778. Verwünschtes Schloß Dreistelz

778. Verwünschtes Schloß Dreistelz

Ohnweit des schönen Bades Brückenau erhebt sich ein Berg, der Dreistelz geheißen; jetzt liegt auf ihm ein Hof, der Dreistelzhof, vordem aber stand darauf ein prächtiges Schloß, und zwar an der Höhe nach Brückenau zu. In diesem Schloß wohnten drei stolze Damen, und man sagt, daß man diese Fräulein nur die drei Stolzen genannt habe, wegen ihrer absonderlichen Schönheit sowohl als wegen ihrer großen Pracht und Hoffart; und ihr Haus, das hieß man das Dreistolzenschloß, daraus später Dreistelz geworden ist. Die Fräulein führten ein üppiges Leben, waren aber hart gegen ihre Untergebenen und karg gegen die Armen. Eines Tages, als es auf den Abend zuging, kam ein armer Pilger daher, bat um Einlaß, um einen Imbiß und um Nachtquartier; doch als sein Begehren den drei Fräulein angesagt wurde, so wurde ihm von seinen drei Bitten weder die eine gewährt noch die andere, sondern man hieß ihn gehen, und weil er nicht gehen wollte, hetzten die rohen und ebenfalls harten Diener ihn mit Hunden fort. Da rührte der Pilger die Hunde an mit seinem Stabe, und sie verstummten alsbald auf ewig und fielen tot hin; dann schwang er den Stab gegen das Schloß und sprach einen erschrecklichen Fluch, und alsbald fuhr das ganze Haus mit allen seinen Bewohnern in den Schoß des Berges hinab, und an seine Stelle trat ein kleiner See. Noch immer ist am Dreistelz die Stätte zu erschauen, wo das Schloß gestanden hat, und zu gewissen Tagen und Stunden hören Sonntagskinder einen Hahn in der Nähe krähen, denn das verwünschte Schloß mit seinen Bewohnern steht noch unter der Erde, darinnen schlafen die Fräulein bis zum Jüngsten Tag. Alle drei Jahre aber an dem Tage, an dem das Schloß verflucht wurde, kräht dreimal der Hahn. Da wachen die Schläfer auf im Bergesschoß, beten ein Ave Maria und bereuen ihre Missetaten. Manche Leute erzählen auch, daß die verwünschten Fräulein aus dem Berg auf Kirchweihen gekommen seien und sich unter die tanzenden Mädchen gemischt hätten; doch seien sie immer blaß gewesen und wären nie über den Glockenschlag zwölf hinaus bei den Tänzen geblieben. Da ist es gerade ergangen wie jenen drei Fräulein, deren Schloß bei Salzungen versank, an dessen Stelle der Buchensee getreten ist, nur daß jene schuldlos waren, diese dreistelzigen Nornen aber nichtsnutz.

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771. Das tolle Dittis

771. Das tolle Dittis

Zwischen der Milseburg und der hohen Rhön liegt ein wohlhabender Ort, Ditges, in der Volkssprache Dittis genannt, von dessen Einwohnern sich die Nachbarn in der Runde viel seltsame Schnurren und Schnaken erzählen. Der ganze Ort dient dem Volkswitz der Rhönbewohner seit langen Jahren zur Zielscheibe, und es soll sich in ihm das Lalenbürgertum erblich niedergelassen haben. Alles, was die neckenden Nachbarn der bekannten Städte und Ortschaften, auf denen der Fluch des Lächerlichen ruht, den Bewohnern dieser Städte in Scherz und Schimpf nachreden, alle Schildbürger-, Karlstadter-, Krähwinkler-, Polkwitzer-, Wasunger- und andere Streiche, finden ihr nachhallendes Echo in diesem Gebirgswinkel und sprossen in Zutaten weiter. Manche neue Mär drängt sich keck hervor, neben den alten Bekannten, ein harmloses Kind des Volkswitzes, und macht sein Recht unbefangenen Daseins geltend.

Die Dittisser mögen sich sträuben, wie sie wollen, gegen die ihnen aufgebürdeten Lalenstreiche, so hilft es ihnen nichts, denn, so sagen die Nachbarn: ihre Glocken rufen ihnen allsonntäglich das zu, was sie nicht gerne hören. Es töne nämlich der Akkord Tall Dit-tis, Tall Dit-tis eu Närrn.

Dies heißt: Tolles Ditges! Tolles Ditges! Ihr Narren!

Wie es aber gekommen ist, daß das Dittisser Geläute diesen spottenden und verhöhnenden Klang angenommen, mag wohl seinen Grund im Kirchenbau zu Ditges haben, von dem auch eine Sage geht; denn als die Kirche zu Dittis erbaut wurde, ging allerlei absonderlich Komisches dabei vor. Die Kirche war zwar erbaut, aber die Fenster waren vergessen, und so kam es, daß niemand vor Dunkelheit darin sehen konnte. Lange ward hin und her beraten, wie es wohl anzufangen sei, den Tag in die Kirche zu bringen, und endlich nach langer Beratung in einer Dittisser Volksversammlung wurde beschlossen, einen Boten nach Fulda zu senden, daß er sich alldort den Tag erbitte. Der Stadtrat zu Fulda gab den Rat, die guten Dittisser möchten nur, da der Tag sich nicht in Säcken, wie das Ummerstädter Salz, versenden lasse, Fenster in die Kirche machen. Nun hatte aber selbiger Bote gar ein kurzes Gedächtnis und suchte, da ihm der Satz zu lang war, nur vor allem das Wort Fenster zu merken, merkte es auch, bis er auf den Hutrasen hart überm Dorfe kam, da stolperte er und fiel, und das Wort entfiel ihm zugleich. Da klagte er drunten im Dorfe traurig den Verlust, und da kamen die Dittisser mit Hacken und Schaufeln und gruben endlich glücklich das Wort und den Tag heraus. Man sieht heute noch die Löcher.

Von den Weiberstühlen beim Kirchenbau, von den Steuersimpeln, und wie die Rühlinge im Teich dem Gemeindeboten zuschrieen: Aicht, aicht – er aber schrie: Nün! – weil er meinte, die Rühlinge sprächen, er trage nur acht Simpla nach Fulda, und waren doch neun, und aus Zorn den Geldbeutel in den Teich schmiß, und daß die Rühlinge selber zählen sollten – vom Hupf ins Wasser, Schafe zu holen, die sich von einer nahen Weide darin abspiegelten – vom Ausbrüten der Kuheier, vom Poinzeküppel und andern lustigen Streichen der Dittisser mehr wäre noch viel zu erzählen.

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764. Das graue Männchen

764. Das graue Männchen

In der Mitte des vorigen Jahrhunderts sind einmal unterschiedliche boineburgische Jäger an einem nassen Herbsttage auf dem Burgberge zusammengekommen und haben Schutz vor dem Regen in der Trümmer des alten Schlosses gesucht. Da fanden sie ein altes kleines graues Männlein mit schneeweißem Haar sinnend auf Moos und Steinen sitzen. Sie redeten es an, fragten es dies und das, allein das Männlein gab ihnen keine Antwort. Darüber wurden die Jäger böse und gaben dem Männlein einige Schläge, aber es verzog darob keine Miene, weder zum Lächeln, noch zum Schmerz, es blieb sein Antlitz still und kalt und sein Mund geschlossen. Da banden sie das Männlein mit Hundeleinen und führten es also gefesselt herab zu ihrem Herrn nach Reichensachsen, da sollte es, meinten sie, schon Rede und Antwort geben, allein es tat dies ebensowenig als droben. Es nickte nicht und schüttelte nicht, es öffnete nicht den Mund, es deutete auch keinen Wunsch an, rührte auch nicht an Trank und Speise, achtete keiner Freundlichkeit und keines Zürnens. Nun dachten die Herren, die Zeit werde es schon mürbe machen, sperrten es in ein wohlverwahrtes Gemach, ließen dieses zum Überfluß von außen bewachen, aber am andern Morgen – andere sagen, nach drei Tagen – da war das Männlein verschwunden, hatte aber zum Andenken ein Vergißmeinnicht auf den Tisch gesetzt, das jenem Veilchen täuschend ähnlich sah, welches ein gewisser Hofnarr zu Meißen unter den Hut des Hofmeisters legte, der über das erste gefundene Veilchen gedeckt war; als welche sonderbare Historie im Treppenhause des Meißner Schlosses in Stein gehauen zu erblicken ist.

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765. Der letzte Trauerritter

765. Der letzte Trauerritter

Vor alters und bis in die jüngere Zeit war es Brauch im Hessenlande und auch anderswo, daß, wenn ein Fürst und Landesherr gestorben war, ein vom Kopf zum Fuß Geharnischter in schwarzer Rüstung auf schwarzgepanzertem Roß dem Sarg zu allernächst beim Leichenzuge folgen mußte; solchen Ritter nannte man den Trauerritter, und es ging die Sage, daß der, den solches Nachreiten träfe, noch selben Jahres dem Fürsten nachfolge in das Schattenreich, wie er ihm lebend nachgefolgt hinab in die dunkle Gruft. Da nun Kurfürst Wilhelm I. zu Hessen 1821 verstorben war, wurde ein junger Herr von Eschwege dazu bestimmt, als Trauerritter den Sarg zu geleiten.

Herr Ludwig von Eschwege, ein vollkräftiger, stattlicher, blühend schöner Mann, der in den Jahren 1811 bis 1813 in Dreißigacker Forstwissenschaft studiert hatte und seinen Hieber wacker führte, eignete sich vollkommen zu dieser Rolle – aber die Seinen drückte die Sage, sie warnten, sie rieten ab – doch der ritterliche junge Mann konnte und wollte sich nicht dem letzten Ehrendienst entziehen, den er seinem Fürsten und Herrn erweisen sollte. Er folgte im vollen Harnisch zu Roß dem Leichenwagen, er folgte dem Sarge nach in die kühle Gruft. Aber auch an ihm bewährte die Sage ihr Recht – nach wenigen Tagen war Herr Ludwig von Eschwege eine Leiche. Da stellte der Nachfolger des verstorbenen Kurfürsten den alten Hofbrauch ab, und seitdem folgt kein Ritter im schwarzen Harnisch mehr dem Sarge des Landesherrn.

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766. Des Frankenlandes Apostel

766. Des Frankenlandes Apostel

Als der berühmte Bischof Remigius nach einem Siege des großen Westfrankenherrschers Chlodio dessen Schwester Albofledis und mit ihr dreitausend Franken dem Christentume gewonnen und getauft hatte und zu ihnen die Worte gesprochen: Betet an, was ihr zuvor verbrannt habt, und verbrennt, was ihr zuvor angebetet habt – da drangen auch nach dem Ostfrankenreiche die Strahlen des neuen Glaubens.

Zu jenen Zeiten wurde mehr und mehr in Schottland, Irland und England ein rühmlicher Eifer rege, die Heiden zum Christentum zu bekehren, und es wurden aus der Geistlichkeit der dortigen Klöster fromme und gottbegeisterte Männer gewählt, die unter dem Namen Regionarii als Missionare den Christenglauben zu den Heiden aller Lande zu tragen bemüht waren. So fuhr denn auch ein als Regionär geweihter Bischof namens Killena (Kilian) mit noch eilf andern Gefährten im Jahr 685 auf das Festland herüber, um den deutschen Heiden das Evangelium zu predigen, zu welchem Amte sie in Rom Auftrag und Bestätigung einholten. Nachdem die Bekehrer sich in verschiedene Regionen verteilt, blieben bei Kilian der Priester Kolonat und der Diakon Totnan und pilgerten in das Frankenland, wo Kilians frommer Wandel nicht minder wie seine feurige Beredsamkeit ihm bald Jünger und Anhänger zuführte. Damals herrschte über Franken im Namen des fernen Frankenkönigs Herzog Gozbert, ein Sohn Hetans, welcher beschloß, den Apostel an seinen Hof zu berufen und dessen Lehre zu vernehmen. Herzog Gozbert hatte seine Residenz auf dem Berge über Würzburg, wo der Sage nach ein römischer Dianentempel stand. Kilian und seine Gefährten aber hatten ihren Wohnsitz in dem rauhen Rhöngebirge aufgeschlagen und dort auf dem höchsten Berge das Zeichen der neuen Lehre und des neuen Bundes, das heilige Kreuz, errichtet. Davon zeugen noch im Frankenlande die vielen, allerwärts vorkommenden Kiliansberge und Kilianskuppen, sowie vornehmlich der Hochgipfel der Rhön, der heilige Kreuzberg. Doch vergingen Jahrhunderte, bevor dieser Berg seinen jetzigen Namen empfing. Aschberg nannte ihn das Volk, und nicht unmöglich wäre es, daß er als Asenberg in der Heidenzeit der germanischen Frühe schon den Umwohnern zu ihrem einfachen Naturtempeldienst, gleich andern Hochwarten deutscher Gebirge, heilig gewesen. Als das Jahr, in welchem St. Kilian mit seinen Genossen in diesen Gegenden erschien, wird 668 angegeben. Sie fanden am Fuße des Berges friedliche Ansiedler, welche die Fremden, die kamen, um das zu bekehrende Land zu überschauen und kennenzulernen, gastlich aufnahmen und mit offenen Gemütern den Verkündigungen lauschten, welche die heiligen Männer ihnen brachten. Bald strömten Hörer ihrer Lehre aus den Nachbargauen herbei, und das Christentum begann Wurzel zu schlagen. Und als die Gottesmänner in Würzburg den Märtyrertod erlitten hatten, als das Heidentum den jungen Baum der Christuslehre dort wieder mächtig überwucherte, soll in den Wäldern und Hainen um den Kreuzberg sich die neue Christengemeinde heimlich zusammengefunden und dem Heiland unter einem Kreuze da gedient haben, wo jetzt die Wallfahrtkirche steht. Noch wird der Kilianshof am Fuße des Kreuzberges als die Stätte genannt, die dem Heiligen ein schirmendes Obdach verlieh; noch zeigt man den Kilianskopf, darauf er gepredigt, und den Heilbronn, daraus er die Heiden getauft haben soll.

Nahe am Kreuzberge liegt, von drei Seiten von hohen Bergen umschlossen, das uralte Städtchen Bischofsheim. Als der heilige Kilian mit seinen Gefährten das Christentum in diese rauhen Gefilde brachte, fand er der Sage nach zuerst hier sichern Aufenthalt und friedliches Obdach. Darum wurde das Haus jener Ansiedler, die den hohen Fremdling beherbergten, das Bischofshaus genannt, und als die Zahl der Häuser zu einem Orte anwuchs, empfing dieser den Namen Bischofsheim. Auch in späterer Zeit genoß Bischofsheim rühmlicher Auszeichnung dadurch, daß Lioba, die fromme Schwester des heiligen Bonifazius, sich von ihrem Aufenthaltsort Kissingen dorthin begab und eine Zeitlang dort wohnte. Vom Altertum des Städtchens, das schon im Jahre 1270 ummauert war, zeugt noch ein Turm im byzantinischen Baustil am königlichen Rentamt, der wohl früher als Kirchturm und Warte zugleich diente.

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767. Die Moorjungfrauen

767. Die Moorjungfrauen

Auf dem Rücken der hohen Rhön, da wo jetzt das rote und das schwarze Moor ihre weiten und grundlosen Sumpfstrecken breiten, standen vor alten Zeiten zwei Dörfer; das auf dem roten Moor hieß Poppenrode und versank infolge lasterhaften Lebens seiner Bewohner oder eines über diese ausgesprochenen Fluches. Das auf dem schwarzen Moor hieß Moor, ging auf ähnliche Weise unter, und nichts ist mehr davon übrig als eine Art basaltischen Pflasters, das die Rhönbewohner unter dem Namen der steinernen Brücke kennen, und die altermorsche Moorlinde, die man als die Dorflinde des versunkenen Dorfes betrachtet. Früher häufiger als jetzt zeigten sich auf beiden Mooren die Moorjungfrauen des Nachts in Gestalt glänzender Lichterscheinungen; sie schweben und flattern über die Stätte ihres ehemaligen Wohnplatzes. Oft kamen auch ihrer zwei oder drei nach Wüstensachsen und mischten sich unter die Kirchweihtänze, sangen auch wohl gar lieblich, blieben aber nie über die zwölfte Stunde, sondern wenn die Zeit ihres Bleibens herum war, so kam jedesmal eine weiße Taube geflogen, der sie folgten; sie wandelten singend zum nächsten Berg hinein und entschwanden so den Augen der Nachblickenden oder neugierig Nachfolgenden. Auch ist das rote Moor der Gegend ein Wetterprophet. Wenn in der Frühe ein kleiner Dunst darüberschwebt, so gibt es keinen schönen Tag; ist der Dunst stärker, so wird schlechtes Wetter, raucht gar das Moor, so kommen Regen, Schloßen und Gewitter; tobt es aber und werfen die schlammigen Moorwässer Wellen, dann sind Stürme, Orkane und sogar Erdbeben zu fürchten.

Aus dem versunkenen Dorfe Poppenrode, so geht auch noch die Sage, waren nur zwei tugendhafte Mädchen übriggeblieben, die vom Strafgerichte Gottes verschont wurden. Einst aber gingen auch sie zum Tanze und sanken in den Arm sündiger Weltlust, da kamen sie plötzlich hinweg. Eifrig suchten nach den Schönen ihre erkornen Jünglinge, aber lange vergebens, bis ihnen ein lichtgrauer Mann erschien, der sprach: Euer Suchen ist all vergebens; nehmt aber eine Rute, schlagt mit ihr auf das rote Moor und besehet sie dann. Dieses taten die Jünglinge, und siehe, von der Rute floß Blut ab, zum Wahrzeichen, daß sie die schönen Tänzerinnen nie wiedersehen würden.

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768. Sankt Gangolf und die Milseburg

768. Sankt Gangolf und die Milseburg

Die Milseburg ist ein mächtiger Klingsteinberg der Rhön, den man in weiter Ferne mit seiner eigentümlichen Form über seine Nachbarberge emporragen sieht. Diese Form gleicht einem der hochgetürmten Heuwagen, welche im Juni so zahlreich von den grasreichen Flächen des Hochgebirges in die näheren und ferneren Talorte fahren, und heißt deshalb das Heufuder. Er gleicht aber auch einem Sarge und wird darum vom Volk die Totenlade genannt. Gleich andern Hochgipfeln dient der Berg den Umwohnern als Wetterprophet, und diese sagen stets richtig Regenwetter voraus, wenn die Milseburg raucht oder, nach dem Ausdruck des gemeinen Mannes, Klöße kocht. Viele Heilkräuter und sonstige seltene Pflanzen wachsen auf diesem Berge, und viele Sagen gehen von ihm im Munde des Volkes um. Daß aber der Berg eigentlich Melusinenberg heiße, wie einige geschrieben haben, ist ein ersonnen Märlein und ein Diftlerlug; das Rhöngebirg kennt keine Melusine, und Melusine war eine Wasserfeine, keine Bergidise oder Waldividie. Da der heilige Gangolfus diesen Berg zum Lieblingsaufenthalt erwählt haben soll, so heißt er aüch der Gangolfsberg, und es wurde die auf seiner Höhe stehende kleine Wallfahrtkapelle, welche im Jahre 1493 erbaut sein soll, diesem Heiligen geweiht. Vor langen Zeiten stand auf der Höhe des Berges eine Ritterburg, bewohnt von wilden Raubgesellen, die auf dem von der Natur durch fast unersteigliche Klippen geschirmten Felsenhorst lange ungestraft ihre Untaten zum Schrecken der ganzen Gegend verübten. Wer diese Burg erbaute, und wann sie zuerst erbaut wurde, weiß niemand zu sagen. Der heilige Gangolf brachte auch einen gar schönen, frischen und heilkräftigen Quellbrunnen auf die Milseburg, und es trug sich damit gerade so wunderbarlich zu wie mit dem Grafen Gangolf in Languedoc, so daß die Sage jenes Landes hier am hohen felsreichen Rhöngebirge ein treu erwiderndes Echo gefunden hat. Auf der Milseburg befindet sich auch des heiligen Gangolfs Keller, aber an welcher Stelle, weiß niemand zu sagen. Er ist voll großer Schätze, aber verwunschen und verschlossen. Keiner weiß ihn zu finden. Einst war eine alte Frau so glücklich, mittelst einer Schlüsselblume, die sie zufällig pflückte, diesen Keller zu entdecken. Sie sah ihn plötzlich offenstehen, doch ging sie nicht hinein, denn es kam ihr ein Grauen an, und sie ging von dannen, andern anzusagen, was ihr begegnet war, und was sie gesehen hatte. Alle, welche die Mär hörten, verwunderten sich, und viele folgten der Alten an den Ort, aber da war der Keller wieder verschwunden, und nimmermehr fand die Alte jene Stelle wieder.

Aber nicht allein auf der Milseburg hat Sankt Gangolf seine geweihten Stätten, zwischen Hildenburg und Oberelsbach liegt der Gangolfsberg mit den Trümmern des Gangolfsklosters unter einer natürlichen Felsengrotte, welche auch der Gangolssbergkeller heißt. Auch dieses Kloster wurde im Bauernkriege zerstört. Nicht weit davon ist die Teufelskirche oder das steinerne Haus, über dem Dörfchen Ginolfs bei Weißbach gelegen. Es stellt sich hier eine Basaltzertrümmerung in höchst malerisch übereinander aufgehäuften Säulen in großer Regelmäßigkeit des fünf- und sechskantigen Gesteins dar, das bis zu vierzig Fuß hoch aufgestapelt ist. Davon meldet die Sage des Volks: Einst wollte man drunten im Tale eine Kirche erbauen und fuhr fleißig Steine zu dem Bauplatz hin. Darüber erzürnte sich der Teufel mächtiglich und trug jede Nacht ebenso viele Steine vom Platz hinweg und auf diese Berghöhe, wo er sie also neben- und ineinanderschichtete, daß man keinen davon hinwegnehmen konnte, und kein Mensch vermochte die Steine wieder herunterzuschaffen. Man spricht insgemein, daß da, wo der Teufel seinen Stein hinlege,es vergeblich sei, diesen hinwegzunehmen, denn sooft das auch geschehe, ebenso oft lege der Teufel denselben Stein oder einen andern an die nämliche Stelle.

Wo aber der Teufel sich also eingenistet, daß er, wie hier, sogar eine Kirche hat, da hat er auch, wie auf dem Harz und dem Thüringerwalde, insgemein noch sonstige Besitztümer und Errungenschaften, so auch auf dem Rhöngebirge, von denen manche Sagen gehen.

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76. Die glühenden Kohlen

76. Die glühenden Kohlen

Im Städtchen Lorch am Rhein, da, wo die Wisper in den Strom fällt, steht an der Stadtmauer auch eine Mühle, deren Räder die raschen Wellen der Wisper treiben. Einer Nacht erwachte die Magd in dieser Mühle sehr früh, es war ganz hell, und sie meinte schon, sich verschlafen zu haben, und eilte, das Feuer in der Küche zu schüren. Da gewahrte sie, wie sie durch das Küchenfenster in den Hof hinabsah, einen Haufen glühender Kohlen und ging eilend hinab, um davon um so schneller für ihr Herdfeuer Brand zu gewinnen. Drunten lagen um das Kohlenfeuer einige ihr unbekannte fremde Männer, sie aber fuhr, ohne sich an diese Männer zu kehren, mit ihrer Schaufel in die Kohlen hinein und kehrte mit der Schaufel voll in das Haus zurück. Aber als sie die Kohlen auf den Herd schüttete, so glühten sie nicht mehr, sondern waren erloschen. Sofort lief die Magd noch einmal hinaus und holte wieder eine Schaufel voll – es ging aber gerade wie beim ersten, die Kohlen waren tot. Und nochmals rannte die geschäftige Magd hinaus, da sprach einer der Männer mit tiefer Stimme: Du, höre, dieses ist das letzte Mal! – Die Magd erschrak, und befiel sie ein Bangen, doch sprach sie kein Wort und eilte nur, daß sie wieder an ihren Herd kam. Aber die Kohlen waren abermals erloschen – und jetzt hob die Turmuhr auf der Stadtkirche aus und schlug – und die Magd horchte und wollte gern wissen, wie früh es wäre, und zählte drei – vier – sechs– sieben – so spät könnt‘ es doch noch nicht sein – acht – neun – was ist das? – und die Uhrglock‘ schlug immer zu, und schlug Zwölf – und im Hof verschwand das Kohlenfeuer, verschwanden die Männer. Der Magd gruselte fürchterlich – sie eilte in ihre Bettkammer, kroch tief unter die Decke und betete so viele Seufzerlein und Reimgebetlein, als sie konnte und wußte. Am Morgen verschlief sie sich in aller Form, und statt ihrer trat der Müller zuerst in die Küche, der traute seinen Augen kaum, als er auf dem Herd statt glühender Kohlen einen Haufen glitzender Goldstücke liegen sah, nahm den Schatz und erbaute sich davon ein neues Haus zu Lorch, gab auch der Magd ihren guten Anteil vom durch sie gewonnenen Reichtum.

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769. Teufelsbauten im Rhöngebirge

769. Teufelsbauten im Rhöngebirge

Als der Teufel sah, daß man auf der Milseburg eine Kirche baute, verhieß er einem Bewohner der Gegend, auf einem Nachbarberg ein Wirtshaus zu erbauen, und dieser gelobte ihm sich und seine Seele, wenn er das Wirtshaus nur einen Tag eher vollende als die Kirche. Da aber beim Bau des Milseburgkirchleins der heilige Gangolfus selbst behülflich war und auf dessen Gebet die Steine sich schneller fügten wie auf des Teufels Flüche, so wurde das Kirchlein fertig, eben als der Teufel mit dem letzten Stein durch die Lüfte geflogen kam. Kaum sah er, daß er seine Wette und obendrein eine Seele verloren hatte, so schleuderte er den mächtigen Felsstein auf das Wirtshaus herab und zertrümmerte seinen ganzen Bau, der noch also zu sehen ist. Die Felsen liegen übereinander her wie gespaltene Eichstämme in einem Holzhaufen.

Der Teufelswand, auch Steinwand, wird ähnlicher Ursprung zugeschrieben. An ihr stehen Säulen von Basalt achtzig bis neunzig Fuß hoch senkrecht empor, und sie gleicht einer großen alten Mauer. Dort finden sich auch die Teufelskanzel und seiner Großmutter Milchkammer, Felsenbildungen eigentümlicher Form, und ungeheuere Trümmermassen, mit basaltischem Gerölle durchmischt, verkündigen die unheimliche Einöde, in deren Schöße die Tradition gern den einst so fest geglaubten Feind des Menschengeschlechts heimisch sein läßt.

Eine Stunde von Bischofsheim liegt in einer schauerlichen Gebirgsschlucht an einem Bergbach, der sich zwischen dem Holzberg und Bauernberge über eine achtzig Fuß hohe Felswand als Kaskade herabstürzt und das Schwarzbacher Wasser bildet, ein mehrere Schuh tiefes Felsenbecken, die Teufelsmühle. In demselben werden oft große Steine bei angeschwollener Flut malmend und unter wildem Strudeln und Wirbeln umgetrieben. Man will bei Gewittern oft einen schwarzen riesenhaft gebauten Mann geschäftig die Felswand auf- und abklimmen und in wilden Sprüngen um seine Mühle rennend gesehen haben.

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770. Muttergottesbild am Fels

770. Muttergottesbild am Fels

Wenn man unten von der Tanzwiese und dem Hof, der denselben Namen führt, zu den schroffen und steilen Felsklippen der Milseburg emporsteigt, wo seltene Blumen und Kräuter wachsen, so führt ein schmaler und steiniger Pfad zum Gipfel, welcher Pfad der Kirchweg heißt. Dem Wanderer zur Linken steht auf diesem Pfade, ganz nahe dem Weg, frank und frei auf einem Felsblock ein kleines, farbig angemaltes steinernes Muttergottesbild, den Heiland im Schoß und mit Perlen und Kränzen von frommen Händen geschmückt, aber allem Ungetüm der Witterung auf dieser rauhen Höhe ausgesetzt. Einst gedachten einige Gläubige, dieses Bild besser zu schützen, damit es nicht Schaden leide vom Sturm und Wetter, und wölbten nur wenige Schritte von der Stelle, wo das Bild stand, aber zur rechten Hand des Felsenpfades eine schützende Nische. In diese trugen sie mit Andacht das kleine Bildnis. Allein am andern Tage, als sie nachsahen, stand es wieder an seiner vorigen Stelle. Dies geschah dreimal nacheinander; dreimal wurde das Bild in die Nische getragen, dreimal kehrte es auf den vorigen Stand zurück. Da ließ man dasselbe ferner unangetastet. Das Bild ist noch gar nicht so alt; es ist an seinem Fuße die Jahrzahl 1664 nebst dem Namen GEORG STEPLING zu lesen. Mächtig schützt der Segen der göttlichen Jungfrau den Ort und die Waller zur Höhe. Obgleich an gewissen heiligen Tagen Tausende diese steilen und zerklüfteten Klippen und Schluchten besteigen und beklettern, noch von keinem hat man gehört, daß er einen gefährlichen Fall getan und an seinem Leibe zu Schaden gekommen sei. Und noch heute sitzt die gute Jesusmutter am Felsenwege zur Kapelle unter einem kleinen Schirmdache frei und offen da, und noch nie ist von ihrem Schmuck auch nur das mindeste entwendet worden.

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