ihr freundlich brummend sprach: »Hier sollst du wohnen, Bräutchen, und glücklich sein, so du drinnen dich brav benimmst, daß mein wildes Getier dich nicht zerreißt.« Und er schloß, als beide in der dunklen Höhle einige Schritte getan, eine eiserne Türe auf und trat mit der Braut in ein Zimmer, das voll von giftigem Gewürm angefüllt war, welches ihnen gierig entgegenzüngelte. Und der Bär brummte seinem Bräutchen ins Ohr:

 »Seh dich nicht um! Nicht rechts, nicht links; Gerade zu, so hast du Ruh!«

Da ging auch das Mädchen, ohne sich umzublicken, durch das Zirniner, und es regte und bewegte sich so lange kein Wurm. Und so ging es noch durch zehn Zimmer, und das letzte war von den scheußlichsten Kreaturen angefüllt, Drachen und Schlangen, giftgeschwollenen Kröten, Basilisken und Lindwürmern. Und der Bär brummte in jedem Zimmer:

 »Seh dich nicht um! Nicht rechts, nicht links; Gerade zu, so hast du Ruh!«

Das Mädchen zitterte und bebte vor Angst und Bangigkeit wie in Espenlaub, doch blieb sie standhaft, sah sich nicht um, nicht rechts, nicht links. Als sich aber das zwölfte Zimmer öffnete, strahlte beiden ein glänzender Lichtschimmer entgegen, es erschallte drinnen eine liebliche Musik, und es jauchzt überall wie Freudengeschrei, wie Jubel. Ehe sich die Braut nur ein wenig besinnen konnte, noch zitternd vom Schauen des Entsetzlichen und nun wieder dieser überraschenden Lieblichkeit – tat es einen furchtbaren Donnerschlag, also daß sie dachte, es breche Erde und Himmel zusammen. Aber bald ward es wieder ruhig. Der Wald, die Höhle, die Gifttiere, der Bär – waren verschwunden; ein prächtiges Schloß mit goldgeschmückten Zimmern und schön gekleideter Dienerschaft stand dafür da, und der Bär war ein schöner junger Mann geworden, war der Fürst des herrlichen Schlosses, der nun sein liebes Bräutchen an das Herz drückte und ihr tausendmal dankte, daß sie ihn und seine Diener, das Getier, so liebreich aus seiner Verzauberung erlöset.

Die nun so hohe, reiche Fürstin trug aber noch immer ihren schönen Nußzweig am Busen, der die Eigenschaft hatte, nie zu verwelken, und trug ihn jetzt nur noch um so lieber, da er der Schlüssel ihres holden Glückes geworden. Bald wurden ihre Eltern und ihre Geschwister von diesem freundlichen Geschick benachrichtigt und wurden für immer, zu einem herrlichen Wohlleben, von dem Bärenfürsten auf das Schloß genommen.