Chrysis unsterblich.

Als Demetrios sich in seinem rothen, mit Marmorstücken, Entwürfen, Staffeleien und Gerüsten angefüllten Atelier allein befand, wollte er sich wieder an die Arbeit machen.

Den Meißel in der linken Hand und den Hammer in der rechten Faust, nahm er, ohne Eifer, eine unterbrochene Skizze wieder auf. Es war der Hals eines ungeheuern Rosses, das für den Tempel des Poseidon bestimmt war. Unter der kurz geschnittenen Mähne krümmte sich die Haut des Halses, in Folge einer Bewegung des Kopfes gefältelt, geometrisch genau wie eine wellige Seemuschel.

Drei Tage früher vermochten die Einzelheiten dieser regelmäßigen Muskelbildungen in Demetrios Geist alles Interesse des täglichen Lebens zusammenzufassen; aber am Morgen von Chrysis‘ Tod schien das Aussehen der Dinge verändert. Weniger ruhig als er es sein wollte, gelang es Demetrias nicht seine anderwärts beschäftigten Gedanken festzuhalten. Eine Art Schleier, den er nicht heben konnte, lag zwischen ihm und dem Marmor. Er warf seinen Hammer weg und begann die staubigen Postamente entlang zu gehen.

Plötzlich durchschritt er den Hof, rief eine Sklavin und sagte ihr:

»Bereite das Bad und die Wohlgerüche vor. Nach dem Bade wirst Du mich salben, dann wirst Du mir meine weißen Kleider geben und die runden Räucherpfannen anzünden.«

Als er seine Toilette vollendet hatte, ließ er zwei andere Sklaven kommen:

»Geht nach dem Gefängniß der Königin,« sagte er; »übergebet dem Wächter diesen Thonklumpen, er soll ihn in das Zimmer tragen, wo die Hetäre Chrysis gestorben ist. Wenn der Leichnam nicht schon in die Senkgrube geworfen worden, saget ihm, man soll nichts thun, bevor ich Befehle ertheilt habe. Laufet voraus. Geht.«

Er steckte einen Schraffirmeißel in die Falte seines Gürtels und öffnete die Hauptthür, die auf die menschenleere Strandallee ging.

Plötzlich hielt er auf der Schwelle inne, von dem unermeßlichen Lichte des afrikanischen Mittags festgebannt.

Die Straße sollte weiß erscheinen und die Häuser ebenfalls weiß, aber die Flamme der senkrecht stehenden Sonne bestrich die leuchtenden Oberflächen mit grellen Reflexen, daß die Kalkwände und die Steinplatten gleichzeitig wunderbare schattenblaue, rothe und grüne, grell okergelbe und hyacinthfarbene Gluthen zurückstrahlten. Große, zitternde Farben schienen sich in der Luft fortzubewegen, und nur mit ihrer Durchsichtigkeit die lodernden Façaden zu bedecken. Die Linien selbst verloren ihre Form hinter diesem blendenden Lichte; die gerade Mauer der Straße rundete sich in der Unbestimmtheit ab, schien sich zu bewegen wie ein Segel und wurde an manchen Stellen unsichtbar. Ein neben einem Steine liegender Hund war wirklich dunkelroth.

Von Bewunderung begeistert sah Demetrios in dieser Erscheinung das Symbol seines neuen Lebens. Lange genug hatte er in der einsamen Nacht, in der Stille und im Frieden gelebt. Lange genug hatte er den Mondschein zum Lichte genommen und die weiche Linie einer allzu zarten Bewegung zum Ideal. Sein Werk war nicht männlich. Auf der Haut seiner Statuen lag ein eisiger Schauder.

Während des tragischen Abenteuers, das seinen Geist verstörte, hatte er zum ersten Mal gefühlt, wie der große Hauch des Lebens seine Brust erfüllte. Wenn er eine zweite Probe fürchtete, wenn er, siegreich aus dem Kampfe hervorgegangen, sich vor Allem geschworen hatte seine stolze Haltung den Anderen gegenüber nicht mehr einer Demüthigung auszusetzen, so hatte er wenigstens begriffen, daß das allein der Mühe werth sei ersonnen zu werden, was durch den Marmor, die Farbe oder die Sprache eine der Tiefen des menschlichen Gemüthes erreicht, – und daß die Formschönheit nur eine unbestimmte Materie ist, die immer durch den Ausdruck des Leides oder der Freude verklärt werden kann.

Während er so seinen Gedanken nachhing, kam er vor die Thür des Gefängnisses.

Seine beiden Sklaven erwarteten ihn dort.

»Wir haben den rothen Thonklumpen hierher getragen, sagten sie. Der Leichnam liegt immer noch auf dem Bette. Man hat nicht daran gerührt. Der Wächter empfiehlt sich Deiner Huld.«

Schweigend trat der Jüngling ein, folgte dem langen Flur, stieg einige Stufen hinauf und drang in das Zimmer der Todten, wo er sich sorgfältig einschloß.

Die Leiche lag da ausgestreckt, der Kopf tiefer, mit einem Schleier bedeckt, die Hände ausgestreckt, die Füße beisammen liegend. Die Finger waren mit Ringen beladen; zwei Silberreifen umschlangen die bleichen Knöchel und die Nägel der Zehen waren noch roth vom Pulver.

Demetrios legte die Hand an den Schleier, um ihn wegzuheben, aber kaum hatte er ihn ergriffen, als ein Dutzend Fliegen durch die Oeffnung herausflogen. Er schauderte bis zu den Füßen… Doch entfernte er den weißen Wollstoff und legte ihn in Falten um die Haare.

Chrysis‘ Gesicht wurde nach und nach von jenem ewigen Ausdruck erhellt, den der Tod den Augenlidern und den Haaren der Leichen verleiht. In dem bläulichen Weiß der Wangen gaben einige azurne Äderchen dem unbeweglichen Kopfe den Anschein des kalten Marmors. Die durchsichtigen Nasenlöcher öffneten sich über den feinen Lippen. Die Zartheit der Ohren hatte etwas Unkörperliches. Niemals, in keinem Lichte, nicht einmal in demjenigen seines Traumes, hatte Demetrios diese mehr als menschliche Schönheit, diesen verlöschenden Glanz der Haut gesehen.

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Und da erinnerte er sich der Worte, die Chrysis bei ihrer ersten Begegnung gesagt hatte: »Du kennst nur mein Gesicht. Du weißt nicht wie schön ich bin!« Eine heftige Bewegung raubte ihm plötzlich den Athem. Er will endlich kennen lernen. Er vermag es.

Von diesen drei Tagen der Leidenschaft will er eine Erinnerung behalten, die länger als er selbst dauern soll, den wunderbaren Leib entkleiden, ihn, wie ein Modell in jene ungestüme Lage bringen, in der er ihn im Traume gesehen hat und, nach dem Leichnam das Standbild des »Unsterblichen Lebens« schaffen.

Er löst die Spange und das Band. Er entfernt den Stoff. Der Leib ist schwer. Er hebt ihn in die Höhe. Der Kopf sinkt nach rückwärts. Die Brüste zittern. Die Arme fallen herab. Er zieht das ganze Gewand ab und wirft es in die Mitte des Zimmers. Schwer fällt der Körper zurück.

Demetrios faßt die Todte mit beiden Armen unter den noch frischen Achselhöhlen und läßt sie auf den oberen Theil des Bettes gleiten. Er wendet den Kopf auf die linke Wange, sammelt und ordnet das Haar reichlich auf dem gebogenen Rücken. Dann hebt er den rechten Arm, beugt den Vorderarm über die Stirne, läßt die noch weichen Finger krampfhaft den Stoff des Kissens ergreifen: zwei wunderbare Muskellinien gehen vom Ohr und vom Ellenbogen herunter, und vereinigen sich unter der rechten Brust, die sie wie eine Frucht tragen.

Dann legt er die Beine zurecht, das eine steif nach der Seite ausgestreckt, das andere mit gehobenem Knie, so daß die Ferse fast den Hintertheil berührt. Er verbessert noch einige Einzelheiten, dreht die Taille nach links, streckt den rechten Fuß aus, entfernt Armbänder, Halsbänder und Ringe, damit die reine und vollkommene Harmonie der weiblichen Nacktheit nicht durch eine einzige Dissonanz gestört werde.

Das Modell hat die Pose angenommen.

Demetrios wirft den nassen Thonklumpen, den er hierher hat tragen lassen, auf den Tisch. Er drückt und knetet ihn, zieht ihn nach der menschlichen Form in die Länge: eine Art barbarischen Ungeheuers entsteht unter seinen eifrigen Fingern: er schaut.

Die unbewegliche Leiche behält ihre leidenschaftliche Stellung bei. Aber ein dünner Blutstreifen rieselt aus dem rechten Nasenloch, läuft auf die Lippen und fällt tropfenweise in den halbgeöffneten Mund.

Demetrios fährt in seiner Arbeit fort. Die Skizze wird deutlicher, nimmt Leben an. Ein wunderbarer linker Arm rundet sich über den Körper, als umschlänge er Jemanden. Die Muskel der Schenkel treten gewaltig hervor. Die Zehen krümmen sich.

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…. Als die Nacht von der Erde aufstieg, das niedere Zimmer verfinsternd, hatte Demetrios seine Statue vollendet.

Er ließ die Skizze durch vier Sklaven nach seinem Atelier tragen. Noch am selben Abend ließ er beim Lampenlichte einen Marmorblock von Paros behauen, und ein Jahr nach diesem Tage arbeitete er noch an dem Marmor.