Siebzehntes Kapitel.


Siebzehntes Kapitel.

Eröffnung des neuen Covent-Garden-Theaters. – Die großen Tumulte wegen des sogenannten »alten Preises«. – Grimaldis erste Auftreten als Clown in den Straßen. – Augenblickliche Verlegenheiten. – Triumphe in Cheltenham und Gloucester. – Besuch in Berkeley Castle und Bekanntschaft mit Lord Byron. – Fischbrühe und Apfelstrudel. – Abreise nach Bath.

Am 18. September wurde das neue Theater in Covent-Garden mit Shakespeares »Macbeth« und dem musikalischen Nachspiele »Der Quäker« eröffnet, und gleichzeitig hiermit hob der große Lärm an, der um den sogenannten »Alten Preis« sich drehte, und aus der Entrüstung hervorging, die durch die Erhöhung der Eintrittspreise in das Publikum getragen wurde. Es kam infolgedessen im Theater zu Auftritten, wie sie wohl kaum je einmal in einem Theater erlebt worden sein dürften. Der Lärm wurde manchmal so laut, daß die Schauspieler gar nicht spielen konnten. Um den Lärm zu erhöhen, brachten die schlimmsten unter den Tumultanten allerhand Instrumente mit ins Theater, Pfeife, Klappern ec. Ein adeliger Herr, der einen Stammsitz im Parterre hatte, schwang den ganzen Abend über eine jener Glocken, mit denen die Kehrichtleute ihr Erscheinen anzeigten, und die damals das Entsetzen von ganz London waren, und ließ sich durch die höflichsten Vorstellungen nicht bewegen, mit dieser gräßlichen Musik Einhalt zu tun. Ein paar andere Leute, denen es auch nicht darauf ankam, wie sie ihren Empfindungen Luft machten, wenn sie es nur tun konnten, schleppten ein paar lebendige Ferkelchen in ihren Taschen mit, denen sie im geeigneten Augenblick so lange das Schwänzchen kniffen, bis sie jämmerlich zu quieken anfingen.

Aber man begnügte sich nicht mit solchem Höllenlärm, sondern zürnte alle Augenblicke den Direktor, John Kemble, auf die Bühne, und wenn es ihm schließlich gelang, sich ein paar Sekunden Gehör zu verschaffen, mußte er doch immer unverrichteter Sache wieder abtreten. Allabendlich waren Scharen von Polizisten im Theater. Versuchten sie aber einmal, ein paar der Hauptschreier zu verhaften, so wurden sie vom ganzen Publikum in Schutz genommen, versteckt oder rechtzeitig durch eine Seitentür oder wohl auch durch ein Fenster aus dem Theater spediert, so daß die Polizei das Nachsehen hatte. Es kam zu häufigen Kämpfen zwischen Polizei und Publikum, bei denen ein Mensch beinahe zu Tode gekommen wäre.

Es verging wohl kein Abend, ohne daß feurige Reden aus dem Parterre, den Logen oder von der Galerie herunter gehalten wurden, ja zuweilen hörte man ihrer ein halbes Dutzend auf einmal.

Die Sheriffs hatten ununterbrochen mit Feststellungen von allerhand Verstößen gegen die öffentliche Ruhe zu tun, und so ging es wohl siebzig Abende hindurch. – An allen Ecken, in allen Gängen, auf allen Sitzreihen des Theaters sah man Plakate angeheftet, die sich auf die Vorgänge bezogen, oder in denen allerhand Jux verkündigt wurde, z. B.:

Öffentliche Bekanntmachung. – Dieses Haus ist mit sämtlichem Inventar preiswert zu verkaufen, da die Herren Kemble & Co. ihr Geschäft an den Nagel zu hängen gedenken.

Oder:

Sobald die Vorstellungen ihren Anfang nahmen, drehte sich das ganze Publikum wie ein Mann herum und wandte der Bühne den Rücken zu. Waren die Vorstellungen zu Ende, was wegen des schrecklichen Lärms meistens schon gegen halb zehn Uhr der Fall war, dann stimmte alles eine Parodie auf die Volkshymne an, in welcher Gott um Segen für Johnny Bull gebeten wurde, damit er den Genuß aus den höheren Theaterpreisen recht lange für sich habe; dann wurde zu Ehren der alten Preise ein Ringeltanz ausgeführt, worauf wieder Reden über Reden gehalten wurden, bis dann endlich alles sich in seine Penaten zurückzog.

Wie bei allen öffentlichen Fragen, waren die Ansichten der Presse natürlich auch bei dieser geteilt. Während die Times und die Morning Post das neue System befürworteten, trat das Morning Chronicle für die alten Preise ein und führte die Sache der Tumultanten mit ebenso viel Eifer wie Beharrlichkeit.

Als der Spektakel ein paar Abende hindurch gedauert hatte, schickte John Kemble zu Grimaldi und ließ ihm sagen, da das Publikum kein Drama sehen wolle, gedächte er es mit einer Pantomime zu probieren und ließ für den folgenden Abend den Don Juan ankündigen, in welchem Grimaldi seine alte Rolle, den Scaramuz, spielen sollte. Grimaldi wurde mit großem Jubel begrüßt, und es traf sich merkwürdigerweise, daß gerade an diesem Abend so gut wie gar keine Ruhestörungen vor sich gingen. Grimaldi schrieb sich das zum Teil als sein persönliches Verdienst zu gute und war darüber nicht wenig erfreut. Auch Kemble war wieder heiter und guter Dinge und schüttelte dem Kollegen, als er abgetreten war, kordial die Hand.

»Bravo, Joe, bravo!« sagte er zu ihm, »jetzt haben wir sie, und nun wollen wir vorderhand bei der Pantomime bleiben.«

Das taten sie wohl, aber daß »sie sie damit gehabt hätten«, traf nicht zu, denn am andern Abend ging der Spektakel wieder von frischem los und weit ärger als zuvor, so daß das ganze Theaterpersonal erklärte, noch nie im Leben einen so gräßlichen Spektakel gehört zu haben.

Am 25. Dezember kehrte endlich wieder Ruhe ein, nachdem die Theaterdirektion die Erklärung abgegeben hatte, es bei den alten Preisen lassen zu wollen, und alle Klagen gegen Personen zurückzog, die infolge dieses in der Theatergeschichte ohne Beispiel dastehenden Spektakels mit den Gerichten in Kollision, gekommen waren. John Kemble fiel die unangenehme Aufgabe zu, dem Publikum im Theater hiervon Mitteilung zu machen. Er bewies hierbei ebenso große Ruhe wie Würde. Das Publikum klatschte ihm Beifall, und von allen Sitzreihen regneten Zettel auf die Bühne mit dem Aufdruck: »So ist’s recht! Nun sind wir zufrieden!«

Damit war der Krawall aus der Welt.

Zu Weihnachten wurde »Harlekin als Hausierer, oder: Der Spukbrunnen« in Szene gesetzt und höchst beifällig aufgenommen, auch an zweiundfünfzig Abenden hintereinander wiederholt.

Im März des Jahres 1810 trat Grimaldi zum ersten Male als Scaramuz im »Deserteur von Neapel« auf; auch die »Mutter Gans« wurde wieder gegeben. Im Juli wurde das Theater geschlossen und im Oktober wieder eröffnet. Im Sadlers-Wells-Theater kam keine Novität heraus, und in Covent-Garden trat Grimaldi wie immer zu dieser Zeit in einer neuen Pantomime auf: »Harlekin Asmodi, oder: Kupido auf Krücken«, die sechsundvierzigmal hintereinander gegeben wurde.

In diesem Monate mußte Grimaldi den Clown auf allen beiden Bühnen spielen. In Sadlers-Wells war die Pantomime das erste, im Covent-Garden das letzte Stück, das gegeben wurde. In beiden Häusern hatte er dieselbe Rolle; es war deshalb, auch wenn ihm Zeit dazu geblieben wäre, unnötig sich umzukleiden, sondern er nahm in der Regel eine Droschke und ließ sich gleich im Clown-Kostüme von dem einen Theater zum andern fahren.

Eines Abends ließ sich aber keine Droschke auftreiben, weil es wie mit Mulden vom Himmel goß, und kein Mensch auf den Straßen laufen konnte. Grimaldi blieb keine Zeit zum Besinnen. Als er noch ein Weilchen gewartet hatte, in der Hoffnung, der ausgeschickte Bote werde noch mit einer Droschke vorgefahren kommen, blieb ihm schließlich nichts übrig, als den Weg durch die Stadt zu Fuße zu machen.

Da es stockfinster war, ging in der ersten Zeit alles ganz gut. Kaum aber war er nach Clerkenwall gekommen, wo die Kaufläden hell erleuchtet waren, als er auch durch sein Kostüm schnell Aufsehen erregte. An einer Ecke lief er einem Manne in den Weg, der ihn sogleich erkannte und mit dem Rufe: »Oho, Joe Grimaldi! Joe Grimaldi!« begrüßte.

Mehr war nicht nötig. Grimaldi beeilte sich zwar, in die nächste Straße zu schlüpfen. Es half ihm aber nichts. Schon war ihm ein dichter Schwarm auf den Fersen unter Geschrei und Gejohle. Die einen ließen seinen Namen erschallen, andere warfen die Mützen und Hüte in die Luft oder drückten ihren Jubel auf andere Weise aus. In Holborn fand er endlich einen Mietswagen. Der Menschenschwarm wurde aber immer zahlreicher und folgte ihm unermüdlich und unter verdoppeltem Geschrei und Jubel.

Da ließ er, den Kopf zum Wagen heraussteckend, sein weitbekanntes, man kann dreist sagen, berühmtes Gelächter erschallen. Der Haufe stimmte ein, schrie ihm Beifall zu, und hunderte von Stimmen wurden laut, daß er wohlbehalten nach Covent-Garden gebracht werden müsse.

Gesagt, getan. Eine Leibwache bildete sich um ihn, freilich von einer so urwüchsigen Sorte, wie sie wohl kaum jemand begleitet haben dürfte, und das Geschrei und Gejohle wollte, als er vor dem Theater aus dem Wagen stieg, kein Ende nehmen. Ein Teil seiner Geleitschaft eilte auf die Galerie und begrüßte ihn, als er sich auf der Bühne zeigte, zum endlichen Ergötzen aller Anwesenden, denen der Vorfall bekannt geworden war, durch den Jubelruf: »Wir haben ihn wieder, wir haben ihn wieder!« und ein nicht enden wollendes Hurra erklang wieder im Theater, alle Räume desselben durchbrausend.

In der Saison des Jahres 1811 wurde in Sadlers-Wells der »Große Teufel« wieder in Szene gesetzt. Grimaldi spielte darin eine Rolle, in der er unermeßlichen Beifall erntete. Im Juli stürzte er auf ein gespanntes Seil und trug einen nicht unerheblichen Brustschaden davon, der ihn mehrere Wochen ans Haus fesselte.

Im Oktober trat er wieder in Covent-Garden und zwar in »Asmodi«, in »Mutter Gans«, »Valentine und Orson« und »Raymond und Agnes« auf, in welch letzterem Stücke er den Robert gab. Am 26. Dezember wurde die neue Pantomime gebracht. Sie hieß: »Harlekin und Padmanaha, oder der goldene Fisch« und gefiel außerordentlich.

Im Juni 1812 trat er, was bis dahin erst einige Male geschehen war, im eigentlichen Drama auf. Er spielte nämlich den »Acres« in Sheridans erstem Lustspiele »Der Nebenbuhler« und machte an diesem einen Abend eine Einnahme von 200 Pfund.

Im Laufe des Jahres 1812 entstanden ihm einige finanzielle Verdrießlichkeiten, und zwar einerseits dadurch, daß er zugleich eine Wohnung in der Stadt und eine auf dem Lande hatte, anderseits aber auch durch die Verschwendung seiner Frau, die, so vortrefflich sie sonst war, doch auch ihren Fehler hatte, der in stark übertriebener Putzsucht bestand. Er sagte sich, daß Einschränkungen notwendig seien, gab sein Landhaus auf, schaffte seinen Diener ab, verkaufte Pferd und Gig und übergab die Ordnung seiner Angelegenheiten demselben Mr. Harmer, den er vor ein paar Jahren unter so sonderbaren Umständen kennen gelernt hatte. Nach Verlauf von sieben bis acht Monaten waren alle seine Gläubiger bis auf den letzten Heller befriedigt.

Im Jahre 1812 gab es in Sadlers-Wells nichts Bemerkenswertes. Sein zweites Benefiz im Oktober brachte ihm 225 Pfund ein. Man nahm an, daß die Einnahme eines Abends 200 Pfund nicht übersteigen könne, Grimaldi hatte jedoch nie eine Benefiz-Einnahme unter 210 Pfund, einmal sogar, wovon sogleich die Rede sein soll, eine Einnahme von annähernd 270 Pfund; indessen können wir nicht behaupten, daß sich sämtliche Personen, die zu dieser Einnahme beigesteuert hatten, auch, wirklich im Schauspielhause befanden.

In der zweiten Hälfte des Oktobers machte Grimaldi sich anheischig, an zwei Abenden in Cheltenham aufzutreten. Direktor Watson hatte ihm die Hälfte der gesamten Einnahme zugesichert. Vor seiner Fahrt nach Cheltenham besprach er sich mit Mr. Hughes, dem Vater seiner ersten Frau. Dieser sagte ihm, daß Cheltenham einer der ungünstigsten Theaterplätze sei insofern, als sie zuviel andere Vergnügungen böte. Grimaldi meinte aber, außer den Kosten doch vielleicht auf 40-50 Pfund zu kommen, und wagte die Reise. Er trat in der Rolle des Scaramuz auf, und mit großem Beifall, gab am zweiten Abend in einer kleinen, selbst ersonnenen Pantomime den Clown und erzielte an beiden Abenden ein ausverkauftes Haus. Direktor Watson wußte ihn zu bestimmen, daß er noch zwei Tage länger verweilte und auch in dem nur etwa acht Stunden entfernten Gloucester auftrat, wo Watson ein zweites Theater besaß. Grimaldi tat ihm den Gefallen und trat auch in Gloucester mit großem Erfolge auf.

Nach Schluß des Theaters führte Watson seinen Gast zu einem solennen Abendessen. Als sie fertig waren, sagte Watson:

»Nun aber, lieber Joe, ist die Zeit so kostbar, daß ich Ihnen nur ein einziges Glas Punsch vergönnen kann.« –

Grimaldi erwiderte, daß er nicht verstände, was Watson damit sagen wolle.

»Weiter nichts, als daß es meiner Meinung nach um zwölf Uhr nachgerade Zeit zum Zubettgehen ist.«

»Ganz einverstanden, lieber Watson. Nur meine ich, daß es nicht gerade Ihre Gewohnheit sei, sich früh zu Bett zu begeben. Gestern abend ließen Sie mich erst drei volle Stunden später gehen, und vorgestern, dünkt mich, war es noch später.«

»Das wohl. Ich möchte nur, daß Sie morgen ein bißchen zeitig mit mir ausführen.«

»Und was nennen Sie zeitig?«

»Hm, wir müssen vor drei Uhr aufbrechen.« »0, wenn Sie sich mit dergleichen Plänen tragen«, antwortete Grimaldi lachend, »dann sage ich Ihnen ohne weiteres gute Nacht«, – und begab sich auf der Stelle in sein Schlafzimmer.

Zur festgesetzten Stunde kutschierten sie zusammen nach Berkeley Castle, von dessen Besitzer, dem Oberst Berkeley, der als ältester Sohn des Earl of Berkeley unter dem Titel eines Lords Dursley für Gloucester im Unterhause saß, ihnen eine Einladung zum Besuche zugegangen war. Grimaldi war mit dem Obersten bekannt, hin und wieder sein Tischgast gewesen und wurde sehr freundlich im Schlosse aufgenommen, wo sich eine zahlreiche Gesellschaft zusammengefunden hatte.

Unter anderen ausgezeichneten Personen war auch Lord Byron anwesend, den Grimaldi oft gesehen und der seinen Benefiz-Vorstellungen immer beigewohnt hatte, mit dem er jedoch noch niemals ein Wort gesprochen hatte.

Der Oberst machte ihn mit allen Anwesenden bekannt, denen er noch fremd war, auch mit Lord Byron, der sogleich auf ihn zutrat und ihm unter tiefen Verbeugungen und mit der übertriebensten Höflichkeit sagte: »wie grenzenlos er sich darüber freue, einen Menschen von so seltenen und ausgezeichneten Talenten kennen zu lernen« usw.

Grimaldi merkte sogleich, daß Lord Byron ihn nur zum besten haben wollte, und hätte ihm am liebsten auf der Stelle dafür gedient, unterließ es aber, weil er keinerlei Anstoß zu Ärgernis geben wollte, und weil er dachte, daß sich ihm schon noch Gelegenheit geben würde, dem Lord mit gleicher Münze zu zahlen.

Er beschränkte sich also zunächst darauf, die Verbeugungen mit doppelter und dreifacher Höflichkeit zu erwidern, schnitt aber, als die Zeremonie der Vorstellung vorüber war, dem Lord Berkeley ein so possierliches Gesicht, zwischen Vergnügen und Argwohn die Mitte haltend, daß alle Umstehenden hellaut auflachen mußten, während Byron, der das Gesicht nicht sah, sich so verwundert über diesen jähen Ausbruch ungebundener Höflichkeit umguckte, daß das Gelächter auf allen Seiten von neuem ausbrach.

»Grimaldi«, sagte der Oberst, »Sie müssen nach dem Frühstück einen Pirschgang mit uns machen und bleiben dann zu Mittag unserer Gast. Es wird früh gegessen werden. Sie können also noch immer zur rechten Zeit im Theater sein.«

Es wurde auf die Jagd gegangen, die ohne Zwischenfall, aber auch ohne Ergebnisse verlief. Beim Essen saß Grimaldi zwischen Lord Byron und einem jungen Herrn vom Adel, den er, wie ihm einfiel, in der Garderobe des Covent-Garden-Theaters hin und wieder gesehen hatte, dessen Name ihm aber nicht mehr gegenwärtig war.

Als das Essen seinen Anfang nahm, flüsterte der junge Herr seinem Nachbar Grimaldi die Frage zu, ob er wohl schon einmal mit Lord Byron zu Tisch gespeist habe?

Grimaldi verneinte.

»Dann will ich Ihnen sagen«, nahm der junge Herr wieder das Wort, »warum ich danach gefragt habe. Ich wollte Sie nur auf eine Eigentümlichkeit des Lords aufmerksam machen, die Sie also noch nicht kennen, die zwar an sich unbedeutend ist, aber beachtet sein will, wenn man sich den Lord nicht zum Feinde machen will, und das empfiehlt sich für einen Künstler entschieden nicht, da man niemals weiß, wie man solchen Herrn noch einmal im Leben gebrauchen kann.«

Grimaldi dankte dem freundlichen jungen Manne, ohne zu merken, daß dieser weiter nichts im Schilde führte, als ihm zusammen mit dem Lord noch einmal zum besten zu haben.

»Die Eigentümlichkeit, auf die ich Sie aufmerksam machen möchte«, fuhr der junge Herr fort, »besteht darin, daß es Lord Byron nicht liebt, wenn man von seiner Artigkeit keinen Gebrauch, macht. Ich möchte Ihnen deshalb raten, wenn er Ihnen etwas anbietet, sei es Speise oder Trank – was ganz sicher geschehen wird – sich ja nicht zu weigern, es anzunehmen.«

»Ich bin Ihnen sehr verpflichtet, Mylord«, antwortete Grimaldi, »und erkenne Ihre Güte in Wahrheit als eine recht große Gunst an. Seien Sie versichert, daß ich mich sorgfältig bemühen werde, Ihrem Rate gemäß zu handeln.«

Nicht lange, so forderte ihn Lord Byron auf, von einer Schüssel nach der andern zu nehmen, so daß er sich schließlich zu übernehmen fürchtete und um sein Auftreten in Gloucester Bange bekam.

Beim Nachtisch bot ihm der Lord ein Stück Apfelstrudel an, der eine Lieblingsspeise von Grimaldi bildete, und den er schon deshalb nicht ausschlagen mochte. Kaum aber fing er an davon zu essen, als Lord Byron verwundert die Hände über dem Kopfe zusammenschlug und rief:

»Aber, Mr. Grimaldi, Sie essen den Strudel ohne Paprika?«

»Paprika, Mylord?« fragte Grimaldi verwundert.

»Nun freilich, Paprika gehört doch zu jedem Nachtisch und gibt einem Apfelstrudel erst die rechte Würze.«

Grimaldi wollte das nun freilich gar nicht einleuchten, aber der junge Herr zur Rechten stieß ihn mit dem Ellbogen an, und Grimaldi besann sich auf den Wink, den er ihm gegeben hatte, verneigte sich artig gegen den Lord und schüttete sich Paprika über den Apfelstrudel. Nach einigen vergeblichen Versuchen, einen Bissen von diesem paprizierten Apfelstrudel hinunterzubringen, drehte er sich zeremoniell zu dem Lord herum und bat ihn, gelten zu lassen, daß wohl kaum noch jemand der Liebenswürdigkeit und Güte Seiner Herrlichkeit soviel Aufmerksamkeit und Rücksicht habe widerfahren lassen wie er. Doch möchten Seine Herrlichkeit gütigst entschuldigen, wenn er das ihm huldvollst empfohlene Mixtum compositum von Apfelstrudel mit Paprika ablehne, denn wenn er auch durch solche Weigerung als unhöflicher Mensch zu erscheinen fürchten müsse, so sei es ihm doch nicht möglich, seinen Magen diese Speise zuzumuten, ohne ihn rebellisch zu machen.

Grimaldi fiel ein Stein vom Herzen, als er sah, daß Lord Byron nicht bloß nicht ungehalten auf ihn wurde, sondern sich vor Lachen ausschütten zu wollen schien. Weshalb der Lord so lachte, hat Grimaldi, wie er später oft erzählt hat, sich nicht recht klar machen können, es müßte denn gewesen sein, daß man sich auf seine Kosten einen Scherz habe erlauben wollen; um dies aber ernstlich anzunehmen, dazu war Grimaldi ein viel zu harmloser Mensch.

Nicht lange darauf kehrten die Herrschaften nach Gloucester zurück. Das Theater war an diesem Abend ebenso vollbesetzt wie am Abend vorher und auf Grimaldis Teil entfielen von der Einnahme bare 195 Pfd.

Er reiste am folgenden Morgen zurück, traf in der Nacht wieder zu Hause ein und begab sich am andern Morgen zu seinem Schwiegervater Hughes, um ihm zu zeigen, wie kräftig er diesmal seine böse Prophezeiung, Cheltenham betreffend, Lügen strafen könne. Mr. Hughes freute sich aber herzlich über die goldene Ernte, die Grimaldi dort gehalten hatte.

Abends begab sich Grimaldi nach Covent-Garden, wo ihm Mr. Harris sagte, daß ihn Diamond, der Besitzer des Bather und Bristoler Theaters, auf die Zeit von 5 Wochen zu engagieren vorhabe und ihm außer einem halben Benefiz in jedem Orte eine wöchentliche Gage von 25 Pfund zusichere. Mr. Harris konnte ihm weiter sagen, daß ihm von seiten der Covent-Gardener Direktion nichts im Wege stände, daß ihm seine Gage aber unbeanstandet weiter bezahlt werden solle, auch wenn er bis Weihnachten sich auf Gastrollen begebe. Grimaldi drückte Mr. Harris für diese Liebenswürdigkeit dankbar die Hand, schrieb Diamond sofort, daß er den Vorschlag annehmen wolle, und reiste kurz darauf nach Bath ab.

Achtzehntes Kapitel.


Achtzehntes Kapitel.

Ein Diner bei einem Geistlichen in Bath. – Grimaldis Sohn tritt zum ersten Male auf. – Mr. Hughes segnet das Zeitliche. – Grimaldi spielt an einunddemselben Abende auf drei Theatern – und zum Lohne für seine Mühe wird ihm seine Gage – einbehalten. – Er erkrankt schwer. – Abermalige Reise nach Bath. – Davidge, »Billy Coombes« und der Koffer. – Besagten Billys Neigung zu Jux und Alfanz.

Zwei Tage nach seiner Ankunft in Bath spielte er vor einem ausverkauften Hause und erntete den lebhaftesten Beifall. In Bristol war er nicht minder glücklich. Dort war das Haus sogar so besetzt, daß buchstäblich kein Apfel zur Erde fallen konnte. In Bath spielte er an fünf, in Bristol an zwei Abenden der Woche. In diesen Wochen machte er eine Einnahme von über dreihundert Pfund. Das Wetter war aber miserabel, und da er, wenn das Theater in Bristol aus war, noch an demselben Abend nach Bath zurückkehren mußte, litt er stark unter Erkältungen und war von Herzen froh, als die fünf Gastwochen vorüber waren. Während seines Aufenthaltes in Bath widerfuhr ihm von einer Seite, von der man es am allerwenigsten erwartet hätte, eine recht garstige Unhöflichkeit.

Grimaldi sowohl als der Bassist Higman, der damals in großem Rufe stand und später das Original zum Gabriel in Walter Scotts »Guy Mannering« abgab, bekamen eine Einladung zum Mittagessen von seiten eines geistlichen Herrn.

Beide nahmen die Einladung an und fanden bei ihrer Ankunft eine ziemlich zahlreiche Herrengesellschaft dort versammelt.

Sobald das Tafeltuch abgenommen worden, forderte der Wirt, mehr im befehlenden als bittenden Tone, den Bassisten auf, ein paar Nummern von seiner Kunst zum besten zu geben. Obwohl nun Higman kaum den letzten Bissen hinunter hatte, kam er dem Ansinnen doch nach, weil er nicht den Schein wecken wollte, als wenn er sich sträube, sein Scherflein zur Unterhaltung der Gesellschaft beizutragen.

Die Gesellschaft zollte dem Künstler den verdienten Beifall, und unmittelbar darauf wendete der Wirt sich mit der nämlichen Aufforderung und in dem nämlichen Tone an Grimaldi, der aber um einige Frist ersuchte, da es ihm mit dem besten Willen nicht möglich sei, so kurz nach dem Essen zu singen.

»Wie, Mr. Grimaldi«, rief der Geistliche heftig, »Sie weigern sich, etwas zu singen! Aber – zu welchem Zwecke habe ich Sie denn eingeladen?«

»Dann wäre es mir freilich lieber gewesen, Sir«, antwortete Grimaldi, »Sie hätten mir das gleich bei der Einladung gesagt! Sie hätten mir dann die Unannehmlichkeit erspart, Ihnen meinen Besuch zu machen und mich, wie ich mich jetzt leider gezwungen sehe, Ihnen wieder höchst unzeremoniös zu empfehlen.« Mit diesen Worten entfernte er sich. Daß ein Clown, der nur im Theater eine Rolle spielte, einem gelehrten geistlichen Herrn, der in der Gesellschaft eine der ersten Stellen einnahm, eine solche Anstandslektion geben mußte, verschwand natürlich nicht, ohne Aufsehen zu machen, von der Tagesordnung.

Zum Weihnachtsfeste dieses Jahres wurde in Covent-Garden die Pantomime gegeben: »Harlekin und der rote Zwerg oder: Der diamantene Fels« – und machte einen sehr großen Erfolg. Am Ostermontage 1813 wurde zum ersten Male Farleys Melodrama: »Aladdin oder die Wunderlampe« gegeben, entlehnt dem berühmten Märchen »Tausendundeine Nacht«. Grimaldi spielte darin die Rolle des stummen Sklaven Kasrak, die eine seiner beliebtesten werden sollte.

Diese Saison war wieder sehr gewinnreich für Grimaldi, der auch ein Ballett arrangierte: Jux und Quacksalberei«, das allabendlich wiederholt werden mußte.

In Covent-Garden wurde das Theater im September wieder eröffnet, und Grimaldi war diesmal vor wie nach Weihnacht beschäftigt, da sich »Aladdin« ununterbrochen als ein sehr zugkräftiges Stück erwies. Von Weihnachten an wurde »Harlekin und die Schwäne oder: Das Bad der Schönheit« gegeben, von Ostern ab »Sadak und Kalasrade«, worin Grimaldi den Hassan spielte.

Da er sich jetzt nicht mehr mit dem Sammeln von Fliegen befaßte, sich auch keine Tauben mehr hielt, auch seine Landwohnung in Finchley aufgegeben hatte, widmete er all seine Muße seinem Sohne, den er teils in dem Institute, das er selbst besucht hatte, teils durch Privatlehrer unterrichten ließ, da er sich nicht in den Gedanken, sich von ihm zu trennen und ihn in eines der größeren Pensionate zu geben, hineinfinden konnte.

Mit rühmenswertem Eifer nahm er sich der Aufgabe, seinen Sohn für’s Leben zu bilden, jetzt selbst an. Obwohl der Knabe erst in seinem zwölften Jahre stand, hatte er doch schon recht anerkennenswerte Fortschritte in allen Unterrichtsfächern gemacht und schrieb das Französische schon recht geläufig. Von früh an hatte er große Vorliebe für die Musik gezeigt und auf der Violine unter Anleitung eines der besten Lehrer im Lande schon eine gewisse Meisterschaft errungen. Er tanzte auch vortrefflich, und da er sowohl Neigung als auch Anlage zum Theater hatte, beschloß Grimaldi, ihm dieselbe Laufbahn, wie er sie mit soviel Ruhm zurückgelegt, ergreifen zu lassen, und bildete ihn für Melodrama und Pantomime vor, von der Hoffnung erfüllt, in seinen alten Tagen, wenn die schöne Zeit seines Ruhmes und seiner Erwerbsfähigkeit vorüber sein würde, in den Triumphen des Sohnes wieder aufzuleben, daß im Sohne sein ganzes Leben noch einmal an ihm vorüberziehen würde, wenn er ihn erfolgreich auftreten sähe in den Rollen, die ihn schon zu einem Lieblinge des Volkes und ihm nicht bloß den Verlust eines nicht unbeträchtlichen Vermögens wett gemacht, sondern zu einer unabhängigen und geachteten Stellung in der Gesellschaft verholfen hatten.

Dergleichen Gedanken waren erklärlich, begreiflich und natürlich, und der liebevolle Vater erfreute sich an ihnen viele Jahre lang.

Aber im höheren Rate des Schicksals war es anders beschlossen. Der Sohn sollte früher als der Vater das Zeitliche segnen, doch obgleich ihm diese Vereitelung seiner teuersten Hoffnung in den späteren Lebenstagen herben Kummer verursachte, bemühte er sich doch, sie mit Standhaftigkeit und Ergebung zu tragen.

Am 26. April begann seine Arbeit in Sadlers-Wells-Theater wieder, und zwar spielte er in dem Drama »Der Sklave als Seeräuber«, das mit vielem Beifall über die Bühne ging, die Rolle des Sklaven. Sein erstes Benefiz trug ihm 215, sein zweites 265 Pfund ein. Es war das letzte, das er in Sadlers-Wells-Theater hatte.

Ganz besonders glänzend wurde das erste Auftreten seines Sohnes als Freitag im »Robinson Crusoe«. Den Robinson spielte Grimaldi selbst, der somit den Sohn in demselben Stücke einführte, in welchem sein Vater ihn vor dreißig Jahren eingeführt hatte. Sechs Wochen lang übte er ihn für dem Debüt fortwährend und unermüdlich ein, doch mehr, weil er sich selbst mit dem fürsorglichen Eifer dafür interessierte, als weil es nötig gewesen wäre, denn der Sohn faßte nicht nur sehr schnell den Unterricht des Vaters, sondern ging sogar einigermaßen darüber hinaus.

Sein Auftreten wurde bis zu den letzten Tagen vor dem bestimmten Abende geheim gehalten, und als es endlich angekündigt worden, war der Zudrang unermeßlich. Das Benefiz wurde, wie schon gesagt, eins der besten Grimaldis. Vater und Sohn ernteten enthusiastischen Beifall, und auch in allen Journalen und Zeitungen wurden ihnen die begeistertsten Lobsprüche zuteil. Grimaldi erklärte wiederholt, daß er noch niemals einen besseren Freitag auf der Bühne gesehen habe. Man wird sagen, daß hierbei eine Portion väterlicher Eigenliebe mitsprechen dürfte; aber Grimaldi hat noch lange nachher, und auch, als sein Vater schon tot war, Lob und Tadel also gleich machtlos waren, ihm zu schaden oder zu nützen, die gleiche Meinung von den Fähigkeiten seines Sohnes aufrecht erhalten und seiner Überzeugung, daß er es ihm innerhalb weniger Jahre gleich getan, wenn ihn nicht in seinen besten Leistungen gar übertroffen hätte, bei jeder sich dazu bietenden Gelegenheit festgehalten.

Am 20. Dezember des nämlichen Jahres 1814 erlitt er einen schweren Verlust durch den Tod seines aufrichtigen und stets getreuen Freundes, des Vaters seiner ersten Frau, Mr. Hughes.

Als ein abermaliges Beispiel dafür, wie manche geheime Seelenpein ein Schauspieler zu erdulden hat, mag hier bemerkt werden, daß er sich, als der Freund gestorben war, tagtäglich genötigt sah, mehrere Stunden den Proben der tollsten Szenen in Pantomimen, in denen er auftrat, beizuwohnen, sogar am Begräbnistage, an welchem er zwischen dem Theater und dem Kirchhofe hin und her rennen mußte, um die durch das Begräbnis unterbrochene Probe zu beenden und sich für den Abend in die Fähigkeit zu setzen, dem Theaterpublikum durch seine Komik schallendes Gelächter zu entlocken.

Die neue Pantomime, für die obige Worte zutreffen, gründete sich auf die Historie vom vielmal hintereinander gewählten Londoner Lordmayor Whittington und seiner Katze. Sie wurde an vielen Abenden hintereinander gegeben. Bei ihrer ersten Aufführung war Grimaldi fast außerstande, seine Rolle durchzuspielen; es gelang ihm jedoch, und zuletzt spielte er wieder mit seinem gewöhnlichen Feuer, aber freilich zum großen Nachteil für seine Gesundheit.

In Sadlers-Wells wurde in dieser Saison die Harlekinade »Der sprechende Vogel« inszeniert, worin Grimaldi zuerst den Vogel, dann den Clown gab. Während der Zeit ihrer Aufführung spielte er an demselben Abend auf drei verschiedenen Theatern drei sehr schwere, und darunter zwei Clown-Rollen.

Er war mit einem gewissen Hayward gut bekannt, der mit einer sehr braven Schauspielerin vom Surrey-Theater verheiratet war und ihn darum anging, an ihrem Benefiz-Abende mitzuwirken. Grimaldi suchte von dem Direktor des Sadlers-Wells-Theaters die hierzu erforderliche Erlaubnis nach, bekam sie auch, konnte aber Mr. Harris nicht darum angehen, da derselbe gerade verreist war. Indessen meinte Grimaldi, daß dies wenig zu sagen haben werde, da im Covent-Garden-Theater gerade kein Stück, worin er eine Rolle hatte, auf dem Repertoir stand.

Nun wurde aber unglücklicherweise für das Benefiz der Mr. Hayward das Stück »La Peyrouse« angesetzt, worin er beschäftigt war. Er eilte nach dem über der Themse gelegenen Surrey hinüber und entschuldigte sich mit der Unmöglichkeit, sein Versprechen erfüllen zu können. Man mochte aber nichts davon hören und sagte ihm, es würde sich wohl alles noch einrichten lassen. Alan werde das Stück, worin er eine Rolle übernommen, zuerst geben, er könnte dann in Sadlers-Wells und zuletzt in Covent-Garden spielen, und damit er nicht zu spät käme, sollte ein Wagen mit den besten Pferden, die nur anzuschaffen wären, für ihn bereit stehen.

Er ging darauf ein, da es ihm leid tat, seinem Freunde und dessen Frau solchen Strich durch die Rechnung zu machen, spielte mit Bologna auf dem Surrey-Theater in der Pantomime, warf sich nach, dem letzten Aktschluß augenblicklich in die vierspännige Postchaise und karriolte nach Sadlers-Wells, in Bolognas Gesellschaft, den es interessierte, sogleich zu erfahren, wie die Sache ablaufen würde.

Sie langten im Sadlers-Wells-Theater an gerade in dem Augenblicke, als die Ouvertüre begonnen wurde. Grimaldi schminkte sich in größter Hast, warf sich in das Kostüm des sprechenden Vogels und war eben fertig, als sein Stichwort fiel. Bei den letzten Szenen stieg eine nicht geringe Beängstigung in ihm auf; er blickte fortwährend nach der Schauspielerloge hinauf, um zu sehen, ob Bologna noch da wäre, der zu Covent-Garden die Rolle des Laperouse spielte und eine halbe Stunde vor ihm auftreten mußte. Bologna wartete in seiner Loge das Ende der Aufführung ab und fuhr mit Grimaldi in dem gleichen Geschwindigkeitstempo, wie sie nach Sadlers-Wells gefahren waren, nach Covent-Garden, und schon hatten sie sich beide kostümiert, als die letzten Takte der Ouvertüre erklangen.

Grimaldi hatte sich beim Umkleiden erholt, spielte wie sonst und litt zu Ende des Stücks keine größere Ermüdung wie sonst. Die einzige Erfrischung, die er während des ganzen Abends zu sich nahm, bestand in einem Glase Warmbier und einem Zwieback.

Auf sein Spiel an drei verschiedenen Orten an einunddemselben Abend tat er sich nicht wenig zu gute, denn obwohl er achtundzwanzig Abende hintereinander in zwei Theatern als Clown aufgetreten war, hatte er doch nie am gleichen Abend auf drei Bühnen gespielt, und wie weit voneinander entfernt in räumlicher Hinsicht war das Surray- vom Sadlers-Wells-Theater?

Am nächsten Tage bekam er eine Probe von der Gesinnung, die Fawcett beständig gegen ihn hegte, und hätte sich nicht Harris so wohlwollend gegen ihn bewiesen, so hätte Fawcett ihm sicher bei allerhand Gelegenheit viel Schaden zugefügt.

Als er nämlich, seine wöchentliche Gage von zehn Pfund bei der Kasse abheben wollte, wurde ihm der höfliche, aber strikte Bescheid, Mr. Fawcett habe seine Gage gesperrt. Grimaldi begab sich daraufhin sofort zu Fawcett und erkundigte sich nach der Ursache solcher Maßregel. Fawcett erklärte ihm kühl, der einzige Grund, der die Direktion bestimmt habe, ihm die Gage zu sperren, sei sein Auftreten im Surrey-Theater, ohne die Erlaubnis der Covent-Gardener Direktion hierzu einzuholen. »Ohne uns ein Wort davon vergönnt, ohne unsere Genehmigung dazu eingeholt zu haben«, so lauteten die Worte, die Mr. Fawcett brauchte. Grimaldi begnügte sich, um darzutun, wie gleichgültig ihm die Sache an sich sei, damit, daß er die hierauf passende Antwort aus dem Schauspieler-Prolog im »Hamlet«:

»Für uns und unsre Vorstellung
Mit tiefergebner Huldigung
Erbitten wir Genehmigung«

vor sich hin trällerte.

An der Schauspielhaustür traf er Harris, der eben von einer Reise heimgekehrt war und sich mit kordialem Händedruck auf das freundlichste nach seinem Befinden erkundigte.

Grimaldi antwortete: »Wir geht’s so gut, wie es einem gehen kann, dem man die Gage gesperrt hat.«

»Was haben Sie sich zu schulden kommen lassen, Joe?« fragte Harris.

»Ich habe drüben im Surrey-Theater mitgespielt auf Haywards Bitten, seiner Frau ein gutes Benefiz schaffen zu helfen.«

»Ach, ich merke, Sie unterließen es, die Direktion um Zustimmung zu bitten?«

»Es war niemand von der Direktion anwesend, der meiner Meinung nach sich zu dieser Angelegenheit zustimmend oder ablehnend hätte äußern können. Mit Mr. Fawcett hatte ich nichts zu schaffen, und Sie waren verreist. Da Fawcett in keinerlei Beziehung zu meinem Rollenfache steht, meinte ich, nur mit Mr. Farley sprechen zu sollen. Mit ihm habe ich über die Sache gesprochen, und er sagte mir, ich solle nur ruhig in Surrey spielen, da ich hier doch nicht vermißt werden dürfte.«

»Nun, so gehen Sie zu Brandon«, erwiderte Harris nach kurzem Besinnen, »und sagen Sie ihm, daß ich ihn ersuchen ließe, Ihnen Ihr Geld zu geben. Noch eins, lieber Grimaldi: ich habe mit Diamond verabredet, daß Sie es im Oktober wieder bei ihm versuchen sollen, unter den gleichen Bedingungen wie vorigesmal. Ich werde schon dafür sorgen, daß Sie hier abkommen können, und auch nicht, wie jetzt, in Strafe genommen werden.«

Grimaldi drückte ihm seinen aufrichtigen Dank aus, ging zum andern Male an die Kasse, bekam seine Gage und begab sich heim.

Am 15. des nächstfolgenden Monats hatte Grimaldi sein erstes diesjähriges Benefiz in Sadlers-Wells. Er trat als Don Juan, sein Sohn als Scaramuz auf. Der Jüngling gab seine Rolle ganz vorzüglich, und fand so großen Beifall, daß Grimaldis Hoffnungen auf ihn sich noch erheblich verstärkten, ja er meinte, der Sohn werde den Namen Grimaldi noch berühmter machen, als er schon durch ihn geworden sei. Die Einnahme des Abends bezifferte sich auf 230 Pfund.

Drei Monate darauf, am 9. Oktober, sollte sein zweites Benefiz stattfinden; aber zwei Tage vorher, an einem Sonnabend, verfiel er plötzlich in eine schwere Krankheit, die ihren Anfang damit nahm, daß ihm das Atemholen überaus erschwert wurde. Es wurde ihm gleich eine Ader geschlagen, was ihm auch Erleichterung schuf; kurze Zeit nachher trat aber ein Rückfall ein, und es vergingen vier Wochen, bevor er wieder einen Fuß aus dem Hause setzen konnte.

In seiner körperlichen Verfassung hatte sich zweifellos eine wesentliche Veränderung vollzogen, denn bis dahin war er nicht einen einzigen Tag krank gewesen, und von jetzt ab war er keinen Tag mehr recht gesund.

Er mußte für sein Benefiz einen Ersatzmann stellen. Die Einnahme war ganze fünfzig Pfund geringer, aber die Freude, daß sich sein Sohn als Scaramuz abermals Ehren eingelegt, blieb ihm wenigstens.

Nach vier Wochen ging es ihm wieder besser. Er entschloß sich, dem mit Diamond geschlossenen Abkommen gemäß, nach Bath zu reisen, und spielte dort, wie auch in Bristol, bis Mitte Dezember. Aus diesem Gastspiele löste er annähernd 300 Pfund.

Um diese Zeit herum schloß er Bekanntschaft mit Davidge, dem Pächter des Surrey-Theaters, der in Bath und Bristol den Harlekin gab und noch ein schmächtiges Herrchen war, von dem sich kaum jemand gedacht hätte, daß er einmal zum »dicksten Manne Englands« werden würde.

Grimaldi spielte natürlich den Clown. Den Pantalon, der ein sehr mittelmäßiger Künstler war, nannten sie gewöhnlich »Billy Combes«. Warum? wußte eigentlich niemand recht. Aber sein richtiger Name war es nicht. Vielleicht, weil er einmal betrunken auf der Bühne erschienen war; das hatte man ihm arg verübelt, und Davidge nahm verschiedentlich Gelegenheit, Billy Combes zu drohen, daß ihm das noch nicht geschenkt sein solle.

Eines Abends, während die beiden Freunde durch ihr Spiel große Heiterkeit erweckten, wies er nach einem Koffer hin, der in der Pantomime gebraucht wurde, und flüsterte Grimaldi zu, es hinge ein Schloß mit einem Schlüssel dran, und Billy müsse sich darin verstecken; ein so feiner Spaß, ihn einzusperren, fände sich sobald nicht wieder.

Gesagt, getan. Das Publikum ergötzte sich königlich. Es waren nur noch zwei Auftritte zu spielen, und Davidge sollte sie beginnen.

Als er auf die Bühne ging, fragte ihn Grimaldi, ob er den Pantalon wieder aus dem Koffer hinaus gelassen habe. »Nein«, lautete die Antwort, »aber es soll sogleich geschehen, wenn ich wieder abtrete.«

Er tanzte mit diesen Worten auf die Bühne, Grimaldi folgte ihm, und die gewöhnlichere Katzbalgerei nahm ihren Anfang. Nach fünf Minuten war die Pantomime beendet, Grimaldi hatte seine Krankheit noch nicht überwunden, er fühlte sich noch gar sehr abgespannt und verfügte sich sogleich in sein Gasthaus, um sich zu Bett zu begeben.

Am folgenden Morgen war wieder Probe. Grimaldi hatte sich einige neue Szenen ausgesonnen, um in die Pantomime etwas mehr Abwechselung zu bringen. Indessen hatte die Probe nicht den gewöhnlichen guten Fortgang, da der Pantalon ausblieb. Grimaldi fragte Davidge, sobald er ihn sah, wo dieser bleibe?

»Billy scheint den Spaß krumm genommen zu haben«, setzte er hinzu, »und heute früh nicht kommen zu wollen? Falls er auch heute abend wegbleiben sollte, kann’s eine schöne Bescherung setzen,«

»Was meinen Sie damit?« fragte Davidge erschrocken.

»Nun, er ist doch nicht da, wir haben zu ihm nach Hause geschickt, dort ist er aber auch nicht.«

»Schockschwerenot!« rief da Davidge, »ich habe doch nicht etwa vergessen, ihn aus dem Koffer zu erlösen?«

Alles lief und erkundigte sich, und schließlich wurde, nach langem Suchen, der Koffer in einem Keller unter der Bühne gefunden. Wie er dorthin gekommen, darüber verlautete nicht das geringste. Niemand war imstande, darüber etwas zu erfahren. Der arme Pantalon befand sich in einem höchst traurigen Zustande, war jedoch glücklicherweise noch am Leben, da der Koffer ein paar Risse und Spalten aufwies, durch die Luft genug kam, um das Ersticken zu verhindern. Billy Coombes kam bald wieder zu sich. Seine Haft im Koffer hatte auch keine schlimmen Folgen für ihn hinterlassen. Er erzählte, daß er so laut wie möglich gerufen, auch lange Zeit geklopft habe, was aber infolge des fortwährenden Lärmens hinter der Szene überhört worden sein müsse.

Nun kam es auch an den Tag, wie der Koffer den Weg in den Keller hinunter gefunden hatte: er war einfach beim Abräumen in eine Versenkung hinunter gelassen worden. Ganz unverständlich war und blieb es aber, daß auch hierbei der Lärm des armen Pantalon, mochte er noch so durch die Bretter abgedämpft worden sein, ungehört hatte verhallen können.

Pantalon selbst hatte sich damit getröstet, daß man ihn am andern Morgen vermissen und dann wohl befreien werde, und war in dieser Zuversicht schließlich eingenickt und hatte geschlafen, bis man sich seiner endlich wirklich erinnerte.

Billy Coombes oder wie er sonst heißen mochte, verursachte einmal durch eine schlagfertige Antwort auf der Bühne ein schallendes Gelächter. Es wurde Romeo und Julie gegeben, und er spielte den Simson. Die Theatergarderobe war sehr dürftig, und er bekam infolgedessen einen ebenso buntscheckigen wie zur Rolle überhaupt gar nicht passenden Anzug, besonders der Rock war ihm zu groß, so daß ihm die Ärmelaufschläge weit über die Hände hinunterhingen.

Billy war sehr ärgerlich darüber, aber das Publikum begrüßte ihn mit lautem Gelächter.

In der ersten Szene muß Simson den Daumen gegen Abraham, den Diener der nebenbuhlerischen Familie, beißen, worauf der nachstehende Dialog folgt:

Abraham: Beißt Ihr den Daumen gegen uns, Sir?«

Simson (beiseite): Ist das Recht auf unserer Seite, wenn ich Ja sage?

Gregor: Nein. Simson: Nein, Sir. Ich beiße meinen Daumen nicht gegen Euch, Sir. Aber ich beiße meinen Daumen, Sir.

Billy Coombes unterließ es, den Daumen zu beißen, überhaupt; der Schauspieler, der den Abraham gab, hielt es für das beste, anzunehmen, daß es geschehen sei, drehte sich zornig um und rief:

»So! Ihr beißt also den Daumen nicht wider uns, Sir?«

»Nein, Sir«, antwortete Billy Coombes mit lauter und vernehmlicher Stimme, »ich täte es mit Vergnügen, Sir, wenn mich mein Herr nicht in einen so verwünschten Rock gesteckt hätte« – er hielt die langen Ärmel in die Höhe – »daß ich platterdings nicht an meine Fäuste kommen kann.«

Die Zuschauer wollten sich vor Lachen ausschütten, und das Spiel war auf ein paar Minuten unterbrochen. Billy machte endlich von seinen komischen Versuchen, die Hände zu zeigen, ein Ende, gab das Stichwort, und der Dialog wurde fortgesetzt.

Als Grimaldi nach London zurückgekehrt war, nahmen die Proben der Pantomime: »Harlekin und die Sylphe des Eichbaums, oder der blinde Bettler von Bethnal Green« in Covent-Garden ihren Anfang. Sie wurde zu der gewöhnlichen Zeit und mit sehr großem Erfolge in Szene gesetzt, und im April 1816 folgte sie auf Pococks Melodrama: »Robinson Crusoe, oder der verwegene Buccanier« – in welchem Stücke Grimaldi den Freitag und Faley den Crusoe spielte.

Es war die glücklichste Bühnenbearbeitung der berühmten Erzählung Defoes, wurde an vielen Abenden und wird auch jetzt noch hin und wieder aufgeführt.

Neunzehntes Kapitel.


Neunzehntes Kapitel.

Grimaldi verläßt Sadlers-Wells-Theater infolge einer Veruneinigung mit den Eigentümern. – Lord Byron. – John Kemble zieht sich zurück. – Triumphe Grimaldis in der Provinz. – Auftritt in einer Badestube.

In Sadlers-Wells-Theater war die Hauptneuigkeit der Saison 1816 ein Melodrama, das viel Beifall fand: »Philipp und sein Hund«. Von 1782 – einschließlich 1820, war Grimaldi fortwährend, nur mit Ausnahme einer einzigen Saison, im Sadlers-Wells engagiert gewesen. Die Ursache seines Nicht-Engagements war die folgende.

Sein früherer Kontrakt lief ein paar Tage vor dem Schlusse der vorigen Saison ab, und Mr. Charles Dibdin fragte schriftlich bei ihm an, unter welchen Bedingungen er geneigt wäre, ihn zu erneuern. Grimaldi erwiderte, daß er zufrieden sein würde, wenn man statt der Pfunde Guineen gäbe.

Dibdin erklärte sich damit einverstanden, doch mit dem Hinzufügen, daß in Zukunft bloß ein einziges Benefiz bewilligt werden könnte; hierdurch wäre aber Grimaldis Einnahme bedeutend verringert worden, denn kein Benefiz hatte ihm bislang weniger als 150 Pfund eingebracht. Da er obendrein jedesmal 60 Pfund, nämlich mehr für das Haus bezahlte als eine Abendeinnahme zu betragen pflegte, glaubte er um so weniger, daß die Eigentümer gerechte Ursache zu ihrer beabsichten Kontraktänderung hätten.

Deshalb schrieb er also Dibdin, daß er auf das zweite Benefiz unter keinen Umständen verzichten könnte.

Er bekam keine Antwort, erwartete aber mit Bestimmtheit, daß die Direktion keine Saison ohne ihn eröffnen werde, da er ohne Frage der »Löwe des Theaters war und viel Geld in die Kassen brachte. Er irrte indessen, denn Dibdin ließ nichts von sich hören, und bald darauf kam ihm zu Ohren, daß an seiner Stelle Mr. Paulo engagiert worden sei.

Im November unternahm er nun einen viertägigen Ausflug nach Brighton. Das Theater daselbst befand sich im Besitze von John Brunton, der nebenher im Covent-Garden als Schauspieler angestellt war, und dessen Tochter, nachmals Mrs. Yates, als eine unserer besten Bühnen-Künstlerinnen geschätzt wurde. John Brunton, von dem eine Schwester mit Lord Craven verheiratet war, hat sich Grimaldi gegenüber immer als ein wohlwollender Freund gezeigt.

In Brighton kamen »Valentine und Orson«, der »Robinson Crusoe« und andere Stücke zur Aufführung, in denen Brunton Farleys Rollen gab. Die Einnahme war höchst befriedigend. Auf Grimaldis Anteil kamen 100 Pfund.

Damals kam Grimaldi öfter mit Lord Byron zusammen, sowohl in Covent-Garden, als in Gesellschaften, zu denen er eingeladen war, und sie traten zueinander in ein recht freundliches Verkehrsverhältnis. Lord Byron war ein höchst exzentrischer Herr und erwies sich als solcher auch gegen Grimaldi.

»Bisweilen«, erzählte Grimaldi, »schien der Lord in tiefe Melancholie versunken zu sein und bot dann das richtige Bild der Verzweiflung, denn sein Antlitz war in hohem Grade geeignet, den Ausdruck des tiefsten Schmerzes anzunehmen; zu anderen Zeiten war er sehr lebhaft und plauderte äußerst munter; bisweilen benahm er sich auch wie ein wahrer Geck und zeigte seine weißen Hände und Zähne mit einer fast lächerlichen Geziertheit. Aber gleichviel in welcher Stimmung er sich befand, und wie auch sein Benehmen sein mochte, seine bitteren, beißenden Sarkasmen blieben nie aus und wurden unter keinerlei Umständen vergessen.«

Grimaldi hatte niemals ähnliches gehört, und was er hörte, war nicht geeignet die heilige Scheu zu vermindern, die er seit seiner ersten Begegnung mit dem Lord vor diesem hegte. Byrons Benehmen gegen ihn bekundete indes immer viel Herablassung und Wohlwollen. Oft unterhielt er sich stundenlang mit ihm und wartete bisweilen, wenn Grimaldi auf die Bühne gerufen und das Gespräch dadurch eine Unterbrechung erlitt, stundenlang auf Grimaldis Rückkehr hinter die Kulissen, um das Gespräch sogleich wieder weiter zu führen.

Grimaldi widersprach ihm so gut wie nie, weil er fürchtete, selbst ein Gegenstand Byronscher Sarkasmen zu werden, und benahm sich, wenn etwas zur Sprache kam, worüber er die Meinung des Lords nicht kannte, immer doppelt vorsichtig und suchte vor allen Dingen die letzteren zu erforschen, um nicht in die Gefahr zu geraten, Anstoß bei ihm zu geben.

Ehe Lord Byron England auf Nimmerwiedersehen verließ, schenkte er Grimaldi, seiner Rede nach als Zeichen seiner Wertschätzung, eine wertvolle silberne Tabaksdose mit der Inschrift: »Seinem lieben Joe Grimaldi von Gordon Noel Byron.« Diese Dose wurde begreiflicherweise in den höchsten Ehren gehalten.

Lord Byron war übrigens immer sehr nobel gegen Grimaldi. Als er ihn 1808 zum ersten Male spielen sah, ließ er ihn bitten, ihm bei allen Benefizvorstellungen ein Logenbillet zu reservieren. Grimaldi erfüllte den Wunsch und erhielt am andern Tage immer eine Fünfpfund-Note durch die Post.

Die Pantomime, die in diesem Jahre im Covent-Garden gespielt wurde, »Harlekin Gulliver, oder: Die fliegende Insel«, fand so großen Beifall, daß sie vor Ostern 63 mal aufgeführt wurde, dagegen fiel das Stück »Der Marquis von Carabbos, oder: Kätzchen in Stiefeln«, das am 30. März zum ersten Male aufgeführt wurde, vollständig durch, und zwar mit Recht.

Am nämlichen Abend begann auch im Sadlers-Wells die Saison. Grimaldis Nichtauftreten veranlaßte unter den Zuschauern eine große Sensation. Es war erst durch die Theaterzettel bekannt geworden, daß statt seiner Paulo engagiert worden war. Grimaldi hatte ein paar Tage in Eggham verlebt, und als er nach London zurückkehrte, war er nicht wenig verwundert, drei Häuser in seiner Stadtgegend ganz mit Anschlagzetteln bedeckt zu sehen, auf denen in großen Lettern stand: »Kein Paulo! Joe, nur Joe, und Joe für immer!«

Es ist freilich behauptet worden, er habe selbst die Hand dabei im Spiele gehabt, er hat es jedoch bei Gelegenheiten, die sich ihm hierzu boten, auf das bestimmteste in Abrede gestellt.

Im Sadlers-Wells-Theater wurde die Saison eröffnet mit: »Philipp und sein Hund« und »Die Aprilnarren, oder: Monate und Mummenschanz«. Da er gehört hatte, daß Dibdin, falls es durch sein Nichtauftreten zu Störungen kommen sollte, beabsichtigen sollte, dem Publikum die Erklärung abzugeben, daß er nur auf sein ausdrückliches Begehr nicht wieder in den Bühnenverband aufgenommen worden sei, begab er sich am ersten Abend in eine Loge, um dem Publikum seinerseits auseinanderzusetzen, wie sich die Sache in Wahrheit verhielte.

Diese Unannehmlichkeit wurde ihm indessen erspart, da das Publikum seine Unzufriedenheit auf die empfindlichste Weise kund und zu wissen tat, nämlich dadurch, daß es – gar nicht ins Theater kam! Statt daß, wie sonst, alle Plätze besetzt waren, wies das Haus klaffende Lücken auf. In den Logen zählte man nur vierzig Personen, obendrein lauter »Freibillet-Inhaber«, im Parterre waren kaum hundert Stühle besetzt, und die Galerie war kaum zur Hälfte besetzt.

Grimaldi verweilte nur kurze Zeit im Theater, da Dibdin ihn zu einer Gegenansprache ans Publikum nicht nötigte, und begab sich nach Covent-Garden, um sich für seine Rolle im »Gestiefelten Kätzchen« zu kostümieren.

Am andern Morgen berichteten sämtliche Zeitungen, daß Grimaldi im Sadlers-Wells-Theater nicht mehr aufträte, und prophezeiten hieraus einen förmlichen Kassensturz. Nun begann bei den Direktoren in der Provinz eine förmliche Wettjagd um Grimaldi. Der erste, der sich Grimaldi sicherte, war Murray, dem die Bühnen in Edinburg und Glasgow gehörten. Er engagierte Grimaldi auf sechs Abende zu folgenden Bedingungen: Grimaldi sollte die beste Einnahme allein, Murray die nächstbeste allein zufallen, während die vier anderen, abzüglich von je 40 Pfund für die Unkosten, zwischen Murray und Grimaldi gleichmäßig geteilt werden sollten. Grimaldi ging natürlich hierauf ein.

Kaum hatte Murray den Kontrakt mit ihm unterzeichnet, als Direktor Knight aus Liverpool, dem auch die Bühne in Manchester gehörte, sich bei ihm melden ließ und ihm ein dreiwöchentliches Engagement unter noch besseren Bedingungen anbot. Dann folgten soviel Angebote, daß Grimaldi gar nicht imstande gewesen wäre, sie sämtlich anzunehmen, und wenn ihm statt sechs Wochen zwölf Monate zur Verfügung gestanden hätten. Nicht wenige davon waren so glänzender Natur, daß er sich nur mit dem größten Bedauern dazu entschließen konnte, sie von der Hand zu weisen.

Das »Gestiefelte Kätzchen« war, wie gesagt, durchgefallen, und so bot sich für Grimaldi im Covent-Garden keine weitere Beschäftigung mehr. Er nahm deshalb eine Einladung Bruntons, des Pächters vom Birmingham-Theater, auf sieben Abende für sich und seinen Sohn an. Letzterer trat in der Provinz zum ersten Male auf, und die Einnahmen beliefen sich auf die beispiellose Summe von je 200 Pfund den Abend.

Crisp, der Direktor vom Theater in Worcester, setzte ihm so lange mit Bitten aller Art zu, bis er sich zu einem Abend verpflichtete. Crisp ließ ihm die Wahl zwischen 40 Pfund fester Gage und Teilung der Einnahme zur Hälfte, Grimaldi entschied sich diesmal für das erstere. Er spielte den Scaramuz und erzielte ein ausverkauftes Haus. Außer dem Scaramuz gab er verschiedene Lieder zum besten und beschloß den Abend mit einer kleinen Pantomime aus dem Stegreife, in der sowohl er als auch sein Sohn als Clowns auftraten.

Abends soupierte er mit dem Direktor, der ihm beim Nachtische, mit der Beteuerung, daß er noch immer Grimaldi gegenüber erheblich im Vorteile bleibe, eine Fünfzig-Pfundnote überreichte. Grimaldi bekam hierdurch von Crisp eine sehr günstige Meinung und versicherte ihm, daß er sich seiner immer gern erinnern und auch jederzeit bereit sein werde, sich Zu einem neuen Engagement ihm gegenüber zu verpflichten.

Am folgenden Tage kehrte er nach London heim, wo er zu seiner Freude hörte, daß man seiner Dienste in Covent-Garden nicht bedurft hätte, und abermals Briefe von Theaterdirektoren vorfand, die sich um sein Engagement bemühten; er war jedoch außerstande, auf die ihm gemachten Vorschläge einzugehen.

Am 23. Juni trat John Kemble zum letzten Male im »Koriolan« und in »Cervantes‘ Bilde« auf, gab seine Rolle mit gewohnter Genialität und verabschiedete sich am Schlusse der Vorstellung durch eine kurze Anrede vom Publikum, dem er so manchen genußreichen Abend verschafft hätte. Aus den Logen wurde eine weißseidene Schärpe mit einem Kranze geworfen, fiel jedoch in das Orchester. Dort saß der französische Tragöde Talma, ein vertrauter Freund Kembles, der sich augenblicklich von seinem Sitze erhob, die Schärpe mit dem Kranze aufhob und unter mächtigem Applaus auf die Bühne hinauf reichte. Talma war, nebenbei gesagt, expreß von Paris herübergekommen, um dieser letzten Vorstellung Kembles beizuwohnen. Im Clarendon-Hotel, in der Bond-Street, fand ein solennes Diner statt. Am Tage darauf reiste Kemble nach einem Landsitze bei Toulouse ab und ist dort, wie die Rede ging, an den Folgen eines untätigen Wandels verstorben.

Grimaldi trat bis zum Schlusse der Covent-Gardener Saison nur noch einige Male auf und fuhr am 3. Juli nach Schottland. In Edinburg angekommen, vernahm er zu seiner nicht geringen Verwunderung von Murray, daß er, da Emery für Glasgow gewonnen wäre, dort nur an drei Abenden auftreten könnte. Es ließ sich nichts dawider tun, er mußte gute Miene zum bösen Spiele machen und reiste sogleich wieder nach Glasgow, wo er am folgenden Abend eine Rolle zu übernehmen hatte.

Da es Sonntag war, an welchem Tage in Schottland keine Postkutsche fährt, mußte er Extrapost nehmen und traf erst nach 11 ½ stündiger Fahrt in Glasgow ein. In halb soviel Zeit hätte er die Strecke zu Fuß zurücklegen können.

»Whittington«, »Don Juan«, »Valentine und Orson« und »Die Nebenbuhler« waren die Stücke, die in Glasgow zur Aufführung gebracht wurden. In den drei ersten spielte neben ihm auch sein Sohn; im letzten gab er Acres und zwar mit außerordentlichem Erfolge.

Er gab diese Rolle überall auf seinen Provinztouren und immer zur Belustigung und vollkommenen Befriedigung seines Auditoriums. Es ist irrig, wenn gesagt worden ist, er hätte in der Provinz Richard den Dritten gespielt. Von Rollen, die nicht ins pantomimische oder melodramatische Fach fielen, hat er nur den Acres, Moll Flaggon und vielleicht noch eine dritte gespielt, die aber nicht Richard der Dritte war.

Von Glasgow begab er sich wieder nach Edinburg, wo er zweimal als Acres auftrat. Ebenso ergötzte er die braven Leute von Old-Reekey – Alt-Qualmnest – außerordentlich mit dem damals volkstümlichen Liede »Tippitywitchie«, und er wie sein Sohn erhielten alle nur erdenklichen Gunstbeweise.

An seinem letzten Spielabend kam Mr. Murray zu ihm und überreichte ihm einen Check mit der Aufforderung, im nächsten Sommer sein Gastspiel zu wiederholen. –

Am 22. reiste Grimaldi nach Berwick, wo er sich für zwei Abende verpflichtet hatte. Über das dortige Stadttheater war er im ersten Augenblicke geradezu verblüfft. So etwas hatte er sein Lebtag noch nicht gesehen. Es befand sich auf einem Dachboden, und der Weg zu dem Gebäude führte über einen Viehhof. Zwei Treppen mußte man hinaufsteigen. Der Eingang war kläglich, unsauber und vor allem für Damen höchst unappetitlich. Das Innere des Theaters war dagegen so nett und vornehm, wie man es nur denken konnte.

Auch konnte Grimaldi sich nicht besinnen, je vor einem eleganteren und glanzvolleren Logenpublikum aufgetreten zu sein als hier in Berwick.

Die beiden Abende brachten ihm 92 Pfund ein. Am zweiten soupierte er mit dem Direktor, und während er mit ihm bei Tische saß, wurde ihm ein Schreiben überreicht, das von einem galonnierten Diener abgegeben worden war, der sich aber sogleich wieder entfernt hatte. Es lautete wie folgt:

»Sir, – nehmen Sie Inliegendes als Anerkennung Ihres Genies und als Dank für das herrliche Vergnügen entgegen, das Sie mir heute abend bereitet haben.

Ein Freund und Verehrer.«

Was drinnen lag, war – eine Fünfzig-Pfund-Note. –

Am folgenden Tage reiste Grimaldi nach Liverpool ab, wo er am 30. zum ersten Male auftrat. Er verweilte drei Wochen dort. Als Gage waren ihm 12 Pfund wöchentlich ausgesetzt worden, dazu ein halbes Benefiz oder eine Entschädigung von 40 Pfund für den Abend extra. Auch hier wählte er wieder das letztere.

Als der zu seinem Benefize angesetzte Abend – der letzte seines Engagements – herankam, begann er sorglich zu überlegen, ob er »auf das ganze Abenderträgnis« spekulieren wolle oder nicht. Er hatte in Liverpool keine Bekannte oder gar Freunde, die er hätte um Rat angehen können, war aber anderseits mit schier maßlosem Beifall aufgenommen worden. Da er mit sich nicht ins Reine kommen konnte, bat er seine zufällig anwesenden Kollegen Emery, Blanchard und Jack Johnstone um ihre Ansicht. Sie rieten ihm dazu, das Abenderträgnis zu nehmen, und er bezahlte obwohl er noch immer nicht recht auf den Erfolg rechnete, die 40 Pfund an die Kasse als seinen Anteil an den Unkosten des Abends.

Das Stück, das zur Aufführung kam, war »Die Nebenbuhler«. Er spielte wieder den Acres darin, und als Nachspiel kam die Pantomime »Harlekins Olio«, worin sein Sohn als Flipflap, eine Art Lakai des Harlekins, und er selbst als Clown auftrat.

Nach dem Zetteldruck verstrichen mehrere Tage, ohne daß die geringsten Anzeichen für ein günstiges Benefiz zu verspüren waren. Noch am Morgen des Aufführungstages hatte er erst vierzehn Eintrittskarten verkauft und begab sich höchst niedergeschlagen nach dem Schauspielhause. An der Logentür traf er Mr. Banks, einen der Direktoren, der ihn mit der Worten anredete:

»Na, Joe, heute gibt’s aber mal ein wirkliches Benefiz‘.«

»Hm, kann sein, kann sein,« versetzte er seufzend.

»Haben Sie das Logenbuch gesehen«, fuhr der Direktor mit etwas verwunderter Miene fort.

»Nein. Ich fürchte mich eigentlich davor«, antwortete Grimaldi.

»Fürchten, Joe? Aber, Grimaldi, wovor denn? Man weiß ja nicht, wie es Ihnen recht ist? Es sind sämtliche Logenplätze verkauft, und wenn noch mehr da wären, wären auch mehr noch verkauft.« So verhielt es sich auch. Die Einnahme dieses Abends belief sich auf 328 Pfund, überstieg also alle früheren, sogar diejenige des für den Liebling der Stadt, Miß O’Neil, angesetzten Benefiz-Abends, wie auch alle Einnahmen, die John Emery, Grimaldis Konkurrent, zu verzeichnen hatte.

Dadurch, daß Grimaldi sich nach dem Rate seiner Kollegen gerichtet hatte, erwuchs ihm ein Gewinn von mehr denn 280 Pfund. Er zeigte sich insofern dafür erkenntlich, als er ihnen ein solennes Diner zum besten gab. –

Es kamen Aufforderungen zu Gastspielen fast alle Tage, von fast sämtlichen Provinzbühnen. Er ging aber nur noch auf zwei davon ein: auf die von Preston für einen Abend, und auf eine von Mr. Crisp, dessen vornehmes Verhalten in Worcester er noch immer in bester Erinnerung hatte, nach Hereford auf vier Abende.

Zwei Tage nach seinem großen Benefiz begab er sich nach Preston, um seinem mit dem dortigen Direktor, Mr. Howard, abgeschlossenen Vertrage gerecht zu werden. Als er eine so große Menge von Quäkern in den Straßen der Stadt herumlaufen sah, sank ihm freilich der Mut. Howard tröstete ihn jedoch und machte ihm die besten Hoffnungen, und der Erfolg gab ihm auch recht. Grimaldi trat als Scaramuz auf, und mit soviel Beifall, daß er noch einen zweiten Abend zugeben mußte, an welchem er als Acres auftrat. Beide Abende war das Haus so gut wie ausverkauft, und von der Einnahmen beider Abende kamen auf seinen Teil 86 Pfund: ein Ergebnis, mit dem er um so zufriedener war, als er doch so gut wie nichts erwartet hatte.

Am zweiten Tage nach seiner Ankunft in Preston ereignete sich ein kleiner Vorfall, der ihn so sehr amüsierte, daß er ihn in einer Pantomimen-Szene zu benutzen gedachte. Als er bei einem Barbier eintrat, um sich den Bart abnehmen zu lassen, sah er ein allerliebstes junges Mädchen im Laden sitzen, mit einer Näharbeit beschäftigt, das sich von seinem Stuhle erhob, ihn zu begrüßen.

Grimaldi fragte nach dem Herrn Barbier.

»Er ist nur einen Augenblick hinausgegangen«, versetzte das Mädchen, »und muß gleich wieder da sein.«

Grimaldi antwortete, er wolle wiederkommen, machte einen Gang durch die benachbarten Straßen, traf zufällig Mr. Howard und ging mit ihm nach der Barbierstube zurück. Er fand denselben noch immer nicht anwesend, machte seinem Verdrusse, zum zweiten Male umsonst gekommen zu sein, durch ein paar grillige Worte Luft und wollte zum andern Male gehen. Da fragte ihn Howard, ob er mit dem Barbier etwas wichtiges zu sprechen hätte.

»Durchaus nicht,« antwortete Grimaldi, »bloß barbiert möchte ich sein.«

»O, wenn Sie mir das vorhin gesagt hätten«, sagte das Mädchen darauf, »so konnten Sie Ihren Bart schon längst los sein. Ich bediene ja die meisten Kunden vom Vater, ob er zu Hause ist oder nicht.«

Howard erklärte, daß ihn das Mädchen wohl schon an fünfzig Male rasiert habe. Grimaldi setzte sich nun und ließ sich einseifen, konnte aber seiner Lachlust nicht Herr werden, als ihm das Mädchen unter das Kinn griff, und wollte, als es ihm gar mit einem Stückchen Löschpapier an die Nasenspitze faßte, schier bersten vor Lachen. Das Mädchen mußte auch lachen, Mr. Howard auch, und Grimaldi schnitt die possierlichsten Gesichter. Da trat der Barbier in seine Stube, und ihm kam die Szene, deren unvermuteter Zeuge er wurde, auch so drollig vor, daß er in ein schallendes Gelächter ausbrach, auf einen Stuhl sank, sich vor Lachen den Bauch halten mußte und in abgerissenen Worten rief:

»Nein, solch einen schnurrigen Kauz, wie den Herrn, den mein Mädchen unterm Messer hat, habe ich, weiß Gott! mein Lebtag noch nicht bei mir gesehen!« Und dann rief er wieder: »Wissen Sie, lieber Mann, schneiden Sie bloß nicht mehr Gesichter, sonst muß man ja noch ersticken!«

Als sich zuletzt alle vier ausgelacht hatten, vollendete der Barbier das von seiner Tochter begonnene Werk. Grimaldi gab dem Mädchen einen Schilling als Donceur und verabschiedete sich, nachdem sich auch Mr. Howard hatte rasieren lassen.

Am 24. fuhr er nach Liverpool, nachdem er seine Gelder kassiert und allerhand Einkäufe bewirkt hatte; denn es war Brauch und Sitte bei ihm, einen Teil der Einnahmen bei den Geschäftsleuten der betreffenden Stadt zu lassen.

Zwanzigstes Kapitel.


Zwanzigstes Kapitel.

Neue Triumphe in der Provinz. – Bologna, und seine Knickrigkeit. – Sonderbare Manieren, Geld zu sparen.

Da Grimaldi in Liverpool kein Engagement und auch keine Zeit hatte, eins anzunehmen, hielt er sich nur zwei Tage dort auf und begab sich nach Hereford. Sein erster Gang war zu Mr. Crisp, der ihn gleich ins Theater mitnahm.

Grimaldi war außer sich, als er sah, daß dieses nur aus einer gewöhnlichen viereckigen Stube bestand, worin die kaum vier Ellen breite und hohe Bühne aufgeschlagen war. Der Kopf des Steinernen Gastes im Don Juan wurde durch die herunterhängenden Kulissen verdeckt, also für die Zuschauer vollständig unsichtbar, was um so verdrießlicher war, als von ihrem Nicken die Wirkung einer der besten Szenen beim Scaramuz abhing.

Grimaldi machte aus seinem Verdrusse kein Hehl und erklärte ohne weiteres, auf solcher Bühne unmöglich vier Abende spielen zu können, auch wenn man ihn dazu verpflichtet hätte. Mr. Crisp einigte sich nun so mit ihm, daß er zweimal nur in Hereford, die andern beiden Male aber in Worcester spielen solle, wo ja, wie ihm bekannt war, ein besser beschaffenes Theater sich befand.

Er machte in den beiden Städten wieder eine sehr beträchtliche Einnahme.

Da ihn nun in der Provinz nichts mehr fesselte, begab er sich, um seine Ruhe zu genießen, nach Cheltenham. Dort verlebte er die Zeit bis zur zweiten Septemberwoche und kam auch wieder einmal mit seinem alten Freunde, dem Seiltänzer Richer, zusammen, der sein Metier an den Nagel gehängt und die Witwe eines vermögenden Geistlichen geheiratet hatte, mit ihr auf sehr vornehmem Fuße und allem Anscheine auch sehr glücklich lebte.

Aus seinen Gastspielen in der Provinz hatte er alles in allem bare 1425 Pfund gelöst: weit mehr, als er damit zu erzielen gehofft hatte.

Als er wieder nach London zurückkehrte, war das erste, was ihm zu Ohren kam, die Kunde von der ganz miserablen Saison, die soeben das Sadlers-Wells-Theater beendigt hatte. So etwas war wirklich seit seinem Bestehen noch nicht erlebt worden. Da Grimaldi im Covent-Garden-Theater nichts mehr zu verrichten hatte, machte er Gebrauch von einer Aufforderung des Birminghamer Direktors Elliston, vier Abende bei ihm zu gastieren. Zusammen mit Mr. Brunton, Ellistons Regisseur, trat er zweimal hintereinander auf und gewann dabei 70 Pfund.

Dann spielte er zweimal hintereinander in Leicester, dann eine ganze Woche hindurch in Chester.

Als er dort im Weißen Löwen vorfuhr, traf er Bologna, der kurz vorher aus der Londoner Diligence gestiegen und expreß von London herübergeholt worden war, um zusammen mit Grimaldi in der »Mutter Gans« aufzutreten. Über dieses völlig unvermutete Wiedersehen waren beide höchlich erfreut, ließen sich ein besonderes Zimmer anweisen und bestellten ein gemeinschaftliches Diner. Grimaldi merkte sehr bald, daß Bolognas Manier, an allen Ecken und Enden zu knickern, eher zu-, statt abgenommen hätte, denn sobald die Frau Wirtin mit dem ersten leckeren Gericht erschien, verzog sich sein Gesicht zu einer wahren Leichenbittermiene, und als die Wirtin nun gar sagte, sie wisse recht gut, was für wohlrenommierte Herren sie heute beehrt hätten, und werde es an nichts fehlen lassen, was die Bequemlichkeit und Stimmung der Herren irgend erhöhen könne, da wurde es Bologna so unheimlich zumute, daß er dem Freunde leise sagte, ihm scheine es besser, sich anderswo einzuquartieren, denn hier hätten sie doch mit Bestimmtheit darauf zu rechnen, daß sie gehörig geschnitten werden würden.

»Aber glauben Sie doch das nicht!« erwiderte Grimaldi.

»Sehen Sie bloß diesen Luxus mit der Tischwäsche und dem Service! Und die gesamte Zimmereinrichtung! Ich sage Ihnen, dafür werden wir böse berappen müssen! Nein, nein, Joe! Ich, mache, daß ich weiter komme!«

»Sie können natürlich machen, was Ihnen beliebt, Bologna«, erwiderte Grimaldi, »wenn Sie aber meinen Rat hören wollen, dann bleiben wir, wo wir sind, denn ich weiß aus Erfahrung, daß man in den besten Gasthäusern immer am billigsten wohnt. In den gewöhnlichen Gasthäusern bekommt man alles bloß schlecht, und hat schließlich genau dieselben Kosten.«

Bologna ließ sich zum Bleiben bestimmen, nahm sich aber vor, sich nur auf die allernotwendigsten Ausgaben zu beschränken, und betätigte diesen Entschluß, sobald der Kellner eintrat und Nachfrage hielt, ob die beiden Herren ein Nachtmahl wünschten.

»Nachtmahl!« rief Bologna; »na, weiter fehlte nichts. Ich speise nie zur Nacht, weil dies das ungesündeste ist, was der Mensch tun kann.«

»Für mich«, befahl Grimaldi dem Kellner, »wollen Sie ein Nachtmahl herrichten lassen.«

»Und was wünschen der Herr?« fragte der Kellner.

»Sagen Sie der Wirtin, daß ich ihr anheimstelle, was sie mir herrichten will, sie soll nur etwas recht gutes heraussuchen.«

»Na, Sie werden einen feinen Groschen Geld bezahlen können«, meinte Bologna, als der Kellner die Tür hinter sich geschlossen hatte.

Hierauf gingen sie aus, um in der elften Stunde ins Gasthaus zurückzukommen. Bald standen ein paar feiste Rebhühner vor Grimaldi. Bologna schielte mit hungrigem Magen, wie Grimaldi es sich schmecken ließ, fand aber seinen Trost in dem Bewußtsein, sein schönes Geld behalten zu können. Während Grimaldi es sich gut schmecken ließ, ging er in der Stube auf und ab, trat endlich an den Tisch und fragte, ob die Rebhühner auch gut seien. Grimaldi antwortete, er besinne sich kaum, welche von solchem Wohlgeschmack je vorher gegessen zu haben.

Bologna schritt von neuem auf und ab und riß endlich an der Klingel.

Als der Kellner kam, verlangte er eine Portion gerösteten Käse. Als er sie bekommen hatte, fragte er Grimaldi, ob er hier jeden Abend so fein zu speisen vorhabe?«

»Warum denn nicht?« versetzte Grimaldi.

»Nun, Kellner, dann bringen Sie mir alle Abend meinen gerösteten Käse, bloß weil es so dumm aussieht, nichts zu bestellen, wenn ein anderer Gast so tüchtig auffahren läßt.«

Als sie wieder allein waren, stimmte Grimaldi ein fröhliches Gelächter an; Bologna wurde ärgerlich und sprach von sinnloser Verschwendung, daß man sich das Geld doch zu schwer verdiene, um es für solche Leckereien auszugeben, und daß man sich auch mit einfacheren Gerichten sättigen könne usw., Grimaldi dagegen sprach von schlecht angebrachter Knickerei, daß jeder Mensch das Recht habe, sich damit satt zu essen, was ihm schmecke und worauf er Appetit habe, sobald er nur das Geld habe, alles bezahlen zu können, was er auffahren lasse usw. Es wollte keiner von beiden sich in den andern schicken, und so blieb alles, wie es gewesen war: Grimaldi aß einen Abend um den andern vom besten, was es im Wirtshause gab, und Bologna verzehrte einen wie alle Abend seinen gerösteten Käse.

Neun Tage hielten sie sich in Chester auf, und als sie die Rechnung bekamen, stellte sich heraus, daß sie, wie Grimaldi prophezeit hatte, recht billig wegkamen.

»Nun, was sagen Sie nun?« fragte Grimaldi mit selbstbewußtem Lächeln.

»Ich muß zugeben,« antwortete Bologna, »daß es sich hier nicht so teuer lebt, wie ich dachte. Auf meiner Rechnung findet sich aber ein sehr unangenehmer Irrtum. Sehen Sie doch! Mir sind meine Käse genau so angerechnet, wie Ihnen Ihre Rebhühner und was Sie sonst feines gegessen haben.«

»So lassen Sie doch den Kellner heraufkommen«, meinte Grimaldi.

»Kellner«, fuhr Bologna den Ganymed an, als er auf sein Klingeln in der Stube erschien, »wie verhält sich das? Mir rechnen Sie für gerösteten Käse ebensoviel an wie meinem Kameraden für Rebhühner usw. Sagen Sie doch der Wirtin, daß ich um Berichtigung dieses Irrtums bitten lasse.«

»Bitte um Verzeihung, Sire, die Rechnung ist in Ordnung«, antwortete der Kellner.

»Wie soll ich das verstehen?«

»Es ist bei uns, wie in allen übrigen Gasthäusern auf der Straße nach London, für Nachtmahl ein Pauschalpreis angesetzt. Ob die Gäste warm oder kalt speisen, steht im Belieben. Das Nachtmahl kostet durch die Bank eine halbe Krone. Es hätte Ihnen die Wahl zwischen allem, was es bei uns gibt, freigestanden – Sie wünschten jedoch ausdrücklich für jeden Abend Röstkäse, Sire!«

Der knickerige Bologna biß sich auf die Lippen und bezahlte mit ingrimmigem Geknurr seine neun halben Kronen für neunmal Käse, während Grimaldi mit verschmitztem Lächeln auch nicht mehr für allerhand feine Delikatessen zu zahlen hatte.

Am andern Morgen reisten sie zusammen nach London, und auf dieser Tour gab Bologna abermals einen Beweis von übertriebener Sparsamkeit. Als nämlich die Postkutsche vorfuhr, flüsterte er Grimaldi zu, sie möchten doch lieber einen Außenplatz nehmen, da sie dann doch ein reichliches Pfund sparen könnten.

»Freilich«, erwiderte Grimaldi, »damit wir dann zwanzig Pfund zum Doktor schleppen müssen? Oder vielleicht gar ein böses Leiden uns für den Lebensrest holen. Nein, dafür danke ich.«

»Ich sehe nicht ein, wie man sich dazu verstehen kann, das Gewisse für etwas Ungewisses zu opfern. Jedenfalls sehe ich zu, auf billigem Wege zu einem Platz im Wagen drin zu kommen. Die Kutsche gehört unserer Wirtin. Ein Platz drin im Wagen ist noch frei. Wenn man soviel Geld in einem Wirtshause läßt, wie wir beide, kann man fordern, daß einem Platz im Wagen für die Hälfte gelassen wird.«

Grimaldi machte ihm Vorstellungen aller möglichen Art, aber umsonst. Bologna stellte der Wirtin das Ansinnen, ihm einen Platz im Wagen für den Preis eines Platzes oben auf dem Verdeck zu überlassen, und die gutmütige Frau ging darauf ein, doch mit dem Vorbehalte, daß Bologna den Platz zu räumen verpflichtet sei, sobald sich unterwegs ein Fahrgast für den Innenplatz fände.

Die Fahrt ging los, bis um vier Uhr früh konnte sich Bologna des Vorrechts, für das halbe Geld mitzufahren, erfreuen; als aber zu dieser Stunde frische Pferde genommen wurden, meldete sich ein Passagier für den Platz drinnen im Wagen.

Der Postillon riß den Schlag auf und mahnte Bologna höflich, an die von ihm eingegangene Verpflichtung; Bologna aber brummte, es solle ihm gerade einfallen, auszusteigen, und nachzuzahlen noch weniger.

Der Postillon wußte im ersten Augenblick nicht, was er sagen sollte, und unterhielt sich mit den umstehenden Knechten und Schaffnern über den Fall. Es wurde laut geschrien, gezischt und geflucht, aber Bologna hüllte sich in eisiges Schweigen und rührte kein Glied. Schließlich wurde ihm gedroht, Gewalt anzuwenden. Grimaldi war außer sich vor Entrüstung über solches Betragen seines Reisegefährten, der tatsächlich erst der rohen Gewalt wich, und erst sich dazu bequemte, auf das Verdeck in die kalte Morgenluft hinauszuklettern, als zwei stämmige Postknechte ihn an den Beinen aus dem Wagen zu zerren anfingen.

In Islington stieg Grimaldi aus, gab aber dem Schaffner und dem Postillon das doppelte Trinkgeld, weil er sich nicht mit dem knickerigen Bologna über einen Kamm scheren lassen mochte.

Nach einigen Tagen traf er sich wieder mit Bologna, und als er sich erkundigte, wie es ihm am Kassenschalter der letzten Station ergangen sei, bekam er die Antwort:

»O, ganz gut! Gebrummt und gewettert haben sie ja; aber das geht bei mir zum einen Ohre hinein und zum andern hinaus.«

»Das merkt man«, sagte Grimaldi.

»Aber ich bitte Sie! So behält man doch sein Geld in der Tasche! Wären die Leutchen höflich und manierlich gewesen, so hätte ich doch ein Trinkgeld geben müssen. Solch unmanierlichem Gesindel gibt man doch aber keinen Heller. Ich bin dabei ganz gut gefahren.«

Bologna hatte manche recht löbliche Eigenschaft, und Grimaldi ist ihm immer ein guter Freund geblieben; aber auf eine gemeinschaftliche Reise mit ihm hat er sich nicht wieder eingelassen.

Drittes Kapitel.


Drittes Kapitel.

Glückliche Liebeswerbung. – Ein Unfall und die »Grimaldi-Tinktur«. – Wachsende Gunst des Publikums. – Einbruch durch eine Diebesbande. –
Daß eine mit dem lustigen Bühnensohne so jäh erfolgte gründliche Wandlung seiner Umgebung und vor allem seiner ihn zärtlich liebenden Mutter nicht verborgen bleiben konnte, läßt sich wohl annehmen, besonders wenn er immer unter ihren Augen lebt. Natürlicherweise suchte man hinter den Sachverhalt zu kommen, konnte aber die Wahrheit nicht aus ihm herausbringen. Seine näheren Bekannten erfuhren weiter nichts, als daß er sich nicht recht auf dem Posten befände, daß ihn die Rollen, die er zu spielen hätte, stark in Anspruch nähmen, und was dergleichen Ausflüchte mehr waren.

Was der Mutter am meisten auffiel und wofür sie gar keine Erklärung finden konnte, war, daß er sich gar nicht mehr in der Garderobe sehen ließ, während er doch seither dort noch tagtäglich erschienen war, und daß er sein Glas Tee entweder gar nicht mehr vorm Auftreten, oder schon zuhause trank.

Dies hatte indessen keinen andern Grund, als daß es ihm widerstrebte, im Beisein von Miß Hughes von den anderen Damen gehänselt zu werden, und gerade von diesen selbst darüber, daß er sich ärgere. Ihm war das so ärgerlich, daß er lieber ihrer Gesellschaft aus dem Wege ging.

So ging es ein paar Wochen hindurch, bis er einmal abends während der Vorstellung, um einen nötigen Gegenstand zu holen, doch wieder in der Garderobe erschien, und sich dort, statt seiner alten Freundin, Frau Lewis, Miß Hughes gegenüber sah.

Zeigt in solchem Falle die Dame ein bißchen Interesse, so faßt der Herr leicht Mut, aber Miß Hughes ließ von Interesse nichts verspüren, sondern sagte nur:

»Ei, Joe, ich habe Sie ja volle vierzehn Tage nicht gesehen, wo blieben Sie denn seither? Und warum sieht man Sie auch beim Tee nicht mehr?«

Ihr freundlicher Ton flößte dem Liebenden doch einigen Mut ein, unter einigen Anstrengungen erwiderte er:

»Mir ist nicht recht wohl.«

»Nicht recht wohl!« wiederholte die junge Dame, und zwar mit solcher Teilnahme, daß der arme Joe wieder all seinen Empfindungen unterlag, und da er tatsächlich unwohl und angegriffen war, gab er sich vergeblich alle Mühe, ein vergnügtes Gesicht zu zeigen, sodaß er in helle Tränen ausbrach.

Die junge Dame blickte ihn eine Weile lang erschüttert an, dann sagte sie im Tone des innigsten Mitleids:

»Ihnen ist, wie ich sehe, wirklich nicht Wohl, Sie haben sich recht verändert, was ist Ihnen denn?… Sagen Sie es mir doch, bitte!«

Der junge Mensch, der die Erregbarkeit seines Vaters, ohne die schlimme Seite derselben geerbt haben mochte, warf sich auf einen Stuhl, weinte wie ein Kind und machte vergebliche Versuche, ein paar Worte zu stammeln, die aber völlig unverständlich waren. Miß Hughes bemühte sich nun in aller Liebenswürdigkeit, ihn zu beruhigen. In demselben Augenblicke trat Mrs. Lewis ein, sie überraschte das junge Paar in seiner sentimentalen Situation. Grimaldi glaubte sich recht lächerlich gemacht zu haben, sprang auf und eilte hinaus.

Mrs. Lewis, an Jahren und Erfahrung in solchen Dingen reicher als die jungen Leutchen, schwieg zunächst, überlegte, was sie gesehen hatte, und sprach am folgenden Morgen Grimaldi, der nach einer schlaflosen Nacht sich durch allerlei trübe Gedanken verwirrt erschien, und ratlos, all seiner süßen Hoffnungen beraubt, im Garten umherirrte.

»Du lieber Gott, Joe! Wie verzagt Sie aussehen! Was fehlt Ihnen denn?« fragte ihn die alte Dame.

Zuerst gab er ausweichende Antworten. Da er aber in ihre Klugheit und wohlmeinende Gesinnung großes Vertrauen setzte, legte er ihr, nachdem er ihr das Versprechen abgenommen, kein Sterbenswort zu sagen, Generalbeichte ab. Mrs. Lewis erklärte sich auf der Stelle bereit, seine Herzallerliebste auszuforschen. In erster Linie gab sie ihm den Rat, einen Brief abzufassen und in Bereitschaft zu halten, worin er ihr all seine Gefühle offenbarte. Verliefe ihre Unterredung mit ihr günstig, dann solle der Brief am andern Morgen abgegeben werden.

Grimaldi folgte diesem Rate und verwandte nun all sein Können auf ein solches Schreiben. Endlich hatte er das schwere Stück Arbeit fertig gebracht, aber mit dem Resultat derselben war er just nicht zufrieden, bald gefiel ihm ein Satz nicht, bald hatte er an dem und dem Worte auszusetzen. Schließlich ließ er es aber so, wie es war, ging nach Sadlers Wells, hütete sich aber, einen Fuß in die Garderobe zu setzen, und spielte seine Abendrolle mit einem Feuer und einer Verve, wie kaum je zuvor.

Sobald er sich umgekleidet hatte, ging er wieder zu Mrs. Lewis, die ihm ohne alles Zögern mitteilte, was sich seit dem Vormittage zugetragen hatte, sie sagte ihm ihre Meinung darüber, verschwieg aber das, was sie für ungünstig und zweifelhaft hielt.

Mrs. Lewis hatte der jungen Dame zuerst ihr Erstaunen darüber ausgedrückt, daß Joseph seit einiger Zeit gar so schlecht aussähe. Darauf hatte die junge Dame geäußert, das sei freilich wohl der Fall, wobei es Mrs. Lewis schien, als ob es der jungen Dame recht lieb gewesen wäre, wenn dieses Thema weiter gesponnen würde, als ob sie aber nicht recht wisse, wie sie es anstellen solle, es weiter zu führen.

»Was mag ihm denn nun fehlen?« hatte sie gefragt.

»Nun, ich weiß es, meine Liebe. Joseph ist verliebt.«

»Verliebt? Ei, was!« hatte sie darauf geantwortet.

»Jawohl, und zwar bis über die Ohren. In solchem Zustande habe ich einen jungen braven Menschen noch nie gesehen.«

»Und in wen mag er sich denn verguckt haben?« hatte Miß Hughes gefragt und dabei anscheinend gleichgiltig den Blick auf einen vor ihr liegenden Gegenstand gerichtet.

»Das ist noch ein Geheimnis. Ich kenne wohl ihren Namen, aber sie – das Mädchen – weiß noch nichts davon, daß er sie liebt. Nun soll ich ihr deshalb morgen abend einen Brief überreichen, worin er sich offen über alles ausspricht.«

»Ich möchte den Namen gar zu gern wissen.«

»Ich kann ihn aber nicht nennen, denn ich habe Joe das Versprechen gegeben, vorerst noch reinen Mund darüber zu halten. Wenn Ihnen aber gar soviel daran liegt, ihn zu erfahren, dann läßt sich schließlich eins tun: Ich kann Ihnen die Aufschrift des Briefes zeigen. Auf diese Weise kann ich Sie schließlich einweihen, ohne mein Wort zu brechen.«

Miß Hughes war darüber vor Freude schier aus dem Häuschen geraten, hatte auf der Stelle Zeit und Stunde mit Mrs. Lewis verabredet, worauf dann sich diese verabschiedete von Miß Hughes.

Grimaldi war nicht so hoffnungsfreudig wie Mrs. Lewis; er wandte sich seinem Heim zu und suchte bald die Ruhe auf, konnte aber kein Auge zutun, und als Mrs. Lewis am andern Morgen mit seinem Schreiben nach Sadlers Wells hinüber gegangen war, hatte er den Tag in einem Zustande verbracht, daß er selbst nicht recht wußte, wie er so rasch dahingegangen war.

Um fünf Uhr begab er sich nach dem Theater, um Näheres über das Schicksal seines Briefes zu hören.

»Ich habe ihn noch immer nicht abgeben können,« erklärte Mrs. Lewis, »gehen Sie aber in die Garderobe, dort werden Sie Miß Hughes finden, und werden wohl auch nicht lange im unklaren darüber sein, ob Sie ihr Interesse abgewinnen oder nicht, wenn Sie sie eine Weile lang beobachten.«

Er ging in die Garderobe. Sie war dort, sah aber sehr blaß aus und hatte augenscheinlich geweint. Die Stunde, die ihnen blieb, verflog geschwind. Die junge Dame, eilte zu ihrer Vertrauten, um sie nach dem Briefe zu fragen, den Joseph ihr anvertraut hatte.

Mrs. Lewis antwortete schelmisch, freilich, den Brief hätte sie.

»So lassen Sie ihn mich sehen! Ich möchte doch gar zu gern wissen, wer das Mädchen ist, mit dem Joseph glücklich zu werden hofft.«

»Ohne Josephs Erlaubnis kann ich es Ihnen wahrhaftig nicht sagen, liebes Kind,« hatte Mrs. Lewis darauf geantwortet. »Ach, wüßten Sie bloß, was ich seit gestern abend ausgestanden habe!« rief Miß Hughes, war dann ein Weilchen still, rief aber dann erregt, sie fürchte, noch um ihren Verstand zu kommen, wenn sie noch länger in Ungewißheit gelassen würde!«

»Aber wie können Sie bloß so etwas reden, mein liebes Mariechen! Den Verstand verlieren! Sie selbst werden doch kaum so töricht gewesen sein, sich in Joseph zu verlieben? Aber da Ihnen so sehr viel daran liegt, den Brief zu sehen, will ich ihn Ihnen nicht länger vorenthalten; nur müssen Sie mir versprechen, bei der Dame, an die er gerichtet ist, für den armen Joe ein gutes Wort einzulegen.«

Dazu schien sich Miß Hughes gar nicht recht verstehen zu wollen, erwiderte aber endlich stockend, sie wolle versuchen, ob es ihr möglich sein werde. Darauf gab ihr nun Mrs. Lewis den Brief, aber kaum hatte sie die Aufschrift gelesen, so fiel ihr der Brief aus der Hand, und sie sank ihrer Freundin in die Arme…

Grimaldi war unterdessen auf der Bühne, eifrig bemüht, das beste aus seiner Rolle zu machen, weil er sich sagte, daß er nur Aussicht haben könnte, seine Hoffnungen erfüllt zu sehen, wenn er mit seiner Rolle »durchdrückte«. Da sah er kurz vor dem ersten Aktschlusse jemand in die Loge des Mr. Hughes treten… und wen? Die Dame, um die sich all sein Denken drehte!

Zitternd dachte er bei sich: Den Brief muß sie bekommen haben… sie muß sich nun klar darüber geworden sein, wie sie sich verhalten will mir gegenüber! und er hätte alles in der Welt dafür hingegeben, zu wissen, wie die Dinge ständen… Seine Rolle verlangte, daß er dicht ans Orchester trat, also ganz in ihre Nähe… und sie – sie nickte ihm lächelnd zu! O, es war nicht das erste Mal, daß sie ihm zugenickt, ihm lächelnd zugenickt hatte. Diesmal aber geriet er in solche Aufregung und Verwirrung darüber, daß er von all dem, was um ihn her vorging, nicht das geringste mehr sah oder hörte.

Kein Mensch sagte ihm, daß er seine Rolle nicht zu Ende gespielt habe, und so meinte er, sie bis zu Ende gespielt zu haben. Von dem Wie aber hatte er weder einen Begriff, noch auch nur die leiseste Erinnerung.

Glück und Unglück waren in Grimaldis ganzem, an Wechselfällen überreichem Leben immer eigentümlich verknüpft, sodaß er wohl nie eine wirklich große Freude hatte, ohne daß sich gleich darauf etwas ereignete, was sie ihm versalzte. Er spricht hiervon wiederholt, ohne indessen besonderes Gewicht auf diese »Ironie des Schicksals,« wie er sich ausdrückt, zu legen.

An demselben Abend nun, an welchem sich all diese Dinge abspielten, brach ein schweres Gerüst zusammen, auf dem ein Dutzend Männer standen und von dem Grimaldi ein Balken an der Schulter traf. Er wurde verwundet und zwar so schwer, daß man ihn auf der Stelle nach Hause bringen mußte. Ohne Zeit zu verlieren, wurden alle erdenklichen Mittel angewandt, ihn von den unangenehmen Schmerzen zu befreien, die sich infolge der erhaltenen Wunden einstellten; aber helfen konnte ihm eigentlich nur eine Salbe, über dessen Bereitung ihm sein Vater ein Rezept hinterlassen hatte, und die er für Unglücksfälle bereitzuhalten pflegte.

Er hatte schon recht viel Menschen mit diesem Heilmittel geholfen und überantwortete zuletzt das Rezept einem Clerkenwaller Wundarzte, namens Chamberlain, der die Salbe auf seinen Namen taufte und jahrelang mit großem Erfolge weiter benützte. Grimaldi hatte, ehe er aus dem Theater getragen wurde, die Geistesgegenwart gehabt, Mrs. Lewis zu sich bitten lassen, und sie ersucht, Miß Hughes, die vor seinem Unfalle ihre Loge verlassen hatte, schonend davon in Kenntnis zu setzen. Eilen wir indessen nun dem Ende zu, so gern auch der alte Herr bei der Erinnerung an die schöne Zeit verweilt, wo er zuerst all die Vorzüge derjenigen Dame kennen lernte, der er mit Innigkeit zugetan war, deren Liebe ihm immer eine heilige Erinnerung blieb, mit der er nie leichtfertig spielte.

Am andern Tage mußte Grimaldi mit dem Arm in der Binde auf dem Sofa liegen. Seine Herzensallerliebste besuchte ihn, gab ihrem lebhaften Wunsche, ihn recht bald wiederhergestellt zu sehen, den eifrigsten Ausdruck und gestand ihm unverhohlen ihre Gegenliebe. Das machte ihn natürlicherweise zum glücklichsten Manne oder vielmehr Jungen auf der Welt, denn er war ja doch erst knapp sechzehn Jahre alt…

Nur ein Umstand setzte seiner Wonne einen Dämpfer auf: das war die feste Weigerung des Mädchens, ohne Vorwissen der Eltern die geringste Beziehung, schriftlich oder persönlich, mit ihm zu unterhalten. Daß Grimaldi sich hierüber seine ernsten Gedanken machte, wird insofern nicht verwundern, als ja doch Mr. Hughes für einen sehr wohlhabenden Mann galt und Grimaldi weiter nichts besaß als sein Talent.

Er scheute keine Mühe, die Geliebte zu einer Wandlung ihres Entschlusses zu bringen, erreichte aber weiter nichts von ihr als daß sie ihm zugestand, vorderhand bloß mit ihrer Mutter zu sprechen, auf deren Güte und Verschwiegenheit sie sich verlassen zu dürfen meinte.

Das geschah, und da die Mutter einsah, daß von ihr das Glück und die Zukunft ihres Kindes abhänge, zeigte sie sich nicht widerwillig, bemerkte jedoch, daß beide Teile doch noch viel zu jung seien, um schon ans Heiraten denken zu können.

Der Papa, Mr. Hughes, wurde in das süße Geheimnis erst nach ganzen drei Jahren eingeweiht.

Diese Zeit war nun die glücklichste von Grimaldis ganzem Leben. Jeden Abend sah er seine Marie in Gesellschaft ihrer Mama im Theater, und jeden Sonntag verlebte er in ihrer Gesellschaft unter Aufsicht der Mama. Sein Künstlerruf festigte sich in einem fort, und wohl jede Rolle, in der er auftrat, verschaffte ihm neue Gunst des Publikums. So verlief ihm das Leben in ungetrübtem Frohsinn, und noch nie hatte er sich zufriedener gefühlt als jetzt.

Grimaldi bewohnte damals mit seiner Mutter und dem Ehepaare Lewis das Haus am Penton Place ganz allein, sogar ohne Dienstboten. Wohl hatten sie ein Dienstmädchen, das aber, ohne daß für die Zeit ihrer Abwesenheit Ersatz genommen worden, ein paar Wochen aufs Land beurlaubt worden war.

Um Mitte August herum war einmal im Sadlers-Wells-Theater eine Nachtprobe angesetzt worden, wie ihrer zuweilen ja nach Vorstellungen anberaumt werden. Mr. Lewis verließ das Haus zuletzt, schloß es ab, brachte den Schlüssel mit und übergab ihn Grimaldi.

Als die Vorstellung aber zu Ende war, teilte der Direktor den anwesenden Damen und Herren mit, daß die Nachtprobe nicht notwendig sei, da er seinen Entschluß hinsichtlich des neuen Stückes geändert und dessen Aufführung auf Montag über acht Tage verschoben habe. Die Leute gingen daraufhin schnell auseinander. Da Grimaldi noch etwa zehn Minuten im Theater zu tun hatte, ging seine Mutter mit Mrs. Lewis voraus, er folgte ihnen aber bald darauf mit Mr. Lewis und noch zwei anderen Frauen vom Theater nach. Kaum waren die Damen vorm Hause angelangt, als sie zu ihrer nicht geringen Verwunderung das Gartentor offen fanden. Mrs. Grimaldi sagte, es sei doch recht unvorsichtig vonseiten des Herrn Lewis, das Haus nicht sicher zu verschließen, Pentonville war damals noch Vorort und wurde um diese Zeit herum gerade durch eine berüchtigte Diebsbande unsicher gemacht. Es waren schon mehrere Spitzbuben, die zu ihr gehörten, durch den Galgen vom Leben zum Tode gebracht, andere auch in Straf-Kolonien verschickt worden; trotzdem war es in Pentonville noch immer nicht geheuer, man hatte im Gegenteil bis in die jüngste Zeit noch weit verwegenere Einbrüche als früher erlebt.

Als die Damen nun aber auch die Haustür unverschlossen fanden und, als sie sie leise aufklinkten, auf der Hausflur Licht schimmern sahen, bekamen sie natürlich eine Heidenangst und schrien nach Hilfe. Der Zufall führte einen beim Sadlers-Wells-Theater angestellten Mann des Weges vorbei, der ihnen sofort seinen Beistand antrug.

Mrs. Grimaldi bat ihn, bei Mrs. Lewis zu bleiben. »Ich will ins Haus hinein gehen. Folgen Sie mir erst, wenn ich schreien sollte.«

Beherzt ging sie über die Hausflur, die Treppe hinunter und in die Küche, machte geschwind Licht und sah nun, daß Diebe aufs schlimmste gehaust hatten, denn dort war fast alles schon ausgeräumt und weggeschafft worden. Eben trat sie wieder zu Mrs. Lewis, als ihr Sohn mit einigen Freunden ankam. Es wurde natürlich sogleich eine genaue Hausdurchsuchung vorgenommen, denn da die Räuber bei frischer Tat ertappt worden waren, konnte es leicht der Fall sein, daß sich einer von ihnen noch im Hause versteckt hielt.

Es fanden sich auch ein paar Nachtwächter ein, – nach damaliger Sitte alte Leutchen, die solchen Platz als Versorgung für ihre letzten Jahre zugewiesen bekamen – und unter Schreien und Weinen der Damen und Wettern und Fluchen der Männer drang die »Phalanx« vor.

Im Hause war alles durcheinander geworfen, aber von einem Diebe war keine Spur mehr zu sehen. Schränke und Schiebladen waren erbrochen und geleert, und bis auf einen Schal, den Miß Hughes für ihre künftige Schwiegermutter angefangen, war kein Stück mehr vorhanden.

Grimaldi bewaffnete sich mit einem Prügel, Mr. King, ein guter Freund von ihm, mit einem Säbel und suchten den Garten hinter dem Hause ab, während die Frauen unter lautem Gejammer über den großen Verlust, der sie betroffen, bei den übrigen Männern zurückblieben.

Der Garten war durch eine drei bis vier Fuß hohe Mauer in zwei Hälften, einen Blumen- und einen Gemüsegarten, geteilt und durch eine noch um ein paar Fuß höhere Mauer von einem großen Stück Weideland geschieden.

Es war eine rabenfinstre Nacht. Eine Zeitlang tappten sie umher, ohne jemand zu finden. Grimaldi sprang auf die höhere Mauer, guckte über die niedrigere hinüber und sah einen Menschen im Begriffe, von der Mauer des anstoßenden Gartens hinüberzuspringen. Der Dieb – denn ein solcher war es ohne Zweifel – hielt Grimaldi für einen Kameraden, denn die Gegenwart einer andern Person mochte ihm nicht für wahrscheinlich gelten – rief leise: »Pst, pst! Bist du es?«

»Ja,« antwortete Grimaldi, näherte sich und versetzte ihm, als er sah, daß er über die Wand springen wollte, weil er die Stimme als eine fremde erkannt hatte, einen derben Hieb mit dem Säbel. Dem Diebe schien der Buckel gewaltig zu schmerzen, wenigstens schrie er ganz erbärmlich, brach auch zusammen, hatte sich aber doch wieder aufgerafft und war im Dunkel der Nacht verschwunden, als Grimaldi sich über die Mauer hinüber begeben hatte.

Grimaldi rief nun seinem Freunde zu, ihm durch die Hintertür zu folgen, und eilte dann mit diesem über das Stück Weideland hinweg dem flüchtigen Spitzbuben nach, stolperte aber schon nach wenigen Schritten über eine auf der Erde liegende Kuh und hätte sich bei diesem unfreiwilligen pantomimischen Koup vielleicht mit seiner eigenen Waffe schwer verwundet, wenn er nicht durch seine Fechtübungen auf der Bühne sich daran gewöhnt hätte, ein Gewehr mit Vorsicht zu tragen.

Alles fernere Suchen war vergebliche Mühe. Grimaldi ging mit seinem Freunde wieder ins Haus. Dort sahen sie, daß an dem Säbel Blut klebte.

Unterdessen war ein Polizist erschienen, der mit den beiden Nachtwächtern ausziehen wollte, die Missetäter lebendig oder tot zu fangen. Das letztere wäre ihnen das liebere gewesen. Beides aber war dadurch einigermaßen zweifelhaft gemacht worden, daß die beiden Nachtwächter, als große Vorsichtskommissarien, hellleuchtende Laternen mitbrachten, den Spitzbuben zum Zeichen, daß sie ihnen auf den Leib rücken wollten!

Grimaldi ließ es an Trostworten nicht fehlen. Er versicherte den Damen wiederholt, daß es gelingen werde, das gestohlene Gut wieder herbeizuschaffen. Was die Räuber noch in den Räumen zurückgelassen, bemühte er sich, wieder an Ort und Stelle zurückzuschaffen. Der erste Gegenstand, auf den seine Augen fielen, war der Schal, den Miß Hughes für seine Mutter in Arbeit hatte.

Aufs höchste erfreut hob er ihn auf, und polternd fiel eine Arzneischachtel daraus auf die Erde. Seine Mutter schlug ganz außer sich die Hände überm Kopfe zusammen, um nun noch lauter als bei der Entdeckung, daß das Haus ausgeplündert worden, zu schreien: »Ach Gott, mein Geld! mein Geld! mein Geld!«

»Geschehene Dinge lassen sich nun einmal nicht ändern,« hieß es von allen Seiten. »Denken Sie an die arme Mrs. Lewis, der es ebenso schlimm ergangen ist.«

Es verhielt sich aber ganz anders, als die Leute meinten. In der Schachtel waren siebenunddreißig Guineen, Frau Grimaldis Spargroschen. Unter dem Schal waren die Diebe nicht auf die Schachtel gekommen, und so war wenigstens das bare Geld gerettet. –

Beim Abendbrote war Frau Grimaldi zufolgedessen wieder bei ganz guter Laune und neckte sogar ihre alte Freundin, die sich aber, da ihr kein Guineenfund beschert gewesen war, gar nicht recht zu trösten wußte.

Als sich die Bekannten verabschiedet hatten, trafen die Zurückbleibenden ihre Vorkehrungen für die Nacht, die aber wunderlich genug ausfielen, so daß niemand Schlaf finden konnte. Schließlich wurde der Ausweg gefunden, daß alle zusammen in einem und demselben Zimmer übernachten sollten. Eine Matratze wurde nun in das größte Wohnzimmer getragen: Die beiden Damen streckten sich in Kleidern darauf hin. Lewis setzte sich in einen Sessel, und Grimaldi postierte sich als »sauve-Garde« an der Tür, nachdem er zwei Pistolen geladen, den Säbel von Blut gereinigt und Pistolen und Säbel neben sich gelegt hatte…

Eine Zeitlang blieb alles still. Einer nach dem andern schlief ein, aber sie hatten noch nicht lange geschlummert, als sie durch langes und lautes Klopfen an der in den Garten führenden Hintertür aufgeschreckt wurden. Erschreckt fuhr einer nach dem andern auf, und alle gafften einander an. Hätte den Frauen nicht der Schreck die Zunge gelähmt, so hätten sie gewiß Zetermordio geschrien, die Männer dagegen hätten vielleicht recht laut darüber gelacht, aber die gleiche Ursache lähmte ihre Lachmuskeln. Männlein und Weiblein hatten Bange, daß die Spitzbuben wieder zurückgekehrt sein möchten.

Der erste, der sich ermannte, war Grimaldi. Mit einem Gesicht, wie er es wunderlicher auf keiner Bühne hätte schneiden können, wandte er sich zu Mr. Lewis.

»Aber sehen Sie doch mal zu, wer an der hintern Gartentür solch gräßlichen Spektakel macht!« sagte er zu dem Freunde. Mr. Lewis schien gar keine Lust zu dem Gange zu haben. Er stand und stand, guckte seine Frau verzagt an und sagte, Mr. Grimaldi sei ja sehr nett, sich seiner auch, in diesem Falle so freundlich zu erinnern, aber er hätte doch seiner Meinung nach kein sonderliches Recht, ihm selbst vorzugreifen.

In dieser Verlegenheit wurde endlich das Übereinkommen getroffen, daß Lewis sich auf die Hausflur begeben, Grimaldi aber leise hinaufgehen und aus dem Fenster hinaus rekognoszieren solle. Diese Vereinbarung wurde sogleich zur Ausführung gebracht.

Unterdessen hatte das Klopfen ununterbrochen angedauert; Grimaldi erinnerte in seiner »Armatur« an den mit Freitag wider die Wilden ausziehenden Robinson Crusoe, nur seine Stimme zerstörte die Einbildung, denn sie verriet eine große Unruhe, das lebhafte Verlangen, alle Nachbarn zu der bevorstehenden »tätlichen Auseinandersetzung« zu invitieren; auch erinnerte sie mit einiger Lebhaftigkeit an die Art und Weise, wie er sein so oft zitiertes und altbeliebtes: »So, nun sind wir da!« zu sprechen pflegte, wenn er die Bühne betrat. Es war inzwischen zwei und drei Uhr morgens. Der Tag fing an zu grauen. Im Zwielichte unterschied Grimaldi zwei Männer, die eine schwere Last zu tragen schienen; er konnte aber nicht unterscheiden, was getragen wurde. Nur einen Trost meinte er schöpfen zu dürfen: Feuergewehre waren es nicht, die getragen wurden, und das war immerhin ein Trost.«

»Holla!« schrie er hinunter, mit dem Säbel rasselnd, daß jedem Menschen angst und bange werden mußte: »was ist denn mit euch los?« »Sapperment, Herr,« rief einer von den Männern, »wir haben wirklich schon gedacht, daß Sie tot seien – wie lange klopfen wir schon, ohne daß Sie was hören ließen.«

»Weshalb wollten Sie mich denn munter haben?«

»Na, Sie sehen doch die Säcke, die wir schleppen! Das gestohlene Gut ist drin!«

»Was ist drin?«

»Ei, was die Spitzbuben Ihnen geraubt haben! Wir haben das Feld abgesucht und die beiden Säcke gefunden.«

Die Tür wurde aufgemacht. Die Nachtwächter brachten zwei große Säcke hereingeschleppt, die von den Frauen unverzüglich ausgepackt wurden. Es war alles gestohlene Gut drinnen, nicht ein einziges Stück fehlte, auch Dietriche, Brecheisen und Feilen steckten in den Säcken.

Die Nachtwächter bekamen jeder zehn Schilling, die vielen Dankesworte, mit denen sie bedacht wurden, nicht gerechnet, und an diesem Morgen frühstückten die Hausbewohner weit vergnügter als sie am verflossenen Abend genachtmahlt hatten. Begreiflicherweise wurde viel darüber diskutiert, wer die Diebe gewesen sein möchten. Augenscheinlich mußten sie in Erfahrung gebracht haben, daß für den Abend eine späte Probe angesetzt gewesen war, und ganz sicher wäre es ihnen auch geglückt, ihre Beute in Sicherheit zu bringen, wenn die Probe nicht unvermutet wieder abbestellt worden wäre.

Auch war, solange das Mädchen zuhause war, nie ein Einbruch versucht worden. Bei Frau Grimaldi, wie auch Frau Lewis schien halb und halb Neigung vorhanden zu sein, das Mädchen des Diebstahls zu verdächtigen. Bei schärferer Erwägung aller Umstände schien diese Kombination doch nicht recht stichhaltig, stammte das Mädchen doch von sehr rechtlichen Eltern und war doch auch die Tante schon vier Jahre bei Grimaldis im Dienst gewesen. Dazu kam weiter noch, daß ein Onkel des Mädchens vierzig Jahre lang beim Theater als erster Schneider beschäftigt war, daß das Mädchen eine gute Schulbildung genossen und auch schon fast vierzig Jahre bei Grimaldis gedient, sich auch niemals in dieser ganzen Zeit irgend etwas zu schulden hatte kommen lassen.

Gleichviel aber, wer die Diebe gewesen, darüber herrschte Klarheit, daß alles zur bessern Sicherung des Hauses geschehen mußte, was von nöten war. So bekam denn ein Zimmermann Auftrag, die Türen mit besonders starken Riegeln und Haspen zu versehen. Nichtsdestoweniger wollte die Furcht nicht aus den Gemütern der Frauen weichen, und noch lange Zeit befiel sie nervöses Zittern, wenn bei Dunkelwerden oder zur Nachtzeit ein ungewohntes Geräusch ertönte, oder gar geklopft wurde.

Ein Theaterdiener, der um elf Uhr den Nachtdienst anzutreten hatte, wurde angeworben, bis zu dieser Stunde das Grimaldische Haus zu bewachen. Früher kehrten Grimaldis niemals heim, und so lange das Mädchen noch seine Ferien hatte, bezog der Mann regelmäßig seine Wache.

Das Mädchen schien sich vor Schrecken und Staunen gar nicht fassen zu können, als sie nach ihrer Rückkehr hörte, was geschehen war. Ihr Benehmen schien aber durchaus nicht derart, daß sich der Argwohn gegen sie hätte festigen können. Es waren vielmehr alle der Meinung, daß zu einem wirklichen Verdacht nicht genug ausreichende Gründe vorhanden seien.

Als man das Mädchen fragte, ob sie sich allein zuhause zu bleiben fürchte, erklärte sie, Furcht sei ihr fremd, sie bliebe gern die halbe Nacht munter, wenn man ihr nur erlaubte, in der Wohnstube Feuer anzumachen, denn wenn die Räuber und Diebe Feuerschein sähen, bekämen sie doch sicher die Meinung, die Herrschaft sei zuhause; lieb wäre es ihr auch, wenn man ihr eine recht große Klapper kaufte, mit der sie die Nachbarschaft im Nu alarmieren könnte, wenn sich Gefahr zeige.

Die Erlaubnis, Feuer anzumachen, wurde ihr gern gegeben, auch eine Klapper wurde für sie gekauft, auch dem Nachtwächter, der in der Nähe seinen Stand hatte, ein gutes Trinkgeld verabfolgt, damit er das Haus in Obacht behalte und auf den ersten Hilferuf herbeieile.

Die Spitzbuben, welche mutwillige Gesellen gewesen, denn sie hatten sich nicht auf die Plünderung beschränkt, sondern mit herzloser Barbarei Grimaldis Insektenschrank erbrochen und alle Kästen zerstört, sogar die Bartford Bläulinge nicht verschont und mit Ausnahme eines einzigen Schächtelchens die ganze Sammlung nebst allen Zeichnungen, Modellen und Farben vernichtet.

Jahre wären notwendig gewesen, wenn der unermüdliche Sammler den großen Verlust hätte wieder wett machen wollen, und um ihn durch Ankäufe zu ersetzen, wären mindestens zweihundert Pfund bares Geld nötig gewesen.

Dieses unvorhergesehene Mißgeschick machte mit einem Schlage aller Insektenjagd ein Ende, Grimaldi schenkte, was von der Sammlung vielleicht noch brauchbar war, einem guten Bekannten, der gleich ihm Sammler war, griff aber auf seine einstmalige Lieblingsbeschäftigung nie mehr im Leben zurück.

Nach Verlauf einiger Wochen gewannen die Hausbewohner ihre Ruhe wieder zufolge der getroffenen Vorsichtsmaßregeln. Schließlich fühlten sie sich wieder ganz sicher, weil sie meinten, den Dieben sei durch den schlimmen Empfang, den sie gefunden, alle Lust zur Wiederkehr geraubt worden. Und doch sollten sie sich hierin bitter täuschen, denn in der vierten Woche nach Rückkehr des Dienstmädchens erneuerten die Einbrecher ihren Versuch, wovon wir aber in einem späteren Kapitel berichten werden.

Einundzwanzigstes Kapitel.


Einundzwanzigstes Kapitel.

»Baron Münchhausen«. – Wie Ellar, der Harlekin, durch den Mond sprang und dabei sich die Hand verstauchte. – Grimaldi wird Miteigentümer von Sadlers-Wells. – Anekdoten vom Herzog von York, von Sir Godfrey Webster, einer goldenen Tabaksdose, Ihrer hochseligen Majestät, von Newcastle-Lachs und einem Kohlenbergwerk.

Grimaldi hätte nicht so eilig wieder nach London zurückzukehren brauchen, denn in Covent-Garden hatte er erst im November wieder aufzutreten, und auch da nur ein paar Abende in La Perouse. Da es aber leicht möglich war, daß er in ein paar Tagen spielen mußte, trug er Bedenken, sich auf länger als acht Tage zu einem Gastspiele in der Provinz zu verpflichten.

Das Theater in Sadlers-Wells wurde geschlossen, gerade als er in London eintraf. Die letzte Saison war so kläglich gewesen, daß verschiedene Besitzanteile von der Direktion veräußert wurden. Grimaldi hatte dadurch, daß man sein Engagement nicht erneuerte, keinen Schaden gehabt in finanzieller Hinsicht, und dabei bei weitem nicht soviel Mühe und Anstrengung aufwenden müssen, als wenn er dort weitergespielt hätte. Zu seiner im vorigen Kapitel genannten Gastspiel-Einnahme kamen noch die Beträge von 150, 70 und 100 Pfund, die er in Birmingham, Leicester und Chester löste, so daß er im ganzen für 56 Spielabende nahezu 1750 Pfund bekommen hat. In Sadlers-Wells hätte er es aber, einschließlich der Benefiz-Abende, nur auf 660 Pfund in 186 Vorstellungen gebracht, so daß er also 130 Abende weniger hätte zu spielen brauchen und doch um 1075 Pfund annähernd besser wegkam.

Die Weihnachtspantomime in Covent-Garden hieß »Baron Münchhausen« und wurde mit ebenso großem Beifall aufgenommen wie seit einigen Jahren alle vorhergehenden Stücke. Während ihrer Aufführung trug sich ein Vorfall zu, der als ein Beispiel menschlicher Brutalität erwähnt zu werden verdient.

In Sadlers-Wells war ein Tagarbeiter beschäftigt, der unter anderm auch mit verwandt wurde, einen Teppich zu halten, in welchem die Spieler bei den Sprüngen, die sie auszuführen hatten, aufgefangen wurden. Dieser Mensch trat eines Tags zu dem Harlekin Ellar, hielt den Teppich hoch und sagte, ein so knochentrockener Lappen wie das Ding da, sei ihm noch nicht vorgekommen. Diese Redensart des Tagarbeiters bedeutete nichts weiter, als daß ihm ein Trinkgeld gegeben werden möchte. Ob nun Harlekin Ellar gerade mit wichtigeren Dingen beschäftigt war, oder andere Gründe hatte, sich, still zu verhalten, kurz, er ließ den Tagarbeiter stehen und ging seiner Wege, der andere knurrte ihm ein paar grillige Worte hintendrein, und verschiedene, die sie mit angehört hatten, sagten Ellar am andern Morgen, daß er sich vor dem Menschen vorsehen möchte, denn er habe gedroht, an ihm Rache nehmen zu wollen.

Ellar lachte über die Drohung. Bis zum dritten Abend ging alles ganz gut; in der Szene aber, in der Ellar durch den Mond springen muß, kamen ihm am vierten Abend Bedenken, so daß er mit dem Weiterspiele zögerte und Grimaldi zuflüsterte, »ich fürchte, die Kerle werden mich nicht auffangen; dreimal habe ich schon geklopft und gefragt, ob sie fertig seien, aber es hat keiner auch nur mit einem Worte Bescheid getan.«

»Das ist doch ganz ausgeschlossen«, versetzte Grimaldi; »wer wird denn an so etwas denken? Springen Sie dreist, Freund! Vorwärts! Vorwärts! Es passiert Ihnen sicher nichts.«

Aber Ellar zauderte noch immer, bis Grimaldi ihn aufmerksam machte, daß das Publikum unruhig zu werden anfinge.

»Nun gut!« flüsterte Ellar, »ich will den Sprung schon riskieren; aber der Himmel weiß, wie das Ding enden wird!«

Seine Furcht war nicht grundlos gewesen, denn die Arbeiter, die den Sprungteppich zu halten hatten, hielten ihn so, daß er ihn unmöglich erreichen konnte, sondern stürzen mußte. Daß es so kommen werde, hatte er vorausgesehen und wollte lieber eine Hand, als den Hals brechen, richtete es also ein, daß er auf die Hände fiel, nahm aber dabei keinerlei Schaden, sondern konnte, freilich mit sehr großen Schmerzen, seine Rolle weiter spielen.

Natürlich wurde der Vorfall sogleich auf der Direktion gemeldet. Alle Arbeiter wurden im Hofe versammelt und ihnen mit sofortiger Entlassung gedroht, falls nicht sofort festgestellt würde, daß bei dem Vorfalle keinerlei schlimme Absicht vorgelegen habe. Der Obmann erklärte, sich für seine Leute verbürgen zu können, und appellierte an Mr. Ellar, ob er selbst glaube, daß jemand aus der Arbeiterschaft sich derart habe an ihm versündigen wollen; Mr. Ellar antwortete hierauf, er habe im ersten Augenblick wohl dergleichen Gedanken gehabt, sei aber davon abgekommen, und glaube weit eher an einen schlimmen Zufall. Grimaldi aber sagte er beim Nachhausegehen, er habe im letzten Augenblicke noch Mitleid gehabt mit der Familie des Unglücklichen, der – wie ihm zu Ohren gekommen sei – eine Frau mit sechs Kindern zu ernähren habe.

Ellars Verhalten war umso edler, als er nicht den leisesten Zweifel darein setzte, daß jener Mensch, dem er das Trinkgeld verweigert, mit Absicht so gehandelt hatte, und daß er elend ums Leben dabei gekommen wäre, wenn er es nicht so einzurichten gewußt hätte, daß er, statt auf den Kopf, auf die Hände fiel. –

Wenn man bedenkt, welch großen und schweren Gefahren Pantomimiker ausgesetzt sind, so muß man sich wundern, daß Grimaldi in seiner doch ziemlich langen Künstlerlaufbahn so wenig Unglück ausgesetzt gewesen ist. Freilich hat er dem Clown einen neuen, ruhigen Charakter geliehen und sich eigentlich nie auf Gliederverrenkungen gestützt, sondern seine Erfolge nur durch das Mienenspiel erreicht: er brachte sein Publikum zum Lachen dadurch, daß er mit dem Kopfe wohl agierte, aber nicht auf dem Kopfe stand. Grimaldi war eben in seinem Felde ein ausgemachtes Genie und darf als der Schöpfer eines neuen Clown-Genres bezeichnet werden.

Im Februar 1818 wurde ihm wiederholt bedeutet, daß er, falls er sich direkt an die Eigentümer von Sadlers-Wells wenden wollte, sichere Aussicht hätte, auf Bedingungen hin, wie er sie stellen könne, wieder in den Bühnenverband aufgenommen zu werden; aber er hatte keine Lust, darauf einzugehen, zum Teil, weil er noch immer Verdruß empfand über die Behandlung, die ihm zuteil geworden war, zum Teil aber auch, weil ihm durch seine Gastspiele in der Provinz weit bessere Einnahmen zugefallen waren, als während der ganzen Jahre, die er in London gespielt hatte.

Als jedoch Mrs. Hughes, die Witwe seines langjährigen, immer getreuen Freundes, selbst an ihn herantrat mit der Bitte, der Direktion entgegenzukommen, da wurde er in seinem Entschlusse schwankend und erklärte endlich, daß er sein Verhältnis zum Sadlers-Wells-Theater wohl zu erneuern bereit sei, doch nur unter der Bedingung, daß man ihn als Miteigentümer ausnehme. Er rechnete, auf diese Weise jeder etwaigen Wiederholung des Versuches, ihn an die Wand zu drücken, und auch durch den Gewinnanteil allen Alterssorgen überhoben zu werden.

Er sollte sich aber in diesen Erwartungen, wie in mancher anderen, bitter täuschen. Sein Antrag wurde nach mancherlei Beratungen zwischen den Mitgliedern der Direktion, allerdings angenommen; er kaufte eine Anzahl von Aktien von Mrs. Hughes selbst und verpflichtete sich zum Wiedereintritt in den Verband der Bühne, doch mit dem Vorbehalt, daß er in der letzten Julihälfte alljährlich auf sechs Wochen zu Gastspielreisen in der Provinz beurlaubt würde.

In der ersten Saison nach seinem Wiedereintritt war das Ergebnis keineswegs rosig, In den ersten Monaten ging wohl alles gut, sobald er aber in die Provinz gereist war, blieb das Haus leer, und als er im September zurückkehrte, erwartete ihn die Nachricht, daß statt mit Gewinn, mit Verlust gearbeitet worden sei. Er war darüber nicht wenig überrascht, aber auch sehr ärgerlich, denn das Sadlers-Wells-Theater hatte immer in dem Rufe einer sichern Rente gestanden, und er hatte bestimmt darauf gerechnet, durch diesen Schritt eine erkleckliche Höhe seines Einkommens zu erreichen.

Ein paar Tage nach dem Schlusse der Saison fand die erste Versammlung der Geschäftsteilhaber statt; die Rechnungen wurden geprüft, und es stellte sich heraus, daß der Verlust noch bei weitem höher war als zuerst angenommen wurde. Für jeden Aktionär bezifferte er sich auf 330 Pfund.

Grimaldi bezahlte, meinte nun aber gewiß sein zu dürfen, daß er von dem Gewinn aus seinen Gastspielreisen nicht mehr viel übrig behalten werde, und bereute es bitter, sich zu solchem Schritte entschlossen zu haben.

Als er eines Abends in Covent-Garden im »Baron Münchhausen« spielte, sah er den Herzog von York in einer Loge, zusammen mit Sir Godfrey Webster und einem dritten Herrn. Die hohen Herren lachten herzlich über die Komödie, und nach einer Szene mitten im Stücke, winkte Sir Webster Grimaldi zu sich.

»Recht saure Arbeit heute, Grimaldi?« sagte er, »nicht wahr?«

»Nicht bloß sauer, Sir Godfrey, sondern auch heiß!«

»So nehmen Sie eine Prise Zur Erfrischung, Joe«, erwiderte Sir Godfrey kordial und bot ihm die größte Tabaksdose, die Grimaldi je gesehen hatte. Grimaldi betrachtete sie verwundert, Sir Godfrey aber sagte, auf den Pantalon zeigend, der auf der Bühne stand:

»Präsentieren Sie sie dem Herren und sehen Sie einmal zu, ob er Lust zu einem Prischen hat.«

Grimaldi mußte gleich darauf wieder in einer sehr drolligen Szene auftreten, und stolzierte mit seiner Riesendose umher, die ganz wie eine absichtlich geschmiedete Karikatur aussah. Pantalon sah ihn aber mißtrauisch an und fragte:

»Woher haben Sie denn dieses Exemplar von Dose? Doch nicht etwa gemaust?«

Grimaldi beteuerte unter allerhand Grimassen, daß sie, ein Geschenk von hohem Herrn sei. Pantalon fragte, wer der Geber sei, und Grimaldi wies auf die Loge des Herzogs, in die eben Sir Godfrey wieder eingetreten war.

Es wurde wiederum, und noch mehr als vordem, gelacht. Der Herzog mußte sich tatsächlich den Bauch, halten, denn Grimaldi führte seine Rolle mit beispielloser Verve durch.

Im Fortgehen fragte Pantalon:

»Wo wollen Sie denn mit der Dose hin?«

»Dorthin, wo sie schon oft gewesen ist«, antwortete Grimaldi, gen oben zeigend, »zum Onkel Pumpmeyer!«

Unter stürmischem Applaus trat er ab, und nach einigen wenigen Augenblicken war Sir Godfrey wieder bei ihm, mochte er nun seine Dose tatsächlich in Gefahr wähnen, oder nicht.

»Grimaldi, das haben Sie großartig gemacht!« rief er ihm schon von weitem zu. »Sie haben mir eine Wette gewonnen, und sollen nun Ihre Hälfte abhaben.«

Er drückte ihm bei diesen Worten fünf Guineen in die Hand; der Herzog war unbemerkt eingetreten und sagte:

»Ah, teilen sich also die Herren in mein Geld! Aber lassen Sie sich sagen, Sir Godfrey, Mr. Grimaldi ist freilich kein Lastträger, allein ich zweifle nicht im geringsten, daß er Ihnen Ihre Dose unter solchen Bedingungen jeden Abend tragen würde.«

Der Herzog kehrte hierauf in seine Loge zurück, und da er sich nicht oft hinter den Kulissen blicken ließ, sah ihn Grimaldi außer diesem nur noch ein einziges Mal, nämlich im Jahre 1824, wo Seine Königliche Hoheit beim Theater-Hilfsfonds-Diner präsidierte und sich bei einem Tischnachbarn nach Grimaldis Befinden erkundigte, auch den Wunsch aussprach, ihm vorgestellt zu werden.

Grimaldi kam dem Wunsche zuvor, indem er sich in seinem Kostüm, dem eines Steward, sogleich zeigte.

Der Herzog war überaus huldreich gegen ihn, gab seinem Bedauern, daß Grimaldi seiner Körperschwäche wegen sein Fach hätte aufgeben müssen, wie auch der Hoffnung Ausdruck, daß er doch wieder in die Lage gesetzt werden würde, in seinem Fache zu wirken, da »sein Verlust ja ein Nationalunglück wäre«, und setzte hinzu, als Grimaldi sich hierfür bedankt hatte, »daß er sich seines Vaters sehr wohl erinnere, daß derselbe ein sehr drolliger Herr gewesen sei und ihm und einer Schwester von ihm Tanzunterricht gegeben habe.« – Er setzte hinzu, »daß sich Grimaldi, sofern er ihm je einmal gefällig sein könne, sich ohne allen Rückhalt an ihn wenden möge.«

In früheren Jahren hatte Grimaldi häufig Georg den Vierten, und zwar noch, als Prinz von Wales, in Drury Lane gesehen, und König Wilhelm besuchte als Herzog von Clarence ebenso oft Covent-Garden, wo sein schlichtes, anspruchsloses Wesen im Gegensatz zu dem abgeschmackten Geckentum der anderen jungen Herren vom Hochadel allgemein vorteilhaft auffiel, und zu mancherlei Bemerkungen Veranlassung wurde, die für die letzteren nichts weniger als schmeichelhaft ausfielen.

Grimaldi trat einmal hastig in das Garderobenzimmer und war nicht wenig erstaunt, den Herzog von Clarence zu erblicken, im Gespräch mit einigen seiner Knaben, die er oft einmal ins Theater mitnahm.

Grimaldi verbeugte sich nicht ohne Verlegenheit und wollte sich wieder entfernen, der Herzog forderte ihn jedoch auf zu bleiben.

»Ich bitte Ihre Königliche Hoheit um Vergebung«, sagte er; »denn ich muß fürchten zu stören.«

»Stören?« wiederholte er lächelnd; »nicht doch! Ich bin der einzige, der hier stört.«

Bei diesen Worten stand er auf und wollte nicht eher wieder Platz nehmen, als bis sich Grimaldi in seiner Nähe gesetzt hatte.

Die Saison in Covent-Garden schloß am 17. Juli. Zwei Tage später hatte er sein Benefiz in Sadlers-Wells, das ihm beinahe 250 Pfund einbrachte, und am folgenden Morgen reiste er ab, um seine Gastspielreise in die Provinz anzutreten. Zunächst ging es nach Liverpool, wo er vom 27. Juli bis zum 19. August spielte. Seine Einnahme betrug hier 327 Pfund, also mehr, als er im Jahre vorher hier gelöst hatte.

Von Liverpool begab er sich nach Lancaster, dessen Theater ein Gegenstück zu dem in Berwick war. Hier trat er an zwei Abenden auf und machte eine Einnahme von 112 Pfund.

Von Lancaster reiste er nach Newcastle, wo er fünfmal auftrat und als seinen Gewinnanteil 244 Pfund einstrich. Hier bekam er ein Schreiben von Harris, worin ihm angezeigt wurde, daß er am 7. September in Covent-Garden sein müßte, da dort die Saison eröffnet würde. Das zwang ihn, sein Engagement in Edinburg aufzugeben, was ihm höchst verdrießlich war, da er bloß eine Tagereise von Edinburg entfernt war und dort auf eine Einnahme von mindestens 500 Pfund hätte rechnen dürfen. Er kehrte nach London zurück und hatte nach ein paar Tagen eine sehr unangenehme Auseinandersetzung mit Harris.

»Ei, Joe!« rief ihm dieser, sichtlich verwundert, entgegen; »ich habe auf ein Wiedersehen mit Ihnen erst in etwa drei Wochen gerechnet!«

Seinerseits nicht weniger verwundert, rief Grimaldi:

»Was? erst in drei Wochen?«

»Freilich, ich habe gemeint, Sie wollten in Schottland spielen!«

»Freilich war das meine Absicht, Sie schrieben mir aber doch, daß ich in diesen drei Tagen wieder hier sein müßte, und ich habe meine Edinburger Reise und bare fünfhundert Pfund schießen lassen, um Ihrer Aufforderung auf der Stelle nachzukommen.«

»Ah, jetzt sehe ich, wie die Sache steht… Sie sind gleich an dem Tage von Newcastle abgereist, an welchem Ihnen mein Schreiben zukam?«

Grimaldi bejahte.

»Schade! Ich habe mich gleich darauf anders besonnen und Ihnen auch wieder geschrieben, daß Sie bis zur ersten Oktoberwoche bleiben könnten. Da Sie nun aber hier sind, wollen wir schon Arbeit für Sie finden. In der anderen Woche werden wir es ein paar Abende mit »Mutter Gans« versuchen.«

Grimaldi sagte nichts darauf, Harris bemerkte seine trostlose Miene und setzte hinzu:

»Lassen Sie es nur gut sein! Denn was Ihr Edinburger Engagement angeht, so will ich Sie seinerzeit schon auf diese oder jene Weise zu entschädigen suchen.«

Grimaldi bedankte sich bei ihm, und Mr. Harris vergaß auch nicht, was er versprochen hatte.

Während seines Aufenthaltes in Newcastle fiel ihm ein, daß dorther der beste Lachs käme, den man in London kannte, und daß er auch seinen Namen nach der Stadt führte. Darum dachte er, sich ihn wohl schmecken zu lassen an der Stätte, wo er doch sicher am besten sein müßte, und bestellte sich ein Gericht davon zum Abendbrote.

Der Kellner antwortete: »Sehr wohl, Sir!« aber in einem Tone, wie wenn er den Auftrag nicht recht verstanden hätte.

Grimaldi fragte ihn deshalb noch einmal, ob er gehört habe, was er wünsche.

»Allerdings, Sir«, antwortete der Kellner, »Sie sollen auch bekommen, was Sie bestellt haben.«

Grimaldi kam nun am Abend in den Gasthof zurück. Der Appetit auf Lachs hatte ihm schon unterwegs den Mund wässerig gemacht. Er fand den Tisch bereits gedeckt. Der Kellner trug eine verdeckte Schüssel auf, hob die Glocke auf, und Grimaldi erblickte – nicht Lachs, sondern Hammelkoteletten.

»Ich habe ja eingemachten Lachs bestellt«, sagte er.

»Ach, ich bitte um Verzeihung, Sir«, sagte der Kellner, nicht ohne Verlegenheit.

»Sie haben es wohl vergessen, Kellner?« fragte Grimaldi.

»Hm, ja – es kann sein – ich muß es wirklich vergessen haben.«

»Na, ich kann ja auch Koteletten essen; aber vergessen Sie es, bitte, nicht wieder, daß ich morgen abend Lachs haben will.«

»Gewiß nicht, Sir«, antwortete der Kellner, und damit hatte die Sache für diesen Abend ihr Ende.

Am nächsten Abend lud Grimaldi den Direktor ein, mit ihm zu speisen. Der Tisch war gedeckt, sie setzten sich, die Glocke wurde abgehoben, und sie sahen – ein Beefsteak.

»Was ist denn das?« fragte Grimaldi den Kellner; »haben Sie den Lachs wieder vergessen?«

»Ich – ich – glaube wirklich, Sie hätten Beefsteak befohlen, Sir. Ich werde Sorge tragen, daß Sie morgen abend Lachs bekommen.«

»Vergessen Sie es aber ja nicht zum dritten Male! Ich reise übermorgen ab, und es ist mir daran sehr viel gelegen!«

»Verlassen Sie sich darauf, Sir!«

Am folgenden Abende fand Grimaldis Benefiz statt. Das Haus war wieder sogut wie ausverkauft, Grimaldi trat als Acres und als Clown auf, nahm sein Geld in Empfang, sagte dem Direktor Lebewohl und eilte ermüdet, sich noch immer auf den Lachs freuend, nach seinem Gasthofe zurück.

»Nicht vergessen, Kellner?«

»Nein, Sir.«

»Schön! bringen Sie mir noch die Rechnung, denn ich reise morgen in aller Frühe ab.«

Der Kellner entfernte die Glocke. Diesmal hatte man Kalbskoteletten darunter verborgen. Grimaldi wurde unwillig und befahl dem Kellner, den Wirt heraufzurufen, der gleich darauf erschien.

Grimaldi trug ihm seine Beschwerde vor, die der Wirt durchaus nicht verstand, bis es endlich nach vielem Hin- und Herreden zur Sprache kam, daß gepökelter Lachs keinem Menschen in Newcastle bekannt war und nur nach London verschickt werde. Der einfältige Kellner hatte keine Ahnung davon gehabt, was Grimaldi eigentlich hatte haben wollen. Es war ihm aber zuwider gewesen, sich als unwissend zu bekennen, und er hatte es daher für das beste gehalten, die am meisten begehrten Gerichte der Reihe nach zubereiten zu lassen in der Hoffnung, endlich doch das richtige zu finden.

Grimaldi besichtigte auf dieser Reise, jedoch nur sehr oberflächlich, ein Kohlenbergwerk. Durch eine interessante Schilderung, die ihm der Theaterdirektor davon gegeben, war seine Neugier geweckt worden. Er wurde in einem Korbe 2 – 300 Fuß hinuntergelassen, und kaum hatte der Führer, der ihn unten im Stollen in Empfang genommen, ein paar Schritte weiter geführt, als ein Kohlenklumpen von drei Tonnen Gewicht dicht hinter ihm herunterstürzte.

»Jesus! Was ist denn das?« rief Grimaldi in großer Bestürzung.

»Was denn weiter?« wurde ihm geantwortet, »es ist bloß ein bißchen, Kohle heruntergerutscht … das passiert immer ein paarmal tagsüber.«

»So? Na, ich – danke!« rief Grimaldi und lief eilends wieder zum Förderkorbe; »fahren Sie mich lieber gleich wieder hinauf!«

Der Korb kam wieder herunter, und Grimaldi konnte es kaum erwarten, bis er wieder oben war. Er verspürte nicht im geringsten Neigung, sich den Kopf von »einem bißchen« Kohle einschlagen zu lassen.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.


Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Gewinn und Verlust. – Grimaldis Sohn auf dem Covent-Garden-Theater. – Sein letztes Engagement in Sadlers-Wells. – Die Riesen im Dubliner Pavillon. – Beunruhigender Gesundheitszustand. – Sein Engagement beim Koburg-Cheater. – Mr. Harris Liberalität. – Grimaldis letztes Auftreten in Covent-Garden. – Besuch in Cheltenham und Birmingham. – Oberst Berkeley, Mr. Charles Kemble und Mr. Bunn.

Durch seine sechswöchentliche Gastspielreise im Jahre 1818 gewann Grimaldi 680 Pfund, aber die schlechte Saison in Sadlers-Wells verschlang die ganze Summe wieder, und er besaß abermals weiter nichts als sein Salär; indessen hoffte er auf Ersatz in der nächstfolgenden Saison.

Die Weihnachtspantomime in Covent-Garden war »Harlekin Donquichotte«. Sie fand nicht den Beifall, den die früheren Pantomimen auf dieser Bühne gefunden hatten, obwohl Grimaldi darin zuerst als Sancho Pansa und dann als Clown auftrat. Man ließ daher im April eine andere folgen: »Harlekin und Aschenbrödel,« die aber auch keine bessere Aufnahme fand und nicht lange gegeben wurde. Im März war er einige Abende unbeschäftigt und nahm deshalb eine Einladung nach Lynn in Norfolk an, wo er viermal auftrat und eine Einnahme von 160 Pfund machte.

In Sadlers-Wells war die diesjährige Eröffnung von vielen Schwierigkeiten und Verlegenheiten begleitet. Zehn Tage vor dem Beginn der Saison legte Dibdin ganz unerwartet seinen Direktorposten nieder und ließ sich kaum bestimmen, die notwendigen Anordnungen auch nur für die erste Woche zu treffen. Es war niemand ausfindig zu machen, der für ihn hätte eintreten mögen, und so mußte sich Grimaldi dazu bequemen und deshalb seine diesmalige Gastspieltour mit all ihren Vorteilen aufgeben. Er brachte eine neue Pantomime eigener Erfindung »Die Schicksalsgöttinnen« zur Aufführung, die sich während der ganzen Saison hielt und auch immer gutbesetzte Häuser erzielte. Hierdurch besserten sich die finanziellen Verhältnisse für die Eigentümer einigermaßen.

Grimaldi merkte zu seiner nicht geringen Besorgnis in diesem Jahre zum ersten Male, daß seine Kräfte langsam abzunehmen anfingen. Zu spät sah er ein, daß ihn eine rechtzeitige Ruhe von längerer Zeit wahrscheinlich in den Stand gesetzt hätte, in seinem Berufe über die Mitte der vierziger Jahre hinaus zu wirken.

Vom September des Jahres 1819, wo Covent-Garden wieder eröffnet wurde, bis Weihnachten, wo die neue Pantomime »Harlekin und der Mönch« in Szene ging, gab er häufig den Kasrak im »Aladdin.«

In dieser Saison wurde sein Sohn auch ständig im Covent-Garden-Theater beschäftigt. Zuerst trat er als Fribble auf, dann in der Rolle des Liebhabers, die einen der lustigsten Pantomimen-Charaktere bildete. Man sah ihn in der Regel als Gigerl kostümiert; in der Handlung begünstigte ihn der Vater der Kolombine, während Kolombine selbst nichts von ihm wissen mochte. Dagegen nahm er regen Teil an der Jagd nach dem Helden und der Heldin der Pantomime, und Sache des Clowns war es, ihn in eine recht lächerliche Situation zu bringen.

Am 23. April übernahm Mr. Howard Payne das Theater auf eine Saison. Da sich kein anderer Direktor hatte finden wollen, war es ihm gelassen worden. Aber auch er büßte einen sehr bedeutenden Betrag ein, und Grimaldi fing der Spekulation langsam müde zu werden an. Da er jedoch allen Grund hatte, mit dem Ertrage seiner beiden Benefize zufrieden zu sein, reiste er im September in bester Stimmung und ohne jede Ahnung, daß er nur noch einmal, nämlich an seinem Abschiedsabend, in Sadlers-Wells auftreten sollte, nach Dublin ab.

Seine Reisegefährten waren Ellar und sein Sohn. Sie hatten zusammen Urlaub bekommen und waren zusammen von Harris, dem Direktor des Dubliner »Pavillon«-Theaters, engagiert worden. Ehedem Verhandlungssaal gewesen, war es vollkommen rund und für Theateraufführungen höchst ungeeignet, die Bühne selbst so eng, daß man, als die Vorbereitungen zum »Harlekin Gulliver« getroffen wurden, beim besten Willen nicht wußte, wohin die Leute aus Brobdignac gebracht werden sollten, denn sie nahmen soviel Raum ein, daß man sie, ehe der Vorhang aufgezogen wurde, im vollen Kostüm in einen dunklen Winkel postieren mußte, aus dem sie, sobald sie auf der Bühne zu erscheinen hatten, hervorgeholt und, wenn sie abtreten mußten, wieder zurückwandern mußten, um dann bis zum Schlusse der Pantomime dort ruhig auszuhalten.

Es blieb den unglücklichen Riesen weiter nichts übrig als sich in ihr etwas prekäres Schicksal zu schicken. Sie erregten Grimaldis Mitleid in hohem Maße, und nachdem die ersten Vorstellungen vorüber waren, fragte er sie, ob sie sich entschließen könnten, auch für die Folge das gleiche Maß von Hitze und Anstrengung zu ertragen.

»Wir haben uns die Geschichte überlegt«, antwortete der Wortführer von ihnen, »und sind für jeden Abend bereit, sofern uns Euer Gnaden einen Whisky nach Schluß der Vorstellung versprechen.«

Das geschah natürlich, und die Riesen betrugen sich fürderhin sehr artig und nett und betranken sich nicht ein einziges Mal.

Sieben Wochen verweilte die Gesellschaft in Dublin. Für Grimaldi war das Gastspiel sehr einträglich, brachte ihm doch sein Benefiz allein 200 Pfund.

Die Pantomime, die in Covent-Garden gespielt wurde, hieß: »Harlekin und Mutter Bunch« – unter welch letzterer Figur eine in Kindermärchen häufig vorkommende Hexe zu verstehen ist – und beide Grimaldis hatten darin Rollen.

Ostern wurde Sadlers-Wells auf drei Saisons an den mit Grimaldi befreundeten Mr. Egerton, einen Schauspieler vom Covent-Garden-Theater, verpachtet; Grimaldi konnte sich aber mit einigen Paragraphen des Vertrags nicht zufrieden geben, sodaß er es vorzog, seine Unterschrift zu verweigern. Dadurch kam es zu einem gespannten Verhältnis zwischen ihm und Egerton. Obgleich dasselbe anhielt, bewahrte Grimaldi dem einstigen Freunde doch immer eine hohe Achtung, die er gewiß auch verdiente.

Im Herbste begaben sich Ellar und Grimaldi Vater und Sohn wieder nach Dublin, verweilten vorher aber noch fünf Wochen in Birmingham, dessen Theater damals in dem Besitze eines Mr. Bunn war. Beide traten hier in der Pantomime »Mönch Baco« auf, die wohl über fünfzigmal gegeben wurde. Mr. Bunn war, wie von ihm bekannt war, höchst liberal und zahlte Grimaldi wöchentlich 20, seinem Sohne 9 Pfund, wozu noch für jeden ein Benefiz aus halben Gewinn an der Einnahme hinzukam.

Grimaldi wurde damals zu seinem unsäglichen Schmerz gewahr, daß es mit seiner Gesundheit immer schlechter wurde, und daß ihm ein frühes und gebrechliches Alter winkte. Am achtzehnten Spielabend wurde ihm im Theater so übel, daß er sich krank melden und einen Arzt zu Rate ziehen mußte. Nach acht Tagen war er wohl wieder so weit, daß er spielen konnte, – er fühlte aber, daß er nicht mehr der alte war, daß seine Kräfte vielmehr zusehends schwächer wurden. Die bösen Ahnungen, die ihn beschlichen, sollten sich auch bald erfüllen, und zwar so plötzlich, daß er selbst, aller früheren Anzeichen ungeachtet, davon überrascht wurde.

Am 6. Dezember reisten sie von Dublin ab nach London zurück, und schon am Tage nach ihrer Rückkehr begannen die Weihnachtsproben in Covent-Garden. Grimaldi hatte die Reise sehr angegriffen; er fühlte sich schwächer denn je vorher.

Die Pantomime, in der er wieder mit seinem Sohne zusammen auftrat, war: »Der gelbe Zwerg«. Sie wurde 44 Mal gegeben, Grimaldi wollte aber trotzdem nicht daran glauben, daß sie beim Publikum in sonderlich großer Gunst stände. Er spielte die Titelrolle, während sein Sohn als Midshipman auftrat.

Sein Gesundheitszustand wurde im Verlauf des Sommers zusehends schlechter. Auf ein paar Tage wurde es wohl dann und wann besser; vielleicht hätte er sich auch jetzt noch, da er in Sadlers-Wells nicht mehr aufzutreten brauchte, den Rest seiner Kräfte erhalten können, wenn er sich hätte entschließen können, während seiner Ferien sich völliger Ruhe hinzugeben. Aber der Pächter des damaligen Koburg- und heutigen Viktoria-Theaters, Mr. Glossop, machte ihm ein so vorteilhaftes Angebot, daß er nicht widerstehen konnte. Er verpflichtete sich zu einem sechswöchentlichen Gastspiele, das ihm eine so bedeutende Summe brachte, daß er es sicher verlängert hätte, wäre ihm nicht so unwohl geworden, daß er der Bühne gänzlich Valet sagen mußte.

Man riet ihm zu einer Brunnenkur in Cheltenham. Im August reiste er dorthin ab, ließ sich aber, als er sich halbwegs besser fühlte, von seinem alten Kollegen Farley, der das dortige Theater gepachtet hatte, zu einem zwölfmaligen Gastspiele bewegen. Er machte eine Einnahme von 150 Pfund und kehrte merkwürdigerweise gesunder und heiterer nach London zurück, als er gerechnet hatte, sodaß er bei Eröffnung der Saison im Covent-Garden-Theater mitwirken konnte.

»Harlekin und Werwolf« mit dem Untertitel »Die schlummernde Schönheit« hieß die Pantomime dieser Saison. Sie fand wiederum die beifälligste Aufnahme. Freilich hatte Mr. Harris es an Fleiß und Kosten nicht fehlen lassen und verstand es auch, seinen Eifer auf die Mitglieder seiner Truppe zu übertragen, für deren Winke und Ratschläge er immer ein williges Ohr hatte. Sämtliche Kostüme wurden auf Direktionskosten angeschafft. Von den Darstellern erhielt jeder ein Maß Wein so oft die Pantomime gegeben wurde, am Tage der ersten Aufführung sogar eine Einladung zu einem splendiden Diner im Piazza-Kaffeehause, wohin sie sich nach beendigter Probe begaben. Farley führte hierbei den Vorsitz, während Brandon sein Stellvertreter war. In dem Stücke wirkte sowohl Grimaldi als sein Sohn. Es hielt sich bis Ostern 1823. Dann wurde das von Farley verfaßte Melodrama »Das Sonnen-Gesicht oder die Peruanische Waise« gegeben. Grimaldi hatte darin eine Hauptrolle, die er aber schon an den ersten Abenden nur mit äußerster Anstrengung durchzuführen vermochte. Es fing ihm an Kraft zu fehlen an; seine Gelenke waren steif, seine Muskeln erschlafften, und heftige Krämpfe waren die stetige Folge der Anstrengungen, die er sich auferlegte. Wenn er von der Bühne abtrat, mußte er von Männern aufgefangen, mußten ihm die Glieder gerieben werden, und zwar solange, bis sein Stichwort fiel.

Die Zuschauer, die sich vor Lachen ausschütten wollten, solange er spielte, hatten keine Ahnung von den gräßlichen Schmerzen, die er zu leiden hatte, während ihm von allen Seiten Beifall geklatscht wurde.

So ging es bis zum vierundzwanzigsten Abend. Da war er nicht mehr imstande, seine Rolle zu Ende zu spielen, und auf den Tod erschöpft, außerstande, ein Glied zu rühren, wurde er in die Garderobe getragen.

Jetzt erinnerte er sich der Entstehung und allmählichen Entwickelung seines Leidens; jetzt fiel ihm wieder ein, daß sich alle Doktoren, die er im Verlaufe der Jahre deshalb konsultiert hatte, vergeblich bemüht hatten, ihm Heilung zu bringen, und die schreckliche Gewißheit, daß er sein Spiel werde einstellen müssen, drängte sich ihm auf. Er schlug die Hände vor das Gesicht und weinte wie ein Kind. Am andern Morgen zeigte er der Direktion an, daß er, schwerer Erkrankung zufolge, seine Rolle aufgeben müsse.

Sein Sohn übernahm die Rolle auf der Stelle und war schon am ersten Abend imstande, sie mit Erfolg zu spielen. Das Stück erlebte 45 Aufführungen; wohl fing Grimaldi’s Zustand sich in der zweiten Woche zu bessern an, zu nochmaligem Auftreten in diesem Stücke ließ er sich aber nicht bestimmen. Die schlimmsten Ahnungen erfüllten ihn; es vergingen aber noch immer ein paar Jahre, ehe er die Hoffnung, sich auf dem Theater noch einmal zu betätigen, gänzlich aufgab.

Im August begab er sich zum zweiten Male nach Cheltenham und erholte sich soweit, daß er wieder ein paarmal auftreten konnte. Das Theater stand auch hier unter Farleys Leitung. Am ersten Abend kam Bunn und erzählte ihm, daß Kemble in Birmingham gastiere und Oberst Berkeley ihm versprochen habe, zu seinem Benefiz aufzutreten – was er öfter einmal tat, schon darum in der Regel mit großem Applaus, weil er ein bildhübscher Mann war und infolgedessen um »Verhältnisse« nicht eben verlegen war – Bunn sagte Grimaldi, in welcher Rolle er zu spielen gedenke. Dann setzte er aber hinzu, daß ihn auch die Absicht hergeführt habe, mit Grimaldi zu sprechen, ob nicht auch er sich bereit finden lassen wolle, ein paarmal in Birmingham mitzuwirken.

Zuerst mochte Grimaldi nichts davon hören; schließlich willigte er aber auf die Bedingungen hin ein, daß er nur zweimal zu spielen gehalten sei und daß ihm die Hälfte der beidesmaligen Einnahme zustehe.

An dem für Kemble festgesetzten Benefiz-Abende traf er mit seinem Sohne in Birmingham ein, hatte aber, da Kemble hier wie überall als bedeutender Künstler Englands außerordentlich beliebt war, nicht unbegründete Besorgnis, daß dieser Umstand ihm selbst von großem Nachteil sein würde, und äußerte noch am selben Abend Kemble gegenüber, in Drury Lane seien seinem Sohne acht Pfund geboten worden; würden ihm die Besitzer von Covent-Garden aber auch nur sechs Pfund bewilligt haben, so hätte er sich darein gefunden, auch unter solcher Bedingung zu spielen, um nicht eine Bühne zu verlassen, wo seinem Vater während so langer Jahre so unsäglich viel Wohltaten zugeflossen seien.

Kemble erwiderte darauf: »Mein lieber Joe, Ihr Anerbieten ist so außerordentlich freundlich, daß ich mich auf der Stelle damit einverstanden erkläre. Ihrem Sohne werden die gleichen Bedingungen bei uns zugestanden, wie sie ihm das Covent-Garden-Theater gewährt hat.«

Grimaldi begab sich in die Garderobe und traf dort den Oberst Berkeley, der ihm sagte, er hätte gar zu gern einmal den Valentin gespielt mit Grimaldi zusammen als Orson. Grimaldi antwortete darauf, daß er es sich selbst zur hohen Ehre anrechne, einmal mit Oberst Berkeley zusammen zu spielen.

»Schön,« sagte der Oberst darauf, »wir wollen die Sache als abgemacht ansehen; sobald Sie hier fertig sind, erwarte ich Sie für einen Abend in Cheltenham. Mit Farley werde ich dann alles notwendige verabreden. Ihr Sohn mag den Grünen Ritter spielen. Ich gebe Ihnen hundert Pfund Renumeration. Wollen mal zusehen, Joe, was wir beide zusammen zur Unterhaltung des Publikums ausrichten können.«

Aber aus diesem Plane sollte nichts werden. Grimaldi gab an Kembles Benefiz-Abend noch eine kleine, von ihm selbst verfaßte Pantomime zum besten: »Puck und die Puddinge,« mit der er einen so stürmischen Applaus erntete, daß er sich um vieles wohler fühlte, als seit langer Zeit, und sich auch bestimmen ließ, noch ein weiteres Mal aufzutreten. Er erntete fast noch mehr Applaus, als an den beiden vorhergegangenen Abenden, und hatte eine Einnahme von 186 Pfund. Bunn gab, als er sie ihm überreichte, der Hoffnung Ausdruck, ihn recht bald, zur Freude ganz Englands, wiederhergestellt und in alter Frische wiederzusehen.

Fünfzehntes Kapitel.


Fünfzehntes Kapitel.

Zerstörung des Covent-Garden-Theaters durch eine Feuersbrunst. – Grimaldi begibt sich nach Manchester, wo ihm, wie auch in Liverpool, ein Unglücksfall zustößt. – Die Kneipe zum »Sir Middleton« in Sadlers-Wells und mehreres von ihren Gästen.

Wie es immer bei Grimaldi war, so auch diesmal: es kamen Umstände, mit denen kein Mensch gerechnet hätte, die ihn um einen Teil des in Birmingham so geschwind verdienten Geldes bringen sollten. Kurz vor der Abfahrt von London nach Birmingham hatte es ihm an Geld gefehlt. Er hatte einen Freund, in den er volles Vertrauen setzte, damit beauftragt, ihm einen Wechsel in Höhe von 150 Pfund zu diskontieren. Der Freund hatte den Wechsel genommen, eingesteckt und versprochen, abends das Geld zu bringen. Der Abend war wohl gekommen, nicht aber das Geld, und das Geld war auch noch nicht da, als Grimaldi aus Birmingham zurückkehrte. Der Freund war nirgends zu finden, dafür hatte Grimaldi bald darauf das Vergnügen, die ganze Summe zu bezahlen, ohne einen Heller von dem Gelde gesehen zu haben.

Während der Saison 1808 hatte Grimaldi seine vornehmste und glücklichste Rolle in der Burlette »Der schnurrige Kauz oder: Mrs. Scaite im Serail« zu spielen. Es war ein abgeschmacktes und triviales Machwerk, dessen Held, von Grimaldi gespielt, Jeremias, Sohn einer Fischhändlerswitwe Scaite, von Grimaldis Mutter gespielt, der »Hans im Glück« war. Auch Grimaldis, nebenbei gesagt, sehr häßliche Frau hatte eine Rolle in dem Stück. Grimaldis beiden Benefize fielen aufs glänzendste aus, und das Theater wurde am 26. September nach einer höchst gewinnreichen Reihe von Abenden geschlossen.

Die Saison in Covent-Garden, die mit dem 13. Juli zu Ende gegangen war, begann wieder am 12. September. Sieben Tage später brannte das Schauspielhaus bis auf den Grund ab. Die Bühne wurde nach dem italienischen Opernhause, in der Folge nach dem Haymarket-Theater verlegt.

Da man jedoch für Grimaldi dort zurzeit keine Verwendung hatte, nahm er eine Einladung nach Manchester an, dessen Theater damals unter der Leitung der Herren Ward, Lewis, Knight stand.

Zwischen den beiden damals den Verkehr Londons mit Manchester verbindenden Postkutschen-Gesellschaften bestand ein lebhafter Wettbewerb. Aus Rücksicht auf die Sicherheit der Passagiere war ihnen von der Behörde aufgegeben worden, daß keine ihrer Kutschen der andern vorausfahren dürfe. Grimaldi hatte seinen Sitz in der Hinteren bekommen. In Maclesfield gerieten die beiden Kutschen, als sie hielten, um die Pferde zu wechseln, so hart aneinander, daß beide umgeworfen wurden. Glücklicherweise kamen sämtliche Reisende ohne Schaden davon, Grimaldi kam insofern am schlechtesten dabei weg, als fünf starke Männer auf ihn zu liegen kamen, unter deren Wucht er sich nur mühsam hervorarbeiten konnte.

Er spielte in Manchester an sechs Abenden und einmal in Liverpool. Seine Einnahme aus diesem siebenmaligen Auftreten bezifferte sich auf 251 Pfund.

Es begegneten ihm dabei ein paar Unglücksfälle, die bös genug abliefen, leicht aber noch böser hätten ablaufen können, In Manchester arrangierte er eine nette kleine Pantomime, »Luftschlösser« betitelt, in der er natürlich wieder den Clown spielte. Gleich in der ersten Szene hatte er aus einer großen, mitten auf der Bühne stehenden Bowle herauszusteigen, die die Aufschrift »Stachelbeer-Narr« trug, und konnte nur durch eine von ihr versteckte Versenkung hinein gelangen. Gleich bei der ersten Vorstellung rissen die Stricke, als er schon mit der Bühne in gleicher Höhe sich befand, und er stürzte wieder hinunter in die Tiefe. Im ersten Augenblick war er wie betäubt, kam aber bald wieder zu sich, ging die Treppe hinauf, betrat die Bühne und spielte, wie wenn ihm gar nichts passiert wäre.

Während des ersten Auftritts verspürte er noch Schmerzen, die aber in der Aufregung, in die ihm seine Rolle versetzte, sich allmählich legten, und als die Pantomime zu Ende war, fühlte er sich so munter, wie zu Anfang derselben.

Das Theater in Liverpool stand unter der gleichen Direktion wie das zu Manchester. Die ganze Truppe reiste dorthin und nahm auch den Maschinisten mit. Grimaldi kanzelte ihn wegen seiner Fahrlässigkeit tüchtig ab und ermahnte ihn, sich in Liverpool größerer Achtsamkeit zu befleißigen. Wohl versprach er es, hielt aber leider nicht Wort. Eben tauchte Grimaldi unter dem Jubel des Publikums aus der Bowle hervor – es wurde natürlich in Liverpool die gleiche Pantomime aufgeführt wie in Manchester – als die Stricke abermals nachgaben, so daß er in der Versenkung hängen blieb. Eine Zeitlang gelang es ihm, sich festzuhalten; schließlich stürzte er aber doch hinunter und verletzte sich dabei die Schultern. Er litt empfindliche Schmerzen, so daß er die erste Szene nur mit der größten Mühe zu Ende spielen konnte; dagegen spielte er alle übrigen, durch den Beifall des Publikums angefeuert, ohne auch nur an seinen Anfall noch zu denken.

Als aber das Nachspiel vorüber war – eine jener unter dem Schlagwort »Entertainents« üblichen Dialoge, mit Liedern und Tänzen durchsetzt, die sowohl szenarisch als auch inhaltlich in der Regel das beste bieten – und er sich auf den Heimweg nach seinem Gasthause machte, konnte er vor Schmerzen kaum vom Flecke. Er nahm zu seiner bewährten Einreibung Zuflucht, wurde aber in einem Zustande großer Hilflosigkeit zu Bett gebracht und mußte sich am andern Morgen in den Wagen, in welchem er nach London zurückfuhr, tragen lassen.

Er spielte auf dem Haymarket-Theater nur selten bis nach Weihnachten. Dort wurde dann die »Mutter Gans« mit einer neuen Schlußszene wiedergegeben, in der man die Trümmer des Covent-Garden-Theaters erblickte, durch Harlekins Zauberrute in ein neues und glänzendes Gebäude verwandelt.

Im März trat er zum ersten Wale in der Pantomime »La Peyrouse« als Kanko auf, einer sehr anstrengenden pantomimischen Rolle, die aber kein Clown war. Am 23. Mai hatte er sein Benefiz. Ein paar Abende nachher schloß die Saison und mit ihr, wie hier bemerkt werden mag, die Kunstlaufbahn des berühmten Lewis, der sich, zu dieser Zeit von der Bühne ganz zurückzog.

Im folgenden Jahre brachte Sadlers-Wells keine besondere Novität. Ein Stück, »Johnnie Armstrong«, worin Grimaldi den Kirstie, eine Art »Prüfstein« – wie der Narr in Shakespeares »Wie es Euch gefällt«, spielte – fand großen Beifall, und die Saison erwies sich als höchst gewinnreich, wie damals alle in Sadlers-Wells-Theater.

Dort wurde die Pantomime in der Regel zuerst gegeben, so daß Grimaldis Obliegenheiten in der Regel um halb neun Uhr zu Ende waren. Dann begab er sich in der Regel auf ein Stündchen in das Gasthaus »Zum Sir Middleton«, trank mit ein paar guten Bekannten ein Gläschen Wein, mit Wasser vermischt, und kutschierte dann in seinem Gig nach Finchley hinüber.

In diesem Gasthof war er hie und da mit einem gewissen George Hamilton zusammen, einem jungen Manne aus Clerkenwell, der ein Juweliergeschäft betrieb und ein sehr angenehmer Gesellschafter, aber leichter Vogel war, gern einen über den Durst trank, viel Geld durchbrachte, sich wenig um sein Geschäft bekümmerte, nicht gern davon hörte, daß er ein Geschäft betrieb, sondern sich lieber als vornehmer Herr aufspielte.–

Dabei war er ein gewandter Kaufmann und verdiente sehr gut in seinem Geschäft, allgemein ging aber die Rede, daß er weit mehr ausgebe, als er einnehme. Grimaldi war ein gutherziger Mensch und wollte ihn oft zum bessern lenken, aber Hamilton ließ von seinem leichtsinnigen Wandel nicht ab.

Hamilton hatte auch ein körperliches Gebrechen, es fehlte ihm nämlich der dritte Finger an der linken Hand. Er bemühte sich immer, dieses Gebrechen zu verstecken dadurch, daß er ein paar andere Finger einzog, so daß es, wenn er die Hand einmal sehen lassen mußte – was er nicht gern tat – dann immer aussah, als wenn er bloß zwei Finger hätte.

Grimaldi machte seine Bekanntschaft zuerst im Jahre 1808, seit Ostern 1809 traf er aber häufiger mit ihm zusammen. In der Zwischenzeit hatte Hamilton sich verheiratet und brachte, wie es damals bei den Gewerbetreibenden Brauch und Sitte war, häufig seine junge hübsche Frau mit ins Gasthaus.

Grimaldi achtete anfangs wenig darauf, bis ihm auffiel, daß sich mit Hamilton eine ernstliche Veränderung vollzog. Der junge Mann wurde heftig und reizbar, führte unzusammenhängende Reden, und schon in seinem Blick und seinen Mienen verriet sich ein höchst unruhiges Gemüt. Auch in seiner Kleidung hatte sich viel geändert, er hatte sich früher immer wie ein anständiger, in behäbigen Verhältnissen lebender Bürger getragen, entfaltete jetzt aber einen eigentümlichen Prunk, trug eine Menge Ringe und andere Schmucksachen, verletzte die anderen ehrsamen Bürger, die im »Sir Middleton« verkehrten, durch geringschätzige Reden über das Handwerk und dessen Betrieb, und geriet häufig in ernsten Wortwechsel darüber.

Seine Frau war darüber sichtlich sehr unglücklich. In ihrer Gegenwart nahm er sich freilich immer zusammen, trank auch nicht soviel wie sonst, wenn er allein einkehrte, hatte aber der Unarten noch übergenug an sich, daß sie, wenn sie sich unbemerkt wähnte, oft die bittersten Tränen weinte.

Eines Abends brachte er einen Kumpan mit, der durch sein Aussehen und Benehmen vom ersten Augenblicke an das lebhafteste Mißtrauen weckte, Hamilton stellte ihm Grimaldi vor, der sich aber, als er merkte, daß beide schon einen Rausch hatten, ablehnend gegen jede Unterhaltung verhielt und sich, sobald es unauffällig geschehen konnte, aus dem Gasthaufe entfernte.

Von da ab kamen die beiden Kumpane häufiger zusammen in dem »Sir Middleton«, und gar bald fiel es auf, daß Hamilton den Fremden immer dann mitbrachte, wenn er einen Rausch hatte. Niemand kannte denselben und niemand mochte ihn leiden. Die Stammgäste des Hauses steckten dann immer die Köpfe zusammen und schüttelten bedenklich und geheimnisvoll die Köpfe.

Eines Abends saß Grimaldi allein und in die Lektüre eines Zeitungsblattes vertieft in der Gaststube, als Hamilton in Begleitung seiner Frau und eben dieses Fremden auch eintrat, Hamilton war so berauscht, daß er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Seine Frau hatte verweinte Augen, dagegen zeigte der Fremde ein höchst vergnügtes, doch um so häßlicher wirkendes Gesicht.

Grimaldi hielt sich das Zeitungsblatt so vor das Gesicht, daß ihn die drei Leute nicht sehen konnten, aber er merkte genau auf das Gesprächs das sie zusammen führten, Hamilton ließ Bier kommen, seine Frau bat ihn, doch lieber mit nach Hause zu gehen, er versprach es ihr, sobald er sein Glas ausgetrunken haben würde, war aber, als es vom Kellner auf den Tisch gesetzt wurde, bereits eingeschlafen.

Grimaldi hatte jetzt zum ersten Male den Namen des Unbekannten, Archer, gehört. Ein paar Minuten betrachtete nun dieser seinen in Schlaf versunkenen Kameraden, dann beugte er sich plötzlich zu dessen Frau hinüber und stieß sie mit dem Ellbogen an. Die Frau blickte erschrocken auf. Der Wicht blinzelte verächtlich nach dem Trunkenbolde hinüber, nahm ihre Hand und drückte sie auf eine kaum mißzuverstehende Weise. Die Frau sprang entrüstet auf und warf Archer einen niederschmetternden Blick zu. Aber eine Stunde saß er nun mit verschränkten Armen da, wandte die Augen nicht vom Boden, raffte sich aber endlich auf und half der Frau, ihren betrunkenen Mann zu wecken.

Hamilton schüttete den Inhalt seines Glases hinunter, und nun entfernten sich die drei Leute wieder. Die Frau ging Archer sichtlich aus dem Wege und vermied es auch, ihn nur mit dem Arme zu streifen.

Der Auftritt hatte Grimaldi in unbeschreibliche Erregung versetzt. Er blieb eine ganze Stunde länger als sonst in dem Gasthause sitzen und ging ernstlich mit sich zu Rate, wie er sich Hamilton gegenüber verhalten solle. Zuerst hielt er es für das beste, Hamilton scharf ins Gebet zu nehmen, dann aber schien es ihm für geratener, erst mit seiner Frau über den Fall zu sprechen und ihrer Entscheidung das weitere Verhalten anheimzustellen. Seine Frau riet ihm, sich mit der Sache nicht weiter zu befassen, sondern es der Klugheit und dem Pflichtgefühl von Hamiltons Frau zu überlassen, ihren Mann auf die rechte Bahn zu führen und vor dem hinterhältigen Freunde zu warnen.

Das nächste mal traf er im »Sir Middleton« Hamilton allein, der ihm sogleich zunickte und sich erkundigte, ob er noch immer nach Finchley hinaus führe.

»Nein«, antwortete Grimaldi; »aber ich wollte, ich könnte es. Leider hält mich eine Verpflichtung in der Stadt davon ab.«

»Ich dachte, Sie führen alle Abende im Sommer hinaus«, warf Hamilton gleichgültig hin.

»Nein, alle Abende nicht, aber doch fünfmal in der Woche.«

»Fahren Sie morgen hinaus?« fragte Hamilton, »Morgen bestimmt«, antwortete Grimaldi, »in dieser Woche überhaupt jeden Abend, nur eben heute nicht.«

Darauf sagten sie einander gute Nacht und gingen auseinander.

Es kamen aber am andern Tage ein paar Kollegen von auswärts nach London und besuchten Grimaldi, so daß er auch an den nächsten beiden Tagen nicht die Fahrt nach der Stadt antreten konnte.

Am vierten Tage darauf aber, am 9. Juli, ging er wieder in den »Sir Middleton«, um vor der Heimfahrt noch ein Gläschen zu trinken. Da erinnerte er sich lebhaft an die unglückliche Frau und ihren leichtsinnigen Mann und erkundigte sich, ob etwa dieser zugegen sei. Man antwortete ihm, Hamilton hätte sich seit dem Abend nicht mehr sehen lassen, an welchem Grimaldi mit ihm zum letzten Male gesprochen hätte.

Als Grimaldi seine Zeche bezahlen wollte, sah er erst, daß er nur zwei Einpfundnoten bei sich hatte. Er gab dem Aufwärter eine, um sie wechseln zu lassen, und steckte die andere in die Westentasche. Es war seine Gewohnheit, Banknoten in einer Brieftasche bei sich zu führen, die er aber zu Hause hatte liegen lassen.

Der Aufwärter brachte ihm das Geld, das er herausbekam. Er bestieg sein Gig und fuhr ab. In Tottenham Court Road wurde er durch ein Geschäft und in Kentish Town durch einen Freund abgehalten, mit dem er ein halbes Stündchen verplauderte, so daß es fast Mitternacht geworden war, als er sich seiner Wohnung näherte.

Erstes Kapitel.


Erstes Kapitel.

Sein Großvater und Vater. – Seine Geburt und erstes Erscheinen auf den Theatern in Drury-Lane und Sadlers-Wells. – Seines Vaters Strenge. – Der Earl von Derby und die Perücke. – Die Vermögensbüchse und der Guttätigkeit Lohn. – Seines Vaters Scheintod, und sein und seines Bruders Benehmen dabei.

Joseph Grimaldi’s Großvater väterlicherseits war sowohl dem französischen als italienischen Publikum als ein ausgezeichneter Ballett-Tänzer bekannt. Er war so gewandt und stark, daß man ihm den Beinamen »Eisen-Bein« gab. Dibbin erzählt in seiner Geschichte der Bühne mehrere hierauf bezügliche Anekdoten von ihm, wie denn auch deren viele im Umlaufe sind; die nachstehende ist vollkommen wahr. Eines Abends tat er auf der Bühne einen ungewöhnlich hohen Sprung, vielleicht in einem, durch die Anwesenheit des türkischen Gesandten, der sich mit seinem Gefolge in der Seiten-Loge befand, veranlagten absonderlichen Enthusiasmus. Er zerbrach dabei einen der Kronleuchter, die in jener Zeit über den Bühnen-Türen hingen, wobei dem Gesandten ein Stück vom Glasgehänge in das Auge oder doch das Gesicht flog. Da die Würde des gewichtigen Mannes verletzt war, wurde eine förmliche Klage bei dem französischen Hofe erhoben, der an Eisen-Bein das ernste Gebot ergehen ließ, um Verzeihung zu bitten, was Eisen-Bein auch in seiner gebührenden Form zu seiner eigenen, des Hofes, des Publikums und mit einem Worte, jedermanns großer Belustigung tat. Die große Angelegenheit endigte mit einem Kuplet.

Der erste Grimaldi in England war Eisenbein’s Sohn und Joseph’s Vater. Er kam im Jahre 1760 als Dentist der Königin Charlotte nach England. Er war in Genua geboren, war ausgezeichnet als Dentist, wendete sich aber mit noch größerer Vorliebe der Tanzkunst zu, bat die Königin bald nach seiner Ankunft in England, ihn zu entlassen, und fing an Tanz- und Fecht-Unterricht zu geben, wobei er seinen Schülern bisweilen kleine Proben seiner vormaligen Kunst gab. In jenen Tagen der Menuetts in Kotillons waren die Tanzübungen eine weit mühsamere und ernsthaftere Angelegenheit, als sie es jetzt sind, und die jüngeren Zweige des Adels und der Reichen beschäftigten Grimaldi fortwährend. Es wurde gesagt, er habe seine Stelle bei Hofe infolge unfeinen Benehmens und einer Respekt-Widrigkeit gegen den König verloren, welche Beschuldigung sein Sohn sich stets sehr zu Herzen nahm, und deren Grundlosigkeit zur Genüge daraus hervorging, daß sich der König und die Königin bei allen möglichen Gelegenheiten stets als seine huldreichen Beschützer erwiesen.

Grimaldi gelangte auf seiner neuen Laufbahn zu einem bedeutenden Rufe, und wurde daher zum Balett-Meister und ersten Buffon beim alten Drury Lane- und Sadlers Wells-Theater ernannt, in welcher Doppeleigenschaft er ein großer Liebling des Publikums und Ihrer Majestäten wurde, die fast wöchentlich die Aufführung einer Pantomime befahlen, deren Held Grimaldi war. Er stand in dem Rufe großer Rechtschaffenheit und Wohltätigkeit. Auch hatte man ihm – ein Umstand, dessen sein Sohn stets mit gerechtem Stolze erwähnte – niemals trunken gesehen; eine ziemlich seltene Tugend der Bühnenkünstler neuerer Zeit, deren sich zu befleißigen berühmtere als er sehr wohl tun würden.

Er scheint ein äußerst wunderlicher und exzentrischer Mann gewesen zu sein, was man bei den von ihm anzuführenden kleinen Charakter-Zügen nicht übergehen darf. Er kaufte einst einen Garten in Lambeth, nahm in einem ungewöhnlich unfreundlichen Winter Besitz davon, und konnte es schier nicht erwarten, wie sich derselbe in voller Blütenzeit ausnehmen würde, so daß er ihn mit einer Ungeheuern Menge künstlicher Blumen schmückte, und die Bäume mit den schönsten grünen Blättern, sowie mit Früchten bis zum Brechen belud, die natürlich gleichfalls künstliche waren.

Zu seinen sonderbaren Charakterzügen gehörte eine unbestimmte und heftige Furcht vor dem vierzehnten Tage jedes Monats. Er war bei dem Herannahen desselben stets reizbar, unruhig und ängstlich; unmittelbar nach ihm aber wieder ein ganz anderer Mann, und rief dann aus: »Ah! Jetzt sein ick wieder sicher auf einen Monat!« Es ist bemerkenswert, daß er wirklich an einem vierzehnten März starb, so wie er auch am vierzehnten dieses Monats geboren und getauft war und sich verheiratet hatte.

Man erzählt ähnliche Anekdoten von Heinrich dem Vierten und anderen; die hier erzählte ist vollkommen verbürgt, und kann dem Verzeichnisse der Ahnungen, oder wie man es nennen will, als ein wahrhaftes Beispiel hinzugefügt werden.

Grimaldi war krankhaft reizbar und trübsinnig im höchsten Grade, und hatte eine fast unbeschreibliche Furcht vor dem Tode. Er wanderte oft stundenlang auf Kirchhöfen oder Begräbnisplätzen umher, grübelte über die Krankheiten, an welchen die in den Gräbern um ihn her Liegenden gestorben sein möchten, malte sich ihre Sterbe-Betten vor, und überrechnete, wie viele von ihnen wohl lebendig begraben wären; eine Möglichkeit, an welche zu denken er schauderte, und die ihn sein Leben lang bis an sein Ende mit peinlicher Angst erfüllte. Er verfügte daher in seinem Testamente, daß man ihm, bevor sein Sarg verschlossen würde, den Kopf abschnitte, was auch in Gegenwart mehrerer Personen geschah.

Sonderbar genug wählte er den Tod, der ihm in seinen unbeschäftigten Augenblicken fast unaufhörlich und unter den düstersten und qualvollsten Gedanken und Empfindungen vor Augen schwebte, zum Gegenstande seiner beliebtesten Szenen in den Pantomimen der damaligen Zeit. Unter vielen andern derselben Art erfand er die wohlbekannte Skelett-Szene für den Clown, welche damals äußerst beliebt war und noch jetzt bisweilen dargestellt wird.1 Die Tatsache ist gleich merkwürdig, gleichviel ob es wahr ist, daß die Hypochondristen am geneigtesten sind, über die Dinge zu lachen, die ihnen insgeheim am meisten Verdruß, oder Bangigkeit erregen, sowie diejenigen, die an Geister-Erscheinungen glauben, sich am ungläubigsten auszusprechen pflegen; oder ob die erwähnten düsteren Vorstellungen das Gemüt des unglücklichen Mannes so unablässig beunruhigten, daß selbst seine Heiterkeit eine schauerlich düstere Färbung annahm, und seine Laune groteske Gegenstände in den Gräbern und Beinhäusern aussuchte.

Zur Zeit der Lord George Gordon-Aufläufe2, als die Londoner, um ihre Häuser vor der Wut des Pöbels zu schützen, an die Türen die Worte schrieben: »Kein Papsttum!« schrieb er, um es mit keiner Partei zu verderben und der Möglichkeit zu begegnen, irgend einen durch sein Glaubens-Bekenntnis zu beleidigen: »Gar keine Religion!« an die seinige, und erreichte seinen Zweck; wir wissen indes nicht zu sagen, ob durch den Humor seines Wahlspruchs, oder die Folge davon, daß der aufrührerische Haufen nicht durch die Straße kam, in welcher er wohnte.

Am 18. Dezember 1779, dem Jahre, in welchem Garrick starb, wurde Joseph Grimaldi, »der alte Joe«, in der Stunhope Straße, Clare Market, in welchem Stadtteile damals, wie jetzt, ein großer Teil des Theaterpersonals wegen der Nähe der Schauspielhäuser wohnt, geboren. Sein Vater war damals über siebenzig Jahre alt, und fünfundzwanzig Monate später wurde demselben noch ein Sohn geboren – Joseph’s einziger Bruder.

Das Knäblein blieb nicht eben lange im Zustande der hilflosen und uneinträglichen Kindheit, denn schon in dem Alter von einem Jahre und elf Monaten wurde es von seinem Vater auf dem alten Drury-Lane-Theater produziert, wo es seine erste Verbeugung machte und seinen ersten Purzelbaum schlug. Das Stück, in welchem es sein frühreifes Talent entfaltete, war die wohlbekannte Pantomime Robinson Crusoe, in welcher der Vater die Rolle des schiffbrüchigen Seemanns, und der Sohn die des kleinen Clown hatte. Des letzteren Erfolg war vollkommen; er wurde sofort engagiert, und erhielt ein wöchentliches Salär von fünfzehn Schillingen, und mit jedem Jahre eine neue und hervorstechende Rolle. Er wurde ein Liebling sowohl, beim Publikum, als hinter den Kulissen, und hieß im Garderobe-Zimmer der »kleine kluge Joe«; Joe wurde er bis an das Ende seiner Tage genannt.

Im Jahre 1782 trat er zuerst in Sadlers Wells in der schwierigen Rolle eines Affen auf, und war glücklich genug, in derselben soviel Beifall zu finden, als er in der eines Clowns in Drury Lane gefunden hatte. Auch in Sadlers Wells wurde er sogleich regelmäßiges Mitglied der Truppe, und blieb es (mit Ausnahme einer einzigen Saison) neunundzwanzig Jahre, bis an das Ende seines Künstler-Lebens.

Seine Mühen nahmen jetzt einen ernsten Anfang, da er zwei Engagements hatte, welche ihn verpflichteten, an demselben Abende und fast zu derselben Zeit auf zwei Theatern aufzutreten. Die Aufgabe, schwer genug schon für einen Mann, war es umsomehr für ein Kind, und man wird sehen, wenn zu irgend einer Periode seines Lebens seine Einnahmen sehr bedeutend waren, auch die Geistes- und Körper-Anstrengungen nicht minder groß genannt werden mußten, durch welche jene errungen wurden. Die schauspiel-närrischen jungen Leute, die unermüdlichen Besucher der öffentlichen und Privattheater, die es so sehnlich verlangt, auf die Bühne zu gehen, weil es »so leicht« sei, Schauspieler zu sein, lassen sich wenig von all den Sorgen, sauren Mühen und Entbehrungen träumen, welche die Summe des Lebens der meisten Schauspieler ausmachen.

Wir bemerkten oben, daß der Vater Grimaldi’s ein exzentrischer Mann gewesen wäre; er scheint es besonders und etwas unangenehm bei Züchtigung seines Sohnes gewesen zu sein. Der Knabe, der zu Possen aller Art auf dem Theater erzogen wurde, war überall ebenso sehr Clown, Affe, oder was sonst possierlich und lächerlich sein mochte, als auf der Bühne; die Damen und Herren im Garderobezimmer munterten ihn dazu auf, und er trieb seine Späßchen fast ebenso sehr zu ihrer, als zu des Publikums Ergötzlichkeit. Dieses alles wurde jedoch sorgfältig vor dem Vater geheim gehalten, der, wenn etwas davon zu seiner Kunde gelangte, Joe regelmäßig derb dafür abprügelte, ihn dann bei den Haaren aufhob und mit der Warnung, sich ja nicht von der Stelle zu, rühren, in einen Winkel trug. Joe rührte sich jedoch trotzdem von der Stelle. Mit dem Vater verschwanden auch seine Tränen, und mit vielen seiner komischen Gebärden und Mienen, welche später so beliebt wurden, begann er seine Possen von neuem und mit verdoppelter Lebhaftigkeit, worin ihn nur der Ruf: »Joe, Joe, Dein Vater kommt!« unterbrechen konnte, worauf er denn in seinen Winkel zurückeilte und wieder zu weinen anfing, als wenn er gar nicht aufgehört hätte.

Dies wurde allmählich eine regelmäßige Belustigung, und man rief: »Joe, Joe, Dein Vater kommt!« wenn der Vater auch nicht kam, um das Vergnügen zu haben, Joe in seinen Winkel zurücklaufen zu sehen. Joe merkte dies bald, verwechselte häufig die ernsthafte mit der scherzhaften Warnung, und empfing mehr Schläge als zuvor von seinem, wie er sich in seiner Handschrift ausdrückt, »strengen aber vortrefflichen Vater«.

Einst war er zu seiner Lieblingsrolle des kleinen Clown in Robinson Crusoe angekleidet, und sein Gesicht gerade so wie das seines Vaters bemalt, worauf zum Teil das Komische seiner Rolle beruhte, als ihn der alte Herr in das Garderobenzimmer brachte, ihn in seinen gewöhnlichen Winkel setzte, ihm streng anbefahl, sich kein Haar breit von der Stelle zu rühren und wieder hinausging. Zufällig trat in demselben Augenblicke, der das Garderobenzimmer zu jener Zeit beständig besuchende Earl von Derby3 herein, und rief den Knaben gutmütig zu sich, dessen trübselige Mienen mit seinem Anzug so wenig übereinstimmten. Joe schnitt ein höchst merkwürdiges Gesicht, blieb aber wo er war. Der Earl lachte und blickte nach einer Erklärung umher.

»Er darf nicht von der Stelle,« nahm Miß Farren das Wort, welcher Dame der Lord damals sehr den Hof machte und die er später ehelichte. »Sein Vater schlägt ihn sonst.«

»Schlägt ihn!« wiederholte der Lord, und Joe schnitt zur Bekräftigung der Aussage Miß Farren’s ein noch weit merkwürdigeres Gesicht.

»Ich glaube,« sagte der Lord abermals lachend, »er hat nicht soviel Furcht vor seinem Vater, als Sie glauben. Komm her, Kleiner!«

Bei diesen Worten hielt er ihm eine halbe Krone entgegen, und Joe, dem der Wert des Geldes sehr wohl bekannt war, sprang aus seinem Winkel hervor und bemächtigte sich mit pantomimischer Raschheit des Geldstücks und war im Begriff zurückzueilen, als ihn der Earl am Arme festhielt.

»Schau hier, Joe!« sagte der Earl. »Nimm Deine Perücke ab, wirf sie in das Feuer, und Du bekommst noch eine halbe Krone.«

Gesagt, getan. Joe schlenderte seine Perücke in das Feuer. Es entstand ein schallendes Gelächter. Der Knabe hüpfte mit einer halben Krone in jeder Hand im Zimmer umher, und der Earl, besorgt wegen der Folgen, war damit beschäftigt, mit Zange und Schüreisen die Perücke den Flammen zu entreißen, als der Vater im vollen schiffbrüchigen Seemanns-Anzug eilig hereintrat. Es war ein Glück für den kleinen Joe, daß Lord Derby kräftige Fürsprache für ihn einlegte, denn sonst hätte es leicht sein können, daß der Kleine lebendig begraben wurde. Vor einer tüchtigen Tracht Schläge war er indes doch nicht zu schützen. Die Tränen liefen ihm über die zolldick bemalten Wangen dermaßen hinab, daß die Farben gänzlich verwischt wurden und daß er fast so wenig einem kleinen Clown als einem menschlichen Wesen mehr ähnlich sah, mit welchen beiden Charakteren er nur noch die entfernteste Ähnlichkeit hatte. Er wurde fast unmittelbar darauf gerufen, und der heftig Erzürnte bemerkte die mit ihm vergangene Veränderung erst, als Joe auf die Bühne kam und ein allgemeines und schallendes Gelächter entstand. Er wurde noch wütender als vorhin, prügelte ihn sogleich noch tüchtiger ab, und das Kind schrie auf das Fürchterlichste. Die Zuschauer nahmen alles für einen höchst vortrefflichen Spaß, ein Gelächter- und Beifalls-Sturm erschütterte das Haus, und die Blätter erklärten am folgenden Morgen, daß es wahrhaft wunderbar gewesen wäre, wie natürlich das Kind gespielt hätte, was den Lehrgaben seines Vaters die größte Ehre machte.

Der Vorfall wirft ein bedeutsames Streiflicht auf die Schauspieler-Leiden. Scherze auf den Lippen und Tränen in den Augen, fröhliche Mienen und Wehe im Herzen haben hundertmal denselben Gelächter- und Beifallssturm hervorgerufen. Halbverhungerte werden fast ohne Ausnahme auf der Bühne belacht – die Zuschauer haben ihr Mittags- oder Abendessen gehabt.4

Die härteste Strafe für den Knaben bestand darin, daß er sich seiner fünf Schillinge beraubt sah, die der vortreffliche Vater in seine eigene Tasche steckte, vielleicht auch weil er Joe’s Salär in Empfang nahm, und mit Goldsmith´s Bärenführer meinte, daß »alles hübsch beieinander sein müßte«.5

Der Earl gab indes Joe eine halbe Krone, so oft er ihn späterhin sah, und Joe hatte große Ursache zum Kummer, als Seine Herrlichkeit Miß Farren heiratete und sich in der Garderobe nicht mehr blicken ließ.

Auf dem Sadlers Wells wurde er fast eben so schnell beliebt, als im Drury Lane-Theater. Der Schauspieler King, der Haupteigentümer des ersteren und Direktor des letzteren war, hielt nicht wenig von ihm, und schenkte ihm bisweilen eine Guinee, um sich ein Schaukelpferd, einen Wagen, oder anderes Spielzeug, das er sich eben wünschte, dafür zu kaufen. Bei einer der Vorstellungen des ersten Stückes, in welchem der kleine Joe in Sadlers Wells auftrat, machte er zum ersten Male ernstlich Effekt, wobei ihn jedoch nur das Glück, das ihn in solchen Fällen stets begleitet zu haben scheint, vor dem Schicksal bewahrte, unfähig zu werden, jemals wieder auftreten zu können. Er stellte einen Affen vor, und mußte in dem ganzen Stück um den Clown (seinen Vater) sein. In einer Szene hatte ihn der letztere an der Kette, und wirbelte ihn auf Armeslänge mit der größten Schnelligkeit in der Luft herum. Eines Abends zerriß die Kette, und Joe flog weit in das Parterre hinein, jedoch glücklicherweise ohne den mindesten Schaden zu nehmen, da er wie durch ein Wunder einem, mit gespannter Aufmerksamkeit zuschauenden Herrn in die Arme geschleudert wurde.

Zu den vielen Personen, die sich ihm in dieser frühen Periode seiner Laufbahn freundlich geneigt erwiesen, gehörte das berühmte Seiltänzerpaar, Mr. und Mrs. Ridge, zu jener Zeit der kleine Teufel und die schöne Spanierin genannt. Sie gaben ihm häufig eine Guinee, die ihm sein Vater regelmäßig wegnahm, in eine Büchse, auf welche des kleinen Joe’s Name geschrieben stand, hineinsteckte, und dieselbe sorgfältig verschloß, worauf er dann dem Knaben den Schlüssel gab und zu ihm sagte: »Merk, Joe, das sein Dein Vermögen, wenn ick tot sein.« Joe kam indes um die Büchse wie um sein ganzes Vermögen, wie wir bald sehen werden.

Da er beinahe vier Monate im Jahre Theaterferien hatte, indem die Weihnachtspantomime im Drury Lane selten länger als vier Wochen gegeben wurde, und die Vorstellungen in Sadlers Wells erst Ostern ihren Anfang nahmen, so schickte ihn sein Vater auf die genannte Zeit in eine Kostschule in Putney zu einem Mr. Ford, von dessen Herzensgüte und Zuneigung zu ihm er noch als ein alter Mann mit der gerührtesten Dankbarkeit sprach. Viele seiner damaligen Schulkameraden widmeten sich später auf die eine oder andere Weise gleichfalls dem Theaterfache, – unter ihnen z. B. Mr. Henry Harris6 vom Covent-Gardentheater – keiner derselben aber der Pantomime, und wir müssen uns, wenn wir der Laune und Lebhaftigkeit Joe’s gedenken, nur wundern, daß seine Schulkameraden nicht sämtlich Clowns geworden sind.

Weihnachten 1782 trat er in seiner zweiten Rolle in Drury Lane im »Harlequin dem Jüngeren oder dem Zaubergürtel« auf. Er stellte darin einen Dämon vor, der von einem feindlichen Zauberer abgeschickt war, der Macht Harlequins entgegenzuwirken. Er erwarb sich auch diesesmal großen Beifall, und sein Ruf stand von dieser Zeit an fest, nur daß er mit seinen Jahren an Kräften und Fortschritten natürlich zunahm.

Zu Ostern gab er abermals den Affen in Sadlers Wells, doch ohne daß ihm ein ähnliches Unglück, wie das erzählte, widerfahren wäre, und ging wieder nach Putney, als das Stück am Schlusse des Monats zurückgezogen wurde, und während der Saison nichts mehr für ihn zu tun war.

Weihnacht 1783 trat er abermals in Drury Lane in einer Pantomime, dem »Wirrwarr«, auf, und zwar nicht bloß in seiner alten Rolle als Affe, sondern außerdem noch in der einer Katze. In der letzteren betraf ihn ein Unfall, bei dem er so wenig bleibenden Schaden nahm, daß man fast glauben sollte, er hätte sich mit dem Charakter, den er darstellte, so vollkommen identifiziert, daß er ein wahres Katzenleben besessen. Sein Kostüm hatte den bedeutenden Mangel, daß er, wenn er in dasselbe hineingenäht war, nicht sehen konnte. So geschah es, daß er in eine gewöhnlich durch eine Falltür verschlossene Öffnung hineinfiel, welche offen gelassen war, um einen Brunnen vorzustellen. Er stürzte vierzig Fuß tief hinunter, zerbrach sich das Schlüsselbein und trug mehrere Kontusionen davon. Er wurde sogleich nach Hause geschafft und der Behandlung eines Wundarztes übergeben, war freilich erst nach Beendigung der Saison in Drury Lane wiederhergestellt, spielte aber Ostern in Sadlers Wells wie gewöhnlich. Im Sommer dieses Jahres erhielt er, als einen Beweis hoher und besonderer Gunst, die Erlaubnis, einen Sonntag um den anderen im Hause seines Großvaters von mütterlicher Seite zuzubringen, der, wie er selbst sagt,7 »in der Newtonstraße, Holborn, wohnte, ein Metzger en gros, und außerdem Inhaber des Schlachthauses in Bloomsbury war, das er bei seinem Tode einige sechszig Jahre inne gehabt hatte«. Joe war ein großer Liebling desselben, und da ihm im Hause des Großvaters viel nachgesehen und zu gut getan wurde, so sah er jedem seiner dortigen Besuche mit großer Sehnsucht entgegen. Sein Vater wünschte seinerseits ebenso lebhaft, daß Joe die Ehre seiner Familie bei diesen Gelegenheiten aufrecht erhalten möchte, und nach großer und langer Überlegung und Beratung mit Schneidern, wurde der »kleine Clown« für einen seiner Sonntagsausflüge folgendermaßen kostümiert; er trug einen grünen, mit fast so vielen künstlichen Blumen, als sein Vater in seinem Lambether Garten angebracht hatte, besetzten Leibrock; unter selbigem glänzte ein seidenes, blendend weißes Westchen, wozu noch weiter unten grüne tuchene Kniehosen (das Wort existierte zu jener Zeit) mit reichem Besatze und weißseidene Strümpfe und Schuhe mit blanken Schnallen kamen. Ebenso wenig fehlten ein Spitzenhemde, Halstuch und Manschetten, ein dreieckiger Hut, eine kleine Uhr mit Diamanten – mutmaßlich Theaterjuwelen – und ein Spazierrohr, das er so kecklich handhabte, wie es gegenwärtig unsere großen Clowns nur tun mögen.

Der Vater hielt Generalinspektion vor seinem Abmarsche, drückte die vollkommenste Billigung aus, küßte ihn, forderte ihm den Schlüssel zu seiner »Vermögensbüchse ab, gab ihm aus selbiger eine Guinee, sagte: »Sieh – jetzt sein Du ein Gentleman oder noch mehr – hast einen Guinee in der Tasche,« schärfte ihm ein, um acht Uhr wieder zu Hause zu sein, und entließ ihn, ohne zu gestatten, daß ihn jemand begleitete, und zwar weil er ein Gentleman, und demnach vollkommen imstande wäre, für sich selber zu sorgen.

Die Erscheinung Joe’s in den Straßen erregte ein beträchtliches Aufsehen, zumal da er ein öffentlicher Charakter war. Ein Gassenbube rief: »Hussa, da ist der kleine Joe!« ein zweiter: »Geht doch, ’s ist der Affe!« Ein dritter meinte, es wäre »der Bär, angekleidet zum Tanze«, und ein vierter behauptete, »es möchte die Katze sein, die in Gesellschaft ginge«; während größere und gesetztere Begegnende nicht umhin konnten, herzlich zu lachen und zu bemerken, daß es doch gar zu lächerlich wäre, ein Kind in einem solchen Anzuge allein durch die Straßen gehen zu lassen. Joe schritt indes unter jeweiligen verwunderlichen Grimassen unbekümmert weiter, bis ihm eine auf dem Straßenpflaster liegende Frau auffiel, deren elendes Aussehen bereits die Veranlassung gewesen war, daß sich ein Haufen gesammelt hatte. Der Knabe stand gleich anderen still, und wurde, als er die Leidensgeschichte der Verlassenen hörte, so gerührt, daß er in die Tasche griff, und ihr die Guinee, sein einziges Stück Geld, in die Hand drückte, worauf er sich noch mit feierlichen Schritten entfernte. Nunmehr sammelte sich ein Haufen um ihn und schrie und starrte ihn unendlich verwundert an, wodurch er sich jedoch nicht im mindesten aus der Fassung bringen ließ, sondern kecklich an der Spitze eines zwei Straßen langen Gefolges weiter schritt, bis ein Freund seines Vaters daherkam, ihn trotz seines Sträubens aufhob und auf den Armen nach des Großvaters Hause trug, wo er den Tag zu seiner und jedermanns Befriedigung hinbrachte.

Als er abends wieder anlangte, sah der Vater auf die Uhr, küßte und belobte ihn wegen seiner Pünktlichkeit, untersuchte seinen Anzug, war erfreut, keine Beschädigung daran zu finden, und forderte ihm zuletzt den Schlüssel zur »Vermögensbüchse« und die Guinee wieder ab. Der Knabe dachte zuerst an den Vorfall des Morgens nicht, durchsuchte seine Taschen, entsann sich endlich dessen, was er getan, fiel auf die Knie nieder, bekannte alles und flehte um Vergebung.

Der Vater wußte anfangs nicht, was er tun oder sagen sollte, da er selbst soviel Geld aus Guttätigkeit wegschenkte. Er blickte den Knaben ein paar Augenblicke ungewiß an, sagte darauf bloß: »Du bekommst eine Tracht Schläge,« und schickte ihn zu Bett.

Zu den Eigenheiten des alten Sonderlings – es war allerdings nicht die liebenswürdigste – gehörte die, daß er stets hielt, was er versprach, und wenn auch vielleicht in Fällen, wie diesem, Monate vergingen, bevor es geschah, wodurch denn die Strafe verdoppelt, verdrei- oder vervierfacht wurde, indem die verlängerte Furcht vor ihr, bei der Gewißheit, daß sie nicht ausbleiben würde, hinzukam. Es waren vier oder fünf Monate vergangen, und der Knabe hatte keine Veranlassung zum Unwillen gegeben, als ihn sein Vater eines Tages sehr unerwartet rief, und ihm ankündigte, daß er ihn sofort abzupeitschen dächte. Der Knabe fing an erbärmlich zu weinen, und stammelte die Frage hervor: »O Vater, wofür denn?« – »Denk an die Guinee!« sagte der alte Herr und prügelte ihn dermaßen, daß Joe sein Leben lang daran dachte.

Die Hausgenossenschaft bestand zu dieser Zeit aus den beiden Eltern, Joe, dessen einzigem Bruder John Baptist, drei oder vier weiblichen Domestiken, und einem Neger, der als Bedienter fungierte und durch die Benennung des »schwarzen Sam« honoriert wurde.

Der Vater war äußerst gastlich und sah ausnehmend gern Freunde bei sich. Er aß selten allein, und gab an gewissen Gala-Tagen und namentlich auch am Christabend, große Gesellschaften, bei welchen Gelegenheiten sein wirklich glänzendes Silberservice nebst verschiedenen Bijouterieartikeln zur Bewunderung der Gäste zur Schau gestellt wurde. An einem Christabend, als das Speisezimmer so glänzend als möglich geschmückt und ausgestattet war, stahlen sich die beiden Knaben in des schwarzen Sam Begleitung hinein, und drückten einander ihre Bewunderung all des Glanzes aus.

»Ah,« sagte Sam, »wenn alt Massa sterben, gehören allen die schönen Sachen Euch.«

Sam’s Bemerkung erregte in hohem Maße die Aufmerksamkeit der beiden Knaben, besonders aber John’s, des jüngeren, der noch sehr jung, wahrscheinlich weit weniger grauenvoll an den Tod dachte, als sein Vater und daher ohne den mindesten Rückhalt oder eine Spur von Zartgefühl ausrief, daß er außerordentlich froh sein würde, wenn ihm alle die schönen Sachen zufielen.

Es wurde nicht weiter darüber gesprochen. Der schwarze Sam ging an seine Geschäfte, die Knaben fingen an zu spielen, und niemand dachte mehr an den Vorfall, den Vater selbst ausgenommen, der zufällig ein unsichtbarer Hörer gewesen war. Er überlegte einige Tage, und faßte endlich, um die Sinnesart seiner beiden Knaben zu erforschen, den sonderbaren, doch bei dem ihn stets vornehmlich beschäftigenden Gedanken natürlichen Beschluß, sich tot zu stellen. Er ließ sich im verdunkelten Besuch-Zimmer als Leiche ankleiden, die Dienstboten erhielten ihre Verhaltungsmaßregeln, und den Kindern wurde vorsichtig angekündigt, daß ihr Vater plötzlich verstorben wäre, worauf man sie in das angebliche Totengemach führte.8

Joe war anfangs verwirrt, gewann aber bald die feste Überzeugung, daß sein Vater nicht tot wäre. Er hatte ihn noch vor kurzem vollkommen gesund gesehen, der schwarze Sam ließ es an heimlichen Winken und Andeutungen nicht fehlen und als er genau hinsah, bemerkte er, daß der Verstorbene atmete. Er gewahrte sogleich, was er zu tun hatte, begann auf das trübseligste zu ächzen und zu schluchzen, warf sich zu Boden und wälzte sich wie im schrecklichen Kummer umher.

John, der vom öffentlichen Leben noch nicht soviel gesehen hatte, als sein Brüder, war nicht so verschlagen, sah in des Vaters Absterben nur eine Befreiung von Schlägen und Büchern (vor welchen beiden er einen gleich großen Widerwillen hegte), freute sich des so bald erlangten Besitzes der schönen Silbersachen, sprang im Zimmer umher, sang und schlug Schnippchen, und erklärte, daß er froh wäre, den Vater tot zu sehen.

»O Du abscheulicher Junge,« sagte Joe unter einer Tränenflut. »Hast Du denn gar keine Liebe zu Deinem guten Vater? Ach, was würde ich darum geben, wenn ich ihn wieder lebendig sähe!«

»Papperlappapp!« sagte John; »sei doch nicht so ein Narr, zu weinen; jetzt gehört uns die Kuckucks-Uhr ganz allein.«

Dies war mehr, als der Abgeschiedene zu ertragen vermochte. Er sprang von seiner Totenbahre, öffnete die Fensterläden und bläuete den jüngeren Sohn unbarmherzig ab; während Joe, über sein eigenes Schicksal zweifelhaft, hinauslief und sich im Kohlenkeller versteckte, wo ihn der schwarze Sam ein paar Stunden darauf fest eingeschlafen fand, und ihn zu seinem Vater trug, der ihn ängstlich gesucht hatte und ihn als den zärtlich und wahrhaft liebenden Sohn auf das liebevollste empfing.

Joe war von dieser Zeit an bis zum Jahre 1788 für dieselben Saläre engagiert, die er von Anfang an sowohl in Drury Lane, als Sadlers Wells erhalten hatte.

  1. Wahrscheinlich ist das Harlequin-Gerippe gemeint, dessen in Humphrey Clinker Erwähnung geschieht.
  2. Sie entstanden auf Veranlassung der im Jahre 1780 vor geschlagenen Toleranz-Bill, gegen welche der Lord Gordon besonders heftig eiferte und daher Anführer des erwähnten gefährlichen Aufruhrs wurde.
  3. Lord Derby war der Großvater des jetzigen Lord Stanley. Seine erste Frau war die Schwester des berühmten Herzogs von Hamilton und die Halbschwester der jetzigen Lady Charlotte Bury, der Schriftstellerin, die sich durch einige Romane, und neuerdings durch ein Buch über die Königin Caroline berüchtigt gemacht hat.
  4. Man wolle sich erinnern, welch‘ eine vortreffliche Akquisition Smike im »Nickleby« dem Schauspiel-Direktor deuchte.
  5. In dem berühmten Lustspiele She stoops to conquer, in Szene, wo Tony Lumkin sein Lied singt.
  6. Dem Verfasser scheint es nicht bekannt gewesen zu sein (vielleicht trog auch Grimaldi sein Gedächtnis), daß dieser Mr. Henry Harris nie Schauspieler war. Er war der Sohn eines anderen sehr bekannten Mr. Harris, des Eigentümers des Covent-Gardentheaters Mr. Harris der Jüngere machte sich dadurch berüchtigt, daß er mit einer Schauspielerin, einer Mrs. Johnson lebte, die verheiratet war und mehrere Kinder hatte, und ferner dadurch, daß er derselben, dem Publikum zum Trotz, hervorstehende Rollen verschaffte, was er auch durchzusetzen wußte. – Mrs. Johnson’s Lebensgeschichte war sehr merkwürdig. Sie war die Tochter eines Kunstreiters und einer italienischen Dame, wie man sagte, von hohem Range; das Kind wurde dem Vater mit einer Summe Geldes zugeschickt, darauf nach England gebracht, und lernte seine Mutter niemals kennen.
  7. Es möchte nämlich nicht ohne Bedeutung für ihn sein. So häufig es in England verhältnismäßig, daß vornehme und reiche Herren Schauspielerinnen ehelichen, so ist es doch selten genug, daß Töchter wohlhabender und angesehener Eltern auf das Theater gehen, oder gar Tänzerinnen werden. Ein Londoner Metzger en gros ist aber schon eine bedeutende Person, Ich entsinne mich, daß die Tochter eines solchen 10 000 Pfund im Vermögen hatte, und sich mit dem jetzigen Lord Montford, einem Sprößlinge einer der ältesten Adelsfamilien des Landes, verheiratete.
  8. Auf der Bühne ist häufig eine ähnliche Szene dargestellt wurden, woher dem alten Grimaldi wahrscheinlich sein Einfall gekommen war.

Zweites Kapitel.


Zweites Kapitel.

1788 bis 1795

Des Vaters wirklicher Tod. – Sein Testament und des Testamentsvollstreckers Bankerott. – Edelmütiges Benehmen des Lehrers Grimaldi’s und des Schauspielers Wrougthon. – Sheridan’s Wohlwollen. – Grimaldi’s Mühen und Erholungen. – Insekten-Fangen. – Exkursion nach den »Dartford-Bläulingen.« – Mrs. Jordan. – Abenteuer aus Clapham Common; der blecherne Sixpence. – Grimaldis erste Liebe.

Nach verschiedenen öffentlichen Angaben starb Grimaldis Vater im Jahre 1787; aus mehreren Stellen der von dem Sohne diktierten Memoiren geht aber hervor, daß er am 14. März 1788 an der Wassersucht im siebenundachtzigsten Lebensjahre gestorben und auf dem Begräbnisplatze der Exmouthstraßen-Kapelle begraben ist, wo er – wenn der Platz zu jener Zeit nicht etwa größer als jetzt gewesen – bei seiner Lebzeit sehr wenig Raum zum grübelnden Umherwandeln gehabt hat. Er hinterließ ein Testament, und verordnete darin, daß seine sämtlichen Effekten und Juwelen in öffentlicher Versteigerung verkauft werden sollten; die daraus zu lösende Summe habe man seinem baren Vermögen, das sich auf mehr als 15 000 Pfund belief, hinzuzufügen, und das ganze zwischen den beiden Brüdern gleich zu verteilen, sobald sie zur Mündigkeit gelangten. Er hatte den schon genannten Mr. King zum Mit-Testamentsvollstrecker neben einem gewissen Mr. Joseph Hopwood ernannt, einen Spitzenfabrikanten in Long Acre, der in dem Rufe stand, nicht bloß Inhaber eins großen Geschäfts, sondern auch Besitzer eines beträchtlichen unabhängigen Vermögens zu sein. Mr. King lehnte die Mitwirkung ab, Mr. Hopwood legte das ganze Kapital der Brüder in seinem Geschäfte an, machte binnen Jahresfrist Bankerott, entfloh aus dem Lande, und man hat niemals wieder etwas von ihm gehört. So verloren die Brüder ihr Vermögen und waren wegen ihres Unterhalts auf ihre eigenen Hilfsquellen und Anstrengungen verwiesen.

Es ehrt sowohl die Freunde der Witwe und ihre Söhne, als es für den Charakter und das Benehmen der Familie Grimaldi zeugt, daß ihr sogleich von allen Seiten Beistand zuteil wurde. Mr. Ford, Grimaldi’s Lehrer, erbot sich, Joseph in seine Pensions-Anstalt aufzunehmen und ihn zu adoptieren. Die Mutter wies dieses Anerbieten zurück, und nun erhöhte Sheridan, der damals Eigentümer des Drury Lane Theaters war, des Knaben Gehalt aus freien Stücken auf ein Pfund wöchentlich und erlaubte der Mutter, die bei demselben Theater von Kindheit an Tänzerin gewesen war und noch war, ein ähnliches Engagement in Sadlers Wells anzunehmen, was der Tat nach einem doppelten Saläre gleichkam, da beide Schauspielhäuser während eines beträchtlichen Teils des Jahres zugleich geöffnet waren.

In Sadlers Wells, wo Joseph im Jahre 1788 kurz nach seines Vaters Tode wie gewöhnlich auftrat, war man weniger großmütig. Sein Gehalt wurde ohne alle Umstände von fünfzehn Schillingen wöchentlich auf drei heruntergesetzt, und der Mutter auf ihre Gegenvorstellungen erwidert, wenn die Änderung ihren Beifall nicht habe, so stehe es ihrem Sohne vollkommen frei, seine schätzbaren Dienste jedem beliebigen anderen Hause zu widmen. So gering indes das angebotene Gehalt war, sie konnte es nicht entbehren, und Joe blieb daher beim Sadlers Wellstheater drei Jahre lang für drei Schillinge wöchentlich, beaufsichtigte das Requisitenzimmer, leistete bald dem Zimmermanne, bald dem Maler Beistand und half, mit einem Worte, wo oder wie es gerade erforderlich war.

Als die Familie ihr Vermögen verloren hatte, mußte sie eine bescheidene Wohnung suchen, und fand sie im Hause eines Bekannten, Mr. Bailey’s in der Great-Wildstraße, wo sie mehrere Fahre wohnte. John war nicht zu bewegen, ein regelmäßiges Engagement anzunehmen, denn alle seine Gedanken und Träume drehten sich um den Plan, zur See zu gehen, und obenein hegte er den ausgemachtesten Widerwillen gegen die Bühne. Man ließ ihn bisweilen holen, wenn man in Drury Lane bei einer Vorstellung Knaben bedurfte, er erschien und erhielt einen Schilling für den Abend; allein seine Unlust und Abneigung war so offenbar, daß der Schauspieler Wroughton, der um diese Zeit nach Mr. King durch Kauf Eigentümer des Sadlers Wells-Theaters wurde, zu seinen Gunsten einschritt, und ihm eine Stelle an Bord eines Ostindien-Fahrers verschaffte, der soeben absegeln sollte.

John war fast außer sich vor Freude, die jedoch durch die Entdeckung getrübt wurde, daß eine Equipierung notwendig sei und über 13 Pfund kosten würde, eine Summe, welche die Mutter herbeizuschaffen außerstande war. Doch derselbe gutherzige Herr entfernte das Hindernis, gab mit einer Bereitwilligkeit, welche den Wert der Wohltat hundertfach erhöhte, ohne Sicherheit oder Handschrift die ganze erforderliche Summe her, und sagte nur: »Hör‘, John, wenn Du Kapitän wirst, mußt Du mir das Geld zurückzahlen.«

Nach zwei Tagen nahm John von den Seinigen Abschied und wurde an Bord gebracht, wo er, nachdem er gehört, daß das Schiff erst in acht bis zehn Tagen absegeln würde, ungeduldig und seine ganze Ausstattung zurücklassend, nach einem in der Nähe liegenden königlichen Flottenschiffe schwamm, das im Begriff war, die Anker zu lichten, sich unter einem angenommenen, den Seinigen nie bekannt gewordenen Namen als Matrose oder Kajütenjunge einschreiben ließ, verschwand, und vierzehn Jahre lang nichts von sich weder sehen noch hören ließ.

Joe war zu dieser Zeit weit entfernt, müßig zu sein. Er mußte jeden Morgen von Drury Lane nach Sadlers Wells wandern, um den Proben beizuwohnen, welche damals um zehn Uhr ihren Anfang nahmen; um zwei Uhr zum Mittagessen wieder in Drury Lane sein, wenn er nicht gar verhungern wollte; durfte abends sechs Uhr den Anfang der Vorstellungen in Sadlers Wells nicht versäumen, und war dann bis elf Uhr oder noch später so unablässig beschäftigt, daß er sich wohl zwanzigmal umzukleiden hatte.

So vergingen ihm einige Jahre im gewöhnlichen Gleise, nur daß er immer größere Fortschritte in seinem Fache und der Gunst beim Publikum machte, was denn auch Einfluß auf seine Einnahme hatte. Im Jahre 1794 wurde sein Gehalt in Drury Lane verdreifacht, während er in Sadlers Wells von drei Schillingen wöchentlich bis zu vier Pfunden gestiegen war. Er wohnte während dieser ganzen Zeit mit seiner Mutter in der Great-Wildstraße. Der Hauswirt war gestorben, und die Tochter der Witwe desselben hatte, indem sie Mrs. Grimaldi häufig nach Sadlers Wells begleitet, Mr. Robert Fairbrother, der sowohl dort als in Drury Lane engagiert war, kennen gelernt und geheiratet, worauf ihn Mrs. Bailey in ihr Kürschnergeschäft mit aufnahm, das er mit außerordentlichem Glück betrieb.

Grimaldi verdiente sich manche Guinee von Mr. Fairbrother, indem er demselben in seinen Mußestunden beim Rauchhandelgeschäft half und sich nebenher belehren ließ, ebenso wie er häufig, wenn in jenem nichts zu tun war, nach der Newtonstraße ging, und seinen Verwandten beim Schlachtgeschäfte umsonst Hilfe leistete: so groß war sein Widerwillen gegen das Müßig-Sein. Er sagt uns nicht, ob es praktischer Geschäftskenntnis bedurft, um jenes Geschick und die Gewandtheit zu zeigen, womit er späterhin in seiner Glanzperiode die Braten seiner Kunden als Bäcker verkürzte, oder das Gewicht des Fleisches als Fleischer künstlich vergrößerte, hoffen aber zur Ehre des Bäcker- und Metzger-Geschäfts, daß seine Moral in dieser Beziehung lediglich eine imaginäre gewesen ist.9

So stand es mit seinen Beschäftigungen, wobei es indes auch an Vergnügungen nicht fehlte. Er hatte Tauben, sammelte Insekten und brachte eine Sammlung von 4000 Fliegen zusammen, die ihn, wie er sagt, »viel Zeit, Geld und Mühe gekostet«, wofür ihn jedoch der Entomologist hinreichend belohnt erachten wird. Er erinnerte sich noch in seinem Alter mit Lust dieser Bestrebungen und rief sich gern eine Gegend in Surrey und eine andere in Kent zurück, wo sich zwei berühmte Fliegen fanden. Eine derselben hieß »die Schönheit von Camberwell« (sie war äußerst häßlich, wie er sagt) und die andere »Datford-Bläuling«, wovon er einen großen Vorrat sammelte und deren Fang er sich, als sie sich zeigten, im Juni nämlich, große Anstrengungen kosten ließ.

Da er jeden Abend in Sadlers Wells spielen mußte, war er genötigt, sich zu gedulden, bis seine Geschäfte auf dem Theater beendet waren. Er begab sich darauf nach Hause, aß zu Abend und machte sich um Mitternacht nach dem fünfzehn Meilen von London entfernten Dartford auf den Weg, wo er um fünf Uhr morgens bei einem Freunde, namens Brooks, anlangte, ausruhte und frühstückte, um dann auf den Feldern umherzustreifen. Er war nicht eben glücklich, denn er hatte nach einigen Stunden nur einen einzigen Dartford Bläuling gefunden, mit welchem er jedoch, vorläufig vollkommen befriedigt, zu dem Freunde zurückkehrte. Um ein Uhr nahm er von dem letzteren Abschied, langte in London um fünf an, kleidete sich um, trank seinen Tee und eilte nach Sadlers Wells. Es war keine Zeit zu verlieren (denn die Erscheinung der Dartford Bläulinge stand fest), wenn er noch mehr Exemplare erlangen wollte; sobald daher Pantomime und Abendessen beendet waren, marschierte er abermals nach Dartford ab, fing diesesmal vier Dutzend Bläulinge, spießte sie kunstgerecht auf, war um vier Uhr nachmittags wieder zu Hause und zur gehörigen Zeit auf dem Theater. Allein die notwendige Anzahl Bläulinge war noch nicht gefangen; er freute sich zu hören, daß die Pantomime zuerst gespielt werden sollte, konnte daher London schon um neun verlassen, erreichte Dartford um ein Uhr, aß, und legte sich ermüdet zu Bett. Der folgende Tag war ein Sonntag, er brauchte daher nicht nach der Stadt zurückzukehren, fing im Laufe des Morgens mehr Bläulinge, als er bedurfte, und brachte den Mittag und Nachmittag vergnüglich bei dem Freunde zu. Am Montag-Morgen stand er früh auf und hatte um Mittag seine Rolle, nachdem er der Probe beigewohnt, vollkommen inne.

Wir können annehmen, daß Grimaldi durch diese und ähnliche Bestrebungen, bei Mäßigkeit und Nüchternheit, einen großen Teil jener Körperkraft und Gewandtheit erlangte, ohne welche er es in seiner Kunst nicht so weit gebracht haben würde. Indes war seine Liebe zur Entomologie nicht der einzige Beweggrund bei seinen Ausflügen nach Dartford; ein anderer, stark wirkender war der, daß er »einer der liebenswürdigsten Frauen ihrer Zeit« – der unglücklichen Mrs. Jordan,10 welche damals beim Drury Lane-Theater engagiert war, eine kleine Insekten-Sammlung versprochen hatte.

Einst trug er während einer Vormittags-Probe eine Schachtel mit Insekten unter dem Arme. Mrs. Jordan neugierig zu wissen, was darin wäre, verlor sie nicht aus den Augen, fragte endlich, was sie Artiges enthielte, und seine Antwort bestand darin, daß er die Schachtel öffnete und ihr die Insekten zeigte. Er sagte nicht, ob es Dartford-Bläulinge gewesen, wohl aber, daß er große Geschicklichkeit, sie wohl zu erhalten und zu ordnen, besessen, und daß er die ganze Mühe aus ehrerbietiger Galanterie gegen die einnehmendste Dame ihrer Zeit übernommen und derselben, nach zuvor erhaltener Erlaubnis, am ersten Tage der neuen Saison und nachdem sie die Probe der Rosalinde in »Wie es Euch gefällt« beendigt, zwei Rahmen mit Insekten überreicht habe; daß Mrs. Jordan (und er selbst wenigstens ebenso sehr) entzückt gewesen, die Rahmen in ihrem Wagen mit nach Hause genommen und sein Herz durch die Mitteilung erfreut habe, daß seine Königliche Hoheit, der Herzog von Clarence, die Insekten so schön, wo nicht schöner gefunden, als irgend etwas der Art, das er jemals gesehen.

Sein einziger Begleiter, außer dem Dartforder Freunde, bei diesen Ausflügen war Nobert Gomery, oder »Freund Bob«, wie er von seinen näheren Bekannten genannt wurde, zu jener Zeit Schauspieler beim Sadlers Wells-Theater, und später während vieler Jahre ein Liebling des Publikums in den kleineren Theatern der Hauptstadt. Er lebt oder lebte wenigstens bis vor kurzem von seinem Gelde in Bath. Grimaldi hatte ein kleines Abenteuer mit ihm, das er mit großem Vergnügen zu erzählen pflegte.

Er war eines Tages mit Freund Bob vom frühen Morgen bis an den Abend auf der Insektenjagd gewesen, und sie hatten an nichts anderes gedacht.

»Bob,« sagte Grimaldi endlich, »ich bin sehr hungrig.«

»Ich auch,« erwiderte Bob.

»Da ist ein Wirtshaus,« bemerkte Grimaldi.

»Kommt uns gerade recht,« sagte Nobert Gomery.

Grimaldi war dessen minder gewiß. Es war ein sehr gutes Gasthaus, allein er hatte kein Geld, und zweifelte auch stark, ob sein Freund damit versehen wäre.

»Laß uns hineingehen,« fuhr Bob fort. »Es wird spät – Du bezahlst.«

»Nein, nein; Du!«

»Ich würde es gern tun, habe aber kein Geld bei mir.«

Grimaldi griff mit einem seiner lächerlichsten Gesichter erst in die rechte, dann in die linke, dann in die Rock- und die Westen-Taschen, nahm zuletzt den Hut ab und schaute hinein, allein nirgend wollte sich Geld finden.

Sie näherten sich inzwischen dem Gasthause, und berieten äußerst niedergeschlagen mit sich selbst, als Grimaldi plötzlich unter einem Baume ein Geldstück erspähte, es aufhob und unter vielen pantomimischen Freuden-Bezeugungen ausrief: »Ein Sixpence, ein Sixpence!«

Die Mienen des hungrigen Freundes erheiterten sich, nahmen jedoch bald wieder ihren trübseligen Ausdruck an. »Es ist ein Stück Blech,« sagte er.

Grimaldi rieb und beschaute den Fund um und um, und behauptete das Gegenteil. Der Freund drückte kopfschüttelnd fortwährend Zweifel aus.

»Ich will Dir etwas sagen,« entgegnete Grimaldi, »wir wollen hineingehen und den Wirt fragen. Diese Leute wissen dergleichen am besten.«

Bob stimmte bei; sie eilten weiter, und hörten nicht auf zu streiten, ob der Fund ein Stück Geld, oder ein Stück Blech wäre. Das Geld war zu jener Zeit so abgegriffen, daß über eine Frage dieser Art allerdings Zweifel obwalten konnten.

Der Wirt, ein munterer beleibter Mann, stand vor der Tür und sprach mit jemand. Das Haus sah so einladend aus, daß sich Gomery, als sie bis auf wenige Schritte herangekommen waren, nicht enthalten konnte, Grimaldi zuzuflüstern, es möchte das beste sein, daß sie sich vor allen Dingen Brot und Käse geben ließen und dann erst die große Frage an den Wirt richteten.

Grimaldi nickte ihm Billigung zu, sie gingen hinein und forderten Brot, Käse und einen Trunk Bier. Sobald sie die ungestümsten Forderungen ihres Hungers befriedigt hatten, bedienten sie sich eines Hellers, den Grimaldi noch in einer seiner Taschen entdeckt, um nach »Schrift oder Bild« entscheiden zu lassen, wer den Sixpence vorzeigen sollte. Das Los traf Grimaldi; er trat gravitätisch zu dem Wirte, legte die zweifelhafte Münze mit seiner ganzen eigentümlichen Würde vor ihm auf den Tisch und forderte ihn auf, sich davon bezahlt zu machen.

»Ganz recht, Sir,« sagte der Wirt, nach der wunderbaren Miene, die Grimaldi angenommen, statt nach dem Sixpence zu sehen.

»Ist es auch recht, Sir?« fragte Grimaldi.

»Allerdings, ich danke Ihnen, meine Herren,« erwiderte der Wirt und steckte die Münze, oder was es sonst war, in die Tasche.

Gomery sah Grimaldi an, und Grimaldi ging mit einer Miene und einem schlechterdings unbeschreiblichen Wesen, gefolgt von seinem Freunde, aus dem Hause hinaus.

»Solch ein Glück ist mir noch niemals begegnet,« sagte er. »Der Sixpence war eine wahrhaftige Gottesgabe.«

»Das Blechstück willst Du sagen,« bemerkte Gomery.

Ob der Fund das eine oder andere war, ist ungewiß, allein Grimaldi besuchte dasselbe Gasthaus späterhin noch öfter, und da der Sache nicht wieder erwähnt wurde, so hielt er sich vollkommen überzeugt, daß es ein guter wirklicher Sixpence gewesen sei.

Anfangs 1794 bezog er mit seiner Mutter ein sechs Zimmer enthaltendes Haus in Penton Place, Pentonville, mit einem Garten. Sie überließen einige der Zimmer einem Mr. Lewis und dessen Frau, welche in Sadlers Wells engagiert waren, lebten so drei Jahre. Da Grimaldi’s Gehalt eine Steigerung erfahren hatte, so fing er an, sich als vollkommen unabhängig zu betrachten. Zu Ostern nahmen die Vorstellungen in Sadlers Wells wie gewöhnlich ihren Anfang. Er machte Furore in einer neuen Rolle, und sein Ruf nahm rasch bedeutend zu. Er knüpfte zu dieser Zeit eine neue Bekanntschaft an, die für viele Jahre einen wesentlichen Einfluß auf sein Lebensglück gewann. Es ging damit folgendermaßen zu.

Wenn Probe in Sadlers Wells war, pflegte seine, bei dem dortigen Theater gleich ihm selbst engagierte Mutter den ganzen Tag im Schauspielhause zuzubringen, im Ankleidezimmer zu essen und sich mit Nähtereien zu beschäftigen. Sie hatte dies angefangen, weil die Great-Wildstraße von Sadlers Wells sehr weit entfernt war, und als sie in Penton Place dem Schauspielhause so viel näher wohnte, setzte sie es fort, weil sie sich einmal daran gewöhnt hatte. Mr. Hughes, der zu dieser Zeit Haupteigentümer des Theaters geworden war und ein anstoßendes Haus bewohnte, hatte mehrere Kinder. Das älteste derselben war eine Tochter. Miß Maria Hughes war eine ausgezeichnete junge Dame. Sie hatte immer sehr viel von Grimaldi’s Mutter gehalten und benutzte jede Gelegenheit, in ihrer Gesellschaft zu sein; sie pflegte bei ihr von drei oder vier bis sechs Uhr, mit einer weiblichen Arbeit beschäftigt, im Ankleidezimmer zu verweilen, und ging, wenn die anderen beim Theater engagierten Frauenzimmer sich einstellten. Grimaldi pflegte sich zwischen vier und fünf Uhr einzufinden, trank zur letztgenannten Stunde den Tee mit seiner Mutter und blieb ebenso lange wie sie. So entstand zwischen ihm und Miß Hughes eine genauere Bekanntschaft, die allmählich wärmere Gefühle erweckte.

Den folgenden Tag, nachdem er in seiner neuen Rolle so großen Beifall geerntet, begab er sich wie gewöhnlich in das Ankleidezimmer, wo ihn seine Hausbewohnerin, Mrs. Lewis, die Garderobemeisterin, die zufällig anwesend war, mit Lobsprüchen überhäufte. Miß Hughes war gleichfalls zugegen, sagte aber lange Zeit nichts, und Grimaldi hörte so ungeduldig, als er konnte, Mrs. Lewis zu. Er hätte Miß Hughes lieber eine Minute, als die letztere eine Stunde reden hören. Endlich schwieg sie, um Atem zu schöpfen, wie die besten Redner von Zeit zu Zeit nicht umhin können, und nun blickte Miß Hughes auf und sagte mit einigem Stocken, Mr. Grimaldi hätte ihrer Meinung nach die Rolle außerordentlich gut gespielt, so gut, daß es ihm sicher niemand gleich tun könnte.

Grimaldi hatte auf dem Wege nach Sadlers Wells die Sache überlegt und beschlossen, wenn Miß Hughes sein Spiel loben würde, mit einer feinen und wohlgesetzten Schmeichelei zu erwidern, die eine Andeutung auf den Zustand seiner Gefühle enthielte. Er hatte mehrere ausgesonnen, vermochte aber, sobald ihm Miß Hughes ihr Lob ausgesprochen, kein Wort hervorzubringen, errötete stark, nahm eine sehr spaßhafte Miene an, fühlte sich äußerst verlegen, machte endlich eine ungeschickte Verbeugung und ging nach der Tür, um sich zu entfernen.

Es war sechs Uhr, und die Damen traten eben herein. Er war stets eine Art Liebling derselben gewesen, und ein paar der lebhaftesten und mutwilligsten – deren einige es in fast allen Schauspielerinnen – wie anderen Gesellschaften gibt – lobten zuerst sein Spiel und zogen ihn sodann mit einem anderen Gegenstande auf.

»Joe ist so unendlich beliebt geworden,« sagte die eine, »daß er sich nach einem Liebchen umsehen sollte.«

Hier blickte Joe nach Miß Hughes, und errötete noch weit stärker. »Sehr wahr,« fiel die zweite ein. »Was sagen Sie zu einer von uns, Joe?«

Joe wurde so betreten, daß sein Aussehen ein allgemeines Gelächter erregte.

»Wenn ich nicht sehr irre, meine Damen,« nahm Mrs. Lewis das Wort, »so hat Joe bereits ein Liebchen.«

Eine andere Dame sagte, sie wisse bestimmt, daß er deren zwei, noch eine andere, daß er deren drei hätte, und so fort. Er stand unterdessen mit gesenkten Blicken fast außer sich vor Unruhe und Verdruß da, zu denken, daß Miß Hughes diese Anklagen hörte und ihnen vielleicht gar Glauben schenkte.

Er eilte endlich hinaus, überlegte noch reiflicher, und gelangte bald zu dem Schlusse, daß Mr. Hughes‘ schöne Tochter einen unauslöschlichen Eindruck auf sein Herz gemacht habe und daß er gar nicht heiraten möchte, wenn sie ihn nicht erhörte, in welchem Falle er für immer unglücklich sein würde; anderer ähnlichen Folgerungen nicht zu gedenken, wie sie von jungen Leuten aus gleichen Vorsätzen gezogen zu werden pflegen. Mehrfache Sorgen und Befürchtungen begleiteten jedoch die Entdeckung. Der gewünschten Verbindung schien sich in seinen und der Dame so verschiedenen Verhältnissen ein fast unüberwindliches Hindernis entgegenzustellen; er hatte keinen Grund zu glauben, daß Miß Hughes andere Gefühle für ihn hege, als solche, die sie gegen den Sohn einer Freundin, welche sie schon lange gekannt hatte, zu unterhalten geneigt sein möchte. Diese Betrachtungen machten ihn so unglücklich, als der leidenschaftliche Liebhaber zu sein wünschen konnte. Er aß wenig, trank wenig, schlief noch weniger, verlor seine heitere Laune und ließ mit einem Worte eine große Menge von Krankheitsanzeichen blicken, dergleichen unter allen Umständen bedenklich gewesen sein würden, es aber besonders bei einem Patienten waren, bei welchem die Erfüllung seiner schwachen Hoffnungen hauptsächlich davon abhing, daß er sich seine humoristische heitere Laune bewahrte.

  1. In den Pantomimen treten Harlequin und der Clown bisweilen zuerst als Handwerker oder Geschäftsleute irgend einer Art auf, z. B. als Bäcker und Bäckergesell. In dieser Rolle war Grimaldi äußerst komisch, wenn die Pasteten und Puddinge zum Backen gebracht wurden, und er dann von allen ein wenig stipitzte, wie es den Bäckern nachgesagt wird.
  2. Sehr bekanntgeworden besonders durch ihre merkwürdigen, nicht eben geheim gebliebenen Verhältnisse zu einer hohen Person. Die war eine unnachahmliche komische Schauspielerin, hatte eine wohlklingende Stimme und anmutvolle Manieren, obwohl ihre Redeweise bisweilen unfein war. Sie hatte dreizehn erwachsene Kinder, wohnte kurz vor ihrem Tode in Cadogan-Place (s. Nicklebys Schicksale – Mr. und Mrs. Wititterly), und sah sich genötigt, das Land zu meiden, um Gläubigern zu entfliehen. Sie starb in nichts weniger als glänzenden Umständen in St. Omers. Die Kosten ihrer Beerdigung mußten durch Subskription gedeckt werden.