Vorbemerkung.

Der erste der drei Essays dieses Buches erschien unter dem Titel »The soul of man under socialism« im Februar 1891 im »Fortnightly Review«. – Man wird nun, wo dieser verschollene Essay wieder ans Licht kommt, verstehen, warum die englische Gesellschaft diesen genialen Mann, der einst ihr verhätschelter Liebling war, solange seine schönheitshungerige Seele mit ihnen zu spielen schien, später so tötlich haßte und so infam ins Elend stieß. Die Rache der Sklaven ist schrecklich, die Rancune der Herren aber ist unsäglich. Eine Einsicht, die einem oft verwandten Geiste, Friedrich Nietzsche, vielleicht nicht gefehlt hätte, wenn er nicht bloß Deutscher, sondern sogar Engländer gewesen wäre.

Zweitens folgt ein offener Brief, den Wilde im Jahre 1897, bald nach seiner Entlassung aus dem Zuchthause zu Reading, an den Herausgeber des »Daily Chronicle« richtete. Sein Inhalt berührt sich mit bestimmten Stellen des vorhergehenden Essays, so daß er hier an seinem Platze schien. Die Übersetzung erschien zuerst 1897.

Der dritte Essay entstammt einem 1882 in Philadelphia erschienenen Gedichtebuch: Rose-leaf and Apple-leaf von Rennell Rodd. O. W. schrieb unter dem Titel L’Envoi (Zueignung) dazu eine Einführung. Da sie hier selbständig erscheint und die Kunstauffassung Wildes zum erstenmal und in entscheidender Form ausspricht, schien der von uns gewählte Titel – der also nicht von Wilde stammt – angemessen.

G. L.

Walther und Hildegund

Als Etzel, der König der Hunnen, mit seinen Heerscharen die Völker unter seine Macht zwang, stellten viele Könige ihm Geiseln, damit er ihr Land verschone. So gab Gibich, der Frankenkönig zu Worms am Rhein, den adeligen Knaben Hagen von Tronje zugleich mit vielen Schätzen als Unterpfand ins Land der Hunnen; in Châlons lieferte der Burgundenkönig Herrich sein Töchterchen Hildegund als Geisel an Etzel aus, und auch der König der Goten, Alpherr von Aquitanien, erkaufte sich den Frieden seines Landes, indem er seinen jungen Sohn Walther an den Hunnenhof sandte. Walther und Hildegund waren nach dem Willen der Eltern miteinander verlobt.

König Etzel und seine Frau Helche hielten die Geiseln in Ehren.

Die jungen Menschen führten in der Verbannung ein Dasein voller Lebensfreude, das nur durch die Trennung von der Heimat getrübt war. Hagen und Walther wuchsen zu kräftigen Männern heran, und die Erziehung, die Etzel ihnen angedeihen ließ, machte sie zu streitbaren Recken, bald übertrafen sie des Königs Mannen an Kraft und Kühnheit, und in den wilden Kriegen, die Etzel zu führen hatte, taten sie sich durch Tapferkeit und Klugheit hervor. Hildegund erblühte zu einer schönen Jungfrau, und in allen Frauenarbeiten zeigte sie sich so geschickt, daß Königin Helche ihr bald volles Vertrauen schenkte und ihr die Verwaltung der Schatzkammer übertrug.

In jener Zeit starb König Gibich in Worms. Auf dem Throne folgte ihm sein Sohn Gunther, der zur Zeit des Hunneneinfalls noch ein Kind gewesen war. Da wollte Hagen von Tronje nicht Iänger als Geisel bei König Etzel bleiben. Heimlich entwich er vom Hunnenhofe und erreichte glücklich den Rhein und die Heimat.

»Wir müssen verhindern, daß auch Walther flüchtet«, sagte Etzel zu seiner Gemahlin, und um ihn zu binden, versuchten sie ihn mit einer hunnischen Fürstentochter zu vermählen. Doch Walther wich diesem Anerbieten klug aus.

Als er bald darauf ruhmbedeckt von einem Kriegszuge heimkehrte, traf er Hildegund einmal allein in ihrem Gemach. Da gestanden sich beide ihre Liebe und gelobten sich die Treue. Und von nun an suchten auch sie die Gelegenheit zur Flucht.

Auf einem Festmahl, zu dem Walther das Königspaar und die hunnischen Fürsten eingeladen hatte, setzte er seinen Gästen so viel schweren Wein vor, daß bald alle Hunnen in tiefen Schlaf sanken. Währenddessen hatte Hildegund auf Walthers Geheiß zwei große Kästen mit goldenen Armringen und Edelsteinen aus der Schatzkammer gefüllt und sich zur Flucht aus Etzels Burg gerüstet.

Walther hängte beide Kästen seinem starken Roß, das Hildegund führte, über den Rücken. In der Hand trug sie Angel und Leimrute, die ihnen auf dem langen Wege die Nahrung liefern sollten. Heimlich verließen die beiden den Königspalast. Walther, der Etzels kostbare Rüstung angelegt hatte, schritt voraus. Und so gefürchtet war der junge Held unter den Hunnen, daß keiner von ihnen den Flüchtigen nachzureiten wagte.

Durch einsame Wälder führte der Weg das Paar dem fernen Ziel entgegen. Vom Wildbret, das der Recke erlegte, und von Fischen fristeten Walther und Hildegund das Leben. Nach vierzig Tagen gelangten sie auf ihrer Flucht endlich an den Rhein und in die Nähe von Worms. Dem Fährmann, der sie übersetzte, gab Walther zur Entlohnung zwei Fische, die er unterwegs gefangen hatte.

Andern Tags verkaufte der Mann seinen Fergensold am Königshofe zu Worms, und verwundert über die seltsame Speise fragte König Gunther beim Mahle nach der Herkunft der fremdartigen Fische. So erfuhr er von dem riesigen Recken und der schönen Jungfrau, die der Fährmann übergesetzt hatte. »Bei jedem Tritt des Rosses«, erzählte der Ferge, »erklang es in den Truhen wie von Gold und Edelsteinen!« »Das kann nur mein Blutsbruder Walther sein, der aus dem Hunnenlande mit Hildegund in die Heimat zurückkehrt«, rief Hagen froh, als er das hörte. König Gunther aber empfand eine Freude anderer Art. »Nun ist durch Schicksalsfügung der Schatz, den mein Vater einst ins Hunnenland gesandt hat, in mein Reich zurückgekehrt!« rief er, und sogleich wählte er zwölf seiner Recken aus, die ihm helfen sollten, dem Heimkehrer das Gold abzujagen. Vergeblich riet Hagen ab und warnte vor Walthers Reckenkraft; voller Betrübnis zog er mit aus zum Kampf gegen seinen alten Waffengefährten.

Unterdessen war Walther in den wilden Wasgenwald gelangt, der jenseits des Rheins liegt. Am Wasgenstein, in einer Schlucht, die so eng war, daß nicht zwei nebeneinander reiten konnten, gedachte er zu rasten. Auf der langen Flucht hatte Walther nie anders geschlafen als gewappnet und gestützt auf seinen Schild. Jetzt tat er die schwere Rüstung ab und legte sein Haupt in Hildegunds Schoß, und die Jungfrau wachte für ihn.

Doch schon nach kurzer Zeit mußte sie seinen Schlaf stören; denn in der Ferne bemerkte sie eine Staubwolke und den blinkenden Schein von Waffen. Schnell legte Walther seine Waffenrüstung wieder an und trat vor den Eingang der Schlucht.

Gunther folgte Hagens Rat und schickte zunächst einen Boten hinüber, ließ nach Namen und Weg fragen und an den jungen Recken die Forderung stellen, den Schatz freiwillig herauszugeben. Vergebens bot Walther hundert Goldringe und noch weitere hundert als Lösegeld, Gunther forderte den ganzen Schatz. Da ergrimmte Walther und tötete den Boten.

So kam es zum Kampf. In der engen Schlucht mußte einer nach dem andern gegen Walther anreiten; doch niemand war seiner Heldenkraft gewachsen. Alle elf Streiter, die König Gunther zur Verfolgung mitgenommen hatte, erschlug Walther mit dem Schwert.

Da wandte sich Gunther in seinem Zorn an Hagen, der sich vom Kampfe gegen seinen alten Waffenfreund ferngehalten hatte. Erst als der von Tronje vernahm, daß sein eigener Neffe von Walther erschlagen sei, war er zum Kampfe bereit.

»Wir müssen ihn aus der schützenden Schlucht hervorlocken«, sagte er, und so ritt er mit Gunther fort, um sich mit ihm auf die Lauer zu legen.

Unterdessen war es Abend geworden. »In Worms soll man mir nicht nachsagen, ich sei wie ein Dieb in der Nacht entwichen«, stieß Walther grimmig hervor, legte einen Zaun von Dornen vor den Eingang der Schlucht und halfterte die erbeuteten Rosse an. Todmüde nach dem schweren Kampfe warf sich der Recke auf seinen Schild, und Hildegund wachte über seinem Schlaf. Nachdem Walther sich ausgeruht hatte, übernahm er die Wache für den Rest der Nacht.

Als der Morgen dämmerte, belud er vier der erbeuteten Rosse mit den Waffenrüstungen der Erschlagenen, hob Hildegund auf das fünfte und ritt mit ihr davon. Aber sie waren noch nicht weit vom Wasgenstein entfernt, als sie Gunther und Hagen heranstürmen sahen. »Reite in den Wald«, gebot der Held der verängstigten Hildegund und gab ihr das Roß mit, das die Goldschreine aus dem Hunnenlande trug. Dann stellte er sich den beiden Angreifern zum Kampf.

Traurig sah Walther seinen alten Blutsbruder gegen sich anreiten, und auch Hagen ging schweren Herzens in diesen Streit; doch er mußte seinem König Folge leisten. Mehr als sieben Stunden währte nun der ungleiche Kampf, den Walther gegen die beiden Helden zu bestehen hatte. Schließlich schleuderte er seinen Speer mit unwiderstehlicher Gewalt auf Hagen, und gleich darauf stürzte er sich mit dem Schwert auf Gunther und schlug ihm das Bein von der Hüfte. Schon wollte er zum Todesstreich ausholen, da warf Hagen sich vor seinen König. In dem wütenden Schlagwechsel zersprang Walthers Schwert, und Hagen hieb ihm die rechte Hand ab. Mit der Linken griff Walther zu seinem krummen Hunnenschwert und schlug dem Tronjer ein Auge und sechs Zähne aus.

Da waren die drei grimmigen Recken kampfesmüde und ließen die Waffen ruhen, gemeinsam verbanden Hagen und Walther den schwerverwundeten Gunther. Hildegund, die herbeigeeilt war, reichte ihnen Wein zu Stärkung. Die Kämpfer schlossen Frieden miteinander, und Walther und Hagen erneuerten bei labendem Trunk und grimmigen Scherzen die alte Waffenbrüderschaft, bevor sie sich trennten. Gunther und Hagen kehrten in die Königsstadt am Rhein zurück, während Walther sich nach Süden wandte.

Bald nach der Rückkehr in die Heimat feierte Walther Hochzeit mit der schönen Hildegund, und nach seines Vaters Tode lenkte er sein Volk noch viele Jahre als König von Aquitanien mit Weisheit und Kraft.

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Wieland der Schmied

In Seeland am Ostmeer lebte einstmals der Riese Wate, der aus königlichem Geschlecht stammt, seine Mutter Waghilde aber war eine Meerfrau. Wate besaß drei starke Söhne. Die beiden älteren, Slagfider und Egil, wurden Krieger; Wieland, den jüngsten, aber tat der Vater in die Handwerkslehre, damit er ein tüchtiger Schmied werde. Mime, der berühmte Meister in Nordland, unterwies den geschickten Knaben drei Jahre, und nachdem Wieland lange bei kunstfertigen Zwergen gearbeitet hatte, galt er im Lande als ein unübertrefflicher Meister seines Handwerks.

Mit seinen beiden Brüdern zog Wieland in die Einsamkeit; sie hausten gemeinsam am Wolfsee in einem Tal, das ihnen bei Jagd und Fischfang alles Nötige zum Leben bot. Eines Tages gewahrten sie über dem See drei Schwäne, die sich herabsenkten. Als die Schwäne das Ufer des Sees erreicht hatten, warfen sie ihr Federkleid ab und standen da als drei wunderschöne Jungfrauen. Es waren Walküren.

In schnellem Entschluß schlichen die drei Brüder hinzu und nahmen die Schwanenhemden an sich. So hatten sie die Jungfrauen, die sich ohne Hemden nicht verwandeln konnten, in ihrer Gewalt; die Walküren mußten in Menschengestalt bei den Brüdern bleiben, und diese vermählten sich mit ihnen.

Sieben Jahre lebten die drei Paare in ungetrübtem Glück, und die Brüder ahnten nicht, wie sehr sich die Walküren nach ihrem früheren Leben zurücksehnten. Wielands Weib Herwör schenkte ihrem Gatten einen kostbaren Ring, der die Kraft haben sollte, ewige Liebe zu erhalten. Der kunstfertige Mann schmiedete nach diesem Muster andere und reihte sie alle auf eine Schnur.

Eines Tages aber, als die Brüder von der Jagd heimkehrten, war das Haus leer. Die drei Frauen hatten ihre Federhemden, die ihre Gatten vor ihnen versteckt gehalten hatten, gefunden und waren davongeflogen. Da zogen Wielands Brüder bekümmert in die Welt hinaus, um die verlorenen Geliebten zu suchen; Wieland aber blieb zurück, denn er vertraute auf die Kraft des Ringes.

Nidung, der König der Njaren, hörte von Wielands Kunstfertigkeit und sann darauf, ihn sich dienstbar zu machen und seinen Reichtum zu gewinnen. Heimlich ließ er Wieland in seinem einsamen Hause gefangennehmen.

Er raubte den Ring der Schwanenjungfrau samt den Kostbarkeiten und entführte Wieland in sein Reich.

Zornbebend fügte sich dieser der Gewalt.

»Hüte dich vor seiner Rache! Sieh nur, wie seine Augen glühen!,« raunte die Königin ihrem Gatten zu. »Zerschneide ihm die Sehnen, damit er nicht entfliehen kann.«

Da folgte König Nidung dem heimtückischen Rat seiner Frau und ließ den Unglücklichen auf eine nahe Insel bringen. Lange dauerte es, bis die schrecklichen Wunden heilten. »Nun wirst du deine Kunstfertigkeit zeigen«, sagte der König, »und für mich alles schmieden, was in deinen Kräften steht.«

Tagsüber stand der einst kraftvolle, nun verkrüppelte Mann am Amboß und mußte für den König arbeiten; doch im Schutze der Nacht schuf er ein Werk, das noch keinem Menschen gelungen war: ein Federkleid, das ihn befähigte, sich in die Luft zu erheben.

Eines Morgens kamen die beiden jungen Königssöhne, ohne daß es jemand wußte, auf Wielands Insel, um seine Werkstatt anzusehen. Nun fand der so schändlich Verstümmelte endlich die Gelegenheit zur Rache. Er erschlug die beiden Knaben und warf sie in die Grube unter der Esse. Mit den Schädeln aber vollbrachte er ein grausiges Werk. Er faßte sie in Silber und fertigte Trinkschalen daraus, die er König Nidung zum Geschenk machte.

Bald darauf geschah es, daß die Königstochter Bathild den Ring der Herwör, den sie als ihren schönsten Schmuck trug, aus Unachtsamkeit zerbrach. Niemand anders als Wieland konnte, wie sie wohl wußte, das Kleinod wiederherstellen, und so vertraute sie sich aus Furcht vor des Vaters Zorn dem kunstfertigen Schmiede an. Mit heuchlerischer Freundlichkeit empfing Wieland die schöne Bathild und beschwichtigte ihre Sorge. Dann betörte er die Königstochter mit einem Zaubertrank, daß sie zu heimlichem Ehebund mit ihm bereit war.

Damit sah Wieland seine Rache erfüllt. Während die verführte Königstochter weinend sein Haus verließ, schlüpfte er in sein Federkleid und flog auf König Nidungs Burg. Auf der höchsten Zinne ließ er sich nieder.

»Wie? Bist du ein Vogel geworden?« rief Nidung aus, als er den Schmied mit Entsetzen dort oben gewahrte. Er ahnte jetzt, wer ihn seiner Söhne beraubt hatte.

Aber bevor Wieland ihm auf seine Frage die letzte Gewißheit gab, ließ er den König schwören: »Bei Schildes Rand und Rosses Bug, bei Schwertes Schärfe und Schiffes Bord sollst du mir geloben, daß nicht Wielands Weib noch seinem Kind ein Leid geschieht!«

König Nidung leistete den Eid, und nun ließ Wieland ihn das Schicksal seiner Söhne wissen. »Verstehst du nun, was es mit den silbernen Trinkbechern auf sich hat?« rief er mit Hohnlachen. »Da du einen Eid geschworen hast«, fügte er hinzu, »sollst du auch wissen, daß deine Tochter heimlich mein Weib geworden ist und dir einen Enkel schenken wird!«

Diese Nachricht dünkte den stolzen König die schwerste Schmach. In ohnmächtigem Zorne richtete er die Waffe auf den Schmied, der sich so grausam an ihm gerächt hatte; doch kein Pfeil erreichte den flügelbewehrten Wieland, der sich in die Lüfte hob und in den Wolken entschwand.

Das ist die Sage von Wieland dem Schmied. Sein Sohn, den die Königstochter gebar, wurde Witege genannt. Als Witege groß und stark geworden war, sandte ihn seine Mutter Bathild in die Ferne zu seinem Vater, der ihn freundlich aufnahm und in allen Fertigkeiten unterwies, deren ein Held bedurfte, um in Ehren zu bestehen.

In einer prächtigen Rüstung, die sein Vater ihm geschmiedet hatte, zog Witege in die Welt hinaus und wurde später Kampfgefährte des Helden Dietrich von Bern, dessen Tatenruhm schon damals die Lande erfüllte.

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Sigfrid und Kriemhild

Am Hofe zu Worms

Im Lande der Burgunden zu Worms am Rhein herrschte König Gunther mit seinen Brüdern Gernot und Giselher, sie hatten eine Schwester namens Kriemhild, die mit ihrer Mutter Ute am Hofe lebte. Viele Helden warben um die schöne Kriemhild; doch sie wies alle ab, weil sie durch Liebe niemals Leid erfahren wollte, wie ihr ein Traum verkündet hatte.

Damals lebte zu Xanten am Niederrhein Sigfrid, der Sohn des Königs Sigmund. Schon in früher Jugend hatte der junge Held sich durch Kühnheit und Kraft Tatenruhm erworben. Einen giftigen Drachen hatte er im Kampfe besiegt, und als er in dessen Blute badete, war seine Haut hörnern geworden, so daß nun keine Waffe ihn verwunden konnte. Dem Zwergenvolke der Nibelungen hatte er einen unermeßlichen Schatz an Gold und Edelsteinen abgewonnen, und in diesem Kampfe hatte er auch eine Tarnkappe erbeutet, die ihn unsichtbar machte, dazu das herrliche Schwert Balmung.

Als Sigfrid nun von der schönen Kriemhild hörte, hielt es ihn nicht länger mehr an des Vaters Hof. Mit zwölf seiner Kampfgefährten zog er nach Worms am Rhein, um die liebliche Jungfrau zum Weibe zu gewinnen.

Als sie vor die Königsburg kamen, erkannte niemand in Gunthers Gefolge weder die Mannen noch ihren Führer. Da ließ König Gunther den weitgereisten Hagen kommen, doch auch der wußte nicht, wer die Ankömmlinge seien. »Ich möchte wohl glauben, daß es Sigfrid ist«, meinte er schließlich, »der Held aus Niederland, der die Söhne des Zwergenkönigs Nibelung erschlagen hat und den Nibelungenhort besitzt. Ich rate, wir sollten ihn gut empfangen.«

In Ehren nahm man die Gäste auf, und Sigfrid blieb ein Jahr am Hofe zu Worms. Doch die Jungfrau, um deretwillen er gekommen war, bekam er nicht zu Gesicht. Kriemhild aber blickte oft heimlich aus dem Fenster ihres Gemachs, wenn die Recken auf dem Burghofe ihre Kampfspiele trieben, und lobte in vertrautem Kreise den herrlichen Helden.

Sigfrid war gern gesehen bei jedermann am Burgundenhofe, und die Gastfreundschaft, die man ihm erwies, entgalt er nach Reckenart, indem er dem König auf seinen Kriegszügen Beistand leistete. Als die Könige von Sachsen und Dänemark das Land der Burgunden bedrohten, verdankte Gunther seinen Sieg allein seinem starken Gast vom Niederrhein, der beide feindliche Könige nach heißem Zweikampf gefangennahm.

Als Gunther nach Sigfrids Rückkehr ein prächtiges Fest zur Feier des Sieges veranstaltete, war auch Kriemhild anwesend.

Zum erstenmal sah Sigfrid die schöne Jungfrau, der sein ganzes Sehnen galt. Als sie an der Hand ihrer Mutter, der Königin Ute, geleitet von ihren Jungfrauen und hundert Mannen, in den Festsaal trat, verneigte sich Sigfrid in tiefer Ehrerbietung vor den Frauen. Nie in seinem Leben hatte Sigfrid solche Freude empfunden wie in diesem Augenblick, da er Kriemhild an seiner Hand führen durfte und mit ihr durch den Palast schritt.

Die Fahrt nach Island

Fern über der grauen See, auf der Insel Island, wohnte die schöne Königin Brunhild. Viele begehrten ihre Liebe und freiten um sie, doch Brunhild stellte harte Bedingungen. Wer sich mit ihr vermählen wollte, mußte sie dreifach besiegen: im Speerwurf, im Steinschleudern und im Sprung. Wer auch nur in einem dieser Wettkämpfe unterlag, hatte sein Leben verwirkt.

König Gunther wünschte nichts sehnlicher, als die begehrenswerte Königin zum Weibe zu gewinnen. »Wenn du mir beistehst, sie zu erringen«, sagte er zu Sigfrid, »so werde auch ich Leben und Ehre für dich wagen.« Da antwortete Sigfrid: »Die Fahrt zur Königin Brunhild will ich mit dir wagen, so du mir deine Schwester Kriemhild zum Weibe gibst. Anderen Lohn begehre ich nicht!« Da gelobte ihm Gunther die schöne Kriemhild zur Frau, wenn Brunhild als Königin ins Burgundenland einzöge.

Nur der starke Hagen und sein Bruder Dankwart fuhren als Begleiter mit, als Gunther und Sigfrid das Schiff bestiegen, das sie von Worms den Rhein hinab zu Brunhilds Burg Isenstein führen sollte. Zwölf lange Tage und Nächte fuhren die Weggefährten über See. Als sie endlich an Land gingen, führte Sigfrid des Königs Roß am Zügel, damit man ihn für Gunthers Lehnsmann halte. Sie bestiegen ihre Rosse und ritten, in schwarzen Rüstungen und in prächtiger Wehr, zur Burg. Die Tore wurden ihnen weit aufgetan, und Brunhilds Mannen eilten ihnen entgegen, sie zu empfangen.

Brunhild hieß sie freundlich willkommen. Den kühnen Sigfrid, den sie bereits kannte, begrüßte sie vor König Gunther.

Am nächsten Tage begannen die Kampfspiele. Gunther war nicht stark genug, die schweren Waffen, die Brunhild ihm reichen ließ, zu führen; doch Sigfrid, unsichtbar durch seine Tarnkappe, übernahm den Wettkampf, während Gunther zum Schein die Gebärden ausführte. Mit übermenschlicher Kraft faßte Brunhild den Schild, den vier Männer in die Kampfhahn getragen hatten, nahm den schweren Wurfspeer und schleuderte ihn auf ihren Gegner. Die Waffe drang durch den Schild, so daß Gunther strauchelte und Sigfrid das Blut aus dem Munde brach. Trotzdem ermannte sich Sigfrid sogleich, er faßte den Speer und warf ihn mit solcher Wucht zurück, daß Brunhild zu Boden stürzte.

Doch schnell sprang Brunhild wieder auf die Füße, sie ergriff einen mächtigen Stein und schleuderte ihn an die zwölf Klafter weit, und in voller Waffenrüstung sprang sie über den Wurf hinaus. Doch wieder zeigte sich Sigfrid, unter der Tarnkappe verborgen, ihr überlegen. Er warf den Stein noch weiter als Brunhild und sprang über das Ziel hinaus. Durch die Tarnkappe hatte er die Kraft, König Gunther dabei mit sich zu tragen. Da mußte Brunhild sich besiegt bekennen. »Tretet herzu, ihr Mannen«, gebot sie ihren Recken, »und huldigt eurem neuen Herrn!«

So konnte Gunther die stolze Brunhild als seine Gemahlin heimführen, und mit großem Prunk wurde zu Worms die Doppelhochzeit gefeiert. Aber als Brunhild die liebliche Kriemhild beim festlichen Mahle an Sigfrids Seite sitzen sah, vergoß sie bittere Tränen.

»Es betrübt mich sehr«, versetzte sie auf Gunthers Frage, »daß du deine Schwester einem deiner Dienstmannen zur Frau gegeben hast!«

Vergeblich suchte der König sie zu beschwichtigen. Aber nicht eher wollte sie ihm als Gattin angehören, als bis sie genau wüßte, wie alles sich zugetragen habe. Als Gunther am Abend sein Weib umarmen wollte, wehrte sich Brunhild, fesselte ihm mit ihrem Gürtel Füße und Hände und hängte den Wehrlosen an einen starken Nagel hoch an der Wand. Dort mußte er bleiben bis in die Morgenstunden.

Tags darauf erfuhr Sigfrid von der unwürdigen Behandlung, die Gunther hatte auf sich nehmen müssen. »Ich werde dir helfen«, versprach er dem Freunde, und mit Hilfe seiner Tarnkappe stand er Gunther bei, die Widerstrebende zu bezwingen. Er nahm Brunhilds Gürtel und einen Ring, den er ihr heimlich vom Finger zog, mit sich, als er sie verließ.

Nicht lange danach zog Sigfrid mit Kriemhild, seinem jungen Weibe, in seine Heimat nach Xanten am Niederrhein und bestieg den Thron seines Vaters Sigmund.

Der Streit der Königinnen

Zehn Jahre gingen ins Land, Brunhild aber sann über vieles nach.

»Warum leistet Sigfrid, der doch dein Lehnsmann ist, dir keine Dienste?« fragte Brunhild ihren Gatten immer wieder. »Warum weilt er ständig in der Ferne und stellt sich niemals an deinem Hofe ein?« Vergeblich suchte Gunther Ausflüchte.

Um ihren Willen dennoch durchzusetzen, beredete sie den königlichen Gemahl, zur nächsten Sonnenwende ein großes Fest zu bereiten.

Auch Sigfrid und Kriemhild, begleitet von dem greisen Sigmund, folgten der Einladung König Gunthers, zusammen mit vielen Recken ihres Landes. Trotz der Festesfreude aber, die alle erfüllte, sah Brunhild voll Neid auf Sigfrids und Kriemhilds großes Gefolge, und sie wunderte sich, daß ein Lehnsmann König Gunthers zu so großem Ansehen gelangen könne. Unwillig hörte sie Kriemhilds Worte, als beide Königinnen am elften Tage vor dem Vespergottesdienst zusammensaßen.

»Sieh doch nur«, rief Kriemhild glücklich, »wie herrlich Sigfrid vor allen Helden einherschreitet und wie niemand ihm im Kampfe ebenbürtig ist!«

»Er ist doch nur meines Gatten Eigenmann«, unterbrach Brunhild sie, »und deshalb mußt du Gunther den Vorrang geben!«

Kriemhild wollte solchen Vorwurf nicht gelten lassen; immer heftiger wurde der Wortstreit, und die Frauen trennten sich im Zorn. Als die Stunde des Gottesdienstes gekommen war, ging jede der beiden Königinnen, die sonst stets einträchtig beisammen gesehen wurden, allein mit ihren Jungfrauen zum Münster.

»Bleib stehen, Kriemhild!« rief Brunhild scharf. »Ich habe den Vortritt! Die Frau eines Dienstmannes darf niemals vor ihres Königs Gattin gehen!«

Da entbrannte wilder Haß in Kriemhilds Herzen. Sie warf Brunhild vor, nicht Gunther, sondern Sigfrid habe sie bezwungen. In bitteren Tränen stand Brunhild da, während Kriemhild erhobenen Hauptes an ihr vorbei ins Münster schritt.

Nach dem Messedienst verlangte die tiefgekränkte Königin Beweise für Kriemhilds beleidigende Worte. Da zeigte diese ihr Gürtel und Ring, die Sigfrid ihr in der Nacht der Vermählung genommen hatte. Hagen von Tronje aber, der Brunhild weinen sah, suchte seine Herrin zu beruhigen und gelobte, die bittere Schmach, die ihr angetan war, an Sigfrid zu rächen, der das Geheimnis von Gunthers Brautwerbung an seine Gattin preisgegeben hatte.

Falsche Boten, die man bestellt hatte, erschienen in Worms, um neuen Krieg der Dänen und Sachsen anzusagen. Sigfrid erbot sich, mit den Burgunden in den Kampf zu ziehen.

Als das Heer zum Aufbruch bereitstand, begab sich Hagen zu Kriemhild, um Abschied von ihr zu nehmen.

»Laß Sigfrid nicht entgelten, was ich Brunhild angetan habe«, bat ihn die schöne Frau, »Iängst quält mich die Reue.«

Da versprach Hagen, über Sigfrids Leben zu wachen.

»An einer Stelle ist er verwundbar«, sagte Kriemhild in arglosem Vertrauen, und sie verriet Hagen, was sonst niemand wußte. Als Sigfrid sich im Blute des erschlagenen Drachen gebadet hatte, war ihm ein Lindenblatt zwischen die Schultern gefallen, so daß er an dieser Stelle verwundbar blieb, weil nur hier seine Haut nicht hörnern geworden war.

Da bat Hagen die Königin, die verwundbare Stelle durch ein auf das Gewand genähtes Kreuz zu bezeichnen, damit er ihren Gatten recht schützen könne.

Sigfrids Tod

Kaum war Sigfrid mit seinen Mannen zum Kampfe ausgezogen, da kamen neue Boten, die den Krieg widerriefen. Nach der Rückkehr an den Hof zu Worms beschloß man, in den Wasgenwald zu ziehen, um eine große Jagd abzuhalten. Unter Tränen nahm Kriemhild Abschied von dem geliebten Gatten. Sie hatte geträumt, wie zwei wilde Eber Sigfrid anfielen und das Gras sich vom Blute rötete. Sigfrid tröstete die schöne Kriemhild mit freundlichen Worten, umarmte und küßte sie und ritt unbekümmert mit dem Gefolge davon.

Auf der Jagd machte Sigfrid von allen die reichste Beute, er fing sogar mit eigener Hand einen Bären und brachte ihn, als das Horn das Ende der Jagd verkündete, lebend und gefesselt zum Sammelplatz.

Nach den Mühen der Jagd setzte man sich zum Mahle. Speisen in reicher Auswahl standen bereit, doch es fehlte der Trank. Irrtümlich, so sagte Hagen entschuldigend, sei der Wein in den Spessart geschickt worden. »Doch ich weiß hier ganz in der Nähe eine Quelle, die im Schatten einer Linde liegt«, fuhr er fort. »Wollen wir nicht dorthin um die Wette laufen?«

Gunther und Sigfrid waren einverstanden. Wie Panther liefen sie durch den Klee. Sigfrid trug Wehr und Waffen bei sich, und dennoch erreichte er den Brunnen als erster. Doch er trank nicht vor König Gunther. Dem König ließ er den Vortritt. Dann erst beugte er sich selbst über die Quelle, um seinen Durst zu löschen.

Da ergriff Hagen den Speer, den Sigfrid arglos an die Linde gelehnt hatte, und stieß ihn dem Helden in den Rücken.

Mit Bedacht traf er ihn genau an der Stelle, die Kriemhild durch das aufgenähte Kreuz kenntlich gemacht hatte.

Das Blut sprang sogleich so heftig aus der Wunde, daß auch Hagen befleckt wurde. Da ließ er den Speer im Rücken Sigfrids stecken und wandte sich zur Flucht.

Als Sigfrid die schwere Wunde fühlte, sprang er, rasend vor Wut, auf und stürzte dem Mörder nach. Hagen floh davon, wie er noch vor keinem Manne gelaufen war. Doch Sigfrid erreichte ihn, und mit dem Schilde – der Tronjer hatte mit Vorbedacht alle Waffen an der Linde entfernt- schlug Sigfrid auf Hagen ein, so daß dieser zu Boden stürzte. Doch dann entwich alle Farbe aus dem Antlitz des todwunden Helden. Seine Kraft verließ ihn, und sterbend sank er ins Gras.

Kriemhilds Trauer

In der Nacht brachte man den erschlagenen Recken über den Rhein nach Worms zurück. Hagen ließ den Leichnam vor Kriemhilds Kammer tragen und dort niederlegen. Als beim Messeläuten in früher Morgenstunde der Kämmerer kam, um Kriemhild auf ihrem Wege zum Münster zu leuchten, entdeckte er als erster den Toten.

»Herrin«, meldete er ihr entsetzt, »draußen liegt ein toter Recke!«

Kriemhild begann sogleich laut zu klagen; denn sie erkannte die grausige Wahrheit, noch ehe sie den erschlagenen Gatten gesehen hatte. Als man ihr den Toten wies, sank sie ohnmächtig zu Boden.

Voller Bestürzung eilte der greise König Sigmund herbei, und bald hallte die Burg wider von der Klage um den herrlichen Helden. Sigfrids Mannen verlangten Rache, und auch König Sigmund war bereit zu kämpfen. Doch Kriemhild bat, von diesem Vorhaben abzustehen und einen besseren Zeitpunkt abzuwarten. Sie wollte nicht, daß Sigfrids Mannen sich gegen die Übermacht der Burgunden nutzlos opferten.

Sigfrids Leichnam wurde im Münster aufgebahrt.

Als Gunther mit Hagen an die Bahre trat, erhob er laute Klage.

»Räuber haben den Helden im Walde erschlagen«, sagte er. »Wollt ihr eure Unschuld erweisen«, erwiderte Kriemhild, »so tretet nahe herzu!«

Gunther folgte der Aufforderung. Doch als Hagen an die Bahre trat, brach die Wunde des Toten auf und begann zu bluten. Jetzt hatte Kriemhild die Bestätigung, wer der Mörder war. Drei Tage und drei Nächte wachte sie an Sigfrids Leiche; aber vergebens hoffte sie, daß der Tod sie zu sich nehmen würde.

Mit großen Ehren wurde Sigfrid zu Grabe getragen. Bevor der Tote ins Grab gesenkt wurde, ließ Kriemhild den Sarg noch einmal öffnen, so schwer fiel ihr die Trennung von dem geliebten Gatten.

Nachdem alles vollbracht war, kehrte König Sigmund in sein verwaistes Königreich zurück. Kriemhild aber blieb in Worms; denn sie wollte täglich am Grabe des geliebten Gatten sein. Jahrelang sprach sie kein Wort mit König Gunther, ihrem Bruder, und Hagen, ihren Feind, sah sie niemals. Erst Gernots und Giselhers Zureden konnten sie bestimmen, mit Gunther Frieden zu schließen.

Auf Gunthers Bitte ließ die Königin später den Nibelungenhort, den Sigfrid einst dem Zwergenkönig abgewonnen und ihr als Morgengabe übereignet hatte, nach Worms bringen. Freigebig teilte Kriemhild nun aus ihrem unermeßlichen Schatz Gaben aus unter die Armen. Da Hagen fürchtete, sie könne dadurch einen zu großen Anhang im Volke gewinnen, erwirkte er es, daß man ihr die Schlüssel zur Schatzkammer wegnahm. Kriemhild zürnte sehr darüber und beklagte sich bitter bei ihrem Bruder über die Gewalt, die ihr angetan ward.

Hagen aber nahm entschlossen den Schatz an sich und versenkte ihn in den Rhein.

Kriemhilds Vermählung

Dreizehn Jahre hatte Kriemhild um Sigfrids Tod getrauert. Da erschien eines Tages am Hofe zu Worms der Markgraf Rüdeger von Bechelaren mit prächtigem Geleite und überbrachte eine Botschaft von König Etzel.

»Ich komme von König Etzel aus dem Hunnenlande«, sprach er zu Kriemhild. »Frau Helche ist gestorben, und nun wagt es der mächtige König, um dich, edle Herrin, zu werben. In seinem Namen bitte ich um deine Hand.«

Gunther und auch seinen Brüdern war dieser Antrag hoch willkommen; sie wünschten sehr, ihre schöne Schwester möchte sich dem Leben wieder zuwenden. Nur Hagen erhob Widerspruch und warnte, Kriemhild mit König Etzel zu vermählen; denn er fürchtete, Kriemhild werde ihre neue Macht ausnützen und für das ihr angetane Leid an den Burgunden Rache nehmen.

Lange widerstrebte die schöne Kriemhild der Werbung: »Mir geziemt nur zu weinen und weiter nichts«, sagte sie. Doch als Rüdeger ihr gelobte, jedes Leid, das ihr widerfahre, blutig zu rächen, gab sie nach langem Zögern ihr Jawort zum neuen Ehebund mit König Etzel.

Mit ihrem Gefolge und unter dem Schutze Markgraf Rüdegers zog Kriemhild ins Hunnenland. König Etzel kam ihr bei Tulln entgegen mit allen Rittern, Heiden und Christen, die an seinem Hofe dienten. An einem Pfingsttage wurde in Wien die prunkvolle Hochzeit, die siebzehn Tage währte, gefeiert, und dann fuhr das Paar die Donau hinab in Etzels Reich.

Kriemhild lebte in glücklicher Ehe mit dem mächtigen Hunnenkönig und schenkte ihm bald einen Sohn, der Ortlieb genannt wurde. Aber auch im Glück verließ sie nie der Gedanke an Sigfrids Tod und an die Rache, die sie geschworen hatte. Viele Jahre waren vergangen, da klagte Kriemhild eines Nachts in vertrautem Gespräch ihrem Gatten, daß sie nie ihre Brüder und Verwandten bei sich sehen könne. Gerne versprach König Etzel, ihren Wunsch zu erfüllen. So erschienen denn Etzels Sendboten am Königshofe zu Worms und luden Gunther und seine Mannen auf die nächste Sonnenwende zum Fest an Etzels Hof.

Die Burgunden am Hunnenhofe

Der Tronjer riet ab, der Einladung des Hunnenkönigs zu folgen, da er wußte, daß Kriemhild unversöhnlich war in ihrem Hasse. Doch als ihre Brüder Gernot und der junge Giselher ihm Furcht vorwarfen, erklärte er sich zur Mitfahrt bereit und versprach, ihnen den Weg zu weisen.

Durch Ostfranken ging die reisige Fahrt bis an die Donau, sodann durch Baiernland über Passau nach Bechelaren, wo der Markgraf Rüdeger lebte. Mit seiner Hausfrau Gotelind nahm er die Burgunden in herzlicher Gastfreundschaft auf und beschenkte sie reichlich. Giselher, der Junge, verlobte sich mit Dietlind, der lieblichen Tochter des Markgrafen. Rüdeger selbst geleitete mit fünfhundert Mannen die Burgunden zum Feste an den Hunnenhof.

Dietrich von Bern, der an Etzels Hofe lebte, ritt mit seinen Recken den Gästen entgegen. Als er Hagen die Hand zum Gruße bot, raunte er ihm zu: »Seid auf der Hut; denn Kriemhild, unsere Königin, weint noch jeden Morgen um Sigfrid!«

Da wußten auch die Brüder Kriemhilds, daß den Burgunden schwere Gefahr drohte.

Trotzig ritten die Burgunden an Etzels Hof ein. Kriemhild begrüßte zuerst den jungen Giselher, ihren Lieblingsbruder, der als einziger sie umarmte und küßte.

»Habt Ihr mir den Nibelungenhort mitgebracht?« fragte sie Hagen, ohne ihn willkommen zu heißen.

»Ich hatte an Schild und Brünne, an Helm und Schwert genug zu tragen«, versetzte der Held in bitterem Hohn. Und auch als sie ihre Gäste aufforderte, die Waffen abzulegen, gab Hagen ihr höhnische Antwort. Da erkannte sie, daß man die Burgunden gewarnt hatte.

»Wüßte ich, wer es getan hat, der sollte es mir mit dem Tode büßen!« rief sie voller Zorn. Doch ebenso zornig bekannte Dietrich von Bern sich als Warner. Da schämte die Königin sich und schwieg. Denn sie fürchtete Dietrich sehr.

Während die wegmüden burgundischen Recken sich ausruhten, übernahm Hagen von Tronje mit Volker, dem wehrhaften Sänger, die Schildwacht. Die beiden Recken setzten sich Kriemhilds Kemenate gegenüber auf eine Bank. Als die Königin die beiden vom Fenster aus sah, wurde sie durch Hagens Anblick an ihren Kummer gemahnt, und sie flehte Etzels Mannen mit dringenden Bitten an, sie an Hagen zu rächen. Sechzig von ihnen rüsteten sich. »Ihr seid zu wenige!« rief aber Kriemhild. »So leicht ist das Spiel nicht!« Da wappneten sich vierhundert.

Die Krone auf dem Haupte, schritt Kriemhild mit dieser Schar hinab in den Hof. Hagen legte, als er die Königin kommen sah, sein Schwert, an dessen Knauf ein Edelstein glänzte, über die Knie. Kriemhild wußte, es war Sigfrids Waffe.

Ohne Furcht saßen die beiden Recken da. Keiner erhob sich, als die Königin vor sie hintrat. Sie fragte Hagen, warum er ungeladen an den Hunnenhof gekommen sei. Doch der finstere Recke blieb ihr die Antwort nicht schuldig: »Drei Könige hat man hierher zu Gaste geladen, das sind meine Herren. Wenn meine Herren ausziehen, so fehle ich nie, und wer sie einlädt, der lädt auch mich ein!«

Da fuhr es aus Kriemhild heraus: »Sagt an, warum habt Ihr die Tat vollbracht, um die ich euch hasse? Ihr habt Sigfrid erschlagen, meinen geliebten, edlen Mann!«

»Genug des Geredes!« rief der grimme Tronjer. »Ich bin es, Hagen, der ihn erschlagen hat. Er mußte entgelten, daß Frau Kriemhild die schöne Brunhild schmähte.«

Furchtlos blickte er sich im Kreise um, als fordere er die Hunnen zum Kampfe auf. Doch diese sahen einander an und zogen sich zurück; so sehr fürchteten sie den gewaltigen Helden.

König Etzel wußte nichts von diesem Zusammenstoß und bewirtete die Gäste aus dem Burgundenland am nächsten Tage aufs beste. Zur Nachtruhe ließ er sie in einen weiten Saal führen, wo man ihnen bequeme Lager bereitgestellt hatte. Wieder hielten Hagen und Volker vor dem Hause Wacht. Der schwertgewaltige Sänger nahm seine Fidel und ließ die Saiten erklingen, daß die Recken im Saale trotz aller Sorgen in erquickenden Schlummer sanken.

Mitten in der Nacht sahen die Wächter vor dem Saal Helme und Waffen im Hofe blinken. Es waren Kriemhilds Mannen, die einen Überfall auf die Schlafenden planten. Doch als sie die Tür in sicherer Hut sahen, kehrten sie um; bittere Scheltworte gab Volker, der Sänger, ihnen mit auf den Weg.

Der Entscheidungskampf

In der Frühe, als die Glocken zur Messe läuteten, riet Hagen seinen Waffengefährten, statt der seidenen Gewänder den Harnisch anzulegen und sich zu wappnen; denn auf Kampf müsse man vorbereitet sein.

Etzel, der immer noch arglos war, fragte, als er die Gäste in Waffen sah, unwillig, ob man ihnen etwa ein Leid zugefügt habe. Da verschwieg Hagen seinen Argwohn. »Meine Herren haben die Sitte«, versetzte er, »bei allen Festen drei Tage gewappnet zu gehen.«

Vergeblich wandte sich Kriemhild, ehe man sich zu Tische setzte, an Dietrich um Hilfe; der edle Held wies es weit von sich, das Gastrecht zu verletzen. Mehr Gehör fand sie bei Etzels Bruder Blödelin, dem sie reichen Lohn versprach. Mit tausend Mann drang er in das Gästehaus ein, wo Hagens Bruder Dankwart, König Gunthers Marschalk, mit seinen Knechten bei Tische saß.

»Endlich können wir an den Burgunden Rache nehmen! Ihr müßt nun entgelten, daß Hagen Sigfrid erschlagen hat«, begann er unvermittelt und drang auf Dankwart ein. Da sprang dieser vom Tische auf und führte einen so schweren Schwertschlag, daß Blödelin,s Haupt ihm vor die Füße rollte. Ein furchtbarer Kampf hub an. Mehr als die Hälfte der Hunnen fanden den Tod. Als Etzels Ritter von Blödelins Tode hörten, wappneten sie sich ohne Wissen des Königs, und nicht eher endete das wütende Morden, als bis alle Knechte der Burgunden tot am Boden lagen. Dankwart allein bahnte sich eine Gasse durch die Hunnenkrieger und gelangte in den Saal, wo die Herren beim Festmahl saßen.

Das blutige Schwert in der Faust, trat er in den Saal: »Alle Ritter und Knechte liegen erschlagen in ihrer Herberge!« rief er laut. Entsetzt vernahmen die Burgunden seine Worte.

»Verwahret die Tür!« rief Hagen, als er den Hergang vernommen hatte, und nun erhob sich ein grausiges Gemetzel. Der Tronjer erschlug Ortlieb, Kriemhilds Sohn, daß sein Haupt in den Schoß der Königin sprang, dazu den Erzieher des Kindes.

Vergeblich mühte sich Gunther mit seinen Brüdern, den Streit zu schlichten; dann mußten sie jedoch Hagen zu Hilfe eilen. In ihrer Not bat Kriemhild den starken Dietrich um Beistand. Doch der wollte nichts als freien Abzug für sich und seine Mannen. Man gewährte ihm die Bitte. Da nahm der Berner die Königin und König Etzel bei der Hand und verließ mit seinen sechshundert Recken den Saal. Auch Markgraf Rüdeger bat, ihn mit seinen Mannen ziehen zu lassen. Das gestand ihm Giselher, der mit des Markgrafen Tochter verlobt war, mit freundlichen Worten zu. Wer dann noch von den Hunnen im Saal verblieb, fand erbarmungslos den Tod. Die Erschlagenen warf man über die Stiege hinab.

Vor dem Hause drängten sich viele bewaffnete Hunnen. Hagen und Volker spotteten verächtlich über ihre Feigheit. »Etzels Schild voll von rotem Golde biete ich dem als Preis, der mir Hagens Haupt bringt!« rief Kriemhild; doch ihre Worte fanden kein Gehör. Kein Hunne wagte den grimmen Helden im Kampfe zu bestehen.

Schließlich ließen sich drei Recken, die an Etzels Hofe dienten, erbitten. Es waren Hawart von Dänemark, sein Markgraf Iring und der Landgraf Irnfried von Thüringen. Aber alle drei erlagen nacheinander dem Schwert der Burgunden.

Dann wurde es still im Saale. Auf den Toten sitzend, suchten die Burgunden Ruhe nach dem furchtbaren Kampf. Doch noch vor Abend standen wiederum viele Hunnen zum Kampfe bereit und stürmten den Saal. Bis in die Nacht hinein dauerte die erbitterte Schlacht. Vergeblich versuchten die Könige, noch Sühne zu erlangen. Doch Kriemhild verlangte, daß Hagen ihr ausgeliefert werde. Dann wollte sie den Brüdern das Leben schenken. »Niemand wird solcher Untreue fähig sein«, antwortete Giselher. ,»Deshalb müssen wir sterben. Wer mit uns kämpfen will, der findet uns bereit!«

Da ließ Kriemhild den mächtigen Saalbau an allen vier Ecken anzünden. Vom Winde entfacht, ergriff das Feuer das ganze Haus, und glühende Asche fiel dicht auf die Helden nieder. Mit den Schilden schützten sie sich und versuchten, die Feuerbrände in dem Blut der Erschlagenen zu löschen. Unerträglich war die Qual, die Rauch und Hitze und Durst ihnen zufügten.

Noch sechshundert Burgunden sahen die Morgenröte und spürten den kühlen Morgenwind, der ihnen Linderung gab. Dann begann der Kampf von neuem. Kriemhild ließ Gold in Schilden herbeitragen, die Streiter zu entlohnen. Auf den Knien flehte das Königspaar den Markgrafen Rüdeger um Hilfe an. Kriemhild mahnte ihn an sein Wort, das er ihr bei der Werbung gegeben hatte.

Schwere Not war für den ehrlichen Recken der Zwiespalt im Herzen. Durfte er an den Gastfreunden, die er seinem Herrn zugeführt hatte, Untreue üben? Mußte er nicht den Schwur halten, den er einst Kriemhild bei seiner Werbung geleistet hatte?

Rüdeger erkannte, daß er seine Ehre nicht mehr retten könne, gleichviel, wie er sich entschied; da ließ er seine Mannen sich zum Kampfe rüsten.

Als Giselher den Markgrafen kommen sah, war er voller Freude; denn nicht anders dachte er, als daß Rüdeger den Frieden brächte. Dieser stellte jedoch den Schild vor die Füße und kündigte den Burgunden die Freundschaft auf. Vergeblich mahnte ihn Gunther, der alten Liebe und Treue zu gedenken. »Wollte Gott, ihr wäret am Rhein und ich wäre in Ehren tot!« antwortete Rüdeger. Noch nie hatten Helden von einem Freunde solche Not erfahren müssen!

Schon hoben sie die Schilde zu dem unausweichlichen Kampf, da gebot Hagen noch einmal Einhalt. Der Schild, den Frau Gotlind ihm als Gastgeschenk überreicht hatte, war zerhauen. Er bat Rüdeger daher um einen neuen, und der Markgraf gab ihm den eigenen. Das war der letzte Freundesdienst, den er leisten konnte. Hagen und Volker gelobten, Rüdeger im Streite nicht zu berühren, und wenn er alle Burgunden erschlüge.

Dann stürmte Rüdeger mit den Seinen in den Saal. Viele der Burgunden sanken von den Streichen des Markgrafen dahin. Das konnte Gernot nicht mehr länger mit ansehen. Er forderte Rüdeger zum Kampfe und empfing von dessen Hand die tödliche Wunde. Doch mit letzter Kraft streckte er den Gegner mit dem Schwerte, Rüdegers Gastgeschenk, nieder. So ereilte beide zugleich der Tod. In wilder Wut übten die Burgunden ihre Rache, und nicht einer von Rüdegers Mannen kam mit dem Leben davon.

Laute Klage erhob sich in Etzels Palast über Rüdegers Tod. Einer von Dietrichs Recken überbrachte seinem Herrn die traurige Kunde. Der gebot seinem Waffenmeister Hildebrand, die Burgunden nach dem Hergang zu befragen. Sogleich rüsteten sich ohne Dietrichs Wissen alle seine Recken, um Hildebrand zu begleiten.

Als Hagen ihnen den Ausgang des Kampfes bestätigte, beklagten Dietrichs Mannen laut den Tod des Freundes.

»Gebt uns seinen Leichnam heraus!« bat Hildebrand. »Wir wollen ihm nach seinem Tode die Treue entgelten, die er uns stets bezeugt hat.«

Gunther wollte zustimmen, doch die Burgunden gerieten darüber in einen Wortwechsel mit Dietrichs Mannen. »Holt ihn euch doch!« rief Volker voller Spott, »das wäre erst der richtige Dank, den ihr Rüdeger erweisen könnt!«

Da ließ sich Wolfhart, Hildebrands Neffe, nicht länger halten und drang in den Saal, ihm folgten Dietrichs Mannen.

Vergeblich suchte Meister Hildebrand den Streit zu schlichten. In dem Kampfe, der nun entbrannte, fanden die besten der burgundischen Recken den Tod. Volker, der Dietrichs Neffen erschlagen hatte, fiel von Hildebrands Schwert. Auch Dankwart fand den Tod. Der junge Giselher und Wolfhart töteten sich im Kampfe gegenseitig.

Nun lebte von den Burgunden niemand mehr als Gunther und Hagen. Von Dietrichs Mannen war nur noch der starke Waffenmeister Hildebrand, der sich vor Hagens Waffe retten konnte, am Leben geblieben.

Blutüberströmt trat er vor seinen Herrn. »Ich ganz allein bin übrig’«, sagte Hildebrand. Von Gram und Entsetzen wurde Dietrich ergriffen, als er vom Tode all seiner Mannen erfuhr. Noch niemals in seinem Leben war ihm so schlimme Kunde geworden.

Stumm nahm er Rüstung und Schwert, und Hildebrand half ihm, sich zu wappnen. So ging Dietrich vor den Saal, um von Gunther und Hagen Sühne zu verlangen. »Ergebt euch mir als Geiseln«, forderte er, »so werde ich euch selber heimgeleiten ins Burgundenland.«

Hagen lehnte solches Verlangen schroff ab und sprach: »Das wolle Gott im Himmel nicht, daß zwei gewappnete, freie Männer sich dir ergeben.«

Da griff der Berner mit dem Schwerte an. Der lange Kampf hatte Hagen ermattet, und so mußte er dem starken Dietrich erliegen. Der verwundete ihn schwer; aber den Todesstreich führte er nicht. Er umschlang den Tronjer mit den Armen, band ihn und führte ihn zu Kriemhild.

Wie freute sich die Königin, als sie Hagen gebunden vor sich sah, und sie versprach, Dietrich diesen Dienst nie zu vergessen. Der Berner aber verlangte, daß sie Hagen am Leben lasse. Die Königin sagte es zu und ließ ihren Gefangenen in den Kerker führen, während Dietrich in den Saal zurückeilte, um Gunther zum Kampfe zu stellen. Nach heißem Ringen bezwang er ihn und führte auch ihn, den König, gebunden zu Kriemhild.

»Handelt gut an den beiden und gewährt ihnen Eure Gnade« mahnte Dietrich die Königin, und sie versprach es wieder.

Aber kalt blieb ihr Herz. Sie trat in Hagens Kerker, mit stählernem Blick, und fragte den Helden nach dem Nibelungenhort. Sie gelobte ihm, wenn auch mit feindseligen Worten, sein Leben, wenn er den Schatz herausgebe.

Doch Hagen wehrte ab. Niemals werde er die Stelle im Rhein verraten und den Hort ausliefern, solange einer seiner Herren am Leben sei.

Da ließ Kriemhild ihrem Bruder das Haupt abschlagen und trug es an den Haaren zu Hagen.

Zum ersten Male in seinem Leben zeigte sich der grimme Held gebrochen: »Nun ist nach deinem Willen der edle König Gunther tot und ebenso Giselher und Gernot! Den Schatz, den weiß nun niemand als Gott und ich. Und dir soll er auf ewig, du Teufelin, verborgen bleiben!«

Da zog Kriemhild aus der Scheide das Schwert, das Hagen trug. Es war Sigfrids Schwert Balmung. Sie hob es hoch empor und schlug Hagen das Haupt ab.

Der alte Hildebrand, der Waffenmeister, sprang herzu. Als er sah, daß der beste Held, der je ein Schwert getragen hatte, von Weibes Hand erschlagen war, zog er in jähem Zorne sein Schwert und durchbohrte Kriemhild, daß sie entseelt zu Boden sank.

So endete das Fest am Hunnenhofe, und in einsamem Schmerze blieben Etzel und Dietrich unter allen zurück. Trauer breitete sich aus in Etzels Reich und pflanzte sich fort bis ins Land der Burgunden. Das stolze Königsgeschlecht zu Worms bezahlte den begangenen Frevel mit dem eigenen Untergang. Der wilde Brand, den der Mord an dem tapferen Sigfrid entflammte, hatte schonungslos Schuldige und Unschuldige zugleich hinweggerafft.

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Die Schlacht vor Raben

Im Streite um das Vatererbe war Dietrich vor seinem Oheim Ermenrich aus dem Lande gewichen und hatte an König Etzels Hof gastfreie Aufnahme gefunden. »Ich werde dir einst helfen, dein Reich zurückzuerobern«, versprach ihm der Hunnenkönig, und Dietrich dankte ihm die Gastfreundschaft, indem er Etzel auf seinen Kriegsfahrten begleitete und ihm im Kampfe tapfer zur Seite stand.

Als das Heer sich nun zum Rachezuge rüstete, um Dietrich die Herrschaft zurückzugewinnen, ließen Etzels zwei Söhne nicht ab zu bitten, man möge sie doch mitreiten lassen. Ihre Mutter wollte nicht zustimmen, denn sie hatte geträumt, ein Drache habe die beiden Jünglinge entführt und vor ihren Augen zerrissen. Da bat Dietrich, die unerfahrenen Knaben seiner Hut anzuvertrauen: »Ich werde treu auf eure beiden Söhne achtgeben«, versprach Dietrich den Eltern. So gab Etzel nach, weil auch Königin Helche Dietrichs Worten vertraute, und ließ sie ziehen.

Als der heimkehrende Dietrich die Grenzen seines Landes überschritt, zeigte es sich, daß die Heimat ihn nicht vergessen hatte. Seine Königsstadt Bern öffnete ihm willig die Tore, und viele Getreue scharten sich um ihn. Man rüstete sich zum Kampfe gegen Ermenrich, der sich bei der Stadt Raben mit seinem Heere zur Entscheidung stellte.

Etzels Söhne, Ort und Scharf, dazu seinen jungen Bruder Dieter hatte Dietrich dem kühnen Elsan anvertraut. Mit seinem Leben mußte dieser dafür bürgen, sie nicht vor die Stadt ziehen zu lassen. Doch heimlich übertraten die kühnen Jünglinge das Verbot und ritten ohne Elsan davon. Ohne es zu wissen, gerieten sie auf die Straße nach Raben. Vor dieser Stadt stießen sie auf den starken Witege, der einst Dietrichs Gefolgsmann gewesen und in Ermenrichs Dienst getreten war.

»Wir müssen unsern Herrn Dietrich an dem Verräter rächen!« riefen die drei Jünglinge voller Kampfeseifer und drangen auf den Helden ein. Vergeblich mahnte Witege sie, vom Streite abzulassen, da sie ihn doch nicht bestehen könnten. Er mußte sich jedoch ihres Ungestüms erwehren und erschlug mit Mimung, seinem guten Schwerte, König Etzels beide Söhne, dann Dieter, den jungen Bruder des Berners.

Während Dieter und die Etzelsöhne mit Witege kämpften und sich ihr Schicksal vollzog, entbrannte vor der Stadt Raben eine schwere Schlacht zwischen den Mannen Dietrichs und König Ermenrichs. Lange Zeit tobte der Kampf hin und her. Dann gelang es Dietrich und seinen Recken, den Widerstand von Ermenrichs Scharen zu brechen. Der harterkämpfte Sieg hatte schwere Opfer gekostet. Viele Erschlagene und Verwundete lagen in ihrem Blute, und Dietrich befahl, die Verwundeten zu pflegen und die Toten zu bestatten.

Da sah er, wie eben Elsan auf die Walstatt geritten kam. Dietrich fragte sogleich nach den Jünglingen, die er dem Schutz des Recken anvertraut hatte. Er erfuhr, Schlimmes fürchtend, Elsan habe sie aus den Augen verloren, und bald darauf kamen Boten, die meldeten, Dieter und die Söhne Etzels lägen erschlagen auf der Heide.

»Habe ich sie dir, Elsan, nicht auf Leben und Tod übergeben?« rief Dietrich klagend aus. Dann übermannte ihn der Zorn, und er erschlug Elsan auf der Stelle. Als er die Toten fand und ihre Wunden untersuchte, erkannte er den Täter. Nur das Schwert Mimung schlug solche Wunden, und Witege war es, der dieses Schwert führte. Das Verlangen, den Tod der Jünglinge zu rächen, wurde übermächtig in ihm. Aber wo sollte er den Mörder finden?

Der treue Rüdeger von Bechelaren, dessen junger Sohn in der Rabenschlacht gefallen war, hatte Dietrich zur Todesstätte begleitet. Er war es auch, der Witege und seinen Neffen Rienold über die Heide reiten sah.

Dietrich nahm sofort die Verfolgung auf, als beide vor dem berserkerhaft wütenden Feinde flohen. Schließlich stellte sich der junge Rienold Dietrich entgegen und griff ihn mutig an. Er konnte jedoch Dietrichs rasendem Zorn nicht widerstehen und fiel nach kurzem Kampfe.

Witege, von furchtbarem Schrecken erfüllt, vergaß das Gebot der Ehre und suchte das Heil in der Flucht, auf die Schnelligkeit seines Pferdes vertrauend.

Aber der Abstand zwischen Witege und seinem Verfolger wurde immer kleiner, und da der Fliehende die Richtung auf das Meer nahm, hoffte Dietrich ihn am Strande zum Kampfe zu stellen. Schon verzweifelte Witege selbst an der Rettung, da erhob sich aus den Fluten eine Meerfrau, seine Urahne Waghild, die den letzten Sproß ihres Geschlechtes samt seinem Roß mit sich in die Tiefe zog. Vergeblich harrte Dietrich lange am Strande, in der Hoffnung, der Feind werde wieder auftauchen. Aber nichts zeigte sich über der weiten Flut, und Dietrich mußte erkennen, daß Witege seiner Rache für immer entzogen war.

Trotz des Sieges über Ermenrich blieb Dietrich bei den harten Verlusten seines Heeres nichts anderes übrig, als an Etzels Hof zurückzukehren. Durfte er aber wagen, nach dem Tode der Königssöhne, für deren Leben er sich verbürgt hatte, vor König Etzel und Königin Helche hinzutreten? In dieser Not bat er Rüdeger von Bechelaren um Beistand, und der wackere Kampfgenosse übernahm es, das hunnische Hilfsheer zurückzuführen und die Verzeihung des Königspaares zu erwirken.

Noch bevor er eintraf, erschienen die herrenlosen Rosse der beiden Königssöhne vor dem Palast. Sie hatten allein den Weg in die Heimat gefunden. Die blutigen Sättel kündeten von unheilvollem Geschehen.

Der Schmerz übermannte Etzel und Helche, als sie durch Rüdeger über das Schicksal der Söhne Gewißheit erlangten. Den Zorn des Königspaares über Dietrichs Wortbruch wußte Rüdeger jedoch zu besänftigen, indem er auf die unglückselige Fügung hinwies, die das Zusammentreffen der Jünglinge mit Witege bewirkt hatte.

Als Dietrich bald darauf vor Etzel und Helche erschien, neigte er sich bis zur Erde und bat, der König möge sein Leid an ihm rächen und ihn töten. Da Helche die Erniedrigung des Helden sah, brach sie in Tränen aus. König Etzel aber nannte ihn schuldlos und versicherte ihn seiner Huld. Lange Jahre lebte Dietrich noch an Etzels Hof, wegen seiner Tapferkeit und seines klugen Rates hoch geehrt und geachtet. Als Etzel nach Frau Helches Tod die schöne Kriemhild als Gattin heimführte und diese, voll Rachedurst gegen Sigfrids Mörder, die Burgunden ins Land lockte, um sie zu verderben, war es Dietrich, der König Gunther und den starken Hagen von Tronje im letzten Kampf überwand.

Nach dem Untergang der Burgunden war das Leben an Etzels Hofe grau und trostlos geworden. Etzels Lebensmut war gebrochen. Seine besten Mannen, unter ihnen Markgraf Rüdeger, waren im Kampfe gegen die Burgunden gefallen. Der einzige Sohn aus der Ehe mit Kriemhild hatte durch Hagens Schwert den Tod gefunden. Dietrich hielt nichts mehr im Hunnenlande zurück.

Er verließ Etzels Hof, um die Herrschaft in Bern zu übernehmen. Den alten Hildebrand, seinen getreuen Waffenmeister, schickte er voraus. An der Landesgrenze trat Hildebrand ein wehrhafter Recke entgegen; der Alte erkannte ihn nicht. Drohende Reden flogen hin und her, und bald ritten die beiden Kämpfer erbittert aufeinander los. Die Speere zersplitterten, die Schilde krachten, die Recken sprangen von den Pferden und begannen den Schwertkampf. Keiner konnte den andern überwinden, und schließlich wurden sie so müde, daß sie rasten mußten.

»Nenne mir deinen Namen und gib deine Waffen heraus!« rief Hildebrands Gegner zornig. Der Alte lachte höhnisch und verlangte von dem andern das gleiche. Da hieben beide wieder aufeinander ein, bis ihnen die Kräfte schwanden.

Schließlich schlug Hildebrand dem jungen Recken mit seinem Schwerte eine schwere Wunde, und endlich schien sich dieser besiegt zu bekennen. »Hier, nimm mein Schwert, denn du bist stärker als ich«, sagte er und reichte es dem Alten. Doch als Hildebrand danach griff, schlug der Junge zu. »Diesen Schlag lehrte dich ein Weib!« schrie der Alte voller Zorn und drang auf den andern ein. Er warf ihn zu Boden und richtete das Schwert dem Liegenden auf die Brust, dann nannte er ihm seinen Namen. Nun gab auch der Unterlegene den eigenen preis: Es war Hadubrand, Hildebrands Sohn.

Da warf der Alte das Schwert von sich, schloß den Sohn voller Freude in die Arme und küßte ihn unter Tränen. Gemeinsam ritten sie zu Frau Ute. Die wunderte sich über den fremden Gast. »Ich bringe dir meinen Vater Hildebrand«, sagte Hadubrand. Da umarmte Ute den Gatten, den sie über drei Jahrzehnte nicht gesehen hatte.

Nur kurze Zeit rasteten Vater und Sohn, dann ritten sie zusammen nach Bern an König Dietrichs Hof. Ermenrich, der ihm so lange die Herrschaft streitig gemacht hatte, war im Kampfe gefallen, und nun endlich konnte Dietrich sich in Rom, der Ewigen Stadt, mit der Königskrone schmücken lassen, die ihm rechtmäßig zustand. Die lange Zeit der Trennung von der Heimat hatte ihn erfahren und weise gemacht.

Viele Jahre trug der Gotenkönig in strahlendem Ruhm die Krone auf dem Haupte, und alles Volk verehrte seine Macht und seine Gerechtigkeit, seine Milde und wahre Mannestugend.

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Dietrich von Bern

In den Zeiten, da Germanen als die Herren im Römerreich lebten, regierte in der Stadt Verona, die auch Bern genannt wurde, der mächtige Gotenkönig Dietrich. Er hatte sein Reich als Vatererbe von König Dietmar übernommen und war von Hildebrand, einem tapferen Recken, erzogen und in allen Tugenden des Kampfes wohl unterwiesen worden. Schon bei Dietrichs Geburt war geweissagt worden, daß er zu großen Taten berufen sei. Als Zeichen der Wahrheit dieses Spruches sollte Feuer aus seinem Munde sprühen, sobald er zornig wurde. Als diese Vorhersage wirklich eintraf, glaubten alle an Dietrichs künftigen Ruhm.

Mit dem alten Waffenmeister Hildebrand zog der junge Recke auf Abenteuer aus und bewährte sich im Kampfe mit Grim und Hilde, einem räuberischen Riesenpaar, das im Lande ringsum Schrecken verbreitete. Als unüberwindliche Waffe trug der junge Held seither das herrliche Schwert Nagelring, das kunstfertige Zwerge geschmiedet hatten.

Seit Dietrich den Thron seines Vaters übernommen hatte, kamen von weit her tapfere Helden nach Bern gezogen, um dem König als Gefolgsleute zu dienen; denn sein Ruhm war weit über des Landes Grenzen gedrungen. Da war der starke Heime, der sich nicht eher zum Waffendienst bereit erklärte, als bis er Dietrichs Überlegenheit im Kampfe anerkennen mußte. Auch der kühne Witege wurde Dietrichs Gefolgsmann, obwohl er sich mit seinem kostbaren Schwerte Mimung, das sein Vater, Wieland der Schmied, ihm vererbt hatte, stärker als der Berner gezeigt hatte.

Noch andere Helden kamen nach Bern, um sich mit Dietrich im Kampfe zu messen. Unter ihnen war der Riese Ecke, der Gesittung und Lebensweise der Menschen angenommen hatte und bestrebt war, Ruhm und Ehre zu erwerben. Drei königliche Jungfrauen, von denen eine ihm ihre Hand versprochen hatte, wenn er den mächtigen Berner bezwinge und ihr zuführe, hatten ihn zum Kampfe aufgestachelt.

Ecke fand seinen Gegner nicht in Bern und ruhte nicht, bis er ihn zu später Nachtstunde im Walde traf. Trotz der Dunkelheit mußte Dietrich sich zum Kampfe stellen, und so heftig folgten nun Streich auf Gegenstreich, daß das Feuer, das sie aus ihren Helmen schlugen, weithin leuchtete. Endlich gelang es dem Berner, den Riesen zu Boden zu zwingen, und da Ecke eher sterben als sich gefangen geben wollte, mußte Dietrich ihn töten.

Traurig bestattete Dietrich den tapferen Gegner, der ihn zum Streite gezwungen hatte. Er mußte bald darauf noch weitere schwere Kämpfe bestehen, mit Eckes Bruder Fasolt und dem ganzen Riesengeschlechte, das Eckes Tod rächen wollte. Dann zog er zur Burg der drei grausamen Königstöchter, um ihnen das Haupt des toten Ecke zu bringen, den sie in den Tod getrieben hatten.

Als Wohltäter der Bedrängten lebte Dietrich zu Bern, niemand bat ihn vergebens um Hilfe, und weithin verbreitete sich der Ruhm seiner Taten.

Eines Tages berichtete der alte Hildebrand von einem Zwergenvolk, das tief im Innern der Berge hause und dessen König Laurin, obwohl nur drei Spannen groß, so stark sei, daß niemand ihm widerstehen könne. »Er besitzt in Tirol einen Rosengarten mit goldener Pforte«, sprach der kundige Waffenmeister, »und statt der Mauer umspannt ihn ein Seidenfaden. Wer diesen zu zerreißen wagt, den läßt Laurin furchtbare Rache spüren, denn er nimmt dem Frevler Hand und Fuß als Pfand.«

Da beschloß Dietrich, sogleich mit seinen Mannen aufzubrechen, um sich mit dem Zwergenkönig Laurin im Kampfe zu messen. Sie kamen nach Tirol und fanden auch den Rosengarten, die Rosen dufteten ihnen entgegen, als sie aus dem Walde traten. Witege war der erste, der in den Garten einbrach und unbekümmert die Rosen zerstampfte. In wildem Zorn stürmte der Zwerg Laurin, mit Speer und Schwert gewaffnet, heran, und der Held hätte sich des Zwerges nicht erwehren können, wenn nicht Dietrich ihm zu Hilfe gekommen wäre.

»Schlagt mit dem Schwertknaufe drein!« riet Hildebrand seinem Herrn. Doch der Zwergenkönig zog seine Tarnkappe hervor und streifte sie über. Unsichtbar für den Gegner, ließ er nun Schlag auf Schlag auf den Berner niedersausen und bedrängte ihn hart. »Faßt ihn um den Leib und entreißt ihm den Gürtel!« rief der alte Waffenmeister in der höchsten Not, und Dietrich folgte, wie immer, seinem Rat. So gelang es ihm, den furchtbaren Gegner, dem der Gürtel die Stärke von zwölf Männern verliehen hatte, zu Boden zu zwingen.

Da bat Laurin um Gnade, die ihm auch gewährt wurde, und als er die Recken in sein Reich einlud, folgten sie ihm in das Innere des Berges. Fröhliches Leben herrschte in König Laurins Reich. Die Gäste wurden bewirtet und mit allerlei Kurzweil, mit Gesang und Tanz und ritterlichen Kampfspielen, die das Zwergenvolk zeigte, unterhalten.

Laurin aber hatte die Rache nicht vergessen, die er im stillen den Recken geschworen hatte. Mit einem betäubenden Trank senkte er sie alle in tiefen Schlaf; dann ließ er die Wehrlosen fesseln und in einen finsteren Kerker werfen.

Über solchen Verrat geriet Dietrich, als er aus dem Zauberschlaf erwachte, in unbändigen Zorn. Flammen sprühten aus seinem Munde und verbrannten die Fesseln. So ward er frei und konnte die Bande seiner Gefährten lösen. Den Kerker vermochten die Helden jedoch nicht zu öffnen. Dietrichs Waffengefährte Dietleib, dessen Schwester Künhild, König Laurin in den Berg entführt hatte, um sich mit ihr zu vermählen, lag in einer besonderen Kammer gefangen. Künhild, die nichts sehnlicher wünschte, als Laurins Reich zu verlassen, befreite den Bruder und trug ihm Waffen zu. Kurze Zeit später half dann Dietleib dem König Dietrich und seinen Mannen aus ihrer Haft heraus.

Vergeblich rüsteten sich die Zwerge zu Tausenden, sie erlagen der Kraft der Helden, König Laurin wurde gefangengenommen, und Dietrich gedachte, ihn wegen seiner Treulosigkeit zu töten. Aber Künhild, Dietleib und Hildebrand baten für ihn, so daß Dietrich ihm Gnade gewährte. Er führte den Zwergenkönig mit sich nach Bern. Später versöhnte sich Dietrich mit Laurin und ließ ihn in den Berg zurückkehren.

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Gudrun

Vor Zeiten lebte in Irland der König Hagen und seine Gemahlin Hilde; sie hatten eine liebliche Tochter, die den Namen ihrer Mutter trug. Jedermann pries ihre Anmut und ihren Liebreiz, und bald drang der Ruf von Hildes Schönheit über Meer und Land, und viele edle Freier aus königlichem Blut kamen an den Hof, um sie zum Weibe zu gewinnen.

»Ich werde nur dem die Hand meiner Tochter geben«, erklärte König Hagen hart, »der mich im Wettkampf besiegt.« Viele Bewerber hatte er schon bezwungen und erschlagen.

Damals herrschte im Hegelingenland König Hetel, dessen Reich sich von Jütland bis zu den Niederlanden erstreckte. Sein Wunsch war es, die schönste Fürstentochter als Gemahlin an seiner Seite zu haben, und so entsandte er drei getreue Helden zur Brautwerbung: seinen Waffenmeister Wate, den gewaltigen Recken, den sangeskundigen Horand, seinen Schwestersohn aus Dänemark, und den klugen Frute, dessen Rat dem König schon so manches Mal aus der Bedrängnis geholfen hatte.

»Nicht mit Waffengewalt, nur durch List werden wir zum Ziele kommen«, mahnte Frute; »denn König Hagen pflegt die Boten derer, die seine schöne Tochter gewinnen wollen, sehr übel aufzunehmen.« Auf seinen Rat reisten die Helden darum als fremde Kaufleute verkleidet nach Irland.

Am Strande von Baljan gingen sie an Land, baten um Gastfreundschaft, die man ihnen gewährte, und schlugen die Zelte auf, um ihre Waren feilzubieten: Waffen und Geräte, wertvolle Stoffe und kostbaren Schmuck an Spangen und Ringen.

Die Leute aus Hagens Burg strömten voll Neugierde herbei, und bald zog das Lob der köstlichen Waren und Kleinodien auch die Königin mit ihrer schönen Tochter in die Zelte der Fremden. Selbst König Hagen fand Gefallen an den Kaufleuten, die gar nicht wie gewöhnliche Krämer erschienen, und eines Tages lud er Wate und seine Gefährten an den Hof.

Im Königssaale saßen die Gäste aus dem Hegelingenlande der Königin und ihren Edelfrauen gegenüber. Mit welcher Freude schauten sie auf Hilde, die liebliche Königstochter, der ihre Reise galt; doch ließen sie nichts von ihrem Vorhaben verlauten und gebärdeten sich weiterhin, als seien sie Kaufleute. »Nicht Krämer, sondern edle Recken sind sie«, flüsterte Hagen seinem Marschall zu und blickte dabei wohlgefällig auf den starken Wate mit dem breiten Bart.

Lächelnd trat Königin Hilde vor Wate hin: »Sagt ehrlich Eure Meinung«, fragte sie scherzend. »Behagt Euch mehr der Umgang mit schönen Frauen, oder blickt Ihr lieber im Waffenspiel dem Gegner ins Auge?«

Der wackere Streiter ließ sich durch die Scherzfrage überrumpeln und gestand freimütig ein, jeder Gesellschaft schöner Frauen ziehe er den harten Waffenstreit vor. Da gab es fröhliches Gelächter, und als Hagen den Gast, der ein Kaufmann sein wollte, zum Wettkampf herausforderte, mußte er ihn bald voller Erstaunen und Beschämung als seinen Meister anerkennen.

Besonderes Gefallen aber fanden Frauen und Recken des Königshofes an Horand, dem Sänger, der durch seine Stimme aller Herzen gewann. Er sang so bezwingend, daß die Waldvögel in ihrem Gesang innehielten und die schöne Hilde in ihrer Kemenate voll heimlichen Entzückens seiner Stimme lauschte. Niemals hatte sie solch bezaubernden Gesang vernommen. Schließlich konnte sie den lockenden Tönen nicht Iänger widerstehen und ließ den Sänger zu sich kommen.

Dort in ihrem Frauengemach sang Horand für sie eine Weise, die er noch niemandem gesungen hatte, auf der Meerfahrt hatte er sie von einem Nix vernommen, der schöner sang als jedes Menschenwesen.

Jetzt offenbarte Horand der Königstochter die volle Wahrheit und berichtete ihr von Hetel, seinem Herrn, der nichts sehnlicher wünschte, als sie zur Frau zu gewinnen.

Die schöne Hilde schien nicht abgeneigt, ihr Jawort zu geben. »Mein Vater wird niemals darein willigen, daß ich mit Euch in die Ferne ziehe,« meinte sie jedoch zögernd.

»Gerade darum haben wir ja vorgetäuscht, Kaufleute zu sein«, versetzte Horand, und so lockend wußte der kluge Sänger ihr seines Herrn Werbung vorzutragen, daß Hilde schließlich einwilligte. Auch ohne die Zustimmung ihres Vaters wollte sie Horand folgen, und sie war bereit, sich von ihm und seinen Gefährten entführen zu lassen.

»Erbitte dir deines Vaters Erlaubnis, unsere Schiffe zu besichtigen«, schlug er ihr vor, »dann werden wir die Anker lichten und in König Hetels Land fahren.«

Die Flucht gelang. Ein günstiger Fahrtwind führte die Hegelingen zur Heimatküste, und König Hetel, dem Boten den glücklichen Ausgang der Fahrt berichtet hatten, nahte mit einem glänzenden Brautgeleite, um die schöne Hilde heimzuführen. In fröhlichem Einverständnis gelobten sich beide Liebe und Treue. Aber noch ehe es Abend wurde, kam erschreckende Botschaft: König Hagen war mit seiner kampfstarken Flotte bereits nahe der Küste, um die geraubte Tochter zurückzuholen. Denn nicht anders glaubte der Irenkönig, als daß Hilde von Seeräubern entführt worden sei.

»Rüstet euch alle zum Kampfe!« gebot Hetel seinen Mannen, und so standen die Hegelingen zur Abwehr bereit, als König Hagen mit seinen Recken an Land ging.

Ein hartes, erbittertes Ringen begann. Wild flogen die schweren Speere, und dann standen die Kämpfer, das Schwert in der Faust, einander gegenüber. Hagen drang grimmig auf König Hetel ein und traf ihn schwer, und als man den Verwundeten vom Kampfplatz führte, ging Hagen kühn den starken Wate an. Zwei ebenbürtige Gegner standen einander gegenüber, Hagen durchschlug Wates Helm und verwundete ihn schwer. Der alte Recke ließ aber nicht vom Kampfe ab und brachte den König in harte Bedrängnis.

»Trenne, wenn du mich liebst, die beiden erbitterten Kämpfer!« bat Hilde, die alles mit angesehen hatte, König Hetel; »sie werden nicht ablassen von ihrem furchtbaren Streit, bis sie beide zugleich erschlagen zu Boden sinken.«

Da raffte Hetel, trotz seiner Verwundung, sich auf und eilte auf die Walstatt. »Laßt es genug sein der Toten, König Hagen!« rief er, »und stellt den unnützen Kampf ein, ihr Helden!« König Hagen, der Achtung hatte vor der Tapferkeit seines Gegners, folgte der Aufforderung König Hetels. Die beiden starken Streiter senkten die Waffen, und König Hetel bekannte, daß er Hagens Tochter habe entführen lassen, um sich mit ihr zu vermählen. »Als Königin der Hegelingen soll sie über Land und Meer herrschen«, gelobte König Hetel.

Da willigte Hagen ein und erklärte sich zur Versöhnung bereit. Er geleitete selber seine schöne Tochter in die neue Heimat und feierte auf Hetels Burg Matelane ihre Hochzeit mit dem König der Hegelingen, in guter Freundschaft und mit vielen Gastgeschenken schied Hagen von dannen.

In hohen Ehren lebte die schöne Hilde viele Jahre an der Seite König Hetels, der sein Reich in Gerechtigkeit und Kraft regierte und schirmte. Sie hatten zwei Kinder, Ortwin, der unter der Obhut des alten Wate zu einem edlen Recken heranwuchs, und Gudrun, die an Schönheit sogar ihre Mutter überstrahlte.

Wie einst Hagen über seine Tochter Hilde, so wachte nun König Hetel über die schöne Gudrun. Nur dem sollte sie gehören, den er ihrer würdig erachtete. Vergeblich warb Sigfrid von Morland, der über sieben Reiche gebot, um sie; vergeblich bat auch Hartmut, der Sohn König Ludwigs von der Normandie, um ihre Hand.

Gudrun selber hätte sich dem edlen Recken, der sich durch stattlichen Wuchs und ritterliches Wesen auszeichnete, vielleicht wohl anvertraut; denn er brachte ihr aufrichtige Liebe entgegen. Doch ihr Vater Hetel wies den Freier stolz und hochfahrend ab, als bedeute dessen Werbung eine Kränkung seiner Ehre; Hartmuts Vater Ludwig nämlich war ein Lehnsmann von König Hagen von Irland, und somit galt Hartmut ihm als nicht ebenbürtig.

Voller Zorn nahm der junge Normannenfürst die Abweisung hin, er fühlte sich in seiner Ehre gekränkt und sann auf Rache.

Während Hartmut unverrichteter Dinge heimkehrte, erschien König Herwig von Seeland mit einem Heere vor Hetels Burg. Die Hegelingen mußten der Übermacht der Feinde weichen, und Herwig gelang es, mit seinen Mannen in die Burg einzudringen. König Hetel stellte sich Herwig im Burghof zum Kampfe. Aber als die schöne Gudrun Herwigs Heldenkraft und den Ernst seiner Werbung sah, entbrannte ihr Herz in Liebe zu ihm, und sie bat ihren Vater, um ihretwillen Frieden zu schließen. König Hetel gewährte ihr die Bitte, weil er erkannt hatte, daß Herwig seiner Tochter würdig war.

So wurden Gudrun und Herwig miteinander verlobt. Aber ein Jahr sollte die Brautzeit währen; denn Hetel und Hilde wollten sich nicht so bald von ihrem geliebten Kinde trennen.

Doch ehe Herwig daran denken konnte, seine Braut heimzuführen, hatte er einen schweren Krieg zu bestehen. Der mächtige König Sigfrid von Morland hatte in seinem Zorn über die Abweisung am Hegelingenhofe Rache geschworen und wandte sich nun gegen Herwig von Seeland, der glücklicher gewesen war als er. Herwig war nicht zum Kampfe gerüstet und geriet in schwere Not. Nur mit Hetels Hilfe, in dessen Heer auch der junge Ortwin, dazu Wate, Frute und Horand kämpften, wurde der mißgünstige Nebenbuhler in seine Burg zurückgeworfen. Dort belagerten ihn die Heere der Hegelingen und Seeländer. »Nicht eher werde ich von hier weichen«, rief König Hetel drohend, »als bis Sigfrid, der Friedensbrecher, gefangen vor mir steht!«

In dieser Zeit aber, da die wehrhaften Männer fern der Heimat waren, brach das Verhängnis über Hetels Sippe herein. Hartmut, den jungen Normannenfürsten, trieb die Rache wegen der Demütigung, die er an Hetels Hof erfahren hatte, wie auch die Liebe zu Gudrun zu schnellem Entschluß. Seine Späher meldeten ihm, daß König Hetel auf Heerfahrt sei.

Doch ehe Hartmut ins Hegelingenreich einfiel, sandte er noch einmal Brautwerber nach Matelane. »Ich bin Herwig anverlobt«, erklärte die stolze Gudrun »und mit keinem anderen werde ich mich vermählen.«

Da griff der junge Normannenfürst zur Gewalt, wie er es angedroht hatte, berannte mit seinen Mannen die unbewehrte Königsburg und ließ Gudrun mit mehreren ihrer Jungfrauen, zu denen auch ihre Gespielin Hildburg gehörte, ergreifen und zu den Schiffen schleppen.

Nur Königin Hilde blieb in einsamem Schmerz zurück. Sie sandte Boten mit der Trauerkunde an König Hetel, und als dieser vernahm, was sich ereignet hatte, wollte ihn der Schmerz überwältigen. Aber Herwig rief: »Wir müssen sogleich den frechen Räuber verfolgen und ihm seine Beute abjagen.« Auch Wate stimmte ihm zu, und er drängte darauf, mit Sigfrid Frieden zu schließen. Der hartbedrängte König von Morland war auch dazu bereit, und als er erfuhr, daß Hartmut die schöne Gudrun geraubt habe, entschloß er sich, an der Verfolgung teilzunehmen. Ohne zu säumen, bestiegen sie die Schiffe, setzten die Segel und nahmen unter Wates Führung die Verfolgung auf.

Die Normannenkrieger dachten nicht an Gefahr und rasteten auf einer Insel, dem WüIpensande. PIötzlich entdeckten die ausgestellten Wächter Segel auf dem Meer. Die Normannen hatten kaum Zeit, sich zu rüsten, so schnell waren die Schiffe heran. Die bewaffneten Hegelingen sprangen an Land, und die Schlacht begann.

In wütendem Ringen wogte das Kampfglück hin und her. Die Wellen röteten sich vom Blute der Erschlagenen, und rot färbte sich auch das Gras der Dünen, ringsum war die Walstatt von Toten und Verwundeten bedeckt. Hetel stellte in wildem Zorn den Normannenkönig Ludwig, Hartmuts Vater, zum Zweikampf; aber nach schwerem Ringen traf ihn Ludwigs Schwert, daß er sterbend zu Boden sank. Da wurde der Zorn des alten Wate zum Grimm eines reißenden Tieres. Brüllend vor Kampfeswut stürzte er sich in die Reihen der Kämpfer, um seinen Herrn zu rächen, viele Normannen fielen unter seinen Streichen.

Als der Abend herabsank, war die Schlacht immer noch nicht entschieden. Erst die hereinbrechende Finsternis trennte die Kämpfenden. In tiefer Ermattung sanken hüben und drüben die Streiter in den Schlaf. König Ludwig wußte, daß er mit seinen Mannen auf die Dauer den Hegelingen nicht werde standhalten können. Deshalb führte er im Schutze der Nacht seine Krieger lautlos zu den Schiffen, gewann unbehindert die See und steuerte mit günstigem Wind der normannischen Heimat entgegen.

Als Wate in der Morgenfrühe das Heerhorn ertönen ließ, um den Kampf von neuem zu beginnen, war ringsum kein Feind mehr zu erblicken. Nur seine Toten bedeckten den Strand. Groß war die Enttäuschung der Hegelingen; denn sie mußten erkennen, daß sie nicht mehr die Kraft besaßen, den entwichenen Feinden zu folgen.

Da begruben die Überlebenden in tiefem Schmerz ihre Toten; auf das Grab des erschlagenen Königs Hetel wälzten sie einen gewaltigen Stein. Sechs Tage währte es, bis die Toten auf der breiten Meeresdüne bestattet waren. Auch die gefallenen Feinde begruben sie, damit die Leichen nicht den Raben zum Fraß dienten.

Dann ging die Fahrt heimwärts ins Hegelingenland. Ohne den Heerkönig, den starken Hetel, und ohne die schöne Gudrun, um deretwegen sie ausgezogen waren, mußten Wate und Herwig vor die Königin Hilde treten, fast die ganze waffenfähige Mannschaft hatte den Tod gefunden.

Laut klagte Königin Hilde, als sie diese Kunde vernahm. »Wir müssen sogleich zum Kampf gegen die räuberischen Normannen rüsten!« rief sie; doch Herwig zögerte, und Wate, der starke Kämpfer, wiegte bedächtig das Haupt: »Allzusehr sind von dem zweifachen Kriegszug unsere Kräfte erschöpft; erst wenn eine neue Waffenjugend herangewachsen ist, können wir daran denken, gegen die Normannen den Kampf zu erneuern.« Auch Herwig versprach, nicht eher zu ruhen, als bis er Gudrun befreit und an Hartmut gerächt habe.

Währenddessen rauschten die Schiffe der Normannen durch das Meer nach Süden. »Seht jene Burgen, Herrin«, sagte Hartmut zu der von Kummer gebeugten Gudrun, »über sie und all meine Lande sollt Ihr gebieten, wenn Ihr mich erhöret.« Und auch König Ludwig redete ihr gut zu.

»Lieber will ich sterben, als meinem Verlobten die Treue brechen«, erwiderte Gudrun. In jähem Zorn ergriff sie der alte König und stieß sie ins Meer. Aber Hartmut sprang ihr nach und rettete sie aus den Wellen. Drohend trat er vor seinen Vater. »Hätte ein anderer sich solchen Tuns erkühnt«, rief er, »so hätte er es mit dem Leben büßen müssen!« Da faßte Reue den rauhen König, und er tat Abbitte bei Gudrun.

Als die Schiffe in den Heimathafen einliefen, standen Hartmuts Mutter, die Königin Gerlind, und seine Schwester Ortrun am Strande, um Gudrun freundlich zu empfangen. Doch diese wehrte weinend jeden Gruß ab. Trotzdem versuchte die Königin zunächst, die Entführte versöhnlich zu stimmen. Aber gegen sie wie auch gegen Hartmut und alle andern blieb Gudrun abweisend und unzugänglich; nur zu Ortrun, die ihr stets liebreich entgegenkam, fühlte sie sich hingezogen.

Hartmuts Hoffnung, daß Gudrun ihm allmählich ihre Liebe zuwenden werde, erfüllte sich nicht. Zu sehr zürnte Gudrun dem Manne, der die Schuld an ihrem Unglück trug, und sie zeigte sich unversöhnlich, obwohl sie durch Ortrun wußte, daß Hartmuts Liebe aufrichtig war.

Als Gudrun sich fernerhin weigerte, mit Hartmut Hochzeit zu halten, riet Gerlind dem Sohne, die Widerspenstige ihrer Zucht zu übergeben, so werde sich alles wohl fügen. Da willigte Hartmut ein, bat jedoch die Mutter, Gudrun in Ehren zu halten, wie es ihr zustehe. So kam Gudrun, die Königstochter, in Frau Gerlinds Zucht und mußte schwere Magddienste verrichten. Gerlind quälte sie auch durch kränkende Worte und durch Strafen und gab ihr kärgliche Nahrung.

In schweigendem Stolz nahm Gudrun alle Pein geduldig auf sich. Aber die bittere Not verscheuchte die frische Farbe ihrer Wangen. Als Hartmut von Gudruns Behandlung durch seine Mutter erfuhr, stellte er diese zur Rede, und Frau Gerlind versprach, Gudruns Los zu mildern. Trotzdem trug sie der Königstochter immer härtere Arbeiten auf.

Fortan mußte Gudrun am Strande die Wäsche waschen. Der einzige Trost für die gequälte Gudrun war, daß Hildburg, ihre Gespielin, die Not mit ihr teilte. Mitten im eisigen Winter standen die beiden Mädchen am Meeresstrande und gingen ihrer schweren Arbeit nach.

Immer wieder richtete die Königstochter den Blick über die weite See, dorthin, wo sie die ferne Heimat wußte. Hatte man sie denn dort ganz vergessen, glitt kein Segel von Norden her, kam nicht der Verlobte, sie zu suchen und ihr Rettung zu bringen?

Die Jahre gingen hin. Immer quälender und drückender wurde Gudruns Los in der Fremde, und immer mehr schwand ihre Hoffnung auf Rettung und Heimkehr. Ob Herwig, ihr Verlobter, und ihr Bruder Ortwin und ihre Mutter Hilde nicht mehr am Leben waren?

Einst standen Gudrun und Hildburg wieder bei ihrer harten Arbeit am Strande. Das Wetter war rauh und kalt; aber die grausame Gerlind hatte sich nicht gescheut, den beiden Jungfrauen sogar die Schuhe zu versagen; barfüßig, halb erstarrt vor Schmerz und Erschöpfung, so standen sie im Schnee am Meeresufer. Da sahen sie einen Seevogel in den Wellen treiben, und in ihrer Sehnsucht riefen die Jungfrauen ihn an. Der Vogel aber antwortete ihnen mit Menschenstimme: »Harret mutig aus, ihr beiden Dulderinnen; die Rettung ist nahe!« Dann hob er sich in die Luft und flog davon.

Hatte der Vogel wahr gesprochen? Gudrun und Hildburg faßten neuen Mut.

Als sie tags darauf wieder am Strande die Wäsche spülten, schraken sie auf; ein Boot, in dem zwei Männer standen, näherte sich dem Ufer. Gudrun schämte sich und wollte sich verbergen, aber Hildburg überredete sie zu bleiben.

»Wessen Wäsche wascht ihr denn?« fragten die Männer; sie schienen Mitleid zu haben mit den beiden Mädchen, die zitternd und windzerzaust so schwere Arbeit verrichten mußten. Bereitwillig gaben die Jungfrauen Auskunft; doch eine Belohnung, die man ihnen anbot, schlugen sie aus.

»Ihr seid im Normannenlande«, sagte Gudrun, »und die Burg, die ihr dort seht, gehört dem König Ludwig und seinem Sohne Hartmut.«

Begierig vernahmen die Fremden, was Gudrun berichtete.

»Habt ihr etwas gehört von den Jungfrauen, die vor Jahren als Gefangene hierher verschleppt worden sind und von denen die eine Gudrun heißt?« fragte der eine der beiden Männer.

»Ich kannte sie, denn ich gehöre selber zu den Gefangenen, die einst hierhergebracht wurden«, antwortete Gudrun.

Da vernahm sie, wie der eine der beiden von seinem Gefährten Ortwin genannt wurde. »Ihr fragt nach der armen Gudrun«, sagte sie dann; »ich muß euch kundtun, daß sie schon längst ihrer Qual und Mühsal erlegen ist.«

Da wurden die Augen der beiden Helden naß. ,»Bis an mein Lebensende«, rief Herwig, »muß ich nun klagen um sie, die mir zur Ehe versprochen war!«

»Ihr wollt mich täuschen, wenn Ihr Gudrun Eure Braut nennt«, sagte die Jungfrau da. »Denn wäre Herwig am Leben, längst wäre er gekommen, mich zu befreien!«

Damit hatte Gudrun sich verraten. Nun wußten Ortwin und Herwig, daß Gudrun vor ihnen stand. Herwig zeigte ihr den Ring, den er einst aus ihrer Hand empfangen hatte, und sah an ihrer Hand den gleichen, den er ihr einst gegeben hatte.

Da umarmten und küßten sich die beiden Verlobten in unendlichem Glück. Ohne Verzug wollte Herwig die Mädchen mit sich zu den Schiffen führen. Dem widersetzte sich Ortwin: »Nicht feige wegstehlen wollen wir sie«, sagte er, »sondern nach ehrlichem Kampfe werden wir Gudrun und die Mädchen befreien!« »Sollen wir sie auch nur eine Stunde länger in der Knechtschaft leben lassen?« brauste Herwig auf. »Ich habe meine geliebte Braut wiedergefunden! Nun bringe ich sie in Sicherheit, und dann soll der Rachekampf beginnen, der Kampf um die Gefährtinnen Gudruns und Hildburgs!«

Aber der edle Ortwin bestand auf seiner Forderung: »Eher bleibe ich selber hier«, rief er, »und lasse mich an der Schwester Seite von den normannischen Feinden niederstrecken. Nur in Ehren, Gudrun, sollst du befreit werden! Aber vertrau auf unsere Treue!« Da fügte Herwig sich dem Willen des Schwagers, das Versprechen der beiden Tapferen war für Gudrun Trost genug. Mit herzlichem Abschied gingen sie auseinander.

Freudige Hoffnung hatte Gudrun ergriffen, ihr Antlitz gewann wieder die blühende Farbe, und die Augen erhielten leuchtenden Glanz. »Wir müssen an die Arbeit gehen, sonst erwartet uns Strafe«, mahnte Hildburg; aber Gudrun wollte vom Waschen nichts mehr wissen. »Bin ich etwa eine Magd, die niedrige Dienste zu leisten hat?« rief sie, und lachend warf sie die Wäsche, die für sie das Zeichen der Knechtschaft war, ins Meer. Königin Gerlind geriet in großen Zorn, als sie erfuhr, was Gudrun mit der Wäsche gemacht hatte. Sie ließ eine Rute binden und befahl, die Jungfrau zu züchtigen. Da antwortete Gudrun: »Ehe ich die Strafe erdulde, will ich zum Manne nehmen, den ich bisher nicht nahm. Bald wird das Normannenland mir, der Königin, dienen!«

Durch solche Worte ließ sich die Königin ihren Zorn besänftigen. Sie glaubte wirklich, Gudrun habe nun endlich ihren Sinn geändert und sei entschlossen, Hartmut die Hand zum Ehebunde zu reichen. Sogleich ließ Gerlind ihn rufen. Doch als Hartmut in ungläubiger Freude herbeieilte und die stolze Gudrun als seine Braut in die Arme schließen wollte, wies sie ihn zurück: »Seht, wie ich hier stehe, barfuß und im nassen Gewand, wie ich soeben vom Strande heimgekommen bin. Nicht eher sollt Ihr mich berühren, als bis ich Euch ebenbürtig bin und die Krone auf meinem Haupte trage!«

Hartmut fügte sich ihrem Willen und fragte nach ihren Wünschen. Da verlangte Gudrun königliche Gewänder für sich und angemessene Kleidung für ihre Jungfrauen. »Als Fürstin will ich morgen meinen Bräutigam empfangen!« sagte sie bedeutungsvoll .

Gerlinds Dienerinnen waren nun voller Eifer bereit, der eben noch so schmählich Mißhandelten behilflich zu sein. Nur Gerlind mißtraute Gudruns Sinneswandlung, als sie die Königstochter so fröhlich mit den Jungfrauen aus ihrer Heimat scherzen sah, und sie glaubte, ihren Sohn Hartmut warnen zu müssen. Doch seine Liebeshoffnung hatte Hartmut blind gemacht, und unbesorgt schlug er alle Mahnungen der Mutter in den Wind.

Als die Frauen aus dem Hegelingenlande dann zu später Abendzeit allein waren, offenbarte Gudrun ihnen die Wahrheit. »Habt Geduld bis morgen«, sagte sie tröstend, »dann wird unser Leid endlich in Freude verwandelt werden!«

Ortwin und Herwig waren inzwischen zur Flotte der Hegelingen zurückgekehrt und hatten mit ihrem Bericht überall frohe Hoffnung erweckt. Nun mußte das kühne Wagnis gelingen! Als die Nacht herabsank, lichteten sie die Anker und steuerten bei Mondenschein zur Felsenbucht, wo die Normannenburg herüberdrohte. Glücklich gelangten die Helden ans Ufer, und voller Tatendurst rüsteten sie sich zum Kampfe. Gudrun selber, von einer ihrer Jungfrauen geweckt, sah mit heller Freude vom Fenster aus, wie die ganze Bucht von Schiffen voll war und wie die Schlachthaufen der Hegelingen sich zum Sturme bereit stellten. Die Burg war von allen Seiten umstellt. Erst jetzt ließ der normannische Wächter sein Horn erschallen, um die schlafenden Recken zum Kampfe zu rufen; doch zugleich tönte Wates Heerhorn schreckenerregend durch die Morgenfrühe.

Ein harter Kampf entbrannte. Kühn hatten die Normannen die Tore geöffnet, um den Feinden draußen vor den Burgmauern entgegenzutreten: doch bald zeigte es sich, daß sie der Kampfeswut der Hegelingen nicht gewachsen waren. König Ludwig stieß auf Herwig, aber der junge König von Seeland, dem der Gedanke an die wiedergefundene Gudrun die Kraft verdoppelte, schlug so wuchtig drein, daß König Ludwig ihm unterlag: sterbend sank er zu Boden, und Herwig schlug ihm das Haupt ab.

Hoch auf den Zinnen der Burg stand Gudrun inmitten ihrer Jungfrauen und sah dem wechselvollen Kampfe mit fliegendem Atem zu. Immer stärker wurde die Überlegenheit der vordringenden Hegelingen. Selbst den tapferen Hartmut, der überall im Vorkampfe gestanden hatte, verlangte es nach Rast. Aber als er sich mit seinen Mannen ins Tor zurückziehen wollte, versperrte der starke Wate ihm den Weg und stellte ihn zum Kampfe. Schwer fielen die Streiche der beiden gewaltigen Helden.

Da hörte Hartmut, der noch nicht wußte, daß König Ludwig gefallen war, seine Mutter laut den Tod des Gemahls beklagen. Zugleich äußerte sie das Verlangen, Gudrun tot vor sich zu sehen, und entsandte einen ihrer Knechte auf die Burgzinne. Gudrun schrie auf, als sie den Mann mit dem blanken Schwert auf sich zukommen sah, und mit diesem Notschrei aus Todesfurcht zog sie Hartmuts Blicke auf sich, der immer noch in schwerem Zweikampf mit dem grimmen Wate stand. Hartmut eilte herbei, und furchtbar drohte der Normannenfürst, sich an dem gedungenen Mörder zu rächen; da ließ dieser das Schwert sinken und entfloh.

So hatte Hartmut, obwohl selber in Todesnot, Gudrun das Leben gerettet, der immer noch seine Liebe galt.

Bedrängter wurde seine Lage, schon schien er verloren; da eilte Ortrun herbei und warf sich Gudrun zu Füßen. »Wende den Tod von meinem Bruder ab!« bat sie flehend; »mein Vater ist erschlagen und all die Meinen, nun erspare mir ein Schicksal, wie du es selber erlebt hast!«

Da hatte Gudrun Erbarmen mit der Königstochter, die stets freundlich zu ihr gewesen war, und von der Höhe herab winkte sie Herwig heran und bat ihn, die Kämpfenden zu trennen. Nur mit Mühe konnte Herwig ihre Bitte erfüllen. Zwar wurde Hartmut dem Zorne des unbezwinglichen Wate entrissen; aber gefesselt führten Herwigs Mannen ihn zu den Schiffen.

Damit war das Geschick der normannischen Königsburg entschieden. Furchtbar wütete Wate, der sich den Eingang erzwungen hatte, durch alle Gemächer. Er wollte Gericht halten mit Gerlind, die die Tochter seines Königs so grausam behandelt hatte. In ihrer Verzweiflung suchte die Königin Hilfe bei Gudrun, die schon Ortrun vor der Wut der Hegelingen beigestanden hatte. Voller Großmut gewährte die edle Gudrun auch ihrer Feindin Schutz und versteckte sie hinter sich. Aber Wate, furchtbar anzuschauen in seiner Kampfeswut, zerrte Gerlind hervor und ließ die Königin mit dem Tode büßen, was sie seiner Herrin angetan hatte.

Damit hatte der erbitterte Kampf ein Ende gefunden. In unendlichem Glück umarmte Gudrun den Verlobten und den Bruder, die ihr die Freiheit gebracht hatten.

Mit reicher Siegesbeute ging es sodann auf die Heimfahrt, Hartmut und Ortrun wurden als Gefangene mitgeführt.

Frau Hilde, die Hegelingenkönigin, hatte schon durch Boten den glückhaften Ausgang vernommen. Bald lag Gudrun in den Armen der Mutter. Nun endlich wußte sie, daß ihre lange Leidenszeit ein Ende gefunden hatte.

Die beiden normannischen Königskinder verwies Hilde zunächst streng aus ihren Augen; später jedoch fügte sie sich Gudruns Fürsprache. Ortwin nämlich hatte die schöne Ortrun liebgewonnen und warb um ihre Liebe, und auch Hartmut gegenüber ließ die Königin von ihrem Groll und gewährte ihm Verzeihung und Freiheit. Da bat der junge Normannenfürst die treue Hildburg um ihre Hand, und als bald darauf Gudrun und Herwig den Lebensbund schlossen, für den Gudrun sich neun Jahre lang bereit gehalten hatte, da sah die Hochzeitsfeier im Hegelingenlande drei glückliche Brautpaare.

Eine lange Friedenszeit folgte nach den schrecklichen Jahren der Entbehrung und des Krieges. Gudruns Schönheit erblühte von neuem, und ihre Treue, die sie so viele Jahre hindurch bewahrt hatte, wurde in allen Landen besungen.

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Erste Legende

Auf den oft besungenen Sudeten haust in friedlicher Eintracht der berufene Berggeist, Rübezahl genannt, der das Riesengebirge berühmt gemacht hat. Dieser Fürst der Gnomen besitzt zwar auf der Oberfläche der Erde nur ein kleines Gebiet, von wenigen Meilen im Umfang, mit einer Kette von Bergen umschlossen. Aber unter der urbaren Erdrinde hebt seine Alleinherrschaft an und erstreckt sich auf achthundertsechzig Meilen in die Tiefe, bis zum Mittelpunkt der Erde. Zuweilen beurlaubt er sich aller unterirdischen Regierungssorgen, erhebt sich zur Erholung auf die Grenzfeste seines Gebiets und hat sein Wesen auf dem Riesengebirge, treibt da sein Spiel und Spott mit den Menschenkindern wie ein froher Übermütiger, der, um einmal zu lachen, seinen Nachbarn zu Tode kitzelt.

Freund Rübezahl ist geartet wie ein Kraftgenie, launisch, ungestüm, sonderbar; bengelhaft, roh, unbescheiden; stolz, eitel, wankelmütig, heute der wärmste Freund, morgen fremd und kalt; zuzeiten gutmütig, edel und empfindsam; aber mit sich selbst in stetem Widerspruch, albern und weise, schalkhaft und bieder, störrisch und beugsam.

Von Olims Zeiten her toste Rübezahl schon im wilden Gebirge, hetzte Bären und Auerochsen aneinander, daß sie zusammen kämpften, oder scheuchte mit grausendem Getöse das scheue Wild vor sich her und stürzte es von den steilen Felsenklippen hinab ins tiefe Tal. Dieser Jagden müde, zog er wieder seine Straße durch die Regionen der Unterwelt und weilte da Jahrhunderte, bis ihn von neuem die Lust anwandelte, sich an die Sonne zu legen und des Anblicks der äußern Schöpfung zu genießen. Wie nahm’s ihn wunder, als einst bei seiner Rückkehr, von dem beschneiten Gipfel des Riesengebirges umherschauend, die Gegend ganz verändert fand! Die düsteren undurchdringlichen Wälder waren ausgehauen und in fruchtbares Ackerland verwandelt, wo reiche Ernten reiften. Zwischen den Pflanzungen blühender Obstbäume ragten die Strohdächer geselliger Dörfer hervor, aus deren Schlot friedlicher Hausrauch in die Luft wirbelte; hier und da stand eine einsame Warte auf dem Abhang eines Berges zu Schutz und Schirm des Landes.

Die Neuheit der Sache und die Annehmlichkeit des ersten Anblicks ergötzten den verwunderten Territorialherrn so sehr, daß er über die eigenmächtigen Pflanzer nicht unwillig ward, noch ihrem Tun und Wesen sie zu stören begehrte, sondern sie ruhig im Besitz ihres angemaßten Eigentums ließ, wie ein gutmütiger Hausvater der geselligen Schwalbe oder selbst dem überlästigen Spatz unter seinem Obdach Aufenthalt gestattet. Sogar ward er Sinnes, mit den Menschen Bekanntschaft zu machen und mit ihnen Umgang zu pflegen, Er nahm die Gestalt eines rüstigen Ackerknechtes an und verdingte sich bei dem ersten besten Landwirt. Alles was er unternahm, gedieh wohl unter seiner Hand, und Rips, der Ackerknecht, war für den besten Arbeiter im Dorfe bekannt. Aber sein Brotherr war ein Prasser und Schlemmer, der ihm für seine Mühe und Arbeit wenig Dank wußte; darum schied er von ihm und kam zu dessen Nachbar, der ihm seine Schafherde unterstellte. Die Herde gedieh gleichfalls unter seiner Hand und mehrte sich, kein Schaf stürzte vom Felsen herab das Genick, und keins zerriß der Wolf. Aber sein Brotherr war ein karger Filz, der seinen treuen Knecht nicht lohnte wie er sollte; denn er stahl den besten Widder aus der Herde und kürzte dafür den Hirtenlohn. Darum entlief er dem Geizhals und diente dem Richter als Herrenknecht, ward die Geißel der Diebe und frönte der Justiz mit strengem Eifer. Aber der Richter war ein ungerechter Mann, beugte das Recht, richtete nach Gunst und spottete der Gesetze. Weil Rips nun nicht das Werkzeug der Ungerechtigkeit sein wollte, sagte er dem Richter den Dienst auf und ward in den Kerker geworfen, aus dem er jedoch auf dem gewöhnlichen Wege der Geister, durchs Schlüsselloch, leicht einen Ausweg fand.

Dieser erste Versuch, das Studium der Menschenkunde zu treiben, konnte ihn unmöglich zur Menschenliebe erwärmen; er kehrte mit Verdruß auf seine Felsenzinne zurück, überschaute von da die lachenden Gefilde und wunderte sich, daß die Mutter Natur ihre Spenden an solche Brut verlieh. Desungeachtet wagte er noch eine Ausflucht ins Land fürs Studium der Menschheit, schlich unsichtbar herab ins Tal und lauschte in Busch und Hecken. Da stand vor ihm die Gestalt eines reizvollen Mädchens, lieblich anzuschauen, denn sie stieg eben ins Bad. Rings um sie hatten sich ihre Gespielinnen im Gras gelagert an einem Wasserfalle, der seine Silberflut in ein kunstloses Becken goß, scherzten und kosten mit ihrer Gebieterin in unschuldsvoller Fröhlichkeit. Dieser Anblick wirkte so wundervoll auf den lauschenden Berggeist, daß er schier seine geistige Natur und Eigenschaft vergaß und sich das Los der Sterblichkeit wünschte. Deshalb verwandelte er sich in einen blühenden Jüngling. Das war der rechte Weg, ein Mädchenideal in seiner ganzen Vollkommenheit zu umfassen. Es erwachten Gefühle in seiner Brust, von denen er seit seiner Existenz noch nichts geahnt hatte; alle Ideen bekamen einen neuen Schwung. Ein unwiderstehlicher Trieb zog ihn nach dem Wasserfalle hin, und doch empfand er eine gewisse Scheu, durchs Gesträuch hervorzubrechen durch das sein Auge gleichwohl eine verstohlene Aussicht auszuspähen strebte.

Die schöne Nymphe war die Tochter des schlesischen Pharao, der in der Gegend des Riesengebirges damals herrschte. Sie pflegte oft mit den Jungfrauen des Hofes in den Hainen und Büschen des Gebirges zu lustwandeln und, wenn der Tag heiß war, sich bei der Felsenquelle am Wasserfalle zu erfrischen und darin zu baden. Von diesem Berggeist an diesen Platz, den er nicht mehr verließ, und täglich der Wiederkehr der reizenden Badegesellschaft mit Ungeduld entgegenharrte.

Die Nymphe zögerte lange, doch in der Mittagsstunde eines schwülen Sommertages besuchte sie wieder mit ihrem Gefolge die kühlen Schatten am Wasserfalle. Ihre Verwunderung ging über alles, da sie den Ort ganz verändert fand; die rohen Felsen waren mit Marmor und Alabaster bekleidet, das Wasser stürzte nicht mehr in einem wilden Strom von der steilen Bergwand, sondern rauschte, durch viele Abstufungen gebrochen, mit sanften Gemurmel in ein weites Marmorbecken herunter. Maßlieben, Zeitlosen und das romantische Blümlein Vergißmeinnicht blühten an dessen Rande, Rosenhecken, mit wildem Jasmin und Silberblüten vermengt, zogen sich in einiger Entfernung umher und bildeten das angenehmste Luststück. Rechts und links der Kaskade öffnete sich der doppelte Eingang einer prächtigen Grotte, deren Wände und Bogengewölbe mit mosaischer Bekleidung prangten, von farbigen Erzstufen, Bergkristall und Frauenglas, alles funkelnd und flimmernd, daß der Abglanz davon das Auge blendete.

Die Prinzessin stand lange in stummer Verwunderung da, wußte nicht, ob sie ihren Augen trauen, diesen zauberhaften Ort betreten oder fliehen sollte. Nachdem sie mit ihrem Gefolge in diesem kleinen Tempel sich sattsam erlustigt und alles fleißig durchgemustert hatte lüstete sie, in dem Bassin zu baden.

Kaum war sie über den glatten Rand des Marmorbeckens hinabgeschlüpft, so sank sie in eine endlose Tiefe. Laut ließ die bange Schar der erschrockenen Mädchen Klage, Ach und Weh erschallen , als ihr Fräulein vor ihren Augen dahinschwand; sie liefen ängstlich am marmornen Gestade hin und wieder, indes das Springwasser recht geflissentlich sie mit einem Platzregen nach dem anderen übergoß.

Hier war kein anderer Rat, als dem Könige die traurige Begebenheit mit seiner Tochter zu hinterbringen. Wehklagend begegneten ihm die Mädchen, da er eben mit seinen Jägern zu Walde zog. Der König zerriß sein Kleid vor Betrübnis und Entsetzen, nahm die goldene Krone vom Haupte, verhüllte sein Angesicht mit dem Purpurmantel, weinte uns stöhnte laut über den Verlust der schönen Emma.

Nachdem er der Vaterliebe den ersten Tränenzoll entrichtet hatte, stärkte er seinen Mut und eilte, das Abenteuer am Wasserfalle selbst zu beschauen. Aber der angenehme Zauber war verschwunden, die rohe Natur stand wieder da in ihrer vorigen Wildheit; da war keine Grotte, kein Rosengehege, keine Jasminlaube.

Unterdessen hatte der Berggeist die liebreizende Emma durch einen unterirdischen Weg in einen prächtigen Palast geführt. Als sich die Lebensgeister der Prinzessin wieder erholt hatten, befand sie sich auf einem Sofa, angetan mit einem Gewand von rosenfarbenem Satin und einem Gürtel von himmelblauer Seide. Ein junger Mann lag zu ihren Füßen und tat ihr mit dem wärmsten Gefühl das Geständnis der Liebe, das sie mit schamhaftem Erröten annahm. Der entzückte Gnom unterrichtete sie hierauf von seinem Stand und seiner Herkunft, von den unterirdischen Staaten, die er beherrschte, führte sie durch die Zimmer und Säle des Schlosses und zeigte ihr alle Pracht und Reichtum. Ein herrlicher Lustgarten umgab das Schloß von drei Seiten, der mit feinen Blumenstücken und Rasenplätzen, auf deren grüner Fläche ein kühler Schatten schwamm, dem Fräulein vornehmlich zu behagen schien. Alle Obstbäume trugen purpurrote, mit Gold gesprenkelte oder zur Hälfte übergüldete Äpfel. In den traulichen Bogengängen lustwandelte das Paar. Sein Blick hing an ihren Lippen, und sein Ohr trank die sanften Töne aus ihrem melodischen Munde. In seinem langen Leben hatte er dergleichen selige Stunden noch nie genossen, als ihm jetzt die erste Liebe gab.

Nicht gleiches Wonnegefühl empfand die reizende Emma. Ein gewisser Trübsinn hing über ihrer Stirn, sanfte Schwermut und zärtliches Hinschmachten offenbarten genug, daß geheime Wünsche in ihrem Herzen verborgen lagen. Er machte gar bald diese Entdeckung und bestrebte sich, durch Liebkosungen diese Wolken zu zerstreuen und die Schöne aufzuheitern, obwohl vergebens. Der Mensch, dachte er bei sich selbst, ist ein geselliges Tier wie die Biene und die Ameise; der schönen Sterblichen gebricht’s an Unterhaltung. Flugs ging er hinaus ins Feld, zog auf einem Acker ein Dutzend Rüben aus, legte sie in einen zierlichen geflochtenen Deckelkorb und brachte diesen der schönen Emma, die melancholisch einsam in der beschatteten Laube eine Rose entblätterte. «Schönste der Erdentöchter,» redete sie der Gnom an, «du sollst nicht mehr die Einsamtrauernde in meiner Wohnung sein. In diesem Korbe ist alles, was du bedarfst, diesen Aufenthalt dir angenehm zu machen. Nimm den kleinen buntgeschälten Stab und gib durch die Berührung mit ihm den Erdengewächsen im Korbe die Gestalten, die dir gefallen.»

Hierauf verließ er die Prinzessin, und sie weilte keinen Augenblick, mit dem Zauberstabe laut Instruktion zu verfahren, nachdem sie den Deckelkorb geöffnet hatte. «Brinhild,» rief sie, «liebe Brinhild, erscheine!» Und Brinhild lag zu ihren Füßen, umfaßte die Kniee ihrer Gebieterin und benetzte ihren Schoß mit Freudenzähren. Die Täuschung war so vollkommen, daß Fräulein Emma selbst nicht wußte, wie sie mit ihrer Schöpfung dran war: ob sie die wahre Brinhild hergezaubert hatte, oder ob ein Blendwerk das Auge betrog. Sie überließ sich indessen ganz den Empfindungen der Freude, ihre liebste Gespielin um sich zu haben, lustwandelte mit ihr Hand in Hand im Garten umher, ließ sie dessen herrliche Anlagen bewundern und pflückte ihr goldgesprenkelte Äpfel von den Bäumen. hierauf führte sie ihre Freundin durch alle Zimmer im Palast bis in die Kleiderkammer, wo sie bis zu Sonnenuntergang verweilten. Alle Schleier, Gürtel, Ohrspangen wurden gemustert und anprobiert.

Der spähende Gnom war entzückt über den Tiefblick, den er in das weibliche Herz getan zu haben vermeinte, und freute sich über den guten Fortgang in der Menschenkunde. Die schöne Emma dünkte ihn jetzt schöner, freundlicher und heiterer zu sein als jemals. Sie unterließ nicht, ihren ganzen Rübenvorrat mit dem Zauberstabe zu beleben, gab ihnen die Gestalt der Jungfrauen, die ihr vordem aufzuwarten pflegten, und weil noch zwei Rüben übrig waren, bildete sie eine Zyperkatze um, aus der anderen schuf sie ein niedlich hüpfendes Hündchen. Einige Wochen lang genoß sie die Wonne des gesellschaftlichen Vergnügens ungestört, Sang und Saitenspiel wechselten vom Morgen bis zum Abend; nur merkte das Fräulein nach Verlauf einiger Zeit, daß die frische Gesichtsfarbe ihrer Gesellschafterinnen etwas abbleichte. Der Spiegel im Marmorsaal ließ zuerst bemerken, daß sie allein wie eine Rose aus der Knospe frisch hervorblühte, da die geliebte Brinhild und die übrigen Jungfrauen welkenden Blumen glichen; gleichwohl versicherten sie alle, daß sie sich wohl befänden, und der freigebige Gnom ließ sie an seiner Tafel auch keinen Mangel leiden. Dennoch zehrten sie sichtbar ab, Leben und Tätigkeit schwand von Tag zu Tag mehr dahin, und alles Jugendfeuer erlosch.

Als die Prinzessin an einem heitern Morgen, durch gesunden Schlaf gestärkt, fröhlich ins Gesellschaftszimmer trat, wie schauderte sie zurück, da ihr ein Haufen eingeschrumpfter Matronen an Stäben und Krücken entgegenzitterte, mit Dumpf- und Keuchhusten beladen, unvermögend sich aufrechtzuerhalten. Das schäkernde Hündchen hatte alle vier von sich gestreckt, und der schmeichelnde Zyper konnte sich vor Kraftlosigkeit kaum noch regen und bewegen. Bestürzt eilte die Prinzessin aus dem Zimmer, der schaudervollen Gesellschaft zu entfliehen, trat hinaus auf den Söller des Portals und rief laut den Gnomen, der alsbald in demütiger Stellung auf ihr Geheiß erschien. «Boshafter Geist,» redete sie ihn zornmütig an, «warum mißgönnst du mir die einzige Freude meines harmvollen Lebens, die Schattengesellschaft meiner ehemaligen Gespielinnen? Augenblicklich gib meinen Dirnen Jugend und Wohlgestalt wieder, oder Haß und Verachtung soll deinen Frevel rächen.» – «Schönste der Erdentöchter,» entgegnete der Gnom, «zürne nicht über die Gebühr! Alles, was in meiner Gewalt ist, steht in deiner Hand; aber das Unmögliche fordere nicht von mir. Die Kräfte der Natur gehorchen mir, doch vermag ich nichts gegen ihre unwandelbaren Gesetze. Solange vegetierende Kraft in den Rüben war, konnte der magische Stab ihr Pflanzenleben nach deinem Gefallen verwandeln; aber ihre Säfte sind nun vertrocknet, und ihr Wesen neigt sich nach der Zerstörung hin; denn der belebende Elementargeist ist verraucht. Jedoch das; soll dich nicht kümmern, Geliebte, ein frischgefüllter Deckelkorb kann den Schaden leicht ersetzen; du wirst daraus alle Gestalten wieder hervorrufen, die du begehrst. Gib jetzt der Mutter Natur ihre Geschenke zurück, die dich so angenehm unterhalten haben; auf dem großen Rasenplatze im Garten wirst du die Gesellschaft finden.» Der Gnom entfernte sich darauf, und Fräulein Emma ihren buntgeschälten Stab zur Hand, berührte damit die gerunzelten Weiber, las die eingeschrupften Rüben zusammen und tat damit, was Kinder, die eines Spielzeugs müde sind, zu tun pflegen: sie warf den Plunder ins Kehricht und dachte nicht mehr daran.

Leichtfüßig hüpfte sie nun über die grünen Matten dahin, den frisch gefüllten Deckelkorb in Empfang zu nehmen, den sie jedoch nirgends fand. Sie ging den Garten auf und nieder, spähte fleißig umher; aber es wollte kein Korb zum Vorschein kommen. Am Traubengeländer kam ihr der Gnom entgegen mit so sichtbarer Verlegenheit, daß sie seine Bestürzung schon von ferne wahrnahm. «Du hast mich getäuscht,» sprach sie, «wo ist der Deckelkorb geblieben? Ich suche ihn schon seit einer Stunde vergebens.» – «Holde Gebieterin meines Herzens,» antwortete der Geist, «wirst du mir meinen Unbedacht verzeihen? Ich versprach mehr, als ich geben konnte, ich habe das Land durchzogen, Rüben aufzusuchen, aber sie sind längst geerntet und welken in dumpfigen Kellern. Harre nur drei Mondenwechsel in Geduld aus, dann soll dir’s nie an Gelegenheit gebrechen, mit deinen Puppen zu spielen.» Ehe noch der beredsame Gnom mit dieser Rede zu Ende war, drehte ihm seine Schöne unwillig den Rücken zu, ohne ihm einer Antwort zu würdigen. Er aber hob sich von dannen in die nächste Marktstadt innerhalb seines Gebietes, kaufte, als ein Pachter gestaltet, einen Esel, den er mit schweren Säcken Sämerei belud, womit er einen ganzen Morgen Landes besäte.

Die Rübensaat schoß lustig auf und versprach in kurzer Zeit eine reiche Ernte; Fräulein Emma ging täglich hinaus auf ihr Ackerfeld, das zu besehen sie mehr lüstete als die goldenen Äpfel. Aber Kummer und Mißmut trübten ihre kornblumenfarbenen Augen. Sie weilte am liebsten in einem düsteren, melancholischen Tannenwäldchen am Rande eines Quellbaches, der sein silbernes Gewässer ins Tal rauschen ließ, und warf Blumen hinein, die in den Odergrund hinabflossen.

Der Gnom sah wohl, daß bei den sorgfältigsten Bestreben, durch tausend kleine Gefälligkeiten sich in der schönen Emma Herz zu stehlen, ihr keine Liebe abzugewinnen war. Desungeachtet ermüdete seine hartnäckige Geduld nicht, durch die pünktlichste Erfüllung ihrer Wünsche ihren spröden Sinn zu überwinden. Er nahm als etwas ausgemachtes an, daß ihr Herz so frei und unbefangen sei wie das seine, doch das war ein großer Irrtum. Ein junger Grenznachbar an den Gestaden der Oder, Fürst Ratibor, hatte den süßen Minnetrieb in dem Herzen der holden Emma bereits angefacht. Schon sah das glückliche Paar dem Tage seiner Vermählung entgegen, da die Braut mit einem Male verschwand. Diese Nachricht verwandelte den liebenden Rabtibor in einen rasenden Roland. Er verließ seine Residenz, zog menschenscheu in einsamen Wäldern umher und klagte den Felsen sein Unglück. Die treue Emma seufzte unterdessen ihre Herzgefühle so fest in ihrem Busen, daß der spähende Gnom nicht enträtseln konnte, was für Empfindungen sich darin regten. Lange schon hatte sie darauf gesonnen, wie sie ihn überlisten und der lästigen Gefangenschaft entrinnen möchte. Nach mancher durchwachten Nacht sann sie endlich einen Plan aus, der des Versuchs würdig schien, ihn auszuführen.

Der Lenz kehrte in die gebirgischen Täler zurück, und die Rüben gediehen zur Reife. Die schlaue Emma zog täglich einige davon aus und machte damit Versuche, ihnen allerlei beliebige Gestalten zu geben, dem Anschein nach sich damit zu belustigen; aber ihre Absicht ging weiter. Sie ließ eines Tages eine kleine Rübe zur Biene werden, um sie abzuschicken, Kundschaft von ihrem Geliebten einzuziehen. «Fleuch, liebes Bienchen, gegen Aufgang,» sprach sie, «zu Ratibor, dem Fürsten des Landes, und sumse ihm sanft ins Ohr, daß Emma noch für ihn lebt, aber eine Sklavin ist des Fürsten der Gnomen, der das Gebirge bewohnt; verlier‘ kein Wort von diesem Gruße und bring mir die Botschaft von seiner Liebe.» Die Biene flog alsbald von dem Finger ihrer Gebieterin, wohin sie beordert war; aber kaum hatte sie ihren Flug begonnen, so stach eine gierige Schwalbe auf sie herab und verschlang zum großen Leidwesen des Fräuleins die Botschafterin der Liebe. Darauf formte sie vermöge des wunderbaren Stabes eine Grille, lehrte sie gleichen Spruch und Gruß. Die Grille flog und hüpfte so schnell, wie sie konnte, auszurichten, was ihr befohlen war; aber ein langbeiniger Storch promenierte eben an dem Wege, auf dem die Zirpe zog, erfaßte sie mit seinem langen Schnabel und begrub sie in das Verlies seines weiten Kropfes.

Diese mißlungenen Versuche schreckten die entschlossene Emma nicht ab, einen neuen zu wagen; sie gab der dritten Rübe die Gestalt einer Elster. «Schwanke hin, beredsamer Vogel,» sprach sie, «von Baum zu Baum, bis du gelangest zu Ratibor, sag ihm an meine Gefangenschaft und gib ihm Bescheid, daß er meiner harre mit Roß und Mann, den dritten Tag von heute, an der Grenze des Gebirges im Maientale, bereit, den Flüchtling aufzunehmen, der seine Ketten zu zerbrechen wagt und Schutz von ihm begehrt.» Die Elster gehorchte, und die sorgsame Emma begleitete ihren Flug, soweit das Auge reichte. Der harmlose Ratibor irrte noch immer melancholisch in den Wäldern herum; die Rückkehr des Lenzes und die wiederauflebende Natur hatten seinen Kummer nur gemehrt. Er saß unter einer schattenreichen Eiche, dachte an seine Prinzessin und seufzte laut: Emma! Alsbald gab das vielstimmige Echo ihm diesen geliebten Namen schmeichelhaft zurück; aber zugleich rief auch eine unbekannte Stimme den seinigen aus. Er horchte hoch auf, sah niemanden, wähnte eine Täuschung und hörte den nämlichen Ruf wiederholen. Kurz darauf erblickte er eine Elster, die auf den Zweigen hin und her flog und ward inne, daß der gelehrige Vogel ihn beim Namen rief. «Armer Schwätzer,» sprach er, «wer hat dich gelehrt, diesen Namen auszusprechen, der einem Unglücklichen gehört, der wünscht, von der Erde vertilgt zu sein wie sein Gedächtnis?» Hierauf faßte er einen Stein und wollte ihn nach dem Vogel schleudern, als dieser den Namen Emma hören ließ. Der Sprecher auf dem Baume begann mit der dem Elstergeschlecht eigenen Beredsamkeit den Spruch, der ihm gelehrt war. Fürst Ratibor vernahm kaum diese fröhliche Botschaft, so ward’s hell in seiner Seele; der tödliche Gram, der die Sinne umnebelt und die Federkraft der Nerven erschlafft hatte, verschwand. Er forschte mit Fleiß von der Glücksverkünderin nach den Schicksalen der holden Emma; aber die gesprächige Elster konnte nichts als mechanisch ihre Lektion ohne Aufhören wiederholen und flatterte davon. Schnellfüßig eilte der auflebende Prinz zu seinem Hoflager zurück, rüstete eilig das Geschwader der Reisigen, saß auf und zog mit ihnen hin ans Vorgebirge seiner guten Hoffnung, das Abenteuer zu bestehen.

Fräulein Emma hatte unterdessen mit weiblicher Schlauheit alles vorbereitet, ihr Vorhaben auszuführen. Sie ließ ab, den duldsamen Gnomen mit Kaltsinn zu quälen, ihr Auge sprach Hoffnung, und ihr spröder Sinn schien beugsamer zu werden. Der seufzende Liebhaber empfand gar bald diese scheinbare Sinnesänderung der holden Spröden. Ein holdseliger Blick, eine freundliche Miene, ein bedeutsames Lächeln setzten sein entzündbares Wesen in volle Flammen. Er bat um Erhörung und wurde nicht zurückgewiesen. Das Fräulein begehrte nur noch einen Tag Bedenkzeit, den ihr der wonnetrunkene Gnom bereitwillig zugestand.

Den folgenden Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, trat die schöne Emma geschmückt wie eine Braut hervor, mit allem Geschmeide belastet, das sie in ihrem Schmuckkästlein gefunden hatte, und da ihr der harrende Gnom auf der großen Terrasse im Lustgarten entgegenwandelte, bedeckte sie züchtiglich mit dem Ende des Schleiers ihr Angesicht. «Himmlisches Mädchen,» stammelt er ihr entgegen, «laß mich die Seligkeit der Liebe aus deinen Augen trinken und weigere mir nicht länger den bejahenden Blick, der mich zum glücklichsten Wesen macht, das jemals die rote Morgensonne bestrahlt hat!» Hierauf wollte er ihr Antlitz enthüllen, aber das Fräulein machte ihre Schleierwolke noch dichter um sich her und antwortete gar bescheiden: «Vermag eine Sterbliche dir zu widerstehen, Gebieter meines Herzens? Deine Standhaftigkeit hat obgesiegt. Nimm dies Geständnis von meinen Lippen; aber laß mein Erröten und meine Zähren diesen Schleier auffassen.» – «Warum Zähren, o Geliebte?» fiel der beunruhigte Geist ein, «ich heische Lieb‘ um Liebe und will nicht Aufopferung.» – «Ach,» erwiderte Emma, «warum mißdeutest du meine Tränen? Mein Herz lohnt deine Zärtlichkeit; aber bange zerreißt meine Seele. Das Weib hat nicht stets die Reize einer Geliebten; du alterst nimmer; aber irdische Schönheit ist eine Blume, die bald dahinwelkt. Woran soll ich erkennen, daß du der zärtliche, liebevolle, gefällige, duldsame Gemahl sein werdest, wie du als Liebhaber warest?» Er antwortete: «Fordere einen Beweis meiner Treue oder des Gehorsams in Ausrichtung deiner Befehle, oder stelle meine Geduld auf die Probe und urteile daraus von der Stärke meiner unwandelbaren Liebe.» – «Es sei also!» beschloß die schlaue Emma «ich heische nur einen Beweis deiner Gefälligkeit. Gehe hin und zähle die Rüben alle auf dem Acker; mein Hochzeitstag soll nicht ohne Zeugen sein, ich will sie beleben, damit sie mir zu Kränzeljungfrauen dienen; aber hüte dich, mich zu täuschen und verzähle dich nicht um eine, denn das ist die Probe, woran ich deine Treue prüfen will.»

So ungern sich der Gnom in diesen Augenblick von seiner reizenden Braut trennte, so gehorchte er doch, machte sich rasch an seine Geschäfte und hüpfte hurtig unter den Rüben herum. Er war durch diese Geschäftigkeit mit seiner Aufgabe bald zustande; doch um der Sache recht gewiß zu sein, wiederholte er sie nochmals und fand zu seinem Verdruß eine andere Zahl, was ihn nötigte, zum drittenmal den Rübenpöbel durchzumustern.

Die verschmitzte Emma hatte ihren Paladin kaum aus den Augen verloren, als sie zur Flucht Anstalt machte. Sie hielt eine saftvolle Rübe in Bereitschaft, die sie flugs in ein mutiges Roß mit Sattel und Zeug metamorphosierte. Rasch schwang sie sich in den Sattel, flog über die Heiden und Steppen des Gebirges dahin, und der flüchtige Pegasus wiegte sie, ohne zu straucheln, auf seinem sanften Rücken hinab ins Maiental, wo sie sich dem geliebten Ratibor, der der Kommenden ängstlich entgegenharrte, fröhlich in die Arme warf.

Der geschäftige Gnom hatte sich indessen so in seine Zahlen vertieft, daß er von dem, was um und neben ihm geschah, nichts wußte. Nach langer Mühe und Anstrengung seiner Geisteskraft war ihm endlich gelungen, die wahre Zahl aller Rüben auf dem Ackerfelde, klein und groß mit eingerechnet, gefunden zu haben. Er eilte nun froh zurück, sie seiner Herzensgebieterin gewissenhaft zu berechnen und durch die pünktliche Erfüllung ihrer Befehle sie zu überzeugen, daß er der gefälligste und unterwürfigste Gemahl sein werde. Mit Selbstzufriedenheit trat er auf den Rasenplatz; aber da fand er nicht, was er suchte; er lief durch die bedeckten Lauben und Gänge; auch da war nicht, was er begehrte. Er kam in den Palast, durchspähte alle Winkel, rief den holden Namen Emma aus, den ihm die einsamen Hallen zurücktönten, begehrte einen Laut von dem geliebten Munde; doch da war weder Stimme noch Rede. Das fiel ihm auf, er merkte Unrat; flugs warf er das schwerfällige Phantom der Verkörperung ab, schwang sich hoch in die Luft und sah den geliebten Flüchtling in der Ferne, als eben der rasche Gaul über die Grenze setzte. Wütend ballte der ergrimmte Geist ein paar friedlich vorüberziehende Wolken zusammen und schleuderte einen kräftigen Blitz der Fliehenden nach, der eine tausendjährige Grenzeiche zersplitterte. Aber jenseits dieser war des Gnomen Rache unkräftig, und die Donnerwolke zerfloß in einen sanften Heiderauch.

Nachdem er die Luftregionen verzweiflungsvoll durchkreuzt hatte, kehrte er trübselig in den Palast zurück, schlich durch alle Gemächer und erfüllte sie mit Seufzen und Stöhnen. Die Sehnsucht erwachte wieder an jedem Platze, wo sie vormals ging und stand, wo er trauliche Unterredungen mit ihr gepflogen hatte. Alles das würgte und knotete ihn so zusammen, daß er unter der Last seiner Gefühle in dumpfes Hinbrüten versank. Bald danach brach sein Unmut in gräßliche Verwünschungen aus, und er vermaß sich höchstlich, der Menschenkenntnis zu entsagen und von diesem argen betrüglichen Geschlechte keine weitere Notiz zu nehmen. In dieser Entschließung stampfte er dreimal auf die Erde, der ganze Zauberpalast mit all seiner Herrlichkeit kehrte in sein ursprüngliches Nichts zurück, und der Gnom fuhr hinab in die Tiefe bis an die entgegengesetzte Grenze seines Gebietes, in den Mittelpunkt der Erde.

Während dieser Katastrophe im Gebirge führte Fürst Ratibor sie schöne Emma an den Hof ihres Vaters zurück, vollzog daselbst seine Vermählung, teilte mit ihr den Thron seines Erbes und erbaute die Stadt Ratibor, die noch seinen Namen trägt bis auf diesen Tag. Das sonderbare Abenteuer der Prinzessin, das ihr auf dem Riesengebirge begegnet war, ihre kühne Flucht und glückliche Entrinnung wurde das Märchen des Landes, pflanzte sich von Geschlecht zu Geschlecht fort bis in die entferntesten Zeiten. Und die Einwohner der umliegenden Gegenden, die den Nachbar Berggeist bei seinem Geisternamen nicht zu nennen wußten, legten ihm einen Spottnamen auf, riefen ihn Rübenzähler oder kurz Rübezahl.

Zweite Legende

Der unmutige Gnom verließ die Oberwelt mit dem Entschluß, nie wieder das Tageslicht zu schauen; doch die wohltätige Zeit verwischte nach und nach die Eindrücke seines Grams; gleichwohl erforderte diese langwierige Operation einen Zeitraum von neunhundertneunundneunzig Jahren, ehe die alte Wunde ausheilte. Endlich da ihn die Beschwerde der Langeweile drückte und er einstmals sehr übel aufgeräumt war, brachte sein Hofschalksnarr in der Unterwelt, ein drolliger Kobold, eine Lustpartie aufs Riesengebirge in Vorschlag. Es war nicht mehr als eine Minute nötig, so war die weite Reise vollendet, und er befand sich mitten auf dem großen Rasenplatze seines ehemaligen Lustgartens, dem er nebst dem übrigen Zubehör die vorige Gestalt gab. Doch blieb alles für menschliche Augen verborgen; die Wanderer, die übers Gebirge zogen, sahen nichts als eine fürchterliche Wildnis. Der Anblick dieser Dinge, die er ehemals in einem rosafarbenen Lichte schimmern sah, erneuerte alle Gedanken an die Liebschaft, und ihm dünkte, die Geschichte mit der schönen Emma sei erst gestern vorgefallen. Aber die Erinnerung, wie sie ihn überlistet und hintergangen hatte, machte seinen Groll gegen die Menschheit wieder rege. «Unseliges Erdengewürm,» rief er aus, indem er aufschaute und vom hohen Gebirge die Türme der Kirchen und Klöster in den Städten und Flecken erblickte, «treibst, sehe ich, dein Wesen noch immer unten im Tale. Hast mich baß geäfft durch Tücke und Ränke, sollst mir nun büßen; will dich auch hetzen und wohl plagen, daß dir soll bange werden vor dem Treiben des Geistes im Gebirge.»

Kaum hatte er dies Wort gesagt, so vernahm er in der Ferne Menschenstimmen. Drei junge Gesellen wanderten durchs Gebirge, und der keckste unter ihnen rief ohne Unterlaß: «Rübezahl, komm herab! Rübezahl, Mädchendieb!» Von undenklichen Jahren her hatte die Lästerchronik die Liebesgeschichte des Berggeistes in mündlichen Überlieferungen getreulich aufbewahrt, sie wie gewöhnlich mit lügenhaften Zusätzen vermehrt, und jeder Reisende, der das Riesengebirge betrat, unterhielt sich mit seinem Gefährten von seinen Abenteuern. Man trug sich mit unzähligen Spukhistörchen, machte damit zaghafte Wanderer fürchten, und die starken Geister und Philosophen, die am hellen Tage und in zahlreicher Gesellschaft an keine Gespenster glauben und sich darüber lustig machen, pflegen aus Übermut, oder um ihre Herzhaftigkeit zu beweisen, den Geist oft zu zitieren, aus Schäkerei bei seinem Ekelnamen zu rufen und auf ihn zu schimpfen. Man hat nie gehört, daß dergleichen Kränkungen von dem friedsamen Berggeiste wären gerügt worden; denn in den Tiefen des Abgrundes erfuhr er von diesem mutwilligen Hohn kein Wort. Desto mehr war er betroffen, da er seine ganze Schande jetzt so kurz und bündig ausrufen hörte. Wie der Sturmwind raste er durch den düsteren Fichtenwald und war schon im Begriff, den armen Tropf, der sich ohne Absicht über ihn lustig gemacht hatte, zu erdrosseln, als er in dem Augenblick bedachte, daß eine so furchtbare Rache großes Geschrei im Lande erregen, alle Wanderer aus dem Gebirge wegbannen und ihm die Gelegenheit rauben würde, sein Spiel mit den Menschen zu treiben. Darum ließ er ihn nebst seinen Konsorten ruhig ihre Straße ziehen, mit dem Vorbehalt, seinen verübten Mutwillen ihm doch nicht ungenossen hingehen zu lassen.

Auf dem nächsten Scheidewege trennte sich der Hohnsprecher von seinen beiden Kameraden und gelangte diesmal mit heiler Haut in Hirschberg, seiner Heimat an. Aber der unsichtbare Geleitsmann war ihm bis zur Herberge gefolgt, um ihn zu gelegener Zeit dort zu finden. Jetzt trat er seinen Rückweg ins Gebirge an und sann auf Mittel, sich zu rächen. Von ohngefähr begegnete ihm auf der Landstraße ein reicher Israelit, der nach Hirschberg wollte; da kam ihm in den Sinn, diesen zum Werkzeug seiner Rache zu gebrauchen. Also gesellte er sich zu ihm in Gestalt des losen Gesellen, der ihn gefoppt hatte, führte ihn unbemerkt seitab von der Straße, und da sie ins Gebüsch kamen, fiel er dem Juden mörderisch in den Bart, riß ihn zu Boden, knebelte ihn und raubte ihm seinen Säckel, worin er viel Geld und Geschmeide trug. Nachdem er ihn mit Faustschlägen und Fußtritten noch gar übel traktiert hatte, ging er davon und ließ den armen geplünderten Juden halbtot im Busche liegen.

Als sich der Israelit von seinem Schrecken erholt hatte, fing er an zu wimmern und laut um Hilfe zu rufen. Da trat ein feiner, ehrbarer Mann zu ihm, fragte, warum er also beginne, und wie er ihn geknebelt fand, löste er ihm die Bande von Händen und Füßen. Nachher labte er ihn mit einem herrlichen Schluck Kordialwasser, das er bei sich trug, führte ihn wieder auf die Landstraße und geleitete ihn freundlich gen Hirschberg an die Tür der Herberge; dort reichte er ihm einen Zehrpfennig und schied von ihm. Wie erstaunte der Jude, da er beim Eintritt in den Krug seinen Räuber am Zechtisch erblickte, so frei und unbefangen wie ein Mensch sein kann, der sich keiner Übeltat bewußt ist. Er saß hinter einem Schoppen Landwein, trieb Scherz und gute Schwänke mit anderen lustigen Zechbrüdern, und neben ihm lag der nämliche Rucksack, in dem er den geraubten Säckel verborgen hatte. Der bestürzte Jude wußte nicht, ob er seinen Augen trauen sollte, schlich sich in einem Winkel und ging mit sich selbst zu Rate, wie er wieder zu seinem Eigentum gelangen möchte. Es schien ihm unmöglich, sich in der Person geirrt zu haben; darum drehte er unbemerkt sich zur Tür hinaus, ging zum Richter und zeigte den Diebstahl an.

Die Hirschberger Justiz stand stand damals in dem Rufe, daß sie schnell und tätig sei, Recht und Gerechtigkeit zu handhaben, wenn’s was einzuziehen gab; wo sie aber einfach ihrer Pflicht Genüge leisten mußte, ging sie ihren Schneckengang. Der erfahrene Israelit war mit dem gewöhnlichen Gang schon bekannt und verwies den unentschlossenen Richter auf den Inhalt seines Beutels, und diese goldene Hoffnung unterließ nicht, einen Verhaftungsbefehl auszuwirken. Häscher bewaffneten sich mit Spießen und Stangen, umringten das Schenkhaus, griffen den unschuldigen Verbrecher und führten ihn vor die Schranken der Ratsstube, wo sich die weisen Väter indes versammelt hatten. «Wer bist du?» fragte der ernsthafte Stadtrichter, als der Angeklagte hereintrat, «und von wannen kommst du?» Er antwortete freimütig und unerschrocken: «Ich bin ein ehrlicher Schneider meines Handwerks, Benedix genannt, komme von Liebenau und stehe hier in Arbeit bei meinem Meister.»

«Hast du nicht diesen Juden im Walde mörderisch überfallen, übel geschlagen, gebunden und seines Säckels beraubt?»

«Ich habe diesen Juden nie mit Augen gesehen, hab‘ ihn auch weder geschlagen, noch gebunden, noch seines Säckels beraubt.»

«Womit kannst du deine Ehrlichkeit beweisen?»

«Mit meiner Kundschaft und dem Zeugnis meines guten Gewissens.»

«Weis‘ auf deine Kundschaft.»

Benedix öffnete getrost den Rucksack, denn er wußte wohl, daß er nichts als ein wohlerworbenes Eigentum darin verwahrte. Doch als er ihn ausleerte, siehe da! da klingelt’s unter dem herausstürzenden Plunder wie Geld. Die Häscher griffen hurtig zu, störten den Kram auseinander und zogen den schweren Säckel hervor, den der erfreute Jude alsbald als sein Eigentum erkannte. Der Wicht stand da wie vom Donner gerührt, die Lippen bebten, die Kniee wankten, er verstummte und sprach kein Wort.

«Wie nun, Bösewicht!» donnerte der Stadtvogt. «Erfrechst du dich noch, den Raub zu leugnen?»

«Erbarmung, gestrenger Herr Richter!» winselte der Beschuldigte auf den Knieen, mit hochaufgehobenen Händen. «Alle Heiligen im Himmel ruf‘ ich zu Zeugen an, daß ich unschuldig bin an dem Raube; ich weiß nicht, wie des Juden Säckel in meinen Rucksack gekommen ist, Gott weiß es.»

«Du bist überwiesen,» redete der Richter fort, «der Säckel zeugt genügend von Verbrechen, tue Gott und der Obrigkeit die Ehre und bekenne freiwillig, ehe der Peiniger kommt, dir das Geständnis der Wahrheit abzufoltern.»

Der geängstigte Benedix konnte nichts als auf seine Unschuld pochen; aber er predigte tauben Ohren. Meister Hämmerling, der fürchterliche Wahrheitsforscher, wurde herbeigerufen, durch die stählernen Argumente seiner Beredsamkeit ihn dazu zu bringen, Gott und der Obrigkeit die Ehre anzutun, zu bekennen. Jetzt verließ den armen Wicht die standhafte Freudigkeit seines guten Gewissens, er bebte zurück vor den Qualen, die auf ihn warteten. Da der Peiniger im Begriff war, ihm die Daumenstöcke anzulegen, bedachte er, daß diese Operation ihn untüchtig machen würde, jemals wieder mit Ehren die Nadel zu führen, und ehe er wollte ein verdorbener Kerl bleiben sein leben lang, meinte er, es sei besser, von der Marter mit einem Male abzukommen, und gestand das Bubenstück ein, wovon sein Herz nichts wußte. Der Kriminalprozeß wurde nun abgetan, der Beschuldigte, ohne daß sich das Gericht teilte, von Richter und Schöffen zum Strange verurteilt, welcher Rechtsspruch gleich tags darauf bei frühem Morgen vollzogen werden sollte.

Alle Zuschauer, die das hochnotpeinliche Halsgericht herbeigelockt hatte, fanden das Urteil des wohlweisen Magistrats gerecht und billig; doch keiner rief den Richtern lauteren Beifall zu als der barmherzige Samariter, der mit in die Kriminalstube eingedrungen war und nicht satt werden konnte, die Gerechtigkeitsliebe der Herren von Hirschberg zu erheben; und in der Tat hatte auch niemand nähern Anteil an der Sache als eben dieser Menschenfreund, der mit unsichtbarer Hand des Juden Säckel in des Schneiders Rucksack verborgen hatte und kein anderer als Rübezahl selbst war. Schon am frühen Morgen lauerte er am Hochgericht in Rabengestalt auf den Leichenzug, der das Opfer seiner Rache dahin begleiten sollte, aber diesmal harrte er vergebens. Ein frommer Ordensbruder fand an dem unwissenden Benedix einen so rohen, wüsten Klotz, daß es ihm unmöglich schien, in so kurzer Zeit, als ihm zu dem Bekehrungsgeschäfte übrigblieb, einen Heiligen daraus zu schnitzeln; er bat deshalb das Kriminalgericht um einen dreitägigen Aufschub, den er dem frommen Magistrat nicht ohne große Mühe und unter Androhung des Kirchenbannes endlich abzwang. Als Rübezahl davon hörte, flog er ins Gebirge, den Termin der Hinrichtung dort zu erwarten.

Während dieser Zeit durchstrich er nach Gewohnheit die Wälder und erblickte auf dieser Streiferei eine junge Dirne, die sich unter einem schattenreichen Baum gelagert hatte. Ihre Kleidung war nicht kostbar, aber reinlich, und der Zuschnitt daran bürgerlich. Von Zeit zu Zeit wischte sie mit der Hand eine herabrollende Zähre von den Wangen, und stöhnende Seufzer quollen aus der vollen Brust hervor. Schon ehemals hatte der Gnom die mächtigen Eindrücke jungfräulicher Zähren empfunden; auch jetzt war er so gerührt davon, daß er von dem Gesetz, das er sich auferlegt hatte, alle Adamskinder, die durchs Gebirge ziehen würden, zu necken und quälen, die erste Ausnahme machte. Er gestaltete sich wieder zu einem ehrsamen Bürger, trat zu der jungen Dirne freundlich hin und sprach: «Mägdlein, was trauerst du hier in der Wüste so einsam? Verhehle mir nicht deinen Kummer, daß ich zusehe, wie dir zu helfen ist.»

Der ehrbare Mann staunte. «Du eine Mörderin?» rief er, «bei diesem himmlischen Gesicht trügst du die Hölle im Herzen? Unmöglich! – Zwar die Menschen sind aller Ränke und Bosheit fähig, das weiß ich; gleichwohl ist mir’s hier ein Rätsel.»

«So will ich’s Euch lösen,» erwiderte die trübsinnige Jungfrau, «wenn Ihr es zu wissen begehrt.»

Er sprach: «Sag‘ an!»

Sie: «Ich hatte einen Gespielen von Jugend an, den Sohn einer tugendsamen Witib, meiner Nachbarin, der mich zu seinem Liebchen erkor, als er heranwuchs. Er war so lieb und gut, so treu und bieder, daß er mir das Herz stahl und ich ihm ewige Treue gelobte. – Ach, das Herz des lieben Jungen habe ich Natter vergiftet, hab‘ ihn die Tugendlehren seiner frommen Mutter vergessen gemacht und ihn zu einer Übeltat verleitet, wofür er das Leben verwirkt hat!»

Der Gnom rief nachdrücklich: «Du?»

«Ja, Herr,» sprach sie, «ich bin seine Mörderin, hab‘ ihn gereizt, einen Straßenraub zu begehen und einen schelmischen Juden zu plündern; da haben ihn die Herren von Hirschberg gegriffen, Halsgericht über ihn gehegt, und o Herzeleid! morgen wird er abgetan. Ja Herr! ich hab’s auf meinem Gewissen das junge Blut!»

«Wie das?»

«er zog auf die Wanderschaft übers Gebirge, und als er beim Abschied an meinem Halse hing, sprach er: Fein Liebchen, bleib mir treu. Wenn der Apfelbaum zum drittenmal blüht und die Schwalbe zum Neste trägt, kehr‘ ich von der Wanderschaft zurück, dich heimzuholen als mein junges Weib; und das gelobte ich ihm zu werden durch einen teuren Eid. Nun blühte der Apfelbaum zum drittenmal, und die Schwalbe nistete, da kam Benedix wieder, erinnerte mich meiner Zusage und wollte mich zur Trauung führen. Ich aber neckt‘ und höhnt‘ ihn, wie die Mädchen es oft mit den Freiern tun, und sprach: Dein Weib kann ich nicht werden, du hast weder Herd noch Obdach. Schaff‘ dir erst blanke Batzen an, dann frage wieder an. Der arme Junge wurde durch diese Rede sehr betrübt. Ach, Klärchen, seufzte er tief mit einer Träne im Auge, steht dir dein Sinn nach Geld und Gut, so bist du nicht das biedere Mädchen mehr, das du vormals warst! Schlugst du nicht ein in diese Hand, da du mir deine Treue schwurest? Und was hatte ich mehr als diese Hand, dich einst damit zu nähren? Ach, Klärchen, ich verstehe dich; ein reicher Buhle hat mir dein Herz entwendet; belohnst du mich also, Ungetreue? Er bat und flehte, doch ich blieb fest auf meinem Sinn: Mein Herz verschmäht dich nicht, o Benedix! antwortete ich, nur meine Hand versag‘ ich dir zunächst; zieh hin, erwirb dir Gut und Geld, und hast du das, so komm wieder. Wohlan, sprach er mit Unmut, du willst es so, ich gehe in die Welt, will laufen, will rennen, will betteln, stehlen, schnurren, sorgen, und eher sollst du mich nicht wiedersehen, bis ich erlange den schnöden Preis, um den ich dich erwerben muß. Leb‘ wohl, ich fahre hin, ade! – So hab‘ ich ihn betört, den armen Benedix; er ging ergrimmt davon; da verließ ihn sein guter Engel, daß er tat, was nicht recht war, und was sein Herz gewiß verabscheute.»

Der ehrsame Mann schüttelte den Kopf über diese Rede und rief nach einer Pause mit einer nachdenklichen Miene: «Wunderbar!» Hierauf wendete er sich zu der Dirne: «Warum,» fragte er, «erfüllst du hier den leeren Wald mit deinen Wehklagen, die dir und deinem Buhlen nichts nützen und frommen können?»

«Lieber Herr,» fiel sie ihm ein, «ich war auf dem Wege nach Hirschberg. Ich will dem Blutrichter zu Füßen fallen, will mit meinem Klageschrei die Stadt erfüllen, ob das die Herren erbarmen möchte, dem unschuldigen Blut das Leben zu schenken; und wenn mir’s nicht gelingt, meinem Buhlen dem schmählichen Tode zu entreißen, will ich freudig mit ihm sterben.»

Der Geist wurde durch diese Rede so bewegt, daß er von Stund‘ an seine Rache ganz vergaß und der Trostlosen ihren Buhlen wiederzugeben beschloß. «Trockne ab deine Tränen,» sprach er mit teilnehmender Gebärde, «und laß deinen Kummer schwinden. Ehe die Sonne zur Küste geht, soll dein Buhle frank und frei sein. Morgen um den ersten Hahnenschrei sei wach und horchsam, und wenn ein Finger ans Fenster klopft, so tu‘ auf die Tür zu deinem Kämmerlein; denn es ist dein Benedix, der davor steht. – Du sollst auch wissen, daß er das Bubenstück nicht begangen hat, dessen du ihn anklagst, und du hast gleichfalls keine Schuld; denn er hat sich durch deinen Eigensinn zu keiner bösen Tat reizen lassen. Ich bin ein Bürger aus Hirschberg, habe mit zu Rate gesessen, als der arme Sünder verurteilt wurde, aber seine Unschuld ist ans Licht gebracht, fürchte nichts für sein Leben. Ich will hin, ihn seiner Banden zu entledigen, denn ich vermag viel in der Stadt. Sei guten Muts und kehre heim in Frieden.» Die Dirne machte sich alsbald auf und gehorchte, obgleich Furcht und Hoffnung in ihrer Seele kämpften.

Der ehrwürdige Pater Graurock hatte sich’s die drei Tage des Aufschubs blutsauer werden lassen, den Verbrecher gehörig zu bekehren, um seine arme Seele der Hölle zu entreißen, der sie, seiner Meinung nach, verpfändet war von Jugend auf. Denn der gute Benedix war ein unwissender Laie, der mit Nadel und Schere besser Bescheid wußte als mit dem Rosenkranz. Den Engelsgruß und das Paternoster mengte er stets durcheinander, und vom Kredo wußte er keine Silbe; der eifrige Mönch hatte alle Mühe von der Welt, ihn das letztere zu lehren, und brachte mit dieser Arbeit zwei volle Tage zu. Denn wenn er sich die Formel aufsagen ließ und das Gedächtnis des armen Sünders auch nicht strauchelte, so unterbrach doch oft ein Gedanke an das Irdische und der halblaute Seufzer: «Ach Klärchen!» die ganze Lektion, weshalb es die religiöse Politik des frommen Bruders zuträglich fand, dem verlornen Schaf die Hölle recht heiß zu machen, und das gelang ihm auch so, daß der geängstigte Benedix kalten Todesschweiß schwitzte und zu geheiligter Freude seines Bekehrers Klärchen rein darüber vergaß.

Ob sich nun wohl Benedix völlig unschuldig wußte, legte er sich aufs Bitten, flehte seinen geistlichen Richter um Barmherzigkeit an und suchte von den Qualen des Fegefeuers so viel abzudingen wie möglich; wodurch sich denn der strenge Pater bewogen fand, ihn endlich nur bis an die Kniee ins Feuerbad zu versenken.

Eben verließ der unerbittliche Sündenrüger den Kerker, als ihm Rübezahl unsichtbarerweise beim Eingange begegnete, noch unentschlossen, wie er sein Vorhaben, den armen Schneider in Freiheit zu setzten, auszuführen vermöchte. In dem Augenblick geriet er auf einen Einfall, der recht nach seinem Sinne war. Er schlich dem Mönche ins Kloster nach, stahl aus der Kleiderkammer ein Ordenskleid, fuhr hinein und begab sich in Gestalt des Bruders Graurock ins Gefängnis, das ihm der Kerkermeister ehrerbietig öffnete.

«Das Heil deiner Seele,» redet er den Gefangenen an, «treibt mich nochmals hierher, da ich dich kaum verlassen habe. Sag an, mein Sohn, was hast du noch auf deinem Herzen und Gewissen, damit ich dich tröste.“ – «Ehrwürdiger Vater,» antwortete Benedix, «mein Gewissen beißt mich nicht; aber Euer Fegefeuer bangt und ängstigt mich und preßt mir das Herz zusammen, als läg’s zwischen den Daumenstöcken.» Freund Rübezahl hatte von kirchlichen Lehrmeinungen sehr unvollständige und verworrene Begriffe, daher war ihm die Querfrage: «Wie meinst du das?» wohl zu verzeihen. «Ach,» antwortet Benedix, «in dem Feuerpfuhl bis an die Kniee zu waten, Herr, das halt‘ ich nicht aus!» – «Narr,» versetzt Rübezahl, «so bleib davon, wenn dir das Bad zu heiß ist.» Benedix ward an dieser Rede irre und sah dem Pfaffen so starr ins Gesicht, daß dieser merkte, er habe irgend eine Unschicklichkeit vorgebracht; darum lenkte er ein: «Davon ein andermal; denkst du auch noch an Klärchen? liebst du sie noch als deine Braut? Und hast du ihr etwas vor deiner Hinfahrt zu sagen, so vertraue es mir.» Benedix staunte bei diesem Namen noch mehr; der Gedanke an sie, den er mit großer Gewissenhaftigkeit in seiner Seele zu ersticken bemüht gewesen war, wurde auf einmal wieder so heftig angefacht, daß er überlaut anfing zu weinen und zu schluchzen und kein Wort vorzubringen vermochte. Dieses jammerte den mitleidigen Pfaffen so, daß er beschloß, dem Spiel ein Ende zu machen. «Armer Benedix,» sprach er, «gib dich zufrieden und sei getrost und unverzagt, du sollst nicht sterben. Ich habe in Erfahrung gebracht, daß du unschuldig bist an dem Raube und deine Hand mit keinem Laster befleckt hast, darum bin ich gekommen, dich aus dem Kerker zu reißen und der Banden zu entledigen.» Er zog einen Schlüssel aus der Tasche. «Laß sehen,» fuhr er fort, «ob er schließe.» Der Versuch gelang, der Entfesselte stand da frank und frei, das Geschmeide fiel ab von Händen und Füßen. Hierauf wechselte der gutmütige Pfaffe mit ihm die Kleider und sprach: «Gehe gemächlich wie ein frommer Mönch durch die Schar der Wächter vor der Tür des Gefängnisses und durch die Straßen, bis du der Stadt Weichbild hinter dir hast. Dann schürze dich hurtig und schreite rüstig zu, daß du gelangest ins Gebirge, und raste nicht, bis du in Liebenau vor Klärchens Tür stehst, klopfe leise an, dein Liebchen harrt deiner mit ängstlichem Verlangen.»

Der gute Benedix wähnte, das alles sei nur ein Traum, und da er inneward, daß sich alles so verhalte, fiel er seinem Befreier zu Füßen, umfing seine Kniee, und lag da in stummer Freude, denn die Worte versagten ihm. Der Pfaffe trieb ihn endlich fort und auf dem Weg. Mit wankendem Knie schritt der Entledigte über die Schwelle des traurigen Kerkers, und sein ehrwürdiger Rock gab ihm einen solchen Wohlgeruch von Frömmigkeit und Tugend, daß die Wächter nichts darunter witterten.

Klärchen saß indessen bänglich einsam in ihrem Kämmerlein. Oft dünkte ihr, es rege sich etwas am Fensterladen, oder es klinge der Pfortenring; sie schreckte auf mit Herzklopfen, sah durch die Luke, und es war Täuschung. Schon schüttelten die Hähne in der Nachbarschaft die Flügel und verkündeten durch ihr Krähen den kommenden Tag; das Glöcklein im Kloster läutete zur Frühmette, das ihr wie Totenruf und Grabesklang tönte. Der Wächter stieß zum letztenmal ins Horn und weckte die schnarchenden Bäckermägde zu ihrem frühen Tagwerke. Klärchens Lämpchen fing an dunkel zu brennen, weil’s ihm an Öl gebrach, ihre Unruhe mehrte sich mit jedem Augenblick. Sie saß auf ihrer Bettlade, weinte bitterlich und seufzte: «Benedix! Benedix! Was für ein bänglicher Tag für dich und mich dämmert jetzt heran!»

Da pocht’s dreimal leise an das Fenster, als ob es spukte. Ein froher Schauder durchlief ihre Glieder, sie sprang auf, tat einen lauten Schrei; denn eine Stimme flüsterte durch die Luke: «Fein Liebchen, bist du wach?» – Husch, war sie an der Tür. – «Ach Benedix, bist’s du oder ist’s dein Geist?» Als sie aber den Bruder Graurock erblickte, sank sie zurück und starb vor Entsetzen hin. Da umschlang sie sanft sein treuer Arm, und der Kuß der Liebe brachte sie bald wieder ins Leben.

Nachdem die stumme Szene des Erstaunens und die Ergießungen der ersten freudigen Herzensgefühle vorüber waren, erzählte ihr Benedix seine wunderbare Errettung aus dem Kerker; doch die Zunge klebte ihm am Gaumen vor großem Durst und Ermattung. Klärchen ging, ihm einen Trunk frisches Wasser zu holen, und nachdem er sich damit gelabt hatte, fühlte er Hunger. Aber sie hatte nichts zum Imbiß als Salz und Brot, wobei sie voreilig gelobten, zufrieden und glücklich miteinander zu sein ihr Leben lang. Da dachte Benedix an seine Knackwurst, zog sie aus der Tasche und wunderte sich baß, daß sie schwerer war als ein Hufeisen, brach sie auseinander, siehe! da fielen eitel Goldstücke heraus, worüber Klärchen nicht wenig erschrak, meinte, das Gold sei ein schändliches Überbleibsel von dem Raube des Juden, und Benedix sei nicht so unschuldig, wie ihn der ehrsame Mann gemacht habe, der ihr im Gebirge erschienen war. Allein der truglose Gesell beteuerte höchlich, daß der fromme Ordensmann ihm diesen verborgenen Schatz vermutlich als eine Hochzeitssteuer verliehen habe, und sie glaubte seinen Worten. Drauf segneten beide mit dankbaren Herzen den edelmütigen Wohltäter, verließen ihre Vaterstadt und zogen gen Prag, wo Meister Benedix mit Klärchen, seinem Weibe, lange Jahre als ein angesehener Mann in friedlicher Ehe bei reichem Kindersegen lebte.

In der frühen Morgenstunde, da Klärchen mit schauervoller Freude den Finger ihres Buhlens am Fenster bemerkte, klopfte auch in Hirschberg ein Finger an die Tür des Gefängnisses. Das war der Bruder Graurock, der den Anbruch des Tages kaum erwarten konnte, die Bekehrung des armen Sünders zu vollenden und ihn als einen halben Heiligen dem gewaltsamen Arm des Henkers zu überantworten. Rübezahl hatte einmal die Sünderrolle übernommen und war entschlossen, sie zur Ehre der Justiz rein auszuspielen. er schien wohlgefaßt zum Sterben zu sein, und der fromme Mönch freute sich darüber; darum ermüdete er nicht ihn in dieser Gemütsverfassung durch seinen geistlichen Zuspruch zu erhalten, und beschloß seinen Sermon mit dem tröstlichen Weidespruch: «So viel Menschen du bei deiner Ausführung erblicken wirst, die dich an die Gerichtsstätte geleiten, siehe so viel Engel stehen schon bereit, deine Seele in Empfang zu nehmen und sie einzuführen ins schöne Paradies.» Drauf ließ er ihn der Fesseln entledigen, wollte Beichte hören und dann lossprechen; doch fiel ihm ein, vorher noch die geistige Lektion zu wiederholen, damit der arme Sünder unterm Galgen im geschlossenen Kreise sein Glaubensbekenntnis frei und ohne Anstoß zur Erbauung der Zuschauer hersagen möchte. Aber wie erschrak der Ordensmann, da er inneward, daß der Ungelehrige sein Kredo die Nacht über völlig ausgeschwitzt hatte! Der fromme Mönch war völlig der Meinung, der Satan sei hier im Spiel und wolle dem Himmel die gewonnene Seele entreißen.

Dritte Legende

Nicht immer war Rübezahl bei der Laune, denen, die er durch seine Neckereien in Schaden und Nachteil gebracht hatte, einen so edelmütigen Ersatz zu geben. Oft machte er nur den Plagegeist aus boshafter Schadenfreude und kümmerte sich wenig darum, ob er einen Schurken oder einen Biedermann foppte. Oft gesellte er sich zu einem einsamen Wanderer als Geleitsmann, führte unbemerkt den Fremdling irre, ließ ihn an dem Absturz einer Bergzinne oder in einem Sumpfe stehen und verschwand mit höhnendem Gelächter. Zuweilen erschreckte er die furchtsamen Marktweiber durch abenteuerliche Gestalten wildfremder Tiere. Oft lähmte er den Reisigen das Roß, daß es nicht von der Stelle konnte, zerbrach den Fuhrleuten ein Rad oder eine Achse am Wagen, ließ vor ihren Augen ein abgerissenes Felsenstück in einen Hohlweg hinabrollen, das sie mit unendlicher Mühe auf die Seite räumen mußten, um sich freie Bahn zu machen. Oft hielt eine unsichtbare Kraft einen ledigen Wagen, daß sechs rasche Pferde ihn nicht fortzuziehen vermochten, und ließ der Fuhrmann merken, daß er eine Neckerei von Rübezahl wähnte, oder brach er in Unwillen gegen den Berggeist aus, so hatte er ein Hornissenheer, das die Pferde wild machte, einen Steinhagel oder eine reichhaltige Tracht Prügel von unsichtbarer Hand zu erwarten.

Mit einem alten Schäfer, der ein gerader, treuherziger Mann war, hatte er Bekanntschaft gemacht und sogar eine Art von vertraulicher Freundschaft errichtet. Er gestattete ihm, mit der Herde bis an die Hecken seiner Gärten zu treiben, was ein anderer nicht hätte wagen dürfen. Der Geist hörte dem Graukopf bisweilen mit Vergnügen zu, wenn ihm dieser seinen unbedeutenden Lebenslauf erzählte. Des ungeachtet versah’s der Alte doch einmal. Da er eines Tages nach Gewohnheit seine Herde in des Gnomen Gehege trieb, brachen einige Schafe durch die Hecken und weideten auf den Grasplätzen des Gartens; darüber ergrimmte Freund Rübezahl derartig, daß er alsbald die Herde in wildem Getümmel den Berg hinabscheuchte, wodurch sie größtenteils verunglückte, und der Nahrungsstand des alten Schäfers in solchen Verfall kam, daß er sich darüber zu Tode grämte.

Ein Arzt aus Schmiedeberg, der auf dem Riesengebirge Pflanzen zu sammeln pflegte, genoß gleichfalls zuweilen die Ehre, mit seiner prahlerischen Gesprächigkeit den Gnomen zu unterhalten, der bald als Holzhauer, bald ein Reisender sich zu ihm gesellte und den Schmiedeberger Arzt seine Wunderkuren mit Vergnügen sich erzählen ließ. Er war zuzeiten so gefällig, das schwere Kräuterbündel ihm ein gut Stück Weges nachzutragen und ihm manche noch unbekannte Heilkräfte kundzutun. Der Arzt, der sich in der Kräuterkunde weiser dünkte als ein Holzhauer, empfand einst diese Belehrungen übel und sprach mit Unwillen: «Der Schuster soll bei seinem Leisten bleiben, und der Holzhauer soll den Arzt nicht belehren. Weil du aber der Kräuter und Pflanzen kundig bist, so sage mir doch, du weiser Salomon, was war eher, die Eichel oder der Eichbaum?» Der Geist antwortete: «Doch wohl der Baum, denn die Frucht kommt vom Baume.» – «Narr,» sprach der Arzt, «wo kam denn der erste Baum her, wenn er nicht aus dem Samen sproßte, der in der Frucht verschlossen liegt?» Der Holzhauer erwiderte: «Das ist, wie ich sehe, eine Meisterfrage, die mir schier zu hoch ist. Aber ich will Euch eine Frage vorlegen: wem gehört dieser Erdengrund, worauf wir stehen, dem König von Böhmen oder dem Herrn vom Berge?» (So nannten die Nachbarn den Berggeist, nachdem sie waren gewitzigt worden, daß der Name Rübezahl im Gebirge nur Stöße und blaue Mäler einbrächte.) Der Arzt bedachte sich nicht lange: «Ich meine, dieser Grund und Boden gehöre meinem Herrn, dem König von Böhmen; denn Rübezahl ist ja nur ein Hirngespinst, ein Popanz, die Kinder damit fürchten zu machen.» Kaum war das Wort aus seinem Munde, so verwandelte sich der Holzhauer in einen scheußlichen Riesen mit feuerfunkelnden Augen und wütiger Gebärde, schnauzte den Arzt grimmig an und sagte mit rauher Stimme: «Hier ist Rübezahl, der dich popanzen wird, daß dir sollen die Rippen krachen;» erwischte ihn darauf beim Kragen, rannte ihn gegen die Bäume und Felsenwände, riß und warf ihn hin und her, schlug ihm zuletzt ein Auge aus und ließ ihn wie tot auf dem Platze liegen, daß sich der Arzt nachher stark vornahm, nie wieder ins Gebirge zu gehen.

So leicht war’s, Rübezahls Freundschaft zu verscherzen; doch eben so leicht war’s auch, sie zu gewinnen. Einem Bauern in der Amtspflege Reichenberg hatte ein böser Nachbar sein Hab und Gut abgenommen, und nachdem sich die Justiz seiner letzten Kuh bemächtigt hatte, blieb ihm nichts übrig als ein abgehärmtes Weib und ein halbes Dutzend Kinder, von denen er gern den Gerichten die Hälfte für sein letztes Stückchen Vieh verpfändet hätte. Zwar gehörten ihm noch ein Paar rüstige gesunde Arme, aber sie waren nicht hinreichend, sich und die Seinigen damit zu ernähren. Es schnitt ihm durchs Herz, wenn die jungen Raben nach Brot schrien, und er nichts hatte, um ihren quälenden Hunger zu stillen. «Mit hundert Talern,» sprach er zu dem kummervollen Weibe, «wäre uns geholfen, unseren zerfallenen Haushalt wieder einzurichten und fern von dem streitsüchtigen Nachbar ein neues Eigentum zu gewinnen. Du hast reiche Vettern jenseits des Gebirges, ich will hin und ihnen unsere Not klagen; vielleicht, daß sich einer erbarmt und aus gutem Herzen von seinem Überfluß uns auf Zinsen leiht, soviel wir bedürfen.»

Das niedergedrückte Weib willigte mit schwacher Hoffnung eines glücklichen Erfolgs in diesen Vorschlag ein, weil sie keinen besseren wußte. Der Mann aber machte sich auf, und indem er Weib und Kinder verließ, sprach er ihnen Trost ein: «Weinet nicht! Mein Herz sagt es mir, ich werde einen Wohltäter finden, der uns förderlicher sein wird als die vierzehn Nothelfer, zu denen ich so oft vergeblich gewallfahrtet bin.» Hierauf steckte er eine harte Brotrinde zur Zehrung in die Tasche und ging davon. Müde und matt von der Hitze des Tages und dem weiten Wege, gelangte er zu Abendzeit in dem Dorfe an, wo die reichen Vettern wohnten; aber keiner wollte ihn kennen, keiner wollte ihn beherbergen. Mit heißen Tränen klagte er ihnen sein Elend; aber die hartherzigen Filze achteten nicht darauf, kränkten den armen Mann mit Vorwürfen und beleidigenden Sprichwörtern. Einer sprach: «Junges Blut, spar‘ dein Gut», der andere: «Hoffart kommt vor dem Fall», der dritte: «Wie du’s treibst, so geht’s», der vierte: «Jeder ist seines Glückes Schmied». So höhnten und spotteten sie seiner, nannten ihn einen Prasser und Faulenzer, und endlich stießen sie ihn gar zur Tür hinaus. Eine solche Aufnahme hatte sich der arme Vetter bei der reichen Sippschaft seines Weibes nicht vorgestellt; stumm und traurig schlich er von dannen, und weil er nichts hatte, um das Schlafgeld in der Herberge zu bezahlen, mußte er auf einem Heuschober im Felde übernachten. Hier wartete er schlaflos des zögernden Tages, um sich auf den Heimweg zu begeben.

Da er nun wieder ins Gebirge kam, überkam ihn Harm und Bekümmernis so sehr, daß er der Verzweiflung nahe war. Zwei Tage Arbeitslohn verloren, dachte er bei sich selber, matt und entkräftet von Gram und Hunger, ohne Trost, ohne Hoffnung! Wenn du nun heimkehrst und die sechs armen Würmer dir entgegenschmachten, ihre Hände aufheben, von dir Labsal zu begehren, und du für einen Bissen Brot ihnen einen Stein bieten mußt! Vaterherz! Vaterherz! wie kannst du’s tragen! Brich entzwei, armes Herz, ehe du diesen Jammer fühlst! Hierauf warf er sich unter einen Schlehenbusch, seinem schwermütigen Gedanken weiter nachzuhängen.

Wie aber am Rande des Verderbens die Seele noch die letzten Kräfte anstrengt, ein Rettungsmittel auszukundschaften, jede Hirnfaser auf und nieder läuft, alle Winkel der Phantasie durchspäht, Schutz oder Frist für den hereinbrechenden Untergang zu suchen; gleich einem Bootsmann, der sein Schiff sinken sieht, schnell die Strickleiter hinaufrennt, sich in den Mastkorb zu bergen, oder wenn er unter Verdeck ist, aus der Luke springt, in der Hoffnung, ein Brett oder eine ledige Tonne zu erhaschen, um sich über Wasser zu halten: so verfiel unter tausend nichtigen Anschlägen und Einfällen der trostlose Veit auf den Gedanken, sich an den Geist des Gebirges in seinem Anliegen zu wenden. Er hatte viel abenteuerliche Geschichten von ihm gehört, wie er zuweilen die Reisenden gedrillt und geneckt, ihnen manchen Schimpf angetan, doch auch mitunter Gutes erwiesen habe. Es war ihm nicht unbekannt, daß er sich bei seinem Spottnamen nicht ungestraft rufen lasse; dennoch wußte er ihm auf keine andere Weise beizukommen; also wagte er es auf eine Prügelei hin und rief so sehr er konnte: «Rübezahl! Rübezahl!»

Auf diesen Ruf erschien alsbald eine Gestalt gleich einem rußigen Köhler mit einem fuchsroten Bart, der bis an den Gürtel reichte, feurigen, stieren Augen, und mit einer Schürstange bewaffnet, gleich einem Weberbaum, die er mit Grimm erhob, den frechen Spötter zu erschlagen. «Mit Gunst, Herr Rübezahl,» sprach Veit ganz unerschrocken, «verzeiht, wenn ich Euch nicht recht anredete; hört mich nur an, dann tut, was Euch gefällt.» Diese dreiste Rede und die kummervolle Miene des Mannes, die weder auf Mutwillen noch Vorwitz deutete, besänftigten den Zorn des Geistes in etwas: «Erdenwurm,» sprach er, «was treibt dich, mich zu beunruhigen? Weißt du auch, daß du mir mit Hals und Haut für deinen Frevel büßen mußt?» – «Herr,» antwortete Veit, «die Not treibt mich zu Euch, habe eine Bitte, die Ihr mir leicht gewähren könnt. Ihr sollt mir hundert Taler leihen, ich zahle sie Euch mit landesüblichen Zinsen in drei Jahren wieder, so wahr ich ehrlich bin!» – «Tor,» sprach der Geist, «bin ich ein Wucherer oder Jude, der auf Zinsen leiht? Gehe hin zu deinen Menschenbrüdern und borge da so viel dir not tut, mich aber laß in Ruhe.» – «Ach!» erwiderte Veit, «mit der Menschenbrüderschaft ist’s aus! Auf Mein und Dein gilt keine Brüderschaft.» Hierauf erzählte er ihm seine Geschichte der Länge nach und schilderte ihm sein drückendes Elend so rührend, daß ihm der Gnom seine Bitte nicht versagen konnte; und wenn der arme Tropf auch weniger Mitleid verdient hätte, so schien doch dem Geist das Unterfangen, von ihm ein Kapital zu leihen, so neu und sonderbar, daß er um des guten Zutrauens willen geneigt war, des Mannes Bitte zu gewähren. «Komm, folge mir,» sprach er und führte ihn darauf waldeinwärts, in ein abgelegenes Tal zu einem schroffen Felsen, dessen Fuß ein dichter Busch bedeckte.

Nachdem sich Veit nebst seinem Begleiter mit Mühe durchs Gesträuche gearbeitet hatte, gelangten sie zum Eingang einer finsteren Höhle. Dem guten Veit war nicht wohl dabei zumute, da er so im Dunkeln tappen mußte; es lief ihm ein kalter Schauer nach dem anderen über den Rücken herab, und seine Haar sträubten sich empor. Rübezahl hat schon manchen betrogen, dachte er, wer weiß, was für ein Abgrund mir vor den Füßen liegt, in den ich beim nächsten Schritte hinabstürze; dabei hörte er ein fürchterliches Brausen wie von einem Tagwasser, das sich in den tiefen Schacht ergoß. Je weiter er fortschritt, desto mehr engten ihm Furcht und Grauen das Herz ein. Doch bald sah er zu seinem Trost in der Ferne ein blaues Flämmchen hüpfen, das Berggewölbe erweiterte sich zu einem großen Saale, das Flämmchen brannte hell und schwebte als ein Hängeleuchter in der Mitte der Felsenhalle. Auf dem Pflaster fiel ihm eine kupferne Braupfanne in die Augen, mit eitel harten Talern bis an den Rand gefüllt. Da Veit den Geldschatz erblickte, schwand alle seine Furcht und das Herz hüpfte ihm vor Freuden. «Nimm,» sprach der Geist, «was du bedarfst, es sei wenig oder viel, nur stelle mir einen Schuldbrief aus, wenn du der Schreiberei kundig bist.» Veit bejahte das und zählte sich gewissenhaft die hundert Taler ab, nicht einen mehr und keinen weniger. Der Geist schien auf das Zählungsgeschäft gar nicht zu achten, drehte sich weg und suchte indes seine Schreibmaterialien hervor. Veit schrieb den Schuldbrief so bündig wie ihm möglich war. Der Gnom schloß diesen in einen eisernen Schatzkasten und sagte zum Abschied: «Zieh hin, mein Freund, und nütze dein Geld mit arbeitsamer Hand. Vergiß nicht, daß du mein Schuldner bist, und merke dir den Eingang in das Tal und diese Felsenkluft genau. Sobald das dritte Jahr verflossen ist, zahlst du mir Kapital und Zins zurück; ich bin ein strenger Gläubiger, hälst du das nicht ein, so fordere ich es mit Ungestüm.» Der Ehrliche Veit versprach auf den Tag gute Zahlung zu leisten, versprach’s mit seiner biedern Hand, doch ohne Schwur; verpfändete nicht seine Seele und Seligkeit, wie lose Bezahler zu tun pflegen, und schied mit dankbaren Herzen von seinem Schuldherrn in der Felsenhöhle, aus der er leicht den Ausgang fand.

Die hundert Taler wirkten bei ihm so mächtig auf die Seele und Leib, daß ihm nicht anders zumute war, da er das Tageslicht wieder erblickte, als ob er Balsam des Lebens in der Felsenkluft eingesogen habe. Freudig und gestärkt an allen Gliedern, schritt er nun seiner Wohnung zu und trat in die elende Hütte, indem sich der Tag zu neigen begann. Sobald ihn die abgezehrten Kinder erblickten, schrien sie ihm einmütig entgegen: «Brot, Vater, einen Bissen Brot! Hast uns lange darben lassen.» Das abgehärmte Weib saß in einem Winkel und weinte, fürchtete nach der Denkungsart der Kleinmütigen das Schlimmste und vermutete, daß der Ankömmling eine traurige Litanei anstimmen werde. Er aber bot ihr freundlich die Hand, ließ sie Feuer anschüren auf dem Herde; denn er trug Grütze und Hirse aus Reichenberg im Rucksack, wovon die Hausmutter einen steifen Brei kochen mußte, daß der Löffel darin stand. Nachher gab er ihr Bericht von dem guten Erfolg seines Geschäftes. «Deine Vettern,» sprach er, «sind gar rechtliche Leute, die mir nicht meine Armut vorgehalten, haben mich nicht verkannt oder mich schimpflich vor der Tür abgewiesen; sondern mich freundlich beherbergt, Herz und Hand mir geöffnet und hundert Taler vorschußweise auf den Tisch gezählt.» Da fiel dem guten Weibe ein schwerer Stein vom Herzen, der sie lange gedrückt hatte. «Wären wir,» sagte sie, «eher vor die rechte Schmiede gegangen, so hätten wir uns manchen Kummer ersparen können.» Hierauf rühmte sie ihre Freundschaft, von der sie sich vorher so wenig Gutes versprochen hatte, und tat recht stolz auf die reichen Vettern.

Der Mann ließ ihr nach so vielen Drangsalen gern die Freude, die ihrer Eitelkeit so schmeichelhaft war. Da sie aber nicht aufhörte die reichen Vettern zu loben und das viele Tage so forttrieb, wurde Veit des Lobposaunens der Geizdrachen satt und müde und sprach zum Weibe: «Als ich vor der rechten Schmiede war, weißt du, was mir der Meister Schmied für eine weise Lehre gab?» Sie sprach: «Welche?» – «Jeder,» sagte er, «sei seines Glückes Schmied, und man müsse das Eisen schmieden, weil’s heiß sei; drum laß uns nun die Hände rühren und unserem Beruf fleißig obliegen, daß wir was vor uns bringen, in drei Jahren den Vorschuß nebst Zinsen abzahlen können und aller Schuld quitt und ledig seien.» Drauf kaufte er einen Acker und einen Heuschlag, dann wieder einen und noch einen, dann eine ganze Hufe; es war ein Segen in Rübezahls Gelde, als wenn ein Hecktaler darunter wäre. Veit säte und erntete, wurde schon für einen wohlhabenden Mann im Dorfe gehalten, und sein Säckel langte noch immer zur Erweiterung seines Eigentums. Im dritten Sommer hatte er schon zu seiner Hufe ein Herrengut gepachtet, das ihm reichen Wucher brachte; kurz er war ein Mann, dem alles was er tat, zu gutem Glück gedieh.

Der Zahlungstermin kam nun heran, und Veit hatte so viel erübrigt, daß er ohne Beschwerde seine Schuld abtragen konnte; er legte das Geld zurecht, und auf den bestimmten Tag war er früh auf, weckte das Weib und alle seine Kinder, hieß sie waschen und kämmen und ihre Sonntagskleider anziehen, auch die neuen Schuhe und die scharlachenen Mieder und Brusttücher, die sie noch nicht auf den Leib gebracht hatten. Er selbst holte seinen Gottestischrock herbei und rief zum Fenster hinaus: «Hans, spann an!» – «Mann, was hast du vor?» fragte die Frau, «es ist heute weder Freitag noch ein Kirchweihfest, was macht dich so guten Mutes, daß du uns ein Wohlleben bereitet hast, und wo gedenkst du uns hinzuführen?» Er antwortete: «Ich will mit Euch die reichen Vettern jenseits des Gebirges heimsuchen und dem Gläubiger, der mir durch seinen Vorschub wieder ausgeholfen hat, Schuld und Zins bezahlen, denn heute ist der Zahltag.» Das gefiel der Frau wohl; sie putzte sich und die Kinder stattlich heraus, und damit die reichen Vettern eine gute Meinung von ihrem Wohlstande bekämen und sich ihrer nicht schämen dürften, band sie eine Schnur Dukaten um den Hals. Veit rüttelte den schweren Geldsack zusammen, nahm ihn zu sich, und da alles in Bereitschaft war, saß er auf mit Frau und Kind. Hans peitschte die vier Hengste an, und sie trabten mutig über das Blachfeld nach dem Riesengebirge zu.

Vor einem steilen Hohlweg ließ Veit den Rollwagen halten, stieg ab und hieß den anderen gleiches tun, dann gebot er dem Knechte: «Hans, fahr langsam den Berg hinan, oben bei den drei Linden sollst du unser warten, und ob wir auch lange bleiben, so laß dich’s nicht anfechten, laß die Pferde verschnauben und einstweilen grasen; ich weiß hier einen Fußpfad, der ist etwas um, doch lustig zu wandeln!» Darauf schlug er sich in Begleitung des Weibes und der Kinder waldeinwärts durch dicht Verwachsenes und spähte hin und her, daß die Frau meinte, ihr Mann habe sich verirrt, ermahnte ihn darum, zurückzukehren und der Landstraße zu folgen. Veit aber hielt plötzlich still, versammelte seine sechs Kinder um sich her und redete also: «Du wähnst, liebes Weib, daß wir zu deiner Freundschaft ziehen; dahin steht jetzt nicht mein Sinn. Deine reichen Vettern sind Knauser und Schurken, die, als ich weiland in meiner Armut Trost und Zuflucht bei ihnen suchte, mich gefoppt, gehöhnt und mit Übermut von sich gestoßen haben. – Hier wohnt der reiche Vetter, dem wir unseren Wohlstand verdanken, der mir aufs Wort das Geld geliehen, das in meiner Hand so wohl gewuchert hat. Auf heute hat er mich herbeschieden, Zins und Kapital ihm wiederzuerstatten. Wißt ihr nun, wer unser Schuldherr ist? Der Herr vom Berge, Rübezahl genannt!» Das Weib entsetzte sich heftig über die Rede, schlug ein großes Kreuz vor sich, und die Kinder bebten und gebärdeten sich ängstlich vor Furcht und Schrecken, daß sie der Vater vor Rübezahl führen wollte. Sie hatten viel in den Spinnstuben von ihm gehört, daß er ein scheußlicher Riese und Menschenfresser sei. Veit erzählte ihnen sein ganzes Abenteuer, wie ihm der Geist in Gestalt eines Köhlers auf sein Rufen erschienen sei und was er mit ihm verhandelt habe in der Höhle, pries seine Mildtätigkeit mit dankbarem Herzen und so inniger Rührung, daß ihm die warmen Tränen über die freundlichen rotbraunen Backen herabträufelten. «Wartet hier,» fuhr er fort, «jetzt geh‘ ich hin in die Höhle, mein Geschäft auszurichten. Fürchtet nichts, ich werde nicht lange aus sein, und wenn ich’s vom Gebirgsherrn erlangen kann, so bring‘ ich ihn zu euch. Scheut euch nicht, eurem Wohltäter treuherzig die Hand zu schütteln, ob sie gleich schwarz und rußig ist; er tut euch nichts zuleide und freut sich seiner guten Tat und unseres Dankes gewiß! Seid nur beherzt, er wird euch goldene Äpfel und Pfeffernüsse austeilen.»

Obgleich nun das bängliche Weib viel gegen die Wallfahrt in die Felsenhöhle einzuwenden hatte und auch die Kinder jammerten und weinten, sich um den Vater herlagerten und, da er sie auf die Seite schob, ihn an den Rockfalten zurückzuziehen sich anstemmten, so riß er sich doch mit Gewalt von ihnen in den dicht verwachsenen Busch und gelangte zu dem wohlbekannten Felsen. Er fand alle Merkzeichen der Gegend wieder, die er sich wohl ins Gedächtnis geprägt hatte; die alte halberstorbene Eiche, an deren Wurzel die Kluft sich öffnete, stand noch wie sie vor drei Jahren gestanden hatte, doch von einer Höhle war keine Spur mehr vorhanden. Veit versucht’s auf alle Weise, sich den Eingang in den Berg zu öffnen, er nahm einen Stein, klopfte an den Felsen; er sollte, meinte er, sich auftun; er zog den schweren Geldsack hervor, klingelte mit den harten Talern und rief so laut er nur konnte: «Geist des Gebirges, nimm hin, was dein ist»; doch der Geist ließ sich weder hören noch sehen. Also mußte sich der ehrliche Schuldner entschließen, mit seinem Säckel wieder umzukehren. Sobald ihn das Weib und die Kinder von ferne erblickten, eilten sie ihm freudvoll entgegen; er war mißmutig und sehr bekümmert, daß er seine Zahlung nicht an die Behörde abliefern konnte, setzt sich zu den Seinen auf einen Rasenrain und überlegte, was nun zu tun sei. Da kam ihm sein altes Wagestück wieder ein. «Ich will», sprach er, «den Geist bei seinem Ekelnamen rufen; wenn’s ihn auch verdrießt, mag er mich bleuen und zupfen, wie er Lust hat, wenigstens hört er auf diesen Ruf gewiß;» schrie darauf aus Herzenskraft: «Rübezahl! Rübezahl!» Das angstvolle Weib bat ihn, zu schweigen, wollte ihm den Mund zuhalten; er ließ sich nicht wehren und trieb’s immer ärger. Plötzlich drängte sich jetzt der jüngste Bube an die Mutter an, schrie bänglich: «Ach, der schwarze Mann!». Getrost fragte Veit: «Wo?» – «Dort lauscht er hinter jenem Baume hervor;» und alle Kinder krochen in einen Haufen zusammen, bebten vor Furcht und schrieen jämmerlich. Der Vater blickte hin und sah nichts, es war eine Täuschung, nur ein leerer Schatten; kurz, Rübezahl kam nicht zum Vorschein, und alles Rufen war umsonst.

Die Familie trat nun den Rückweg an, und Vater Veit ging ganz betrübt und schwermütig auf der Landstraße vor sich hin. Da erhob sich vom Walde her ein sanftes Rauschen in den Bäumen, die schlanken Birken neigten ihre Wipfel, das bewegliche Laub der Espen zitterte, das Brausen kam näher, und der Wind schüttelte die weitausgestreckten Äste der Steineichen, trieb dürres Laub und Grashalme vor sich her, kräuselte im Wege kleine Staubwolken empor, an welchem artigen Schauspiel die Kinder, die nicht mehr an Rübezahl dachten, sich belustigten und nach den Blättern haschten, womit der Wirbelwind spielte. Unter dem dürren Laube wurde auch ein Blatt Papier über den Weg geweht, auf welches der kleine Geisterseher Jagd machte; doch wenn er danach griff, hob es der Wind auf und führte es weiter, daß er’s nicht erlangen konnte. Drum warf er seinen Hut danach, der’s endlich bedeckte; weil’s nun ein schöner weißer Bogen war und der ökonomische Vater jede Kleinigkeit in seinem Haushalt zu nutzen pflegte, so brachte ihm der Knabe dem Fund, um sich ein kleines Lob zu verdienen. Als dieser das zusammengerollte Papier aufschlug, um zu sehen, was es wäre, fand er, daß es der Schuldbrief war, den er an den Berggeist ausgestellt hat, von oben herein zerrissen, und unten stand geschrieben: Zu Dank bezahlt.