783. Amalbergas Schlösser

783. Amalbergas Schlösser

Als Thüringens König Irminfried noch sein weitausgedehntes Reich beherrschte, stand auch auf dem sogenannten Hammelburger Berg in der Nähe der alten Stadt Hammelburg ein Schloß, welches Amalberga, die Thüringer Königin, erbaut haben soll, von der denn auch die nahe Stadt den Namen getragen. Dieser Berg liegt der Saale aufwärts nach Westheim zu, und es sind von dem Schlosse noch einige Trümmer zu gewahren. Bei diesen Trümmern hütete einst ein Knabe die Schafe, und da es ein sehr heißer Tag war, so schlief er vor Ermattung ein. Da erblickte er im Traum ein wunderschönes Frauenbild, das winkte ihm still, zu folgen, und er folgte ihm. Beide kamen in ein prächtiges Schloß, und die schöne Frau winkte ihm von Zimmer zu Zimmer, so daß sie alle Prachträume durchwandelten; dabei zeigte sie ihm Truhen voll Goldes, Silbers und köstlicher Edelsteine, von denen zu nehmen die Frau dem Knaben durch Zeichen gebot. Es reizte ihn aber nichts als eine schöne natürliche Blume, welche er auf einem Marmortische liegen sah, die Frau reichte ihm dieselbe, seinen Hut damit zu schmücken, und dann gingen sie aus dem Schloß. Jetzt plötzlich erwachte der Knabe und nahm wahr, daß er alles nur geträumt, und dennoch war auf seinem Hut die Blume befestigt, und als er sie ansah, war sie von lauter purem Golde.

Dies hat eine alte brave Frau erzählt, von der noch Enkel leben, und sie hatte jenen Hirten gut gekannt, der auch ihr und andern oft die Blume gezeigt. Auch viele andere unheimliche Mär erzählt man sich noch von dem alten Schloß.

Auch auf der Burg Saaleck, in deren Nähe im Jahre 9 nach Christo die Markomannen die Drusen schlugen, steht noch ein uralter starker Turm, den soll Amalberga auch erbaut haben. Man sagt ihr nach, sie habe mit diesem Turme dasselbe getan, was jene spätere französische Königin mit dem berüchtigten Turme von Nesle in der Stadt Paris, junge Liebende an sich gelockt und nach gebüßter Lust, daß ihrer keiner sie verrate, sie in diesem Turme umbringen lassen. Darum ist es auch nicht geheuer dort, irrende Flämmchen und aufzuckende Feuer umschweben und umwebern die gebrochenen Zinnen.

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784. Der Kaiser im Guckenberge

784. Der Kaiser im Guckenberge

Bei Gemünden liegt der Guckenberg; von diesem geht die Sage, ähnlich der vom Barbarossa im Kyffhäuser, daß vor langen Zeiten ein Kaiser mit seinem ganzen Heere in ihn versunken sein soll. Nun sitzt er darin an einem steinernen Tische, und wann sein Bart dreimal um den Tisch gewachsen ist, so wird der Kaiser mit all seinen Wappnern wieder hervortreten. Einstmals kam ein armer Knabe auf den Berg, welcher in der Gegend Semmeln zum Verkaufe trug, und traf daselbst einen steinalten Mann an, der sprach freundlich mit dem Knaben; dieser klagte ihm sein Leid, daß er so wenig verkaufen könne und sein Verdienst so gering sei. Da sprach der Alte: Höre, Kleiner, ich will dir wohl einen Ort zeigen, wo du alle Tage so viel Wecke verkaufen kannst, als du zu tragen imstande bist; aber du darfst beileibe niemandem etwas davon offenbaren. Darauf führte der alte Mann den Buben in den Berg hinein, und es war im Berg wie in einer großen Stadt und gar ein reges Leben darin. Viele Leute trieben Handel und Wandel, andere gingen in die Kirche, noch andere hielten einen Bittgang. Und an einem Tische saß der Kaiser gewaltig, und sein langer Bart war schon zweimal um den Tisch gewachsen. Dahin brachte nun tagtäglich der Knabe seine Semmelwecke und empfing dafür uraltes Geld. Da aber nun in seinem Orte dessen bald zu viel umlief, wurden die Leute stutzig, mochten es nicht mehr annehmen und drangen endlich in den Jungen, zu sagen, wo er dieses alte Geld bekäme. Da offenbarte er seinen ganzen Handel. Ein junger Freund von ihm drang sich ihm nun beim nächsten Berggang zum Begleiter auf, um des Guckenberges innere Herrlichkeit auch wahrzunehmen; allein der Semmelbube fand nicht nur den Eingang nicht wieder, sondern nicht einmal den Berg, und kam ihm die ganze Gegend anders und schier verwandelt vor.

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785. Seifriedsburg

785. Seifriedsburg

Es war ein Hirtenjunge, Fritz mit Namen, den seine Genossen Sau-Fritz nannten, weil er die Schweine hütete. Einst schwemmte er seine Herde im klaren Wasser der fränkischen Saale. Da fand er einen Stein, womit er sich rieb, und der machte ihn fest gegen Hieb und Stich. Er ging in den Krieg und tat, zumal er unverwundbar war, Taten der Tapferkeit und erwarb Rang und Reichtum. Vom Herrn des Gaues empfing er Erlaubnis, sich eine Burg zu erbauen, und wählte die Stätte in seiner Heimat, wo er unterhalb seines Geburtsortes auf demselben Berg eine Burg aufführen ließ, die nun nach seinem Jugendspitznamen samt dem Dorfe Säufritzburg benannt ward, daraus später die Schreibart Seifriedsburg geworden.

Lange stand die Burg, als einst ein schweres Unwetter heranzog, wie gerade das Burggesinde im Heuen war. Alles eilte hastvoll nach Hause, eine kecke Magd aber blieb und rief:

Ei, es mag donnern oder blitzen,
So muß ich meinen Heuhaufen spitzen!

Alsbald fuhr ein Wetterstrahl aus dem Gewölk, der die Magd niederschlug und die Burg in Brand steckte, und das Wetter riß das Heu auf der ganzen Wiese vom Berg ins Tal hinab. Seitdem ist Seifriedsburg eine Trümmer, doch das Dorf führt den Namen fort.

Zwischen Seifriedsburg und Schönau an der Saale liegt ein Wäldchen, welches den Namen Lindwurm führt. In der Nähe hauste, so kündet die Sage des Volkes, ein Lindwurm, welcher von dem Ritter auf der Seifriedsburg erlegt wurde.

Es leuchtet ein, wie in dieser Sage ein ganz später Widerhall der Siegfriedssage zu finden ist. Der angenommene niedere Stand, die Lindwurmtötung, die Unverwundbarkeit, der Ruhm großer Taten und der Besitz eines reichen Hortes, alles vereint sich hier und deutet sich naturgemäß. Aber woher der alten Sage Verjüngung nun gerade hier? Sollte der Name Seifried – soviel als Siegfried – allein sie hervorgerufen haben?

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786. Mespelbrunn

786. Mespelbrunn

Tief im Spessartwalde jagte ein Kurfürst von Mainz mit seinem Gefolge, und nach der Jagd ruhten sie in einem engen Talgrunde unter uralten Bäumen und an einem Quellbrunnen, der von Mispelbäumen umstanden war. Der Kurfürst sprach: Hier ist’s traun recht schauer – möcht immer da gut essen, um kein’n Wert! – Da sprach ein Weidwerkgenoß, des Geschlechts der Echter einer: Was Ihr wollt, das könnt Ihr. Gebt mir das Revier, so bau‘ ich allda ein Haus, das Euch stetig offensteht. – Das war dem Kurfürsten recht, er gab dem Ritter ein großes Jagdgebiet im Spessart, und der erbaute sich ein stattlich Schloß, gab ihm den Namen Mespelbrunn von den Mispelbäumen und dem Brunnen und fügte diesen Namen seinem eignen für alle Folge hinzu: Echter von Mespelbrunn. Es war ein mannlich und namhaft Geschlecht, das sich reichen Besitz erwarb und sicherte. Einer erbaute auch zu Hessenthal im Spessart, dahindurch die Straße von Würzburg nach Aschaffenburg zieht, ein Jagdschloß und eine Kapelle; dort liegen mehrere Echter begraben, und prächtige Grabsteine verewigen ihr Andenken.

Dieses edlen Geschlechts ruhmreichster Sproß war Julius Echter von Mespelbrunn, Bischof zu Würzburg, Herzog in Franken. Als Bischof unvermählt und kinderlos und der Letzte seines Stammes, im Besitz ungeheuern Reichtums, machte er ein Testament. Eine Schwester- oder Bruderstochter war an einen Grafen von Ingelheim verheiratet und hatte den Bischof zum Paten ihres Sohnes erwählt. Diesem Paten nun dachte Julius seine Güter zu und setzte ihn zum Universalerben ein. Er legte das Testament in eine Schachtel und überdeckte es. Oben auf die Decke legte er drei Zitronen und sandte nun die versiegelte Schachtel durch einen eigenen Boten nach Mespelbrunn, wo seine Nichte mit ihrem Sohne wohnte. Als diese öffnete und nichts in der Schachtel sah als drei Zitronen, wurde sie etwas ärgerlich, wußte nicht, ob das ein Scherz oder ein Schimpf von dem geistlichen Oheim sein sollte, entschloß sich kurz und schickte die Schachtel samt den Zitronen sogleich zurück. Bischof Julius wunderte sich und entsendete mit der aufs neue versiegelten Schachtel nochmals den Boten nach Mespelbrunn. Die Gräfin von Ingelheim wußte nicht, was sie davon denken sollte, und ward noch ärgerlicher. Sie schnitt eine Zitrone auf, meinend, es stecke vielleicht etwas Geheimes in den Früchten, allein da sie nichts fand, schickte sie die Schachtel abermals zurück. Und zum dritten Male kam der Bote von Würzburg mit seiner Schachtel und mit drei frischen Zitronen darin. Die Gräfin hatte fast keine Lust, sie zu öffnen, und als ihr wieder die drei Zitronen entgegenblickten, fehlte wenig, daß sie dieselben nicht nahm und dem Boten an den Kopf warf. Sie besann sich aber doch, schnitt alle drei auf, da sie aber in allen dreien nichts fand, ward ihr Zorn grenzenlos. Sie warf die Zitronen alsbald zum Fenster hinaus, dem Boten die wieder zugeklappte Schachtel an den Kopf und drohte ihm, wenn er noch einmal vor ihre Augen komme, so wolle sie ihn zu Mespelbrunn hinauspeitschen lassen. Wie der Bote dem Bischof ansagte, was sich begeben, sprach Julius: Ich sehe wohl, Gott hat mein Vermögen zu anderer Verwendung bestimmt, entnahm der Schachtel das mit Papier bedeckte Testament und warf es ins Kamin. Hierauf gründete er von seinem Reichtum zu Würzburg das berühmte segensreiche Hospital, das seinen Namen trägt, durch welche Stiftung Julius Echter von Mespelbrunn seines Namens Gedächtnis groß und unsterblich gemacht hat für alle Zeiten.

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771. Das tolle Dittis

771. Das tolle Dittis

Zwischen der Milseburg und der hohen Rhön liegt ein wohlhabender Ort, Ditges, in der Volkssprache Dittis genannt, von dessen Einwohnern sich die Nachbarn in der Runde viel seltsame Schnurren und Schnaken erzählen. Der ganze Ort dient dem Volkswitz der Rhönbewohner seit langen Jahren zur Zielscheibe, und es soll sich in ihm das Lalenbürgertum erblich niedergelassen haben. Alles, was die neckenden Nachbarn der bekannten Städte und Ortschaften, auf denen der Fluch des Lächerlichen ruht, den Bewohnern dieser Städte in Scherz und Schimpf nachreden, alle Schildbürger-, Karlstadter-, Krähwinkler-, Polkwitzer-, Wasunger- und andere Streiche, finden ihr nachhallendes Echo in diesem Gebirgswinkel und sprossen in Zutaten weiter. Manche neue Mär drängt sich keck hervor, neben den alten Bekannten, ein harmloses Kind des Volkswitzes, und macht sein Recht unbefangenen Daseins geltend.

Die Dittisser mögen sich sträuben, wie sie wollen, gegen die ihnen aufgebürdeten Lalenstreiche, so hilft es ihnen nichts, denn, so sagen die Nachbarn: ihre Glocken rufen ihnen allsonntäglich das zu, was sie nicht gerne hören. Es töne nämlich der Akkord Tall Dit-tis, Tall Dit-tis eu Närrn.

Dies heißt: Tolles Ditges! Tolles Ditges! Ihr Narren!

Wie es aber gekommen ist, daß das Dittisser Geläute diesen spottenden und verhöhnenden Klang angenommen, mag wohl seinen Grund im Kirchenbau zu Ditges haben, von dem auch eine Sage geht; denn als die Kirche zu Dittis erbaut wurde, ging allerlei absonderlich Komisches dabei vor. Die Kirche war zwar erbaut, aber die Fenster waren vergessen, und so kam es, daß niemand vor Dunkelheit darin sehen konnte. Lange ward hin und her beraten, wie es wohl anzufangen sei, den Tag in die Kirche zu bringen, und endlich nach langer Beratung in einer Dittisser Volksversammlung wurde beschlossen, einen Boten nach Fulda zu senden, daß er sich alldort den Tag erbitte. Der Stadtrat zu Fulda gab den Rat, die guten Dittisser möchten nur, da der Tag sich nicht in Säcken, wie das Ummerstädter Salz, versenden lasse, Fenster in die Kirche machen. Nun hatte aber selbiger Bote gar ein kurzes Gedächtnis und suchte, da ihm der Satz zu lang war, nur vor allem das Wort Fenster zu merken, merkte es auch, bis er auf den Hutrasen hart überm Dorfe kam, da stolperte er und fiel, und das Wort entfiel ihm zugleich. Da klagte er drunten im Dorfe traurig den Verlust, und da kamen die Dittisser mit Hacken und Schaufeln und gruben endlich glücklich das Wort und den Tag heraus. Man sieht heute noch die Löcher.

Von den Weiberstühlen beim Kirchenbau, von den Steuersimpeln, und wie die Rühlinge im Teich dem Gemeindeboten zuschrieen: Aicht, aicht – er aber schrie: Nün! – weil er meinte, die Rühlinge sprächen, er trage nur acht Simpla nach Fulda, und waren doch neun, und aus Zorn den Geldbeutel in den Teich schmiß, und daß die Rühlinge selber zählen sollten – vom Hupf ins Wasser, Schafe zu holen, die sich von einer nahen Weide darin abspiegelten – vom Ausbrüten der Kuheier, vom Poinzeküppel und andern lustigen Streichen der Dittisser mehr wäre noch viel zu erzählen.

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772. Die letzten Auersberge

772. Die letzten Auersberge

Am Fuß des Rhöngebirges lag zwischen dem Städtchen Tann und dem Dorfe Hilters eine Burg, die Auersburg geheißen. Auf diesem Schlosse wohnten lange Zeit würzburgische Burgmänner, später Amtmänner, daher ward auch ehedem das Amt Hilters nach diesem Schlosse Amt Auersberg benannt. Lange ging die Sage, es liege in einer Ecke des Hofraums der Burgruine ein großer Schatz vergraben, und so kam vor Jahren eine Gesellschaft Schatzgräber dorthin, um den Schatz zu holen. Allein sie wurden allesamt vertrieben von einer erschreckenden Erscheinung, und soll der Schatz noch immer zu heben und zu holen sein.

Der letzte von den Besitzern der Auersburg, der diese jetzt zertrümmerte Feste bewohnte, gehörte der evangelischen Kirche an. Eines Tages fuhr er mit seinem Kutscher, welcher katholisch war, über Feld, da überraschte beide ein furchtbares Gewitter, und es ergoß sich eine unendliche Wasserflut, so daß bald weder Weg noch Steg zu erblicken war. Der Kutscher kreuzte und segnete sich und betete, der Herr aber fluchte. Der Kutscher sprach: Gott helfe uns, ich kann nicht weiterfahren, sonst sind wir verloren! – Darauf rief der Herr zornig aus: Der Teufel wird dich nicht gleich holen! Fahre zu in des Teufels Namen! – Der Kutscher seufzete und sprach: So will ich denn hinfahren, doch nicht in des Teufels, sondern in Gottes Namen. – Bald kam die Kutsche in einen Wasserstrom, daß sie schwamm, die Pferde häkelten sich im Wasser ab, und der Kutscher entkam auf einem derselben. Der gottlose Herr aber mußte elendiglich ertrinken.

Nach einer andern Sage war eine kinderlose Witwe die letzte des Geschlechtes derer von Auersberg, die einsam die schon ganz öde Burg bewohnte. Sie fuhr bei einem starken Gewitter durch das Ulstertal und trieb mit heftigen lästerlichen Worten den Kutscher an, der sich weigerte, durch den überschwellenden Bergfluß zu fahren, bis er zu ihrem Verderben dann gehorchte. Die Wellen stürzten den Wagen um, die Witwe ertrank, der Kutscher entkam. Wieder andere sagen, das sei geschehen, als im Dreißigjährigen Kriege die Schweden Burg Auersberg hart berannt und bedrängt hätten. Die Dame sei nicht eine Witwe, sondern die Gemahlin des letzten Herren der Burg gewesen. Als der Ritter sahe, daß keine längere Verteidigung fruchte, ließ er in seinem tapfer verteidigten Schloß ein Fenster ausheben, ritt seinen Schimmel in den Saal und sprengte durch das Fenster hinaus. Niemand sah ihn wieder.

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773. Der Weiber Wetzstein

773. Der Weiber Wetzstein

Nicht weit vom Auersberg in den Vorbergen der Rhön liegt das Dorf Kaltenwestheim, das ist weit und breit berühmt wegen seines Weiberwetzsteins, der schon in alten Schriften erwähnt wird wie folgt: »Wann man oben zu dem Dorff hinein reitet, so stehet lincker Hand der Straße ein Sandstein wie eine viereckigte Säule gehauen, etwa drei Ellen hoch, welcher vor wenig Jahren neu aufgerichtet worden, weil ein Schalck zu Nachts den vorigen heimlich weggetragen hatte. Und das ist der Wetzstein, an welchem aber Niemand zum Schabernack oder raillerie wetzen darf. Denn wo einer dieses thut, und man wird deßen inne, so kömmt von Stund an die ganze Schaar der Weiber im Dorffe, denen eine Frau als Oberhaupt commandiret, die Stein-Schulzin genannt, welche ausdrücklich zu diesem Amte erwehlet wird, herbei gelauffen, mit ihrem Gewehr, wie sie es nennen, von Holtz gemacht, darunter eine große lange Beiß-Zange, Gabeln und dergleichen militairische Werckzeüge; diese verfolgen nun den Thäter so lange, bis sie ihn erhaschen, da er denn mit der Zange angefaßt, zum Wasser geführet, und gebadet wird, er mag nun wollen oder nicht; wehtet er sich, so bekömmt er noch Stöße darzu, und muß doch hernach diese vexirerey mit einer Geld- discretion ablösen. Ihm wird überdieß ein Stroh-Crantz aufgesetzt, und ein Bund Heu vorgelegt; und mit solchen Possen Legitimiren die Weiber ihr vermeintes Privilegium, bey muthwillig veranlaßeter Gelegenheit, welches, der gemeinen Rede nach, sie daher erlanget, weil zu der Zeit, da obbenahmter Fürst Henrich von Henneberg mit seinen Vettern in Unfriede gelebt, diese aber einst das Schloß zu Kalten Northeim belagert, unter andern auch die Weiber von Kalten Westheim daßelbige dermaßen wohl defendiret, daß die Feinde unverrichteter Sachen abziehen müßen. Dahero als Fürst Henrich ihnen eine Gnade zu thun angebothen, sie nichts mehr als dieses seltzsame Privilegium verlanget, und auch erhalten. Der Brief selbst aber, saget man, wäre im Dreyßigjährigen Krieg verlohren worden. Einmahl ist gewiß, daß es niemand noch bis dato wagen darf, an den Stein zu wetzen, will er sich nicht gezwungen sehen, wenn man es gewahr wird, der obbeschriebenen vexation zu unterwerffen, immaßen denn, wie von glaubwürdigen Augen-Zeugen versichert worden, des Höchstseel. Herzogs zu Sachßen Eisenach Herrn Johann Georgen Hochfürstl. Durchl. zu mehr mahlen dergleichen Ergötzung mit einem oder andern von Dero Svite, angestellet hat. Nebstdem hat der Wetzstein auch dieses vor sich, daß ihn niemand weder loben noch schelten darff, so lange man im Dorff ist; denn wer das thut, der hat ein gleichmäßiges Tractament zu gewarten. Dahero sagt man im Sprüchwort: Man muß ihn nur gehen laßen, wie den Kalten Westheimer Wetzstein, das ist, weder loben noch schelten. Item, sagt man von einem wunderlichen und morosen Menschen, dem es niemand recht machen kann: Bistu doch wie der Wetzstein zu Kalten Westheim; als welchen man nicht krumm ansehen, viel weniger loben oder schelten darff.«

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774. Die goldnen Erbsen

774. Die goldnen Erbsen

Hohe Basaltgipfel stehen wie Warttürme vor der Rhön in der Gegend, wo dieses Gebirge nordwärts endet, und mancherlei Sagen gehen von ihren Gipfeln bis in die Talgründe. Über dem Dorfe Geismar erhebt sich der bewaldete Rockenstuhl, der einst ein Bergschloß trug. Darauf erscheinen Berggeister in Gestalt grauer Männer, und der wilde Jäger fährt oft über den Berg mit seinen Hatzhunden und Gefolge dahin. Ein buchonischer Gaugraf des Namens Roggo, der sich stets tragen ließ, soll sich gern auf diesen Berg haben tragen lassen und darauf seinen Sitz als Stuhl gehabt haben, daher der Name Roggos-Stuhl – aber Rokkinstul schon 1186 geschrieben.

Auf dem Ochsenberge auch nur eingebildete Reste einer dort nie vorhandenen Burg mit der Wunderblumenfundsage und Fässern voll gelber Erbsen, mit der wandelnden Jungfrau und einem blöden Schäfer, der so albern war wie andere seinesgleichen und das Beste vergaß. Sehr übel soll es einem armen Esel auf dem Öchsenberge ergangen sein, der zum Wasserholen gebraucht wurde. Da das Wasser droben so rar war, so wurde vorausgesetzt, der Esel saufe sich drunten satt, wenn er das Wasser hole, und gaben ihm droben wohl zu fressen, aber nichts zu saufen. Unten aber dachten sie, wenn sie überhaupt an des Esels Verköstigung dachten, nicht anders, als wo der Esel frißt, daselbst säuft er auch, das ist natürlich, und ließen ihn nicht trinken. Und da ist der arme Grauschimmel zwischen zwei Wasserfässern Durstes verblichen und war weniger glücklich wie sein Vetter, der zwischen Heubündeln Hungers starb – wer weiß, ob’s wahr ist! – denn letzterer konnte doch zulangen, wäre er nicht ein Esel gewesen.

Des Öchsen Nachbar ist der Baier, der ist besonders sagenreich. Noch quillt an ihm der Goldborn, wo ein Venetianer viel reiches Gut hinwegtrug. Lengsfelder Bürger fanden droben edle Gesteine und güldiges Erz unter schreckenden Erscheinungen. Am Baier, am Öchsenberge, am Dietrichsberg und an der Sachsenburg waren vorzeiten Bergwerke im Betrieb.

Ein Korbmacher ging einst am Baier da vorüber, wo man es bei der Schacht nennt, da fand er eine Blume von ausnehmender Schönheit. Er pflückte sie ab, und da er an die Wand der Schacht kam, so öffnete sich eine Türe zu einem weiten und geräumigen Gewölbe. Der Mann trat hinein und sah eine Menge Fässer, die, mit Erbsen, Korn, Weizen, Gerste und anderen Feldfrüchten gefüllt, in Reihen standen. Er legte die Blume, die er in der Hand hielt, auf ein Faß und steckte sich seinen Brotsack voll Erbsen, die ihm ein willkommenes Gericht abgeben sollten. Als er sich genug und sehr verwundert in dem Gewölbe umgeschaut, schickte er sich an herauszugehen, da hörte er plötzlich eine Stimme laut rufen: Vergiß das Beste nicht! Darüber erschrickt der Kützenmacher so sehr, daß er eilend herausspringt, und hinter ihm schließt sich mit Donnerkrachen der Bergeseingang und schießt jählings ein schwarzer Hund her. Voll Angst schüttet der Mann seinen Sack mit Erbsen wieder aus, und der Hund frißt sie alle auf und bleibt zurück. Zu Hause angelangt, klingelt noch etwas im Sack. Er schüttelt ihn aus, und es rollen einige goldne Erbsen auf die Diele. Hätte er die Blume nicht im Berge vergessen, konnte er überreich werden.

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775. Die Schwerbeladenen

775. Die Schwerbeladenen

Unter der Stoffelskuppe, auch einer basaltgekrönten Erhebung zwischen der Rhön und dem Werratale, ist es nicht sicher; eine große Blöße heißt die Kuheller; dort hüten die Roßdorfer Hirten. Eines Abends wandelte der Roßdorfer Schulze über diese Bergestrift, da erblickte er auf der Waldblöße im Dämmerlicht zwei dunkle Männer, die in einiger Entfernung voneinander gleichmäßig schritten, war froh, Gesellschaft zu finden, und näherte sich ihnen eilend. Jetzt entdeckte sein Auge, daß die beiden Männer einen übergroßen und mächtigen, baumartigen Balken auf ihren Schultern trugen, unter dessen Last beide fast erlagen, und daß kaum zu begreifen war, wie ihrer zwei eine so entsetzliche Last zu tragen vermochten. Das wunderte den Mann gar sehr, daß in so später Stunde an so einsamer Stelle noch jemand also bemüht war, und er rief die Tragenden an mit lautem: Hollah! Wer seid ihr? Wohinaus? – Die Männer hörten ihn nicht und antworteten ihm nicht. Noch einmal rief er: Wer seid ihr, worauf geht ihr zu? – Tiefes Schweigen. Nun rief der Schulze zum drittenmal noch lauter: Heda, ihr Männer? Wo wollt ihr hin? – Da scholl gleichzeitig von beiden wie aus einem Mund und mit überaus schrecklicher Stimme die Antwort: Nach Ungnadhausen! – Und die Männer wandelten hin und verschwanden in die Nacht. Dem Frager aber kam ein übermächtiges Grausen an, und er konnte, solange er lebte, welches nicht gar lange mehr war, jenen Ton und jenes Wort nicht vergessen, das wie eine Stimme des Jüngsten Gerichtes erklungen war. Auch andere haben bisweilen jene Schwerbeladenen über die Waldblöße wandeln sehen, doch sich wohl gehütet, sie fragend anzureden.

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776. Die fliegenden Knaben

776. Die fliegenden Knaben

Es war am Ende des siebzehnten Jahrhunderts, als an einem Spätherbsttage drei muntere Knaben ohnweit des Städtchens Lengsfeld und zwischen diesem und dem Baier auf immergrüner Waldwiese eine Anzahl Rinder weideten. Kaum war die Sonne gesunken, die noch ihre letzten goldnen Strahlen auf den hohen nachbarlichen Berg warf, so fachten die Knaben nach ihrer Weise ein Feuer an und stachen Rasen ab, um sich eine Bank zu bauen, auf welcher sie vertraulich und sich am Feuer wärmend sitzen wollten. Wie es nun oft zu geschehen pflegt, daß heitre unbedachte Jugend in lächerliche Wünsche ausbricht, deren Erfüllung schier unmöglich dünkt, so auch hier. Einer sprach: Wäre nur dieses Stück Rasen ein Stück Eisenkuchen! Kaum war dieser Wunsch laut geworden, so trat schon ein unbekannter Mann auf die Trift, begrüßte die jungen Hirten und sprach: Hört, ihr habt Eisenkuchen gewünscht! Hier habt ihr solche, laßt sie euch schmecken! – Und teilte Eisenkuchen unter sie aus. Freudig und begierig ward die Spende angenommen und verzehrt, und der Mann erbot sich, sie täglich mit solchen Kuchen zu erfreuen, wenn er nur wüßte, auf welchem Hutplatz sie immer anzutreffen wären. Die Knaben nannten den Platz, wo sie am nächsten Tage hüten würden, und der Unbekannte hielt sein Wort und brachte das für die Knaben so leckere Mahl am nächsten Abend ihnen wieder. Als das verzehrt und der Mann hinweggegangen war, trat eine alte Frau aus Lengsfeld den Knaben nahe und bat sie, doch einmal mit ihr zu dem nahen Talbrunnen zu gehen, sie wollte ihnen dort etwas zeigen. Die Knaben willfahrten ihr, wurden aber nichts gewahr, als daß die Alte sie mit dem Wasser des Brunnens besprengte und unverständliche Worte dazu murmelte, weshalb sie ihr bald entliefen und mit Gelächter zu ihrer kleinen Herde zurückkehrten und diese wohlgemut nach Hause trieben. Am dritten Tag trafen sich die Knaben frühmorgens auf dem Weg zur Schule, grüßten sich munter, und der eine sprach zu dem andern: Höre, ich fühle mich heute so federleicht, daß ich meine, ich müßte fliegen können, wie ein Vogel! – Ich auch, ich auch! riefen die beiden andern, und da hoben alle drei die Arme empor und flogen. Sie flogen auf die kleine runde Mauer, die den Marktplatz umzog, und über dieser gegenseitig hin und her, zum größten Erstaunen aller ihrer indes sich zahlreich versammelnden Schulkameraden. Die Kunde dieses wunderbaren Ereignisses durchdrang mit Blitzesschnelle das Städtchen und kam auch zuletzt zu den Ohren des Kantors, der nach beendigter Schulstunde die drei Knaben aufrief, ihre Kunst auch in der geräumigen Schulstube zu üben. Sie traten auf den Tisch und flatterten von ihm herab und schwebten auf und nieder. Den Kantor überfällt ein Grausen, und er entsendet eilig einen Boten zum Oberpfarrer und Inspektor und läßt den geistlichen Hirten bitten, zur Schule sich zu bemühen und selbst Zeuge eines nie erhörten Wunders zu sein. Der Geistliche kommt und staunt und nimmt die Knaben scharf in das Verhör, denn er wittert Satans Trug und Tücke. Diese erzählen treuherzig alles, was sich mit ihnen begeben, und fügen noch dieses hinzu: In der vergangenen Nacht machten wir uns den Spaß und setzten uns zu dritt auf einen Schimmel, der in unsers Nachbars Scheuer stand. Kaum spürte uns das Pferd, so setzte sich’s gegen unsern Willen in Trab und brachte uns an einen Ort, allwo es uns sehr wohl gefiel; dann brachte es uns wieder nach Hause, und darauf fühlten wir uns so leicht. – Der Oberpfarrer ging bestürzt hinweg, um dem Gerichte Anzeige zu tun, damit dieses sich der sicherlich Behexten bemächtige und ihnen den Prozeß mache, denn fliegen zu können schien ihm ein arges Verbrechen.

Mittlerweile kamen die Knaben arg- und sorglos und ihrer Fliegekraft froh nach Hause, den Ihrigen das Wunder selbst zu verkündigen oder zu bestätigen. Der Vater des einen Knaben war der Scharfrichter, hieß Michael Weber, erzürnte sich sehr über die Kunde, die er schon vernommen, glaubte, sein Kind sei ein Teufelsbündner, und beschloß, den Sohn zu opfern. Daher schwang er, als dieser vor ihn trat, das Richtschwert und schlug ihm das Haupt ab. Zwei weiße Ströme Milch sprangen statt des Blutes zur Decke, und dem Scharfrichter entsank das Schwert.

Die zwei andern fliegenden Knaben, als sie das gesehen, hoben sich auf und davon, und niemand hat sie jemals wieder erblickt, und so kam keine Aufklärung über den tiefrätselhaften Vorfall zutage. Er ward vergessen, verklang zur Sage, und nur der Brunnen, wo das alte Weib die Knaben besprengt, heißt von jener Zeit an der Hexenbrunnen.

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