Zweites Kapitel.
1788 bis 1795
Des Vaters wirklicher Tod. – Sein Testament und des Testamentsvollstreckers Bankerott. – Edelmütiges Benehmen des Lehrers Grimaldi’s und des Schauspielers Wrougthon. – Sheridan’s Wohlwollen. – Grimaldi’s Mühen und Erholungen. – Insekten-Fangen. – Exkursion nach den »Dartford-Bläulingen.« – Mrs. Jordan. – Abenteuer aus Clapham Common; der blecherne Sixpence. – Grimaldis erste Liebe.
Nach verschiedenen öffentlichen Angaben starb Grimaldis Vater im Jahre 1787; aus mehreren Stellen der von dem Sohne diktierten Memoiren geht aber hervor, daß er am 14. März 1788 an der Wassersucht im siebenundachtzigsten Lebensjahre gestorben und auf dem Begräbnisplatze der Exmouthstraßen-Kapelle begraben ist, wo er – wenn der Platz zu jener Zeit nicht etwa größer als jetzt gewesen – bei seiner Lebzeit sehr wenig Raum zum grübelnden Umherwandeln gehabt hat. Er hinterließ ein Testament, und verordnete darin, daß seine sämtlichen Effekten und Juwelen in öffentlicher Versteigerung verkauft werden sollten; die daraus zu lösende Summe habe man seinem baren Vermögen, das sich auf mehr als 15 000 Pfund belief, hinzuzufügen, und das ganze zwischen den beiden Brüdern gleich zu verteilen, sobald sie zur Mündigkeit gelangten. Er hatte den schon genannten Mr. King zum Mit-Testamentsvollstrecker neben einem gewissen Mr. Joseph Hopwood ernannt, einen Spitzenfabrikanten in Long Acre, der in dem Rufe stand, nicht bloß Inhaber eins großen Geschäfts, sondern auch Besitzer eines beträchtlichen unabhängigen Vermögens zu sein. Mr. King lehnte die Mitwirkung ab, Mr. Hopwood legte das ganze Kapital der Brüder in seinem Geschäfte an, machte binnen Jahresfrist Bankerott, entfloh aus dem Lande, und man hat niemals wieder etwas von ihm gehört. So verloren die Brüder ihr Vermögen und waren wegen ihres Unterhalts auf ihre eigenen Hilfsquellen und Anstrengungen verwiesen.
Es ehrt sowohl die Freunde der Witwe und ihre Söhne, als es für den Charakter und das Benehmen der Familie Grimaldi zeugt, daß ihr sogleich von allen Seiten Beistand zuteil wurde. Mr. Ford, Grimaldi’s Lehrer, erbot sich, Joseph in seine Pensions-Anstalt aufzunehmen und ihn zu adoptieren. Die Mutter wies dieses Anerbieten zurück, und nun erhöhte Sheridan, der damals Eigentümer des Drury Lane Theaters war, des Knaben Gehalt aus freien Stücken auf ein Pfund wöchentlich und erlaubte der Mutter, die bei demselben Theater von Kindheit an Tänzerin gewesen war und noch war, ein ähnliches Engagement in Sadlers Wells anzunehmen, was der Tat nach einem doppelten Saläre gleichkam, da beide Schauspielhäuser während eines beträchtlichen Teils des Jahres zugleich geöffnet waren.
In Sadlers Wells, wo Joseph im Jahre 1788 kurz nach seines Vaters Tode wie gewöhnlich auftrat, war man weniger großmütig. Sein Gehalt wurde ohne alle Umstände von fünfzehn Schillingen wöchentlich auf drei heruntergesetzt, und der Mutter auf ihre Gegenvorstellungen erwidert, wenn die Änderung ihren Beifall nicht habe, so stehe es ihrem Sohne vollkommen frei, seine schätzbaren Dienste jedem beliebigen anderen Hause zu widmen. So gering indes das angebotene Gehalt war, sie konnte es nicht entbehren, und Joe blieb daher beim Sadlers Wellstheater drei Jahre lang für drei Schillinge wöchentlich, beaufsichtigte das Requisitenzimmer, leistete bald dem Zimmermanne, bald dem Maler Beistand und half, mit einem Worte, wo oder wie es gerade erforderlich war.
Als die Familie ihr Vermögen verloren hatte, mußte sie eine bescheidene Wohnung suchen, und fand sie im Hause eines Bekannten, Mr. Bailey’s in der Great-Wildstraße, wo sie mehrere Fahre wohnte. John war nicht zu bewegen, ein regelmäßiges Engagement anzunehmen, denn alle seine Gedanken und Träume drehten sich um den Plan, zur See zu gehen, und obenein hegte er den ausgemachtesten Widerwillen gegen die Bühne. Man ließ ihn bisweilen holen, wenn man in Drury Lane bei einer Vorstellung Knaben bedurfte, er erschien und erhielt einen Schilling für den Abend; allein seine Unlust und Abneigung war so offenbar, daß der Schauspieler Wroughton, der um diese Zeit nach Mr. King durch Kauf Eigentümer des Sadlers Wells-Theaters wurde, zu seinen Gunsten einschritt, und ihm eine Stelle an Bord eines Ostindien-Fahrers verschaffte, der soeben absegeln sollte.
John war fast außer sich vor Freude, die jedoch durch die Entdeckung getrübt wurde, daß eine Equipierung notwendig sei und über 13 Pfund kosten würde, eine Summe, welche die Mutter herbeizuschaffen außerstande war. Doch derselbe gutherzige Herr entfernte das Hindernis, gab mit einer Bereitwilligkeit, welche den Wert der Wohltat hundertfach erhöhte, ohne Sicherheit oder Handschrift die ganze erforderliche Summe her, und sagte nur: »Hör‘, John, wenn Du Kapitän wirst, mußt Du mir das Geld zurückzahlen.«
Nach zwei Tagen nahm John von den Seinigen Abschied und wurde an Bord gebracht, wo er, nachdem er gehört, daß das Schiff erst in acht bis zehn Tagen absegeln würde, ungeduldig und seine ganze Ausstattung zurücklassend, nach einem in der Nähe liegenden königlichen Flottenschiffe schwamm, das im Begriff war, die Anker zu lichten, sich unter einem angenommenen, den Seinigen nie bekannt gewordenen Namen als Matrose oder Kajütenjunge einschreiben ließ, verschwand, und vierzehn Jahre lang nichts von sich weder sehen noch hören ließ.
Joe war zu dieser Zeit weit entfernt, müßig zu sein. Er mußte jeden Morgen von Drury Lane nach Sadlers Wells wandern, um den Proben beizuwohnen, welche damals um zehn Uhr ihren Anfang nahmen; um zwei Uhr zum Mittagessen wieder in Drury Lane sein, wenn er nicht gar verhungern wollte; durfte abends sechs Uhr den Anfang der Vorstellungen in Sadlers Wells nicht versäumen, und war dann bis elf Uhr oder noch später so unablässig beschäftigt, daß er sich wohl zwanzigmal umzukleiden hatte.
So vergingen ihm einige Jahre im gewöhnlichen Gleise, nur daß er immer größere Fortschritte in seinem Fache und der Gunst beim Publikum machte, was denn auch Einfluß auf seine Einnahme hatte. Im Jahre 1794 wurde sein Gehalt in Drury Lane verdreifacht, während er in Sadlers Wells von drei Schillingen wöchentlich bis zu vier Pfunden gestiegen war. Er wohnte während dieser ganzen Zeit mit seiner Mutter in der Great-Wildstraße. Der Hauswirt war gestorben, und die Tochter der Witwe desselben hatte, indem sie Mrs. Grimaldi häufig nach Sadlers Wells begleitet, Mr. Robert Fairbrother, der sowohl dort als in Drury Lane engagiert war, kennen gelernt und geheiratet, worauf ihn Mrs. Bailey in ihr Kürschnergeschäft mit aufnahm, das er mit außerordentlichem Glück betrieb.
Grimaldi verdiente sich manche Guinee von Mr. Fairbrother, indem er demselben in seinen Mußestunden beim Rauchhandelgeschäft half und sich nebenher belehren ließ, ebenso wie er häufig, wenn in jenem nichts zu tun war, nach der Newtonstraße ging, und seinen Verwandten beim Schlachtgeschäfte umsonst Hilfe leistete: so groß war sein Widerwillen gegen das Müßig-Sein. Er sagt uns nicht, ob es praktischer Geschäftskenntnis bedurft, um jenes Geschick und die Gewandtheit zu zeigen, womit er späterhin in seiner Glanzperiode die Braten seiner Kunden als Bäcker verkürzte, oder das Gewicht des Fleisches als Fleischer künstlich vergrößerte, hoffen aber zur Ehre des Bäcker- und Metzger-Geschäfts, daß seine Moral in dieser Beziehung lediglich eine imaginäre gewesen ist.9
So stand es mit seinen Beschäftigungen, wobei es indes auch an Vergnügungen nicht fehlte. Er hatte Tauben, sammelte Insekten und brachte eine Sammlung von 4000 Fliegen zusammen, die ihn, wie er sagt, »viel Zeit, Geld und Mühe gekostet«, wofür ihn jedoch der Entomologist hinreichend belohnt erachten wird. Er erinnerte sich noch in seinem Alter mit Lust dieser Bestrebungen und rief sich gern eine Gegend in Surrey und eine andere in Kent zurück, wo sich zwei berühmte Fliegen fanden. Eine derselben hieß »die Schönheit von Camberwell« (sie war äußerst häßlich, wie er sagt) und die andere »Datford-Bläuling«, wovon er einen großen Vorrat sammelte und deren Fang er sich, als sie sich zeigten, im Juni nämlich, große Anstrengungen kosten ließ.
Da er jeden Abend in Sadlers Wells spielen mußte, war er genötigt, sich zu gedulden, bis seine Geschäfte auf dem Theater beendet waren. Er begab sich darauf nach Hause, aß zu Abend und machte sich um Mitternacht nach dem fünfzehn Meilen von London entfernten Dartford auf den Weg, wo er um fünf Uhr morgens bei einem Freunde, namens Brooks, anlangte, ausruhte und frühstückte, um dann auf den Feldern umherzustreifen. Er war nicht eben glücklich, denn er hatte nach einigen Stunden nur einen einzigen Dartford Bläuling gefunden, mit welchem er jedoch, vorläufig vollkommen befriedigt, zu dem Freunde zurückkehrte. Um ein Uhr nahm er von dem letzteren Abschied, langte in London um fünf an, kleidete sich um, trank seinen Tee und eilte nach Sadlers Wells. Es war keine Zeit zu verlieren (denn die Erscheinung der Dartford Bläulinge stand fest), wenn er noch mehr Exemplare erlangen wollte; sobald daher Pantomime und Abendessen beendet waren, marschierte er abermals nach Dartford ab, fing diesesmal vier Dutzend Bläulinge, spießte sie kunstgerecht auf, war um vier Uhr nachmittags wieder zu Hause und zur gehörigen Zeit auf dem Theater. Allein die notwendige Anzahl Bläulinge war noch nicht gefangen; er freute sich zu hören, daß die Pantomime zuerst gespielt werden sollte, konnte daher London schon um neun verlassen, erreichte Dartford um ein Uhr, aß, und legte sich ermüdet zu Bett. Der folgende Tag war ein Sonntag, er brauchte daher nicht nach der Stadt zurückzukehren, fing im Laufe des Morgens mehr Bläulinge, als er bedurfte, und brachte den Mittag und Nachmittag vergnüglich bei dem Freunde zu. Am Montag-Morgen stand er früh auf und hatte um Mittag seine Rolle, nachdem er der Probe beigewohnt, vollkommen inne.
Wir können annehmen, daß Grimaldi durch diese und ähnliche Bestrebungen, bei Mäßigkeit und Nüchternheit, einen großen Teil jener Körperkraft und Gewandtheit erlangte, ohne welche er es in seiner Kunst nicht so weit gebracht haben würde. Indes war seine Liebe zur Entomologie nicht der einzige Beweggrund bei seinen Ausflügen nach Dartford; ein anderer, stark wirkender war der, daß er »einer der liebenswürdigsten Frauen ihrer Zeit« – der unglücklichen Mrs. Jordan,10 welche damals beim Drury Lane-Theater engagiert war, eine kleine Insekten-Sammlung versprochen hatte.
Einst trug er während einer Vormittags-Probe eine Schachtel mit Insekten unter dem Arme. Mrs. Jordan neugierig zu wissen, was darin wäre, verlor sie nicht aus den Augen, fragte endlich, was sie Artiges enthielte, und seine Antwort bestand darin, daß er die Schachtel öffnete und ihr die Insekten zeigte. Er sagte nicht, ob es Dartford-Bläulinge gewesen, wohl aber, daß er große Geschicklichkeit, sie wohl zu erhalten und zu ordnen, besessen, und daß er die ganze Mühe aus ehrerbietiger Galanterie gegen die einnehmendste Dame ihrer Zeit übernommen und derselben, nach zuvor erhaltener Erlaubnis, am ersten Tage der neuen Saison und nachdem sie die Probe der Rosalinde in »Wie es Euch gefällt« beendigt, zwei Rahmen mit Insekten überreicht habe; daß Mrs. Jordan (und er selbst wenigstens ebenso sehr) entzückt gewesen, die Rahmen in ihrem Wagen mit nach Hause genommen und sein Herz durch die Mitteilung erfreut habe, daß seine Königliche Hoheit, der Herzog von Clarence, die Insekten so schön, wo nicht schöner gefunden, als irgend etwas der Art, das er jemals gesehen.
Sein einziger Begleiter, außer dem Dartforder Freunde, bei diesen Ausflügen war Nobert Gomery, oder »Freund Bob«, wie er von seinen näheren Bekannten genannt wurde, zu jener Zeit Schauspieler beim Sadlers Wells-Theater, und später während vieler Jahre ein Liebling des Publikums in den kleineren Theatern der Hauptstadt. Er lebt oder lebte wenigstens bis vor kurzem von seinem Gelde in Bath. Grimaldi hatte ein kleines Abenteuer mit ihm, das er mit großem Vergnügen zu erzählen pflegte.
Er war eines Tages mit Freund Bob vom frühen Morgen bis an den Abend auf der Insektenjagd gewesen, und sie hatten an nichts anderes gedacht.
»Bob,« sagte Grimaldi endlich, »ich bin sehr hungrig.«
»Ich auch,« erwiderte Bob.
»Da ist ein Wirtshaus,« bemerkte Grimaldi.
»Kommt uns gerade recht,« sagte Nobert Gomery.
Grimaldi war dessen minder gewiß. Es war ein sehr gutes Gasthaus, allein er hatte kein Geld, und zweifelte auch stark, ob sein Freund damit versehen wäre.
»Laß uns hineingehen,« fuhr Bob fort. »Es wird spät – Du bezahlst.«
»Nein, nein; Du!«
»Ich würde es gern tun, habe aber kein Geld bei mir.«
Grimaldi griff mit einem seiner lächerlichsten Gesichter erst in die rechte, dann in die linke, dann in die Rock- und die Westen-Taschen, nahm zuletzt den Hut ab und schaute hinein, allein nirgend wollte sich Geld finden.
Sie näherten sich inzwischen dem Gasthause, und berieten äußerst niedergeschlagen mit sich selbst, als Grimaldi plötzlich unter einem Baume ein Geldstück erspähte, es aufhob und unter vielen pantomimischen Freuden-Bezeugungen ausrief: »Ein Sixpence, ein Sixpence!«
Die Mienen des hungrigen Freundes erheiterten sich, nahmen jedoch bald wieder ihren trübseligen Ausdruck an. »Es ist ein Stück Blech,« sagte er.
Grimaldi rieb und beschaute den Fund um und um, und behauptete das Gegenteil. Der Freund drückte kopfschüttelnd fortwährend Zweifel aus.
»Ich will Dir etwas sagen,« entgegnete Grimaldi, »wir wollen hineingehen und den Wirt fragen. Diese Leute wissen dergleichen am besten.«
Bob stimmte bei; sie eilten weiter, und hörten nicht auf zu streiten, ob der Fund ein Stück Geld, oder ein Stück Blech wäre. Das Geld war zu jener Zeit so abgegriffen, daß über eine Frage dieser Art allerdings Zweifel obwalten konnten.
Der Wirt, ein munterer beleibter Mann, stand vor der Tür und sprach mit jemand. Das Haus sah so einladend aus, daß sich Gomery, als sie bis auf wenige Schritte herangekommen waren, nicht enthalten konnte, Grimaldi zuzuflüstern, es möchte das beste sein, daß sie sich vor allen Dingen Brot und Käse geben ließen und dann erst die große Frage an den Wirt richteten.
Grimaldi nickte ihm Billigung zu, sie gingen hinein und forderten Brot, Käse und einen Trunk Bier. Sobald sie die ungestümsten Forderungen ihres Hungers befriedigt hatten, bedienten sie sich eines Hellers, den Grimaldi noch in einer seiner Taschen entdeckt, um nach »Schrift oder Bild« entscheiden zu lassen, wer den Sixpence vorzeigen sollte. Das Los traf Grimaldi; er trat gravitätisch zu dem Wirte, legte die zweifelhafte Münze mit seiner ganzen eigentümlichen Würde vor ihm auf den Tisch und forderte ihn auf, sich davon bezahlt zu machen.
»Ganz recht, Sir,« sagte der Wirt, nach der wunderbaren Miene, die Grimaldi angenommen, statt nach dem Sixpence zu sehen.
»Ist es auch recht, Sir?« fragte Grimaldi.
»Allerdings, ich danke Ihnen, meine Herren,« erwiderte der Wirt und steckte die Münze, oder was es sonst war, in die Tasche.
Gomery sah Grimaldi an, und Grimaldi ging mit einer Miene und einem schlechterdings unbeschreiblichen Wesen, gefolgt von seinem Freunde, aus dem Hause hinaus.
»Solch ein Glück ist mir noch niemals begegnet,« sagte er. »Der Sixpence war eine wahrhaftige Gottesgabe.«
»Das Blechstück willst Du sagen,« bemerkte Gomery.
Ob der Fund das eine oder andere war, ist ungewiß, allein Grimaldi besuchte dasselbe Gasthaus späterhin noch öfter, und da der Sache nicht wieder erwähnt wurde, so hielt er sich vollkommen überzeugt, daß es ein guter wirklicher Sixpence gewesen sei.
Anfangs 1794 bezog er mit seiner Mutter ein sechs Zimmer enthaltendes Haus in Penton Place, Pentonville, mit einem Garten. Sie überließen einige der Zimmer einem Mr. Lewis und dessen Frau, welche in Sadlers Wells engagiert waren, lebten so drei Jahre. Da Grimaldi’s Gehalt eine Steigerung erfahren hatte, so fing er an, sich als vollkommen unabhängig zu betrachten. Zu Ostern nahmen die Vorstellungen in Sadlers Wells wie gewöhnlich ihren Anfang. Er machte Furore in einer neuen Rolle, und sein Ruf nahm rasch bedeutend zu. Er knüpfte zu dieser Zeit eine neue Bekanntschaft an, die für viele Jahre einen wesentlichen Einfluß auf sein Lebensglück gewann. Es ging damit folgendermaßen zu.
Wenn Probe in Sadlers Wells war, pflegte seine, bei dem dortigen Theater gleich ihm selbst engagierte Mutter den ganzen Tag im Schauspielhause zuzubringen, im Ankleidezimmer zu essen und sich mit Nähtereien zu beschäftigen. Sie hatte dies angefangen, weil die Great-Wildstraße von Sadlers Wells sehr weit entfernt war, und als sie in Penton Place dem Schauspielhause so viel näher wohnte, setzte sie es fort, weil sie sich einmal daran gewöhnt hatte. Mr. Hughes, der zu dieser Zeit Haupteigentümer des Theaters geworden war und ein anstoßendes Haus bewohnte, hatte mehrere Kinder. Das älteste derselben war eine Tochter. Miß Maria Hughes war eine ausgezeichnete junge Dame. Sie hatte immer sehr viel von Grimaldi’s Mutter gehalten und benutzte jede Gelegenheit, in ihrer Gesellschaft zu sein; sie pflegte bei ihr von drei oder vier bis sechs Uhr, mit einer weiblichen Arbeit beschäftigt, im Ankleidezimmer zu verweilen, und ging, wenn die anderen beim Theater engagierten Frauenzimmer sich einstellten. Grimaldi pflegte sich zwischen vier und fünf Uhr einzufinden, trank zur letztgenannten Stunde den Tee mit seiner Mutter und blieb ebenso lange wie sie. So entstand zwischen ihm und Miß Hughes eine genauere Bekanntschaft, die allmählich wärmere Gefühle erweckte.
Den folgenden Tag, nachdem er in seiner neuen Rolle so großen Beifall geerntet, begab er sich wie gewöhnlich in das Ankleidezimmer, wo ihn seine Hausbewohnerin, Mrs. Lewis, die Garderobemeisterin, die zufällig anwesend war, mit Lobsprüchen überhäufte. Miß Hughes war gleichfalls zugegen, sagte aber lange Zeit nichts, und Grimaldi hörte so ungeduldig, als er konnte, Mrs. Lewis zu. Er hätte Miß Hughes lieber eine Minute, als die letztere eine Stunde reden hören. Endlich schwieg sie, um Atem zu schöpfen, wie die besten Redner von Zeit zu Zeit nicht umhin können, und nun blickte Miß Hughes auf und sagte mit einigem Stocken, Mr. Grimaldi hätte ihrer Meinung nach die Rolle außerordentlich gut gespielt, so gut, daß es ihm sicher niemand gleich tun könnte.
Grimaldi hatte auf dem Wege nach Sadlers Wells die Sache überlegt und beschlossen, wenn Miß Hughes sein Spiel loben würde, mit einer feinen und wohlgesetzten Schmeichelei zu erwidern, die eine Andeutung auf den Zustand seiner Gefühle enthielte. Er hatte mehrere ausgesonnen, vermochte aber, sobald ihm Miß Hughes ihr Lob ausgesprochen, kein Wort hervorzubringen, errötete stark, nahm eine sehr spaßhafte Miene an, fühlte sich äußerst verlegen, machte endlich eine ungeschickte Verbeugung und ging nach der Tür, um sich zu entfernen.
Es war sechs Uhr, und die Damen traten eben herein. Er war stets eine Art Liebling derselben gewesen, und ein paar der lebhaftesten und mutwilligsten – deren einige es in fast allen Schauspielerinnen – wie anderen Gesellschaften gibt – lobten zuerst sein Spiel und zogen ihn sodann mit einem anderen Gegenstande auf.
»Joe ist so unendlich beliebt geworden,« sagte die eine, »daß er sich nach einem Liebchen umsehen sollte.«
Hier blickte Joe nach Miß Hughes, und errötete noch weit stärker. »Sehr wahr,« fiel die zweite ein. »Was sagen Sie zu einer von uns, Joe?«
Joe wurde so betreten, daß sein Aussehen ein allgemeines Gelächter erregte.
»Wenn ich nicht sehr irre, meine Damen,« nahm Mrs. Lewis das Wort, »so hat Joe bereits ein Liebchen.«
Eine andere Dame sagte, sie wisse bestimmt, daß er deren zwei, noch eine andere, daß er deren drei hätte, und so fort. Er stand unterdessen mit gesenkten Blicken fast außer sich vor Unruhe und Verdruß da, zu denken, daß Miß Hughes diese Anklagen hörte und ihnen vielleicht gar Glauben schenkte.
Er eilte endlich hinaus, überlegte noch reiflicher, und gelangte bald zu dem Schlusse, daß Mr. Hughes‘ schöne Tochter einen unauslöschlichen Eindruck auf sein Herz gemacht habe und daß er gar nicht heiraten möchte, wenn sie ihn nicht erhörte, in welchem Falle er für immer unglücklich sein würde; anderer ähnlichen Folgerungen nicht zu gedenken, wie sie von jungen Leuten aus gleichen Vorsätzen gezogen zu werden pflegen. Mehrfache Sorgen und Befürchtungen begleiteten jedoch die Entdeckung. Der gewünschten Verbindung schien sich in seinen und der Dame so verschiedenen Verhältnissen ein fast unüberwindliches Hindernis entgegenzustellen; er hatte keinen Grund zu glauben, daß Miß Hughes andere Gefühle für ihn hege, als solche, die sie gegen den Sohn einer Freundin, welche sie schon lange gekannt hatte, zu unterhalten geneigt sein möchte. Diese Betrachtungen machten ihn so unglücklich, als der leidenschaftliche Liebhaber zu sein wünschen konnte. Er aß wenig, trank wenig, schlief noch weniger, verlor seine heitere Laune und ließ mit einem Worte eine große Menge von Krankheitsanzeichen blicken, dergleichen unter allen Umständen bedenklich gewesen sein würden, es aber besonders bei einem Patienten waren, bei welchem die Erfüllung seiner schwachen Hoffnungen hauptsächlich davon abhing, daß er sich seine humoristische heitere Laune bewahrte.
- In den Pantomimen treten Harlequin und der Clown bisweilen zuerst als Handwerker oder Geschäftsleute irgend einer Art auf, z. B. als Bäcker und Bäckergesell. In dieser Rolle war Grimaldi äußerst komisch, wenn die Pasteten und Puddinge zum Backen gebracht wurden, und er dann von allen ein wenig stipitzte, wie es den Bäckern nachgesagt wird.
- Sehr bekanntgeworden besonders durch ihre merkwürdigen, nicht eben geheim gebliebenen Verhältnisse zu einer hohen Person. Die war eine unnachahmliche komische Schauspielerin, hatte eine wohlklingende Stimme und anmutvolle Manieren, obwohl ihre Redeweise bisweilen unfein war. Sie hatte dreizehn erwachsene Kinder, wohnte kurz vor ihrem Tode in Cadogan-Place (s. Nicklebys Schicksale – Mr. und Mrs. Wititterly), und sah sich genötigt, das Land zu meiden, um Gläubigern zu entfliehen. Sie starb in nichts weniger als glänzenden Umständen in St. Omers. Die Kosten ihrer Beerdigung mußten durch Subskription gedeckt werden.