Vor Zeiten lebte in Irland der König Hagen und seine Gemahlin Hilde; sie hatten eine liebliche Tochter, die den Namen ihrer Mutter trug. Jedermann pries ihre Anmut und ihren Liebreiz, und bald drang der Ruf von Hildes Schönheit über Meer und Land, und viele edle Freier aus königlichem Blut kamen an den Hof, um sie zum Weibe zu gewinnen.
»Ich werde nur dem die Hand meiner Tochter geben«, erklärte König Hagen hart, »der mich im Wettkampf besiegt.« Viele Bewerber hatte er schon bezwungen und erschlagen.
Damals herrschte im Hegelingenland König Hetel, dessen Reich sich von Jütland bis zu den Niederlanden erstreckte. Sein Wunsch war es, die schönste Fürstentochter als Gemahlin an seiner Seite zu haben, und so entsandte er drei getreue Helden zur Brautwerbung: seinen Waffenmeister Wate, den gewaltigen Recken, den sangeskundigen Horand, seinen Schwestersohn aus Dänemark, und den klugen Frute, dessen Rat dem König schon so manches Mal aus der Bedrängnis geholfen hatte.
»Nicht mit Waffengewalt, nur durch List werden wir zum Ziele kommen«, mahnte Frute; »denn König Hagen pflegt die Boten derer, die seine schöne Tochter gewinnen wollen, sehr übel aufzunehmen.« Auf seinen Rat reisten die Helden darum als fremde Kaufleute verkleidet nach Irland.
Am Strande von Baljan gingen sie an Land, baten um Gastfreundschaft, die man ihnen gewährte, und schlugen die Zelte auf, um ihre Waren feilzubieten: Waffen und Geräte, wertvolle Stoffe und kostbaren Schmuck an Spangen und Ringen.
Die Leute aus Hagens Burg strömten voll Neugierde herbei, und bald zog das Lob der köstlichen Waren und Kleinodien auch die Königin mit ihrer schönen Tochter in die Zelte der Fremden. Selbst König Hagen fand Gefallen an den Kaufleuten, die gar nicht wie gewöhnliche Krämer erschienen, und eines Tages lud er Wate und seine Gefährten an den Hof.
Im Königssaale saßen die Gäste aus dem Hegelingenlande der Königin und ihren Edelfrauen gegenüber. Mit welcher Freude schauten sie auf Hilde, die liebliche Königstochter, der ihre Reise galt; doch ließen sie nichts von ihrem Vorhaben verlauten und gebärdeten sich weiterhin, als seien sie Kaufleute. »Nicht Krämer, sondern edle Recken sind sie«, flüsterte Hagen seinem Marschall zu und blickte dabei wohlgefällig auf den starken Wate mit dem breiten Bart.
Lächelnd trat Königin Hilde vor Wate hin: »Sagt ehrlich Eure Meinung«, fragte sie scherzend. »Behagt Euch mehr der Umgang mit schönen Frauen, oder blickt Ihr lieber im Waffenspiel dem Gegner ins Auge?«
Der wackere Streiter ließ sich durch die Scherzfrage überrumpeln und gestand freimütig ein, jeder Gesellschaft schöner Frauen ziehe er den harten Waffenstreit vor. Da gab es fröhliches Gelächter, und als Hagen den Gast, der ein Kaufmann sein wollte, zum Wettkampf herausforderte, mußte er ihn bald voller Erstaunen und Beschämung als seinen Meister anerkennen.
Besonderes Gefallen aber fanden Frauen und Recken des Königshofes an Horand, dem Sänger, der durch seine Stimme aller Herzen gewann. Er sang so bezwingend, daß die Waldvögel in ihrem Gesang innehielten und die schöne Hilde in ihrer Kemenate voll heimlichen Entzückens seiner Stimme lauschte. Niemals hatte sie solch bezaubernden Gesang vernommen. Schließlich konnte sie den lockenden Tönen nicht Iänger widerstehen und ließ den Sänger zu sich kommen.
Dort in ihrem Frauengemach sang Horand für sie eine Weise, die er noch niemandem gesungen hatte, auf der Meerfahrt hatte er sie von einem Nix vernommen, der schöner sang als jedes Menschenwesen.
Jetzt offenbarte Horand der Königstochter die volle Wahrheit und berichtete ihr von Hetel, seinem Herrn, der nichts sehnlicher wünschte, als sie zur Frau zu gewinnen.
Die schöne Hilde schien nicht abgeneigt, ihr Jawort zu geben. »Mein Vater wird niemals darein willigen, daß ich mit Euch in die Ferne ziehe,« meinte sie jedoch zögernd.
»Gerade darum haben wir ja vorgetäuscht, Kaufleute zu sein«, versetzte Horand, und so lockend wußte der kluge Sänger ihr seines Herrn Werbung vorzutragen, daß Hilde schließlich einwilligte. Auch ohne die Zustimmung ihres Vaters wollte sie Horand folgen, und sie war bereit, sich von ihm und seinen Gefährten entführen zu lassen.
»Erbitte dir deines Vaters Erlaubnis, unsere Schiffe zu besichtigen«, schlug er ihr vor, »dann werden wir die Anker lichten und in König Hetels Land fahren.«
Die Flucht gelang. Ein günstiger Fahrtwind führte die Hegelingen zur Heimatküste, und König Hetel, dem Boten den glücklichen Ausgang der Fahrt berichtet hatten, nahte mit einem glänzenden Brautgeleite, um die schöne Hilde heimzuführen. In fröhlichem Einverständnis gelobten sich beide Liebe und Treue. Aber noch ehe es Abend wurde, kam erschreckende Botschaft: König Hagen war mit seiner kampfstarken Flotte bereits nahe der Küste, um die geraubte Tochter zurückzuholen. Denn nicht anders glaubte der Irenkönig, als daß Hilde von Seeräubern entführt worden sei.
»Rüstet euch alle zum Kampfe!« gebot Hetel seinen Mannen, und so standen die Hegelingen zur Abwehr bereit, als König Hagen mit seinen Recken an Land ging.
Ein hartes, erbittertes Ringen begann. Wild flogen die schweren Speere, und dann standen die Kämpfer, das Schwert in der Faust, einander gegenüber. Hagen drang grimmig auf König Hetel ein und traf ihn schwer, und als man den Verwundeten vom Kampfplatz führte, ging Hagen kühn den starken Wate an. Zwei ebenbürtige Gegner standen einander gegenüber, Hagen durchschlug Wates Helm und verwundete ihn schwer. Der alte Recke ließ aber nicht vom Kampfe ab und brachte den König in harte Bedrängnis.
»Trenne, wenn du mich liebst, die beiden erbitterten Kämpfer!« bat Hilde, die alles mit angesehen hatte, König Hetel; »sie werden nicht ablassen von ihrem furchtbaren Streit, bis sie beide zugleich erschlagen zu Boden sinken.«
Da raffte Hetel, trotz seiner Verwundung, sich auf und eilte auf die Walstatt. »Laßt es genug sein der Toten, König Hagen!« rief er, »und stellt den unnützen Kampf ein, ihr Helden!« König Hagen, der Achtung hatte vor der Tapferkeit seines Gegners, folgte der Aufforderung König Hetels. Die beiden starken Streiter senkten die Waffen, und König Hetel bekannte, daß er Hagens Tochter habe entführen lassen, um sich mit ihr zu vermählen. »Als Königin der Hegelingen soll sie über Land und Meer herrschen«, gelobte König Hetel.
Da willigte Hagen ein und erklärte sich zur Versöhnung bereit. Er geleitete selber seine schöne Tochter in die neue Heimat und feierte auf Hetels Burg Matelane ihre Hochzeit mit dem König der Hegelingen, in guter Freundschaft und mit vielen Gastgeschenken schied Hagen von dannen.
In hohen Ehren lebte die schöne Hilde viele Jahre an der Seite König Hetels, der sein Reich in Gerechtigkeit und Kraft regierte und schirmte. Sie hatten zwei Kinder, Ortwin, der unter der Obhut des alten Wate zu einem edlen Recken heranwuchs, und Gudrun, die an Schönheit sogar ihre Mutter überstrahlte.
Wie einst Hagen über seine Tochter Hilde, so wachte nun König Hetel über die schöne Gudrun. Nur dem sollte sie gehören, den er ihrer würdig erachtete. Vergeblich warb Sigfrid von Morland, der über sieben Reiche gebot, um sie; vergeblich bat auch Hartmut, der Sohn König Ludwigs von der Normandie, um ihre Hand.
Gudrun selber hätte sich dem edlen Recken, der sich durch stattlichen Wuchs und ritterliches Wesen auszeichnete, vielleicht wohl anvertraut; denn er brachte ihr aufrichtige Liebe entgegen. Doch ihr Vater Hetel wies den Freier stolz und hochfahrend ab, als bedeute dessen Werbung eine Kränkung seiner Ehre; Hartmuts Vater Ludwig nämlich war ein Lehnsmann von König Hagen von Irland, und somit galt Hartmut ihm als nicht ebenbürtig.
Voller Zorn nahm der junge Normannenfürst die Abweisung hin, er fühlte sich in seiner Ehre gekränkt und sann auf Rache.
Während Hartmut unverrichteter Dinge heimkehrte, erschien König Herwig von Seeland mit einem Heere vor Hetels Burg. Die Hegelingen mußten der Übermacht der Feinde weichen, und Herwig gelang es, mit seinen Mannen in die Burg einzudringen. König Hetel stellte sich Herwig im Burghof zum Kampfe. Aber als die schöne Gudrun Herwigs Heldenkraft und den Ernst seiner Werbung sah, entbrannte ihr Herz in Liebe zu ihm, und sie bat ihren Vater, um ihretwillen Frieden zu schließen. König Hetel gewährte ihr die Bitte, weil er erkannt hatte, daß Herwig seiner Tochter würdig war.
So wurden Gudrun und Herwig miteinander verlobt. Aber ein Jahr sollte die Brautzeit währen; denn Hetel und Hilde wollten sich nicht so bald von ihrem geliebten Kinde trennen.
Doch ehe Herwig daran denken konnte, seine Braut heimzuführen, hatte er einen schweren Krieg zu bestehen. Der mächtige König Sigfrid von Morland hatte in seinem Zorn über die Abweisung am Hegelingenhofe Rache geschworen und wandte sich nun gegen Herwig von Seeland, der glücklicher gewesen war als er. Herwig war nicht zum Kampfe gerüstet und geriet in schwere Not. Nur mit Hetels Hilfe, in dessen Heer auch der junge Ortwin, dazu Wate, Frute und Horand kämpften, wurde der mißgünstige Nebenbuhler in seine Burg zurückgeworfen. Dort belagerten ihn die Heere der Hegelingen und Seeländer. »Nicht eher werde ich von hier weichen«, rief König Hetel drohend, »als bis Sigfrid, der Friedensbrecher, gefangen vor mir steht!«
In dieser Zeit aber, da die wehrhaften Männer fern der Heimat waren, brach das Verhängnis über Hetels Sippe herein. Hartmut, den jungen Normannenfürsten, trieb die Rache wegen der Demütigung, die er an Hetels Hof erfahren hatte, wie auch die Liebe zu Gudrun zu schnellem Entschluß. Seine Späher meldeten ihm, daß König Hetel auf Heerfahrt sei.
Doch ehe Hartmut ins Hegelingenreich einfiel, sandte er noch einmal Brautwerber nach Matelane. »Ich bin Herwig anverlobt«, erklärte die stolze Gudrun »und mit keinem anderen werde ich mich vermählen.«
Da griff der junge Normannenfürst zur Gewalt, wie er es angedroht hatte, berannte mit seinen Mannen die unbewehrte Königsburg und ließ Gudrun mit mehreren ihrer Jungfrauen, zu denen auch ihre Gespielin Hildburg gehörte, ergreifen und zu den Schiffen schleppen.
Nur Königin Hilde blieb in einsamem Schmerz zurück. Sie sandte Boten mit der Trauerkunde an König Hetel, und als dieser vernahm, was sich ereignet hatte, wollte ihn der Schmerz überwältigen. Aber Herwig rief: »Wir müssen sogleich den frechen Räuber verfolgen und ihm seine Beute abjagen.« Auch Wate stimmte ihm zu, und er drängte darauf, mit Sigfrid Frieden zu schließen. Der hartbedrängte König von Morland war auch dazu bereit, und als er erfuhr, daß Hartmut die schöne Gudrun geraubt habe, entschloß er sich, an der Verfolgung teilzunehmen. Ohne zu säumen, bestiegen sie die Schiffe, setzten die Segel und nahmen unter Wates Führung die Verfolgung auf.
Die Normannenkrieger dachten nicht an Gefahr und rasteten auf einer Insel, dem WüIpensande. PIötzlich entdeckten die ausgestellten Wächter Segel auf dem Meer. Die Normannen hatten kaum Zeit, sich zu rüsten, so schnell waren die Schiffe heran. Die bewaffneten Hegelingen sprangen an Land, und die Schlacht begann.
In wütendem Ringen wogte das Kampfglück hin und her. Die Wellen röteten sich vom Blute der Erschlagenen, und rot färbte sich auch das Gras der Dünen, ringsum war die Walstatt von Toten und Verwundeten bedeckt. Hetel stellte in wildem Zorn den Normannenkönig Ludwig, Hartmuts Vater, zum Zweikampf; aber nach schwerem Ringen traf ihn Ludwigs Schwert, daß er sterbend zu Boden sank. Da wurde der Zorn des alten Wate zum Grimm eines reißenden Tieres. Brüllend vor Kampfeswut stürzte er sich in die Reihen der Kämpfer, um seinen Herrn zu rächen, viele Normannen fielen unter seinen Streichen.
Als der Abend herabsank, war die Schlacht immer noch nicht entschieden. Erst die hereinbrechende Finsternis trennte die Kämpfenden. In tiefer Ermattung sanken hüben und drüben die Streiter in den Schlaf. König Ludwig wußte, daß er mit seinen Mannen auf die Dauer den Hegelingen nicht werde standhalten können. Deshalb führte er im Schutze der Nacht seine Krieger lautlos zu den Schiffen, gewann unbehindert die See und steuerte mit günstigem Wind der normannischen Heimat entgegen.
Als Wate in der Morgenfrühe das Heerhorn ertönen ließ, um den Kampf von neuem zu beginnen, war ringsum kein Feind mehr zu erblicken. Nur seine Toten bedeckten den Strand. Groß war die Enttäuschung der Hegelingen; denn sie mußten erkennen, daß sie nicht mehr die Kraft besaßen, den entwichenen Feinden zu folgen.
Da begruben die Überlebenden in tiefem Schmerz ihre Toten; auf das Grab des erschlagenen Königs Hetel wälzten sie einen gewaltigen Stein. Sechs Tage währte es, bis die Toten auf der breiten Meeresdüne bestattet waren. Auch die gefallenen Feinde begruben sie, damit die Leichen nicht den Raben zum Fraß dienten.
Dann ging die Fahrt heimwärts ins Hegelingenland. Ohne den Heerkönig, den starken Hetel, und ohne die schöne Gudrun, um deretwegen sie ausgezogen waren, mußten Wate und Herwig vor die Königin Hilde treten, fast die ganze waffenfähige Mannschaft hatte den Tod gefunden.
Laut klagte Königin Hilde, als sie diese Kunde vernahm. »Wir müssen sogleich zum Kampf gegen die räuberischen Normannen rüsten!« rief sie; doch Herwig zögerte, und Wate, der starke Kämpfer, wiegte bedächtig das Haupt: »Allzusehr sind von dem zweifachen Kriegszug unsere Kräfte erschöpft; erst wenn eine neue Waffenjugend herangewachsen ist, können wir daran denken, gegen die Normannen den Kampf zu erneuern.« Auch Herwig versprach, nicht eher zu ruhen, als bis er Gudrun befreit und an Hartmut gerächt habe.
Währenddessen rauschten die Schiffe der Normannen durch das Meer nach Süden. »Seht jene Burgen, Herrin«, sagte Hartmut zu der von Kummer gebeugten Gudrun, »über sie und all meine Lande sollt Ihr gebieten, wenn Ihr mich erhöret.« Und auch König Ludwig redete ihr gut zu.
»Lieber will ich sterben, als meinem Verlobten die Treue brechen«, erwiderte Gudrun. In jähem Zorn ergriff sie der alte König und stieß sie ins Meer. Aber Hartmut sprang ihr nach und rettete sie aus den Wellen. Drohend trat er vor seinen Vater. »Hätte ein anderer sich solchen Tuns erkühnt«, rief er, »so hätte er es mit dem Leben büßen müssen!« Da faßte Reue den rauhen König, und er tat Abbitte bei Gudrun.
Als die Schiffe in den Heimathafen einliefen, standen Hartmuts Mutter, die Königin Gerlind, und seine Schwester Ortrun am Strande, um Gudrun freundlich zu empfangen. Doch diese wehrte weinend jeden Gruß ab. Trotzdem versuchte die Königin zunächst, die Entführte versöhnlich zu stimmen. Aber gegen sie wie auch gegen Hartmut und alle andern blieb Gudrun abweisend und unzugänglich; nur zu Ortrun, die ihr stets liebreich entgegenkam, fühlte sie sich hingezogen.
Hartmuts Hoffnung, daß Gudrun ihm allmählich ihre Liebe zuwenden werde, erfüllte sich nicht. Zu sehr zürnte Gudrun dem Manne, der die Schuld an ihrem Unglück trug, und sie zeigte sich unversöhnlich, obwohl sie durch Ortrun wußte, daß Hartmuts Liebe aufrichtig war.
Als Gudrun sich fernerhin weigerte, mit Hartmut Hochzeit zu halten, riet Gerlind dem Sohne, die Widerspenstige ihrer Zucht zu übergeben, so werde sich alles wohl fügen. Da willigte Hartmut ein, bat jedoch die Mutter, Gudrun in Ehren zu halten, wie es ihr zustehe. So kam Gudrun, die Königstochter, in Frau Gerlinds Zucht und mußte schwere Magddienste verrichten. Gerlind quälte sie auch durch kränkende Worte und durch Strafen und gab ihr kärgliche Nahrung.
In schweigendem Stolz nahm Gudrun alle Pein geduldig auf sich. Aber die bittere Not verscheuchte die frische Farbe ihrer Wangen. Als Hartmut von Gudruns Behandlung durch seine Mutter erfuhr, stellte er diese zur Rede, und Frau Gerlind versprach, Gudruns Los zu mildern. Trotzdem trug sie der Königstochter immer härtere Arbeiten auf.
Fortan mußte Gudrun am Strande die Wäsche waschen. Der einzige Trost für die gequälte Gudrun war, daß Hildburg, ihre Gespielin, die Not mit ihr teilte. Mitten im eisigen Winter standen die beiden Mädchen am Meeresstrande und gingen ihrer schweren Arbeit nach.
Immer wieder richtete die Königstochter den Blick über die weite See, dorthin, wo sie die ferne Heimat wußte. Hatte man sie denn dort ganz vergessen, glitt kein Segel von Norden her, kam nicht der Verlobte, sie zu suchen und ihr Rettung zu bringen?
Die Jahre gingen hin. Immer quälender und drückender wurde Gudruns Los in der Fremde, und immer mehr schwand ihre Hoffnung auf Rettung und Heimkehr. Ob Herwig, ihr Verlobter, und ihr Bruder Ortwin und ihre Mutter Hilde nicht mehr am Leben waren?
Einst standen Gudrun und Hildburg wieder bei ihrer harten Arbeit am Strande. Das Wetter war rauh und kalt; aber die grausame Gerlind hatte sich nicht gescheut, den beiden Jungfrauen sogar die Schuhe zu versagen; barfüßig, halb erstarrt vor Schmerz und Erschöpfung, so standen sie im Schnee am Meeresufer. Da sahen sie einen Seevogel in den Wellen treiben, und in ihrer Sehnsucht riefen die Jungfrauen ihn an. Der Vogel aber antwortete ihnen mit Menschenstimme: »Harret mutig aus, ihr beiden Dulderinnen; die Rettung ist nahe!« Dann hob er sich in die Luft und flog davon.
Hatte der Vogel wahr gesprochen? Gudrun und Hildburg faßten neuen Mut.
Als sie tags darauf wieder am Strande die Wäsche spülten, schraken sie auf; ein Boot, in dem zwei Männer standen, näherte sich dem Ufer. Gudrun schämte sich und wollte sich verbergen, aber Hildburg überredete sie zu bleiben.
»Wessen Wäsche wascht ihr denn?« fragten die Männer; sie schienen Mitleid zu haben mit den beiden Mädchen, die zitternd und windzerzaust so schwere Arbeit verrichten mußten. Bereitwillig gaben die Jungfrauen Auskunft; doch eine Belohnung, die man ihnen anbot, schlugen sie aus.
»Ihr seid im Normannenlande«, sagte Gudrun, »und die Burg, die ihr dort seht, gehört dem König Ludwig und seinem Sohne Hartmut.«
Begierig vernahmen die Fremden, was Gudrun berichtete.
»Habt ihr etwas gehört von den Jungfrauen, die vor Jahren als Gefangene hierher verschleppt worden sind und von denen die eine Gudrun heißt?« fragte der eine der beiden Männer.
»Ich kannte sie, denn ich gehöre selber zu den Gefangenen, die einst hierhergebracht wurden«, antwortete Gudrun.
Da vernahm sie, wie der eine der beiden von seinem Gefährten Ortwin genannt wurde. »Ihr fragt nach der armen Gudrun«, sagte sie dann; »ich muß euch kundtun, daß sie schon längst ihrer Qual und Mühsal erlegen ist.«
Da wurden die Augen der beiden Helden naß. ,»Bis an mein Lebensende«, rief Herwig, »muß ich nun klagen um sie, die mir zur Ehe versprochen war!«
»Ihr wollt mich täuschen, wenn Ihr Gudrun Eure Braut nennt«, sagte die Jungfrau da. »Denn wäre Herwig am Leben, längst wäre er gekommen, mich zu befreien!«
Damit hatte Gudrun sich verraten. Nun wußten Ortwin und Herwig, daß Gudrun vor ihnen stand. Herwig zeigte ihr den Ring, den er einst aus ihrer Hand empfangen hatte, und sah an ihrer Hand den gleichen, den er ihr einst gegeben hatte.
Da umarmten und küßten sich die beiden Verlobten in unendlichem Glück. Ohne Verzug wollte Herwig die Mädchen mit sich zu den Schiffen führen. Dem widersetzte sich Ortwin: »Nicht feige wegstehlen wollen wir sie«, sagte er, »sondern nach ehrlichem Kampfe werden wir Gudrun und die Mädchen befreien!« »Sollen wir sie auch nur eine Stunde länger in der Knechtschaft leben lassen?« brauste Herwig auf. »Ich habe meine geliebte Braut wiedergefunden! Nun bringe ich sie in Sicherheit, und dann soll der Rachekampf beginnen, der Kampf um die Gefährtinnen Gudruns und Hildburgs!«
Aber der edle Ortwin bestand auf seiner Forderung: »Eher bleibe ich selber hier«, rief er, »und lasse mich an der Schwester Seite von den normannischen Feinden niederstrecken. Nur in Ehren, Gudrun, sollst du befreit werden! Aber vertrau auf unsere Treue!« Da fügte Herwig sich dem Willen des Schwagers, das Versprechen der beiden Tapferen war für Gudrun Trost genug. Mit herzlichem Abschied gingen sie auseinander.
Freudige Hoffnung hatte Gudrun ergriffen, ihr Antlitz gewann wieder die blühende Farbe, und die Augen erhielten leuchtenden Glanz. »Wir müssen an die Arbeit gehen, sonst erwartet uns Strafe«, mahnte Hildburg; aber Gudrun wollte vom Waschen nichts mehr wissen. »Bin ich etwa eine Magd, die niedrige Dienste zu leisten hat?« rief sie, und lachend warf sie die Wäsche, die für sie das Zeichen der Knechtschaft war, ins Meer. Königin Gerlind geriet in großen Zorn, als sie erfuhr, was Gudrun mit der Wäsche gemacht hatte. Sie ließ eine Rute binden und befahl, die Jungfrau zu züchtigen. Da antwortete Gudrun: »Ehe ich die Strafe erdulde, will ich zum Manne nehmen, den ich bisher nicht nahm. Bald wird das Normannenland mir, der Königin, dienen!«
Durch solche Worte ließ sich die Königin ihren Zorn besänftigen. Sie glaubte wirklich, Gudrun habe nun endlich ihren Sinn geändert und sei entschlossen, Hartmut die Hand zum Ehebunde zu reichen. Sogleich ließ Gerlind ihn rufen. Doch als Hartmut in ungläubiger Freude herbeieilte und die stolze Gudrun als seine Braut in die Arme schließen wollte, wies sie ihn zurück: »Seht, wie ich hier stehe, barfuß und im nassen Gewand, wie ich soeben vom Strande heimgekommen bin. Nicht eher sollt Ihr mich berühren, als bis ich Euch ebenbürtig bin und die Krone auf meinem Haupte trage!«
Hartmut fügte sich ihrem Willen und fragte nach ihren Wünschen. Da verlangte Gudrun königliche Gewänder für sich und angemessene Kleidung für ihre Jungfrauen. »Als Fürstin will ich morgen meinen Bräutigam empfangen!« sagte sie bedeutungsvoll .
Gerlinds Dienerinnen waren nun voller Eifer bereit, der eben noch so schmählich Mißhandelten behilflich zu sein. Nur Gerlind mißtraute Gudruns Sinneswandlung, als sie die Königstochter so fröhlich mit den Jungfrauen aus ihrer Heimat scherzen sah, und sie glaubte, ihren Sohn Hartmut warnen zu müssen. Doch seine Liebeshoffnung hatte Hartmut blind gemacht, und unbesorgt schlug er alle Mahnungen der Mutter in den Wind.
Als die Frauen aus dem Hegelingenlande dann zu später Abendzeit allein waren, offenbarte Gudrun ihnen die Wahrheit. »Habt Geduld bis morgen«, sagte sie tröstend, »dann wird unser Leid endlich in Freude verwandelt werden!«
Ortwin und Herwig waren inzwischen zur Flotte der Hegelingen zurückgekehrt und hatten mit ihrem Bericht überall frohe Hoffnung erweckt. Nun mußte das kühne Wagnis gelingen! Als die Nacht herabsank, lichteten sie die Anker und steuerten bei Mondenschein zur Felsenbucht, wo die Normannenburg herüberdrohte. Glücklich gelangten die Helden ans Ufer, und voller Tatendurst rüsteten sie sich zum Kampfe. Gudrun selber, von einer ihrer Jungfrauen geweckt, sah mit heller Freude vom Fenster aus, wie die ganze Bucht von Schiffen voll war und wie die Schlachthaufen der Hegelingen sich zum Sturme bereit stellten. Die Burg war von allen Seiten umstellt. Erst jetzt ließ der normannische Wächter sein Horn erschallen, um die schlafenden Recken zum Kampfe zu rufen; doch zugleich tönte Wates Heerhorn schreckenerregend durch die Morgenfrühe.
Ein harter Kampf entbrannte. Kühn hatten die Normannen die Tore geöffnet, um den Feinden draußen vor den Burgmauern entgegenzutreten: doch bald zeigte es sich, daß sie der Kampfeswut der Hegelingen nicht gewachsen waren. König Ludwig stieß auf Herwig, aber der junge König von Seeland, dem der Gedanke an die wiedergefundene Gudrun die Kraft verdoppelte, schlug so wuchtig drein, daß König Ludwig ihm unterlag: sterbend sank er zu Boden, und Herwig schlug ihm das Haupt ab.
Hoch auf den Zinnen der Burg stand Gudrun inmitten ihrer Jungfrauen und sah dem wechselvollen Kampfe mit fliegendem Atem zu. Immer stärker wurde die Überlegenheit der vordringenden Hegelingen. Selbst den tapferen Hartmut, der überall im Vorkampfe gestanden hatte, verlangte es nach Rast. Aber als er sich mit seinen Mannen ins Tor zurückziehen wollte, versperrte der starke Wate ihm den Weg und stellte ihn zum Kampfe. Schwer fielen die Streiche der beiden gewaltigen Helden.
Da hörte Hartmut, der noch nicht wußte, daß König Ludwig gefallen war, seine Mutter laut den Tod des Gemahls beklagen. Zugleich äußerte sie das Verlangen, Gudrun tot vor sich zu sehen, und entsandte einen ihrer Knechte auf die Burgzinne. Gudrun schrie auf, als sie den Mann mit dem blanken Schwert auf sich zukommen sah, und mit diesem Notschrei aus Todesfurcht zog sie Hartmuts Blicke auf sich, der immer noch in schwerem Zweikampf mit dem grimmen Wate stand. Hartmut eilte herbei, und furchtbar drohte der Normannenfürst, sich an dem gedungenen Mörder zu rächen; da ließ dieser das Schwert sinken und entfloh.
So hatte Hartmut, obwohl selber in Todesnot, Gudrun das Leben gerettet, der immer noch seine Liebe galt.
Bedrängter wurde seine Lage, schon schien er verloren; da eilte Ortrun herbei und warf sich Gudrun zu Füßen. »Wende den Tod von meinem Bruder ab!« bat sie flehend; »mein Vater ist erschlagen und all die Meinen, nun erspare mir ein Schicksal, wie du es selber erlebt hast!«
Da hatte Gudrun Erbarmen mit der Königstochter, die stets freundlich zu ihr gewesen war, und von der Höhe herab winkte sie Herwig heran und bat ihn, die Kämpfenden zu trennen. Nur mit Mühe konnte Herwig ihre Bitte erfüllen. Zwar wurde Hartmut dem Zorne des unbezwinglichen Wate entrissen; aber gefesselt führten Herwigs Mannen ihn zu den Schiffen.
Damit war das Geschick der normannischen Königsburg entschieden. Furchtbar wütete Wate, der sich den Eingang erzwungen hatte, durch alle Gemächer. Er wollte Gericht halten mit Gerlind, die die Tochter seines Königs so grausam behandelt hatte. In ihrer Verzweiflung suchte die Königin Hilfe bei Gudrun, die schon Ortrun vor der Wut der Hegelingen beigestanden hatte. Voller Großmut gewährte die edle Gudrun auch ihrer Feindin Schutz und versteckte sie hinter sich. Aber Wate, furchtbar anzuschauen in seiner Kampfeswut, zerrte Gerlind hervor und ließ die Königin mit dem Tode büßen, was sie seiner Herrin angetan hatte.
Damit hatte der erbitterte Kampf ein Ende gefunden. In unendlichem Glück umarmte Gudrun den Verlobten und den Bruder, die ihr die Freiheit gebracht hatten.
Mit reicher Siegesbeute ging es sodann auf die Heimfahrt, Hartmut und Ortrun wurden als Gefangene mitgeführt.
Frau Hilde, die Hegelingenkönigin, hatte schon durch Boten den glückhaften Ausgang vernommen. Bald lag Gudrun in den Armen der Mutter. Nun endlich wußte sie, daß ihre lange Leidenszeit ein Ende gefunden hatte.
Die beiden normannischen Königskinder verwies Hilde zunächst streng aus ihren Augen; später jedoch fügte sie sich Gudruns Fürsprache. Ortwin nämlich hatte die schöne Ortrun liebgewonnen und warb um ihre Liebe, und auch Hartmut gegenüber ließ die Königin von ihrem Groll und gewährte ihm Verzeihung und Freiheit. Da bat der junge Normannenfürst die treue Hildburg um ihre Hand, und als bald darauf Gudrun und Herwig den Lebensbund schlossen, für den Gudrun sich neun Jahre lang bereit gehalten hatte, da sah die Hochzeitsfeier im Hegelingenlande drei glückliche Brautpaare.
Eine lange Friedenszeit folgte nach den schrecklichen Jahren der Entbehrung und des Krieges. Gudruns Schönheit erblühte von neuem, und ihre Treue, die sie so viele Jahre hindurch bewahrt hatte, wurde in allen Landen besungen.