V.

Der Spiegel, der Kamm und das Halsband.

Sie besaß eine eigenartige Schönheit. Ihre Haare schienen zwei Goldmassen zu sein, aber sie waren zu reichlich und überragten ihre niedere Stirne wie zwei tiefe, schattige Wogen, unter welchen die Ohren verschwanden und welche in Windungen auf dem Nacken lagen. Die Nase war fein und die ausdrucksvollen Nasenlöcher zuckten manchmal über einem vollen, bemalten Munde mit abgerundeten, beweglichen Ecken. Die weiche Linie des Körpers wiegte sich bei jedem Schritte, durch die Schwingungen der freien Brüste oder das Schaukeln der schönen Hüften unter der biegsamen Taille belebt.

Als sie nur mehr zehn Schritte von dem Jüngling entfernt war, wandte sie ihren Blick nach ihm. Demetrios erbebte. Es waren wunderbare Augen; blau aber dunkel und glänzend zugleich, feucht, müde, schluchzend und lodernd, unter der Last der langen Augenlider und Wimpern fast geschlossen. Diese Augen schauten wie die Sirenen singen. Wer durch ihren Lichtkreis ging, war unwiderstehlich gefangen. Sie wußte es wohl und nützte geschickt den Eindruck, den sie hervorriefen; aber sie rechnete mehr noch auf die geheuchelte Gleichgültigkeit gegen den, welchen so viel wahre Liebe nicht hatte wahrhaft rühren können.

Die Seefahrer, welche die purpurnen Meere weit über den Ganges hinaus durchschifft haben, erzählen, daß sie unter den Wassern Felsen gesehen haben, welche Magnetsteine sind. Wenn ein Schiff bei ihnen vorbeifährt, fallen Nägel und Eisenbeschläge davon ab, von der unterirdischen Klippe auf immer angezogen. Und was ein schnelles Fahrzeug gewesen, ein Wohnort, ein lebendes Wesen, ist dann nur mehr eine lose Brettermenge, die vom Winde zerstreut auf den Fluthen treibt. So verlor sich Demetrios in sich selbst vor zwei großen anziehenden Augen, und seine ganze Kraft verließ ihn.

Sie senkte die Augenlider und ging an ihm vorbei.

Er hätte vor Ungeduld aufschreien mögen. Seine Fäuste ballten sich zusammen: er fürchtete sich keine ruhige Haltung mehr annehmen zu können, denn er mußte mit ihr reden. Dach sprach er sie mit den üblichen Worten an:

– Sei mir gegrüßt, sagte er.

– Sei auch Du gegrüßt, antwortete die Vorbeigehende.

Demetrios fuhr fort:

– Wohin gehst Du, mit so wenig Eile?

– Ich gehe nach Hause.

– Ganz allein?

– Ganz allein.

Und sie machte eine Bewegung, um ihren Spaziergang fortzusetzen.

Da dachte Demetrios, er habe sich vielleicht getäuscht, als er sie für eine Dirne hielt. Seit einiger Zeit kleideten und schminkten sich die Gattinen der Richter und Beamten wie Freudenmädchen. Diese war wohl eine in sehr gutem Rufe stehende Frau, und ohne Ironie fuhr er in seiner Frage also fort:

– Zu Deinem Gatten?

Sie lehnte sich mit beiden Händen zurück und sagte lachend:

– Heute Abend hab‘ ich keinen Gatten.

Demetrios biß sich in die Lippen und sagte fast schüchtern:

– Suche ihn nicht. Du hast Dich zu spät daran gemacht. Es ist Niemand mehr da.

– Wer hat Dir gesagt, daß ich auf der Suche bin? Ich gehe allein spazieren und suche nichts.

– Woher bist Du denn gekommen? All‘ den Schmuck hast Du doch nicht für Dich allein angelegt, und Du hast hier einen seidenen Schleier …

– Muthest Du mir zu nackt auszugehen, oder mit Wolle bekleidet wie eine Sklavin? Ich schmücke mich nur zu meinem Vergnügen; es ist mir lieb zu wissen, daß ich schön bin und im Gehen betrachte ich meine Finger, um alle meine Ringe kennen zu lernen.

– Du solltest einen Spiegel in der Hand haben und nur Deine Augen anschauen. Diese Augen sind nicht in Alexandrien geboren worden. Du bist Jüdin, ich höre es an Deiner Stimme, welche milder ist als die unsrigen.

– Nein, ich bin nicht Jüdin, ich bin Galiläerin.

– Wie heißest Du, Miriam oder Noemi?

– Mein Name ist syrisch und Du wirst ihn nicht erfahren. Es ist ein königlicher Name, den man hier nicht trägt. Meine Freunde nennen mich Chrysis, und es ist ein Compliment, das Du mir hättest machen können.

Er legte ihr die Hand auf den Arm.

»Ach! nein, nein, sagte sie mit höhnischer Stimme. Es ist viel zu spät für derlei Scherze. Laß‘ mich schnell nach Hause gehen. Ich bin schon seit fast drei Stunden aufgestanden, ich sterbe vor Müdigkeit.«

Und, sich niederbeugend, nahm sie einen Fuß in die Hand und fuhr fort:

»Schau, wie meine Schuhbänder mir weh thun! Sie sind viel zu straff gebunden worden. Wenn ich sie nicht löse, werde ich die Spur davon am Fuße behalten und Das wäre schön, wenn man mich umarmen wird! Laß‘ mich schnell! Ach, welche Mühe! Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich nicht stehen geblieben. Mein gelber Schleier ist an der Taille ganz zerknüllt, schau nur!«

Demetrios strich mit der Hand über die Stirne; dann murmelte er mit dem leichten Tone eines Mannes, der sich zu entschließen geruht:

»Zeige mir den Weg!«

– Aber ich will nicht! sagte Chrysis mit erstaunter Miene. Du fragst mich nicht einmal, ob es mir Vergnügen macht. »Zeige mir den Weg!« Wie er das sagt! Hältst Du mich für eine Metze des Dirnenviertels, die sich für drei Obolen auf den Rücken legt, ohne auch nur zu schauen, wer sie in den Armen hält? Weißt Du auch nur, ob ich frei bin? Kennst Du die Bedingungen meiner Zusammenkünfte? Bist Du meinen Spaziergängen gefolgt? Hast Du die Thüren, welche sich für mich öffnen, bezeichnet? Hast Du die Männer gezählt, welche sich von Chrysis geliebt wähnen? »Zeige mir den Weg!« Ich werde ihn Dir nicht zeigen, wenn es Dir beliebt. Bleibe hier oder geh fort, aber anderswo hin, nicht zu mir!

– Du weißt nicht, wer ich bin …

– Du? Ach was! Du bist Demetrios von Saïs; Du hast das Standbild meiner Göttin gemacht, Du bist der Geliebte meiner Königin und der Gebieter meiner Stadt. Aber für mich bist Du nur ein schöner Sklave, weil Du mich gesehen hast und weil Du mich liebst.«

Sie näherte sich ihm und fuhr mit schmeichlerischer Stimme fort:

»Ja, Du liebst mich. Oh sage nichts! – ich weiß, was Du mir sagen willst: Du liebst Niemanden, Du wirst geliebt. Du bist der Liebling, der Heißgeliebte, der Abgott. Du hast Glycera zurückgewiesen, die selbst dem Antiochos sich geweigert hat. Demonassa, die Lesbierin, welche geschworen hatte als Jungfrau zu sterben, hat sich während Deines Schlafes in Dein Bett gelegt und sie hätte Dich mit Gewalt genommen, wenn Deine beiden lybischen Sklaven sie nicht nackt vor die Thür gesetzt hätten. Callistion, die Wohlgenannte, hat, nachdem sie alle Hoffnung verloren hatte Dir zu nahen, das Haus, das dem Deinigen gegenüber liegt, angekauft und jeden Morgen zeigt sie sich in der Fensteröffnung, so wenig bekleidet wie Artemis im Bade. Glaubst Du denn, daß ich Alldas nicht weiß? Man erzählt sich ja Alles unter Hetären. In der Nacht Deiner Ankunft in Alexandrien hat man mir von Dir gesprochen; und seitdem ist kein Tag verflossen, ohne daß man Deinen Namen vor mir ausgesprochen hätte. Ich weiß sogar Dinge, die Du vergessen hast. Ich weiß sogar Dinge, die Du noch nicht kennst. Die arme kleine Phyllis hat sich vorgestern am Riegel Deiner Thür erhängt, nicht wahr? Nun, es ist eine Mode, die anfängt sich zu verbreiten. Lydé hat es ebenso wie Phyllis gemacht: ich habe sie heute Abend im Vorbeigehen gesehen; sie war ganz blau, aber die Thränen ihrer Augen waren noch nicht trocken. Du weißt nicht, wer das ist, Lydé? Ein Kind, eine kleine Buhlerin von fünfzehn Jahren, von ihrer Mutter im vergangenen Monat an einem Rheder von Samos verkauft, der eine Nacht in Alexandrien verbrachte, bevor er den Fluß bis nach Theben hinauffuhr. Sie hatte die Gewohnheit zu mir zu kommen. Ich gab ihr gute Rathschläge; sie wußte absolut nichts, nicht einmal Würfel spielen kannte sie. Ich lud sie oft in mein Bett ein, weil sie, wenn sie keinen Geliebten hatte, nicht wußte wo sie schlafen sollte. Und sie liebte Dich! Wenn Du gesehen hättest, wie sie mich an sich zog, indem sie Deinen Namen nannte! … Sie wollte Dir schreiben. Versteht Du? Ich habe ihr gesagt, daß es nicht der Mühe werth sei …«

Demetrios blickte sie an, ohne zu hören.

»Ja, das Alles ist Dir ganz gleichgültig, nicht wahr? fuhr Chrysis fort. Denn Du liebtest sie nicht. Mich liebst Du. Du hast nicht einmal angehört, was ich Dir soeben sagte. Ich bin sicher, daß Du nicht ein einziges Wort wiederholen könntest. Du bist sehr beschäftigt zu erfahren, wie meine Augenlider beschaffen sind, wie mein Mund köstlich, und mein Haar lieblich zu berühren sein muß. Ach! wie viele Andere giebt es, die das wissen! Alle, Alle die, welche Verlangen nach mir hatten, haben es auf mir gestillt: Männer, Jünglinge, Greise, Kinder, Frauen, Mädchen. Ich habe Niemanden zurückgewiesen, hörst Du wohl? Seit sieben Jahren, Demetrios, habe ich nur drei Nächte allein geschlafen. Rechne aus, wie viel Liebhaber das macht? Zweitausend fünfhundert, und mehr, denn ich spreche nicht von denjenigen, die ich des Tages hatte. Im vorigen Jahr habe ich nackt vor zwanzigtausend Personen getanzt, und ich weiß, daß Du nicht dabei warst. Glaubst Du, daß ich mich verberge? Ach, weßhalb denn? Alle Frauen haben mich im Bade gesehen. Alle Männer haben mich im Bett gesehen. Du allein wirst mich nie sehen. Ich weise Dich zurück, ich weise Dich zurück! Von dem was ich bin, von dem was ich fühle, von meiner Schönheit, von meiner Liebe wirst Du niemals, niemals Etwas wissen! Du bist ein abscheulicher Mensch, Du bist dünkelhaft, grausam, gefühllos und feig! Ich weiß nicht, warum nicht Eine von uns genügenden Hasses fähig war, um Euch beide zu tödten, den Einen auf der Anderen: Dich zuerst und dann Deine Königin.«

Demetrios nahm ihr ruhig die beiden Arme, und ohne ein Wort zu erwidern, beugte er sie mit Gewalt zurück.

Einen Augenblick wurde es ihr bange; aber plötzlich drückte sie die Kniee zusammen und preßte die Ellenbogen an einander und mit dem Oberkörper zurückweichend sagte sie:

»Ha! das fürchte ich nicht, Demetrios! Du wirst mich nie mit Gewalt bekommen, wäre ich auch schwach wie eine verliebte Jungfrau und Du stark wie ein Atlas. Du suchst nicht nur Deinen eigenen Genuß, Du willst besonders den meinen. Du willst mich auch sehen, mich ganz sehen, weil Du mich für schön hältst und ich bin es thatsächlich. Und der Mond erleuchtet weniger als meine zwölf Wachskerzen. Hier ist es fast dunkle Nacht. Es ist auch nicht üblich, sich am Strande zu entkleiden. Ich könnte mich nicht wieder ankleiden, wenn ich meine Sklavin nicht da hätte. Laß mich los, Du thust mir am Arme weh.«

Sie schwiegen einige Augenblicke, dann begann Demetrios von Neuem:

»Wir müssen ein Ende machen, Chrysis. Du weißt es wohl, ich werde Dich nicht zwingen. Aber laß mich Dir folgen. So hochmüthig Du auch seist, es ist ein Ruhm, den Du theuer bezahlen wirst, Demetrios zurückzuweisen.«

Chrysis schwieg immer noch.

Sanfter begann er von Neuem:

»Was fürchtest Du?

– Du bist an die Liebe der Anderen gewöhnt. Weißt Du, was man einer Hetäre geben soll, die nicht liebt?

Er wurde ungeduldig.

»Ich verlange nicht, daß Du mich liebst. Ich bin es müde geliebt zu werden. Ich will nicht geliebt werden. Ich verlange nur, daß Du dich hingibst. Dafür werde ich Dir alles Gold der Welt geben. Ich habe es in Aegypten.

– Ich habe es in meinem Haar. Ich bin des Goldes überdrüssig. Ich will kein Gold. Ich will nur drei Dinge. Wirst Du mir sie geben?«

Demetrios fühlte, daß sie das Unmögliche verlangen würde. Er schaute sie beklommen an. Doch sie begann zu lächeln und sagte langsam:

»Ich will einen Silberspiegel, um meine Augen in meinen Augen zu betrachten.

– Du wirst ihn haben. Was willst Du mehr? Sage schnell.

– Ich will einen Kamm aus geschnitztem Elfenbein, um ihn in mein Haar zu tauchen, wie ein Netz in das Wasser bei Sonnenschein.

– Dann?

– Du wirst mir den Kamm geben?

– Natürlich ja. Sprich zu Ende.

– Ich will ein Halsband aus Perlen, um es auf meiner Brust auszubreiten, wenn ich für Dich, in meinem Gemache die Hochzeitstänze meines Landes tanzen werde.

Er hob die Augenbrauen:

– Ist das Alles?

– Wirst Du mir das Halsband geben?

– Dasjenige, welches Dir gefallen wird.

Sie nahm eine sehr zärtliche Stimme an.

– Welches mir gefallen wird? Ha! das ist es gerade, was ich von Dir verlangen wollte. Wirst Du mich meine Geschenke wählen lassen?

– Versteht sich.

– Schwörst Du es?

– Ich schwöre.

– Welchen Schwur leistest Du?

– Schreibe mir ihn vor.

– Bei der Aphrodite, die Du gemeißelt hast.

– Ich schwöre bei der Aphrodite. Aber weßhalb diese Vorsicht?

– Nun… Ich war nicht ruhig… Jetzt bin ich es.

Sie hob den Kopf und sagte:

– Ich habe meine Geschenke gewählt.

Demetrios wurde wieder unruhig und fragte:

– Schon?

– Ja… Glaubst Du, ich würde irgend welchen Silberspiegel annehmen, den Du von einem Händler aus Smyrna oder von einer unbekannten Hetäre kaufen würdest? Ich will denjenigen meiner Freundin Bacchis, welche mir vergangene Woche meinen Geliebten genommen hat und in einem kleinen Gelage, das sie mit Tryphaera, Mousarion und einigen jungen Gecken hielt, die mir Alles wieder erzählt haben, mich boshaft ausgelacht hat. Es ist ein Spiegel, der ihr sehr theuer ist, weil er Rhodopis gehört hat, Rhodopis, die mit Aesop Sklavin war und durch den Bruder der Sappho freigekauft wurde. Du weißt, daß sie eine berühmte Hetäre ist. Ihr Spiegel ist herrlich. Man sagt, daß Sappho sich darin beschaut hat, und darum ist er Bacchis so theuer. Sie hat nichts Kostbareres in der Welt, aber ich weiß, wo Du ihn finden wirst. Sie hat es mir in einer Nacht gesagt, als sie trunken war. Er liegt unter dem dritten Stein des Haus-Altars. Dort verbirgt sie ihn jeden Abend, wenn sie bei Sonnenuntergang ausgeht. Gehe morgen zu dieser Stunde hin und sei unbesorgt: sie führt ihre Sklavinen mit.

– Das ist ja Wahnsinn! rief Demetrios aus. Soll ich denn stehlen?

– Liebst Du mich nicht? Ich glaubte, daß Du mich liebest. Und dann, hast Du nicht geschworen? Ich glaubte, Du hättest geschworen. Wenn ich mich geirrt habe, sprechen wir nicht weiter davon.«

Er begriff, daß sie ihn ins Verderben trieb, aber er ließ sich kampflos, fast willig fortreißen.

»Was Du willst, werde ich thun«, antwortete er.

– Oh! ich weiß wohl, daß Du es thun wirst. Aber Du zögerst noch. Ich begreife, daß Du zögerst. Es ist kein gewöhnliches Geschenk; von einem Philosophen würde ich es nicht verlangen. Aber von Dir verlange ich es. Ich weiß wohl, daß Du es mir geben wirst.

Sie spielte einen Augenblick mit den Pfauenfedern ihres runden Fächers und sagte dann plötzlich:

»Ha! … ich will auch keinen gewöhnlichen Elfenbeinkamm, der bei einem Verkäufer der Stadt zu kaufen ist. Du hast mir gesagt, ich könne wählen, nicht wahr? Nun, ich will … ich will den Kamm aus geschnitztem Elfenbein, der in den Haaren der Gattin des Hohenpriesters steckt. Der ist noch viel kostbarer, als der Spiegel der Rhodopis. Er kommt von einer Königin Aegyptens, welche vor langer, langer Zeit gelebt hat und deren Name so schwer ist, daß ich ihn nicht aussprechen kann. Das Elfenbein ist denn auch sehr alt, und so gelb als wäre es vergoldet. Es ist ein junges Mädchen hineinziseliert worden, das einen Tümpel mit Lotosblumen durchwatet. Die Lotosblumen sind größer als das Mädchen und es geht auf den Zehen, um nicht naß zu werden … Es ist wirklich ein schöner Kamm … ich bin froh, daß Du mir ihn giebst. Ich habe mich auch ein wenig gegen die Besitzerin des Kammes zu beschweren. Vorigen Monat habe ich der Aphrodite einen blauen Schleier dargebracht; und am nächsten Tage habe ich ihn auf dem Kopfe dieser Frau gesehen. Das ist etwas schnell gegangen und ich grollte ihr deshalb. Ihr Kamm wird mich für meinen Schleier rächen.

– Und wie werde ich ihn bekommen? fragte Demetrios.

– Ach! Das wird ein wenig schwieriger sein. Du weißt, daß sie eine Aegypterin ist; sie sticht ihre zweihundert Zöpfchen nur ein Mal im Jahr, wie die anderen Frauen ihrer Rasse. Aber ich will meinen Kamm morgen haben, und Du wirst sie tödten, um ihn zu erhalten. Du hast einen Schwur geleistet.

Sie machte Demetrios ein Mäulchen, weil dieser zur Erde schaute. Dann schloß sie sehr schnell:

»Ich habe auch mein Halsband gewählt. Ich will das Halsband mit sieben Perlenreihen, das den Hals der Aphrodite schmückt.«

Demetrios fuhr auf.

»Ha! das ist zu viel! Du wirst mich nicht bis zu Ende zum Besten haben! Nichts, hörst Du, nichts! weder Spiegel, noch Kamm, noch Halsband sollst Du haben …«

Doch sie schloß ihm den Mund mit der Hand und fuhr mit ihrer einschmeichelnden Stimme fort:

»Sage das nicht. Du weißt wohl, daß Du mir auch das Halsband geben wirst. Ich bin dessen ganz sicher. Ich werde die drei Geschenke erhalten … Du wirst morgen Abend zu mir kommen, und übermorgen, wenn Du willst, und jeden Abend. Zu Deiner Stunde werde ich da sein, in dem Kostüm, das Du liebst, nach Deinem Geschmacke geschminkt, nach Deinem Belieben gekämmt, zu allen Deinen Launen bereit. Wenn Du nur Zärtlichkeit willst, werde ich Dich wie ein Kind lieben. Wenn Du seltene Sinneslüste suchst, werde ich Dir selbst die schmerzhaftesten nicht verweigern. Wenn Du Schweigen verlangst, werde ich still sein … Wenn Du mich singen hören willst, ha! Du wirst sehen, Geliebter! ich kenne Lieder aus allen Ländern. Ich weiß solche, die lieblich sind wie das Plätschern der Quelle, andere, die furchtbar sind, wie das Herannahen des Donners. Ich weiß so naive und frische, daß ein junges Mädchen sie ihrer Mutter singen würde und ich weiß solche, die man nicht in Lampsach singen würde; ich weiß solche, welche Elephantis zum Erröthen gebracht hätten und welche ich nur ganz leise zu singen wagen würde. In den Nächten, wo Du wünschen wirst, daß ich tanze, werde ich bis zum Morgen tanzen. Ich werde angekleidet tanzen, mit meiner schleppenden Tunika, oder unter durchsichtigen Schleiern, oder mit durchbrochenen Beinkleidern und einem Leibchen mit zwei Öffnungen, um die Brüste durchzulassen. Doch ich habe Dir versprochen nackt zu tanzen? Ich werde nackt tanzen, wenn Du es lieber siehst. Nackt und mit Blumen in den Haaren, oder nackt, mit wallendem Haar, und bemalt wie ein heiliges Bild. Ich verstehe es die Hände zu wiegen, die Arme abzurunden, die Brust zu schütteln, den Bauch zu bewegen. Ich tanze auf den Fußspitzen, oder auf dem Teppich liegend. Ich kenne alle Tänze der Aphrodite, solche, die man vor der Urania tanzt, und solche, die man vor der Astarte tanzt. Ich kenne sogar solche, die man sich nicht zu tanzen getraut … Ich werde Dir alle Liebestänze vorführen … Wenn ich damit zu Ende bin, wird Alles von Neuem beginnen. Du wirst sehen. Die Königin ist reicher als ich, aber im ganzen Palaste ist kein Gemach, welches so von Liebe erfüllt ist, wie das meine. Ich sage Dir nicht, was Du dort finden wirst. Es giebt dort Dinge, welche zu schön sind, als daß ich Dir eine Vorstellung davon geben könnte, und andere, die so schmählich sind, daß ich keine Worte finde, um sie zu sagen. Und dann, weißt Du, was Du noch sehen wirst, und was alles Andere übertrifft? Du wirst Chrysis sehen, Chrysis, die Du liebst, und die Du noch nicht kennst. Ja, Du hast nur mein Gesicht gesehen. Du weißt nicht, wie schön ich bin. Ha! Ha! … Ha! Ha! Du wirst Überraschungen erleben! … Ha! wie Du mit den Spitzen meiner Brüste spielen wirst, wie sich meine Taille in Deinem Arme biegen wird, wie Du in der Pressung meiner Kniee zittern wirst, wie Du auf meinem bewegten Körper hinsterben wirst. Und wie süß wird mein Mund Dir sein! Ach! meine Küsse …«

Demetrios warf ihr einen trostlosen Blick zu.

Zärtlich begann sie von Neuem:

»Wie, Du willst mir nicht einmal einen armseligen alten Silberspiegel geben. Du, der all mein Haar, wie einen Wald von Gold, in den Händen haben wird?«

Demetrios wollte sie berühren … Sie trat zurück und sagte:

»Morgen!«

– Du wirst ihn erhalten, murmelte er.

– Und Du willst nicht einen kleinen Elfenbeinkamm für mich stehlen, der mir gefällt? Du, der meine beiden Arme wie zwei Elfenbeinzweige um Deinen Hals haben wird?«

Er versuchte sie zu liebkosen … sie zog sie zurück, und wiederholte:

»Morgen!

– Ich werde Dir ihn bringen, sagte er sehr leise.

– Ha! ich wußte es wohl, rief die Hetäre, und Du wirst mir auch das Halsband mit sieben Reihen Perlen geben, das am Halse der Aphrodite hängt, und dafür werde ich Dir meinen ganzen Körper verkaufen, der wie eine halbgeöffnete Perlenmuschel ist, und mehr Küsse in Deinen Mund, als es Perlen im Meere giebt!«

Demetrios neigte flehend sein Haupt zu ihr … Sie beherrschte seinen Blick und bot ihm ihre wollüstigen Lippen …

Als er die Augen wieder öffnete, war sie schon weit fort.

Ein kleiner, fahler Schatten eilte hinter ihrem wallenden Schleier einher.

Schwankend schlug er den Weg zur Stadt ein, die Stirne unter einer unaussprechlichen Schmach beugend.

VI

Die Jungfrauen

Der Morgen dämmerte über dem Meere herauf. Alle Dinge nahmen eine Lilafarbe an. Die flammende Gluth des Leuchtthurmes erlosch gleichzeitig mit dem Monde. Flüchtige gelbe Lichter tauchten auf den violetten Wogen auf wie Sirenengesichter unter einer Haarfülle von malvenfarbenem Algen. Plötzlich war es Tag.

Der Strand war vereinsamt. Die Stadt war todt. Es war das trübe Licht vor der ersten Morgenröthe, das den Schlaf der Welt beleuchtet und die müden Träume des Morgens bringt.

Alles war verschwunden; nur die Stille herrschte.

Wie schlafende Vögel die Schwingen, ließen die an den Ufern nebeneinander gereihten Schiffe ihre parallelen Ruder in’s Wasser hängen. Die Perspective der Straßen zeichnete sich in architectonisch regelmäßigen Linien ab, welche kein Karren, kein Pferd, kein Sklave unterbrach. Alexandrien war nur eine ungeheure Einöde und bot das Bild einer alten, seit Jahrhunderten verlassenen Stadt.

Doch ein leichtes Geräusch von Schritten hallte auf der Erde und zwei junge Mädchen, das eine gelb, das andere blau gekleidet, wurden sichtbar.

Sie trugen beide den Jungfrauengürtel, der sich um die Hüften wand und sehr tief, unterhalb des jugendlichen Bauches befestigt war. Es war die Sängerin der Nacht und eine der Flötenspielerinen.

Die Musikspielerin war jünger und hübscher als ihre Freundin. Ihre Augen, so blau wie ihr Kleid, lächelten schwach, halb unter ihren Augenlidern verschwindend. Die beiden dünnen Flöten hingen auf ihren Schultern an einem farbigen Achselbande. Ein doppelter Iriskranz war um ihre runden Beine gewunden und unter dem leichten Stoffe des Kleides an den Knöcheln mit zwei silbernen Ringen befestigt.

»Myrtocleia, sei nicht betrübt, weil Du unsere Täfelchen verloren hast. Hättest Du je vergessen, daß Rhodis Liebe Dir gehört, oder konntest Du, Böse! denken, daß Du diese von meiner Hand geschriebene Zeile je hättest allein gelesen? Bin ich eine jener schlechten Freundinen, welche den Namen ihrer Bettgenossin auf ihren Fingernagel eingraben, und sich mit einer anderen verbinden, wenn der Nagel bis zu Ende nachgewachsen ist? Bedarfst Du eines Andenkens an mich, wenn Du mich selbst ganz und lebendig hast? Ich habe kaum das Alter erreicht, wo die Jungfrauen heirathen, und doch war ich, am Tage wo ich Dich zuerst sah, erst halb so alt. Du erinnerst Dich wohl. Es war im Bade. Unsere Mütter hielten uns unter den Armen und schaukelten uns einander entgegen. Wir haben lange auf den Marmorplatten gespielt, bevor wir unsere Kleider wieder anlegten. Seit jenem Tage haben wir uns nicht wieder verlassen, und fünf Jahre später haben wir uns geliebt.«

Myrtocleia erwiederte:

»Es gibt noch einen anderen ersten Tag, Rhodis, Du weißt es wohl. An jenem Tage hattest Du, unsere Namen vereinend, die drei Worte auf die Täfelchen geschrieben. Es war der erste. Er kommt uns nimmer wieder. Aber was liegt daran? Jeder Tag ist neu für mich und wenn Du gegen Abend erwachst, scheint es mir, ich hätte Dich nie gesehen. Ich glaube fast, daß Du kein Mädchen bist: Du bist eine kleine Nymphe Arcadiens, welche die Wälder verlassen hat, weil Phoïbos ihre Quelle versiegen ließ. Dein Leib ist biegsam wie ein Olivenzweig, Deine Haut ist weich wie das Wasser im Sommer, Irisblumen winden sich um Deine Beine und Du trägst die Lotos-Blume wie Astarte die offene Feige. In welchem Haine, von Unsterblichen bewohnt, ist Deine Mutter vor Deiner glückseligen Geburt eingeschlafen? Und welcher kecke Ägipan oder welcher Gott eines geheiligten Flusses hat sich im Grase mit ihr vereint? Wenn wir einst diese häßliche afrikanische Erde verlassen, wirst Du mich zu Deiner Quelle führen, weit hinter Psophis und Phenaea, in die großen, schattigen Wälder, wo man auf der weichen Erde die doppelten Spuren der Satyren, von den leichten Schritten der Nymphen durchkreuzt, sieht. Dort suchst Du dann einen glatten Felsen, und gräbst in den Stein, was Du auf das Wachs geschrieben hattest: die drei Worte, welche unsere ganze Freude ausmachen. Höre, höre zu, Rhodis! Beim Gürtel der Aphrodite, worauf alle Begierden eingestickt sind, alles Verlangen ist mir fremd, weil Du mehr als mein Traum bist. Beim Füllhorn Amaltheia’s, woraus alle Güter der Welt fließen, die Welt ist mir gleichgültig, weil Du das einzige Gut bist, das ich darin gefunden habe. Wenn ich Dich betrachte und dann mich selbst ansehe, so weiß ich nicht mehr, warum Du Gegenliebe für mich fühlst. Deine Haare sind blond wie Kornähren und die meinigen schwarz wie das Fell eines Bockes. Deine Haut ist weiß wie die Käse der Hirten und die meinige gebräunt wie der Sand am Ufer. Deine Brust ist zart und blühend, wie der Apfelsinenbaum im Herbste, und die meinige mager und unfruchtbar wie die Fichte auf den Felsen. Wenn mein Gesicht schöner geworden ist, so ist es, weil ich Dich so viel geliebt habe. Oh Rhodis, Du weißt es, meine seltsame Jungferschaft gleicht den Lippen des Gottes Pan, wenn er einen Myrthenzweig ißt; die Deine ist rosig und schön wie der Mund eines kleinen Kindes. Ich weiß nicht, warum Du mich liebst, aber wenn Du eines Tages aufhörtest mich zu lieben, wenn Du, wie Deine Schwester Theano, welche neben Dir die Flöte spielt, jemals in dem Hause schlafen bliebest, wo man uns beschäftigt, so hätte ich nicht einmal den Gedanken allein in unserem Bette zu schlafen und Du würdest mich, wenn Du heim kämest, mit meinem Gürtel erwürgt finden.«

Die schmalen Augen Rhodis‘ füllten sich mit Thränen und Lächeln, so sehr war dieser Einfall grausam und toll. Sie setzte ihren Fuß auf einen Eckstein.

– Meine Blumen belästigen mich zwischen den Beinen. Mache sie los, angebetete Myrto. Für diese Nacht habe ich genug getanzt.

Die Sängerin fühlte in sich wie einen Aufstoß des Ekels.

– Ach! ja, es ist wahr. Ich hätte sie schier vergessen, diese Männer und diese Dirnen. Sie haben Euch beide tanzen lassen, Dich in diesem Kleide von Cos, das durchsichtig ist wie das Wasser, und Deine Schwester nackt mit Dir. Wenn ich Dich nicht vertheidigt hätte, sie hätten sich an Dir vergriffen wie an einer Dirne, wie sie sich an Deiner Schwester vergriffen haben, in unserer Gegenwart und im selben Räume … Oh! diese Abscheulichkeit! Hörtest Du ihr Schreien und Klagen! Wie schmerzhaft ist doch die Liebe der Männer!

Sie kniete vor Rhodis nieder und löste die beiden Kränze los, dann die drei Blumen, die höher befestigt waren, an die Stelle jeder Blume einen Kuß drückend. Als sie sich erhob, nahm das Kind sie am Halse und glaubte auf ihrem Munde zu vergehen.

»Myrto, Du bist wohl nicht auf alle diese Wüstlinge eifersüchtig? Was liegt Dir daran, daß sie mich gesehen haben. Theano genügt ihnen, ich habe sie ihnen gelassen, sie kriegen mich nicht, heißgeliebte Myrto. Sei auf sie nicht eifersüchtig.

– Eifersüchtig! … Ich bin eifersüchtig auf Alles, was Dir naht. Damit Deine Gewänder Dich nicht allein haben, ziehe ich sie an, wenn Du sie getragen hast. Damit die Blumen Deiner Haare nicht in Dich verliebt bleiben, übergebe ich sie den armen Hetären, die sie in ihren Gelagen verunreinigen. Ich habe Dir nie etwas gegeben, damit nichts Dich besitze. Ich fürchte Alles, was Du berührst, und hasse Alles, was Du anschaust. Ich möchte mein ganzes Leben hindurch zwischen den Mauern eines Kerkers bleiben, wo wir allein wären, Du und ich, und Dich so tief mit mir vereinen, Dich so gut in meinen Armen verbergen, daß kein Auge Dich dort vermuthen könnte. Ich möchte die Frucht sein, die Du genießest, der Wohlgeruch, der Dir gefällt, der Schlaf, der unter Deine Augenlider dringt, die Liebe, die Deine Glieder zusammenzieht. Ich bin eifersüchtig auf das Glück, das ich Dir gebe, und doch möchte ich Dir sogar dasjenige geben, das ich durch Dich habe. Darauf bin ich eifersüchtig; aber Deine Geliebten einer Nacht, welche mir helfen Deine kindischen Gelüste zu befriedigen, fürchte ich nicht; und was die Liebhaber betrifft, so weiß ich, daß Du ihnen niemals angehören wirst; ich weiß wohl, daß Du den Mann nicht lieben kannst, den unbeständigen, rauhen Mann.

Treuherzig rief Rhodis aus:

– Lieber würde ich, wie Nausithoë, meine Jungferschaft dem Gotte Priapos opfern, den man in Thasos anbetet. Aber heute Morgen nicht, Geliebte. Ich habe lange getanzt, ich bin sehr müde. Ich möchte zu Hause sein, um auf Deinem Arme zu schlafen.

Sie lächelte und fuhr fort:

– Wir werden Theano sagen müssen, daß unser Bett nicht mehr für sie ist. Wir werden ihr ein anderes, rechts von der Thüre, zurichten. Nach dem was ich diese Nacht gesehen habe, werde ich sie nicht mehr umarmen können. Myrto, es ist wahrhaft furchtbar. Ist es möglich, so zu lieben! Das ist es, was sie Liebe nennen?

– Das ist es.

– Sie irren sich, Myrto. Sie wissen nicht.« Myrtocleia nahm sie in ihre Arme und sie schwiegen stille.

Der Wind vermengte ihre Haare.

II.

Der Staub kehrt zur Erde zurück.

»Demetrios!« rief sie aus.

Und sie stürzte ihm entgegen.

Doch, nachdem er sorgfältig den Holzverschluß wieder geschlossen, hatte sich der junge Mann nicht gerührt, und sein Blick bewahrte eine so tiefe Ruhe, daß Chrysis plötzlich daran erstarrte.

Sie hoffte eine Aufwallung der Zärtlichkeit, eine Bewegung der Arme, der Lippen, Etwas, ein Hinstrecken der Hand …

Demetrios regte sich nicht.

Er wartete einen Augenblick stillschweigend, mit einer vollkommenen Korrektheit, als ob er klar hätte feststellen wollen, daß er zur Verfügung stehe.

Aber als er sah, daß man nichts von ihm verlangte, that er vier Schritte bis zum Fenster und lehnte sich in die Oeffnung, den Tagesanbruch betrachtend.

Chrysis saß auf einem sehr niederen Lager, mit starren Augen, fast stumpfsinnig.

Dann redete Demetrios zu sich selbst.

»Es ist besser so,« sagte er sich. »Solche Spiele, im Augenblick des Todes wären eigentlich recht trübselig. Ich bewundere nur, daß sie nicht von Anfang die Vorahnung davon gehabt und daß sie mich mit solcher Begeisterung empfangen hat. Was mich betrifft, so ist es ein abgeschlossenes Abenteuer. Es thut mir ein wenig leid, daß es so endet, denn im Grunde genommen hat Chrysis kein anderes Unrecht begangen, als frei heraus ein Verlangen auszudrücken, das wohl dasjenige der meisten Frauen ist, und wenn man nicht der Entrüstung des Volkes ein Opfer bringen müßte, würde ich mich begnügen dieses allzu hitzige Mädchen verbannen zu lassen, um mich seiner zu entledigen und ihm die Freude am Leben zu gönnen. Aber es hat einen Skandal gegeben und Niemand kann mehr abhelfen. Das sind die Wirkungen der Leidenschaft. Die gedankenlose Wollust, oder das Gegentheil, der Gedanke ohne Genuß haben niemals schlimme Folgen. Man muß viele Geliebten haben, aber mit der Götter Hilfe sich hüten zu vergessen, daß ein Mund dem anderen gleicht.«

Nachdem er so in einem kühnen Aphorisma eine seiner moralischen Theorien kurz zusammengefaßt hatte, nahm er mit Leichtigkeit den Faden seiner Gedanken wieder auf.

Er erinnerte sich dunkel eine Einladung zum Mittagsmahle, die er für den vorigen Tag angenommen und im Wirbel der Ereignisse vergessen hatte, und er nahm sich vor, sich zu entschuldigen.

Er dachte über die Frage nach, ob er seinen Schneider-Sklaven verkaufen sollte, einen alten Mann, der dem unter der früheren Regierung modernen Schnitt treu blieb und nur unvollkommen die falschen Falten der neuen Tuniken zuwege brachte.

Sein Geist war so frei, daß er mit der Spitze seines Schraffirmeißels rasch einen Entwurf für seine Gruppe Zagreus und die Titanen an die Wand zeichnete, eine Variante, welche die Bewegung des rechten Armes bei der Hauptfigur umstellte.

Kaum war sie vollendet, als leicht an die Thür geklopft wurde.

Demetrios öffnete, ohne sich zu beeilen. Der alte Nachrichter trat ein, von zwei behelmten Soldaten gefolgt.

»Ich bringe den kleinen Becher,« sagte er mit einem unterwürfigen Lächeln, das dem königlichen Geliebten galt.

Demetrios beharrte in seinem Schweigen.

Chrysis hob verwirrt den Kopf in die Höhe.

»Nun, meine Tochter,« begann der Gefängnißwärter von Neuem, »der Augenblick ist gekommen. Der Schierling ist zerrieben. Du brauchst ihn nur nach zu trinken. Habe keine Angst. Man leidet nicht dabei.«

Chrysis blickte Demetrios an, der die Augen nicht von ihr wandte.

Ohne ihre großen, schwarzen, von grünem Lichte umgebenen Augen von ihm zu wenden, streckte sie die rechte Hand aus, nahm den Becher und führte ihn langsam zum Munde.

Sie benetzte die Lippen mit dem Tranke. Die Bitterkeit des Giftes und die Schmerzen der Vergiftung waren durch ein mit Honig gemengtes narkotisches Mittel gemildert worden.

Sie trank die Hälfte des Bechers aus, dann, sei es, daß sie diese Bewegung auf dem Theater im Thyestis des Agathon gesehen, sei es, daß sie wirklich von einer unmittelbaren Gemüthsbewegung herrührte, reichte sie den Rest dem Demetrios … Aber der junge Mann wies mit der Hand diesen unbescheidenen Vorschlag zurück.

Daraufhin trank die Galilaeerin auch den Rest, bis auf den grünen Bodensatz. Und ein herzzerreißendes Lächeln, worin auch ein wenig Verachtung lag, kam über ihre Wangen.

»Was soll ich thun?« fragte sie den Gefängnißwächter.

– Gehe im Zimmer spazieren, meine Tochter, bis Dir die Beine schwer werden. Dann legst Du Dich auf den Rücken und das Gift wird allein wirken.

Chrysits ging bis zum Fenster, stützte ihren Arm an die Wand, ihre Schläfe auf die Hand und warf der violetten Morgenröthe den letzten Blick der verlorenen Jugend zu.

Der östliche Himmel war in ein Farbenmeer getaucht. Ein langer Streifen, fahl wie ein Wasserblatt, umgab den Horizont mit einem olivenfarbigen Gürtel. Darüber entstanden mehrere Töne, der eine aus dem andern; es war ein flüssiges Himmelszelt, das graugrün, iris- und lila-farben war und unmerklich in das bleierne Azur des Vollhimmels überging. Dann hoben sich langsam diese Farbenschichten, eine Goldlinie erschien, stieg in die Höhe und erweiterte sich; ein dünner Purpurfaden beleuchtete diese trübe Dämmerung und in einer blutigen Fluth wurde die Sonne geboren.

»Es steht geschrieben:

Das Licht ist süße …«

So blieb sie stehen, solange ihre Beine sie stützen konnten. Die Soldaten mußten sie auf das Lager tragen, als sie durch einen Wink zu verstehen gab, daß sie zu schwanken beginne.

Dort ordnete der Greis die weißen Falten ihres Kleides, ihre langgestreckten Glieder entlang. Dann berührte er ihre Beine und fragte sie:

»Hast Du gefühlt?«

Sie antwortete:

»Nein.«

Er berührte ihr noch die Kniee und fragte sie:

»Hast Du gefühlt?«

Sie gab ein verneinendes Zeichen, und plötzlich, mit einer Bewegung des Mundes und der Schultern (denn selbst ihre Hände waren schon leblos), von einer letzten höchsten Gluth ergriffen und vielleicht von dem Bedauern um diese unfruchtbare Stunde, richtete sie sich auf, Demetrios entgegen … Aber bevor es ihm möglich war zu antworten, fiel sie leblos zurück, die beiden Augen für immer erloschen.

Nun bedeckte der Nachrichter mit der oberen Falte des Kleides ihr Gesicht; und einer der Soldaten, in der Vermuthung, daß eine zartere Vergangenheit eines Tages diesen jungen Mann und diese junge Frau vereint habe, schnitt mit der Spitze seines Schwertes eine Locke des Haares ab, welches bis zu den Fliesen reichte.

Demetrios berührte das mit seiner Hand und in Wirklichkeit war es die ganze Chrysis, das überlebende Gold ihrer Schönheit, sogar der Vorwand ihres Namens …

Er nahm die lauwarme Locke zwischen den Daumen und die Finger, zerstreute sie langsam, nach und nach, und unter seiner Fußsohle vermengte er sie mit dem Staube.

III.

Chrysis unsterblich.

Als Demetrios sich in seinem rothen, mit Marmorstücken, Entwürfen, Staffeleien und Gerüsten angefüllten Atelier allein befand, wollte er sich wieder an die Arbeit machen.

Den Meißel in der linken Hand und den Hammer in der rechten Faust, nahm er, ohne Eifer, eine unterbrochene Skizze wieder auf. Es war der Hals eines ungeheuern Rosses, das für den Tempel des Poseidon bestimmt war. Unter der kurz geschnittenen Mähne krümmte sich die Haut des Halses, in Folge einer Bewegung des Kopfes gefältelt, geometrisch genau wie eine wellige Seemuschel.

Drei Tage früher vermochten die Einzelheiten dieser regelmäßigen Muskelbildungen in Demetrios Geist alles Interesse des täglichen Lebens zusammenzufassen; aber am Morgen von Chrysis‘ Tod schien das Aussehen der Dinge verändert. Weniger ruhig als er es sein wollte, gelang es Demetrias nicht seine anderwärts beschäftigten Gedanken festzuhalten. Eine Art Schleier, den er nicht heben konnte, lag zwischen ihm und dem Marmor. Er warf seinen Hammer weg und begann die staubigen Postamente entlang zu gehen.

Plötzlich durchschritt er den Hof, rief eine Sklavin und sagte ihr:

»Bereite das Bad und die Wohlgerüche vor. Nach dem Bade wirst Du mich salben, dann wirst Du mir meine weißen Kleider geben und die runden Räucherpfannen anzünden.«

Als er seine Toilette vollendet hatte, ließ er zwei andere Sklaven kommen:

»Geht nach dem Gefängniß der Königin,« sagte er; »übergebet dem Wächter diesen Thonklumpen, er soll ihn in das Zimmer tragen, wo die Hetäre Chrysis gestorben ist. Wenn der Leichnam nicht schon in die Senkgrube geworfen worden, saget ihm, man soll nichts thun, bevor ich Befehle ertheilt habe. Laufet voraus. Geht.«

Er steckte einen Schraffirmeißel in die Falte seines Gürtels und öffnete die Hauptthür, die auf die menschenleere Strandallee ging.

Plötzlich hielt er auf der Schwelle inne, von dem unermeßlichen Lichte des afrikanischen Mittags festgebannt.

Die Straße sollte weiß erscheinen und die Häuser ebenfalls weiß, aber die Flamme der senkrecht stehenden Sonne bestrich die leuchtenden Oberflächen mit grellen Reflexen, daß die Kalkwände und die Steinplatten gleichzeitig wunderbare schattenblaue, rothe und grüne, grell okergelbe und hyacinthfarbene Gluthen zurückstrahlten. Große, zitternde Farben schienen sich in der Luft fortzubewegen, und nur mit ihrer Durchsichtigkeit die lodernden Façaden zu bedecken. Die Linien selbst verloren ihre Form hinter diesem blendenden Lichte; die gerade Mauer der Straße rundete sich in der Unbestimmtheit ab, schien sich zu bewegen wie ein Segel und wurde an manchen Stellen unsichtbar. Ein neben einem Steine liegender Hund war wirklich dunkelroth.

Von Bewunderung begeistert sah Demetrios in dieser Erscheinung das Symbol seines neuen Lebens. Lange genug hatte er in der einsamen Nacht, in der Stille und im Frieden gelebt. Lange genug hatte er den Mondschein zum Lichte genommen und die weiche Linie einer allzu zarten Bewegung zum Ideal. Sein Werk war nicht männlich. Auf der Haut seiner Statuen lag ein eisiger Schauder.

Während des tragischen Abenteuers, das seinen Geist verstörte, hatte er zum ersten Mal gefühlt, wie der große Hauch des Lebens seine Brust erfüllte. Wenn er eine zweite Probe fürchtete, wenn er, siegreich aus dem Kampfe hervorgegangen, sich vor Allem geschworen hatte seine stolze Haltung den Anderen gegenüber nicht mehr einer Demüthigung auszusetzen, so hatte er wenigstens begriffen, daß das allein der Mühe werth sei ersonnen zu werden, was durch den Marmor, die Farbe oder die Sprache eine der Tiefen des menschlichen Gemüthes erreicht, – und daß die Formschönheit nur eine unbestimmte Materie ist, die immer durch den Ausdruck des Leides oder der Freude verklärt werden kann.

Während er so seinen Gedanken nachhing, kam er vor die Thür des Gefängnisses.

Seine beiden Sklaven erwarteten ihn dort.

»Wir haben den rothen Thonklumpen hierher getragen, sagten sie. Der Leichnam liegt immer noch auf dem Bette. Man hat nicht daran gerührt. Der Wächter empfiehlt sich Deiner Huld.«

Schweigend trat der Jüngling ein, folgte dem langen Flur, stieg einige Stufen hinauf und drang in das Zimmer der Todten, wo er sich sorgfältig einschloß.

Die Leiche lag da ausgestreckt, der Kopf tiefer, mit einem Schleier bedeckt, die Hände ausgestreckt, die Füße beisammen liegend. Die Finger waren mit Ringen beladen; zwei Silberreifen umschlangen die bleichen Knöchel und die Nägel der Zehen waren noch roth vom Pulver.

Demetrios legte die Hand an den Schleier, um ihn wegzuheben, aber kaum hatte er ihn ergriffen, als ein Dutzend Fliegen durch die Oeffnung herausflogen. Er schauderte bis zu den Füßen… Doch entfernte er den weißen Wollstoff und legte ihn in Falten um die Haare.

Chrysis‘ Gesicht wurde nach und nach von jenem ewigen Ausdruck erhellt, den der Tod den Augenlidern und den Haaren der Leichen verleiht. In dem bläulichen Weiß der Wangen gaben einige azurne Äderchen dem unbeweglichen Kopfe den Anschein des kalten Marmors. Die durchsichtigen Nasenlöcher öffneten sich über den feinen Lippen. Die Zartheit der Ohren hatte etwas Unkörperliches. Niemals, in keinem Lichte, nicht einmal in demjenigen seines Traumes, hatte Demetrios diese mehr als menschliche Schönheit, diesen verlöschenden Glanz der Haut gesehen.

— — — — —

Und da erinnerte er sich der Worte, die Chrysis bei ihrer ersten Begegnung gesagt hatte: »Du kennst nur mein Gesicht. Du weißt nicht wie schön ich bin!« Eine heftige Bewegung raubte ihm plötzlich den Athem. Er will endlich kennen lernen. Er vermag es.

Von diesen drei Tagen der Leidenschaft will er eine Erinnerung behalten, die länger als er selbst dauern soll, den wunderbaren Leib entkleiden, ihn, wie ein Modell in jene ungestüme Lage bringen, in der er ihn im Traume gesehen hat und, nach dem Leichnam das Standbild des »Unsterblichen Lebens« schaffen.

Er löst die Spange und das Band. Er entfernt den Stoff. Der Leib ist schwer. Er hebt ihn in die Höhe. Der Kopf sinkt nach rückwärts. Die Brüste zittern. Die Arme fallen herab. Er zieht das ganze Gewand ab und wirft es in die Mitte des Zimmers. Schwer fällt der Körper zurück.

Demetrios faßt die Todte mit beiden Armen unter den noch frischen Achselhöhlen und läßt sie auf den oberen Theil des Bettes gleiten. Er wendet den Kopf auf die linke Wange, sammelt und ordnet das Haar reichlich auf dem gebogenen Rücken. Dann hebt er den rechten Arm, beugt den Vorderarm über die Stirne, läßt die noch weichen Finger krampfhaft den Stoff des Kissens ergreifen: zwei wunderbare Muskellinien gehen vom Ohr und vom Ellenbogen herunter, und vereinigen sich unter der rechten Brust, die sie wie eine Frucht tragen.

Dann legt er die Beine zurecht, das eine steif nach der Seite ausgestreckt, das andere mit gehobenem Knie, so daß die Ferse fast den Hintertheil berührt. Er verbessert noch einige Einzelheiten, dreht die Taille nach links, streckt den rechten Fuß aus, entfernt Armbänder, Halsbänder und Ringe, damit die reine und vollkommene Harmonie der weiblichen Nacktheit nicht durch eine einzige Dissonanz gestört werde.

Das Modell hat die Pose angenommen.

Demetrios wirft den nassen Thonklumpen, den er hierher hat tragen lassen, auf den Tisch. Er drückt und knetet ihn, zieht ihn nach der menschlichen Form in die Länge: eine Art barbarischen Ungeheuers entsteht unter seinen eifrigen Fingern: er schaut.

Die unbewegliche Leiche behält ihre leidenschaftliche Stellung bei. Aber ein dünner Blutstreifen rieselt aus dem rechten Nasenloch, läuft auf die Lippen und fällt tropfenweise in den halbgeöffneten Mund.

Demetrios fährt in seiner Arbeit fort. Die Skizze wird deutlicher, nimmt Leben an. Ein wunderbarer linker Arm rundet sich über den Körper, als umschlänge er Jemanden. Die Muskel der Schenkel treten gewaltig hervor. Die Zehen krümmen sich.

— — — — —

…. Als die Nacht von der Erde aufstieg, das niedere Zimmer verfinsternd, hatte Demetrios seine Statue vollendet.

Er ließ die Skizze durch vier Sklaven nach seinem Atelier tragen. Noch am selben Abend ließ er beim Lampenlichte einen Marmorblock von Paros behauen, und ein Jahr nach diesem Tage arbeitete er noch an dem Marmor.

IV.

Barmherzigkeit.

»Wächter, öffne uns! Wächter, öffne uns!«

Rhodis und Myrtocleia schlagen an das verschlossene Thor.

Das Thor öffnete sich halb.

»Was wollt ihr?«

– Unsere Freundin sehen, sagte Myrto. Chrysis sehen, die arme Chrysis, die heute früh gestorben ist.

– Es ist nicht erlaubt, entfernt euch!

– Oh! laß uns, laß uns hineingehen. Man wird es nicht erfahren. Wir werden es nicht sagen. Es war unsere Freundin, laß sie uns wiedersehen. Wir werden schnell wieder hinausgehen. Wir werden keinen Lärm machen.

– Und wenn ich ertappt werde, ihr Mädchen? Wenn ich euretwegen bestraft werde? Werdet ihr dann die Geldbuße zahlen?

– Du wirst nicht ertappt werden. Du bist hier allein. Es sind keine anderen Verurtheilten da. Du hast die Soldaten weggeschickt. Das Alles wissen wir. Laß uns hinein!

– Nun wohl! Bleibt aber nicht lange drin! Da ist der Schlüssel. Es ist die dritte Thür. Benachrichtiget mich, wenn ihr hinausgeht. Es ist spät und ich möchte zu Bette gehen.

Der gute Alte übergab ihnen einen eisernen Schlüssel, der an seinem Gürtel hing, und die beiden kleinen Jungfrauen liefen sogleich mit ihren geräuschlosen Sandalen durch die dunklen Gänge.

Dann kehrte der Gefängnißwächter in seine Stube zurück und trieb eine überflüssige Aufsicht nicht weiter. Die Gefängnißstrafe wurde im griechischen Aegypten nicht angewandt und das kleine, weiße Häuschen, das der gute Greis bewachen sollte, diente nur dazu die zum Tode Verurtheilten aufzunehmen. Zwischen den Hinrichtungen blieb es fast verlassen.

Im Augenblicke, wo der große Schlüssel in das Schloß drang, hielt Rhodis die Hand ihrer Freundin zurück:

»Ich weiß nicht, ob ich es wagen werde sie zu sehen,« sagte sie. »Ich liebte sie sehr, Myrto … Ich fürchte mich … Tritt Du zuerst ein, willst Du?«

Myrtocleia öffnete die Thür; aber sobald sie die Blicke in das Zimmer geworfen hatte, rief sie:

»Gehe nicht hinein, Rhodis! erwarte mich hier.«

– Oh! was giebt’s? Auch Du hast Angst? … Was liegt auf dem Bette? Ist sie nicht todt?

– Doch. Warte auf mich … Ich werde es Dir sagen … Bleibe auf dem Flur und schaue nicht herein.

Der Körper war in der leidenschaftlichen Stellung geblieben, die ihm Demetrios gegeben hatte, um darnach die Statue des »Unsterblichen Lebens« zu bilden. Allein die Verzückungen der höchsten Freuden gleichen fast den Zuckungen der äußersten Leiden und Myrtocleia fragte sich, welche furchtbaren Schmerzen, welche Qualen, welche Todeskämpfe den Leichnam so hatten verstören können.

Auf den Fußspitzen näherte sie sich dem Bette.

Der Blutstreifen fuhr fort aus dem durchsichtigen Nasenloch herunterzufließen. Die Haut des Körpers war vollkommen weiß; die bleichen Brustwarzen waren wie zarte Nabel eingefallen; kein rosiger Widerschein belebte die rasch vergängliche Statue, aber einige smaragdgrüne Flecke färbten leicht den glatten Bauch und zeigten an, daß Millionen neuer Leben in dem kaum erkalteten Fleische keimten und nachzufolgen verlangten.

Myrtocleia nahm den todten Arm und legte ihn die Hüften entlag. Sie wollte auch das linke Bein ausstrecken, allein das Knie war fast steif und es gelang ihr nicht, dasselbe ganz zu strecken.

»Rhodis, sagte sie mit unsicherer Stimme, Du kannst jetzt hereinkommen.«

Das zitternde Kind trat in das Zimmer. Ihre Züge verzogen sich, ihre Augen öffneten sich … Als sie fühlten, daß sie zu Zweien waren, begannen sie, einander in den Armen liegend, bitterlich zu schluchzen.

»Die arme Chrysis! die arme Chrysis!« wiederholte das Kind.

Sie küßten sich auf die Wangen mit einer trostlosen Zärtlichkeit, in der es nichts Sinnliches mehr gab, und der Geschmack der Thränen brachte ihren Lippen die ganze Bitterkeit ihrer bekümmerten kleinen Herzen.

Sie weinten, sie weinten, sie blickten sich leidvoll an, und manchmal redeten sie beide zusammen, mit heiserer, herzzerreißender Stimme, so daß ihre Worte in Schluchzen erstarben.

»Wir liebten sie so sehr. Es war für uns keine Freundin, keine Freundin, sie war wie eine sehr junge Mutter, ein Mütterchen zwischen uns beiden …«

Rhodis wiederholte:

»Wie ein Mütterchen …«

Und Myrto zog sie zur Todten hin und sagte mit leiser Stimme:

»Küsse sie!«

Sie beugten sich hernieder, stützten die Hände auf das Bett und schluchzend berührten sie mit ihren Lippen die kalte Stirne.

Und Myrto nahm den Kopf zwischen ihre beiden Hände, die in dem tiefen Haare verschwanden, und sie sprach also zu ihr:

»Chrysis, meine Chrysis, Du warst die schönste, die angebeteteste aller Frauen! Du, die Du der Göttin so ähnlich sahest, daß das Volk Dich für sie gehalten hat, wo bist Du jetzt? Was hat man aus Dir gemacht? Du lebtest, um die wohlthuende Freude zu spenden. Es gab nie eine süßere Frucht, als Dein Mund, nie ein klareres Licht, als Deine Augen; Deine Haut war ein herrliches Kleid, welches Du nicht verhüllen wolltest; die Wollust schwebte darauf wie ein unvergänglicher Duft und wenn Du Dein Haar lösetest, entschlüpften ihm alle Begierden und wenn Du Deine nackten Arme schlossest, so erbat man sich von den Göttern den Tod in diesen Armen.

*

Auf dem Boden kauernd, schluchzte Rhodis.

*

»Chrysis, meine Chrysis, fuhr Myrtocleia fort, gestern noch warst Du lebendig und jung, lange Tage erhoffend und jetzt bist Du todt, und nichts in der Welt kann bewirken, daß Du uns ein Wort sagest. Du hast gelitten und Du wußtest nicht, daß wir um Dich hinter den Mauern weinten; Du hast sterbend Jemanden mit dem Blicke gesucht und Deine Augen sind unseren Augen voll Schmerz und Mitleid nicht begegnet.«

*

Die Flötenspielerin weinte immer noch. Die Sängerin nahm sie bei der Hand.

*

»Chrysis, meine Chrysis, Du hast uns gesagt, daß wir eines Tages mit Deiner Hilfe heirathen werden. Unsere Ehe vollzieht sich unter Thränen und es ist eine traurige Verlobung, die von Rhodis und Myrtocleia. Aber der Schmerz vereint besser, denn die Liebe zwei in einander verschlungene Hände. Die einmal zusammen gemeint haben, werden sich niemals verlassen. Wir werden Deinen angebeteten Leib zur Erde tragen, Chrysidion, und werden beide unser Haar auf Deinem Grabe abschneiden.«

*

Sie hüllte den schönen Leichnam in eine Bettdecke; dann sagte sie zu Rhodis:

»Hilf mir!«

Sie hoben sie mit Vorsicht in die Höhe; aber die Bürde war schwer für die beiden Musikspielerinen, und sie setzten sie ein erstes Mal auf den Boden.

»Legen wir unsere Sandalen ab, sagte Myrto. Gehen mir mit nackten Füßen durch den Korridor. Der Wächter muß eingeschlafen sein … Wenn wir ihn nicht wecken, kommen wir durch, wenn er uns aber sieht, wird er uns hindern … Morgen ist die Sache gleichgültig: wenn er das Bett leer findet, wird er den Soldaten der Königin sagen, daß er den Leichnam in die Senkgrube geworfen habe, wie das Gesetz es vorschreibt. Fürchten wir nichts, Rhode … Stecke, wie ich, Deine Sandalen in den Gürtel. Und nun komm! Fasse den Leichnam unter den Knieen. Gehe geräuschlos, langsam, langsam …«

III.

Demetrios

An der Stelle, wo die Spielmädchen gestanden, war Demetrios allein angelehnt geblieben. Er hörte dem Brausen des Meeres zu, dem knarrenden Geräusch der langsam fahrenden Schiffe und dem Winde, der unter den Sternen dahinstrich. Die ganze Stadt war von einer kleinen blendenden Wolke, welche vor dem Monde Halt gemacht, beleuchtet und der Himmel wölbte sich in milder Klarheit.

Der Jüngling schaute neben sich hin. Die Tuniken der Flötenspielerinen hatte zwei Eindrücke in dem Staube zurückgelassen. Er erinnerte sich ihrer Gesichter. Es waren zwei Epheserinen. Die Ältere hatte ihm hübsch geschienen, die Jüngere hingegen war reizlos, und da ihm Häßlichkeit weh that, vermied er es daran zu denken.

Zu seinen Füßen glänzte ein Elfenbeingegenstand. Er hob ihn auf. Es war eine Schreibtafel, woran ein silberner Griffel hing. Das Wachs war fast abgenützt, aber man hatte darauf wohl dasselbe Wort mehrere Male überschrieben und zuletzt sogar in’s Elfenbein eingegraben.

Es standen darauf nur drei Worte geschrieben:

Rhodis liebt Myrtocleia

Und er fragte sich, welcher der beiden Frauen dies gehören mochte und ob die Andere die Geliebte wäre, oder irgend eine junge Unbekannte, welche sie in Ephesus zurückgelassen hatte. Dann dachte er einen Augenblick daran, den beiden Spielerinen nachzueilen, um ihnen den Gegenstand zurückzugeben, der vielleicht ein Andenken an eine geliebte Todte war; aber es wäre für ihn schwierig gewesen sie wiederzufinden, und, da er schon aufhörte sich für sie zu interessiren, drehte er sich nachlässig um und warf das kleine Ding in’s Meer.

Es fiel schnell, wie ein weißer Vogel niedergleitend und er hörte das Plätschern des fernen und schwarzen Wassers. Dieses schwache Geräusch brachte ihm die gewaltige Stille des Hafens deutlicher zum Bewußtsein.

An die kalte Brüstung gelehnt versuchte er jeden Gedanken zu bannen und sich in die Betrachtung der Gegenstände zu vertiefen.

Das Leben war ihm ein Ekel. Er verließ sein Haus nur zur Stunde, wo das Leben aufhörte und er kehrte erst heim, wenn der Anbruch des Tages die Fischer und Gemüsehändler nach der Stadt zog. Das Vergnügen, in der Welt nur den Schatten der Stadt und seine eigene Gestalt zu sehen, wurde bei ihm zu einer solchen Wollust, daß er sich nicht erinnerte seit Monaten die Mittagssonne gesehen zu haben.

Er langweilte sich. Die Königin war ihm überdrüssig.

In dieser Nacht konnte er kaum mehr die Freude und den Stolz begreifen, welche ihn erfüllt hatten, als drei Jahre vorher die Königin, vielleicht mehr durch den Ruf seiner Schönheit als durch den Ruhm seines Genie’s verlockt, ihn nach dem Palaste hatte rufen und am westlichen Thore durch Trompetensignale hatte ankündigen lassen.

Dieser Eintritt in den Palast erleuchtete manchmal sein Gedächtniß mit einer jener Erinnerungen, welche aus lauter Süßigkeit in der Seele nach und nach so bitter werden, daß sie schier unerträglich sind … Die Königin hatte ihn allein in ihren Privatgemächern empfangen, welche aus drei kleinen, wollüstig-verschwiegenen Zimmern bestanden. Sie lag auf der linken Seite dahingestreckt, in grüner Seide wie vergraben, deren Widerschein ihre schwarzen Haarlocken in purpurnem Lichte badete. Ihr junger Körper war mit einem schamlos durchbrochenem Kostüm bekleidet, welches sie unter ihrer Aufsicht durch eine Hetäre aus Phrygien hatte anfertigen lassen. Es ließ jene zweiundzwanzig Stellen des Körpers entblößt, wo die Liebkosungen unwiderstehlich sind, so daß man eine ganze Nacht hindurch die scharfsinnigsten Lüste der Liebe auskosten konnte, ohne dieses Kleid ablegen zu müssen.

Demetrios hatte, respektvoll niederknieend, den kleinen nackten Fuß der Königin Berenike, wie einen kostbaren zarten Gegenstand, in die Hand genommen und geküßt.

Dann hatte sie sich erhoben.

Ganz einfach, wie eine schöne Sklavin, welche als Modell dient, hatte sie Mieder, Bänder und ihre geschlitzten Höschen gelöst, hatte sie sogar die Spangen ihrer Arme und die Ringe ihrer Fußzehen abgelegt, und so war sie aufrecht vor ihm erschienen, die Hände vor den Schultern geöffnet, den Kopf hoch unter einer Korallenhaube, welche die Wangen entlang zitterte.

Sie war die Tochter eines Ptolemäers und einer syrischen Prinzessin, die durch Astarte, welche die Griechen Aphrodite nennen, von allen Göttern abstammte. Demetrios wußte das und auch, daß sie auf ihr olympisches Geschlecht stolz war. Er kam denn auch nicht in Verwirrung, als die Königin, ohne sich zu rühren, ihm sagte: »Ich bin Astarte. Nimm ein Stück Marmor und deinen Meißel und zeige mich den Männern Ägyptens. Ich will, daß man mein Bild anbete.«

Demetrios blickte sie an und, die einfache und neue Sinnlichkeit errathend, welche diesen Jungfrauenkörper belebte, sagte er: »Ich bete es als Erster an,« und damit schloß er sie in seine Arme. Die Königin zürnte nicht ob dieses ungestümen Wesens, aber sie fragte zurücktretend: »Glaubst Du Adonis zu sein, daß Du die Göttin berührst?« Er antwortete »Ja.« Sie schaute ihn an, lächelte ein wenig und schloß mit den Worten: »Du hast Recht.«

Dies war der Grund, weshalb er unerträglich geworden, daß seine besten Freunde sich von ihm lossagten, während er alle Frauenherzen bethörte.

Wenn er einen Saal des Palastes durchschritt, blieben die Sklavinen stehen, die Frauen des Hofes schwiegen still, auch die Fremden hörten ihm zu, denn der Klang seiner Stimme war zum Entzücken. Zog er sich zur Königin zurück, so wurde er, unter immer neuen Vorwänden, selbst da noch belästigt. Wanderte er durch die Straßen, so füllten sich die Falten seines Kleides mit kleinen Papyrusstreifen, wo die vorbeigehenden Frauen ihre Namen mit schmerzhaften Worten niedergeschrieben hatten, die er aber gelangweilt zerknitterte, ohne sie zu lesen. Als im Tempel der Göttin Aphrodite sein Werk aufgestellt worden, wurde der Raum zu jeder Stunde der Nacht von der Menge der Anbeterinen belagert. Sie kamen um seinen Namen auf dem Steine zu lesen und ihrem lebendigen Gotte alle Tauben und alle Rosen darzubieten.

Bald wurde sein Haus von Geschenken überfüllt. Zuerst nahm er dieselben aus Nachlässigkeit an, später wies er sie zurück, als er begriff, was man von ihm erwartete und daß man ihn wie eine Prostituirte behandelte. Selbst seine Sklavinen boten sich dar. Er ließ sie peitschen und verkaufte sie an das Freudenhaus von Rhacotis. Dann aber öffneten seine Sklaven, durch Geschenke bestochen, unbekannten Frauen die Thüre, und er fand sie, wenn er nach Hause kam, vor seinem Bette, in einer Haltung, welche keinen Zweifel über ihre verliebten Absichten übrig ließ. Die kleinen Gegenstände seiner Toilette und sein Tischgeräthe verschwanden nach einander. Mehr als eine Frau der Stadt hatte eine Sandale oder einen Riemen, welche ihm gehört hatten, einen Becher, woraus er getrunken hatte, und selbst die Kerne der Früchte, die er gegessen hatte. Ließ er im Gehen eine Blume fallen, so fand er sie hinter sich nicht wieder. Sie wären im Stande gewesen, selbst den Staub aufzulesen, den er mit seinen Schuhen zertreten hatte.

Diese Verfolgung wurde nachgerade gefährlich und drohte in ihm seine ganze Empfindsamkeit zu tödten. Er war überdies bei jenem Abschnitt seiner Jugend angekommen, wo der denkende Mann es für nöthig hält, sein Leben in zwei Theile zu sondern, und die Sachen des Geistes nicht länger mit den Bedürfnissen der Sinne zu vermengen. Die Statue der Aphrodite-Astarte war für ihn der erhabene Vorwand dieser moralischen Bekehrung. Alles was die Königin an Schönheit besaß, alles Ideale, das man um die weichen Linien ihres Körpers erfinden konnte, hatte Demetrios aus dem Marmor geholt und von diesem Tage an bildete er sich ein, daß kein anderes Weib auf Erden je wieder die Höhe seines Traumes erreichen würde. Seine Statue wurde der Gegenstand seines Verlangens. Sie allein betete er noch an und wahnwitzig trennte er von dem Fleische die erhabene Idee der Göttin, welche nur um so unkörperlicher gewesen wäre, wenn er sie an das Leben gebunden hätte.

Wenn er die Königin selbst wiedersah, fand er sie alldessen bar, was ihren Reiz ausgemacht hatte. Sie genügte ihm noch eine Zeit lang, um sein zielloses Verlangen zu täuschen, aber sie war von der Anderen zu verschieden und zugleich ihr zu sehr ähnlich. Wenn sie nach seinen Umarmungen erschöpft hinsank und an derselben Stelle einschlafend, betrachtete er sie als ob eine Fremde als Eindringling die Gestalt der Geliebten annehmend, sein Bett erschlichen hätte. Ihre Arme waren schlanker, ihre Brust spitziger, ihre Hüfte enger als diejenigen der Wirklichen. Sie hatte in den Weichen nicht jene drei Falten, so fein wie Linien, die er in den Marmor gegraben hatte. Er ward ihrer endlich müde.

Seine Anbeterinen erfuhren es, und obwohl er seine täglichen Besuche fortsetzte, wußte man, daß er aufgehört habe, in Berenike verliebt zu sein. Und man drängte sich mit verdoppelter Zudringlichkeit an ihn heran. Er legte keinen Werth darauf. In der That hatte die Abwechselung, deren er bedurfte, eine ganz andere Bedeutung.

Es ist selten, daß ein Mann zwischen zwei Verhältnissen nicht einen Zwischenraum in seinem Leben habe, wo ihn die grobe Wollust anzieht und befriedigt. Demetrios gab sich derselben hin. Wenn ihm der Zwang in den Palast zu gehen mehr als gewöhnlich lästig war, ging er Nachts zum Garten der heiligen Hetären, welcher von allen Seiten den Tempel umgab.

Die Weiber, welche dort hausten, kannten ihn nicht. Uebrigens waren sie durch so viele überflüssige Liebe derart ermüdet, daß sie nicht schrieen, noch weinten, und so war die Befriedigung, welche er suchte, dort wenigstens nicht durch das Gejammer eines verliebten Kätzchens gestört, das ihn bei der Königin nervös machte.

Das Gespräch, welches er mit diesen ruhigen Weibern führte, war lässig und alltäglich. Die Besuche von heute, das Wetter des nächsten Tages, die Weichheit des Grases und die Milde der Nacht: das waren reizende Unterhaltungsgegenstände. Sie baten ihn nicht seine Theorien über die Bildhauerkunst vorzutragen und gaben über den Achilleus des Scopas keine Meinung ab. Wenn es geschah, daß sie dem Liebhaber, der sie wählte, dankten, oder daß sie ihn wohl gewachsen fanden und es ihm sagten, so hatte er das Recht, nicht an ihre Uneigennützigkeit zu glauben.

Wenn er aus ihren heiligen Armen kam, stieg er die Stufen des Tempels empor und überließ sich vor der Statue seinem Entzücken.

Zwischen den schlanken, von ionischen Voluten gekrönten Säulen erschien die Göttin wie lebendig auf ihrem Postamente von rosarothem Steine, mit Kleinodien beladen. Sie war nackt und geschlechtlich dargestellt, leicht nach den Farben des Weibes gefärbt; in einer Hand hielt sie einen Spiegel, dessen Griff einen Priapus vorstellte; die andere Hand schmückte ihre Schönheit mit einem Halsbande aus sieben Perlenreihen. Eine silberne und längliche Perle, welche größer war als die anderen, glänzte zwischen ihren beiden Brüsten, wie eine Mondsichel zwischen zwei runden Wolken.

Zärtlich betrachtete sie Demetrios und, wie das Volk, wollte er glauben, es seien die wahren heiligen Perlen, aus den Wassertropfen geboren, welche in der Muschelschale Anadyomene’s gerollt.

»Oh göttliche Schwester, sagte er, oh Blühende, Verklärte! Du bist nicht mehr die kleine Asiatin, die ich für Dich als unwürdiges Modell benützte. Du bist ihr unsterbliches Sinnbild, die irdische Seele der Astarte, welche die Erzeugerin ihrer Rasse wurde. Du glänztest in ihren feurigen Augen. Du branntest auf ihren dunkeln Lippen, Du erstarbst in ihren weichen Händen, Du keuchtest in ihren großen Brüsten, Du strecktest Dich in ihren umschlingenden Beinen, ehemals, vor Deiner Geburt; und was die Tochter eines Fischers befriedigte, streckte auch Dich, Göttin, hin, die Du die Mutter der Götter und der Menschen bist, Lust und Leid der Welt. Aber ich habe Dich gesehen, hervorgezaubert, ergriffen, oh wunderbare Cythereia! Ich habe Dich der Erde geoffenbaret. Dein Bild ist es nicht, Du selbst bist es, der ich den Spiegel gegeben habe, die ich mit Perlen bedeckt habe, ganz wie an dem Tage, wo Du aus dem blutigen Himmel und dem schäumenden Lächeln der Wasser geboren wurdest, thauige Morgenröthe, bis zu den Ufern Cyperns von einer Schaar blauer Tritonen bejubelt.«

— — — — —

Er hatte sie eben in dieser Weise angebetet, als er auf den Strand kam, zur Stunde wo sich die Menge verlief, und er hörte den schluchzenden Gesang der Flötenspielerinen. Aber an diesem Abende hatte er die Hetären des Tempels zurückgewiesen; ein umschlungenes Paar, das er flüchtig zwischen den Zweigen gesehen, hatte ihn mit Ekel erfüllt und in der Seele empört.

Nach und nach bemächtigte sich seiner der milde Einfluß der Nacht. Er drehte sein Gesicht dem Winde zu, welcher über das Meer herüber wehte und den Duft der Rosen von Amathont nach Aegypten zu bringen schien.

Schöne weibliche Formen erstanden in seinem Geiste. Man hatte bei ihm für den Garten der Göttin eine Gruppe der drei umschlungenen Charitinen bestellt; aber es widerstrebte seiner Jugend, althergebrachte Formen zu copieren und er träumte davon die drei anmuthigen Bewegungen des Weibes auf einem und demselben Marmorblock zu vereinen: zwei der Charitinen wären bekleidet, die eine einen Fächer haltend und die Augenlider im Hauche der bewegten Federn halb schließend; die andere im faltigen Rocke tanzend. Die dritte würde nackt hinter ihren Schwestern stehen, und mit emporgehobenen Armen die Fülle ihrer Haare zu einem Knoten winden.

Seine Gedanken gingen noch manchen anderen Entwürfen nach; so wollte er auf die Felsen des Leuchtthurms eine Andromeda aus schwarzem Marmor vor dem wogenden Ungeheuer des Meeres festbinden, die Agora das Brouchion zwischen den vier Rossen der aufgehenden Sonne, wie zwischen zornigen Pegasen einschließen; und welcher Rausch frohlockte nicht in ihm, wenn er an einen, bei dem Herannahen der Titanen von Furcht ergriffenen Zagreus dachte! Ha! wie war er von all‘ dieser Schönheit neu ergriffen! wie er sich der Liebe entriß! wie er »von dem Fleische die höchste Idee der Göttin trennte!« wie er sich endlich frei fühlte!

Doch er wandte den Kopf dem Ufer zu, und in der Ferne sah er den gelben Schleier einer dahin schreitenden Frau schimmern.

V.

Pietät.

Nachdem sie um die Ecke der zweiten Straße gekommen, legten sie den Leichnam ein zweites Mal nieder, um ihre Sandalen wieder anzuziehen. Rhodis Füße, zu zart um nackt zu gehen, hatten sich abgeschürft und bluteten.

Die Nacht war klar. Die Stadt war in tiefe Stille gehüllt. Graue Schatten zeichneten sich viereckig in der Mitte der Straßen ab, je nach dem Abriß der Häuser.

Die kleinen Jungfrauen hoben ihre Last wieder auf.

»Wo gehen wir hin? sagte das Kind; wo werden wir sie begraben?«

– Im Gräberfelde des Hermanubis. Es ist immer einsam und öde. Dort wird sie in Frieden ruhen.

– Arme Chrysis? Hätte ich denken können, daß ich am Tage ihres Endes ihren Leichnam tragen würde, ohne Fackeln und ohne Leichenwagen, heimlich, wie eine gestohlene Sache.

Dann fingen beide an mit großer Zungenfertigkeit zu sprechen, als fürchteten sie die Stille, wie sie so neben einander mit der Leiche dahinschritten.

Der letzte Tag in Chrysis Leben erfüllte sie mit Staunen. Woher hatte sie den Spiegel, den Kamm und das Halsband? Sie hatte nicht selbst die Perlen der Göttin nehmen können: der Tempel war zu gut bewacht, als daß eine Hetäre hatte eintreten können. Es hatte also Jemand für sie gehandelt. Aber wer? Man kannte unter den Stolisten, die mit der Pflege der heiligen Statue betraut waren, keinen, der ihr Geliebter gewesen wäre. Und dann, wenn Jemand an ihrer Stelle gehandelt hatte, warum hatte sie ihn nicht verrathen? Und in allen Fällen: warum diese drei Verbrechen? Wozu hatten sie ihr gedient, wenn nicht der Folter übergeben zu werden? Ein Weib begehrt solche zwecklose Tollheiten nicht, es sei denn, daß sie verliebt ist. Chrysis war es also? und in wen?

»Wir werden es nie erfahren, schloß die Flötenspielerin. Sie hat ihr Geheimniß mit sich genommen, und selbst wenn sie einen Mitschuldigen hat, wird er uns nicht aufklaren.«

An dieser Stelle seufzte Rhodis, die schon seit einigen Augenblicken schwankte:

»Ich kann nicht weiter, Myrto, ich kann nicht weiter. Ich müßte in die Kniee sinken. Ich bin von Müdigkeit und Leid gebrochen.«

Myrtocleia nahm sie am Halse:

»Versuche noch, mein Liebchen. Wir müssen sie tragen. Es handelt sich um ihr unterirdisches Leben. Wenn sie kein Begräbniß hat und keinen Obolus in der Hand, wird sie ewig an den Ufern des stygischen Flusses herumirren, und wenn wir einst zu den Todten herabsteigen, Rhodis, wird sie uns unsere Pietätlosigkeit vorwerfen, und wir werden ihr nichts zu antworten wissen.«

Aber das Kind, von einer Schwäche ergriffen, zerfloß in Thränen.

»Schnell, schnell«, sagte Myrtocleia, »dort, am anderen Ende der Straße, kommen Leute. Stelle Dich mit mir vor den Leichnam. Verbergen wir ihn hinter unseren Kleidern. Wenn man ihn sieht, ist Alles verloren…«

Sie unterbrach sich.

»Es ist Timon. Ich erkenne ihn. Timon mit vier Weibern … Ach! ihr Götter, was wird geschehen! Er, der über Alles spottet, wird uns auslachen …. Aber nein, bleibe hier, Rhodis, ich werde mit ihm reden.«

Und, von einem plötzlichen Gedanken erfaßt, lief sie in der Straße der kleinen Gruppe entgegen.

»Timon,« sagte sie (und ihre Stimme war eine stehende), »Timon, halte still. Ich bitte Dich, mich anzuhören. Ich habe ernste Worte im Munde. Ich muß sie Dir allein sagen.«

– Mein armes Kind, sagte der Jüngling, wie ergriffen Du bist. Hast Du Deine Achsel-Schleife verloren, oder hat sich Deine Puppe im Fallen die Nase zerbrochen? Dies wäre ein nicht wieder gut zu machendes Ereigniß.

Das Mädchen warf ihm einen schmerzlichen Blick zu; doch schon wurden die vier Weiber Philotis, Seso von Knidos, Kallistion und Tryphaera, die sie umstanden, ungeduldig.

»Nun, dumme Gans,« sagte Tryphaera, »wenn Du die Brüste Deiner Amme ausgesogen hast, so können wir Dir nicht helfen, wir haben keine Milch. Es ist fast Tag, Du solltest im Bette liegen; seit wann streifen die Kinder im Mondschein herum?«

– Ihre Amme? rief Philotis. Timon will sie uns wegnehmen, und nicht eine Amme sucht sie.

– Die Peitsche, sie verdient die Peitsche!

Und Callistion hob mit einem Arm Myrto in die Höhe und schlug ihr blaues Kleidchen zurück. Doch Seso trat dazwischen:

»Ihr seid toll, rief sie aus. Myrto hat nie einen Mann gekannt. Wenn sie Timon ruft, so ist es nicht, um mit ihm zu schlafen. Lasset sie in Ruhe, daß die Geschichte ein Ende nehme.«

– Nun, sagte Timon, was willst Du von mir? Komme hierher. Rede mir in’s Ohr. Ist es wirklich so ernst?

– Chrysis Leichnam liegt da auf der Straße; sagte das noch zitternde Mädchen. Wir tragen ihn zu Grabe, meine kleine Freundin und ich; aber er ist schwer und wir fragen Dich, ob Du uns nicht helfen willst … Es wird nicht lange dauern … Gleich nachher wirst Du Deine Weiber wieder aufsuchen können.

Timon hatte einen gütigen Blick:

»Arme Mädchen! Und ich lache dazu! Ihr seid besser als wir …. Gewiß werde ich euch helfen. Gehe zu Deiner Freundin und erwarte mich, ich komme.«

Und zu den vier Weibern gewendet sagte er:

»Gehet zu mir nach Hause, durch die Töpferstraße. Ich werde in kurzer Zeit dort sein. Folget mir nicht.«

Rhodis saß immer noch zu Häupten des Leichnams. Als sie Timon herantreten sah, flehte sie:

»Verrathe uns nicht! Wir haben sie gestohlen, um ihren Schatten zu retten. Bewahre unser Geheimniß. Wir werden Dich sehr lieb haben, Timon.«

– Seiet beruhigt, sagte der junge Mann.

Er faßte den Körper bei den Schultern und Myrto nahm ihn bei den Knieen und schweigend gingen sie weiter, während Rhodis unsicheren Schrittes ihnen folgte.

Timon sprach nicht. Zum Zweiten Male seit zwei Tagen hatte ihm die menschliche Leidenschaft eine zufällige Gefährtin seines Bettes weggenommen und er fragte sich, welche Narrheit die Geister von dem Zauberwege entfernt, der zum schattenlosen Glück führt.

»Seelenruhe! dachte er, Gleichgültigkeit, Behaglichkeit, oh wollüstige Freude! wer unter den Menschen wird euch würdigen? Man rührt sich, man kämpft, man hofft, während doch eine Sache allein kostbar ist: dem flüchtigen Augenblick alle Freuden abzugewinnen, die er zu bieten vermag, und sein Bett so wenig als möglich zu verlassen.«

— — — — —

Sie kamen an der Thür des verwüsteten Gräberfeldes an.

»Wo legen wir sie hin?« sagte Myrto.

– In die Nähe des Gottes.

– Wo ist das Standbild? Ich bin niemals hier gewesen. Ich hatte Angst vor den Gräbern und Säulen. Ich kenne den Hermanubis nicht.

– Er muß in der Mitte des kleinen Gartens stehen. Suchen wir ihn. Ich bin ehemals, als ich ein Kind war, eine verirrte Gazelle verfolgend, hierhergekommen. Gehen wir durch die Allee von weißen Sykomoren. Wir können nicht fehlen.

Es gelang ihnen in der That, die Statue zu finden. Die Morgendämmerung mischte mit dem Mond ihr leichtes Violett auf dem Marmor. Eine unbestimmte und ferne Harmonie schwebte auf den Cypressenzweigen. Das regelmäßige Rauschen der Palmen, das so sehr dem Rauschen der fallenden Regentropfen gleicht, rief einen Wahneindruck von Kühle hervor.

Mit Mühe öffnete Timon einen in die Erde eingesunkenen rothen Stein. Das Grab war unterhalb der Hände des Gottes gegraben, welche die Bewegung des Einbalsamirens machten. Es hatte wohl früher einmal eine Leiche enthalten, aber in der Grube fand man jetzt nur ein Haustein bräunlichen Staub.

Der junge Mann stieg bis zum Gürtel hinein, und streckte die Arme vor:

»Gib sie mir, sagte er zu Myrto. Ich werde sie ganz unten hinlegen, und dann decken wir den Stein auf das Grab …«

Aber Rhodis warf sich auf den Leichnam:

»Nein, begraben wir sie nicht so schnell! Ich will sie noch einmal sehen! Ein letztes Mal! Ein letztes Mal! Chrysis! Meine arme Chrysis! Ach! es ist schrecklich! … Was ist aus ihr geworden?«

Myrtocleia hatte soeben die um die Todte gewickelte Decke entfernt und das Gesicht war erschienen, so rasch entstellt, daß die beiden Mädchen schaudernd zurückwichen. Die Wangen waren eckig geworden, die Augenlider und die Lippen angeschwollen wie sechs weiße Pölsterchen. Schon war nichts mehr von dieser übermenschlichen Schönheit übrig. Sie schlossen das dicke Bahrtuch wieder, aber Myrto streckte die Hand unter den Stoff, um dem für Charon bestimmten Obolus in Chrysis‘ Finger zu legen.

Dann übergaben beide, von unendlichem Schluchzen bewegt, Timon den starren Leichnam.

Und als Chrysits tief im sandigen Grabe lag, öffnete Timon das Bahrtuch wieder. Er legte den Silberobolus zwischen die losen Finger, stützte den Kopf mit einem flachen Steine; auf dem Körper breitete er, von der Stirne bis zu den Knieen, die langen, schattigen, goldenen Haare aus.

Dann stieg er aus dem Grabe.

Die beiden Musikspielerinen knieten vor dem offenen Schlunde; sie schnitten sich gegenseitig ihre jugendlichen Haare ab, banden sie zu einer Garbe zusammen und begruben sie mit der Todten.

ΤΟΙΟΝΔΕ ΠΕΡΑΕ ΕΣΧΕ ΤΟ ΣΥΝΤΑΓΜΑ
ΤΩΝ ΠΕΡΙ ΧΡΥΣΙΛΑ ΚΑΙ ΔΗΜΗΤΡΙΟΝ.

IV.

Die Vorbeigehende.

Sie kam langsam, den Kopf etwas nach der Schulter geneigt, auf dem öden Strande daher, welchen das Mondlicht erhellte. Ein kleiner, beweglicher Schatten zitterte vor ihren Schritten dahin.

Demetrios sah sie näher kommen.

Diagonale Falten durchfurchten den kleinen Theil ihres Körpers, den man durch den leichten Stoff hindurch sah; einer ihrer Ellenbogen trat unter der fest anliegenden Tunika hervor; der andere Arm, den sie nackt gelassen hatte, hob die lange Schleppe in die Höhe, damit sie nicht den Staub fege.

Er erkannte an ihrem Schmucke, daß sie eine Hetäre sei; um einen Gruß von ihr zu vermeiden, ging er schnell über die Straße.

Er wollte sie nicht anschauen. Absichtlich beschäftigte er seine Gedanken mit dem großen Entwurfe des Zagreus. Und dennoch wandten sich seine Augen nach der Vorbeigehenden.

Da sah er, daß sie nicht stehen blieb, daß sie sich nicht um ihn bekümmerte, daß sie sich nicht einmal den Anschein gab das Meer zu betrachten, noch ihren Schleier nach vorn aufzuheben, noch in ihre Gedanken versunken zu sein; sondern, daß sie ganz einfach allein spazieren ging, hier nichts Anderes suchend als die Kühle des Windes, die Einsamkeit, die Stille.

Ohne sich zu rühren ließ Demetrios sie nicht aus den Augen und versenkte sich in ein sonderbares Verwundern.

Sie schritt immer weiter wie ein ferner gelber Schatten, nachlässig und von dem kleinen schwarzen Schatten, der vor ihr her ging, gleichsam geführt.

Er hörte bei jedem Schritte das leise Knirschen ihrer Schuhe im Staube des Weges.

Sie ging bis zur Insel des Leuchtturmes und stieg die Felsen hinan.

Plötzlich, als hätte er seit langer Zeit die Unbekannte geliebt, lief Demetrios ihren Spuren nach, dann hielt er inne, ging wieder zurück, zitterte, erzürnte sich, versuchte den Strand zu verlassen; aber er hatte stets seinen Willen nur seinem eigenen Vergnügen dienstbar gemacht, und wenn es sich darum handelte ihn zum Heile seines Charakters und zur Ordnung seines Lebens in Thätigkeit zu setzen, fühlte er sich von Unvermögen ergriffen und an die Stelle genagelt, wo die Last seiner Füße ruhte.

Da er nicht mehr aufhören konnte an diese Frau zu denken, suchte er sich selbst wegen des Gedankens, welcher seinen Geist so sehr im Banne hielt, zu entschuldigen. Er glaubte den Reiz ihrer Erscheinung durch ein rein ästhetisches Gefühl zu erklären und dachte, daß sie das geträumte Modell für die Charitin mit dem Fächer wäre, welche er den nächsten Tag entwerfen wollte.

Dann geriethen plötzlich alle seine Gedanken in Unordnung und eine Menge von ängstigenden Fragen strömte wegen dieses gelb gekleideten Weibes in seinem Geiste zusammen.

Was machte sie zu dieser nächtlichen Stunde auf der Insel? Warum, um wessen Willen ging sie so spät aus? Warum hatte sie ihn nicht angeredet? Sie hatte ihn gesehen, sicher hatte sie ihn, während er über den Weg schritt, gesehen. Warum hatte sie ihren Gang fortgesetzt, ohne ein Wort der Begrüßung an ihn zu richten? Es ging das Gerücht, daß manche Weiber die kühlen Stunden vor Tagesanbruch wählten, um im Meere zu baden. Aber man badete nicht bei dem Leuchtthurme. Dort war das Meer zu tief. Uebrigens war es unwahrscheinlich, daß ein Weib sich so mit Schmuck bedeckt hätte um zum Bade zu gehen? … Was war es dann, was sie so weit von Rhacotis anzog? Vielleicht ein Stelldichein? Irgend ein junger Lebemann, der die Abwechselung liebte, und der für einen Augenblick die großen, von den Wogen geglätteten Felsen zum Lager wählte.

Demetrios wollte sich darüber Gewißheit verschaffen. Doch schon kam das junge Weib zurück, mit demselben ruhigen, weichen Schritte, von der milden Klarheit des Mondes voll beleuchtet, mit dem Ende ihres Fächers den Staub der Brüstung fegend.

V.

Die Gekreuzigte.

Alle zusammen wiederholten:

»Aphrodisia hat ihn genommen! Hündin! Sau! Aas! Diebin!«

Ihr Haß gegen die bevorzugte Schwester vergrößerte sich durch ihre persönliche Angst.

Aretias stieß sie mit dem Fuße an die Brust.

– Wo ist er? rief Bacchis. Wo hast Du ihn hingethan?

– Sie hat ihn ihrem Geliebten gegeben.

– Wer ist das?

– Ein opischer Matrose.

– Wo ist sein Schiff?

– Es ist heute Abend nach Rom zurückgesegelt. Du wirst den Spiegel nicht mehr sehen. Sie muß gekreuzigt werden, die Sau, das Ungeheuer!

– Ach! ihr Götter! ihr Götter! weinte Bacchis.

Dann verwandelte sich ihr Schmerz in einen milden Zorn.

Aphrodisia war wieder zum Bewußtsein gekommen, aber durch den Schreck gelähmt und nicht begreifend was vorging, verharrte sie ohne Stimme und ohne Thränen.

Bacchis faßte sie bei den Haaren, schleppte sie auf dem beschmutzten Boden herum, inmitten der Blumen und Weinpfützen und schrie:

»An’s Kreuz! an’s Kreuz! Holt die Nägel! Holt den Hammer!«

– Oh! sagte Seso zu ihrer Nachbarin, das habe ich nie gesehen. Folgen wir ihnen.

Alle folgten sich aneinander drängend. Und auch Chrysis folgte, Chrysis, die allein den Schuldigen kannte und die allein an Allem die Schuld trug.

Bacchis ging gerade auf das Sklavenzimmer zu, ein viereckiger Saal, der mit drei Matratzen ausgestattet war, wo sie zu zwei und zwei schliefen. Im Hintergrunde erhob sich als stets gegenwärtige Drohung ein T-förmiges Kreuz, das bis jetzt noch nicht verwendet worden.

Inmitten des verworrenen Gemurmels der jungen Frauen und Männer hoben vier Sklavinen die Märtyrerin zur Höhe der Arme des Kreuzes empor.

Noch kein Laut war aus ihrem Munde gekommen, als sie aber an ihrem nackten Rücken den kalten, rauhen Stamm fühlte, öffnete sie weit ihre langen Augen und begann ein kurz abgestoßenes Wimmern, das bis zu ihrem Ende nicht mehr aufhörte.

Sie setzten sie rittlings auf einen Holzpfahl, der in der Mitte des Pflockes eingesetzt war, um den Körper zu stützen und das Reißen der Hände zu vermeiden.

Dann that man ihr die Arme auseinander.

Chrysis schaute zu und schwieg. Was konnte sie sagen? Sie hätte die Sklavin nur entlasten können, indem sie Demetrios angeklagt hätte; er war geschützt vor jeder Verfolgung und hätte sich grausam gerächt, dachte sie. Übrigens war eine Sklavin ein Reichthum, und es gefiel Chrysis, daß ihre Feindin im Begriffe war mit eigenen Händen einen Werth von dreitausend Drachmen so vollkommen zu zerstören, als ob sie die Geldstücke in den Eunostus geworfen hätte. Und übrigens, war denn das Leben eines dienenden Wesens werth, daß man sich darum bekümmerte?

Heliope reichte Bacchis den ersten Nagel mit dem Hammer und die Marter begann.

Die Trunkenheit, der Ärger, der Zorn, alle Leidenschaften zusammen, selbst jener Grausamkeitsinstinkt, der im Herzen der Weiber schlummert, bewegten Bacchis‘ Seele in dem Augenblicke, wo sie den ersten Schlag führte und sie stieß einen ebenso durchdringenden Schrei aus, als derjenige Aphrodisia’s war, als sich der Nagel in der offenen Handfläche krümmte.

Sie nagelte die zweite Hand an. Sie nagelte die Füße aufeinander. Dann rief sie, durch die Blutquellen, die den drei Wunden entströmten, aufgestachelt:

»Es ist noch nicht genug! Da hast Du! Diebin! Sau! Matrosendirne!«

Sie zog, eine nach der anderen, die langen Nadeln ihrer Haare heraus und stieß sie heftig in das Fleisch des Busens, des Bauches und der Schenkel. Als sie keine Waffe mehr in den Händen hatte, ohrfeigte sie die Unglückliche und spie ihr auf die Haut.

Sie betrachtete einige Zeit ihr vollendetes Rachewerk, dann kehrte sie mit allen ihren Gästen in den großen Saal zurück.

Phrasilas und Timon allein folgten ihr nicht.

— — — — —

Nach einigen Augenblicken des Sammelns hustete Phrasilas ein wenig, legte seine rechte Hand in die Linke, hob den Kopf in die Höhe, runzelte die Stirne und näherte sich der Gekreuzigten, die unaufhörlich von einem schrecklichen Schauer geschüttelt wurde.

»Obwohl ich bei manchen Gelegenheiten, sagte er ihr, den Theorien, die sich gern absolut nennen, entgegengesetzt bin, kann ich nicht verkennen, daß Du in dem Zustande, in welchem Du Dich befindest, nur gewinnen könntest, wenn Du in ernsthafterer Weise mit den stoischen Maximen vertraut gemacht würdest. Zeno, der nicht in allen Dingen einen von Irrthümern freien Geist besessen zu haben scheint, hat uns einige Sophismen ohne große, allgemeine Tragweite hinterlassen, aus welchen Du aber, in der Absicht Deine letzten Augenblicke zu lindern, Nutzen ziehen könntest. Der Schmerz, sagte er, ist ein sinnloses Wort, weil unser Wille die Unvollkommenheiten unseres vergänglichen Körpers überwindet. Es ist übrigens wahr, daß Zeno im Alter von achtundachtzig Jahren starb, ohne die geringste Krankheit gehabt zu haben, sagen seine Biographen; aber das ist kein Grund, den man gegen ihn einwenden kann, denn aus der Thatsache, daß er eine unverwüstliche Gesundheit zu bewahren wußte, können wir logisch nicht schließen, daß, wenn er krank geworden wäre, es ihm an Charakterstärke gefehlt hätte. Auch wäre es ein Mißbrauch die Philosophen zu zwingen, persönlich die Lebensregeln, welche sie vorschlagen, in Anwendung zu bringen und ohne Unterlaß die Tugenden zu pflegen, welche sie als die höchsten betrachten. Kurzum, und damit ich nicht über die Maßen meine Rede verlängere, so daß sie Gefahr laufen würde länger zu dauern als Du: bemühe Dich Deine Seele, so viel es ihr möglich ist, über Deine körperlichen Leiden zu erheben. So traurig, so grausam sie Dir auch scheinen mögen, ich bitte Dich überzeugt zu sein, daß ich wahrhaft daran Theil nehme. Sie gehen ihrem Ende zu; habe Geduld, vergiß! Die Stunde ist gekommen, wo Du unter den verschiedenen Lehren, die uns die Unsterblichkeit zuerkennen, diejenige wählen kannst, die am besten Dein Bedauern, daß Du verschwindest, einzuschläfern geeignet ist. Wenn diese Lehren die Wahrheit sagen, wirst Du sogar die Schauer des Übergangs erleuchtet haben. Wenn sie lügen, was liegt Dir daran? Du wirst nie wissen, daß Du geirrt hast.«

Als er so gesprochen, ordnete Phrasilas die Falten seines Gewandes auf der Schulter, und zog sich schwankenden Schrittes zurück.

Timon blieb mit der Gekreuzigten, die mit dem Tode rang, allein zurück.

Die Erinnerung einer Nacht, die er auf dem Busen dieser Unglücklichen zugebracht hatte, verließ sein Gedächtniß nicht mehr, mit dem Gedanken vermengt, daß baldige Fäulniß diesen schönen Körper, der in seinen Armen entbrannt war, verunstalten würde.

Er drückte die Hand auf die Augen, um die Gefolterte nicht zu sehen, aber er hörte fortwährend das Zittern des Leibes am Kreuze.

Endlich blickte er auf. Blutige Streifen liefen kreuzweise über ihre Haut, von den Nadeln der Brust bis zu den eingekrümmten Zehen. Fortwährend drehte sich der Kopf. Das ganze Haar hing auf der linken Seite herab, von Blut, Schweiß und Wohlgerüchen benetzt.

»Aphrodisia! hörst Du mich! erkennst Du mich! Ich bin es, Timon, Timon.«

Ein schon fast blinder Blick traf ihn für einen Moment. Aber der Kopf drehte sich immer noch. Der Leib hörte nicht auf zu zittern.

Leise, als ob er gefürchtet hätte, daß das Geräusch seiner Schritte ihr weh thun könnte, trat der Jüngling bis zum Fuße des Kreuzes vor. Er streckte die Arme vorwärts, nahm sorgfältig den kraftlosen und schwankenden Kopf in seine beiden mitleidigen Hände, entfernte andächtig die Haare, welche durch die Thränen an den Wangen klebten und drückte auf die heißen Lippen einen unendlich zärtlichen Kuß.

Aphrodisia schloß die Augen. Erkannte sie Den, der ihr schreckliches Ende durch eine Regung liebevollen Mitleides versüßte? Ein unsagbares Lächeln zog ihre blauen Augenlider in die Länge und in einem Seufzer gab sie den Geist auf.

II.

Am Strande Alexandriens.

Am Strande Alexandriens stand ein Mädchen und sang. Neben ihr saßen zwei Flötenspielerinen auf der weißen Brüstung.

I.

Die Satyren haben in den Wäldern
Die leichte Spur der Orcaden verfolgt.
Sie haben den Bergnymphen nachgejagt
Ihre dunkeln Augen erschreckt,
Ihre lang flatternden Haare ergriffen,
Ihre Jungfrauenbrüste im Laufe gefaßt,
Ihre warmen Körper zurückgelehnt,
Auf den feuchten Rasen hingestreckt,
Und die schönen Körper, die schönen halbgöttlichen Körper
Streckten und reckten sich im Schmerze.
Eure Lippen, ihr Frauen, preisen Eros
In leidvoll süßem Verlangen.

*

Die Flötenspielerinen wiederholten:

»Eros!«

– Eros!« und ihre Klagen schluchzten im doppelten Schilfrohr.

II.

Kybele hat durch die Ebene
Attys, schön wie Apoll verfolgt.
Eros hatte sie in’s Herz getroffen, und für ihn,
O weh! aber nicht für sie.
Um geliebt zu werden, grausamer Gott, böser Eros,
Ist nur der Haß, was Du anräthst…
Durch die Wiesen und die weiten, fernen Felder
Hat Kybele dem Attys nachgejagt,
Und weil sie den liebte, der sie verschmäht‘,
Hat sie in seine Adern den mächt’gen Hauch,
Den kalten, den Hauch des Todes geblasen.
Oh schmerzhaft-süßes Verlangen!

*

»Eros!

– Eros!«

Den Flöten entstiegen schrille Töne.

III. Der Satyr hat bis zum Flusse
Syrinx, die Tochter der Quelle verfolgt.
Der bleiche Eros, der den Geschmack der Thränen liebt,
Küßt sie im Fluge, Wange gegen Wange:
Und der flücht’ge Schatten der ertrunkenen Jungfrau
Hat erbebt, wie ein Schilf auf dem Wasser;
Doch Eros besitzt die Welt und die Götter,
Er besitzt sogar den Tod;
Auf dem Wassergrabe pflückt er für uns
Alles Schilfrohr und macht daraus die Flöte…
Eine todte Seele beweint hier, ihr Frauen,
Das schmerzhaft-süße Verlangen!

*

Während die Flöten den langsamen Gesang des letzten Verses fortsetzten, hielt die Sängerin den Zuhörern, welche sich im Kreise um sie versammelt hatten, die Hand hin. Sie sammelte vier Obolen und ließ sie in ihre Schuhe gleiten.

Nach und nach zerstreute sich die Menge, zahllos, neugierig auf sich selbst und auf die Vorbeigehenden. Das Geräusch der Schritte und der Stimmen deckte sogar das Rauschen des Meeres. Matrosen zogen mit vorgebeugtem Leibe Fahrzeuge ans Ufer. Mit vollen Körben auf den Armen gingen Früchteverkäuferinen vorbei. Bettler verlangten mit zitternden Händen ein Almosen. Mit vollen Schläuchen beladene Esel trabten vor den Stöcken der Eseltreiber daher. Aber nun war die Stunde gekommen, wo die Sonne untergeht; und zahlreicher noch als die geschäftige Menge, bedeckte die müßige Menge den Hafendamm. Gruppen bildeten sich hie und da, zwischen welchen die Frauen hin und her gingen. Man hörte bekannte Persönlichkeiten nennen. Die jungen Leute schauten sich die Philosophen an; diese hingegen betrachteten die Hetären.

Und es waren Hetären jeder Gattung und jeden Ranges da, von den berühmtesten angefangen, welche mit lichter Seide bekleidet waren und Schuhe von Goldleder trugen, bis zu den elendesten, die mit bloßen Füßen daher gingen. Die Ärmsten waren nicht minder schön als die anderen, aber weniger glücklich, und die Aufmerksamkeit der Weisen war am liebsten auf diejenigen gerichtet, deren Anmuth nicht durch die Kunstgriffe der Gürtel und die Fülle des Schmuckes entstellt war. Da man am Vorabend der aphrodisischen Feste war, hatten diese Frauen die Freiheit die Kleidung zu wählen, die ihnen am besten saß, und einige der jüngsten waren so weit gegangen, überhaupt keine Kleider zu tragen. Aber ihre Nacktheit erregte bei Niemandem Anstoß, denn sie hätten nicht in dieser Weise jede Einzelheit derselben der Sonne ausgesetzt, wenn sie sich des kleinsten körperlichen Fehlers, der den Spott der verheiratheten Frauen herausgefordert hätte, bewußt gewesen wären.

»Tryphaera! Tryphaera!«

Und mit diesem Ausrufe stieß eine junge Hetäre von fröhlichem Aussehen einige Vorübergehende bei Seite, um eine Freundin, die sie bemerkt hatte, einzuholen.

»Tryphaera? bist Du geladen?

– Wo das, Seso?

– Bei Bacchis.

– Noch nicht. Giebt sie ein Mittagsmahl?

– Ein Mittagsmahl? einen Festschmaus, meine Liebe. Sie will ihrer schönsten Sklavin, Aphrodisia, am zweiten Tage des Festes die Freiheit schenken.

– Endlich hat sie bemerkt, daß man nur noch wegen ihrer Sklavin zu ihr kam.

– Ich glaube, sie hat gar nichts bemerkt. Es ist eine Laune des alten Rheders Cheres. Er wollte das Mädchen für zehn Minen kaufen; Bacchis hat abgelehnt. Er bot zwanzig Minen und sie hat nochmals abgelehnt.

– Sie ist verrückt.

– Sie setzte eben ihren Ehrgeiz daran, eine befreite Sklavin zu haben. Übrigens hat sie recht gethan zu feilschen. Cheres wird gewiß fünf und dreißig Minen geben und für diesen Preis kann sich das Mädchen freimachen.

– Fünf und dreißig Minen? Drei tausend fünf hundert Drachmen? Drei tausend fünf hundert Drachmen für eine Negerin!

– Sie ist die Tochter eines Weißen.

– Aber ihre Mutter ist schwarz.

– Bacchis hat erklärt, daß sie sie nicht billiger hergeben würde, und der alte Cheres ist so verliebt, daß er eingewilligt hat.

– Ist er wenigstens geladen?

– Nein! Aphrodisia wird beim Festmahl als letzter Gang nach den Früchten aufgetragen werden. Jeder wird nach seinem Geschmacke davon kosten und am zweiten Tage erst soll man sie an Cheres abliefern; aber ich fürchte, daß sie dann recht müde sein wird …

– Bemitleide sie nicht! Bei ihm wird sie Zeit haben auszuruhen. Ich kenne ihn, Seso. Ich habe ihn schlafen sehen.

Sie lachten zusammen über Cheres. Dann lobten sie sich gegenseitig.

»Du hast ein hübsches Kleid, sagte Seso. Hast Du es bei dir zu Hause sticken lassen?«

Tryphaeras Kleid war aus dünnem, meergrünem Stoffe, der ganz mit breitblumigen Iris durchwirkt war. Ein in Gold gefaßter Karfunkel heftete dasselbe an der linken Schulter in spindelförmigen Falten fest; das Kleid fiel wie eine Schärpe zwischen den Brüsten hernieder, die ganze rechte Seite des Körpers bis zum Metallgürtel nackt lassend; nur ein enger Spalt, welcher sich bei jedem Schritte öffnete und wieder schloß, enthüllte das weiße Bein.

Seso! sagte eine andere Stimme, Seso und Tryphaera, kommt, wenn ihr nichts Besseres zu thun habt. Ich gehe zur Mauer des Kerameikos, um zu sehen, ob mein Name dort angeschrieben steht.

– Mousarion! woher kommst Du, Kleine?

– Vom Leuchtturm, es ist Niemand dort.

– Was sagst Du da? Man braucht ja nur zu fischen, so voll ist es dort.

– Kein Fang für mich. Deßhalb geh‘ ich zur Mauer. Kommt doch!

Unterwegs erzählte Seso wieder vom beabsichtigten Gastmahle bei Bacchis.

»Ach! bei Bacchis! rief Mousarion aus. Erinnerst Du dich des letzten Essens, Tryphaera: und alldessen, was man über Chrysis erzählt hat?

– Sage es nicht wieder, Seso ist ihre Freundin.«

Mousarion biß sich in die Lippen; doch schon fragte Seso ängstlich:

»Wie? was hat man gesagt?

– Oh! nur Bosheiten.

– Sprechen ist leicht, erklärte Seso. Alle drei zusammengenommen wiegen wir Chrysis nicht auf. Am Tage wo es ihr gefallen wird ihr Viertel zu verlassen, um sich im Brouchion zu zeigen, wird so mancher unserer Geliebten uns nicht mehr wiedersehen wollen.

– Oho!

– Gewiß. Ich würde für dieses Weib Tollheiten begehen. Es giebt hier keine schönere, glaub es mir.

Die drei Mädchen waren vor der Mauer des Kerameikos angekommen. Von einem Ende der weißen Wand bis zum andern folgte Inschrift auf Inschrift. Wenn ein Liebhaber sich einer Hetäre vorzustellen wünschte, genügte es ihre beiden Namen mit dem Preise, den er bot, da aufzuschreiben; hatte sie den Mann und das Geld als würdig erachtet, so blieb das Weib unter der Aufschrift stehen und wartete, bis der Verehrer wiederkam.

»Schau mal, Seso! sagte Tryphaera lachend. Wer ist der boßhafte Spaßvogel, der das geschrieben hat?«

Und sie lasen folgende, in plumper Schrift geschriebene Worte:

Bacchis
Thersites
2 Obolen

»Es sollte nicht erlaubt sein Weiber so zum Besten zu haben. Wenn ich der Rhymarch wäre, so hätte ich schon längst eine Untersuchung eröffnet.«

Aber ein Stück weiter blieb Seso vor einer ernster zu nehmenden Inschrift stehen.

Seso von Cnidos
Timon, Lysias Sohn

1 Mine

»Ich bleibe,« sagte Seso erblassend.

Und sie lehnte sich an die Wand, dem neidischen Blicke der vorbeigehenden Hetären ausgesetzt.

Einige Schritte weiter fand Mousarion eine, wenn auch nicht so freigebige, so doch annehmbare Anfrage. Tryphaera kam allein auf den Hafendamm zurück.

Der Abend war vorgeschritten, die Menge weniger dicht. Die drei Musikantinen jedoch fuhren fort zu singen und die Flöte zu blasen.

Auf einen Unbekannten zutretend, dessen Schmeerbauch und dessen Kleidung ziemlich lächerlich aussahen, schlug ihm Tryphaera auf die Schulter:

– Väterchen, ich wette, Du bist nicht von Alexandrien, wie?

– In der That, mein Kind, antwortete der Biedermann. Du hast recht gerathen. Ich bin über Stadt und Leute noch ganz verblüfft.

– Bist Du von Bubaste?

– Nein, von Cabasa. Ich bin hierher gekommen, um Korn zu verkaufen und kehre morgen um zweiundfünfzig Minen reicher heim. Den Göttern sei gedankt, es war ein gutes Jahr.

Tryphaera fühlte plötzlich ihr Interesse für diesen Kaufmann wachsen.

Mein Kind, begann er schüchtern von Neuem, Du kannst mir eine große Freude bereiten. Ich möchte nicht morgen nach Cabasa zurückkehren, ohne meiner Frau und meinen drei Töchtern sagen zu können, ich habe berühmte Männer gesehen. Du mußt sicher berühmte Männer kennen?

– Ich kenne einige, sagte sie lachend.

– Nun wohl! Nenne mir sie, wenn sie hier vorbeigehen. Ich bin sicher, daß ich seit zwei Tagen auf den Straßen die berühmtesten Philosophen und die einflußreichsten Würdenträger getroffen habe. Ich bin trostlos sie nicht zu kennen.

– Du sollst befriedigt werden. Hier ist Naukrates.

– Wer ist Naukrates?

– Ein Philosoph.

– Und was lehrt er?

– Daß man schweigen muß.

– Bei Zeus, das ist eine Lehre, welche nicht viel Genie verlangt und dieser Philosoph gefällt mir nicht.

– Hier kommt Phrasilas.

– Wer ist Phrasilas?

– Ein Thor.

– Warum läßt Du ihn da nicht vorüberziehen?

– Weil Andere ihn für einen ausgezeichneten Mann halten.

– Und was sagt er?

– Er sagt Alles mit einem Lächeln, was ihm gestattet, seine Irrthümer als absichtlich und seine Albernheiten als pfiffig gelten zu lassen. Alle Vortheile sind auf seiner Seite. Die Welt hat sich dadurch irreführen lassen.

– Das ist mir zu hoch und ich verstehe Dich nicht recht. Übrigens hat dieser Phrasilas ein Heuchlergesicht. – Hier kommt Philodem.

– Der Stratege?

– Nein. Ein lateinischer Dichter, der griechisch schreibt.

– Kleine, es ist ein Feind. Ich will ihn nicht gesehen haben.

Jetzt entstand in der Menge eine Bewegung und ein Gemurmel von Stimmen sprach einen und denselben Namen aus.

»Demetrios … Demetrios …«

Tryphaera stieg auf einen Eckstein und sagte dem Kaufmann:

»Demetrios … Hier ist Demetrios. Du wolltest ja einen berühmten Mann sehen.

– Demetrios? der Geliebte der Königin? Ist es möglich?

– Ja, Du kannst von Glück reden. Er geht nie aus. Seitdem ich in Alexandrien bin, ist es das erstemal, daß ich ihn auf dem Strande sehe.

– Wo ist er?

– Es ist der, welcher sich vorbeugt, um den Hafen zu sehen.

– Es sind zwei da, die sich vorbeugen.

– Der, welcher blau gekleidet ist.

– Ich sehe ihn nicht recht. Er wendet uns den Rücken zu.

– Weißt Du, daß es der Bildhauer ist, dem die Königin Modell gestanden hat, als er die Statue der Aphrodite für den Tempel gemacht hat?

– Man sagt, er sei der königliche Geliebte. Man sagt, er sei der Herr Ägyptens.

– Er ist schön wie Apoll!

– Ah! Jetzt dreht er sich um. Ich bin recht froh, gekommen zu sein. Ich werde sagen, daß ich ihn gesehen habe. Man hat mir so Vieles über ihn erzählt. Man sagt, daß ihm niemals eine Frau widerstanden hat. Er hat viele Abenteuer erlebt, nicht wahr? Wie kommt es, daß die Königin sich nicht darüber erkundigt hat?

– Die Königin kennt sie so gut wie wir. Sie liebt ihn zu sehr, um ihm deshalb etwas zu sagen. Sie fürchtet, daß er nach Rhodos, zu seinem Meister Pherecrates zurückkehrt. Er ist so mächtig wie sie und sie ist es, die nach ihm verlangte.

– Er sieht nicht glücklich aus. Warum hat er eine so traurige Miene? Es scheint mir, ich würde glücklich sein, wenn ich an seiner Stelle wäre. Ich möchte gern an seinem Platze sein, sei es auch nur einen Abend…

Die Sonne war untergegangen. Die Frauen schauten diesen Mann an, der ihr gemeinsamer Traum war. Scheinbar ohne das Bewußtsein von der Neugierde zu haben, welche er hervorrief, stand er den Flötenspielerinen zuhörend an der Brüstung angelehnt.

Die kleinen Spielmädchen machten nochmals die Runde, um zu sammeln; dann warfen sie ihre leichten Flöten auf den Rücken; die Sängerin faßte sie um den Hals und alle drei wandten sich der Stadt zu.

Als es finstere Nacht war, kehrten die anderen Frauen in kleinen Gruppen nach dem ungeheueren Alexandrien zurück und die Heerde der Männer folgte ihnen nach; doch unterwegs drehten sich alle nach Demetrios zurück. Die letzte, die vorbei kam, warf ihm mit leichter Grazie ihre gelbe Blume zu und lachte dabei. Der Strand lag jetzt in völliger Stille da.