Fippchen Fäppchen

Ludwig Bechstein

Fippchen Fäppchen

Eine Mutter hatte zwei Töchter, eine rechte Tochter und eine Stieftochter. Die letztere wurde von der Frau sehr schlecht behandelt, so daß sie es nicht aushalten konnte. Eines Tages nahm sie sich ein Töpfchen, etwas Mehl und einen Löffel in ihr Körbchen und ging davon. Sie kam in einen finstren Wald, darin lief sie lange herum, bis sie vor Hunger und Müdigkeit nicht weitergehen konnte. Hier ruhte sie aus, schürte ein Feuerchen an und kochte sich einen Brei. Als sie im besten Kochen war, kam plötzlich ein kleines, graues Männlein und fragte:

»Was kochst du da?«

»Einen Brei«, sagte sie.

»Ach, laß mich deinen Löffel ablecken«, bettelte das graue Männlein.

Sie sprach freundlich: »Du kannst auch ordentlich mit mir essen.«

Da hüpfte das Männlein vor Freude um das Feuer herum, bis der Brei fertig war; darauf aßen die beiden miteinander und ließen sich’s gut schmecken. »Weißt du, wie ich heiße?« sprach das Männlein. »Ich heiße Fippchen Fäppchen, und nun gehe mit mir, du sollst es gut bei mir haben!« Da gingen sie beide zusammen weit, weit fort im Walde und kamen endlich an ein Schloß; die Tore öffneten sich, und beide spazierten hinein. Da war alles prachtvoll ausgeschmückt und war alles zu haben, was man nur wünschen mochte, und es war ein Zauberschloß, das Fippchen Fäppchen gehörte.

Die Stiefmutter des davongegangenen Mädchens aber hatte sich aufgemacht mit einem tüchtigen Prügel, nach der entflohenen Tochter zu suchen, und wollte sie totschlagen, wenn sie sie fände, oder doch wenigstens windelweich. Und nach einigen Tagen kam sie an die Türe des Zauberschlosses und klopfte an. Wie erstaunt war die Stieftochter, als sie ihre Mutter kommen sah, und wie erstaunt war die Stiefinutter, ihre von ihr so schlecht behandelte Tochter in so prachtvoller Umgebung und in den schönsten Kleidern wiederzufinden. Vor Schreck fiel ihr der Prügel aus der Hand. Die Stieftochter nahm ihre Mutter sehr freundlich auf, bewirtete sie gut, und nach einem kurzen Aufenthalt kehrte die Mutter wieder heim und pries zu Hause ihre Stieftochter über die Maßen glücklich.

Das nahm sich die rechte Tochter zu Ohren und zu Herzen, und da die Stiefschwester der Mutter erzählt hatte, wie sie zu dem Glück gekommen, so lief sie nun auch davon, kam in denselben Wald, ruhte aus und fing an, auch einen Brei zu kochen. Da kam das graue Männlein auch und fragte: »Was kochst du?«

»Einen Brei«, sagte sie.

Darauf sprach das Männlein: »Laß mich deinen Löffel ablecken.«

»Nein«, sagte das Mädchen trotzig und mißmutig, »ich kann ihn selbst ablecken. « Dann setzte sich das Mädchen hin und aß den Brei allein, und das Männlein sah zu, und als das Mädchen fertig war, da nahm das Männlein das Mädchen und zerriß es in tausend Stücke und hing sie an die Bäume. Nach dem suchte die Mutter ihre rechte Tochter und meinte, der müsse auch ein so großes Glück begegnet sein als ihrer Stieftochter. Als sie in die Nähe kam, wo ihre Tochter in Fetzen hing, dachte sie, die Tochter habe dort Wäsche aufgehangen, wie groß aber waren ihr Schrecken und ihr Jammer, als sie näher kam und sah, was geschehen war. Sie fiel ohnmächtig zur Erde, und ich weiß nicht, ob sie wieder nach Hause gekommen ist.

Die verzauberte Prinzessin

Ludwig Bechstein

Die verzauberte Prinzessin

Es war einmal ein armer Handwerksmann, der hatte zwei Söhne, einen guten, der hieß Hans, und einen bösen, der hieß Helmerich. Wie das aber wohl geht in der Welt, der Vater hatte den bösen mehr lieb als den guten.

Nun begab es sich, daß das Jahr einmal ein mehr als gewöhnlich teures war und dem Meister der Beutel leer war. Ei! dachte er, man muß zu leben wissen. Sind die Kunden doch so oft zu dir gekommen, nun ist es an dir, höflich zu sein und dich zu ihnen zu bemühen. Gesagt, getan. Früh morgens zog er aus und klopfte an mancher stattlichen Tür; aber wie es sich denn so trifft, daß die stattlichsten Herren nicht die besten Zahler sind, die Rechnung zu bezahlen hatte niemand Lust. So kam der Handwerksmann müde und matt des Abends in seine Heimat, und trübselig setzte er sich vor die Türe der Schenke ganz allein, denn er hatte weder das Herz, mit den Zechgästen zu plaudern, noch freute er sich sehr auf das lange Gesicht seines Weibes. Aber wie er da saß in Gedanken versunken, konnte er doch nicht lassen hinzuhören auf das Gespräch, das drinnen geführt ward. Ein Fremder, der eben aus der Hauptstadt angelangt war, erzählte, daß die schöne Königstochter von einem bösen Zauberer gefangengesetzt sei und müsse im Kerker bleiben ihr Leben lang, wenn nicht jemand sich fände, der die drei Proben löse, die der Zauberer gesetzt hatte. Fände sich aber einer, so wäre die Prinzeß sein und ihr ganzes herrliches Schloß mit all seinen Schätzen. Das hörte der Meister an, zuerst mit halbem Ohr, dann mit dem ganzen und zuletzt mit allen beiden, denn er dachte: mein Sohn Helmerich ist ein aufgeweckter Kopf, der wohl den Ziegenbock barbieren möchte, so das einer von ihm heischte; was gilt’s, er löst die Proben und wird der Gemahl der schönen Prinzeß und Herr über Land und Leute. Denn also hatte der König, ihr Vater, verkündigen lassen.

Schleunig kehrte er nach Haus und vergaß seine Schulden und Kunden über der neuen Mär, die er eilig seiner Frau hinterbrachte. Des andern Morgens schon sprach er zum Helmerich, daß er ihn mit Roß und Wehr ausrüsten wolle zu der Fahrt, und wie schnell machte der sich auf die Reise! Als er Abschied nahm, versprach er seinen Eltern, er wolle sie samt dem dummen Bruder Hans gleich holen lassen in einem sechsspännigen Wagen; denn er meinte schon, er wäre König. Übermütig wie er dahinzog, ließ er seinen Mutwillen aus an allem, was ihm in den Weg kam. Die Vögel, die auf den Zweigen saßen und den Herrgott lobten mit Gesang, wie sie es verstanden, scheuchte er mit der Gerte von den Ästen, und kein Getier kam ihm in den Weg, daran er nicht seinen Schabernack ausgelassen hätte. Und zum ersten begegnete er einem Ameisenhaufen; den ließ er sein Roß zertreten, und die Ameisen, die erzürnt an sein Roß und an ihn selbst krochen und Pferd und Mann bissen, erschlug und erdrückte er alle. Weiter kam er an einen klaren Teich, in dem schwammen zwölf Enten. Helmerich lockte sie ans Ufer und tötete deren elf, nur die zwölfte entkam. Endlich traf er auch einen schönen Bienenstock; da machte er es den Bienen, wie er es den Ameisen gemacht. Und so war seine Freude, die unschuldige Kreatur nicht sich zum Nutzen, sondern aus bloßer Tücke zu plagen und zu zerstören.

Als Helmerich nun bei sinkender Sonne das prächtige Schloß erreicht hatte, darin die Prinzessin verzaubert war, klopfte er gewaltig an die geschlossene Pforte. Alles war still; immer heftiger pochte der Reiter. Endlich tat sich ein Schiebefenster auf, und hervor sah ein altes Mütterlein mit spinnewebfarbigem Gesichte, die fragte verdrießlich, was er begehre. »Die Prinzeß will ich erlösen«, rief Helmerich, »geschwind macht mir auf. «

»Eile mit Weile, mein Sohn«, sprach die Alte, »morgen ist auch ein Tag, um neun Uhr werde ich dich hier erwarten.« Damit schloß sie den Schalter.

Am andern Morgen um neun Uhr, als Helmerich wieder erschien, stand das Mütterchen schon seiner gewärtig mit einem Fäßchen voll Leinsamen, den sie ausstreute auf eine schöne Wiese. »Lies die Körner zusammen«, sprach sie zu dem Reiter, »in einer Stunde komme ich wieder, da muß die Arbeit getan sein.« Helmerich aber dachte, das sei ein alberner Spaß und es lohne nicht, sich darum zu bücken; er ging derweil spazieren, und als die Alte wiederkam, war das Fäßchen so leer wie vorher. »Das ist nicht gut«, sagte sie. Darauf nahm sie zwölf goldene Schlüsselchen aus der Tasche und warf sie einzeln in den tiefen, dunklen Schloßteich. »Hole die Schlüssel herauf«, sprach sie, »in einer Stunde komme ich wieder, da muß die Arbeit getan sein.« Helmerich lachte und tat wie vorher. Als die Alte wiederkam und auch diese Aufgabe nicht gelöst war, da rief sie zweimal: »Nicht gut! nicht gut!« Doch nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn die Treppe hinauf in den großen Saal des Schlosses; da saßen drei Frauenbilder, alle drei in dichte Schleier verhüllt. »Wähle, mein Sohn«, sprach die Alte, »aber sieh dich vor, daß du recht wählst. In einer Stunde komme ich wieder.«

Helmerich war nicht klüger, da sie wiederkam, als da sie wegging; übermütig aber rief er aufs Geratewohl: »Die zur Rechten wähl ich.« Da warfen alle drei die Schleier zurück; in der Mitte saß die holdselige Prinzeß, rechts und links zwei scheußliche Drachen, und der zur Rechten packte den Helmerich in seine Krallen und warf ihn durch das Fenster in den tiefen Abgrund.

Ein Jahr war verflossen, seit Helmerich ausgezogen, die Prinzeß zu erlösen, und noch immer war bei den Eltern kein sechsspänniger Wagen angelangt. »Ach!« sprach der Vater, »wäre nur der ungeschickte Hans ausgezogen statt unsres besten Buben, da wäre das Unglück doch geringer.«

»Vater«, sagte Hans, »laß mich hinziehn, ich will’s auch probieren.« Aber der Vater wollte nicht, denn was dem Klugen mißlingt, wie führte das der Ungeschickte zu Ende? Da der Vater ihm Roß und Wehr versagte, machte Hans sich heimlich auf und wanderte wohl drei Tage denselben Weg zu Fuß, den der Bruder an einem geritten war. Aber er fürchtete sich nicht und schlief des Nachts auf dem weichen Moos unter den grünen Zweigen so sanft wie unter dem Dach seiner Eltern; die Vögel des Waldes scheuten sich nicht vor ihm, sondern sangen ihn in den Schlaf mit ihren besten Weisen. Als er nun an die Ameisen kam, die beschäftigt waren, ihren neuen Bau zu vollenden, störte er sie nicht, sondern wollte ihnen helfen, und die Tierchen, die an ihm hinaufkrochen, las er ab, ohne sie zu töten, wenn sie ihn auch bissen. Die Enten lockte er auch ans Ufer, aber um sie mit Brosamen zu füttern; den Bienen warf er die frischen Blumen hin, die er am Wege gepflückt hatte. So kam er fröhlich an das Königsschloß und pochte bescheiden am Schalter. Gleich tat die Türe sich auf, und die Alte fragte nach seinem Begehr. »Wenn ich nicht zu gering bin, möchte ich es auch versuchen, die schöne Prinzeß zu erlösen«, sagte er.

»Versuche es, mein Sohn«, sagte die Alte, »aber wenn du die drei Proben nicht bestehst, kostet es dein Leben.«

»Wohlan, Mütterlein«, sprach Hans, »sage, was ich tun soll.«

Jetzt gab die Alte ihm die Probe mit dem Leinsamen. Hans war nicht faul, sich zu bücken, doch schon schlug es drei Viertel, und das Fäßchen war noch nicht halb voll. Da wollte er schier verzagen; aber auf einmal kamen schwarze Ameisen mehr als genug, und in wenigen Minuten lag kein Körnlein mehr auf der Wiese.

Als die Alte kam, sagte sie: »Das ist gut!« und warf die zwölf Schlüssel in den Teich, die sollte er in einer Stunde herausholen. Aber Hans brachte keinen Schlüssel aus der Tiefe; so tief er auch tauchte, er kam nicht an den Grund. Verzweifelnd setzte er sich ans Ufer; da kamen die zwölf Entchen herangeschwommen, jede mit einem goldenen Schlüsselchen im Schnabel, die warfen sie ins feuchte Gras.

So war auch diese Probe gelöst, als die Alte wiederkam, um ihn nun in den Saal zu führen, wo die dritte und schwerste Probe seiner harrte. Verzagend sah Hans auf die drei gleichen Schleiergestalten; wer sollte ihm hier helfen? Da kam ein Bienenschwarm durchs offene Fenster geflogen, die kreisten durch den Saal und summten um den Mund der drei Verhüllten. Aber von rechts und links flogen sie schnell wieder zurück, denn die Drachen rochen nach Pech und Schwefel, wovon sie leben; die Gestalt in der Mitte umkreisten sie alle und surrten und schwirrten leise: »Die Mittle, die Mittle.« Denn da duftete ihnen der Geruch ihres eigenen Honigs entgegen, den die Königstochter so gern aß.

Also, da die Alte wiederkam nach einer Stunde, sprach Hans ganz getrost: »Ich wähle die Mittle.« Und da fuhren die bösen Drachen zum Fenster hinaus, die schöne Königstochter aber warf ihren Schleier ab und freute sich der Erlösung und ihres schönen Bräutigams. Und Hans sandte dem Vater der Prinzeß den schnellsten Boten und zu seinen Eltern einen goldenen Wagen mit sechs Pferden bespannt, und sie alle lebten herrlich und in Freuden, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute noch.

Die verwünschte Stadt

Ludwig Bechstein

Die verwünschte Stadt

Auf hohem Alpengebirge lag eine große blühende Stadt, umgeben von hochragenden Bergzackenhörnern, die ewiger Schnee bedeckte, die Stadt aber lag auf einer weithingebreiteten sonnigen Matte, auf welcher zahlloses Vieh weidete, denn das Volk, das jene Alpenstadt bewohnte, war ein Hirtenvolk, das fast ganz abgesondert lebte von den Bewohnern der tieferen Gegenden. Selten zog ein Wanderer oder ein Saumroß die Gebirgspfade, die über jene Hochalpen hinweg nach Welschland führten, selten sahen die Bewohner jener Gebirgsstadt einen Fremdling.

Eines Tages aber sahen sie einen fremden Wanderer durch ihren Ort schreiten, eine hohe ernste Gestalt; sein Gesicht war bräunlich von Farbe, aber bleich, mit langem Barte, sein Haar schwarz mit grau gemischt, sein Gewand ein langer brauner Talar, mit einem Stück umgürtet, seine Fußbekleidung starke Schuhe, mit Riemen um die Knöchel befestigt. Müde schien der Mann und der Ruhe sehr bedürftig, aber er trug einen Fluch, daß er sich nicht setzen und weilen durfte, bevor ihn jemand sitzen und verweilen hieß. Die Bewohner der Hochgebirgsstadt sahen den fremden Mann mit einer eigenen Scheu an, und er flößte ihnen ein seltsames Grauen ein. Und der Mann ging von Haus zu Haus und stand vor jeder Türe und harrte, daß jemand zu ihm sage: »Sitze nieder und raste« -aber niemand sprach solche Worte, wohl aber sammelte sich des Volkes mehr und mehr und gaffte ihn neugierdevoll an. Und der müde Mann stand und seufzete.

Da trat der Stadtälteste heran, der zugleich ein Priester war, der sprach zu ihm: »Höre, du fremder Mann, wer du bist, das wissen wir und sehen es dir an. Du bist kein anderer als der ewige Jude. Du bist verdammt, zu wandern ewiglich, weil du den Heiland der Welt auf seinem Gange zum bittern Kreuzestode die kurze Ruhe auf der Steinbank vor deinem Hause zu Jerusalem versagt hast – darum so hebe dich von hinnen aus unserer Stadt, denn du kannst allda nicht weilen und darfst nicht weilen, und wir können und dürfen dich nicht hegen und beherbergen, zu unserem eigenen Leid. Gehe mit Gott!«

Da öffnete der ewige Jude seine bleichen Lippen und sprach: »Ich werde gehen jetzt und ihr bleibt, ihr aber werdet vergehen, und ich werde bleiben. Wann ich werde wiederkommen an diesen Ort, so werde ich hier finden zwar eine Stätte, aber keine Stadt – und wann ich werde kommen zum drittenmale, so werde ich auch nicht mehr finden die Stätte, da eure Stadt gestanden hat.«

Alle, die das Wort hörten, erschraken und traten scheu zur Seite, als der finstere Mann seinen Stab schüttelte und durch ihre gedrängten Reihen schritt und müden Ganges aus dem Orte wanderte, hoch hinauf in das unwirtbare Gebirge. Keiner von allen sah in wieder.

Seit diesem Tage wurde kein neues Haus mehr errichtet in jener Stadt – keine Herde mehrte sich – kein Kindlein wurde geboren – manches Haus starb bald aus – nach einer Reihe von Jahren standen viele Häuser ganz leer und verfielen.

Von den Bergen stürzten Lawinen herab und zerschmetterten die Häuser. Bergstürze ereigneten sich, und mächtige Felsblöcke lagen jetzt da, wo früher in den Straßen der Stadt ein reges fröhliches Leben war. Die große Stadt war noch fünfzig Jahr ein Alpdendorf mit weit und zertreut voneinander liegenden Häusern, mit dürftiger Nahrung, magern Herden, siechen Bewohnern. Sie kamen nicht mehr herab zu den tiefer gelegenen Ortschaften, und niemand stieg aus letzteren zu ihnen hinauf – und so wurde endlich alles droben wüst und leer – und über die letzten Toten wölbte sich kein Grabeshügel, sondern die brechenden Häuser begruben sie unter Trümmern, dann begruben Steinrutsche, welche im Alpenlande Muren heißen, wiederum jene Trümmer, oder Schlammbäche von den Berggipfeln quollen nieder und deckten alles zu.

Nach hunden Jahren kam der Wanderer wieder; an der Lage der Bergrücken umher erkannte er die Stätte, hohe Bäume waren gewachsen aus den Trümmern, hie und da stand noch ein Mauerrest, man konnte aber nicht mehr recht unterscheiden, ob es Felsen waren oder Werke von Menschenhand. Mächtige Sträucher mit bunten Alpenblumen waren da emporgeschossen, wo vordessen Straße war, und Gras stand da, wo sonst der Menschen friedliche Wohnstätte gewesen.

Und der ewige Jude seufzete unnd sprach: »Was hat gesungen einst David, der König über Israel? Er hat gesungen: ‚Wenn Du nach des Gottlosen Stätte sehen wirst, wird er weg sein.’«

Und hob den Fuß und wandelte wieder rast- und ruhelos über das Hochgebirge.

Und die Stätte jener Stadt blieb nicht dieselbe, wie sie gewesen, sie wurde immer öder, kahler, schauriger, doch ganz allmählich und so langsam, Jahr um Jahr. Die Alpensträucher gingen aus, das Gras verdorrte, es fiel in dieser hohen Bergregion kein Regen mehr hinweg, auch wenn die Sommersonne am höchsten stand. Die Quellen, die von den höheren Spitzen des Gebirgs früher als reizende Wasserfälle niederrauschten, gefroren und bildeten über sich Decken von grünlichem Eis; sie wurden zu Gletschern, und diese Gletscher wurden größer und größer und schoben sich über die einst so herrlich grünen sonnigen Matten mehr und mehr und bedeckten sie ganz.

Als der ruhelose Wanderer, nachdem abermals hundert Jahre vergangen waren, wieder hinauf kam auf das Gebirge, da fand und erkannte er die Stätte nicht mehr, auf welcher einst die blühende Stadt gestanden hatte, und tat seinen Mund auf und sprach: »Erfüllt ist nun das Wort des Herrn, das er tat durch den Mund des Propheten, seines Knechts: ‚Ich will meine Hand über sie ausstrecken und das Land wüst und öde machen.’«

Die sieben Schwaben

Ludwig Bechstein

Die sieben Schwaben

Einmal waren sieben Schwaben beisammen, der erste war der Herr Schulz, der zweite der Jackli, der dritte der Marli, der vierte der Jergli, der fünfte der Michal, der sechste der Hans, der siebente der Veitli; die hatten alle siebene sich vorgenommen, die Welt zu durchziehen, Abenteuer zu suchen und große Taten zu vollbringen. Damit sie aber auch mit bewaffneter Hand und sicher gingen, sahen sie’s für gut an, daß sie sich zwar nur einen einzigen, aber recht starken und langen Spieß machen ließen.

Diesen Spieß faßten sie alle siebene zusammen an, vorn ging der kühnste und männlichste, das mußte der Herr Schulz sein, und dann folgten die andern nach der Reihe, und der Veitli war der letzte.
Nun geschah es, als sie im Heumonat eines Tags einen weiten Weg gegangen waren, auch noch ein gut Stück bis in das Dorf hatten, wo sie über Nacht bleiben mußten, daß in der Dämmerung auf einer Wiese ein großer Roßkäfer oder eine Hornisse nicht weit von ihnen hinter einer Staude vorbeiflog und feindlich brummelte. Der Herr Schulz erschrak, daß er fast den Spieß hätte fallen lassen und ihm der Angstschweiß am ganzen Leibe ausbrach.

„Horcht, horcht“, rief er seinen Gesellen, „Gott, ich höre eine Trommel!“

Der Jackli, der hinter ihm den Spieß hielt und dem ich weiß nicht was für ein Geruch in die Nase kam, sprach:

„Etwas ist ohne Zweifel vorhanden,
denn ich schmeck das Pulver und den Zündstrick.“

Bei diesen Worten hub der Herr Schulz an, die Flucht zu ergreifen, und sprang im Hui über einen Zaun, weil er aber gerade auf die Zinken eines Rechens sprang, der vom Heumachen da liegengeblieben war, so fuhr ihm der Stiel ins Gesicht und gab ihm einen ungewaschenen Schlag.

„O wei, o wei“, schrie der Herr Schulz, „nimm mich gefangen, ich ergeb mich, ich ergeb mich!“

Die andern sechs hüpften auch alle einer über den andern herzu und schrien: „Gibst du dich, so geb ich mich auch, gibst du dich, so geb ich mich auch.“ Endlich, wie kein Feind da war, der sie binden und fortführen wollte, merkten sie, daß sie betrogen waren; und damit die Geschichte nicht unter die Leute käme und sie nicht genarrt und gespottet würden, verschwören sie sich untereinander, so lang davon stillzuschweigen, bis einer unverhofft das Maul auftäte. Hierauf zogen sie weiter. Die zweite Gefährlichkeit, die sie erlebten, kann aber mit der ersten nicht verglichen werden. Nach etlichen Tagen trug sie ihr Weg durch ein Brachfeld, da saß ein Hase in der Sonne und schlief, streckte die Ohren in die Höhe und hatte die großen gläsernen Augen starr aufstehen. Da erschraken sie bei dem Anblick des grausamen und wilden Tieres insgesamt und hielten Rat, was zu tun das wenigst gefährliche wäre. Denn so sie fliehen wollten, war zu besorgen, das Ungeheuer setzte ihnen nach und verschlänge sie alle mit Haut und Haar. Also sprachen sie: „Wir müssen einen großen und gefährlichen Kampf bestehen, frisch gewagt ist halb gewonnen!“ faßten alle siebene den Spieß an, der Herr Schulz vorn und der Veitli hinten. Der Herr Schulz wollte den Spieß noch immer anhalten, der Veitli aber war hinten ganz mutig geworden, wollte losbrechen und rief:

„Stoß zu in aller Schwabe Name,
sonst wünsch i, daß ihr möcht erlahme.“

Aber der Hans wußt ihn zu treffen und sprach:

„Beim Element, du hascht gut schwätze,
bischt stets der letscht beim Drachehetze.“
Der Michal rief:
„Es wird nit fehle um ei Haar,
so ischt es wohl der Teufel gar.“
Drauf kam an den Jergli die Reihe, der sprach:
„Ischt er es nit, so ischt’s sei Muter
oder des Teufels Stiefbruder.“
Der Marli hatte da einen guten Gedanken und sagte zum Veitli,
„Gang, Veitli, gang, gang du voran,
i will dahinte vor di stahn.“
Der Veitli aber hörte nicht drauf, und der Jackli sagte:
„Der Schulz, der muß der erschte sei,
denn ihm gebührt die Ehr allei.“
Da nahm sich der Herr Schulz ein Herz und sprach gravitätisch:
„So zieht denn herzhaft in den Streit
hieran erkennt man tapfre Leut.“
Da gingen sie insgesamt auf den Drachen los. Der Herr Schulz segnete sich und rief Gott um Beistand an; wie aber das alles nicht helfen wollte und er dem Feind immer näher kam, schrie er in großer Angst: „Hau! hurlehau! hau! hauhau!“ Davon erwachte der Has, erschrak und sprang eilig davon. Als ihn der Herr Schulz so feldflüchtig sah, da rief er voll Freude:
„Potz, Veitli, lueg, lueg, was ischt das?
Das Ungehüer ischt a Has.“
Der Schwabenbund suchte aber weiter Abenteuer und kam an die Mosel, ein moosiges, stilles und tiefes Wasser, darüber nicht viel Brücken sind, sondern man an mehrern Orten sich muß in Schiffen überfahren lassen. Weil die sieben Schwaben dessen unberichtet waren, riefen sie einem Mann, der jenseits des Wassers seine Arbeit vollbrachte, zu, wie man doch hinüberkommen könnte. Der Mann verstand wegen der Weite und wegen ihrer Sprache nicht, was sie wollten, und fragte auf sein Trierisch: „Wat? Wat?“ Da meinte der Herr Schulz, er spräche nicht anders als: „Wate, wate durchs Wasser“, und hub an, weil er der Vorderste war, sich auf den Weg zu machen und in die Mosel hineinzugehen. Nicht lang, so versank er in den Schlamm und in die antreibenden tiefen Wellen, seinen Hut aber jagte der Wind hinüber an das jenseitige Ufer, und ein Frosch setzte sich dabei und quakte „wat, wat, wat“. Die sechs andern hörten das drüben und sprachen: „Unser Gesell, der Herr Schulz, ruft uns, kann er hinüberwaten, warum wir nicht auch?“ Sprangen darum eilig alle zusammen in das Wasser und ertranken, also daß ein Frosch ihrer s? MX? ??E?E? g? i? 1? echse ums Leben brachte und niemand von dem Schwabenbund wieder nach Haus kam.

Die sieben Raben

Ludwig Bechstein

Die sieben Raben

Wie in der Welt gar viele wunderliche Dinge geschehen, so trug sich’s auch einmal zu, daß eine arme Frau sieben Knäblein auf einmal gebar; und diese lebten alle und gediehen alle. Nach etlichen Jahren bekam sie auch noch ein Töchterchen. Ihr Mann war gar fleißig und tüchtig in seiner Arbeit, deshalb ihn auch die Leute, welche Handarbeiter bedurften, gerne in Dienst nahmen, wodurch er nicht nur seine zahlreiche Familie auf ehrliche Weise ernähren konnte, sondern so viel erwarb, daß auch noch bei genauer Einrichtung seiner braven Hausfrau einen Notpfennig zurücklegen konnte. Doch dieser treue Vater starb in seinen besten Jahren, und die arme Witwe geriet bald in Not, denn sie konnte nicht so viel erschaffen, um ihre acht Kinder zu ernähren und zu kleiden. Dazu wurden die sieben Knaben immer größer und brauchten immer mehr und wurden aber auch zur größten Betrübnis ihrer Mutter immer unartiger, ja sie wurden sogar wild und böse. Die arme Frau vermochte kaum zu ertragen, was sie alles bekümmerte und drückte. Sie wollte doch ihre Kinder gut und fromm erziehen, und ihre Strenge und Milde fruchtete nichts, der Knaben Herzen waren und blieben verstockt. Darum sprach sie eines Tages, als ihre Geduld ganz zu Ende war: »O, ihr bösen Raben-Jungen, ich wollte, ihr wäret sieben schwarze Raben und flöget fort, daß ich euch nimmer wiedersahe.« Und alsbald wurden die sieben Knaben zu Rabenvögeln, fuhren zum Fenster hinaus und verschwanden.

Nun lebte die Mutter mit ihrem einzigen Töchterlein recht stille und zufrieden, sie verdienten sich mehr noch, als sie brauchten. Und die Tochter wurde ein hübsches gutes und sittsames Mädchen. Doch nach etlichen Jahren bekamen beide, Mutter und Tochter, gar herzliche Sehnsucht nach den sieben Brüdern und sprachen oft von ihnen und weinten: wenn doch die Brüder wiederkämen und brave Burschen wären, wie könnten wir durch unsere Arbeit uns so gut stehen und untereinander so viele Freude haben. Und weil die Sehnsucht nach ihren Brüdern im Herzen des Mägdleins immer heftiger wurde, sprach sie einst zur Mutter: »Liebe Mutter, laß mich fortwandern und die Brüder aufsuchen, daß ich sie umlenke von ihrem bösen Wesen und sie dir zuführe zur Ehre und Freude deines Alters.«

Die Mutter antwortete: »Du gute Tochter, ich kann und will dich nicht abhalten, die fromme Tat zu vollführen, wandre fort, und Gott geleite dich!« Gab ihr darauf ein kleines goldnes Ringelein, das sie schon als kleines Kind am Finger getragen, wie die Brüder in Raben verwandelt wurden.

Da machte sich das Mädchen sogleich auf und wanderte fort, gar weit, weit fort, und fand lange keine Spur von ihren Brüdern; aber einmal kam sie an einen sehr hohen Berg, auf dessen Höhe ein kleines Häuschen stand, da hatte sie sich drunter niedergesetzt, um auszuruhen und blickte sinnend immer hinauf nach dem Häuschen. Dasselbe kam ihr bald vor wie ein Vogelnest, denn es sah grau aus, als ob es von Steinchen und Kot zusammengefügt wäre, bald kam es ihr vor wie eine menschliche Wohnung. Sie dachte: ob nicht da droben deine Brüder wohnen? Und als sie endlich sieben schwarze Raben aus dem Häuschen fliegen sah, bestätigte sich ihre Vermutung noch mehr. Sie machte sich freudig auf, um den Berg zu ersteigen; doch der Weg, der hinaufführte, war mit so seltsamen, spiegelglatten Steinen gepflastert, daß sie allemal, wenn sie mit großer Mühe eine Strecke hinan war, ausglitt und wieder herunterfiel. Da wurde sie betrübt und wußte nicht, wie sie nun hinaufkommen könnte. Da sah sie eine schöne weiße Gans und dachte: wenn ich nur deine Flügel hätte, so wollte ich bald droben sein. Dann dachte sie wieder: kann ich mir denn ihre Flügel nicht abschneiden? Ei, dann wäre mir ja geholfen! Und sie fing rasch die schöne Gans, schnitt ihr die Flügel ab und auch die Beine und nähte sich dieselben an. Und siehe, wie sie das Fliegen probierte, ging es so schön, so leicht und gut und wenn sie müde war vom Fliegen, lief sie ein wenig mit den Gänsefüßen und glitt nicht einmal wieder aus. So kam sie schnell und gut an das lang ersehnte Ziel. Droben ging sie hinein in das Häuschen, doch war es sehr klein; drinnen standen sieben winzig kleine Tischchen, sieben Stühlchen, sieben Bettchen, und in der Stube waren auch sieben Fensterchen, und in dem Ofen standen sieben Schüsselchen, darauf lagen gebratene Vögelchen und gesottene Vogeleier. Die gute Schwester war von der weiten Reise müde geworden und freute sich nun, einmal ordentlich ausruhen zu können; auch fühlte sie Hunger. Da nahm sie die sieben Schüsselchen aus dem Ofen und aß von einem jeden ein wenig, setzte sich auf jedes Stühlchen ein wenig, legte sich in jedes Bettchen ein wenig, und in dem letzten Bettchen schlief sie ein und blieb darinnen liegen, bis die sieben Brüder zurückkamen. Diese flogen durch die sieben Fenster herein in die Stube, nahmen ihre Schüsseln aus dem Ofen und wollten essen, merkten aber, daß schon davon gegessen war. Nun wollten sie sich schlafen legen und fanden ihre Bettchen verrückt, und einer der Brüder tat einen lauten Schrei und sprach: »Oh, was liegt für ein Mägdlein in meinem Bett!« Die andern Brüder liefen schnell herbei und sahen erstaunt das schlafende Mädchen liegen. Da sprach einer um den andern: »Wenn es doch unser Schwesterchen wäre!« und wieder rief einer um den andern voll Freude: »Ja, das ist unser Schwesterchen, ja, das ist es! Solche Haare hatte es, und solch ein Mündlein hatte es, und solch ein Ringlein trug es damals an seinem größten Finger, wie es jetzt am kleinsten eins trägt!« Und sie jauchzten alle und küßten das Schwesterchen alle; aber dieses schlief so fest, daß es lange nicht erwachte.

Endlich schlug das Mädchen die Äuglein auf und sah die sieben schwarzen Brüder um ihr Bett sitzen. Da sagte sie: »Oh, seid herzlich gegrüßt, meine lieben Brüder, Gott sei gedankt, daß ich euch endlich gefunden habe, ich habe euretwegen eine lange, mühevolle Reise gemacht, um euch wieder aus eurer Verbannung zurückzuholen, wenn ihr nämlich einen bessern Sinn in euern Herzen gefaßt habt, daß ihr eure gute Mutter nie mehr ärgern wollet, daß ihr fleißig mit uns arbeitet und die Ehre und Freude eurer alten Mutter werden wollet.«

Während dieser Rede hatten die Brüder bitterlich geweint und sprachen nun: »Ja, herzige Schwester, wir wollen gut sein und nie wieder die Mutter beleidigen, ach, als Raben haben wir ein elendigliches Leben, und ehe wir uns dieses Häuschen erbaut, sind wir oft vor Hunger und Elend bald umgekommen. Dazu kam die Reue, die uns Tag und Nacht folterte: denn wir mußten die Leichname von den armen gerichteten Sündern fressen und wurden dadurch stets an des Sünders schauerliches Ende erinnert.«

Die Schwester weinte Freudentränen, daß ihre Brüder sich bekehrt hatten und so voll frommen Sinnes sprachen. »Oh!« rief sie aus, »nun ist alles gut, wenn ihr nach Hause kommt und die Mutter vernimmt, daß ihr besser worden seid, wird sie euch herzlich verzeihen und euch wieder zu Menschen machen.«

Als nun die Brüder mit dem Schwesterchen heimreisen wollten, sprachen sie erst, indem sie ein hölzernes Kästchen öffneten: »Liebe Schwester, nimm hier diese schönen goldenen Ringe und blitzenden Steinchen, die wir draußen so nach und nach fanden, in dein Schürzchen und trage es mit nach Hause, denn dadurch können wir als Menschen reich werden. Als Raben trugen wir sie nur um des schönen Glanzes willen zusammen. «

Das Schwesterchen tat so, wie die Brüder wollten, und hatte selbst Freude an dem schönen Schmuck. Auf der Heimreise trugen die Rabenbrüder einer um den andern das Schwesterchen auf ihren Flügeln, bis sie an die Wohnung ihrer Mutter kamen; da flogen sie zum Fenster hinein und baten ihre Mutter um Verzeihung und gelobten, fortan stets gute Kinder zu sein. Auch die Schwester half bitten und flehen, und die Mutter war voll Freude und Liebe und verzieh ihren sieben Söhnen. Da wurden sie wieder Menschen und gar schöne blühende Jünglinge, einer so groß und so anmutwoll wie der andre. Dankend herzten und küßten sie die gute Mutter und die liebevolle Schwester. Und bald darauf nahmen alle sieben Brüder sich junge sittsame Frauen, bauten sich ein großes schönes Haus, denn sie hatten für ihre Kleinodien sehr vieles Geld bekommen. Und des neuen Hauses erste Weihe war der Brüder siebenfache Hochzeit.

Dann nahm auch die Schwester einen braven Mann, mußte aber auf der Brüder Flehen und Bitten bei ihnen wohnen bleiben.

So hatte die gute Mutter noch viele Freude an ihren Kindern und wurde von denselben bis in ihr spätes Alter liebevoll gepflegt und kindlich verehrt.

Die schöne junge Braut

Ludwig Bechstein

Die schöne junge Braut

Es ging einmal ein hübsches Landmädchen in den Wald, um Futter für seine Kuh zu holen; wie sie nun in Gottes Namen grasete und an gar nichts Arges dachte, so kamen auf einmal vier Räuber, umringten sie und führten sie mit sich fort, ohne Gnad und Barmherzigkeit, sie mochte schreien und zappeln, bitten und betteln, so viel sie wollte. Weit ab von des Mädchens Heimat in einem finstern Walde hatten die Räuber ein Haus, worin sie sich aufhielten, wenigstens blieben immer einige daheim, wenn die andern auf Raub auszogen. Dem Mädchen taten aber die Räuber weiter nichts zu Leide, als daß sie sie eben aus ihrer Heimat fortführten und sie in dem Hause gleichsam gefangen hielten; sie mußte den Haushalt besorgen, kochen, backen und waschen, sonst hatte sie es gut, wurde aber immer scharf bewacht. Dabei hatten ihr die Räuber den Namen gegeben: Schöne junge Braut.

So war nun das Mädchen schon einige Jahre in der Räuberherberge, als es sich einmal traf, daß ein Hauptraub ausgeführt werden sollte, an dem, wenn er gelingen sollte, die ganze helle Bande teilnehmen mußte.

Da das Mädchen sich an das Leben in der Räuberhöhle gewöhnt zu haben schien, auch noch keinen Versuch zu entfliehen gemacht hatte und auch schwerlich durch den wilden Wald die Wege finden würde – so dachte der Hauptmann -, so blieb sie diesesmal allein und unbewacht im Waldhause zurück. Aber die Räuber waren kaum fort, so sann die schöne Braut darauf, wie sie unerkannt entfliehen könne. Sie machte geschwind eine Gestalt von Stroh, zog derselben ihre Kleider an, setzte ihr ihre Haube auf, sich selbst aber bestrich sie von Kopf bis zu den Füßen mit Honig, wälzte sich darauf über und über in Federn, so daß sie ganz unkennbar wurde und aussah wie ein seltsamer Vogel. Die Gestalt in ihren Kleidern lehnte sie an ein Fenster über der Haustür und ließ sie hinaussehen, doch mit verdecktem Gesicht, und dann eilte sie von dannen.

Mochte es aber nun sein, daß dem Hauptmann eine Ahnung von des Mädchens beabsichtigter Flucht kam oder daß etwas vergessen worden war, genug, er sandte einige seiner Räuber nach dem Hause zurück, und gerade mußte es sich treffen, daß ihnen auf ihrem Wege das fiedrige Käuzlein aufstieß. Sie dachten aber, es wäre einer ihrer Kumpane, der sich unkenntlich gemacht hätte, und riefen die Gestalt lachend und fragend an:

»Wohin, wohin, Herr Federsack?
Was macht die schöne junge Braut?«

Diese, die es selbst war, war zwar sehr erschrocken, doch faßte sie sich ein Herz und antwortete mit verstellter Stimme:

»Sie fegt und säubert unser Haus
Und schaut wohl auch zum Fenster heraus!«

Damit machte sie, daß sie den Räubern aus dem Gesichte kam, kam auch glücklich aus dem Walde, erreichte ein Dorf, kaufte sich Kleider, badete sich und erlangte glücklich und wohlbehalten, obschon nach langer Wanderung, ihre Heimat wieder, und da sie nicht gerade das Beste in der Räuberherberge zurückgelassen hatte, sondern für ihren Jahrlohn mitgehen heißen, so hatte sie auch wohl zu leben und heiratete einen wackern Burschen.

Jene Räuber, wie die nun des Hauses ansichtig wurden, sahen die Gestalt der schönen jungen Braut am Fenster und grüßten schon von weitem, indem sie riefen:

»Grüß Gott, O schöne junge Braut,
Die freundlich uns entgegenschaut.«

Da aber der Gruß unerwidert blieb, so verwunderten sich die Räuber, und als sie näher kamen, vermeinten sie, die schöne junge Braut sei eingeschlafen. Vergebens riefen sie, sie ermunterte sich nicht; vergebens geboten sie ihr zu öffnen, alle ihr Pochen und Schreien, Rufen und Schelten war erfolglos, und wütend traten sie zuletzt die Türe in Trümmern, stürmten die Treppe hinauf und faßten die Gestalt der schönen jungen Braut hart an, da fiel ihnen die Strohpuppe in die Arme. Da riefen die Räuber:

»Fahr wohl, du schöne junge Braut!
Ein Tor ist, wer auf Weiber baut!«

Die schlimme Nachtwache

Ludwig Bechstein

Die schlimme Nachtwache

Es war einmal eine Gastwirtin, die taugte sehr wenig; sie wog falsch, sie maß falsch, sie log und trog. Wer in ihr Haus kam, kam nicht ungerupft wieder heraus. Nach Geld stand all ihr Sinn, um Geld hätte sie dem Bösen ihre Seele verkauft, wenn dieser sie gemocht.

Manche Untat geschah in dem Hause dieser Wirtin, die nicht an den Tag kam. Endlich war das Maß ihrer Sünden voll.

Ein vornehmer Herr kam zugereist, der über Nacht bleiben wollte. Er aß und trank und sagte vor dem Schlafengehen zur Kellnerin: »Es muß jemand vor meiner Türe wachen; ich zahle dafür hundert Gulden und mehr. Magst du die verdienen, Kellnerin?«

»Nein!« antwortete die Kellnerin. »Zur Nacht schlaf ich, am Tage wach ich, und abends bin ich müde genug. Ich will’s aber meiner Frau sagen, daß die dem Herrn jemand zur Nachtwache anschafft.«

»Denket Euch, Frau!« sprach zur Wirtin die Kellnerin: »Der fremde Herr will hundert Gulden und mehr zahlen, wenn jemand vor seiner Türe wacht. Ich hab mich dafür bedankt.«

»So?« sagte die Wirtin. »Nun, so gehe du schlafen, ich will schon jemand anschaffen.«

Die Wirtin gönnte aber selbiges Wachtgeld niemandem als sich selbst. Sie ging zum Fremden und sagte ihm: »Es ist niemand da, der Euch wachen will; ich muß es schon selbst tun, Ihr müßt aber noch was darauf legen.«

»Schon recht, Frau Wirtin! Ich lege noch etwas darauf. Wachet nur fein.« Dann verschloß er sein Zimmer, und die Wirtin blieb draußen auf dem Flur und wachte und zählte in Gedanken schon das leicht verdiente viele Geld. Um Mitternacht war es der Kellnerin, als höre sie ein winselndes Gestöhne auf dem Vorsaal, aber es gruselte sie darob, und sie blieb hübsch unter ihrer Bettdecke.

Als es Tag war, saß die Frau Wirtin vor des Fremden Türe und hatte einen Beutel voll Geld in der Hand; sie sah aber jämmerlich aus, und mit Entsetzen sah das Gesinde, daß nur die Kleider und die Haut der Wirtin noch da waren. Das andere hatte der Teufel mitgenommen.

Die Rosenkönigin

Ludwig Bechstein

Die Rosenkönigin

Es war einmal ein König, der lebte sehr glücklich mit seiner schönen, tugendsamen Gemahlin; ein einziges Söhnlein war ihnen vom Himmel geschenkt, und dieses war die Lust der Eltern. Doch nicht nur in des Königs hoher Familie war es so friedsam, sondern in seinem ganzen Lande; überall, auch in dem kleinsten Dörflein war Verdienst und Wohlstand, und das Volk war zufrieden und freundlich. Einer weisen, milden Regierung entblüht Ordnung; Ordnung aber bringt Wohlstand Wohlstand Zufriedenheit, Freundlichkeit.

Der gute König mußte jedoch ein gar herbes Schicksal erfahren; seine liebe Gemahlin starb und ließ ihn einsam zurück, mit dem nun mutterlosen Prinzen. Tief trauerte der König und das ganze Land mit ihm. Auch das kleine fromme Kindesherz des Prinzen war sehr betrübt, denn es hatte mit aller kindlichen Liebe an seiner Mutter gehangen. Auf dem Sterbebette hatte sie ihn gesegnet, und ihn noch scheidend zu allem Guten ermahnt, zum treuen Glauben an Gott, zur Liebe und Milde gegen alle Menschen.

»Und wenn du ein Jüngling worden bist«, waren ihre letzten Worte, »so wähle dir nur ein Mägdlein frommen, guten Herzens zu deiner Gemahlin, und ehre das Andenken deiner Mutter und ihrer letzten Worte.« Dieses hatte einen tiefen Eindruck in das weiche Herz des Knaben gemacht, immerdar gedachte der Prinz seiner sterbenden Mutter, und es kam ihm oft vor, als umschwebe sie ihn und lächle ihm selig zu. So wuchs der Prinz in frommer Sitte empor und wurde ein schöner, blühender Jüngling.

Doch das königliche Vaterauge war verblendet worden von einer fürstlichen, listigen Dame, die den Herrscher gar bald mit ihren erkünstelten Reizen also schlau zu fesseln wußte, daß er ihr nachgab und sie ihn völlig beherrschte. Bald fand das glänzende Hochzeitgelag statt. Der bejahrte König, sonst so gut und milde, war zum alten Toren geworden und hatte sein Leben an ein listiges, böses Schlangenherz gekettet; nur zu bald mußte er die bittere Frucht seiner Torheit kosten; das böse Weib stiftete allenthalben Unheil an, erregte den Vater wider den Sohn, den Sohn wider den Vater und die Herrschaft wider die Diener, und übte ihre frevle Verblendungskunst immer fort, so daß sie die Herzen alter und junger Männer für sich entflammte. Eine kurze Zeit, und das reuevolle Leben des Königs hatte geendet. Der Prinz wurde König und beherrschte das Volk mit der Klugheit und Milde, die überall zum wahren Wohle des Landes dient. Aber an ihm übte die arge Stiefmutter ihre Künste vergebens, er verachtete sie im stillen und suchte sich immer in heilsamer Entfernung von ihr zu halten.

Da wünschte das Land, daß der jugendliche König sich vermähle; auch er in seinem Innern trug das stille Verlangen, sein Glück mit einem würdigen Frauenbilde zu teilen, aber nicht Stand und Reichtum oder eine Krone sollten diejenige schmücken, die er sich wählen wollte, sondern ein gutes, frommes Herz, wie es seine sterbende Mutter gewünscht. Und ein solches hatte er gefunden, zwar nur das eines armen, schlichten Gärtnermädchens, das aber voll war von reiner Liebe und frommem Glauben. Diese Jungfrau war dem Königssohn bald so innig befreundet, daß der Jüngling ihr zu Füßen sank und ihr ewige Liebe und Treue schwur. Zärtlich und in Tränen schmiegte sich das liebliche Mädchen an die Brust des Jünglings und lispelte: »Ach, du darfst mich ja nicht zur Gemahlin nehmen, siehe ich bin ja arm, bin keine Prinzessin.«

»Sei ruhig, lieb Herz«, sprach der Jüngling, »du sollst meine Gemahlin, meine Königin werden, du und keine andere.«

Der Wunsch nach der Vermählung des Königs wurde lauter und dringender; von allen Seiten her begannen die Väter fürstlicher Töchter dem Könige Vorschläge zu machen. Die böse Stiefmutter wähnte den so jungen König gänzlich unter ihrer Herrschaft, daß sie sich anmaßte, eine Gemahlin für ihn zu wählen. Sie ordnete glänzende Festlichkeiten an, wozu viele Prinzessinnen geladen waren, die reich geschmückt und voll Hoffnung zur Schau kamen. Acht Tage hatten die Feste schon gewährt, und der König hatte noch keine Prinzessin zur Braut erwählt und hatte auch alle Vorschläge seiner Stiefmutter unbeachtet gelassen. Am neunten und letzten Festtag sollte sich’s entscheiden, so hatte der König selbst verheißen. Die Stiefmutter glaubte voll Zuversicht, daß der König in ihre Wahl eingehen werde, denn sie hatte eine hohe Prinzessin, zwar häßlich von Gesicht und Gestalt, aber unsäglich reich an Gut und Geld für ihn auserwählt. Ein glänzender Ball sollte die Feste beschließen, und diesmal waren alle Prinzessinnen doppelt mit Juwelen und Schmuck beladen, da eine jede glaubte, den Sieg davonzutragen. Doch wie alle in gespanntester Erwartung dem König entgegen harrten, tat sich die Flügeltüre auf, und der König trat lächelnd mit seinem lieblichen Gärtnermädchen herein, die so sittig und bescheiden in einem weißen Kleidchen und völlig ohne Schmuck erschien. Da sprühten manche Augen im Kreise der Prinzessinnen voll Arger und Wut, doch die der Stiefmutter rollten am wildesten und schleuderten grimmige Blitze nach dem glücklichen Liebespaar. Jetzt nahten sich diese beiden der königlichen Stiefmutter, die in der Mitte des Saales, von boshaft lächelnden Prinzessinnen umgeben, weilte; und der König sprach mild und freundlich: »Hohe, verehrte Mutter, hier bringe ich Euch meine liebe, fromme Braut und bitte mit ihr um Euren Segen.« Aber die Dame sprach voll Zorn und Wut: »König, solltet Ihr also Eurer Ehre vergessen und eine gemeine Dirne freien? O schämet Euch, mich so tief zu kränken und um meinen Segen für eine schlechte Magd zu bitten.« Und sie wandte ihm den Rücken und schritt voll Grimm und Bosheit einem Nebengemach zu.

Aber der König folgte ihr nach und sprach mit einem strengen, drohenden Ernst: »Weib, das Wort soll Euch schwer wiegen. Wahrlich, ich will Euch zeigen, daß dieses arme Mädchen würdiger ist, Königin zu heißen, als Ihr und alle eitlen Prinzessinnen. Eine Kunst habe ich einstmals von einem alten Einsiedler erlernt: die Menschen zu verzaubern, ihre Herzen zu prüfen, ob sie gut oder böse sind. Schwört, hohe Frau, mir dann die schönste zu wählen, wenn alle hier anwesenden Jungfrauen verzaubert, in Gestalt einer Blume, stehen, so will ich Euch gehorsam sein. Aber trifft Eure Wahl dann mein armes Gärtnermädchen, so falle der Zauber auf Euch, daß Ihr ewig darinnen verstrickt bleibet. «

Der König schwieg; und die stolze Dame grinste voll Zuversicht ob ihres Sieges. »Ach mein hoher Künstler«, entgegnete sie, »verzaubert immerhin alle anwesenden Jungfrauen, ich will Euch die schönste wählen und bin gewiß, daß ich nicht Eurer Drohung teilhaftig werde. Euere seltsame Laune soll mir ein ergötzlicher Scherz sein.«

Und sie ließ sich auf einem samtenen Sessel nieder und harrte der Dinge, die da kommen sollten.

Da breitete der königliche Jüngling ein großes weißes Tuch aus, führte schweigend eine Prinzessin um die andere in das Nebengemach und verhüllte sie damit, wo sie alle sobald einschlummerten. Dann schnitt er einer jeglichen das Herz aus, zuletzt auch seinem lieben Gärtnermädchen. Der Ballsaal verwandelte sich in eine grünende Gartenflur, von einem goldenen Zaun umschlossen von singenden Vögeln durchflattert. Da vergrub der Jüngling die Herzen und sprach bei einem jeglichen:

 »Blühe, blühe, blühe Aus der Erde auf! Bist du rein, Wirst du hold gedeihn. Aber treibe wilde Dornen, Wenn du bös wirst sein.«

Bald keimten und sprossen Zweiglein und Blättlein empor Wilde Dornsträuche wuchsen rasch aus der Erde; nur hie und da erschloß sich eine farbige Blüte.

Aber in des Gartens Mitte stand ein Blütenstengel, dessen zartem Kelch entfaltete sich eine herrliche Rose, eine Rosenkönigin. Glänzender Tau träufte auf sie nieder, und das grüne Laub schmiegte sich zärtlich an die Blüten. Jetzt kam eine Schar Nachtigallen geflogen, die die Rosenkönigin umkreiseten und sangen:

 »Holde Rose, holde Rose, Hehre Blumenkönigin! Du die schönste unter allen, Du die reinste unter allen Sollst die ganze Welt bezwingen Mit der frommen Liebe Sinn. Hehre Rosenkönigin ! «

Aber um die Dornensträuche flogen schwarze Raben und krächzten auch ihr Lied.

 »Wilde Dornen, wilde Dornen, Schwarz wie unser Nachtgewand. Sollt am besten uns gefallen Mit den tausendfachen Krallen. Sollet dienen in der Höllen, In der ewgen Pein, zum Brand. Schwarze Dornen, Nachtgewand. «

Da führte der König die stolze Dame herein in den Garten, auf daß sie die schönste der Blüten für ihn wähle, und als sie die zauberschöne Rose sah und die Nachtigallen singen hörte, die über ihr im Kreise flatterten, als sie das liebliche Liedlein vernahm – da stand sie beschämt und war von der Rose zaubervoller Macht ergriffen und gerührt, ihr war, als fühle sie eine warme Liebe, und sie gedachte in diesem Augenblick reuevoll an ihre verübten Bosheiten und Ränke. Und als sie nun die Dornensträuche sah, darüber die schwarzen Raben einHöhenlied krächzten, da überlief sie eine Angst, ein Todesgrauen; und sie sprach: »Mein Königssohn, ich muß Euch die holde Rose wählen, sie ist die Schönste.« Nun bewegten sich alsbald der Rose Zweige und Blätter und Blüten und verschmolzen sanft zum Körper eines lieblichen Mädchens, das keine andere war als das fromme Gärtnermädchen. Und es schien noch schöner und bescheidener als zuvor.

Aus den anderen Blumen und Dornensträuchen bildeten sich wieder Prinzessinnen, die wie aus einem schweren Traum erwachten. Aber des Königs Stiefmutter war vor Scham und Reue niedergesunken und lag in Betäubung. Und die schwarzen Rabenvögel hackten ihr das Herz aus, und sie wurde zu Stein, von wilden Dornen umstarrt. Die Prinzessinnen eilten scheu davon, wurden aber besser und demütiger in ihren Herzen.

Und der König lebte glücklich und fromm mit seiner Gemahlin, dem Gärtnermädchen, und des Himmels Segen war mit ihnen.

Die Perlenkönigin

Ludwig Bechstein

Die Perlenkönigin

Nicht weit von einem friedsamen Dörflein, welches am Seegestade lag und meist von Fischern bewohnt war, ließ sich alle Jahre zu etlichen bestimmten Malen eine überirdisch schöne Jungfrau am Ufer sehen; dieselbe kam allemal in einem wunderschönen Schifflein, welches gerade aussah wie von puren hellfarbigen Perlen zusammengefügt, daher gesegelt, und niemand wußte, woher sie kam, oder wohin sie wieder zurückkehrte, wenn sie verschwand. Die treuherzigen Fischerleute hatten sie aber gar lieb, zumal die Kinder, denen sie jedesmal schöne Perlen die Menge ans Ufer streute und ihnen zuwinkte, dieselben aufzulesen. Da waren die Kleinen dann geschäftig und lasen die Perlen auf und erfreuten sich an deren Farbenglanz. Und dann kamen die Fischer und Fischerinnen und trugen der guten schönen Perlenkönigin eine Mahlzeit zusammen: Fische und Brot und guten Wein, und die holde Jungfrau war gegen alle freundlich, aß einige Bissen und trank ein wenig Wein.

Oft auch zur Zeit, da die schöne Unbekannte dort am Ufer zu landen pflegte, kamen aus andern fremden Ländern Prinzen und viele Edle herbei, um die schöne Jungfrau zu sehen und vielleicht zu freien; denn es ging von ihr weit und breit die Rede, daß sie ebenso reich an Erdenschätzen wie an Leibesschönheit sei. Aber alle mußten auch wieder unbefriedigt von dannen ziehen. Die hohe Jungfrau verlangte von jedem, der um sie warb, daß er zuvor drei Proben bestehe, die sie ihm aufgegeben. Und diese waren bisher für alle zu schwer und hoch. Keiner vermochte sie zu lösen, und so mußten die hohen Bewerber dann zurückstehen und ein wenig beschämt und verstimmt wieder abziehen. Das erste war, was die Jungfrau aufgab, zu erraten, was für Haare sie habe; denn sie trug stets das Haupt ganz dicht verschleiert; das hatte noch keiner erraten, wiewohl schon alle Farben – schwarz, rot, blond, braun, weiß, grün, grau, blau – geraten worden waren. Das zweite war, die Halskette der Jungfrau umzuhängen. Wurden dann die glänzend hellen Perlen davon trübe, so war’s ein böses Zeichen, dann weinte die schöne Dame allemal, und ihre Tränen wurden eine ebenso helle Perle wie die an der Kette und fügten sich derselben an. Und so wie die Perlenschnur wieder am Halse der Jungfran hing, glänzte sie auch wieder hell und wundersam. Das dritte war, zu erraten, was die Jungfrau auf der Brust trage. Und dies erriet keiner. Und so gewann auch keiner, und wäre er auch der reichste Fürst gewesen, die Gunst der Jungfrau, also daß sie ihm Hand und Herz schenke. Sie blieb geheimnisvoll. Alle List, um etwas Näheres über sie selbst und über ihre Heimat zu erfahren, blieb fruchtlos; denn allzu schnell war das Perlenschifflein allemal vor den Blicken der Menschen auf dem Gewässer verschwunden. Doch zur bestimmten Zeit kam sie wieder, so freundllch und liebreich wie zuvor, und streute Perlen aus am Ufer.

Und da war ein Knäblein, das hatte sie unter allen Kindern am liebsten, das nahm sie allemal in ihre Arme und drückte es herzlich, und der Knabe hatte die schöne gütige Dame auch gar sehr lieb; doch als er größer wurde, wurde er verschämt und schüchtern und wagte zuletzt gar nicht mehr Perlen aufzulesen, mußte auch meist mit seinem Vater auf die See fahren und fischen.

So war die Jungfrau schon mehrere Male dort ans Ufer gestiegen und hatte ihren lieben Fischerknaben nicht gesehen; da wurde sie betrübt, denn ach, ihr Herz hatte sich gerade diesen Jüngling auserwählt, und sie wünschte nichts mehr, als daß einst dieser schöne Fischer imstande sein möge, die drei Aufgaben zu lösen und ihr dann auf immer nach der schönen Perlen-Insel, ihrer Heimat, zu folgen. Sie beschloß im stillen, als sie wieder einmal, ohne den geliebten Fischerjüngling gesehen zu haben, mit ihrem Schifflein vom Ufer abstieß, am selbigen Abend wiederzukommen, um dem Teuren unsichtbar nahezutreten. Und ja, als der goldne Mond aufgegangen war und sich auf den Wassern spiegelte, fuhr das Perlenschifflein wieder durch die Wellen dem befreundeten Ufer zu, wo dort in der kleinen Fischerhütte der Geliebte längst entschlummert ruhte. Die holde Jungfrau trat ein in das kleine Gemach und beugte sich sanft zu dem Schläfer, dem nur Moos zum Lager diente. Und sie lösete ihre Perlenschnur vom Hals und hing sie dem Jüngling um, und die Perlen blieben so hell und klar wie zuvor, o welche Freude durchströmte da ihr liebendes Herz! Sie küßte den Teuren segnend, schied und kehrte alle Abende wieder und hing allemal die Perlen um des Jünglings Hals, und die Perlen blieben allemal hell und glänzend. Der Jüngling war aber in seinem Herzen ebenfalls in Liebe zur schönen Perlenkönigin entbrannt und war dabei fromm und gut, nur war er allzu schüchtern und verzagt, um ihr öffentlich zu nahen.

Als sie nun wieder einmal des Nachts an des Jünglings Lager weilte, erwachte derselbe, blieb aber ruhig, so daß sie wähnte, er schlafe. Da nahm sie wieder die Perlenschnur vom Hals, hing sie ihm um, weinte warme Tränen auf seine Wangen, warf den Schleier zurück und nahm ihre Haare und trocknete die Tränen damit ab. Da sah der Jüngling, daß ihre Haare golden waren. Dann schlug sie das Busentuch zurück, da glänzte ein heller Spiegel auf ihrer Brust, aus welchem des Jünglings Bild sanft und schön herausblickte. Doch wann sie schied, wurde sie allemal betrübt und traurig; denn sobald die helle Perlenschnur nur ein einziges Mal trüb werden mochte am Halse ihres geliebten Fischers, hätte sie nimmer wieder ihm nahen dürfen.

So kam die bestimmte Zeit, wo die schöne Perlenkönigin wieder nahe dem Fischerdörflein ans Ufer stieg und nach ihrer gewohnten Weise für die frohen Kinder Perlen ausstreute; und dieses Mal waren viele edle Fürsten und Herren gekommen, um die reiche, schöne Prinzessin zu erwerben; auch der Fischerjüngling stand von ferne und faßte Mut, der Angebeteten zu nahen. Doch es kam zuletzt an ihn, als alle andern wieder beschämt von ihr gewichen waren. Da trat er bescheiden hin und bat um die drei Aufgaben, und die Jungfrau glühte vor Freude und gab sie ihm und sandte heimlich flehende Blicke gen Himmel, daß doch ihr geliebter Jüngling die Proben bestehen möge. Kein anderer konnte sie ja lösen. Der schöne Fischer beugte sich sittsam vor der Holden und sprach: »Oh, deine Haare müssen golden sein.« Und im Augenblick fiel der Schleier herab, und ihre goldnen Locken wallten hernieder. Dann hing die freudige Jungfrau die Perlenschnur um den Hals des Jünglings, und sie blieb rein und glänzend. Und wieder sprach der Fischer: »Und deine Brust muß ein reiner schöner Spiegel sein, holde Jungfrau!« Und auch das Busentuch rauschte im Augenblick zur Erde, und der klare Spiegel auf der Brust der Jungfrau zeigte ein sanftes schönes Bild, das Bild des Jünglings. Da erscholl vom Perlenschifflein ein heller Jubel und freudetönende Musik, und ein Kreis von schönen Frauen und blühenden Männern erhob sich freudevoll vom Schifflein und nahm das holde Paar auf, und der kleine schöne Perlennachen glitt auf der spiegelhellen Wasserfläche dahin, nach der wunderlieblichen Perleninsel, als der Heimat der lieben Braut des Fischerjünglings, um nimmer, nimmer wiederzukehren.

Die Nonne, der Bergmann und der Schmied

Ludwig Bechstein

Die Nonne, der Bergmann und der Schmied

Eine Nonne, ein Bergmann und ein Schmied wanderten miteinander durch die Welt. Einmal hatten sie sich in einem großen finstren Walde verirrt, so daß sie froh sein mußten, als sie endlich in der Ferne ein Gemäuer erblickten, darin sie Obdach zu finden dachten. Sie gingen also darauf zu und sahen, daß es ein altes wüstes Schloß war, schon halb verfallen, doch noch so weit erhalten, daß man allenfalls und zur Not noch darin wohnen konnte. Darum beschlossen sie, darin zu bleiben, und hielten Rat, wie sie sich einrichten wollten. Bald wurden sie einig, daß immer eins von ihnen daheim bleiben und die Wirtschaft bestellen sollte, während die beiden andern aus wären, um Nahrungsmittel herbeizuschaffen.

Das Los, zu Hause zu bleiben, traf zuerst die Nonne. Als nun der Bergmann und der Schmied in den Wald gegangen waren, so besorgte die Nonne die Küche, und als ihre Gefährten zur Mittagszeit nicht heimkamen, verzehrte sie einstweilen ihren Teil von der Mahlzeit. Da trat auf einmal ein graues Männchen zur Tür herein, schüttelte sich und sprach: »O wie friert mich!«

Die Nonne antwortete: »Setze dich zum Ofen und wärme dich.«

Das Männchen tat, wie ihm die Nonne gebot, aber bald rief es: »O wie hungert mich!«

Die Nonne sagte: »Auf dem Ofen steht Essen, so iß.« Da machte sich das Männchen über das Essen und aß in Geschwindigkeit alles auf, was da war. Darüber wurde die Nonne zornig und schalt es, daß es für ihre Gefährten gar nichts übriggelassen hätte. Da geriet auch das Männchen in einen großen Zorn, nahm die Nonne, schlug sie und warf sie von einer Wand zur andern. Darauf ließ das böse Männchen die Nonne liegen und ging seines Weges. Am Abend kamen die beiden Gefährten der Nonne nach Hause, und als sie hungrig ihr Essen verlangten und nichts mehr fanden, so machten sie der Nonne heftige Vorwürfe und wollten ihr nicht glauben, als sie ihnen erzählte, was ihr widerfahren wäre.

Den folgenden Tag erbot sich der Bergmann, das Haus zu hüten, und versprach, er werde schon dafür sorgen, daß niemand hungrig zu Bette gehen müsse. So gingen nun die beiden andern in den Wald, und der Bergmann besorgte das Essen, verzehrte seinen Teil und setzte dann das übrige auf den Ofen. Da trat das Männchen herein, aber wie erschrak der Bergmann, als er sah, daß es zwei Köpfe hatte. Es schüttelte sich und sprach: »O wie friert mich!« Ganz voller Furcht verwies es der Bergmann zum Ofen. Bald darauf fing es an zu Klagen: »O wie hungert mich!«

»Auf dem Ofen steht Essen, so iß!« antwortete der Bergmann. Da fiel das Männchen mit seinen beiden Köpfen über das Essen her, und bald war alles aufgezehrt und die ganze Schüssel wie ausgeleckt. Als der Bergmann das Männchen deswegen ausschalt, erging es ihm, wie es der Nonne ergangen war – das Männchen schlug ihn braun und blau, warf ihn gegen alle Wände, daß es krachte und ihm Hören und Sehen verging, ließ ihn dann liegen und ging davon. Als nun am Abend der Schmied mit der Nonne heimkam und nichts für beider Hunger fand, geriet er mit dem Bergmann in Streit und vermaß sich hoch und teuer, morgen, wo an ihm die Reihe sei, das Haus zu hüten, da sollte es keinem an Essen fehlen.

Als am andern Tage das Essen fertig war, kam das Männchen wieder, und diesmal hatte es drei Köpfe. Es klagte über Frost, und der Schmied hieß es, sich an den Ofen setzen. Als es darauf über Hunger klagte, teilte der Schmied von dem Essen etwas ab und setzte es ihm hin. Damit war das Männchen geschwind fertig; es sah sich mit seinen sechs Augen begierig um und verlangte mehr, und als der Schmied sich weigerte, ihm mehr zu reichen, wollte es ihm mitspielen wie der Nonne und dem Bergmann. Der Schmied aber war nicht faul, nahm seinen großen Schmiedehammer, ging auf das Männchen los und schlug ihm zwei von seinen Köpfen ab, so daß das Männchen seinen dritten Kopf zwischen die Ohren nahm und eilig die Flucht ergriff. Der Schmied lief ihm durch viele Gänge nach, bis es bei einer eisernen Tür plötzlich vor ihm verschwand. Nun mußte der Schmied es aufgeben, das Männchen weiter zu verfolgen, nahm sich aber vor, nicht eher zu ruhen, als bis er mit seinen beiden Gefährten alles glücklich bestanden hätte. Indessen waren der Bergmann und die Nonne nach Hause gekommen. Der Schmied brachte ihnen, wie er versprochen hatte, ihr Essen und erzählte ihnen sein Abenteuer und zeigte ihnen die beiden abgehauenen Köpfe, die sie mit verdrehten Augen anstarrten. Darauf beschlossen alle drei, sich von dem grauen Männchen, wenn es möglich wäre, ganz zu befreien, und gleich am folgenden Tage gingen sie ans Werk. Sie mußten lange suchen, ehe sie die eiserne Tür fanden, bei der das Männchen gestern verschwunden war, und es kostete große Mühe, ehe sie sie aufzusprengen vermochten. Da tat sich ein weites Gewölbe vor ihnen auf; darin saß ein schönes junges Mädchen an einem Tische und arbeitete. Sie sprang auf und fiel ihnen zu Füßen, indem sie ihnen für ihre Befreiung dankte und erzählte, sie sei eine Königstochter und von einem mächtigen Zauberer hierher gebannt worden; gestern Mittag habe sie auf einmal empfunden, daß der Zauber gelöst sei und seitdem habe sie jede Stunde auf Befreiung gehofft. Aber außer ihr sei noch eine andre Königstochter in dieses Schloß gebannt. Darauf gingen jene und suchten auch diese andre Königstochter auf und befreiten sie. In großen Freuden dankte sie ihnen ebenfalls und sagte, daß auch sie gestern zu Mittag es gefühlt habe, wie ihre Verzauberung gelöst sei. Nun erzählten die beiden Königstöchter ihren Befreiern, in verborgenen Kellern des Schlosses sei ein großer Schatz, den ein schrecklicher Hund bewache. Sie gingen nun danach und fanden endlich den Hund, und der Schmied erschlug ihn mit seinem schweren Hammer, wie er sich auch zur Wehr setzen mochte. Der Schatz aber war Gold und Silber, ganze Pfannen voll, und dabei saß als Hüter ein schöner Jüngling. Der ging ihnen entgegen und dankte ihnen, daß sie ihn erlöst hätten. Er sei der Sohn eines Königs, aber von einem Zauberer in dieses Schloß gebannt und in das dreiköpfige Männchen verwandelt worden. Als er zwei von seinen Köpfen verloren, da sei die Verzauberung der beiden Königstöchter gehoben worden, und als der Schmied den gräßlichen Hund erschlagen, da sei auch er erlöst gewesen. Dafür sollten sie nun den ganzen Schatz zum Lohne haben. Darauf ward der Schatz geteilt, und ehe sie damit fertig wurden, hatten sie lange zu tun; die beiden Königstöchter aber heirateten aus Dankbarkeit für ihre Erlösung die eine den Schmied und die andere den Bergmann, und der schöne Königssohn heiratete die Nonne.

So lebten sie in Frieden und Freude zusammen bis an ihr Ende.