Das Pfaffenkäppchen

Zwischen schroff und steil überm Tal der Nahe zum Himmel sich aufgipfelnden Felskolossen werden noch jetzt die Trümmer der einst trotzigen Burgfeste Rheingrafenstein erblickt.

Auf der Kauzenburg saß ein junger Rheingraf, jagdlustig und mutig, der wünschte sich eine Burg auf diesen ungeheuren Felsen, stattlich wie die Ebernburg und der Landstuhl der Sickinger, unnahbar dem Feinde. Und mit solchen Wünschen weilte er einstens sehnend und sinnend in der Nähe der Felsriesen, deren Gipfel noch kein Mensch erstiegen hatte. Da gesellte sich einer zu ihm, den man nicht gern nennt, der las in des jungen Rheingrafen Seele den Wunsch und redete ihn an und sprach: »Eine Burg da droben, eine schöne, stattliche, feste, ja, die wär‘ Euch recht! Nicht so? Fehlt nur der Baumeister – ja! – Und wenn einer käme und baute sie über Nacht, dem verschriebet Ihr wohl einen stattlichen Lohn? Was gäbet Ihr solchem? Sagt an!« – »Ihr redet wunderlich,« erwiderte der Rheingraf; »seid Ihr der Mann, der das vermag, so fordert und bestimmt den Lohn!« – »Nur eine einzige Seele – die Seele dessen, der zuerst durchs Fenster der neuen Burg hinab ins Tal der Nahe und über alle Täler und Berge ausschaut; – das ist doch wohl wenig für eine stattliche Grafenburg!«

– »Kommt heute abend wieder her –; ich will es mir überlegen!« sagte der Rheingraf und verließ gedankenvoll den Ort. Eine Seele seinem Wunsche zu opfern, dünkte ihn sündlicher Frevel, und doch war sein Wunsch stark und groß.

Daheim ließ er seinen Burgkaplan kommen und offenbarte dem den Handel. Der Kaplan schlug viele Kreuze und riet ernstlich ab, warnte gar treu vor des bösen Feindes List und Tücken und rückte sein schwarzes Käppchen auf dem Scheitel wohl hin und her. Da trat des Rheingrafen junges Ehegemahl herein und hörte das Gespräch. Sie ließ erst den Kaplan hinausgehen; dann sagte sie: »Laß jenen nur gewähren! Versprich ihm, was er begehrt; das andere findet sich.«

Da ritt der Ritter wieder hinaus ins Nahetal und hielt ganz allein am Fuß der Felsen, und es dämmerte schon. Oben aber sprang eine schwarze Gestalt von Fels zu Felsen, einer Gemse gleich, und mit einem Male stand der Fremde auch unten im Tale. »Was machst du da droben?« fragte der Ritter. – »Ich nahm einstweilen die Maße,« antwortete jener und fragte: »Nun, soll ich?« Fast hätte der Rheingraf gesagt: »In Gottes Namen!« – da wäre es gleich aus gewesen – aber er besann sich und sagte bloß: »Ja – aber bis morgen früh fertig! Und daß nichts fehle: Bergfried34 , Palas35 , Luginsland, Mauern, Brücken – alles, was zu einer stattlichen Burg gehört!«

Rheinsagen

Am andern Morgen glänzte die Burg flammenrot ins Nahetal herab. Alle Welt war erstaunt; solch Wunder und Zauberwerk war noch nicht dagewesen. Der Rheingraf ritt nun hinauf, und der Baumeister der Nacht führte ihn in dem neuen herrlichen Eigentum umher, zeigte ihm Hallen und Säle, Brücken und Gänge, und öffnete im Palas ein hohes Bogenfenster, die herrliche Aussicht bewundern zu lassen. Aber der Ritter sah nicht hinaus; er sagte spöttisch: »Machet zu; hier zieht’s! Wir sind warm vom Steigen. Morgen wollen wir die Kauzenburg verlassen und hier heraufziehen. Ihr räumt wohl den Platz und nehmt ein Zimmer im Wächterturme? Nicht?« – Der Teufel zog ein schiefes Maul; er hatte sich schon unendlich darauf gefreut, dem Rheingrafen einen Stoß aus dem Fenster in die schwindelnde Tiefe zu geben und mit dessen Seele davonzufahren.

Am andern Morgen kamen der Rheingraf und die Gräfin, der Burgkaplan und das Hofgesinde, die Leibdiener, die Jäger, die Knappen, die Stalleute, die Wächter, die Hundejungen, die Hühnerwärter, die Schloßmägde, die Käsemutter, der Schloßzwerg, die Pferde, die Kühe, die Esel, die Rüden, der Meeraffe, die Katzen. Es war ein Zug, schier gleich dem des Erzvaters Noah, da er in den Kasten ging, zu Roß, zu Esel, zu Wagen – alles auf das neue Schloß.

Die junge Gräfin scherzte freundlich mit dem Burgkaplan, da droben werde es sehr zugig sein, sie wolle ihm ein wärmeres Käpplein nähen, er möge ihr das alte einmal zum Muster leihen. Und als sie oben angelangt war, ließ sie durch die Knappen auch ein Eselsfüllen hinauf in den Palas führen. Und sie hieß es halten und band ihm des Kaplans Käpplein auf den Kopf und ließ das Fenster öffnen und das Füllen daranstellen. Das schaute gar sanft und bedächtiglich zum Fenster hinaus und spitzte die Ohren und witterte die frische Morgenluft.

Der Teufel hatte lange schon still lauernd seitwärts gegenüber auf der Turmzinne gesessen. Jetzt sah er das Fenster sich öffnen, sah des Kaplans ihm wohlbekanntes Käppchen zum Vorschein kommen und fuhr im Nu hin und krallte seiner Meinung nach den Burgkaplan heraus und schmetterte ihn ins Tal und fing die Seele auf. Herr Gott, was der Teufel für einen Zorn hatte, als er sich überlistet sah und statt einer Menschenseele eine Eselsfüllenseele in den Klauen hielt! –

  1. Wartturm
  2. Wohnhaus (Teile der Ritterburg)

Sankt Gallus

Schon in frühen Zeiten drang das Christentum in das rhätische Gebirge. Ein britischer Königssohn, Ludius mit Namen, soll übers Meer gekommen sein und diesem Lande zuerst das Evangelium gepredigt haben. Nach ihm heißt heute noch ein Gebirgspfad zwischen Graubünden und der Herrschaft Vaduz6 der Ludiensteig.

Nach ihm kamen die Apostel Rhätiens und Helvetiens7 , Sankt Gallus, ein Königssohn aus Schottland, und seine Gefährten Mangold und Siegbert, samt dem heiligen Columban an den Bodensee, zerstörten die Götzenbilder und brachen das Heidentum. Sie wohnten als fromme Einsiedler in Hütten, heilten Kranke und predigten das Evangelium. Ein allemannischer Herzog, Gunzo, wohnte in Überlingen8 ; dem war die Tochter schwer erkrankt. Der heilige Gallus heilte sie, und dafür schenkte Gunzo ihm und seinen Gefährten ein großes Waldgebirge zum Eigentum, in welchem sie sich nun besser anbauten. Aus diesem ersten Anbau ist die hernachmals so berühmte und herrliche Abtei Sankt Gallen geworden, die einer Stadt und einer ganzen Landschaft den Namen gegeben. Aber St. Gallus blieb nicht beständig in seiner Einsiedelei. Als die Abtei St. Gallen begründet war, stieg er an der Sitter9 entlang höher empor und erbaute sich an einem geeigneten Ort eine neue Zelle, um das Hirtenvolk zu bekehren. Diese nannte das Volk des Abten Zelle; daraus ist der Name Appenzell entstanden.

Das Hirtenvolk nahm auch willig das Christentum an. Als aber später die mächtige Abtei es in seiner Freiheit bedrohte, erhob es sich zum Kampfe. Der Abt von St. Gallen suchte Hilfe bei Österreich. Es saß aber droben auf der festen Burg Werdenberg10 ein edler Grafensohn, Rudolf von Werdenberg, der hielt zu den Hirten des Appenzeller Gebietes und führte sie zum Kampfe gegen St. Gallen. Am Stoß11 geschah eine heftige Schlacht. Lange schwankte der Sieg. Plötzlich aber kam über den Berg herüber eine große Schar Kriegsvolk den Hirten zu Hilfe. Als die Feinde der Appenzeller diese erblickten, flohen sie eilend vom Schlachtfeld. Die Hilfsvölker aber, die sich gezeigt und durch ihren Anblick schon von weitem den Feind hinweggeschreckt hatten, waren keineswegs Kriegsmänner, sondern – der Hirten Weiber und Töchter in männlicher Tracht gewesen. Seitdem blieb das Ländlein Appenzell mitten im St. Galler Lande ein eigenfreies und regierte sich selbst.

  1. Fürstentum Liechtenstein
  2. lateinische Bezeichnung für die Schweiz
  3. am Bodensee
  4. Nebenfluß der Thur
  5. am linken Rheinufer
  6. in Appenzell-Außerrhoden

Der wilde Jäger

36

Der Wild- und Rheingrafen einer war ein gewaltiger Jäger, aber nicht wie Nimrod vor dem Herrn, sondern so recht vor dem Teufel. Einen Tag und alle Tage ging es hinaus in die Forste, mit wildem, wüstem Gefolge. Werktag und Feiertag, das war dem Grafen alles gleich. In die Kirche ging er nicht; nur Jagen war seine Freude.

Da geschah es eines Sonntagmorgens, daß der Wild- und Rheingraf abermals vom hohen Stein mit dem Gefolge seiner Jagdknechte und Rüden herab zu Tale zog, durch Felder und Saaten, nichts achtend, junge Saat und reife Ähren in den Boden niederstampfend. Es währte nicht lange, so brachten die Hunde einen großen weißen Hirsch auf, dessen Spur sie nun mit lautem Kliffen und Klaffen folgten. Die Hifthörner klangen, und die Hetzpeitschen knallten, daß es nur so sauste und brauste, immer dem Hirsch nach.

In allen Tälern riefen die Kirchenglocken zu Gebet und Amt; der Wildgraf hörte es gar nicht. Ein Bäuerlein, in dessen Feld der fliehende Hirsch sich zu bergen suchte, sah den Troß auf sein Feld losjagen. Er fiel auf die Knie und flehte, seines Ackers, des einzigen, welchen er besitze, doch gnädiglich zu schonen. Der Wild- und Rheingraf aber überritt den Bauern und stürmte mit dem ganzen Jagdtroß über den Acker hin. Der fliehende Hirsch mischte sich nun unter eine weidende Herde, da Sicherheit zu suchen. Der Hirt sah die wilde Jagd herannahen und flehte um Barmherzigkeit für das ihm anvertraute Vieh. Der Wild- und Rheingraf aber knallte ihm mit der Peitsche um die Ohren und schrie: »Hui hatz! Hui hatz!« Da fiel die blutgierige Meute mit wütenden Bissen den Hirten an und riß ihn nieder und biß die Rinder tot und jagte den Hirsch weiter. Dieser gewann einen Wald, dessen friedliche Sonntagsstille jetzt gellend laut der Zug des wilden Jägers durchtobte.

Im Walde stand eine Einsiedlerklause, und in diese floh jetzt der auf den Tod gehetzte Hirsch. Der Wild- und Rheingraf stürmte mit seinem Troß gegen die Klause an. Der Klausner, ein Greis mit schneeweißem Bart, trat heraus und hob warnend die Hand. »Nicht weiter!« rief er mit starker Stimme; »hier ist das Asyl37 der Kreatur38 !« – »In der Hölle ist dein Asyl, du alter Hund!« schnaubte der Wild- und Rheingraf den Klausner an und hob die Peitsche hoch gegen ihn auf. Aber die aufgehobene Rechte fiel nicht mehr zum Schlage nieder. – Nacht ward es plötzlich; der Klausner und die Hütte, der Hirsch und die Hunde, die Jäger und die Knechte – alles schwand, und des Wild- und Rheingrafen keuchendes Roß brach zusammen. Und da zuckte ein Blitz, und da fuhr des Teufels Faust riesengroß aus der Erde und drehte dem wilden Jäger den Hals um, und eine Stimme donnerte: »Jage fort, bis an der Welt Ende!«

Und also geschieht es, wie viele Sagen melden, daß von Zeit zu Zeit die wilde Jagd durch die Lüfte und über Felder und Wälder fährt mit gräßlichem Geschrei, mit dem Kliffen und Klaffen der Hunde, mit gespenstischem Wild, und der wilde Jäger selbst als Wild gehetzt vom wilden Heere der Hölle.

  1. vgl. die Ballade von Bürger u. Bl. 13
  2. Zufluchtsort
  3. Geschöpf

Heinrich Frauenlobs Begräbnis

Es war in deutschen Landen ein Minnesänger, der sang viel süße Weisen zum Lobe der Frauen; deshalb gewann er auch den Namen Frauenlob, denn sein rechter Name war Meister Heinrich von Meißen. Viele Reisen machte der Sänger von einem deutschen Hofe zum andern. Er sang irdische und sang Gottesminne. Zu Rostock regierte Markgraf Waldemar von Brandenburg, der hatte einen Rosengarten und ließ ein Wettsingen veranstalten; da war Meister Heinrich der erste Sieger. Einstmals lauerten Feinde ihm auf und umringten ihn mit Dräuen, sie wollten ihn töten. Da bat er, sie sollten ihm noch einen Sang vergönnen. Und als sie das taten, sang er so rührend zum Preise der himmlischen Frauen, daß jede gehobene Waffe sich senkte und die Feinde ihn ungehemmt und ungeschädigt von dannen ziehen ließen.

Auf seinen Sangesfahrten kam Meister Heinrich auch nach Mainz und verstarb allda und wurde begraben im Umgang des Domes, neben der Schule, mit großen Ehren. Von seiner Herberge bis zur Grabstätte trugen ihn Frauen und erhoben um ihn großes Weinen und Wehklagen, um des großen Lobes willen, welches der Sänger dem ganzen weiblichen Geschlecht zeit seines Lebens erteilt hatte. Und mit den Tränen zugleich gossen sie eine Fülle edlen Weins auf Meister Heinrichs Grab, daß der Wein durch den ganzen Umgang der Kirche floß. Und wäre manchem Dichter lieber, sie gäben ihm solchen Wein beim Leben. Mehr als ein Denkmal ist Heinrich Frauenlob errichtet worden, und seine Sänge sind noch unvergessen.

Die Totenglocken zu Speyer

Kaiser Heinrich IV. nahm ein gar trauriges Ende. Seine Gebeine ruhen im Dome zu Speyer, aber sie kamen nicht alsbald nach seinem Tode dahin. Verstoßen von Thron und Reich gedachte er, am Dome zu Speyer einer Chorherrenpfründe teilhaftig zu werden; allein der Bischof Gebhard, den der Kaiser als solchen selbst auf den Stuhl gesetzt und bestätigt hatte, weigerte ihm die Aufnahme. Da seufzte der Kaiser und sprach: »Gottes Hand liegt schwer auf mir!« und zog trauernd von dannen. Und es geht in Speyer die Sage, als der alte Kaiser endlich arm und elend zu Lüttich an der Maas verstorben sei, da habe die Kaiserglocke im Dome von selbst zu läuten begonnen, und alle andern Glocken haben volltönig eingestimmt in das Geläute, und das Volk sei zusammengelaufen und habe gerufen: »Der Kaiser ist tot, der Kaiser ist tot! Aber wo? Wo ist er gestorben?« – Das wußte keiner.

Rheinsagen

Der Bischof zu Lüttich fühlte minder hart als der undankbare Bischof zu Speyer; er ließ den Verstorbenen mit gebührenden Ehren bestatten. Aber als das der unnatürliche Sohn Heinrichs, Kaiser Heinrich V., vernahm, ward der Bischof von Lüttich verurteilt, den Sarg des Bestatteten mit seinen eigenen Händen wieder auszugraben, da der Verstorbene im Banne dahingegangen und einen Gebannten die geweihte Erde nicht decken dürfe. Da ward der tote Kaiser in seinem Sarge auf eine Insel in der Maas gestellt, und niemand kümmerte sich um ihn. Aber siehe, da kam ein Mönch, den niemand kannte; der fuhr hinüber auf die Insel und betete an dem Sarge und las Messen über den Toten und sang ihm das Requiem29 . Und das trieb er fort und fort, bis Heinrich V. es vernahm und den Sarg mit den Resten seines Vaters gen Speyer führen ließ. Und als nun der Sarg im Königschor des Domes beigesetzt werden sollte, litt es der Bischof nicht, ehe denn der Papst zu Rom des deutschen Kaisers Überreste aus dem Banne löste. Das währte fünf Jahre; so lange blieb Kaiser Heinrichs IV. Sarg in Sankt Afra’s Kapelle unbeerdigt stehen.

Aber den Kaiser Heinrich V. wußte Gottes Hand auch zu finden; denn er blieb erbenlos und fiel in des Papstes Bann wie sein Vater. Und als er verstarb, da läutete vom Münsterturme zu Speyer ein Glöcklein von selbst gar hell und schrillend, und keine andere Glocke fiel ein, und niemand wußte, warum es läute. Und das Volk lief zusammen und fragte sich untereinander: »Wo wird denn einer zur Richtstätte hinausgeführt, daß das Armesünderglöcklein läutet?« –

  1. Totenmesse

Siegenheim

Nahe der Stadt Mannheim, an der Straße von da nach Heidelberg, liegt das Dorf Seckenheim, früher Siegenheim genannt von einem großen Siege, den Kurfürst Friedrich I. von der Pfalz, genannt der Sieghafte, im Jahre des Herrn 1462 in Siegenheims Gefild erfochten. Damals ward ein steinern Kreuz auf der Walstatt erhöht, mit einer Gedenkschrift, welche Kurfürst Friedrichs Sieg verkündete. Der junge mutige Sieger machte alle seine Gegner, den Markgrafen Karl von Baden, den Herzog Ulrich von Württemberg, den Bischof Georg von Metz und nicht weniger als 240 Grafen und Herren nebst noch einer großen Schar reisigen Volkes zu Gefangenen, ohne das Volk, welches erschlagen ward und die blutige Walstatt deckte. Da konnte man wohl vom Siege reden. Alle Gefangenen ließ der Kurfürst gen Heidelberg führen und mit den Fahnen, die er den Feinden abgewonnen, die Heilige-Geist-Kirche daselbst ausschmücken.

Die gefangenen Fürsten wurden indes standesgemäß behandelt und ehrlich gehalten, und des Abends rüstete man ihnen eine stattliche Mahlzeit. Da gab es Wild und Fisch und Beiessen und Wein im Überfluß, und nichts mangelte bis auf eins. Und der Kurfürst trat zu den Gefangenen und munterte sie auf, doch zuzulangen und wacker zu essen, es werde ihnen doch schmecken nach so heißem Tage! Aber sie aßen nicht, und einer sprach: »Gnädigster Herr Kurfürst, es mangelt uns an Brot!« – »Ha so!« entgegnete der Kurfürst, »das tut mir leid. Da ergeht es euch gerade wie meinen Untertanen, denen ihr und euer Volk alle Brotfrucht geraubt und verbrannt und nicht einmal der Früchte auf dem Felde verschont habt. Wo soll dann Brot herkommen?«

Mit großen Summen mußten die Gefangenen sich lösen, und sie dachten all ihr Lebtag an den Tag bei Siegenheim und an das Gastmahl zu Heidelberg.

Wormser Wahrzeichen

Am westlichen Portal des uralten Domes Unser lieben Frauen zu Worms ist als ein steinern Bildwerk ein Weib mit einer Mauerkrone zu erblicken, reitend auf einem seltsamen vierfüßigen Tiere. Das wird eines der Wahrzeichen der Stadt Worms genannt und ist vielfach ausgedeutet worden. Manche meinen, das Frauenbild stelle die triumphierende Kirche dar; andere meinen, es sei Brunhild, die Gemahlin des Austrasierkönigs Siegbert, über welche, nachdem sie bereits 80 Jahre alt geworden, ein furchtbares Strafgericht, ihrer Herrschsucht wegen, gehalten ward. Drei Tage lang wurde Brunhild gemartert, alsdann auf ein Kamel gesetzt und allem Volke zur Verspottung darauf umhergeführt, endlich an eines wilden Hengstes Schweif gebunden und dahingeschleift über Stock und Stein.

Weiter zeigt sich auf freier Straße westlich vom Dom nach St. Andreaspforte zu ein Felsstück; das warf vom Rosengarten, einer Insel im Rhein, ein Recke bis herein in die Stadt. Ohnweit davon ward eine Stange aufbewahrt, die war groß wie ein Weberbaum, war spitz und 23 Werkschuh lang. Das soll, wie die Sage geht, der Weberbaum gewesen sein, mit welchem der Hörnerne Siegfried den Drachen erschlug, wie im Volksbuche zu lesen ist. Eine andere Riesenstange, 66 Werkschuh lang, ward vordem im Dome aufbewahrt. Auch hat man lange Jahre hindurch bis zum großen Brande zu Worms des Hörnernen Siegfrieds Grab gezeigt.

Des Schweizervolkes Ursprung

In alten Zeiten, bevor noch das Schweizerland bevölkert und bebauet war, saß ein starkes und zahlreiches Volk in Ost- und Westfriesland und im Lande Schweden. Einst kam über dieses Volk große Hungersnot und leidiger Mangel. Da beschlossen die Gemeinden, weil der Menschen bei ihnen zu viel waren, daß von Monat zu Monat eine Schar auswandern sollte; wen das Los treffe, der müsse fort, bei Strafe Leibes und Lebens. Als dies immer noch nicht fruchtete und dem Mangel steuerte, ward ferner beschlossen, daß jede Woche der zehnte Mann ausgelost werden und hinwegziehen solle. So geschah es, und es zogen an die 6000 Schweden fort und 1200 Friesen mit ihnen. Sie ernannten sich Führer, deren Namen waren Suiter, Swei und Hasius, ferner Restius, Rumo und Ladislaus.

Sie fuhren auf Schiffen den Rhein hinauf und hatten unterwegs manchen Kampf zu bestehen. Endlich kamen sie in ein Land voll hoher Gebirge, allda bescherte ihnen Gott Wonne und Weide, und sie bauten sich an, wirkten und schafften. Ein Teil zog ins Brünig1, ein anderer an die Aar. Ein Teil Schweden, die aus der Stadt Hasle2 stammten, erbauten Hasli3 und wohnten darin unter ihrem Führer Hasius. Restius erbaute die Burg Resty bei Meiringen4 und wohnte allda. Swei und Suiter gaben der Schweiz und dem Volke den Gesamtnamen. Auch das Bernerland gewannen sie. Sie waren ein treu und gehorsam Volk, trugen zwilchene5 Kleider, nährten sich von Fleisch, Milch und Käse, denn des Obstes war damals noch nicht viel im Lande. Sie waren stark wie die Riesen, und Wälder auszureuten war ihnen so leicht wie einem Fiedler sein Geigenspiel. Alte Lieder sagen aus, wie ihrer ein Teil unter den Führern Ladislaus und Suiter gen Rom gezogen und dem römischen Kaiser tapfer beigestanden gegen hereingebrochenes Heidenvolk und wie beide Führer vom Kaiser Feldzeichen empfangen, Adler und Bären, ein rotes Kreuz und ein weißes, und wie sie dann diese Zeichen nach der neuen Heimat getragen.

Immer noch erzählen sich auf ihren Bergen die Alpenhirten, wie die Vorfahren ins Land gezogen und wie die Berge eher bewohnt gewesen seien als die Täler. Erst ein späteres, jüngeres Geschlecht habe die Talgründe bebaut, wie das auch in andern Bergländern geschehen ist.

  1. Brunegg (Aargau)
  2. auf Bornholm (gehört jetzt den Dänen)
  3. in Luzern
  4. in Bern
  5. Gewebe mit zweiteiligen Fäden

Die Königstochter am Rhein

Vor grauen Zeiten soll das alte Worms auch die Hauptstadt des burgundischen Reiches gewesen sein. Ein Zigeunerweib stahl aus der Insel des Rosengartens eine Königstochter in einem kleinen Badewännlein und trug sie über den Rhein. Niemand wußte, wo das Kind hingekommen war. Sein Vater grämte sich zu Tode, und seine Mutter starb fast vor Herzeleid.

Achtzehn Jahre gingen darüber hin, da ritt der Königssohn durch einen Wald, fand dort ein Wirtshaus und kehrte ein. Den Wein, den er begehrte, brachte ihm eine schöne Jungfrau, die ihm über alle Maßen wohlgefiel. Da er nun eines Fußbades begehrte, so rüstete ihm das die Maid mit frischen grünen Kräutern und brachte es in einem Badewännlein getragen. Die Wirtin aber war ein häßliches, altes, braunes Weib, die gab der Maid böse Rede und sagte dem unbekannten jungen Rittersmann, daß jene nur ein Findelkind sei, vor langen Jahren von ihr angenommen und auferzogen zu einer Dienstmagd.

Wie aber der Königssohn sich das Badewännlein ansah, gewahrte er mit Staunen daran das burgundische Wappenschild, und er dachte bei sich selbst: »Wie kommt dieses Wännelein mit dem Wappen meines Stammes in dieses schlechte Wirtshaus?« Und da fiel ihm ein, gehört zu haben, daß vor langen Jahren sein Schwesterlein zusamt dem Wännchen, in dem es gebadet worden, aus dem Rosengarten verschwunden sei, und daß seine Mutter ihm oft erzählt, das Schwesterlein habe ein Malzeichen am Halse gehabt, und dasselbige Zeichen entdeckte nun alsobald der Königssohn am Halse der Dienerin. Da grüßte und umfing er sie als seine liebe Schwester.

Und als die Wirtin hereintrat, fragte er sie, von wem und von wannen sie diese edle Jungfrau habe. Die Wirtin erschrak gar sehr, zitterte und erbleichte und fiel auf die Knie. Sie hatte, als die Wärterin nur auf eine kurze Zeit sich entfernt, Kind und Wännlein davongetragen und war eilend in einem Kahn über den Rhein hinübergefahren. – Da zog der Königssohn sein Schwert, das war sehr spitz und scharf, und er stach die böse Wirtin damit in das Ohr, daß die Spitze zum andern Ohr wieder heraustrat, hob die Maid samt dem Wännelein auf sein Roß und ritt gen Worms zu seiner Frau Mutter.

Die Königin wunderte sich sehr, als sie das Paar so seltsam daherreiten sah, und sie fragte ihren Sohn: »Welch eine Dirne bringst du uns daher?« – »Frau Mutter, ich bringe keine Dirne, sondern Euer verlorenes Kind, mein lieb Schwesterlein, samt dem Wännelein, darin es Euch geraubt ward vor achtzehn Jahren!« Bei dieser Rede fiel die Königin vor Freude in Ohnmacht, und als sie wieder in den Armen ihrer Kinder erwacht war, priesen alle drei den Herrn.

Die Wiesenjungfrau

Auf einer grünen Wiese bei Auerbach an der Bergstraße hütete ein Hirtenbub seines Vaters Kühe, stand müßig und dachte an gar nichts. Da fühlte er auf einmal einen sanften Backenstreich von einer weichen Hand, und wie er sich erschrocken umdrehte, stand eine wunderschöne Jungfrau vor ihm da, ganz schleierweiß, und tat den Mund auf, ihn anzureden. Aber der Bub brüllte vor Schreck, als wenn er am Spieße stäke, und rannte davon, nach Auerbach zu.

Nach einiger Zeit hütete der Bub abermals auf jener Wiese und stand träumend in der heißen Mittagsstunde am Waldesrain. Da raschelte es am sonnigen Rain, als schlüpfe eine Eidechse ins Dorngebüsch. Der Knabe blickte hin; da sah er eine kleine Schlange, die trug in ihrem Mund eine blaue Blume und sprach: »Guter, erlöse mich! erlöse mich! Mit dieser Blume öffnest du droben im alten Schloß Auerbach die verfallenen Keller und die Fässer voll Gold, und alles ist dein! Nimm die Blume! Nimm die Blume!« Aber dem Buben wurde es ganz unheimlich und graulich; er hatte all sein Lebetage noch keine Schlange sprechen hören – und lief von dannen, als wenn der wilde Jäger hinter ihm drein wäre.

Als der Spätherbst kam, hütete der Bube zufällig wieder an derselben Stelle, und da empfing er wieder einen sanften Backenstreich und sah im Umdrehen wieder die weiße Jungfrau, welche ihn flehend ansprach: »Erlöse mich! erlöse mich! Ich will dich reich und glücklich machen. Du allein kannst es, nur du allein. Ich bin verwünscht, zu harren und zu wandeln, und kann nicht eher zur Seligkeit eingehen, bis aus einem Kirschkern, den ein Vöglein auf diese Wiese fallen läßt, ein Kirschbaum groß und stark gewachsen ist, der Baum abgehauen und aus ihm eine Wiege gemacht ist. Nur das erste Kind, das in solcher Wiege geschaukelt worden ist, kann mich dadurch erlösen, daß es mit der blauen Blume, die ich hier halte, hinauf zur Burg geht und dort die unterirdischen Schätze hebt. Du bist das Kind, das in solcher Wiege gewiegt worden ist.«

Als der Bube diese Rede hörte, zitterte er, und es lief ihm eiskalt über den Nacken; denn er hatte kein Herz, und wenn der Mensch kein Herz hat, ist er ein Tropf. Und er kreuzigte und segnete sich und schüttelte mit dem Kopfe. »Wehe mir! Wehe!« rief da die Jungfrau. »So muß ich wieder hundert Jahre harren und wandeln. Wehe dir, daß du kein Herz hast; so sollst du auch keins finden!« Und sie tat einen lauten Schmerzensschrei und verschwand.

Der Bube aber ging von diesem Tage an still und bleich umher und hat nicht lange gelebt.