Unter den vielen jungen Leuten in England, die mit mir zusammen die englische Renaissance zu vollenden und vollkommen zu machen suchen – Jeunes guerriers du drapeau romantique, wie Gautier uns genannt haben würde – gibt es keinen, der eine makellosere und glühendere Liebe zur Kunst hat, keinen, dessen künstlerischer Schönheitssinn zarter und feiner ist – keinen fürwahr, der mir lieber ist – als der junge Dichter, dessen Verse ich mit nach Amerika gebracht habe; Verse voll süssem Leid und doch voller Freude; denn nicht der ist der freudigste Dichter, der auf den öden Landstrassen dieser Welt den unfruchtbaren Samen des Lachens sät, sondern wer seinem Schmerz am meisten Musik verleiht – dies nämlich ist der wahre Sinn der künstlerischen Freude – dies unaussprechliche Element künstlerischen Genusses, das in der Lyrik zum Beispiel davon kommt, was Keats das »sinnliche Leben der Verse« nennt, das Element des Gesangs in dem Liede, das Element, das uns durch das Wunder der rhythmischen Bewegung so ganz hinnimmt, das oft aus einer rein musikalischen Stimmung entspringt und das in der Malerei nie im behandelten Gegenstand, immer nur im malerischen Reiz zu finden ist – im Ton und der Symphonie der Farbe, der beruhigenden Schönheit der Konturen: so dass der höchste Ausdruck unserer Kunstbewegung in der Malerei nicht die vergeisteten Visionen der Präraphaeliten gewesen sind, trotz all ihrem Wunder griechischer Legende und ihrem Mysterium italienischen Lieds, sondern die Arbeit solcher Männer wie Whistler und Albert Moore, die die Zeichnung und Farbe auf die ideale Stufe der Poesie und Musik gehoben haben. Denn die Eigenheit ihrer erlesenen Malerei kommt lediglich von der originellen und schöpferischen Behandlung der Linie und der Farbe, von einer bestimmten Form und Auswahl schöner Technik, die jede literarische Reminiszenz und jede metaphysische Idee verwirft und so dem ästhetischen Sinn für sich allein völlig genügt – sie ist, wie die Griechen gesagt hätten, Selbstzweck; die Wirkung ihrer Werke ist dieselbe wie die Wirkung, die die Musik hervorbringt: denn die Musik ist die Kunst, wo Form und Stoff immer eins sind – die Kunst, deren Gegenstand von der Form, wie er zum Ausdruck kommt, nicht getrennt werden kann; die Kunst, die uns das künstlerische Ideal am vollständigsten verwirklicht, die da steht, wohin alle andern Künste immer unterwegs sind.

Dieser gesteigerte Sinn nun für den in sich ruhenden und völlig gesättigten Wert schöner Technik, diese Anerkennung der ausschlaggebenden Bedeutung des sinnlichen Elements in der Kunst, diese Liebe zur Kunst um der Kunst willen ist der Punkt, wo wir, eine jüngere Richtung, uns von den Lehren Ruskins getrennt haben – endgültig und entschieden getrennt.

Meister in jeder Wissenschaft edler Lebensführung und in der Weisheit aller Dinge des Geistes wird er uns immer sein; er war es ja doch, der durch die zwingende Kraft seiner Persönlichkeit und die Musik seiner Rede uns in Oxford die begeisterte Liebe zur Schönheit lehrte, die das Geheimnis des Hellenismus ist, und den schöpferischen Drang, der das Geheimnis des Lebens ist; der einigen von uns wenigstens die erhabene und leidenschaftliche Sucht schuf, in weite, schöne Lande hinauszugehen und den Völkern eine Botschaft und der Welt eine Sendung zu künden; und doch, in seiner Kunstkritik, seiner Einschätzung des künstlerischen Genusses, seiner ganzen Art, an die Kunst heranzugehen, gehen wir nicht mehr mit ihm; denn das Kriterium seines ästhetischen Systems ist immer ein ethisches. Er beurteilt ein Gemälde nach der Summe vornehmer Moralprinzipien, die es zum Ausdruck bringt; für uns aber sind die Wege, auf denen allein die vornehme malerische Arbeit uns berühren kann und wirklich berührt, nicht Wege von Lebenswahrheiten oder von metaphysischen Wahrheiten. Ihm bedeutet vollendete Technik nur ein Zeichen äusserlichen Glanzes, und Mangelhaftigkeit des technischen Könnens schreibt er einer Phantasie zu, die zu schrankenlos ist, als dass sie in den Schranken der Form ihren völligen Ausdruck finden könnte, oder einer Hingebung, die zu schlicht ist, um in ihrer Gestaltung nicht zu stammeln. Für uns aber ist das Gebot der Kunst etwas anderes als die Gebote der Moral. In einem ethischen System natürlich, das nur einigermassen menschenfreundlich ist, wird freilich der gute Wille anerkannt werden; aber wer in das helle Haus der Schönheit eingehen will, den fragen wir nicht, was er allenfalls tun möchte, sondern was er vollbracht hat. Nicht seine pathetischen Vorsätze haben Wert für uns, sondern nur seine verwirklichten Schöpfungen. Pour moi je préfère les poètes qui font des vers, les médecins qui sachent guérir, les peintres qui sachent peintre.

Auch sollten wir uns bei Betrachtung eines Kunstwerkes nicht in Träume verlieren, was es bedeutet, sondern es um deswillen lieben, was es ist. In der Tat ist der Geist der Transzendenz dem Geist der Kunst fremd. Der metaphysische Geist Asiens mag sich das ungeheuerliche und vielbrüstige Götzenbild schaffen, aber für den Griechen, der lediglich Künstler ist, ist das Werk am reichsten seelisch belebt, das den vollkommenen Erscheinungen auch des leiblichen Lebens am nächsten kommt. Und ein Gemälde zum Beispiel hat in dem, was es von Haus aus in sich birgt, durchaus nicht mehr geistige Beziehung oder Bedeutung für uns als ein blauer Ziegel aus der Mauer von Damaskus oder eine Hizenvase. Es ist eine schöngefärbte Fläche, nichts anderes, und wirkt auf uns mit keiner aus der Philosophie gestohlenen Idee, mit keinem aus der Literatur mitgenommenen Pathos, mit keinem dem Dichter entwendeten Gefühl, sondern mit seiner eigenen unsagbaren künstlerischen Wesenheit – mit der besonderen Form der Wahrheit, die wir Stil nennen, und mit dem Verhältnis von Werten, das die Kennmarke der Malerei ist, mit der ganzen Qualität der Ausführung, mit der ganzen Arabeske der Zeichnung, dem Glanz der Farbe, denn diese Dinge genügen, um die göttlichsten und verborgensten Saiten zu erschüttern, die in unserer Seele musizieren, und die Farbe ist wahrhaftig schon an sich ein mystisches Lebendigsein in den Dingen, und der Ton eine Art Empfindung.

Dies also – die neue Auffassung unserer jüngeren Richtung – ist das Hauptmerkmal der Lyrik Rennell Rodds – denn obschon sich in seinem Buch vieles findet, was den Verstand interessieren kann, vieles, was zum Gefühl spricht, und viele rhythmische Akkorde süsser und schlichter Empfindung – denn denen, die die Kunst um ihrer selbst willen lieben, ist alles andere dazugegeben – ist doch die Wirkung, die sie vorwiegend üben will, eine rein artistische. Ein Gedicht, wie »Das Grab des Seekönigs« mit all seiner majestätischen Melodie, die so tönend und gewaltig ist wie das Meer, an dessen kieferumwallten Ufern es so schön empfangen und gestaltet wurde; oder das kleine Gedicht, das dahinter steht, dessen geschickte Arbeit, die mit einem so künstlerischen Sinn für Beschränkung gefertigt ist, man mit der Kunst des erlesenen Ziseleurs vergleichen möchte, die sein Motiv ist; oder »In einer Kirche«, die blasse Blüte eines köstlichen Augenblicks, wie man sie wohl kennt, wo alle Dinge ausser dem Augenblick selbst so seltsam wirklich scheinen, und wo die alten Gedächtnisse vergessener Tage angerührt und besänftigt werden und der vertraute Ort plötzlich in einer Vision der unsterblichen Schönheit der gestorbenen Götter glühend und feierlich wird; oder die Szene in der »Kathedrale von Chartres«, düsteres Schweigen brütet auf Gewölben und Bogen, stumm knien da und dort Leute im Staub der leeren Fliessen und der junge Priester erhebt den Leib des Herrn in kristallenem Stern; und dann brechen gewalttätig Strahlen scharlachenen Lichts durch die Glasmalerei des Fensters und schlagen an das geschnitzte Gitterwerk des Lettners, und rasche Orgelstösse rollen und dröhnen in mächtiger Musik vom Chor zum Baldachin des Altars und von Säule zu Säulenbündel, und über allem die helle, frohe Stimme eines singenden Knaben, die so überwältigend süss ins Ohr geht und eben den rechten künstlerischen Grundton für unsere Gefühle trifft; oder das Gedicht »In Lavunium«, wo man durch die Musik seiner Linien hindurch das Sausen der Bienen von Mantua wieder zu vernehmen glaubt, die aus den grünen Tälern ihrer Heimat und von den Flüssen im Lande drinnen in dicken Haufen durch die Lüfte kommen, um den Bernsteinhonig einzusammeln, den die Blumen am Meere bergen; oder das Gedicht, das »Im Kolosseum« geschrieben ist, das einem denselben künstlerischen Genuss gibt, wie wenn man einem Handwerker bei seiner Arbeit zusieht – einem Goldschmied, der sein Gold in so dünne Blättchen hämmert, dass sie zart sind wie gelbe Rosenblätter oder der es zu langen Fäden zieht wie ineinandergeworrene Sonnenstrahlen – so vollkommen und köstlich im blossen Machwerk; oder die kleinen lyrischen Zwischenspiele, die hie und da wie der Gesang einer Drossel einfallen und die so flink und so sicher sind wie der Flügelschlag eines Vogels, so schwank und blank wie die Apfelblüten, die in langsamem Hin und Her nach einem Frühlingsgewitter auf den Rasen flattern und noch lieblicher sind, da die Regentropfen auf ihrem zarten rosenroten Perlengeäder liegen; oder die Sonette – denn Rodd ist einer von denen qui sonnent le sonnet, wie die Ronsardisten zu sagen pflegten – das eine, das sich »An den Hügeln des Ufers« nennt, mit dem feurigen Wunder seiner Phantastik und der seltsamen Schönheit seiner achten Zeile; oder das andere, das von dem Schmerz des grossen Königs um das tote kleine Kind spricht – nun, all diese Gedichte streben, wie gesagt, eine rein artistische Wirkung an und haben die köstliche und erlesene Eigenheit, die solcherlei Arbeit auszeichnet; und ich finde, dass die völlige Unterordnung aller bloss gefühls- und verstandesmässigen Motive unter das entscheidende formende Prinzip der Poesie das sicherste Zeichen für die Gesundheit unserer ästhetischen Bewegung ist.

Aber es ist nicht genug, dass ein Kunstwerk den ästhetischen Forderungen der Zeit entspricht: es muss auch, wenn es uns irgend dauernden Genuss gewähren soll, den Stempel einer besonderen Individualität tragen. Jedes Werk, das in unserm Jahrhundert gelten soll, muss auf den zwei Polen der Persönlichkeit und der Vollendung ruhen. Und so könnte man in diesem dünnen Band die frühere und schlichtere Stufe von der späteren und kräftigeren trennen, wo der Dichter mehr technische Macht und mehr künstlerische Anschauung besitzt, und dann reizt es einen, diese auseinanderfallenden Gedichte, diese wirren und vereinzelten Fäden zu einem feuerfarbenen Band des Lebens zu weben: zuerst stösst man auf die blosse Fröhlichkeit eines Knaben darüber, dass er jung ist, mit all seiner einfachen Freude im Feld und den Blumen, im Sonnenschein und Gesang, und dann die Bitterkeit plötzlichen Schmerzes, wenn der Tod einer kurzen und schönen Jugendfreundschaft ein Ende macht, mit all dem vergeblichen Sehnen und hoffnungslosen Fragen, mit dem wir so nutzlos das starre Marmorantlitz des Todes bewegen wollen; wobei der künstlerische Gegensatz zwischen der Unvollkommenheit des Geistes und der vollkommenen Vollendung des Stils, der ihn zum Ausdruck bringt, das Hauptelement des ästhetischen Reizes dieser besonderen Gedichte ausmacht; und dann die Geburt der Liebe und all das Wunder und all die Angst und gefahrvolle Wonne, wenn zum erstenmal die Schwingen der Liebe die Stirne des Knaben streifen; und die Liebeslieder, zart und fein, mit einer inneren Musik, als flögen leichte Schwalben, und so voller Freiheit und Duft, dass man sie alle im Freien und auf fliessendem Wasser singen möchte; und dann der Herbst, mit seinen verstummten Wäldern und seiner duftenden Verwesung und der untergehenden Lieblichkeit, wo die Liebe im Tode daliegt; und die Klage darüber.

Hier möchte man innehalten, denn von einem jungen Dichter dürfte man keine tieferen Klänge des Lebens verlangen als diese, die Liebe und Freundschaft uns zu ewigen Klängen machen; und die besten Gedichte in diesem Bande gehören offenbar einer späteren Zeit an, wo diese Erfahrungen des Wirklichen in eine Form aufgelöst und zusammengezogen werden, die solchen Erfahrungen des Wirklichen sehr entfremdet und entfernt scheint; wo der einfache Ausdruck von Freude oder Schmerz nicht länger genügt und mehr in der Hoheit des Rhythmus, in der Musik und Farbe der verketteten Worte liegt als in unmittelbarem Aussprechen der Dinge; mehr, möchte man sagen, in der Vollendung der Form lebt als im Pathos des Gefühls. Und doch können wir, nach der zerbrochenen Musik der Liebe und der Grablegung der Liebe in den Wäldern des Herbstes, wohl das Wandern unter seltsamen Menschen und in Ländern, die wir nicht kennen, darin spüren, wodurch wir so tragisch versuchen, die Stösse des Lebens, das wir kennen, zu heilen, und die reine, inständige Hingebung an die Kunst, die den Menschen überkommt, wenn die rauhe Wirklichkeit des Lebens ihn zu plötzlich verwundet hat und ihm die Jugend mit Verzweiflung oder Kummer zerstört, und die, meine ich, nicht seltener daher kommt als von irgend einer natürlichen Freude am Leben; und die sonderbare Gewalt des Blicks, die in Momenten überwältigender Trauer und unbezwinglicher Verzweiflung künstlerische Dinge im Gedächtnis zu lebendiger Wirklichkeit beseelt, zu einer Wirklichkeit, die dem Leben angehört, das diese Dinge uns vergessen helfen – ein altes graues Grab in Flandern mit einer seltsamen Inschrift, das uns den Gedanken gibt, dass leidenschaftliche Liebe vielleicht den Tod überlebt, eine Schnur aus blauen und bernsteingelben Perlen und ein zerbrochener Spiegel, die im Grab eines Mädchens in Rom gefunden wurden, ein Marmorbild eines Knaben, der wie Eros gekleidet ist, und mit der pathetischen Gebärde der Tragik eines grossen Königs, die wie ein purpurner Schatten darin umgeht, hat sich über dem allem der müde und verklärte Geist mit der ruhigen und sicheren Freudigkeit gelagert, die über einen kommt, wenn man etwas gefunden hat, was die Welt nicht zerstören und die Zeit nicht verwittern kann; und mit ihr kommt die Sehnsucht nach den Dingen Griechenlands, die oft das Mittel des Künstlers ist, die Sehnsucht nach der Vollendung auszudrücken, und das Verlangen nach den alten gestorbenen Tagen, das so modern ist und so unvollkommen und so rührend und gewissermassen die umgekehrte Fackel der Hoffnung vorstellt, die die Hand verbrennt, die sie führen sollte; und über viele Dinge eine leichte Trauer, und zu allen Dingen eine grosse Liebe; und zuletzt, im Kiefernwald an der See, noch einmal der rasche, lebendige Puls froher Jugend, der in jeder Zeile lacht und hüpft, die frische, unverzagte Freiheit von Welle und Wind, die die ausgebrannte Asche des Lebens zu Flammen erwecken und zu Gesang die stummen Lippen der Qual – wie klar scheint man es alles zu sehen, die lange Zeile der Kiefern, durch die Wolken und Meer hie und da wie ein Silberblick aufblitzen; den freien Platz im Grünen, das Herz des Waldes mit dem moosumsponnenen Altar des alten italischen Gottes darauf, und die Blumen ringsherum, Alpenveilchen an schattigen Plätzen, und die Sterne der weissen Narzissen, die wie Schneeflocken über dem Gras liegen, wo die behende glanzäugige Eidechse über den Stein schiesst, und die Schlange zusammengerollt auf dem heissen Sand in der Sonne liegt, und zu Häupten von den Zweigen fliessen die Marienfäden, dünne, zitternde, goldene Fäden – die Szene ist in ihrem Motiv ganz vollendet, denn hier fürwahr, wenn irgendwo, könnte die wahre Freudigkeit des Lebens einer Jugend offenbart werden – die Freudigkeit, die nicht kommt, wenn man die Leidenschaft verstösst, sondern wenn man sie in sich einzieht und die so ist wie die ruhige Heiterkeit, die im Gesicht der griechischen Statuen liegt, und die Verzweiflung und Schmerz nicht vernichten, sondern nur verdichten und verstärken können.

So etwa könnten wir diese losen und zerstreuten Blumenblätter der Dichtung zu einer vollkommenen Rose des Lebens sammeln und doch möchten wir vielleicht, wenn wir es tun, das wahre Wesen der Gedichte nicht treffen; des Menschen wirkliches Leben ist so oft das Leben, das er nicht führt, und schöne Gedichte können wie schöne Seidenfäden zu vielerlei Mustern verwoben werden, die alle wunderbar und verschieden sind: und dazu ist die romantische Dichtung wesentlich die Dichtung der Impressionen, und wie die letzte Richtung in der Malerei, die Richtung Whistlers und Albert Moores, wählt sie zu ihrer Situation nicht eine Fabel oder ein Thema, sie behandelt lieber die Ausnahmen als die Typen des Lebens, sie liebt die intensive Kürze in dem, was man ihre feuerfarbene Augenblicklichkeit nennen könnte, denn in der Tat sind es jetzt die Augenblickssituationen des Lebens, das momentane Aussehen der Natur, was Dichtung und Malerei uns vermitteln wollen. Ehrlichkeit und Treue wird der Künstler natürlich immer haben, aber künstlerische Ehrlichkeit ist bloss die plastische Vollendung der Ausführung, ohne die ein Gedicht oder ein Gemälde, mag die Empfindung noch so edel, seine Herkunft noch so menschlich sein, nur vergeudete und unwirkliche Arbeit ist, und treu sein kann der Künstler nicht einem festgelegten Lebensgesetz oder System, sondern nur dem Prinzip der Schönheit, durch das die schwankenden Schatten des Lebens in ihrem flüchtigsten Augenblick festgehalten und verewigt werden. Er wird sich zum Beispiel in Dingen der Erkenntnis nicht bei der bequemen Orthodoxie unserer Zeit beruhigen und ebensowenig verlangt es ihn nach dem feurigen Glauben der antiken Zeit, der die Phantasie zwar intensiver machte, aber beschränkte, noch weniger wird er zugeben, dass der Friede seiner Kultur von der misstönenden Verzweiflung des Zweifels oder der Düsterkeit unfruchtbarer Skepsis zerrissen wird, denn das Tal der Gefahr, wo die Heere der Unwissenden zur Nacht rasselnd zusammenstossen, ist kein schicklicher Ruheplatz für die, denen die Götter das helle Hochland, den heiteren Gipfel und die sonnige Luft bestimmt haben – lieber wird er es immer in Neugier mit neuen Formen des Glaubens versuchen, wird seine Natur in den Gefühlen untertauchen lassen, die noch um alten schönen Glauben zittern, und wenn er, der die Erfahrung selbst, nicht ihre Früchte sucht, ihr Geheimnis geborgen hat, wird er ohne Bedauern vieles lassen, was ihm einmal sehr teuer war. »Ich bin immer unaufrichtig,« sagt Emerson irgendwo, »da ich weiss, es gibt auch andere Stimmungen.« »Les émotions,« schrieb Théophile Gautier einmal in einer Kritik über Arsène Houssaye, »les émotions ne se ressemblent pas, mais être ému – voilà l’important«.

Dies also ist das Geheimnis der Kunst der romantischen Schule unserer Zeit und gibt uns den rechten Grundton, sie zu erfassen; aber das eigentliche Wesen aller Werke, die wie die Gedichte Rodds, wie ich sagte, nach einer rein künstlerischen Wirkung streben, kann nicht mit den Worten, die der Sprache begrifflicher Kritik zur Verfügung stehen, beschrieben werden; sie sind dafür unzugänglich. Man kann vielleicht am besten in Ausdrücken zu ihnen führen, die den andern Künsten entnommen sind und auf sie hinweisen; und wirklich, einige dieser Gedichte irisieren wie ein entzückendes Stück venetianisches Glas und sind ebenso köstlich; andere sind so duftig in der Vollkommenheit ihrer Ausführung und so einfach im Naturmotiv wie eine Radierung Whistlers oder wie eine der schönen kleinen griechischen Figuren, die man in den Olivenhainen um Tanagra heute noch finden kann, mit der matten Vergoldung und dem Hauch von Karmesin, die noch nicht ganz von Haar und Lippen und Gewand geschwunden sind; und viele von ihnen gleichen den Dämmerungen Corots, die eben zu Musik werden, denn nicht bloss in der sichtbaren Farbe, sondern auch in der Empfindung – die die Farbe der Poesie ist – kann wohl eine Art Ton liegen.

Aber ich glaube, das beste Gleichnis für das Wesen der Gedichte dieses jungen Poeten, das ich je sah, fand ich in der Loirelandschaft. Er und ich hielten uns einmal in dem kleinen Städtchen Amboise auf, mit seinen grauen Schieferdächern und seinen steilen Strassen und dem schmalen, finsteren Torweg, wo die friedlichen Hütten wie weisse Tauben in den düstern Spalten der grossen Felsenfestung nisten, und die stattlichen Renaissancegebäude schweigsam und vornehm dastehen – jetzt sehr öde, aber die feingedrehten Säulen und geschnitzten Tore mit ihren grotesken Tieren und lachenden Masken und wunderlichen Wappensprüchen noch von mancher Erinnerung an die alten Tage umschwebt, und das alles erzählt von einem Menschenschlag, der sich das Leben nicht wirklich denken konnte, solange er’s nicht phantastisch gemacht hatte. Und oberhalb des Städtchens, jenseits der Biegung des Flusses, gingen wir gewöhnlich nachmittags und zeichneten von einem der grossen Kähne aus, die im Herbst den Wein und im Winter das Holz zum Meer bringen, oder wir lagen im hohen Gras und entwarfen Pläne pour la gloire, et pour ennuyer les Philistins, oder wir spazierten an den niedrigen, schilfbewachsenen Ufern und »bliesen unsere Rohrpfeife in fröhlichem Wettkampf«, wie es Gefährten in den alten Tagen Siziliens gern taten; und das Land war ein ziemlich gewöhnliches Land und sogar kahl, wenn man an Italien dachte, wie da die Oleanderbäume die Berge bei Genua mit Scharlach schmückten und die Cyklamen mit ihrem Purpur jedes Tal von Florenz bis Rom erfüllten; denn es gab nicht viel wirkliche Schönheit hier, nur lange, weisse, staubige Strassen und gerade, feierliche Pappelalleen, aber dann und wann verlieh ein kleiner flüchtiger Schimmer gebrochenen Lichts dem grauen Feld oder der stillen Scheune ein Geheimnis und eine Weihe, die sie nicht wirklich besassen, und verklärte für einen einzigen köstlichen Augenblick die Bauern, die den Weinberg herabstiegen, oder den Schäfer, der auf dem Hügel weidete, betupfte die Weidenbäume mit Silber und verwandelte den Fluss in fliessendes Gold; und die wunderbare Wirkung zusammen mit der seltsamen Einfachheit des Materials schien mir immer ein wenig wie die Art dieser Verse meines Freundes.

Sonett an die Freiheit

(Oscar Wilde, Poems. London 1881.)

Nicht darum, weil ich hold bin deinen Söhnen,
In deren Sinn nichts lebt als festgeballt
Der eignen dumpfen Leiden Missgestalt, –
Doch weil aus deinem wilden Machtverhöhnen,
Aus deines Schreckenreichs Gewitterdröhnen
Mir meiner eignen Leidenschaft Gewalt
Und meinem Grimm ein Echo widerhallt, –
Darum, du Freiheit! jauchzt bei deinen Tönen
Mein Innerstes, sonst könnte Tyrannei
Das heilge Recht der Völker immerhin
Mit Knuten treffen und mit Kanonaden,
Und meine Seele bliebe kalt dabei –
Und doch, und doch! Gott weiss, wie eins ich bin
Mit jenen Heilanden der Barrikaden.