228. König Widewuto opfert sich selbst

228. König Widewuto opfert sich selbst

Da König Widewuto oder Waidewut, wie er auch genannt wird, zu hohen Jahren gelangt war und die Lande an seine Söhne alle verteilt waren und er fühlte, daß er nicht mehr kühnlich gegen die Feinde stehen könne, da ließ er nahe der heiligen Eiche zu Romove einen Holzstoß schichten und Tieropfer darbringen, er selbst aber stand in allem Glanze seiner Königswürde, hielt eine Schale voll Met und goß diese einer schwarzen Kuh zwischen die übergoldeten Hörner und sprach vor dem Volke, das mit brennenden Fackeln den lohenden Scheiterhaufen umstand, ein Gebet zu seinen Göttern: Euch alle, ihr Götter der Erde und des Meeres, des Lichtes und der Finsternis, dich, Donnerer Perkunos, dich, Pikollos, Gott des Todes, und dich, Potrimpos, Gott der Schlachten, rufe ich an, daß euer Auge auf mich sich lenke und senke, auf mich, den König, der seinem Volke sich selbst zum Opfer darbringt, damit es siege und in Ruhm und Ehren fortbestehe für alle Zeiten! Und als der König diese Worte gesprochen, stürzte er sich mutvoll in die lodernde Flammenlohe, und das Volk warf seine Fackeln über ihn und erhob das Geschrei der Klage und den Gesang der Schlacht, und die Krieger schlugen dreimal auf ihre Schilde, daß sie dröhnten und von ihrem Schall die Luft erzitterte und die Wälder ihn widerhallten.

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22. Der Stierenbach

22. Der Stierenbach

Vom Surenenberge und seiner Alpentrift fließt ein Bächlein, das führt den Namen Stierenbach, und hat es davon im Engelbergstale und im Urner Lande eine gar wundersame Sage. Ein Alpenhirte hatte bei seiner Herde ein Lieblingslamm, wußte gar nicht, was er dem Tiere alles zugute tun sollte, und gab dem Lamme sogar den Namen Christian; das hätte wohl immer noch nicht so viel geschadet, denn Hirten und Schäfer, Kutscher und Eseltreiber nennen ihre Tiere häufig mit solchen Christennamen, wie Hans und Michel, Gret und Liese, aber der Surenenälpler trieb die Affenliebe zu dem Lamm allzuweit, wie verblendet, er taufte das Tier, wie man ein christlich Kind tauft, im Namen der heiligen Dreifaltigkeit. Darob verzürnete sich der liebe Gott und machte aus dem Lamm ein greulich Ungetüm, das fraß in einem fort, was ihm vorkam, fraß die ganze Alpe kahl, daß kein anderes Stück Vieh ein Hälmlein mehr fand, fraß Tag und Nacht. Bald waren die Engelsberger Triften abgeleert und guter Rat teuer. Da kam zu den Nachbarn, denen von Uri, ein fahrender Schüler, der gab Rat, das böse Untier zu vertreiben, war freilich eine langsame Kunst, und mußte, bevor sie ausgeführt wurde, noch manches Gräslein auf den Alpen wachsen und mancher Tropfen den Bach hinunterrollen. Und das war es, was der fahrende Schüler riet: Ein Stierkalb nehmt ihr, das füttert ihr bei Leib und Leben mit nichts als frischer Milch. Im ersten Jahr von einer Kuh, im zweiten von zwei Kühen und so fort, alle Jahre die Milch von einer Kuh mehr. Nach vollendeten neun Jahren laßt ihr den Ochsen durch eine reine Jungfrau hinauf auf die Alpe führen, dann wird der Ochse mit dem Untier kämpfen und es bezwingen. Das geschahe denn, die Urner erbauten einen Stall, darin sie das Stierkalb aufzogen, des Stelle zeigt man heute noch und nennt sie den Stierengaden. Dann leitete nach vollendeten neun Jahren eine reine Jungfrau denselben zur Alpe hinauf und verließ ihn. Gleich erschien das greuliche Untier, und der Stier stürzte sich auf dasselbe und kämpfte lange und sehr heftig mit ihm, bis er es endlich überwand und zu Tode stieß. Ganz erhitzt von dem Kampfe rann der Stier nach dem Bache hin und trank und trank ohn Ende, bis er hinstürzte und auch tot war. Davon hat der Bach den Namen Stierenbach erlangt, und oberhalb desselben sieht man noch im Felsgestein die Hufe des Stieres eingedrückt, mit denen er sich im Kampfe gegen das ungeheuerliche Bergwunder stemmte.

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229. Sankt Adalbert

229. Sankt Adalbert

Der erste Christenpriester, der das Licht des Evangeliums nach dem alten Preußenlande trug, war der heilige Adalbert. Er kam aus Polen, wo er die Lehre Christi gepredigt, und verkündete das göttliche Wort im heutigen Kulmer Lande, dann in Pomesanien. Von da kam er nach Danzig und nach Samland. Aber an der Stätte in der Nähe des Bernsteinortes Fischhausen, wo am Strande der Ostsee noch die Ruinen von St. Adalberts Kapelle einsam trauern, überfielen die Heidenpriester den heiligen Mann und töteten ihn mit sieben Wunden. Als der Polenkönig Boleslaus Gorvin diese Tat erfuhr, wünschte er den Leichnam des heiligen Märtyrers, aber die Priester heischten für denselben so viel Goldes, als der Leichnam schwer sei. Da sendete der König vieles Gold, allein es wog den Körper noch nicht auf, bewegte noch nicht die Schale, darauf der Leichnam lag. Da warfen die Abgesandten des Königs noch ihr eignes Gold hinzu, vergebens. Weiter so kamen noch preußische Christen, die Adalbert getauft hatte, und gaben alle ihr Gold – aber alles vergebens. Da kam ein altes Weib, die sahe, daß die Leute Gold auf die Wagschale warfen, und wollte ihr Scherflein auch darbringen, sie hatte aber nur zwei Pfennige, die warf sie zu dem Golde, und siehe, alsogleich sank die Schale mit Gewalt, und der Leichnam stieg in die Höhe, und mußte wieder weggenommen werden alles hinzugelegte Gold, und als nichts mehr auf der Schale lag als die zwei Pfennige der Frau, da traten beide Schalen in das Gleichgewicht und ward so der heilige Leichnam aufgewogen.

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230. Heiligenbeil

230. Heiligenbeil

Als die Heidenpriester am preußischen Ostseestrande den heiligen Adalbert erschlagen hatten, vernahm das Anselmus, der Bischof von Ermeland, der machte sich auf und kam zu der großen heiligen Eiche, unter welcher ein Heidengötze verehrt ward, und die Waidewut, der König, mit seinem Bruder Bruteno, dem obersten Priester, selbst geheiligt hatte. Diese Eiche war nicht kleiner wie die zu Romove und blieb ebenfalls im Sommer und Winter gleich grün. Da nun der neue Apostel kam, so begann er an der Eiche zu predigen und befahl alsbald einem Christen, der ihn begleitete, mit der Axt Hand an den geheiligten Stamm zu legen. Allein der führte kaum den ersten Hieb in den Baum, so entfuhr die Axt dem Schaft, sprang zurück und jenem an den Kopf, daß er alsbald entseelt niedersank. Da erhoben die Heiden ein frohlockendes Jubelgeschrei. Aber der fromme Anselmus ließ sich nicht schrecken. Er nahm eine neue Axt und führte in den Baum Hieb auf Hieb, und es geschah kein weiteres Zeichen. Dann ließ er die Eiche samt dem Götzen niederbrennen, erbaute an jener Stätte eine Kirche, darin das Beil verehrt werden sollte, und es gründete und bildete sich um dieselbe eine Stadt, die nannte man Heiligenbeil. Das Beil ist wohl im Laufe der Zeiten abhanden gekommen, aber die Stadt führt den alten Namen fort und führt auch das Beil in ihrem Wappen.

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231. Das Bernsteinrecht

231. Das Bernsteinrecht

Am Gestade des Frischen Haff war vorzeiten das edle Naturgeschenk des Bernsteins überaus reich. Aber der Menschen Habgier schmälert gar oft den Gottessegen. Sonst konnte den Bernstein, den die See an den Strand warf, auflesen, wer wollte, aber das ist schon lange her. Als der Marienorden in das Samland kam, eignete er sich den Alleinbesitz des Bernsteins zu, und Bruder Anselmus von Losenberg, der Vogt auf Samland, machte ein neues Recht und Gesetz, daß jeden Sammler, der nicht vom Orden Erlaubnis oder Auftrag habe, die Strafe des Stranges treffen solle. Das ging dem Volke schwer ein, daß es nicht aufheben sollte, was verstreut am Boden lag und keines Menschen Eigen war, insonderheit dem Volke der Fischer, bei dem es leichtlich geschehen konnte, daß eine Meereswelle ihnen ein Stück oder etliche in Boot und Nachen warf. Aber der Vogt hielt unerbittlich auf seinem Gesetz, und wer zur Anzeige kam und des geständig war, daß er Bernstein aufgehoben, ward gehenkt ohne Gnade am ersten besten Baum. Als aber Anselmus, der Vogt, gestorben war, hat es nicht gut um die Ruhe seiner Seele gestanden. Man hat seinen irren Geist in Sturmnächten, in denen die See den meisten Bernstein auswarf, am Strande wandeln sehen und ihn rufen hören: O mein Gott! Bernstein frei! Bernstein frei! –

Und seit so viele Menschen um des Bernsteins willen eingekerkert, gequält und hingemordet worden sind, ist des Bernsteins viel, viel weniger geworden und wirft die See nicht den tausendsten Teil so viel mehr aus als sonst. Es war eine Zeit, da baute und bildete man aus Bernstein Altäre, Heiligenstatuen, große Prunkschreine und kostbare Gefäße, hoch und weit und voll köstlicher Zierat, das kann heutzutage nur noch selten gemacht werden, man bildet nur allerlei kleines Gerät und Tand daraus.

Bisweilen sehen die beutesüchtigen Strandreiter und Wächter große herrliche Stücke in der Ufernähe schwimmen, wenn aber die Mannschaft mit den Gezeugen hinrudert und sie einfischen will – ist’s ein Blendwerk und ein Schaum.

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232. Die Nixe von Nidden

232. Die Nixe von Nidden

Der Ort Nidden am Kurischen Haff könnte auch Midden heißen, denn er liegt so recht mitten auf der Kurischen Nehrung, dieser längsten Landzunge weit und breit. Es ist nicht geheuerlich, dort abends einsam zu wandeln. Manchem ist es schon geschehen, daß er dort am glatten Spiegel des Kurischen Haffs wandelte, da sähe er nicht weit vom Uferrande ein grünes Eiland von nicht großem Umfange, von dem wehte Blumenduft zu ihm herüber und süßbetörender Gesang, und er sah wohl eine weiße Jungfrau auf dem Eiland, die winkend ihren Schleier wehen und ihre Stimme so wonnesam erschallen ließ wie die Lurlei am fernen Rheinstrom. Wenn nun ein Jüngling hingerissen von der Allgewalt dieses Gesanges, der in Worten das Glück pries, bei ihr auf ihrer glückseligen Insel zu weilen im trauten Alleinsein, und angelockt vom Zauber der Schönheit der ihm sehnsuchtvoll zuwinkenden Jungfrau, die immer näher kam, weil sie auf einer schwimmenden Insel stand, zu ihr hinüberzuschwimmen strebte, so floh die Insel wieder vor dem Schwimmer, daß er ihren Strand nimmer erreichen konnte und nimmer festen Boden gewinnen, und endlich sah er Jungfrau und Insel vor seinen Blicken versinken, und in dem Wellenstrudel, der dadurch entstand, ward auch er hinab zur Tiefe gerissen. Noch keiner von allen, die dieses treulose Glück versucht, ist wiedergekehrt, und nicht einmal einen Leichnam solcher hat die Meerfei der Tiefe zurückgegeben.

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233. Der Glomssack zu Memel

233. Der Glomssack zu Memel

Ein Glomssack ist ein Sack, darinnen die litauischen Glomskäse aufbewahrt werden, die nicht so klein sind wie die zu Suhls im preußischen Henneberg, welches wohl die kleinsten Käschen auf der Welt sind, daher Gamaschenknöpfe genannt, und sonderlich appetitlich und köstlich. Zu Memel aber hing das Abbild eines litauischen Käsesackes in Erz gegossen und zwei Zentner schwer an der äußeren Festungsbrücke und diente als Gewicht beim Auf- und Niederziehen.

Einstmals ward Memel vom König Erich von Schweden hart belagert, wehrte sich auf das tapferste, zehrte aber auch so, und zuletzt war es mit dem Proviant Matthäi am letzten und Schmalhans sehr bedeutend Küchenmeister. Der ganze Vorratrest bestand in einem handlichen Glomskäse, und da dachten die Belagerten: Übergeben müssen wir uns doch, ob wir nun erst noch diesen Käse verspeisen oder nicht. Sie nahmen also den Käse und einen Glomssack, taten ihn hinein, luden ihn auf eine Blide und warfen ihn in das feindliche Lager, daß die Schweden dachten: Bomben und Granaten! Was kommt da für eine höllische Bombe? Wie es nun der große Käse war, so sagten die Schweden untereinander: Wo noch soviel zu essen ist, da können wir unsern Schwedentrunk nicht anbringen. Wenn diese Käsefresser es noch zum Wegwerfen haben, während bei uns im Lager Mangel einreißt, so tun wir besser, wir ziehen ab von Memel. So sprachen sie, ließen sich den Glomskäse schmecken und zogen ab. Die Memler aber zu dankbarer Erinnerung ließen einen Glomssack mit einem Glomskäse darin zum ewigen Andenken in Erz gießen und an derselben Stelle aufhängen, wo der wirkliche Käse hinausgeschleudert worden war.

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219. Der Gast des Kornwucherers

219. Der Gast des Kornwucherers

Auf dem Hofe Großen-Metchling im Mecklenburger Lande saß ein alter geiziger Pachter, der häufte Ernten auf Ernten, und wenn das Korn nicht recht teuer wurde, so verkaufte er nicht, und wenn ihn auch die Leute fußfällig darum baten. Er hatte alle Kisten und Kasten voll Geld und Gut, aber tagtäglich suchte er mehr zusammenzuscharren, und durch unerhörten Kornwucher war er einzig und allein so reich geworden. In die Kirche ging er nicht; er sprach: Ich diene meinem Gott im Freien, dem Teufel aber diente er, dem Gott Mammon. Er übersah die Saatfelder und rechnete aus, wieviel sie tragen würden, und ärgerte sich, daß auf den Ackern seiner Nachbarn auch Getreide stand und diese auch ernten würden. So ging er ebenfalls an einem Pfingsttage draußen herum, sah, wie alles fröhlich wuchs und Gottes Segen wieder sichtbar nahe war, und wie es doch nun an ein Räumen der Kornspeicher gehen müsse, und war sehr unzufrieden und verwünschte und verfluchte die wohlfeile Zeit, wie alle nichtsnutzigen elenden Kornwucherer tun. Da kam ein Mann dahergefahren, der saß in einer schwarzen Kutsche, und ein schwarzer Kutscher lenkte schwarze Rosse; der Mann bot spöttisch gute Zeit und hielt an. Er stieg auch aus, und es hing ein langer Mantel über ihm, der seine Gestalt ganz einhüllte. Gute Aussicht auf gesegnete Ernte, nicht wahr? fragte der Fremde, und der Pachter murrte: So halb und halb; Pfingsten kann man den Erntemond noch nicht loben. Vorrat ist Herr! – Ihr habt wohl noch Vorrat? fragte der Fremde. – Etwas, nicht allzuviel, war die Antwort. Der Fremde fragte nach dem Preise, der Pachter forderte den höchsten Preis, der Fremde sagte: Topp, ich kaufe. – Dem Pachter lachte das Herz im Leibe, doch ärgerte er sich, daß er nicht noch mehr gefordert hatte, und lud den Fremdling ein, mit ihm zu frühstücken. Der Fremde ging mit dem Pachter. Wie beide den Hof betraten, schrien Hühner und Gänse und Enten wild durcheinander und flatterten auf und davon, und der Hofhund winselte, zog den Schwanz ein und kroch tief in seine Hütte. Die Frau des Pachters war in der Kirche, er ließ aber durch die Magd tüchtig aufschüsseln. Der Fremde neckte die Magd, dabei fiel unversehens sein Messer vom Tische, und wie die Dirne sich bückt, sieht sie des Fremden Füße, einen Geierfuß und einen Pferdefuß. Die Magd eilt zur Türe hinaus, stößt auf die Pachterin, die eben aus der Kirche kommt, teilt ihr mit, was sie gesehen, und die Frau sendet sie, eilend den Pastor, der gerade aus der Kirche komme, hereinzubitten. Dieser kommt im ganzen Summarium, wie man dortigen Landes sagt, im höchsten Ornat, die Bibel unterm Arme. Der Fremdling erschrickt, ruft aber dem Pastor frech entgegen: Guten Tag, Pfaffe! Hast du das Messer noch, das du als Bube mir, deinem Mitschüler, gestohlen? – Ganz verwirrt tritt der Geistliche zurück, und jener spricht: So sind sie! Andern wollen sie Buße predigen und sind doch selbst nicht rein. – Da fährt ein Geistlicher aus dem nahen Brudersdorf am Hause vorbei, die Frau ruft ihn herein, auch er tritt im ganzen Summarium, die Bibel unterm Arm, in die Stube. Da zittert und bebt der Fremde, diesem konnte er nichts vorwerfen, und jener bedräut ihn hart als den bösen Feind, den Unkrautsäemann, den brüllenden Löwen, und endlich öffnet er ein Fenster und ruft: Fahr aus, du unsauberer Geist, und gib Raum dem Heiligen Geist! Rasch fuhr unter Donnergeprassel der Böse aus dem Fenster, und aus den Kornspeichern da zog es wie Dampf und Nebel, Wolke auf Wolke, daß die Leute vermeinten, es brenne droben, aber es war nur der Kornwurm, der ausflog in zahllosen Millionen, drei Ernten auf einmal, die des Kornwucherers Geiz der Armut vorenthalten. So groß ist Gottes Macht und strafende Gerechtigkeit, daß er ein kleines Käferchen zur Rute macht, die den schändlichen Kornwucherer auf das empfindlichste züchtigt. Der Pachter war bis in sein Innerstes erschüttert, er ging in sich und wurde ein frommer Mann, verkaufte den Überfluß seines Getreides um gerechten Preis und hielt nicht wucherisch damit zurück, er hatte Sorge, es möchte ihm noch einmal von bannen fliegen. Heutiges Tages wird in Büchern geschrieben, der Kornwucher sei eine Fabel, ein Wahnglaube. Es heiße nicht Wucher, sondern Handel. – Wer es glaubt!

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220. Der heilige Damm

220. Der heilige Damm

An der Ostsee in der Nähe von Dobberan war ein Ort in großer Bedrängnis von der Flut, und die Einwohner sahen ihr gewisses Verderben vor Augen. Mit jedem Tage entführte die Flut ein Stück vom Lande, schon drohte den nächst am Ufer gelegenen Häusern der Untergang. Da wurden im ganzen Mecklenburger Lande Betstunden angeordnet, und das Flehen und Schreien eines ganzen Landes fand Gnade vor dem Herrn. Zum letzten Male hatten sich mit Furcht und Zagen die Bewohner zum Schlummer niedergelegt, und viele fanden ihn nicht, denn die See rauschte gewaltig und ging hohl, und der Boden erzitterte, und es zuckten Blitze über die Meereswogen. Dann wurde es stiller, und der Mond trat hinter Wolken hervor, und da schauten manche vom Strande ängstlich hinaus, da lag etwas Großes, Dunkles im Wasser, und manche meinten, es sei der Kraken, der seinen inselgleichen Rücken aus der Flut hebe, und als der Tag kam, siehe, so verlief sich das Wasser mehr und mehr vom Strande, und vor den Blicken der erstaunten Bewohner lag eine hohe Düne wie ein Wall und fester Damm. Der war auf das Gebet des Landes in einer Nacht entstanden durch die göttliche Hülfe, und alles Volk lobte Gott, und sie nannten den Damm den heiligen Damm und konnten ihn nicht ohne Dank und Verehrung erblicken.

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221. Die Sieben in Rostock

221. Die Sieben in Rostock

Die von alten Zeiten her berühmte Universitäts- und Münzstadt Rostock ward als merkwürdig von den Alten bezeichnet wegen der Siebenzahl.

Die Stadt hatte sieben Tore, sieben Brücken, sieben sämtlich vom Markt ausgehende Hauptstraßen, sieben Türme und sieben Türen im Rathause, an der Marienkirche sieben Portale, an den Uhrwerken sieben Glocken und im Rosengarten, der aus alter Zeit berühmt ist, und dessen oben in der Sage von des Minnesängers Heinrich Frauenlobs Begängnis zu Mainz gedacht wurde, sieben uralte Linden. Man hat vor alters wohl manches Mal Rostock spottend nachgesagt, es habe zu diesen vielen Sieben auch nur sieben Studenten, und es ist sogar gedruckt worden, es lebe und sterbe mancher Rostocker, ohne nur einen Studenten gesehen zu haben.

Den alten Namen aber hat Rostock von einem Rosenstock, es ward urbs rosarum, die Rosenstadt, genannt, und das steht wieder mit dem erwähnten Rosengarten in Verbindung.

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