Morgengebet

Morgengebet

              O wunderbares, tiefes Schweigen,
Wie einsam ists noch auf der Welt!
Die Wälder nur sich leise neigen,
Als ging‘ der Herr durchs stille Feld.

Ich fühl mich recht wie neu geschaffen,
Wo ist die Sorge nun und Not?
Was mich noch gestern wollt erschlaffen,
Ich schäm mich des im Morgenrot.

Die Welt mit ihrem Gram und Glücke
Will ich, ein Pilger, frohbereit
Betreten nur wie eine Brücke
Zu Dir, Herr, übern Strom der Zeit.

Und buhlt mein Lied, auf Weltgunst lauernd,
Um schnöden Sold der Eitelkeit:
Zerschlag mein Saitenspiel, und schauernd
Schweig ich vor Dir in Ewigkeit.

Joseph Freiherr von Eichendorff

Der Umkehrende

Es wandelt was wir schauen,

Tag sinkt ins Abendrot,

die Lust hat eignes Grauen,

und alles hat den Tod.

Ins Leben schleicht das Leiden

Sich heimlich wie ein Dieb,

wir alle müssen scheiden

von allem was uns lieb.

Was gäb‘ es doch auf Erden,

wer hielt den Jammer aus,

wer möchte geboren werden,

hieltst du nicht droben haus!

Du bist’s, der , was wir bauen,

mild über uns zerbricht,

daß wir den Himmel schauen –

darum so klag‘ ich nicht.

Lockung

Lockung

        Hörst du nicht die Bäume rauschen
Draußen durch die stille Rund?
Lockts dich nicht, hinabzulauschen
Von dem Söller in den Grund,
Wo die vielen Bäche gehen
Wunderbar im Mondenschein
Und die stillen Schlösser sehen
In den Fluß vom hohen Stein?

Kennst du noch die irren Lieder
Aus der alten, schönen Zeit?
Sie erwachen alle wieder
Nachts in Waldeseinsamkeit,
Wenn die Bäume träumend lauschen
Und der Flieder duftet schwül
Und im Fluß die Nixen rauschen –
Komm herab, hier ists so kühl.

Dichterlos

DICHTERLOS

Für alle muß vor Freuden
Mein treues Herze glühn,
Für alle muß ich leiden,
Für alle muß ich blühn,
Und wenn die Blüten Früchte haben,
Da haben sie mich längst begraben.

(Joseph von Eichendorff)

Zorn

Zorn

1810

            >Seh ich im verfallnen, dunkeln
Haus die alten Waffen hangen,
Zornig aus dem Roste funkeln,
Wenn der Morgen aufgegangen,

Und den letzten Klang verflogen,
Wo im wilden Zug der Wetter,
Aufs gekreuzte Schwert gebogen,
Einst gehaust des Landes Retter;

Und ein neu Geschlecht von Zwergen
Schwindelnd um die Felsen klettern,
Frech, wenns sonnig auf den Bergen,
Feige krümmend sich in Wettern,

Ihres Heilands Blut und Tränen
Spottend noch einmal verkaufen,
Ohne Klage, Wunsch und Sehnen
In der Zeiten Strom ersaufen;

Denk ich dann, wie du gestanden
Treu, da niemand treu geblieben:
Möcht ich, über unsre Schande
Tiefentbrannt in zorngem Lieben,

Wurzeln in der Felsen Marke,
Und empor zu Himmels Lichten
Stumm anstrebend, wie die starke
Riesentanne, mich aufrichten.

So oder so

So oder so

      Die handeln und die dichten,
Das ist der Lebenslauf,
Der eine macht Geschichten,
Der andre schreibt sie auf,
Und der will beide richten;
So schreibt und treibt sichs fort,
Der Herr wird alles schlichten,
Verloren ist kein Wort.

Der neue Rattenfänger

Der neue Rattenfänger

              Juchheisa! Und ich führ den Zug
Hopp über Feld und Graben.
Des alten Plunders ist genug,
Wir wollen neuen haben.

»Was! Wir gering? Ihr vornehm, reich?
Planierend schwirrt die Schere,
Seid Lumps wie wir, so sind wir gleich,
Hübsch breit wird die Misere!

Das alte Lied, das spiel ich neu,
Da tanzen alle Leute,
Das ist die Vaterländerei,
O Herr, mach uns gescheute! –

Wandernder Dichter

Joseph von Eichendorff

Ich weiß nicht, was das sagen will!
Kaum tret ich von der Schwelle still,
Gleich schwingt sich eine Lerche auf
Und jubiliert durchs Blau vorauf.

Das Gras ringsum, die Blumen gar
Stehn mit Juwelen und Perln im Haar,
Die schlanken Pappeln, Busch und Saat
Verneigen sich im größten Staat.

Als Bot‘ voraus das Bächlein eilt,
Und wo der Wind die Wipfel teilt,
Die Au verstohlen nach mir schaut,
Als wär sie meine liebe Braut.

Ja, komm ich müd ins Nachtquartier,
Die Nachtigall noch vor der Tür
Mir Ständchen bringt, Glühwürmchen bald
Illuminieren rings den Wald.

Umsonst! Das ist nun einmal so,
Kein Dichter reist inkognito,
Der lustge Frühling merkt es gleich,
Wer König ist in seinem Reich.

Joseph Freiherr von Eichendorff

Der letzte Gruß

Ich kam vom Walde hernieder,

Da stand noch das alte Haus,

mein Liebchen, sie schaute wieder

Wie sonst zum Fenster hinaus.

Sie hat einen andern genommen,

Ich war draußen in Schlacht und Sieg,

Nun ist alles anders gekommen,

Ich wollt‘, es wär‘ wieder erst Krieg.

Am Wege dort spielte ihr Kindlein,

Das glich ihr recht auf ein Haar,

Ich küßt’s auf sein rotes Mündlein:

„Gott segne dich immer dar!“

Sie aber schaute erschrocken

Noch lange Zeit nach mir hin,

Und schüttelte sinnend die Locken,

Und wußte nicht wer ich bin.

Da droben hoch stand ich am Baume,

Da rauschten die Wälder so sacht,

Mein Waldhorn, das klang wie im Traume

Hinüber die ganze Nacht.

Und als die Vögelein sangen

Frühmorgens, sie weinte so sehr,

Ich aber war weit schon gegangen,

Nun sieht sie mich nimmermehr!

Mariä Sehnsucht

Mariä Sehnsucht

                Es ging Maria in den Morgen hinein,
Tat die Erd einen lichten Liebesschein,
Und über die fröhlichen, grünen Höhn
Sah sie den bläulichen Himmel stehn.
»Ach, hätt ich ein Brautkleid von Himmelsschein,
Zwei goldene Flüglein – wie flög ich hinein!« –

Es ging Maria in stiller Nacht,
Die Erde schlief, der Himmel wacht‘,
Und durchs Herze, wie sie ging und sann und dacht,
Zogen die Sterne mit goldener Pracht.
»Ach, hätt ich das Brautkleid von Himmelsschein,
Und goldene Sterne gewoben drein!«

Es ging Maria im Garten allein,
Da sangen so lockend bunt Vögelein,
Und Rosen sah sie im Grünen stehn,
Viel rote und weiße so wunderschön.
»Ach hätt ich ein Knäblein, so weiß und rot,
Wie wollt ichs lieb haben bis in den Tod!«

Nun ist wohl das Brautkleid gewoben gar,
Und goldene Sterne im dunkelen Haar,
Und im Arme die Jungfrau das Knäblein hält,
Hoch über der dunkelerbrausenden Welt,
Und vom Kindlein gehet ein Glänzen aus,
Das ruft uns nur ewig: nach Haus, nach Haus!

Joseph Freiherr von Eichendorff

So oder so

Die handeln und die dichten –

Das ist der Lebenslauf,

der eine macht Geschichten,

der andre schreibt sie auf,

und der will beide richten;

so schreibt und treibt sich’s fort,

der Herr wird alles schlichten,

verloren ist kein Wort.

Der verspätete Wanderer

Der verspätete Wanderer

        Wo aber werd ich sein im künftgen Lenze?
So frug ich sonst wohl, wenn beim Hüteschwingen
Ins Tal wir ließen unser Lied erklingen,
Denn jeder Wipfel bot mir frische Kränze.

Ich wußte nur, daß rings der Frühling glänze,
Daß nach dem Meer die Ströme leuchtend gingen,
Vom fernen Wunderland die Vögel singen,
Da hatt das Morgenrot noch keine Grenze.

Jetzt aber wirds schon Abend, alle Lieben
Sind wandermüde längst zurückgeblieben,
Die Nachtluft rauscht durch meine welken Kränze,

Und heimwärts rufen mich die Abendglocken,
Und in der Einsamkeit frag ich erschrocken:
Wo werde ich wohl sein im künftgen Lenze?

Die stille Gemeinde

Die stille Gemeinde

            Von Bretagnes Hügeln, die das Meer
Blühend hell umsäumen,
Schaute ein Kirchlein trostreich her
Zwischen uralten Bäumen.

Das Kornfeld und die Wälder weit
Rauschten im Sonntagsglanze,
Doch keine Glocken klangen heut
Vom grünen Felsenkranze.

Denn auf des Kirchhofs schattigem Grund
Die Jakobiner saßen,
Ihre Pferde alle Blumen bunt
Von den Grabeshügeln fraßen.

Sie hatten am Kreuz auf stiller Höh
Feldflasch und Säbel hangen,
Derweil sie, statt des Kyrie,
Die Marseillaise sangen.

Ihr Hauptmann aber lehnt‘ am Baum,
Todmüde von schweren Wunden,
Und schaute wie im Fiebertraum
Nach dem tiefschwülen Grunde.

Er sprach verwirrt: »Da drüben stand
Des Vaters Schloß am Weiher,
Ich selbst steckt’s an; das war ein Brand,
Der Freiheit Freudenfeuer!

Ich seh ihn noch: Wie durch den Sturm
Zwischen den feurgen Zungen
Mein stolzer Vater da vom Turm
Sein Banner hat geschwungen.

Und als es war entlaubt vom Brand,
Die Fahn im Wind zerflogen:
Den Schaft als Kreuz nun in der Hand
Teilt‘ er die Flammenwogen.

Er sah so wunderbar auf mich,
Ich konnt ihn nicht ermorden –
Da sank die Burg, er wandte sich
Und ist ein Pfaff geworden.

Seitdem hör ich in Träumen schwer
Von ferne Glocken gehen
Und seh in rotem Feuermeer
Ein Kreuz allnächtlich stehen.

Es sollen keine Glocken gehn,
Die Nächte zu verstören,
Kein Kreuz soll mehr auf Erden stehn,
Um Narren zu betören!

Und dieses Kirchlein hier bewacht,
Sie sollen nicht Messe singen,
Wir reißen’s nieder über Nacht,
Licht sei, wohin wir dringen!« –

Und als die Nacht schritt leis daher,
Der Hauptmann stand am Strande,
So still im Wald, so still das Meer,
Nur die Wachen riefen im Lande.

Im Wind die Glock von selbst anschlug,
Da wollt ein Hauch sich heben,
Wie unsichtbarer Engel Flug,
Die übers Wasser schweben.

Nun sieht er auch im Meere fern
Ein Lichtlein hell entglommen;
Er dacht, wie ist der schöne Stern
Dort in die Flut gekommen?

Am Ufer aber durch die Nacht
In allen Felsenspalten
Regt sich’s und schlüpft es leis und sacht,
Viel dunkle, schwanke Gestalten.

Nur manchmal von den Buchten her
Schallt Ruderschlag von weitem,
Auf Barken lautlos in das Meer
Sie nach dem Stern hin gleiten.

Der wächst und breitet sich im Nahn
Und streift mit Glanz die Wellen,
Es ist ein kleiner Fischerkahn,
Den Fackeln mild erhellen.

Und einsam auf des Schiffleins Rand
Ein Greis kommt hergezogen
In wunderbarem Meßgewand
Als wie der Hirt der Wogen.

Die Barken eine weite Rund
Dort um den Hirten machen,
Der laut nun überm Meeresgrund
Den Segen spricht im Nachen.

Da schwieg der Wind und rauscht‘ das Meer
So wunderbare Weise,
Und auf den Knien lag ringsher
Die stille Gemeinde im Kreise.

Und als er das Kreuz hob in die Luft,
Hoch zwischen die Fackeln trat er –
Den Hauptmann schauert im Herzensgrund,
Es war sein alter Vater.

Da taumelt‘ er und sank ins Gras
Betend im stillen Grunde,
Und wie Felsenquellen im Frühling brach
Sein Herzblut aus allen Wunden.

Und als die Gesellen kommen zum Strand,
Einen toten Mann sie finden –
Voll Graun sie sprengen fort durchs Land,
Als jagt‘ sie der Tod in den Winden.

Die stürzten sich in den Krieg so weit,
Sie sind verweht und zerstoben,
Das Kirchlein aber steht noch heut
Unter den Linden droben.

Erinnerung

Joseph von Eichendorff

Lindes Rauschen in den Wipfeln,
Vöglein, die ihr fernab fliegt,
Bronnen von den stillen Gipfeln,
Sagt, wo meine Heimat liegt?

Heut im Traum sah ich sie wieder,
Und von allen Bergen ging
Solches Grüßen zu mir nieder,
Daß ich an zu weinen fing.

Ach, hier auf den fremden Gipfeln:
Menschen, Quellen, Fels und Baum,
Wirres Rauschen in den Wipfeln, –
Alles ist mir wie ein Traum.

Die fernen Heimathöhen,
Das stille, hohe Haus,
Der Berg, von dem ich gesehen
Jeden Frühling ins Land hinaus,
Mutter, Freunde und Brüder,
An die ich so oft gedacht,
Es grüßt mich alles wieder
In stiller Mondesnacht.

Bei Halle

Bei Halle

        Da steht eine Burg überm Tale
Und schaut in den Strom hinein,
Das ist die fröhliche Saale,
Das ist der Gibichenstein.

Da hab ich so oft gestanden,
Es blühten Täler und Höhn,
Und seitdem in allen Landen
Sah ich nimmer die Welt so schön!

Durchs Grün da Gesänge schallten,
Von Rossen, zu Lust und Streit,
Schauten viel schlanke Gestalten,
Gleichwie in der Ritterzeit.

Wir waren die fahrenden Ritter,
Eine Burg war noch jedes Haus,
Es schaute durchs Blumengitter
Manch schönes Fräulein heraus.

Das Fräulein ist alt geworden,
Und unter Philistern umher
Zerstreut ist der Ritterorden,
Kennt keiner den andern mehr.

Auf dem verfallenen Schlosse,
Wie der Burggeist, halb im Traum,
Steh ich jetzt ohne Genossen
Und kenne die Gegend kaum.

Und Lieder und Lust und Schmerzen,
Wie liegen sie nun so weit –
O Jugend, wie tut im Herzen
Mir deine Schönheit so leid.