VII

Chrysis‘ Haare

»Schau, schau! sagte Rhodis. Da kommt Jemand.«

Die Sängerin schaute: fern von ihnen ging ein Weib mit schnellen Schritten das Ufer entlang.

»Ich erkenne sie, sagte das Kind von Neuem. Es ist Chrysis. Sie trägt ein gelbes Kleid.«

– Wie? wäre sie schon angekleidet?

– Ich verstehe nichts daran. Gewöhnlich geht sie nie vor Mittag aus; jetzt aber ist kaum die Sonne aufgegangen. Es ist ihr Etwas zutheil geworden, wahrscheinlich eine große Freude; sie hat so viel Glück!

Sie gingen ihr entgegen und sagten ihr:

»Sei gegrüßt, Chrysis!«

– Seiet gegrüßt. Wie lange seid Ihr schon hier?

– Ich weiß nicht, es war schon Tag, als wir ankamen.

– War Niemand auf dem Strande?

– Niemand.

– Nicht ein Mann? seid Ihr dessen sicher?

– Oh! ganz sicher. Warum fragst Du Das?

Chrysis antwortete nicht. Rhodis sagte wieder:

– Wolltest Du Jemanden sehen?

– Ja … Vielleicht … ich glaube, es ist besser, daß ich ihn nicht gesehen habe. Alles ist gut. Ich hatte Unrecht wieder zu kommen; ich konnte mich nicht davon abhalten.

– Aber was geht denn vor, Chrysis, wirst Du es uns sagen?

– Oh! nein.

– Selbst uns nicht? selbst uns nicht, Deinen Freundinen?

– Ihr werdet es später erfahren, mit der ganzen Stadt.

– Das ist freundlich.

– Ein wenig früher, wenn Ihr wollt, aber diesen Morgen ist es unmöglich. Es gehen außerordentliche Dinge zu, meine Kinder. Ich sterbe vor Verlangen sie Euch zu sagen; aber ich muß schweigen. Ihr wolltet schon nach Hause gehen. Kommt zu mir schlafen. Ich bin ganz allein.

– Oh! Chryse, Chrysidion, wir sind so müde! In der That, wir wollten eben nach Hause gehen, aber es war um zu schlafen.

– Nun, Ihr werdet nachher schlafen. Heute ist der Tag vor den aphrodisischen Festen. Ist das ein Tag, wo man ausruht? Wenn die Göttin Euch beschützen und im nächsten Jahre glücklich machen soll, müßt Ihr in den Tempel kommen mit Augenlidern, so dunkel wie Veilchen, und Wangen so weiß wie Lilien. Wir werden das Nöthige thun; kommt mit mir.

Sie nahm Beide um den Leib, höher als der Gürtel, schloß ihre liebkosenden Hände auf den fast nackten Brüstchen, und zog sie schnellen Schrittes mit sich.

Rhodis aber war noch immer nachdenklich.

– Und wenn wir in Deinem Bette sein werden, begann sie von Neuem, wirst Du uns dann noch nicht sagen, was Dir geschieht, was Du erwartest?

– Ich werde Euch vielerlei sagen und Alles was Euch gefällt; aber Das werde ich verschweigen.

– Selbst dann, wenn wir in Deinen Armen sein werden, nackt, ohne Licht?

– Laß ab, Rhode. Du wirst es erst morgen erfahren. Warte bis morgen.

– Wirst Du sehr glücklich sein, oder sehr mächtig?

– Sehr mächtig.

Rhodis machte große Augen und rief aus:

– Du schläfst mit der Königin?

– Nein, sagte Chrysis lachend, aber ich werde so mächtig sein wie sie. Bedarfst Du meiner? Wünschest Du etwas?

– Oh! ja!

Und das Kind ward wieder nachdenklich.

– Nun, und was ist es? fragte Chrysis.

– Es ist ein Ding der Unmöglichkeit. Warum sollte ich es verlangen?

Myrtocleia redete für sie:

– Wenn in Ephesus, in unserem Vaterlande, zwei Mädchen, die mannbar und noch jungfräulich sind, wie Rhodis und ich, einander lieben, so erlaubt das Gesetz, daß sie einander heirathen. Sie gehen zum Tempel der Athene, um ihren doppelten Gürtel zu weihen; dann zum Heiligthum der Iphinoë, um eine vermengte Locke ihrer Haare darzubieten und endlich unter den Säulengang des Dionysos, wo man der männlicheren von beiden ein dünnes Goldmesserchen und ein weißes Tuch, um das Blut abzuwischen, übergiebt. Am Abend wird diejenige, welche die »Braut« ist, auf einem Blumenwagen zwischen ihrem Manne und der Paranymphe, von Fackeln und Flötenspielerinen umgeben, nach ihrer neuen Wohnung gebracht. Und von nun an haben sie alle Rechte der Eheleute; sie können kleine Mädchen an Kindesstatt annehmen und sie ihrem intimen Leben zugesellen. Sie stehen in Ehren. Sie haben eine Familie. Das ist Rhodis Traum. Aber hier ist es nicht Sitte …

– Man wird das Gesetz abändern, sagte Chrysis; Ihr werdet einander heirathen, ich nehme mich der Sache an.

– Oh! ist es wahr? rief die Kleine roth vor Freude aus.

– Ja; und ich frage nicht, welche von Euch beiden der Mann sein wird. Ich weiß, daß Myrto All das hat, was nöthig ist, um diese Täuschung hervorzubringen. Du bist glücklich, Rhodis, solch eine Freundin zu besitzen. Was man auch sagen mag, sie sind selten.

Sie waren bis zur Thür gekommen, wo Djala, auf der Schwelle sitzend, ein leinenes Tuch wirkte. Die Sklavin stand auf und ließ sie vorüber gehen; dann folgte sie ihnen auf dem Fuße.

In einem Augenblicke waren die Flötenspielerinen ihrer einfachen Kleider entledigt. Sie leisteten einander, in einem grünen Marmor-Gefäße, das sich in das Badebecken entleerte, peinlich genaue Waschungen. Dann wälzten sie sich auf das Bett.

Ohne sie zu sehen schaute ihnen Chrysis zu. Bis in’s Unendliche wiederholten sich in ihrer Erinnerung selbst die geringfügigsten Worte des Demetrios. Sie fühlte nicht, wie Djala stillschweigend ihren langen gelben Schleier löste und entfaltete, wie sie ihr den Gürtel abnahm, die Halsbänder öffnete, die Ringe, die Siegel, die Spangen, die Silberschlangen und die goldenen Nadeln abnahm; aber das Kitzeln des herunterfallenden Haares weckte sie aus dem Traume.

Sie verlangte nach ihrem Spiegel.

War sie von Angst gequält, nicht schön genug zu sein, um ihren neuen Geliebten zurückzuhalten – denn sie mußte ihn festhalten – nach den tollen Unternehmungen, die sie von ihm verlangt hatte? Oder wollte sie durch die Prüfung jeder ihrer Schönheiten irgend eine Besorgniß zerstreuen und ihr Zutrauen begründen?

Sie näherte den Spiegel allen ihren Körpertheilen, den einen nach dem anderen berührend. Sie beurtheilte ihre weiße Hautfarbe, schätzte durch lange Liebkosungen ihre Weichheit, ihre Wärme durch Berührungen. Sie prüfte die Fülle ihrer Brüste, die Festigkeit ihres Bauches, die Enge ihres Leibes. Sie maß ihr Haar und beurtheilte seinen Glanz. Sie versuchte die Stärke ihres Blickes, den Ausdruck ihres Mundes, das Feuer ihres Athems und von dem Rande der Achselhöhle bis zur Falte des Ellenbogens zog sie langsam einen Kuß, längs des nackten Armes.

Eine außerordentliche Erregung, zusammengesetzt aus Überraschung und Stolz, aus Sicherheit und Ungeduld, bemächtigte sich ihrer bei der Berührung ihrer eigenen Lippen. Sie drehte sich um sich selbst, als ob sie Etwas suchte, doch als sie auf dem Bette die beiden Ephesierinen erblickte, deren sie vergessen hatte, sprang sie mitten zwischen dieselben, trennte und umarmte sie mit einer Art verliebter Wuth, und ihr langes, goldenes Haar umwallte die drei jungen Köpfe.

I.

Die Gärten der Göttin.

Der Tempel der Aphrodite-Astarte erhob sich außerhalb der Thore der Stadt, in einem ungeheuern Parke voll Blumen und Schatten, wo das Wasser des Nils, durch sieben Kanäle hergeleitet, zu jeder Jahreszeit ein wunderbares Wachsthum unterhielt.

Dieser blühende Wald am Ufer des Meeres, diese tiefen Bäche, diese Seeen und dunkle Wiesen waren in der Wüste mehr als zwei Jahrhunderte vorher durch den ersten Ptolemäer geschaffen worden. Seit jener Zeit waren die auf seinen Befehl gepflanzten Sycomoren riesengroß geworden; unter dem Einflusse der befruchtenden Gewässer waren aus den Rasenplätzen Wiesen geworden, die Wasserbecken hatten sich zu Teichen erweitert; die Natur hatte aus einem Park eine ganze Landschaft gemacht.

Die Gärten waren mehr als ein Thal, mehr als ein Land, mehr als eine Heimath. Sie waren eine vollständige Welt, durch steinerne Schranken abgeschlossen und von einer Göttin beherrscht, welche die Seele und der Mittelpunkt dieses Universums war. Rings herum erhob sich eine ringförmige Terrasse, die achtzig Stadien lang und zweiunddreißig Fuß hoch war. Es war keine Mauer, es war eine ungeheuere, aus vierzehnhundert Häusern bestehende Stadt. Eine gleiche Anzahl von Prostituirten bewohnte diese geheiligte Stadt und vereinigte an diesem einzigen Orte siebzig verschiedene Völker.

Der Plan dieser geheiligten Häuser war gleichförmig und folgendermaßen beschaffen: die Thür aus rothem Kupfer (das der Göttin geweihte Metall) trug als Klopfhammer einen Phallus, der auf einen Fallkloben, in Relief das Bild des weiblichen Geschlechtstheiles darstellend, schlug; darunter war der Name der Hetäre eingegraben, mit den Anfangsbuchstaben des üblichen Satzes:

Ω.Ξ.Ε.
ΚΟΧΛΙΣ
Π.Π.Π.

Zu beiden Seiten der Thür öffneten sich zwei Zimmer in Form eines Ladens, d. h. dem Garten zu ohne Wand. Das rechtsgelegene Zimmer, welches das »ausgesetzte« hieß, war der Ort, wo die geschmückte Hetäre zur Stunde, wo die Männer kamen, auf einem hohen Katheder saß. Das linksgelegene stand den Liebhabern, welche die Nacht unter freien Himmel, ohne jedoch im Grase zu liegen, zubringen wollten, zur Verfügung.

Wenn man die Thür öffnete, so führte ein Flur in einen großen, mit Marmor gepflasterten Hof, dessen Mitte ein ovales Wasserbecken einnahm. Ein Säulengang umschattete diesen großen Lichtfleck und schützte durch eine Zone frischer Luft den Zugang zu den sieben Gemächern des Hauses. Im Hintergrunde erhob sich der Altar, aus rosarothem Granit.

Alle Frauen hatten aus ihrem Heimathslande ein kleines Bild der Göttin mitgebracht, und nachdem sie dasselbe auf dem häuslichen Altar aufgestellt hatten, beteten sie es, jede in ihrer Sprache an, ohne sich je gegenseitig zu verstehen. Lakmi, Aschtoreth, Venus, Ischtar, Freia, Mylitta, Kypris waren die religiösen Namen ihrer vergöttlichten Wollust. Einige beteten sie unter einer symbolischen Form an: ein rother Uferkiesel, ein kegelförmiger Stein, eine große stachelige Muschel. Die meisten errichteten auf einem Sockel von zartgefärbtem Holze eine plumpe Statuette mit mageren Armen, schweren Brüsten und übertrieben breiten Hüften, welche mit ihrer Hand auf ihren dreieckig gekräuselten Bauch deutete. Zu ihren Füßen legten sie Myrthenzweige nieder; sie bestreuten den Altar mit Rosenblättern, für jeden erhörten Wunsch verbrannten sie einige Körner Weihrauch. Sie war die Vertraute aller ihrer Leiden, die Zeugin aller ihrer Arbeiten, die vermuthete Ursache aller ihrer Freuden. Und wenn die Hetäre starb, legte man das Götzenbild in ihren kleinen, gebrechlichen Sarg, als Hüterin ihres Grabes.

Die schönsten dieser Mädchen kamen aus den asiatischen Königreichen. Jedes Jahr setzten die Schiffe, welche nach Alexandrien Geschenke der tributpflichtigen und der verbündeten Völker brachten, mit den Ballen und Schläuchen hundert, von den Priestern für den Dienst der heiligen Gärten ausgewählte Jungfrauen an’s Land. Es waren Mysierinen und Jüdinen, Mädchen aus Phrygien und Creta, Ecbatana und Babylon, von den Ufern des Perlengolfes und des heiligen Ganges. Die Einen hatten eine weiße Hautfarbe, mit Medaillengesichtern und unbiegsamen Brüsten, die Anderen waren braun wie die regenbenetzte Erde, trugen Goldringe in den Nasen und schüttelten auf ihren Schultern kurze und dunkle Haare.

Andere kamen noch von weiter her: kleine, schwächliche und langsame Geschöpfe, deren Sprache Niemand kannte, und die gelben Affen ähnlich sahen. Ihre Augen zogen sich zu den Schläfen hin; ihre schwarzen und glatten Haare waren seltsam gekämmt. Diese Mädchen blieben ihr ganzes Leben hindurch schüchtern wie verirrte Thiere. Sie kannten die Bewegungen der Liebe, verweigerten aber den Kuß auf den Mund. Zwischen zwei vorübergehenden Verbindungen sah man sie untereinander spielen, auf ihren kleinen Füßen hockend sich kindischen Zerstreuungen hingeben.

Auf einer einsamen Wiese lebten die blonden und rosigen Töchter der Völker des Nordens in Heerden auf dem Grase liegend. Es waren Sarmatinen mit dreifachen Zöpfen, kräftigen Beinen, und eckigen Schultern, welche sich aus Baumzweigen Kränze flochten und sich durch Zweikämpfe zerstreuten; stumpfnäsige, großbrüstige und behaarte Skythinen, welche sich nur in der Stellung der Thiere paaren wollten; riesengroße Teutoninen, welche die Ägypter durch ihr bleiches Greisenhaar und ihr weiches Kinderfleisch in Schrecken setzten; Gallierinen, rothhaarig wie Kühe, und ohne Grund lachend; junge Keltinen mit meergrünen Augen, welche niemals nackt ausgingen.

An einer anderen Stelle vereinigten sich die braunbrüstigen Iberierinen während des Tages. Sie hatten schwere Haare, welche sie mit Sorgfalt kämmten, und nervige Leiber, die sie nicht enthaarten. Ihre feste Haut und ihre starken Hintertheile waren sehr nach dem Geschmacke der Alexandriner. Man verwundete sie als Tänzerinen eben so oft wie als Beischläferinen.

Unter dem breiten Schatten der Palmbäume wohnten die Töchter Afrikas. Die weißverschleierten Numidierinen; die mit schwarzer Gaze bekleideten Karthagerinen, die in buntfarbige Gewänder gehüllten Negerinen.

Es waren ihrer vierzehnhundert.

Wenn eine Frau dort eingetreten war, so kam sie vor dem ersten Tage ihres Alters nie wieder heraus. Sie gab dem Tempel die Hälfte ihres Gewinnes, das Übrige mußte ihr für Nahrung und Wohlgerüche genügen.

Sie waren keine Sklavinen und jede besaß wirklich eines der Häuser der Terrasse; aber nicht alle waren gleichmäßig beliebt und die Glücklicheren kauften oft die Nachbarhäuser, welche ihre Besitzerinen verkaufen mußten, um nicht Hungers zu sterben. Diese brachten dann ihre unzüchtigen Götzen in den Park und machten in irgend einem Winkel, den sie nicht mehr verließen, aus einem flachen Steine ihren Hausaltar. Die ärmeren Kaufleute wußten das und zogen es vor sich an diejenigen zu wenden, welche so im Moose, bei ihrem Heiligthum unter freiem Himmel lagen; aber manchmal blieben auch diese aus und dann vereinigten die armen Mädchen, zwei zu zwei ihr Elend, in leidenschaftlichen Freundschaften, welche fast zur ehelichen Liebe wurden; es war ein Zusammenleben, wo man Alles theilte, bis zum letzten Lappen von Wollstoff, und wo abwechselnde Gefälligkeiten für die langen geschlechtlichen Entbehrungen trösteten.

Diejenigen, welche keine Freundin hatten, boten sich als freiwillige Sklavinen ihren begehrteren Gefährtinen an. Es war diesen verboten, mehr als zwölf dieser unglücklichen Mädchen in ihrem Dienste zu haben: zweiundzwanzig Hetären hat es gegeben, welche die höchste Zahl erreichten und sich aus allen Rassen eine bunte Dienerschaft ausgewählt hatten.

Wenn es der Zufall wollte, daß eine Hetäre von einem ihrer Geliebten schwanger wurde und einen Sohn zur Welt brachte, wurde dieser innerhalb der Mauern des Tempels in der Betrachtung der vollkommenen Formen und im Dienste der Göttin erzogen. Brachte sie eine Tochter zur Welt, so war diese für die Göttin geboren. An ihrem ersten Lebenstage wurde ihre symbolische Hochzeit mit dem Sohne des Dionysos gefeiert und der Hierophant entjungferte sie mit einem goldenen Messerchen, denn die Jungferschaft mißfällt der Aphrodite. Später trat sie in das Didaskalion ein, ein großes Schulgebäude, das hinter dem Tempel lag. Die kleinen Mädchen lernten dort in sieben Klassen die Theorie und die Methode aller erotischen Künste: den Blick, die Umarmung, die Bewegungen des Körpers, die Verwicklungen der Liebkosung, die Geheimnisse des Bisses, des Zungenspiels und des Kusses. Die Schülerin wählte frei den Tag ihres ersten Versuches, weil das Verlangen ein Gebot der Göttin ist, dem man sich nicht widersetzen soll. An diesem Tage gab man ihr ein Haus auf der Terrasse; und manche dieser Kinder, welche noch nicht einmal mannbar waren, zählten zu den unermüdlichsten und den meistbegehrten.

Das Innere des Didaskalion, die sieben Klassen, das kleine Theater und der Säulengang des Hofes waren mit zweiundneunzig Fresken geschmückt, welche die Unterweisung in der Liebe umfaßten. Sie waren das Werk eines ganzen Menschenlebens: Cleochares von Alexandrien, ein natürlicher Sohn und Schüler des Apelles, hatte sterbend die letzte Hand daran gelegt. – In neuester Zeit hatte die Königin Berenike, welche der berühmten Schule viel Interesse zeigte und ihre jüngeren Schwestern dorthin schickte, bei Demetrios eine Reihe von Marmorgruppen bestellt, um die Ausschmückung zu vervollständigen; aber nur eine einzige war bis jetzt in der Kinderklasse aufgestellt worden.

Am Ende eines jeden Jahres fand in Gegenwart aller vereinigten Hetären eine große Preisbewerbung statt, welche in dieser Frauenmenge einen außerordentlichen Wetteifer hervorrief; denn die zwölf ausgesetzten Preise berechtigten zum höchsten Ruhme, den sie erträumen konnten: zum Eintritt in das Cotytteion.

Dies Gebäude war mit so viel Geheimniß umgeben, daß es heute nicht mehr möglich ist eine genaue Beschreibung davon zu liefern. Wir wissen nur so viel, daß es sich in dem Tempelhofe befand und die Gestalt eines Dreieckes hatte, dessen Basis ein Tempel der Göttin Cotytto war, in deren Namen furchtbare und unbekannte Ausschweifungen vollbracht wurden. Die beiden anderen Seiten des Gebäudes bestanden aus achtzehn Häusern; sechsunddreißig Hetären wohnten da. Sie waren von den reichen Liebhabern so sehr gesucht, daß sie sich nicht für weniger als zwei Minen hingaben. Es waren die Bapten Alexandriens. Einmal im Monat, zur Vollmondszeit, vereinigten sie sich im geschlossenen Tempelshofe, durch aphrodisische Getränke betäubt und angethan mit dem vorgeschriebenen Phallosgürtel. Die älteste der sechsunddreißig mußte eine tödtliche Dosis des furchtbaren Liebestrankes nehmen. Die Gewißheit ihres raschen Todes trieb sie dazu, ohne Schrecken alle gefährlichen Sinnesgenüsse, vor welchen die Lebendigen zurückschrecken, zu wagen. Ihr schäumender Körper wurde der Mittelpunkt und das Vorbild der sie umkreisenden Orgie; unter Heulen und Schreien, Thränen und Tänzen umschlangen sie nackt die anderen Frauen, ihre Haare an ihrem Schweiße nässend, sich an ihre brennende Haut reibend und neue Begierden aus dem ununterbrochenen Kampfe dieses wüthenden Todesringens schöpfend. So lebten drei Jahre hindurch diese Frauen und am Schlusse des sechsunddreißigsten Monats war dies der Wonnerausch ihres Endes.

Andere, weniger verehrte Heiligthümer waren durch die Frauen zu Ehren der anderen Namen der vielförmigen Aphrodite errichtet worden. Es gab sogar einen Altar, welcher der Venus Urania geweiht war, wo die sentimentalen Hetären ihre Gelübde darbrachten; ein anderer der Apostrophia, welche die unglückliche Liebe vergessen ließ; ein anderer der Chryseïa, welche die reichen Liebhaber anzog; ein anderer der Genetyllis, welche die schwangeren Mädchen beschützte; ein anderer der Coliade, welche die groben Leidenschaften begünstigte, denn Alles was die Liebe berührte, war für die Göttin ein Gegenstand der Frömmigkeit. Aber die besonderen Altäre hatten Kraft und Wirksamkeit nur in Bezug auf kleinere Wünsche. Man bediente sie von der Hand in den Mund, ihre Gunst war alltäglich und man verkehrte traulich mit ihnen. Die Flehenden, welche erhört worden waren, legten einfache Blumen darauf nieder; diejenigen, welche nicht zufrieden waren, verunreinigten ihn mit ihren Exkrementen. Sie waren durch die Priester weder geheiligt, noch unterhalten, deßhalb war ihre Schändung nicht strafbar.

Ganz anders war die Zucht im Tempel.

Der Tempel, der große Tempel der großen Göttin, der heiligste Ort in ganz Aegypten, das unverletzliche Astarteïon, war ein ungeheueres Gebäude von dreihundertsechsunddreißig Fuß Länge, das auf siebzehn Stufen am höchsten Punkte der Gärten errichtet war. Seine goldenen Thore waren von zwölf hermaphroditischen Hierodulen bewacht, welche die beiden Gegenstände der Liebe und die zwölf Stunden der Nacht symbolisirten.

Der Eingang war nicht gegen Sonnenaufgang gewendet, sondern in die Richtung von Paphos, gegen Nordwesten; niemals drangen die Sonnenstrahlen unmittelbar in das Heiligthum der großen nächtlichen Unsterblichen. Sechsundachtzig Säulen stützten das Architrav; sie waren bis zur halben Höhe purpurn gefärbt und der ganze obere Theil hob sich in einem blendenden Weiß von dieser rothen Bekleidung ab, den Leibern aufrecht stehender Frauen gleichend.

Zwischen dem Giebel und dem Gesims entrollte gürtelförmig ein langes Thierbild seine thierisch-erotischen und fabelhaften Ausschmückungen. Man sah darauf von Hengsten besprungene Centaurinen, von mageren Satyren gedeckte Ziegen, von ungeheuren Stieren begattete Jungfrauen, von Hirschen belegte Naiaden, von Tigern geliebte Bacchantinen, von Greifen umarmte Löwinen. So stürzte die große Menge der Geschöpfe auf einander los, von einer unwiderstehlichen göttlichen Gier getrieben. Das Männchen streckte sich vor, das Weibchen öffnete sich, und in der Mischung der schöpferischen Quellen erwachte der erste Schauder des Lebens. Die Menge der unbekannten Paare rückte manchmal vor einer unsterblichen Scene zurück: Europa vorgebeugt das schöne olympische Thier ertragend; Leda den kräftigen Schwan zwischen ihren gebogenen Schenkeln lenkend. Weiter erschöpfte die unersättliche Sirene den ersterbenden Glaucos; der Gott Pan begattete stehend eine Hamadryade mit fliegenden Haaren; die Sphinx erhob ihren Hinterkörper zur Höhe des Rosses Pegasus, und, am äußersten Ende des Frieses hatte der Bildhauer sich selbst vor der Göttin Aphrodite nachgebildet, nach ihr in weiches Wachs die Falten eines vollkommenen Kteïs modellirend, als ob sein ganzes Ideal von Schönheit, Freude und Tugend seit Langem in dieser kostbaren und gebrechlichen Blume Zuflucht gesucht hätte.

II.

Melitta.

»Reinige Dich, Fremdling.«

– Ich werde rein eintreten, sagte Demetrios.

Die junge Thürhüterin tauchte das Ende ihres Haares in das Wasser, benetzte ihm zuerst die Augenlider, dann die Lippen und die Finger, damit sein Blick geheiliget sei, so wie der Kuß seines Mundes und die Liebkosungen seiner Hände.

Und er schritt im Haine der Aphrodite weiter.

Durch die schwarz gewordenen Zweige bemerkte er die untergehende dunkel-purpurne Sonne, welche die Augen nicht mehr blendete. Es war am Abend des Tages, wo die Begegnung Chrysis sein Leben aus seiner Richtung gebracht hatte.

Die weibliche Seele ist von einer Einfachheit, an welche die Männer nicht glauben können. Wo nur eine gerade Linie ist, suchen sie hartnäckig ein verwickeltes Gewebe: sie finden die Leere, und verlieren sich darin. So schien Chrysis‘ Seele, klar wie diejenige eines kleinen Kindes, Demetrios geheimnißvoller als ein metaphysisches Problem. Als er dieses Weib auf dem Strande verlassen hatte, ging er, wie in einem Traume nach Hause, unfähig alle die Fragen, die auf ihn einstürmten, zu beantworten. Was wollte sie mit diesen drei Geschenken anfangen? Es war ihr unmöglich einen berühmten gestohlenen Spiegel, den Kamm einer ermordeten Frau, das Perlenhalsband der Göttin zu tragen, noch auch sie zu verkaufen. Wenn sie diese Gegenstände bei sich zu Hause behielte, würde sie sich jeden Tag einer verhängnißvollen Entdeckung aussetzen. Warum verlangte sie dann darnach? um sie zu zerstören? Er wußte zu gut, daß die Frauen an geheimnen Dingen keine Freude haben und daß glückliche Ereignisse erst am Tage wo sie bekannt werden, anfangen sie zu erfreuen. Und dann, wie hatte sie errathen und durch welche tiefe Scharfsichtigkeit beurtheilen können, daß er im Stande wäre für sie drei so außerordentliche Thaten zu vollbringen?

Gewiß, wenn er es gewollt hatte, wäre Chrysis, aus ihrem Hause entführt, seiner Laune preisgegeben, seine Geliebte, seine Gattin, oder seine Sklavin geworden, ganz nach seiner Wahl. Er hätte sogar die Freiheit gehabt sie einfach aus dem Wege zu schaffen. Frühere Revolutionen hatten die Bürger an den Anblick der gewaltsamen Tödtungen gewöhnt und Niemand hätte sich um eine verschwundene Hetäre gekümmert. Chrysis mußte es wissen, und doch hatte sie gewagt …

Je mehr er an sie dachte, desto mehr war er ihr dankbar, in die Besprechung der Vorschläge so hübsche Mannigfaltigkeit gebracht zu haben. Wie viele Weiber, die ihr gleichkamen, hatten sich ungeschickt dargeboten! Was verlangte diese! Weder Liebe, noch Geld, noch Kleinodien, aber drei unwahrscheinliche Verbrechen. Sie interessirte ihn lebhaft. Er hatte ihr alle Schätze Aegyptens angeboten; jetzt fühlte er wohl, daß, wenn sie dieselben angenommen hätte, sie keine zwei Obolen erhalten hätte und daß er ihrer überdrüssig geworden, wäre, noch bevor er sie gekannt hätte. Drei Verbrechen waren sicherlich eine ungewohnte Entlohnung; aber sie war werth eine solche zu empfangen, da sie das Weib war sie zu fordern; und er war entschlossen das Abenteuer fortzusetzen.

Um sich keine Zeit zu lassen, von seinen festen Entschlüssen abzukommen, ging er noch an demselben Tage zu Bacchis, fand das Haus leer, nahm den Silberspiegel und wandte seine Schritte nach dem Garten.

Sollte er sich sogleich in das Haus des zweiten Opfers begeben? Er dachte anders. Die Priesterin Touni, welche im Besitze des berühmten Elfenbeinkammes war, war so reizend und so schwach, daß er Angst hatte sich erweichen zu lassen, wenn er sich so, ohne jede Vorsicht zu ihr begab. Er kehrte um und ging die große Terrasse entlang.

Wie Blumen in den Schaufenstern, so saßen die Hetären in ihren »ausgesetzten Zimmern« zur Schau. Haltung und Kleidung waren bei ihnen nicht weniger verschieden als Alter, Typus und Rasse. Die Schönsten ließen, nach der Tradition der Phryne, nur das Oval ihrer Gesichter unbedeckt und saßen, von den Haaren bis zu den Zehen, in ein langes Kleid aus seiner Wolle eingehüllt da. Andere hatten die Mode der durchsichtigen Kleider angenommen, unter welchen man undeutlich ihre Schönheiten erblickte, wie man unter einem klaren Wasser die grünen Moose als schattige Flecke auf dem Grunde unterscheidet. Diejenigen, welche als einzigen Reiz nur ihre Jugend besaßen, blieben bis zum Gürtel nackt und streckten ihren Körper vor, damit man die Festigkeit ihrer Brüste beurtheilen könne. Die Reiferen, im Bewußtsein, daß des Weibes Gesichtszüge schneller altern als die Haut des Körpers, saßen nackt da, ihre Brüste mit den Händen stützend, und sie spreizten ihre schwerfällig gewordenen Schenkel aus, als ob sie beweisen wollten, daß sie noch Weiber wären.

Demetrios ging sehr langsam an ihnen vorüber und ward nicht müde zu bewundern.

Niemals hatte er die Nacktheit eines Weibes ohne heftige Gemüthsbewegung sehen können. Er begriff weder den Ekel vor der verschwundenen Jugend, nach die Unempfindlichkeit vor den all zu jungen Mädchen. An diesem Abend hätte ihn jede Frau reizen können. Wenn sie nur schweigsam blieb und nicht mehr Feuer bezeugte als das Minimum, das die Höflichkeit des Bettes verlangte, erließ er ihr schön zu sein. Im Gegentheil: bei ihnen war ihm ein plumper Körper lieber; denn je mehr sein Gedanke bei vollkommenen Formen verweilte, desto mehr entfernte sich sein Verlangen von ihnen. Die Unruhe, welche der Eindruck der lebenden Schönheit ihm verursachte, war von einer so ausschließlich geistigen Sinnlichkeit, daß sie die geschlechtliche Erregung vernichtete. Er erinnerte sich voll Angst eine ganze Stunde lang bei dem herrlichsten Weibe, das er jemals in seinen Armen gehalten, unvermögend wie ein Greis geblieben zu sein. Und seit jener Nacht hatte er gelernt weniger wählerisch zu sein.

»Freund, sagte eine Stimme, erkennst Du mich nicht wieder?«

Er wandte sich um, verneinte mit einem Winke und ging seines Weges, denn er entkleidete niemals dasselbe Mädchen zweimal. Es war der einzige Grundsatz, dem er, während seiner Besuche in den Gärten, folgte. Ein Weib, das man noch nicht besessen, hat etwas Jungfräuliches; aber welchen guten Erfolg, welche Ueberraschung konnte man von einer zweiten Begegnung erwarten? Das hieße schon fast heirathen. Demetrios setzte sich nie den Enttäuschungen der zweiten Nacht aus. Die Königin Berenike genügte seinen seltenen ehelichen Anwandlungen und, außer ihr, trug er Sorge jeden Abend die Theilnehmerinen seines unvermeidlichen Ehebruchs zu erneuern.

»Klonarion!«

– Gnathene!

– Plango!

– Mnaïs!

– Krôbyle!

– Joessa!

Während er vorbeiging, riefen sie ihre Namen, und einige setzten die Versicherung ihres feurigen Temperamentes oder das Angebot eines abnormen Verfahrens hinzu. Demetrios folgte dem Wege; er schickte sich eben an, nach seiner Gewohnheit aufs Gerathewohl im Haufen zu wählen, als ein blau gekleidetes Mädchen, den Kopf auf die Schulter neigend, ihm leise, ohne sich zu erheben, sagte:

»Wäre es nicht möglich?«

Diese unerwartete Wendung entriß ihm ein Lächeln. Er blieb stehen.

»Oeffne mir die Thür, sagte er. Ich wähle Dich.«

Die Kleine sprang mit einer freudigen Bewegung auf ihre Füße und klopfte zweimal mit dem Phallos-Hammer. Eine alte Sklavin öffnete.

»Gorgo, sagte die Kleine, ich habe Jemanden; schnell Kretenser-Wein, Kuchen, und richte das Bett her.«

Dann wandte sie sich an Demetrios.

»Brauchst Du kein Satyrion?«

– Nein, sagte der junge Mann lachend. Hast Du denn welches?

– Ich muß wohl, antwortete das Kind, man begehrt es öfter als Du glaubst. Komm hier herüber; gieb auf die Stufen Acht, eine derselben ist abgenützt. Tritt in mein Gemach, ich komme sogleich zurück.

Das Gemach war ganz einfach, wie dasjenige der neuen Hetären. Ein großes Bett, ein zweites Ruhelager, einige Teppiche und einige Sitze bildeten die spärliche Einrichtung; aber durch eine weite Fensteröffnung sah man die Gärten, das Meer, die doppelte Rhede Alexandriens. Demetrios blieb stehen und betrachtete die ferne Stadt.

Oh, Sonnenuntergang hinter den Häfen! unvergleichlicher Ruhm der Seestädte, Ruhe des Himmels, Purpurfarbe der Gewässer: auf welche Seele – mag Schmerz oder Freude sie schwellen – würdet ihr nicht Ruhe ausgießen! Welche Schritte haben nicht vor euch stille gestanden, welche Wollust wurde nicht unterbrochen, welche Stimme nicht stumm gemacht … Demetrios blickte hinaus: eine strömende Flammenwelle schien aus der halb in die See getauchten Sonne zu kommen und unmittelbar bis an den abgerundeten Rand des Haines der Aphrodite zu fließen. Von einem Horizonte zum anderen war das Mittelmeer von einer herrlichen Stufenleiter der Purpurfarbe überzogen. Es waren Farbenzonen ohne Übergang, von einem goldigen Roth bis zu einem kalten Violett. Zwischen diesem beweglichen Glanze und dem torfhaltigen See von Mareotis war die weiße Masse der Stadt ganz von violett-rothen Farbenreflexen übergossen. Die zwanzigtausend flachen, nach allen Richtungen orientirten Häuser sprenkelten sie wunderbar mit zwanzigtausend Farbenflecken, welche je nach den Phasen des Sonnenuntergangs beständig wechselten. Einige Augenblicke stand der Himmel in Flammen, dann verschwand die Sonne fast plötzlich und die erste Fluth der Nacht wehte über die ganze Erde einen Schauder, in einem leichten, einförmigen und durchsichtigem Luftzuge.

»Hier sind Feigen, Kuchen, Honigwaben, Wein und ein Weib. Man muß die Feigen genießen, so lange es Tag ist und das Weib, wenn man nicht mehr hell sieht.«

Es war die Kleine, welche lachend eintrat. Sie hieß den jungen Mann Platz nehmen, setzte sich rittlings auf seine Kniee und mit den beiden Händen nach ihrem Kopfe greifend, befestigte sie in ihrem kastanienbraunen Haare eine Rose, die nicht halten wollte.

Demetrios konnte einen Ausruf der Überraschung nicht unterdrücken: sie war vollständig nackt; des bauschigen Kleides entledigt, zeigte sich ihr kleiner Körper so jung, mit einer so kindlichen Brust und so schmalen Hüften, so sichtlich unreif, daß Demetrios von Mitleiden ergriffen wurde, wie ein Reiter, der im Begriffe steht, sein ganzes Mannesgewicht einem allzuschwachen Füllen aufzubürden.

»Aber Du bist noch kein Weib!« rief er.

– Ich bin noch kein Weib! Bei den beiden Göttinen, was bin ich dann? ein Thrazier, ein Packträger oder ein alter Philosoph?

– Wie alt bist Du?

– Zehn ein halb. Elf Jahre. Man kann elf Jahre sagen. Ich bin im Garten geboren worden. Meine Mutter ist aus Milet. Es ist Pythias, welche man »die Ziege« nennt. Willst Du, daß ich sie holen lasse, wenn Du mich zu jung findest? Sie hat eine zarte Haut, meine Mutter, sie ist schön.

– Warst Du im Didaskalion?

– Ich bin noch darin, in der sechsten Klasse. Nächstes Jahr werde ich fertig. Es wird nicht zu früh sein.

– Langweilst Du Dich dort?

– Ach! Wenn Du wüßtest, wie die Lehrerinen streng sind: Sie lassen fünfundzwanzig Mal die selbe Lektion von Neuem beginnen! ganz unnöthige Sachen, welche die Männer nie verlangen. Und dann ermüdet man sich auch umsonst; das liebe ich nicht. Da, nimm eine Feige. Nicht diese, sie ist nicht reif. Ich werde Dich eine neue Art sie zu essen lehren. Schau mir zu.

– Ich kenne sie. Das dauert länger und ist nicht besser. Ich sehe, daß Du eine gute Schülerin bist.

– Oh! was ich weiß, habe ich, allein gelernt. Die Lehrerinen möchten glauben machen, daß sie mehr wissen als wir. Es ist möglich, daß sie mehr Fertigkeit haben, aber sie haben nichts erfunden.

– Hast Du viele Liebhaber gehabt?

– Sie sind alle zu alt; das ist unvermeidlich. Die jungen Leute sind so dumm. Sie lieben nur die Frauen, die vierzig Jahre alt sind. Ich sehe manchmal solche vorbeigehen, die so schön sind wie Eros, und wenn Du nur sehen könntest, was sie wählen! wahre Nilpferde. Es ist zum Erbleichen. Ich hoffe wohl nicht so lange zu leben, bis ich das Alter dieser Frauen erreicht habe. Ich würde mich zu sehr schämen mich zu entkleiden. Ich bin so froh, so froh, noch ganz jung zu sein! Die Brüste wachsen immer früh genug. Es scheint mir, daß ich im ersten Monat, wo ich mein Blut fließen sehe, mich schon fast dem Tode nahe glauben werde. Laß mich Dir einen Kuß geben. Ich habe Dich sehr lieb.

Hier nahm das Gespräch eine Wendung, welche weniger ernst, wenn auch nicht stiller war und Demetrios bemerkte bald, daß seine Bedenken bei einem schon so gut unterrichteten Geschöpfchen nicht am Platze waren. Sie schien sich klar zu sein, daß sie für die Begierden eines jungen Mannes nur eine sehr magere Kost sei und sie brachte den Geliebten durch eine wunderbare Behendigkeit in den Berührungen, die er weder voraussehen, noch gestatten, noch lenken konnte, in Verwirrung, ohne ihm die Ruhe einer liebenden Umarmung zu gönnen. Der kleine, flinke und feste Körper vervielfältigte sich um ihn herum, sich abwechselnd gebend und verweigernd, gleitend, drehend und kämpfend. Endlich ergriffen sie sich. Aber diese halbe Stunde war nur ein langes Spiel.

Sie sprang zuerst von dem Lager, tauchte ihren Finger in eine Honigschale und bestrich sich damit die Lippen. Dann beugte sie sich, alle Anstrengung machend um nicht zu lachen, zu Demetrios hernieder und rieb ihren Mund an den seinen. Ihre runden Locken tanzten zu beiden Seiten ihrer Wangen. Der Jüngling lächelte und stützte sich auf seinen Arm.

»Wie heißest Du?« sagte er.

– Melitta. Hast Du meinen Namen nicht auf der Thür gesehen?

– Ich achtete nicht darauf.

– Du konntest ihn in meinem Gemache sehen. Sie haben ihn alle auf meine Wände geschrieben. Ich werde bald gezwungen sein sie neu tünchen zu lassen.

Demetrios hob den Kopf in die Höhe: die vier Seiten des Raumes waren mit Inschriften bedeckt. »Schau, schau, das ist seltsam, sagte er, darf man lesen?«

– Oh! wenn Du willst. Ich habe kein Geheimniß.

Er begann zu lesen. Melitta’s Name stand da, mehrere Male wiederholt, neben Männernamen und barbarischen Zeichnungen. Zärtliche, unzüchtige oder komische Sätze durchkreuzten sich auf seltsame Weise. Liebhaber rühmten sich ihrer Stärke oder zählten einzeln die Reize der kleinen Hetäre auf, oder machten sich über ihre guten Freundinen lustig. Dies alles war nur als geschriebenes Zeugniß einer allgemeinen Verworfenheit interessant. Doch am Ende der rechten Wand angelangt fuhr Demetrios in die Höhe.

»Wer ist das? Was ist das? Sage es mir!«

– Aber wer? was? wo? sagte das Kind. Was hast Du?

– Hier. Dieser Name. Wer hat das geschrieben? Und sein Finger hielt unter dieser doppelten Zeile inne:

ΜΕΛΙΤΤΑ Λ. ΧΡΥΣΙΛΑ
ΧΡΥΣΙΣ .Λ. ΜΕΛΙΤΤΗΝ

»Ach! antwortete das Mädchen, das bin ich. Das habe ich geschrieben.«

– Aber wer ist diese Chrysis?

– Es ist meine liebe Freundin.

– Ich vermuthe es wohl. Das frage ich Dich nicht. Welche Chrysis? Es giebt deren viele.

– Die meinige, es ist die schönste. Chrysis aus Galilaea.

– Du kennst sie Du kennst sie! Aber erzähle mir doch! Woher kommt sie? wo wohnt sie? wer ist ihr Geliebter? sage mir Alles!

Er setzte sich auf das Ruhelager und nahm die Kleine auf seine Kniee.

»Bist Du denn verliebt?« sagte sie.

– Was liegt daran? Erzähle mir was Du weißt, ich muß Alles erfahren.

– Oh! ich weiß gar nichts. Es ist sehr wenig. Sie ist zwei Mal zu mir gekommen und Du denkst wohl, daß ich sie nicht nach ihrer Familie gefragt habe. Ich war zu glücklich sie zu besitzen und ich habe keine Zeit mit Reden verloren.

– Wie ist sie gebaut?

– Sie ist wie alle schönen Mädchen gebaut, was soll ich Dir mehr sagen? Soll ich Dir jeden ihrer Körpertheile nennen und hinzufügen, daß alles schön sei? Und dann: sie ist ein Weib, ein rechtes Weib … Wenn ich an sie denke, habe ich gleich nach Jemandem Verlangen.

Und sie faßte Demetrios am Halse.

»Du weißt nichts, begann er von Neuem, nichts, nichts über sie?«

– Ich weiß … ich weiß, daß sie aus Galilaea kommt, daß sie fast zwanzig Jahre alt ist, und daß sie im Judenviertel, im Osten der Stadt, bei den Gärten wohnt. Aber das ist Alles.

– Und was ihr Leben, ihre Neigungen betrifft? kannst Du mir nichts sagen? Sie liebt die Weiber, sonst käme sie nicht zu Dir. Aber ist sie denn ganz Lesbierin?

– Gewiß nicht. In der ersten Nacht, die sie hier zubrachte, hatte sie einen Geliebten mit und ich schwöre Dir, daß sie sich nicht verstellte. Wenn ein Weib aufrichtig ist, sehe ich es an seinen Augen. Das hat sie nicht verhindert, ein anderes Mal allein zu kommen … und sie hat mir eine dritte Nacht versprochen.

– Hat sie Deines Wissens keine andere Freundin in den Gärten? Niemanden?

– Doch, ein Weib aus ihrer Heimath, Chimairis, eine Arme.

– Wo wohnt sie? Ich muß sie sehen!

– Sie liegt seit einem Jahre im Gehölz. Sie hat ihr Haus verkauft, aber ich weiß wo ihr Nest ist. Ich kann Dich dort hinführen, wenn Du es wünschest. Gib mir meine Sandalen, willst Du?

Demetrios knüpfte mit schneller Hand die Lederriemen, welche die zarten Knöchel Melittas umgaben. Dann reichte er ihr ihr kurzes Kleid, das sie einfach unter den Arm nahm und sie gingen schnell hinaus.

Sie machten einen langen Weg. Der Park war unendlich groß. Dann und wann sagte ein Mädchen, das unter einem Baume lag, seinen Namen, wobei es das Kleid öffnete; dann legte sie sich wieder nieder, die Hände vor den Augen. Melitta kannte einige der Mädchen; sie küßten sie, ohne sie aufzuhalten. Als sie vor einem verwitterten Altar vorbeikamen, pflückte sie drei große Blumen im Grase und legte sie auf den Stein.

Die Nacht war noch nicht ganz dunkel. Das intensive Licht der Sommertage hat etwas Dauerhaftes, das gleichsam in der langsamen Abenddämmerung verharrt. Die schwachen und feuchten Sterne, kaum heller als der Grund des Himmels, blinzelten in sanften Zuckungen, und die Schatten der Zweige blieben undeutlich.

»Schau,« sagte Melitta, »da kommt meine Mutter!«

Eine mit dreifachem, blau gestreiftem Musselinestoffe bekleidete Frau kam allein, langsamen Schrittes auf sie zu. Als sie das Kind bemerkte, lief sie ihm entgegen, hob es von der Erde, nahm es in seine Arme und küßte es lebhaft auf die Wangen.

»Mein Mädchen! mein kleiner Schatz, wo gehst Du hin?«

– Ich führe Jemanden, der Chimairis sehen will. Und Du? Gehst Du spazieren?

– Corinna ist Mutter geworden. Ich bin zu ihr gegangen; ich habe an ihrem Bette zu Mittag gegessen.

– Und was hat sie zur Welt gebracht? einen Knaben?

– Zwei Mädchen, mein Liebchen, sie sind rosig wie Wachspuppen. Du kannst diese Nacht hingehen. Sie wird sie Dir zeigen.

– Oh! wie hübsch das ist! Zwei kleine Hetären. Wie hat man sie genannt?

– Alle beide Pannychis, weil sie am Tage vor den aphrodisischen Festen geboren wurden. Es ist ein gutes Vorzeichen. Sie werden einmal hübsch sein.

Sie stellte das Kind wieder auf die Erde und fragte, zu Demetrios gewendet:

»Wie findest Du meine Tochter? Hab‘ ich das Recht auf sie stolz zu sein?«

– Ihr könnt mit einander zufrieden sein, sagte er ruhig.

– Küsse die Mutter, sagte Melitta. Stillschweigend küßte er sie zwischen die Brüste.

Pythias erwiderte den Kuß auf den Mund und sie trennten sich.

Demetrios und das Kind machten noch einige Schritte unter den Bäumen, während die Hetäre zurückblickend sich entfernte. Endlich kamen sie an und Melitta sagte:

»Hier ist es.«

Chimairis saß auf der linken Ferse zusammengekauert, in einem kleinen, mit Rasen bedeckten Raume zwischen einem Baum und einem Busch. Unter ihr hatte sie einen rothen Lappen ausgebreitet. Es war während des Tages ihr letztes Kleidungsstück und nackt lag sie darauf zur Stunde, wo die Männer vorbeigehen. Demetrios betrachtete sie mit wachsendem Interesse. Sie hatte jenes fieberhafte Aussehen mancher abgemagerten braunen Frauen, deren fahler Körper von einer unaufhörlichen Gluth verzehrt zu sein scheint. Ihre muskulösen Lippen, ihr ausdrucksvoller Blick, ihre bleichen, breiten Augenlider bildeten einen doppelten Ausdruck von sinnlichem Begehren und Erschöpfung. Die Biegung ihres hohlen Bauches und ihrer nervigen Schenkel höhlten sich von selbst wie zum Empfangen; und da Chimairis alles verkauft hatte, selbst ihre Kämme und ihre Nadeln, und sogar ihre Enthaarungszangen, hatte sich ihr Haar zu einem Wirrsal vermengt, wahrend ihre schwarzen Schamhaare ihrer Nacktheit etwas Wildes, Unzüchtiges und Zottiges gaben.

Neben ihr stand ein großer Bock auf seinen steifen Beinen, mittelst einer goldenen Kette, die früher in vier Reihen auf der Brust seiner Herrin geglänzt hatte, an einen Baum gebunden.

»Chimairis, sagte Melitta, stehe auf. Da ist Jemand, der mit Dir sprechen will.«

Die Jüdin schaute auf, rührte sich aber nicht.

Demetrios trat vor.

»Du kennst Chrysis?« sagte er.

– Ja.

– Du siehst sie oft?

– Ja.

– Kannst Du mir von ihr erzählen?

– Nein.

– Wieso, nein? Warum kannst Du nicht?

– Nein.

Melitta war ganz erstaunt.

»Sprich mit ihm, sagte sie. Habe Zutrauen. Er liebt sie: er will nur ihr Wohl.

– Ich sehe deutlich, daß er sie liebt, antwortete Chimairis. Wenn er sie liebt, will er ihr Böses anthun. Wenn er sie liebt, werde ich nicht sprechen.

Demetrios bebte vor Wuth, doch er schwieg.

»Gieb mir Deine Hand, sagte die Jüdin zu ihm. Da werde ich sehen, ob ich mich getäuscht habe.«

Sie nahm die linke Hand des jungen Mannes und drehte sie dem Mondscheine zu. Melitta bückte sich um zu sehen, obwohl sie in den geheimnißvollen Linien nicht lesen konnte; aber das Verhängnißvolle derselben zog sie an.

– Was siehst Du? fragte Demetrios.

– Ich sehe … kann ich sagen was ich sehe? wirst Du mir dafür danken? Wirst Du mir auch nur glauben? Ich sehe zuerst alles Glück; aber es ist in der Vergangenheit. Ich sehe auch alle Liebe, aber sie verliert sich im Blute …

– Das meinige?

– Das Blut eines Weibes. Und dann das Blut eines anderen Weibes. Und dann das Deine etwas später.

Demetrios zuckte mit den Achseln. Als er sich umdrehte, sah er Melitta in der Allee auf und davon laufen.

»Sie hat Angst bekommen,« sagte Chimairis. »Es handelt sich doch weder um sie, noch um mich. Laß die Dinge gehen, da man doch nichts dagegen thun kann. Lange vor Deiner Geburt war Dein Schicksal bestimmt. Gehe! Ich werde nicht mehr sprechen.«

Und sie ließ die Hand sinken.

II.

Der Staub kehrt zur Erde zurück.

»Demetrios!« rief sie aus.

Und sie stürzte ihm entgegen.

Doch, nachdem er sorgfältig den Holzverschluß wieder geschlossen, hatte sich der junge Mann nicht gerührt, und sein Blick bewahrte eine so tiefe Ruhe, daß Chrysis plötzlich daran erstarrte.

Sie hoffte eine Aufwallung der Zärtlichkeit, eine Bewegung der Arme, der Lippen, Etwas, ein Hinstrecken der Hand …

Demetrios regte sich nicht.

Er wartete einen Augenblick stillschweigend, mit einer vollkommenen Korrektheit, als ob er klar hätte feststellen wollen, daß er zur Verfügung stehe.

Aber als er sah, daß man nichts von ihm verlangte, that er vier Schritte bis zum Fenster und lehnte sich in die Oeffnung, den Tagesanbruch betrachtend.

Chrysis saß auf einem sehr niederen Lager, mit starren Augen, fast stumpfsinnig.

Dann redete Demetrios zu sich selbst.

»Es ist besser so,« sagte er sich. »Solche Spiele, im Augenblick des Todes wären eigentlich recht trübselig. Ich bewundere nur, daß sie nicht von Anfang die Vorahnung davon gehabt und daß sie mich mit solcher Begeisterung empfangen hat. Was mich betrifft, so ist es ein abgeschlossenes Abenteuer. Es thut mir ein wenig leid, daß es so endet, denn im Grunde genommen hat Chrysis kein anderes Unrecht begangen, als frei heraus ein Verlangen auszudrücken, das wohl dasjenige der meisten Frauen ist, und wenn man nicht der Entrüstung des Volkes ein Opfer bringen müßte, würde ich mich begnügen dieses allzu hitzige Mädchen verbannen zu lassen, um mich seiner zu entledigen und ihm die Freude am Leben zu gönnen. Aber es hat einen Skandal gegeben und Niemand kann mehr abhelfen. Das sind die Wirkungen der Leidenschaft. Die gedankenlose Wollust, oder das Gegentheil, der Gedanke ohne Genuß haben niemals schlimme Folgen. Man muß viele Geliebten haben, aber mit der Götter Hilfe sich hüten zu vergessen, daß ein Mund dem anderen gleicht.«

Nachdem er so in einem kühnen Aphorisma eine seiner moralischen Theorien kurz zusammengefaßt hatte, nahm er mit Leichtigkeit den Faden seiner Gedanken wieder auf.

Er erinnerte sich dunkel eine Einladung zum Mittagsmahle, die er für den vorigen Tag angenommen und im Wirbel der Ereignisse vergessen hatte, und er nahm sich vor, sich zu entschuldigen.

Er dachte über die Frage nach, ob er seinen Schneider-Sklaven verkaufen sollte, einen alten Mann, der dem unter der früheren Regierung modernen Schnitt treu blieb und nur unvollkommen die falschen Falten der neuen Tuniken zuwege brachte.

Sein Geist war so frei, daß er mit der Spitze seines Schraffirmeißels rasch einen Entwurf für seine Gruppe Zagreus und die Titanen an die Wand zeichnete, eine Variante, welche die Bewegung des rechten Armes bei der Hauptfigur umstellte.

Kaum war sie vollendet, als leicht an die Thür geklopft wurde.

Demetrios öffnete, ohne sich zu beeilen. Der alte Nachrichter trat ein, von zwei behelmten Soldaten gefolgt.

»Ich bringe den kleinen Becher,« sagte er mit einem unterwürfigen Lächeln, das dem königlichen Geliebten galt.

Demetrios beharrte in seinem Schweigen.

Chrysis hob verwirrt den Kopf in die Höhe.

»Nun, meine Tochter,« begann der Gefängnißwärter von Neuem, »der Augenblick ist gekommen. Der Schierling ist zerrieben. Du brauchst ihn nur nach zu trinken. Habe keine Angst. Man leidet nicht dabei.«

Chrysis blickte Demetrios an, der die Augen nicht von ihr wandte.

Ohne ihre großen, schwarzen, von grünem Lichte umgebenen Augen von ihm zu wenden, streckte sie die rechte Hand aus, nahm den Becher und führte ihn langsam zum Munde.

Sie benetzte die Lippen mit dem Tranke. Die Bitterkeit des Giftes und die Schmerzen der Vergiftung waren durch ein mit Honig gemengtes narkotisches Mittel gemildert worden.

Sie trank die Hälfte des Bechers aus, dann, sei es, daß sie diese Bewegung auf dem Theater im Thyestis des Agathon gesehen, sei es, daß sie wirklich von einer unmittelbaren Gemüthsbewegung herrührte, reichte sie den Rest dem Demetrios … Aber der junge Mann wies mit der Hand diesen unbescheidenen Vorschlag zurück.

Daraufhin trank die Galilaeerin auch den Rest, bis auf den grünen Bodensatz. Und ein herzzerreißendes Lächeln, worin auch ein wenig Verachtung lag, kam über ihre Wangen.

»Was soll ich thun?« fragte sie den Gefängnißwächter.

– Gehe im Zimmer spazieren, meine Tochter, bis Dir die Beine schwer werden. Dann legst Du Dich auf den Rücken und das Gift wird allein wirken.

Chrysits ging bis zum Fenster, stützte ihren Arm an die Wand, ihre Schläfe auf die Hand und warf der violetten Morgenröthe den letzten Blick der verlorenen Jugend zu.

Der östliche Himmel war in ein Farbenmeer getaucht. Ein langer Streifen, fahl wie ein Wasserblatt, umgab den Horizont mit einem olivenfarbigen Gürtel. Darüber entstanden mehrere Töne, der eine aus dem andern; es war ein flüssiges Himmelszelt, das graugrün, iris- und lila-farben war und unmerklich in das bleierne Azur des Vollhimmels überging. Dann hoben sich langsam diese Farbenschichten, eine Goldlinie erschien, stieg in die Höhe und erweiterte sich; ein dünner Purpurfaden beleuchtete diese trübe Dämmerung und in einer blutigen Fluth wurde die Sonne geboren.

»Es steht geschrieben:

Das Licht ist süße …«

So blieb sie stehen, solange ihre Beine sie stützen konnten. Die Soldaten mußten sie auf das Lager tragen, als sie durch einen Wink zu verstehen gab, daß sie zu schwanken beginne.

Dort ordnete der Greis die weißen Falten ihres Kleides, ihre langgestreckten Glieder entlang. Dann berührte er ihre Beine und fragte sie:

»Hast Du gefühlt?«

Sie antwortete:

»Nein.«

Er berührte ihr noch die Kniee und fragte sie:

»Hast Du gefühlt?«

Sie gab ein verneinendes Zeichen, und plötzlich, mit einer Bewegung des Mundes und der Schultern (denn selbst ihre Hände waren schon leblos), von einer letzten höchsten Gluth ergriffen und vielleicht von dem Bedauern um diese unfruchtbare Stunde, richtete sie sich auf, Demetrios entgegen … Aber bevor es ihm möglich war zu antworten, fiel sie leblos zurück, die beiden Augen für immer erloschen.

Nun bedeckte der Nachrichter mit der oberen Falte des Kleides ihr Gesicht; und einer der Soldaten, in der Vermuthung, daß eine zartere Vergangenheit eines Tages diesen jungen Mann und diese junge Frau vereint habe, schnitt mit der Spitze seines Schwertes eine Locke des Haares ab, welches bis zu den Fliesen reichte.

Demetrios berührte das mit seiner Hand und in Wirklichkeit war es die ganze Chrysis, das überlebende Gold ihrer Schönheit, sogar der Vorwand ihres Namens …

Er nahm die lauwarme Locke zwischen den Daumen und die Finger, zerstreute sie langsam, nach und nach, und unter seiner Fußsohle vermengte er sie mit dem Staube.

III.

Chrysis unsterblich.

Als Demetrios sich in seinem rothen, mit Marmorstücken, Entwürfen, Staffeleien und Gerüsten angefüllten Atelier allein befand, wollte er sich wieder an die Arbeit machen.

Den Meißel in der linken Hand und den Hammer in der rechten Faust, nahm er, ohne Eifer, eine unterbrochene Skizze wieder auf. Es war der Hals eines ungeheuern Rosses, das für den Tempel des Poseidon bestimmt war. Unter der kurz geschnittenen Mähne krümmte sich die Haut des Halses, in Folge einer Bewegung des Kopfes gefältelt, geometrisch genau wie eine wellige Seemuschel.

Drei Tage früher vermochten die Einzelheiten dieser regelmäßigen Muskelbildungen in Demetrios Geist alles Interesse des täglichen Lebens zusammenzufassen; aber am Morgen von Chrysis‘ Tod schien das Aussehen der Dinge verändert. Weniger ruhig als er es sein wollte, gelang es Demetrias nicht seine anderwärts beschäftigten Gedanken festzuhalten. Eine Art Schleier, den er nicht heben konnte, lag zwischen ihm und dem Marmor. Er warf seinen Hammer weg und begann die staubigen Postamente entlang zu gehen.

Plötzlich durchschritt er den Hof, rief eine Sklavin und sagte ihr:

»Bereite das Bad und die Wohlgerüche vor. Nach dem Bade wirst Du mich salben, dann wirst Du mir meine weißen Kleider geben und die runden Räucherpfannen anzünden.«

Als er seine Toilette vollendet hatte, ließ er zwei andere Sklaven kommen:

»Geht nach dem Gefängniß der Königin,« sagte er; »übergebet dem Wächter diesen Thonklumpen, er soll ihn in das Zimmer tragen, wo die Hetäre Chrysis gestorben ist. Wenn der Leichnam nicht schon in die Senkgrube geworfen worden, saget ihm, man soll nichts thun, bevor ich Befehle ertheilt habe. Laufet voraus. Geht.«

Er steckte einen Schraffirmeißel in die Falte seines Gürtels und öffnete die Hauptthür, die auf die menschenleere Strandallee ging.

Plötzlich hielt er auf der Schwelle inne, von dem unermeßlichen Lichte des afrikanischen Mittags festgebannt.

Die Straße sollte weiß erscheinen und die Häuser ebenfalls weiß, aber die Flamme der senkrecht stehenden Sonne bestrich die leuchtenden Oberflächen mit grellen Reflexen, daß die Kalkwände und die Steinplatten gleichzeitig wunderbare schattenblaue, rothe und grüne, grell okergelbe und hyacinthfarbene Gluthen zurückstrahlten. Große, zitternde Farben schienen sich in der Luft fortzubewegen, und nur mit ihrer Durchsichtigkeit die lodernden Façaden zu bedecken. Die Linien selbst verloren ihre Form hinter diesem blendenden Lichte; die gerade Mauer der Straße rundete sich in der Unbestimmtheit ab, schien sich zu bewegen wie ein Segel und wurde an manchen Stellen unsichtbar. Ein neben einem Steine liegender Hund war wirklich dunkelroth.

Von Bewunderung begeistert sah Demetrios in dieser Erscheinung das Symbol seines neuen Lebens. Lange genug hatte er in der einsamen Nacht, in der Stille und im Frieden gelebt. Lange genug hatte er den Mondschein zum Lichte genommen und die weiche Linie einer allzu zarten Bewegung zum Ideal. Sein Werk war nicht männlich. Auf der Haut seiner Statuen lag ein eisiger Schauder.

Während des tragischen Abenteuers, das seinen Geist verstörte, hatte er zum ersten Mal gefühlt, wie der große Hauch des Lebens seine Brust erfüllte. Wenn er eine zweite Probe fürchtete, wenn er, siegreich aus dem Kampfe hervorgegangen, sich vor Allem geschworen hatte seine stolze Haltung den Anderen gegenüber nicht mehr einer Demüthigung auszusetzen, so hatte er wenigstens begriffen, daß das allein der Mühe werth sei ersonnen zu werden, was durch den Marmor, die Farbe oder die Sprache eine der Tiefen des menschlichen Gemüthes erreicht, – und daß die Formschönheit nur eine unbestimmte Materie ist, die immer durch den Ausdruck des Leides oder der Freude verklärt werden kann.

Während er so seinen Gedanken nachhing, kam er vor die Thür des Gefängnisses.

Seine beiden Sklaven erwarteten ihn dort.

»Wir haben den rothen Thonklumpen hierher getragen, sagten sie. Der Leichnam liegt immer noch auf dem Bette. Man hat nicht daran gerührt. Der Wächter empfiehlt sich Deiner Huld.«

Schweigend trat der Jüngling ein, folgte dem langen Flur, stieg einige Stufen hinauf und drang in das Zimmer der Todten, wo er sich sorgfältig einschloß.

Die Leiche lag da ausgestreckt, der Kopf tiefer, mit einem Schleier bedeckt, die Hände ausgestreckt, die Füße beisammen liegend. Die Finger waren mit Ringen beladen; zwei Silberreifen umschlangen die bleichen Knöchel und die Nägel der Zehen waren noch roth vom Pulver.

Demetrios legte die Hand an den Schleier, um ihn wegzuheben, aber kaum hatte er ihn ergriffen, als ein Dutzend Fliegen durch die Oeffnung herausflogen. Er schauderte bis zu den Füßen… Doch entfernte er den weißen Wollstoff und legte ihn in Falten um die Haare.

Chrysis‘ Gesicht wurde nach und nach von jenem ewigen Ausdruck erhellt, den der Tod den Augenlidern und den Haaren der Leichen verleiht. In dem bläulichen Weiß der Wangen gaben einige azurne Äderchen dem unbeweglichen Kopfe den Anschein des kalten Marmors. Die durchsichtigen Nasenlöcher öffneten sich über den feinen Lippen. Die Zartheit der Ohren hatte etwas Unkörperliches. Niemals, in keinem Lichte, nicht einmal in demjenigen seines Traumes, hatte Demetrios diese mehr als menschliche Schönheit, diesen verlöschenden Glanz der Haut gesehen.

— — — — —

Und da erinnerte er sich der Worte, die Chrysis bei ihrer ersten Begegnung gesagt hatte: »Du kennst nur mein Gesicht. Du weißt nicht wie schön ich bin!« Eine heftige Bewegung raubte ihm plötzlich den Athem. Er will endlich kennen lernen. Er vermag es.

Von diesen drei Tagen der Leidenschaft will er eine Erinnerung behalten, die länger als er selbst dauern soll, den wunderbaren Leib entkleiden, ihn, wie ein Modell in jene ungestüme Lage bringen, in der er ihn im Traume gesehen hat und, nach dem Leichnam das Standbild des »Unsterblichen Lebens« schaffen.

Er löst die Spange und das Band. Er entfernt den Stoff. Der Leib ist schwer. Er hebt ihn in die Höhe. Der Kopf sinkt nach rückwärts. Die Brüste zittern. Die Arme fallen herab. Er zieht das ganze Gewand ab und wirft es in die Mitte des Zimmers. Schwer fällt der Körper zurück.

Demetrios faßt die Todte mit beiden Armen unter den noch frischen Achselhöhlen und läßt sie auf den oberen Theil des Bettes gleiten. Er wendet den Kopf auf die linke Wange, sammelt und ordnet das Haar reichlich auf dem gebogenen Rücken. Dann hebt er den rechten Arm, beugt den Vorderarm über die Stirne, läßt die noch weichen Finger krampfhaft den Stoff des Kissens ergreifen: zwei wunderbare Muskellinien gehen vom Ohr und vom Ellenbogen herunter, und vereinigen sich unter der rechten Brust, die sie wie eine Frucht tragen.

Dann legt er die Beine zurecht, das eine steif nach der Seite ausgestreckt, das andere mit gehobenem Knie, so daß die Ferse fast den Hintertheil berührt. Er verbessert noch einige Einzelheiten, dreht die Taille nach links, streckt den rechten Fuß aus, entfernt Armbänder, Halsbänder und Ringe, damit die reine und vollkommene Harmonie der weiblichen Nacktheit nicht durch eine einzige Dissonanz gestört werde.

Das Modell hat die Pose angenommen.

Demetrios wirft den nassen Thonklumpen, den er hierher hat tragen lassen, auf den Tisch. Er drückt und knetet ihn, zieht ihn nach der menschlichen Form in die Länge: eine Art barbarischen Ungeheuers entsteht unter seinen eifrigen Fingern: er schaut.

Die unbewegliche Leiche behält ihre leidenschaftliche Stellung bei. Aber ein dünner Blutstreifen rieselt aus dem rechten Nasenloch, läuft auf die Lippen und fällt tropfenweise in den halbgeöffneten Mund.

Demetrios fährt in seiner Arbeit fort. Die Skizze wird deutlicher, nimmt Leben an. Ein wunderbarer linker Arm rundet sich über den Körper, als umschlänge er Jemanden. Die Muskel der Schenkel treten gewaltig hervor. Die Zehen krümmen sich.

— — — — —

…. Als die Nacht von der Erde aufstieg, das niedere Zimmer verfinsternd, hatte Demetrios seine Statue vollendet.

Er ließ die Skizze durch vier Sklaven nach seinem Atelier tragen. Noch am selben Abend ließ er beim Lampenlichte einen Marmorblock von Paros behauen, und ein Jahr nach diesem Tage arbeitete er noch an dem Marmor.

IV.

Barmherzigkeit.

»Wächter, öffne uns! Wächter, öffne uns!«

Rhodis und Myrtocleia schlagen an das verschlossene Thor.

Das Thor öffnete sich halb.

»Was wollt ihr?«

– Unsere Freundin sehen, sagte Myrto. Chrysis sehen, die arme Chrysis, die heute früh gestorben ist.

– Es ist nicht erlaubt, entfernt euch!

– Oh! laß uns, laß uns hineingehen. Man wird es nicht erfahren. Wir werden es nicht sagen. Es war unsere Freundin, laß sie uns wiedersehen. Wir werden schnell wieder hinausgehen. Wir werden keinen Lärm machen.

– Und wenn ich ertappt werde, ihr Mädchen? Wenn ich euretwegen bestraft werde? Werdet ihr dann die Geldbuße zahlen?

– Du wirst nicht ertappt werden. Du bist hier allein. Es sind keine anderen Verurtheilten da. Du hast die Soldaten weggeschickt. Das Alles wissen wir. Laß uns hinein!

– Nun wohl! Bleibt aber nicht lange drin! Da ist der Schlüssel. Es ist die dritte Thür. Benachrichtiget mich, wenn ihr hinausgeht. Es ist spät und ich möchte zu Bette gehen.

Der gute Alte übergab ihnen einen eisernen Schlüssel, der an seinem Gürtel hing, und die beiden kleinen Jungfrauen liefen sogleich mit ihren geräuschlosen Sandalen durch die dunklen Gänge.

Dann kehrte der Gefängnißwächter in seine Stube zurück und trieb eine überflüssige Aufsicht nicht weiter. Die Gefängnißstrafe wurde im griechischen Aegypten nicht angewandt und das kleine, weiße Häuschen, das der gute Greis bewachen sollte, diente nur dazu die zum Tode Verurtheilten aufzunehmen. Zwischen den Hinrichtungen blieb es fast verlassen.

Im Augenblicke, wo der große Schlüssel in das Schloß drang, hielt Rhodis die Hand ihrer Freundin zurück:

»Ich weiß nicht, ob ich es wagen werde sie zu sehen,« sagte sie. »Ich liebte sie sehr, Myrto … Ich fürchte mich … Tritt Du zuerst ein, willst Du?«

Myrtocleia öffnete die Thür; aber sobald sie die Blicke in das Zimmer geworfen hatte, rief sie:

»Gehe nicht hinein, Rhodis! erwarte mich hier.«

– Oh! was giebt’s? Auch Du hast Angst? … Was liegt auf dem Bette? Ist sie nicht todt?

– Doch. Warte auf mich … Ich werde es Dir sagen … Bleibe auf dem Flur und schaue nicht herein.

Der Körper war in der leidenschaftlichen Stellung geblieben, die ihm Demetrios gegeben hatte, um darnach die Statue des »Unsterblichen Lebens« zu bilden. Allein die Verzückungen der höchsten Freuden gleichen fast den Zuckungen der äußersten Leiden und Myrtocleia fragte sich, welche furchtbaren Schmerzen, welche Qualen, welche Todeskämpfe den Leichnam so hatten verstören können.

Auf den Fußspitzen näherte sie sich dem Bette.

Der Blutstreifen fuhr fort aus dem durchsichtigen Nasenloch herunterzufließen. Die Haut des Körpers war vollkommen weiß; die bleichen Brustwarzen waren wie zarte Nabel eingefallen; kein rosiger Widerschein belebte die rasch vergängliche Statue, aber einige smaragdgrüne Flecke färbten leicht den glatten Bauch und zeigten an, daß Millionen neuer Leben in dem kaum erkalteten Fleische keimten und nachzufolgen verlangten.

Myrtocleia nahm den todten Arm und legte ihn die Hüften entlag. Sie wollte auch das linke Bein ausstrecken, allein das Knie war fast steif und es gelang ihr nicht, dasselbe ganz zu strecken.

»Rhodis, sagte sie mit unsicherer Stimme, Du kannst jetzt hereinkommen.«

Das zitternde Kind trat in das Zimmer. Ihre Züge verzogen sich, ihre Augen öffneten sich … Als sie fühlten, daß sie zu Zweien waren, begannen sie, einander in den Armen liegend, bitterlich zu schluchzen.

»Die arme Chrysis! die arme Chrysis!« wiederholte das Kind.

Sie küßten sich auf die Wangen mit einer trostlosen Zärtlichkeit, in der es nichts Sinnliches mehr gab, und der Geschmack der Thränen brachte ihren Lippen die ganze Bitterkeit ihrer bekümmerten kleinen Herzen.

Sie weinten, sie weinten, sie blickten sich leidvoll an, und manchmal redeten sie beide zusammen, mit heiserer, herzzerreißender Stimme, so daß ihre Worte in Schluchzen erstarben.

»Wir liebten sie so sehr. Es war für uns keine Freundin, keine Freundin, sie war wie eine sehr junge Mutter, ein Mütterchen zwischen uns beiden …«

Rhodis wiederholte:

»Wie ein Mütterchen …«

Und Myrto zog sie zur Todten hin und sagte mit leiser Stimme:

»Küsse sie!«

Sie beugten sich hernieder, stützten die Hände auf das Bett und schluchzend berührten sie mit ihren Lippen die kalte Stirne.

Und Myrto nahm den Kopf zwischen ihre beiden Hände, die in dem tiefen Haare verschwanden, und sie sprach also zu ihr:

»Chrysis, meine Chrysis, Du warst die schönste, die angebeteteste aller Frauen! Du, die Du der Göttin so ähnlich sahest, daß das Volk Dich für sie gehalten hat, wo bist Du jetzt? Was hat man aus Dir gemacht? Du lebtest, um die wohlthuende Freude zu spenden. Es gab nie eine süßere Frucht, als Dein Mund, nie ein klareres Licht, als Deine Augen; Deine Haut war ein herrliches Kleid, welches Du nicht verhüllen wolltest; die Wollust schwebte darauf wie ein unvergänglicher Duft und wenn Du Dein Haar lösetest, entschlüpften ihm alle Begierden und wenn Du Deine nackten Arme schlossest, so erbat man sich von den Göttern den Tod in diesen Armen.

*

Auf dem Boden kauernd, schluchzte Rhodis.

*

»Chrysis, meine Chrysis, fuhr Myrtocleia fort, gestern noch warst Du lebendig und jung, lange Tage erhoffend und jetzt bist Du todt, und nichts in der Welt kann bewirken, daß Du uns ein Wort sagest. Du hast gelitten und Du wußtest nicht, daß wir um Dich hinter den Mauern weinten; Du hast sterbend Jemanden mit dem Blicke gesucht und Deine Augen sind unseren Augen voll Schmerz und Mitleid nicht begegnet.«

*

Die Flötenspielerin weinte immer noch. Die Sängerin nahm sie bei der Hand.

*

»Chrysis, meine Chrysis, Du hast uns gesagt, daß wir eines Tages mit Deiner Hilfe heirathen werden. Unsere Ehe vollzieht sich unter Thränen und es ist eine traurige Verlobung, die von Rhodis und Myrtocleia. Aber der Schmerz vereint besser, denn die Liebe zwei in einander verschlungene Hände. Die einmal zusammen gemeint haben, werden sich niemals verlassen. Wir werden Deinen angebeteten Leib zur Erde tragen, Chrysidion, und werden beide unser Haar auf Deinem Grabe abschneiden.«

*

Sie hüllte den schönen Leichnam in eine Bettdecke; dann sagte sie zu Rhodis:

»Hilf mir!«

Sie hoben sie mit Vorsicht in die Höhe; aber die Bürde war schwer für die beiden Musikspielerinen, und sie setzten sie ein erstes Mal auf den Boden.

»Legen wir unsere Sandalen ab, sagte Myrto. Gehen mir mit nackten Füßen durch den Korridor. Der Wächter muß eingeschlafen sein … Wenn wir ihn nicht wecken, kommen wir durch, wenn er uns aber sieht, wird er uns hindern … Morgen ist die Sache gleichgültig: wenn er das Bett leer findet, wird er den Soldaten der Königin sagen, daß er den Leichnam in die Senkgrube geworfen habe, wie das Gesetz es vorschreibt. Fürchten wir nichts, Rhode … Stecke, wie ich, Deine Sandalen in den Gürtel. Und nun komm! Fasse den Leichnam unter den Knieen. Gehe geräuschlos, langsam, langsam …«

III.

Demetrios

An der Stelle, wo die Spielmädchen gestanden, war Demetrios allein angelehnt geblieben. Er hörte dem Brausen des Meeres zu, dem knarrenden Geräusch der langsam fahrenden Schiffe und dem Winde, der unter den Sternen dahinstrich. Die ganze Stadt war von einer kleinen blendenden Wolke, welche vor dem Monde Halt gemacht, beleuchtet und der Himmel wölbte sich in milder Klarheit.

Der Jüngling schaute neben sich hin. Die Tuniken der Flötenspielerinen hatte zwei Eindrücke in dem Staube zurückgelassen. Er erinnerte sich ihrer Gesichter. Es waren zwei Epheserinen. Die Ältere hatte ihm hübsch geschienen, die Jüngere hingegen war reizlos, und da ihm Häßlichkeit weh that, vermied er es daran zu denken.

Zu seinen Füßen glänzte ein Elfenbeingegenstand. Er hob ihn auf. Es war eine Schreibtafel, woran ein silberner Griffel hing. Das Wachs war fast abgenützt, aber man hatte darauf wohl dasselbe Wort mehrere Male überschrieben und zuletzt sogar in’s Elfenbein eingegraben.

Es standen darauf nur drei Worte geschrieben:

Rhodis liebt Myrtocleia

Und er fragte sich, welcher der beiden Frauen dies gehören mochte und ob die Andere die Geliebte wäre, oder irgend eine junge Unbekannte, welche sie in Ephesus zurückgelassen hatte. Dann dachte er einen Augenblick daran, den beiden Spielerinen nachzueilen, um ihnen den Gegenstand zurückzugeben, der vielleicht ein Andenken an eine geliebte Todte war; aber es wäre für ihn schwierig gewesen sie wiederzufinden, und, da er schon aufhörte sich für sie zu interessiren, drehte er sich nachlässig um und warf das kleine Ding in’s Meer.

Es fiel schnell, wie ein weißer Vogel niedergleitend und er hörte das Plätschern des fernen und schwarzen Wassers. Dieses schwache Geräusch brachte ihm die gewaltige Stille des Hafens deutlicher zum Bewußtsein.

An die kalte Brüstung gelehnt versuchte er jeden Gedanken zu bannen und sich in die Betrachtung der Gegenstände zu vertiefen.

Das Leben war ihm ein Ekel. Er verließ sein Haus nur zur Stunde, wo das Leben aufhörte und er kehrte erst heim, wenn der Anbruch des Tages die Fischer und Gemüsehändler nach der Stadt zog. Das Vergnügen, in der Welt nur den Schatten der Stadt und seine eigene Gestalt zu sehen, wurde bei ihm zu einer solchen Wollust, daß er sich nicht erinnerte seit Monaten die Mittagssonne gesehen zu haben.

Er langweilte sich. Die Königin war ihm überdrüssig.

In dieser Nacht konnte er kaum mehr die Freude und den Stolz begreifen, welche ihn erfüllt hatten, als drei Jahre vorher die Königin, vielleicht mehr durch den Ruf seiner Schönheit als durch den Ruhm seines Genie’s verlockt, ihn nach dem Palaste hatte rufen und am westlichen Thore durch Trompetensignale hatte ankündigen lassen.

Dieser Eintritt in den Palast erleuchtete manchmal sein Gedächtniß mit einer jener Erinnerungen, welche aus lauter Süßigkeit in der Seele nach und nach so bitter werden, daß sie schier unerträglich sind … Die Königin hatte ihn allein in ihren Privatgemächern empfangen, welche aus drei kleinen, wollüstig-verschwiegenen Zimmern bestanden. Sie lag auf der linken Seite dahingestreckt, in grüner Seide wie vergraben, deren Widerschein ihre schwarzen Haarlocken in purpurnem Lichte badete. Ihr junger Körper war mit einem schamlos durchbrochenem Kostüm bekleidet, welches sie unter ihrer Aufsicht durch eine Hetäre aus Phrygien hatte anfertigen lassen. Es ließ jene zweiundzwanzig Stellen des Körpers entblößt, wo die Liebkosungen unwiderstehlich sind, so daß man eine ganze Nacht hindurch die scharfsinnigsten Lüste der Liebe auskosten konnte, ohne dieses Kleid ablegen zu müssen.

Demetrios hatte, respektvoll niederknieend, den kleinen nackten Fuß der Königin Berenike, wie einen kostbaren zarten Gegenstand, in die Hand genommen und geküßt.

Dann hatte sie sich erhoben.

Ganz einfach, wie eine schöne Sklavin, welche als Modell dient, hatte sie Mieder, Bänder und ihre geschlitzten Höschen gelöst, hatte sie sogar die Spangen ihrer Arme und die Ringe ihrer Fußzehen abgelegt, und so war sie aufrecht vor ihm erschienen, die Hände vor den Schultern geöffnet, den Kopf hoch unter einer Korallenhaube, welche die Wangen entlang zitterte.

Sie war die Tochter eines Ptolemäers und einer syrischen Prinzessin, die durch Astarte, welche die Griechen Aphrodite nennen, von allen Göttern abstammte. Demetrios wußte das und auch, daß sie auf ihr olympisches Geschlecht stolz war. Er kam denn auch nicht in Verwirrung, als die Königin, ohne sich zu rühren, ihm sagte: »Ich bin Astarte. Nimm ein Stück Marmor und deinen Meißel und zeige mich den Männern Ägyptens. Ich will, daß man mein Bild anbete.«

Demetrios blickte sie an und, die einfache und neue Sinnlichkeit errathend, welche diesen Jungfrauenkörper belebte, sagte er: »Ich bete es als Erster an,« und damit schloß er sie in seine Arme. Die Königin zürnte nicht ob dieses ungestümen Wesens, aber sie fragte zurücktretend: »Glaubst Du Adonis zu sein, daß Du die Göttin berührst?« Er antwortete »Ja.« Sie schaute ihn an, lächelte ein wenig und schloß mit den Worten: »Du hast Recht.«

Dies war der Grund, weshalb er unerträglich geworden, daß seine besten Freunde sich von ihm lossagten, während er alle Frauenherzen bethörte.

Wenn er einen Saal des Palastes durchschritt, blieben die Sklavinen stehen, die Frauen des Hofes schwiegen still, auch die Fremden hörten ihm zu, denn der Klang seiner Stimme war zum Entzücken. Zog er sich zur Königin zurück, so wurde er, unter immer neuen Vorwänden, selbst da noch belästigt. Wanderte er durch die Straßen, so füllten sich die Falten seines Kleides mit kleinen Papyrusstreifen, wo die vorbeigehenden Frauen ihre Namen mit schmerzhaften Worten niedergeschrieben hatten, die er aber gelangweilt zerknitterte, ohne sie zu lesen. Als im Tempel der Göttin Aphrodite sein Werk aufgestellt worden, wurde der Raum zu jeder Stunde der Nacht von der Menge der Anbeterinen belagert. Sie kamen um seinen Namen auf dem Steine zu lesen und ihrem lebendigen Gotte alle Tauben und alle Rosen darzubieten.

Bald wurde sein Haus von Geschenken überfüllt. Zuerst nahm er dieselben aus Nachlässigkeit an, später wies er sie zurück, als er begriff, was man von ihm erwartete und daß man ihn wie eine Prostituirte behandelte. Selbst seine Sklavinen boten sich dar. Er ließ sie peitschen und verkaufte sie an das Freudenhaus von Rhacotis. Dann aber öffneten seine Sklaven, durch Geschenke bestochen, unbekannten Frauen die Thüre, und er fand sie, wenn er nach Hause kam, vor seinem Bette, in einer Haltung, welche keinen Zweifel über ihre verliebten Absichten übrig ließ. Die kleinen Gegenstände seiner Toilette und sein Tischgeräthe verschwanden nach einander. Mehr als eine Frau der Stadt hatte eine Sandale oder einen Riemen, welche ihm gehört hatten, einen Becher, woraus er getrunken hatte, und selbst die Kerne der Früchte, die er gegessen hatte. Ließ er im Gehen eine Blume fallen, so fand er sie hinter sich nicht wieder. Sie wären im Stande gewesen, selbst den Staub aufzulesen, den er mit seinen Schuhen zertreten hatte.

Diese Verfolgung wurde nachgerade gefährlich und drohte in ihm seine ganze Empfindsamkeit zu tödten. Er war überdies bei jenem Abschnitt seiner Jugend angekommen, wo der denkende Mann es für nöthig hält, sein Leben in zwei Theile zu sondern, und die Sachen des Geistes nicht länger mit den Bedürfnissen der Sinne zu vermengen. Die Statue der Aphrodite-Astarte war für ihn der erhabene Vorwand dieser moralischen Bekehrung. Alles was die Königin an Schönheit besaß, alles Ideale, das man um die weichen Linien ihres Körpers erfinden konnte, hatte Demetrios aus dem Marmor geholt und von diesem Tage an bildete er sich ein, daß kein anderes Weib auf Erden je wieder die Höhe seines Traumes erreichen würde. Seine Statue wurde der Gegenstand seines Verlangens. Sie allein betete er noch an und wahnwitzig trennte er von dem Fleische die erhabene Idee der Göttin, welche nur um so unkörperlicher gewesen wäre, wenn er sie an das Leben gebunden hätte.

Wenn er die Königin selbst wiedersah, fand er sie alldessen bar, was ihren Reiz ausgemacht hatte. Sie genügte ihm noch eine Zeit lang, um sein zielloses Verlangen zu täuschen, aber sie war von der Anderen zu verschieden und zugleich ihr zu sehr ähnlich. Wenn sie nach seinen Umarmungen erschöpft hinsank und an derselben Stelle einschlafend, betrachtete er sie als ob eine Fremde als Eindringling die Gestalt der Geliebten annehmend, sein Bett erschlichen hätte. Ihre Arme waren schlanker, ihre Brust spitziger, ihre Hüfte enger als diejenigen der Wirklichen. Sie hatte in den Weichen nicht jene drei Falten, so fein wie Linien, die er in den Marmor gegraben hatte. Er ward ihrer endlich müde.

Seine Anbeterinen erfuhren es, und obwohl er seine täglichen Besuche fortsetzte, wußte man, daß er aufgehört habe, in Berenike verliebt zu sein. Und man drängte sich mit verdoppelter Zudringlichkeit an ihn heran. Er legte keinen Werth darauf. In der That hatte die Abwechselung, deren er bedurfte, eine ganz andere Bedeutung.

Es ist selten, daß ein Mann zwischen zwei Verhältnissen nicht einen Zwischenraum in seinem Leben habe, wo ihn die grobe Wollust anzieht und befriedigt. Demetrios gab sich derselben hin. Wenn ihm der Zwang in den Palast zu gehen mehr als gewöhnlich lästig war, ging er Nachts zum Garten der heiligen Hetären, welcher von allen Seiten den Tempel umgab.

Die Weiber, welche dort hausten, kannten ihn nicht. Uebrigens waren sie durch so viele überflüssige Liebe derart ermüdet, daß sie nicht schrieen, noch weinten, und so war die Befriedigung, welche er suchte, dort wenigstens nicht durch das Gejammer eines verliebten Kätzchens gestört, das ihn bei der Königin nervös machte.

Das Gespräch, welches er mit diesen ruhigen Weibern führte, war lässig und alltäglich. Die Besuche von heute, das Wetter des nächsten Tages, die Weichheit des Grases und die Milde der Nacht: das waren reizende Unterhaltungsgegenstände. Sie baten ihn nicht seine Theorien über die Bildhauerkunst vorzutragen und gaben über den Achilleus des Scopas keine Meinung ab. Wenn es geschah, daß sie dem Liebhaber, der sie wählte, dankten, oder daß sie ihn wohl gewachsen fanden und es ihm sagten, so hatte er das Recht, nicht an ihre Uneigennützigkeit zu glauben.

Wenn er aus ihren heiligen Armen kam, stieg er die Stufen des Tempels empor und überließ sich vor der Statue seinem Entzücken.

Zwischen den schlanken, von ionischen Voluten gekrönten Säulen erschien die Göttin wie lebendig auf ihrem Postamente von rosarothem Steine, mit Kleinodien beladen. Sie war nackt und geschlechtlich dargestellt, leicht nach den Farben des Weibes gefärbt; in einer Hand hielt sie einen Spiegel, dessen Griff einen Priapus vorstellte; die andere Hand schmückte ihre Schönheit mit einem Halsbande aus sieben Perlenreihen. Eine silberne und längliche Perle, welche größer war als die anderen, glänzte zwischen ihren beiden Brüsten, wie eine Mondsichel zwischen zwei runden Wolken.

Zärtlich betrachtete sie Demetrios und, wie das Volk, wollte er glauben, es seien die wahren heiligen Perlen, aus den Wassertropfen geboren, welche in der Muschelschale Anadyomene’s gerollt.

»Oh göttliche Schwester, sagte er, oh Blühende, Verklärte! Du bist nicht mehr die kleine Asiatin, die ich für Dich als unwürdiges Modell benützte. Du bist ihr unsterbliches Sinnbild, die irdische Seele der Astarte, welche die Erzeugerin ihrer Rasse wurde. Du glänztest in ihren feurigen Augen. Du branntest auf ihren dunkeln Lippen, Du erstarbst in ihren weichen Händen, Du keuchtest in ihren großen Brüsten, Du strecktest Dich in ihren umschlingenden Beinen, ehemals, vor Deiner Geburt; und was die Tochter eines Fischers befriedigte, streckte auch Dich, Göttin, hin, die Du die Mutter der Götter und der Menschen bist, Lust und Leid der Welt. Aber ich habe Dich gesehen, hervorgezaubert, ergriffen, oh wunderbare Cythereia! Ich habe Dich der Erde geoffenbaret. Dein Bild ist es nicht, Du selbst bist es, der ich den Spiegel gegeben habe, die ich mit Perlen bedeckt habe, ganz wie an dem Tage, wo Du aus dem blutigen Himmel und dem schäumenden Lächeln der Wasser geboren wurdest, thauige Morgenröthe, bis zu den Ufern Cyperns von einer Schaar blauer Tritonen bejubelt.«

— — — — —

Er hatte sie eben in dieser Weise angebetet, als er auf den Strand kam, zur Stunde wo sich die Menge verlief, und er hörte den schluchzenden Gesang der Flötenspielerinen. Aber an diesem Abende hatte er die Hetären des Tempels zurückgewiesen; ein umschlungenes Paar, das er flüchtig zwischen den Zweigen gesehen, hatte ihn mit Ekel erfüllt und in der Seele empört.

Nach und nach bemächtigte sich seiner der milde Einfluß der Nacht. Er drehte sein Gesicht dem Winde zu, welcher über das Meer herüber wehte und den Duft der Rosen von Amathont nach Aegypten zu bringen schien.

Schöne weibliche Formen erstanden in seinem Geiste. Man hatte bei ihm für den Garten der Göttin eine Gruppe der drei umschlungenen Charitinen bestellt; aber es widerstrebte seiner Jugend, althergebrachte Formen zu copieren und er träumte davon die drei anmuthigen Bewegungen des Weibes auf einem und demselben Marmorblock zu vereinen: zwei der Charitinen wären bekleidet, die eine einen Fächer haltend und die Augenlider im Hauche der bewegten Federn halb schließend; die andere im faltigen Rocke tanzend. Die dritte würde nackt hinter ihren Schwestern stehen, und mit emporgehobenen Armen die Fülle ihrer Haare zu einem Knoten winden.

Seine Gedanken gingen noch manchen anderen Entwürfen nach; so wollte er auf die Felsen des Leuchtthurms eine Andromeda aus schwarzem Marmor vor dem wogenden Ungeheuer des Meeres festbinden, die Agora das Brouchion zwischen den vier Rossen der aufgehenden Sonne, wie zwischen zornigen Pegasen einschließen; und welcher Rausch frohlockte nicht in ihm, wenn er an einen, bei dem Herannahen der Titanen von Furcht ergriffenen Zagreus dachte! Ha! wie war er von all‘ dieser Schönheit neu ergriffen! wie er sich der Liebe entriß! wie er »von dem Fleische die höchste Idee der Göttin trennte!« wie er sich endlich frei fühlte!

Doch er wandte den Kopf dem Ufer zu, und in der Ferne sah er den gelben Schleier einer dahin schreitenden Frau schimmern.

V.

Pietät.

Nachdem sie um die Ecke der zweiten Straße gekommen, legten sie den Leichnam ein zweites Mal nieder, um ihre Sandalen wieder anzuziehen. Rhodis Füße, zu zart um nackt zu gehen, hatten sich abgeschürft und bluteten.

Die Nacht war klar. Die Stadt war in tiefe Stille gehüllt. Graue Schatten zeichneten sich viereckig in der Mitte der Straßen ab, je nach dem Abriß der Häuser.

Die kleinen Jungfrauen hoben ihre Last wieder auf.

»Wo gehen wir hin? sagte das Kind; wo werden wir sie begraben?«

– Im Gräberfelde des Hermanubis. Es ist immer einsam und öde. Dort wird sie in Frieden ruhen.

– Arme Chrysis? Hätte ich denken können, daß ich am Tage ihres Endes ihren Leichnam tragen würde, ohne Fackeln und ohne Leichenwagen, heimlich, wie eine gestohlene Sache.

Dann fingen beide an mit großer Zungenfertigkeit zu sprechen, als fürchteten sie die Stille, wie sie so neben einander mit der Leiche dahinschritten.

Der letzte Tag in Chrysis Leben erfüllte sie mit Staunen. Woher hatte sie den Spiegel, den Kamm und das Halsband? Sie hatte nicht selbst die Perlen der Göttin nehmen können: der Tempel war zu gut bewacht, als daß eine Hetäre hatte eintreten können. Es hatte also Jemand für sie gehandelt. Aber wer? Man kannte unter den Stolisten, die mit der Pflege der heiligen Statue betraut waren, keinen, der ihr Geliebter gewesen wäre. Und dann, wenn Jemand an ihrer Stelle gehandelt hatte, warum hatte sie ihn nicht verrathen? Und in allen Fällen: warum diese drei Verbrechen? Wozu hatten sie ihr gedient, wenn nicht der Folter übergeben zu werden? Ein Weib begehrt solche zwecklose Tollheiten nicht, es sei denn, daß sie verliebt ist. Chrysis war es also? und in wen?

»Wir werden es nie erfahren, schloß die Flötenspielerin. Sie hat ihr Geheimniß mit sich genommen, und selbst wenn sie einen Mitschuldigen hat, wird er uns nicht aufklaren.«

An dieser Stelle seufzte Rhodis, die schon seit einigen Augenblicken schwankte:

»Ich kann nicht weiter, Myrto, ich kann nicht weiter. Ich müßte in die Kniee sinken. Ich bin von Müdigkeit und Leid gebrochen.«

Myrtocleia nahm sie am Halse:

»Versuche noch, mein Liebchen. Wir müssen sie tragen. Es handelt sich um ihr unterirdisches Leben. Wenn sie kein Begräbniß hat und keinen Obolus in der Hand, wird sie ewig an den Ufern des stygischen Flusses herumirren, und wenn wir einst zu den Todten herabsteigen, Rhodis, wird sie uns unsere Pietätlosigkeit vorwerfen, und wir werden ihr nichts zu antworten wissen.«

Aber das Kind, von einer Schwäche ergriffen, zerfloß in Thränen.

»Schnell, schnell«, sagte Myrtocleia, »dort, am anderen Ende der Straße, kommen Leute. Stelle Dich mit mir vor den Leichnam. Verbergen wir ihn hinter unseren Kleidern. Wenn man ihn sieht, ist Alles verloren…«

Sie unterbrach sich.

»Es ist Timon. Ich erkenne ihn. Timon mit vier Weibern … Ach! ihr Götter, was wird geschehen! Er, der über Alles spottet, wird uns auslachen …. Aber nein, bleibe hier, Rhodis, ich werde mit ihm reden.«

Und, von einem plötzlichen Gedanken erfaßt, lief sie in der Straße der kleinen Gruppe entgegen.

»Timon,« sagte sie (und ihre Stimme war eine stehende), »Timon, halte still. Ich bitte Dich, mich anzuhören. Ich habe ernste Worte im Munde. Ich muß sie Dir allein sagen.«

– Mein armes Kind, sagte der Jüngling, wie ergriffen Du bist. Hast Du Deine Achsel-Schleife verloren, oder hat sich Deine Puppe im Fallen die Nase zerbrochen? Dies wäre ein nicht wieder gut zu machendes Ereigniß.

Das Mädchen warf ihm einen schmerzlichen Blick zu; doch schon wurden die vier Weiber Philotis, Seso von Knidos, Kallistion und Tryphaera, die sie umstanden, ungeduldig.

»Nun, dumme Gans,« sagte Tryphaera, »wenn Du die Brüste Deiner Amme ausgesogen hast, so können wir Dir nicht helfen, wir haben keine Milch. Es ist fast Tag, Du solltest im Bette liegen; seit wann streifen die Kinder im Mondschein herum?«

– Ihre Amme? rief Philotis. Timon will sie uns wegnehmen, und nicht eine Amme sucht sie.

– Die Peitsche, sie verdient die Peitsche!

Und Callistion hob mit einem Arm Myrto in die Höhe und schlug ihr blaues Kleidchen zurück. Doch Seso trat dazwischen:

»Ihr seid toll, rief sie aus. Myrto hat nie einen Mann gekannt. Wenn sie Timon ruft, so ist es nicht, um mit ihm zu schlafen. Lasset sie in Ruhe, daß die Geschichte ein Ende nehme.«

– Nun, sagte Timon, was willst Du von mir? Komme hierher. Rede mir in’s Ohr. Ist es wirklich so ernst?

– Chrysis Leichnam liegt da auf der Straße; sagte das noch zitternde Mädchen. Wir tragen ihn zu Grabe, meine kleine Freundin und ich; aber er ist schwer und wir fragen Dich, ob Du uns nicht helfen willst … Es wird nicht lange dauern … Gleich nachher wirst Du Deine Weiber wieder aufsuchen können.

Timon hatte einen gütigen Blick:

»Arme Mädchen! Und ich lache dazu! Ihr seid besser als wir …. Gewiß werde ich euch helfen. Gehe zu Deiner Freundin und erwarte mich, ich komme.«

Und zu den vier Weibern gewendet sagte er:

»Gehet zu mir nach Hause, durch die Töpferstraße. Ich werde in kurzer Zeit dort sein. Folget mir nicht.«

Rhodis saß immer noch zu Häupten des Leichnams. Als sie Timon herantreten sah, flehte sie:

»Verrathe uns nicht! Wir haben sie gestohlen, um ihren Schatten zu retten. Bewahre unser Geheimniß. Wir werden Dich sehr lieb haben, Timon.«

– Seiet beruhigt, sagte der junge Mann.

Er faßte den Körper bei den Schultern und Myrto nahm ihn bei den Knieen und schweigend gingen sie weiter, während Rhodis unsicheren Schrittes ihnen folgte.

Timon sprach nicht. Zum Zweiten Male seit zwei Tagen hatte ihm die menschliche Leidenschaft eine zufällige Gefährtin seines Bettes weggenommen und er fragte sich, welche Narrheit die Geister von dem Zauberwege entfernt, der zum schattenlosen Glück führt.

»Seelenruhe! dachte er, Gleichgültigkeit, Behaglichkeit, oh wollüstige Freude! wer unter den Menschen wird euch würdigen? Man rührt sich, man kämpft, man hofft, während doch eine Sache allein kostbar ist: dem flüchtigen Augenblick alle Freuden abzugewinnen, die er zu bieten vermag, und sein Bett so wenig als möglich zu verlassen.«

— — — — —

Sie kamen an der Thür des verwüsteten Gräberfeldes an.

»Wo legen wir sie hin?« sagte Myrto.

– In die Nähe des Gottes.

– Wo ist das Standbild? Ich bin niemals hier gewesen. Ich hatte Angst vor den Gräbern und Säulen. Ich kenne den Hermanubis nicht.

– Er muß in der Mitte des kleinen Gartens stehen. Suchen wir ihn. Ich bin ehemals, als ich ein Kind war, eine verirrte Gazelle verfolgend, hierhergekommen. Gehen wir durch die Allee von weißen Sykomoren. Wir können nicht fehlen.

Es gelang ihnen in der That, die Statue zu finden. Die Morgendämmerung mischte mit dem Mond ihr leichtes Violett auf dem Marmor. Eine unbestimmte und ferne Harmonie schwebte auf den Cypressenzweigen. Das regelmäßige Rauschen der Palmen, das so sehr dem Rauschen der fallenden Regentropfen gleicht, rief einen Wahneindruck von Kühle hervor.

Mit Mühe öffnete Timon einen in die Erde eingesunkenen rothen Stein. Das Grab war unterhalb der Hände des Gottes gegraben, welche die Bewegung des Einbalsamirens machten. Es hatte wohl früher einmal eine Leiche enthalten, aber in der Grube fand man jetzt nur ein Haustein bräunlichen Staub.

Der junge Mann stieg bis zum Gürtel hinein, und streckte die Arme vor:

»Gib sie mir, sagte er zu Myrto. Ich werde sie ganz unten hinlegen, und dann decken wir den Stein auf das Grab …«

Aber Rhodis warf sich auf den Leichnam:

»Nein, begraben wir sie nicht so schnell! Ich will sie noch einmal sehen! Ein letztes Mal! Ein letztes Mal! Chrysis! Meine arme Chrysis! Ach! es ist schrecklich! … Was ist aus ihr geworden?«

Myrtocleia hatte soeben die um die Todte gewickelte Decke entfernt und das Gesicht war erschienen, so rasch entstellt, daß die beiden Mädchen schaudernd zurückwichen. Die Wangen waren eckig geworden, die Augenlider und die Lippen angeschwollen wie sechs weiße Pölsterchen. Schon war nichts mehr von dieser übermenschlichen Schönheit übrig. Sie schlossen das dicke Bahrtuch wieder, aber Myrto streckte die Hand unter den Stoff, um dem für Charon bestimmten Obolus in Chrysis‘ Finger zu legen.

Dann übergaben beide, von unendlichem Schluchzen bewegt, Timon den starren Leichnam.

Und als Chrysits tief im sandigen Grabe lag, öffnete Timon das Bahrtuch wieder. Er legte den Silberobolus zwischen die losen Finger, stützte den Kopf mit einem flachen Steine; auf dem Körper breitete er, von der Stirne bis zu den Knieen, die langen, schattigen, goldenen Haare aus.

Dann stieg er aus dem Grabe.

Die beiden Musikspielerinen knieten vor dem offenen Schlunde; sie schnitten sich gegenseitig ihre jugendlichen Haare ab, banden sie zu einer Garbe zusammen und begruben sie mit der Todten.

ΤΟΙΟΝΔΕ ΠΕΡΑΕ ΕΣΧΕ ΤΟ ΣΥΝΤΑΓΜΑ
ΤΩΝ ΠΕΡΙ ΧΡΥΣΙΛΑ ΚΑΙ ΔΗΜΗΤΡΙΟΝ.

IV.

Die Vorbeigehende.

Sie kam langsam, den Kopf etwas nach der Schulter geneigt, auf dem öden Strande daher, welchen das Mondlicht erhellte. Ein kleiner, beweglicher Schatten zitterte vor ihren Schritten dahin.

Demetrios sah sie näher kommen.

Diagonale Falten durchfurchten den kleinen Theil ihres Körpers, den man durch den leichten Stoff hindurch sah; einer ihrer Ellenbogen trat unter der fest anliegenden Tunika hervor; der andere Arm, den sie nackt gelassen hatte, hob die lange Schleppe in die Höhe, damit sie nicht den Staub fege.

Er erkannte an ihrem Schmucke, daß sie eine Hetäre sei; um einen Gruß von ihr zu vermeiden, ging er schnell über die Straße.

Er wollte sie nicht anschauen. Absichtlich beschäftigte er seine Gedanken mit dem großen Entwurfe des Zagreus. Und dennoch wandten sich seine Augen nach der Vorbeigehenden.

Da sah er, daß sie nicht stehen blieb, daß sie sich nicht um ihn bekümmerte, daß sie sich nicht einmal den Anschein gab das Meer zu betrachten, noch ihren Schleier nach vorn aufzuheben, noch in ihre Gedanken versunken zu sein; sondern, daß sie ganz einfach allein spazieren ging, hier nichts Anderes suchend als die Kühle des Windes, die Einsamkeit, die Stille.

Ohne sich zu rühren ließ Demetrios sie nicht aus den Augen und versenkte sich in ein sonderbares Verwundern.

Sie schritt immer weiter wie ein ferner gelber Schatten, nachlässig und von dem kleinen schwarzen Schatten, der vor ihr her ging, gleichsam geführt.

Er hörte bei jedem Schritte das leise Knirschen ihrer Schuhe im Staube des Weges.

Sie ging bis zur Insel des Leuchtturmes und stieg die Felsen hinan.

Plötzlich, als hätte er seit langer Zeit die Unbekannte geliebt, lief Demetrios ihren Spuren nach, dann hielt er inne, ging wieder zurück, zitterte, erzürnte sich, versuchte den Strand zu verlassen; aber er hatte stets seinen Willen nur seinem eigenen Vergnügen dienstbar gemacht, und wenn es sich darum handelte ihn zum Heile seines Charakters und zur Ordnung seines Lebens in Thätigkeit zu setzen, fühlte er sich von Unvermögen ergriffen und an die Stelle genagelt, wo die Last seiner Füße ruhte.

Da er nicht mehr aufhören konnte an diese Frau zu denken, suchte er sich selbst wegen des Gedankens, welcher seinen Geist so sehr im Banne hielt, zu entschuldigen. Er glaubte den Reiz ihrer Erscheinung durch ein rein ästhetisches Gefühl zu erklären und dachte, daß sie das geträumte Modell für die Charitin mit dem Fächer wäre, welche er den nächsten Tag entwerfen wollte.

Dann geriethen plötzlich alle seine Gedanken in Unordnung und eine Menge von ängstigenden Fragen strömte wegen dieses gelb gekleideten Weibes in seinem Geiste zusammen.

Was machte sie zu dieser nächtlichen Stunde auf der Insel? Warum, um wessen Willen ging sie so spät aus? Warum hatte sie ihn nicht angeredet? Sie hatte ihn gesehen, sicher hatte sie ihn, während er über den Weg schritt, gesehen. Warum hatte sie ihren Gang fortgesetzt, ohne ein Wort der Begrüßung an ihn zu richten? Es ging das Gerücht, daß manche Weiber die kühlen Stunden vor Tagesanbruch wählten, um im Meere zu baden. Aber man badete nicht bei dem Leuchtthurme. Dort war das Meer zu tief. Uebrigens war es unwahrscheinlich, daß ein Weib sich so mit Schmuck bedeckt hätte um zum Bade zu gehen? … Was war es dann, was sie so weit von Rhacotis anzog? Vielleicht ein Stelldichein? Irgend ein junger Lebemann, der die Abwechselung liebte, und der für einen Augenblick die großen, von den Wogen geglätteten Felsen zum Lager wählte.

Demetrios wollte sich darüber Gewißheit verschaffen. Doch schon kam das junge Weib zurück, mit demselben ruhigen, weichen Schritte, von der milden Klarheit des Mondes voll beleuchtet, mit dem Ende ihres Fächers den Staub der Brüstung fegend.

V.

Der Spiegel, der Kamm und das Halsband.

Sie besaß eine eigenartige Schönheit. Ihre Haare schienen zwei Goldmassen zu sein, aber sie waren zu reichlich und überragten ihre niedere Stirne wie zwei tiefe, schattige Wogen, unter welchen die Ohren verschwanden und welche in Windungen auf dem Nacken lagen. Die Nase war fein und die ausdrucksvollen Nasenlöcher zuckten manchmal über einem vollen, bemalten Munde mit abgerundeten, beweglichen Ecken. Die weiche Linie des Körpers wiegte sich bei jedem Schritte, durch die Schwingungen der freien Brüste oder das Schaukeln der schönen Hüften unter der biegsamen Taille belebt.

Als sie nur mehr zehn Schritte von dem Jüngling entfernt war, wandte sie ihren Blick nach ihm. Demetrios erbebte. Es waren wunderbare Augen; blau aber dunkel und glänzend zugleich, feucht, müde, schluchzend und lodernd, unter der Last der langen Augenlider und Wimpern fast geschlossen. Diese Augen schauten wie die Sirenen singen. Wer durch ihren Lichtkreis ging, war unwiderstehlich gefangen. Sie wußte es wohl und nützte geschickt den Eindruck, den sie hervorriefen; aber sie rechnete mehr noch auf die geheuchelte Gleichgültigkeit gegen den, welchen so viel wahre Liebe nicht hatte wahrhaft rühren können.

Die Seefahrer, welche die purpurnen Meere weit über den Ganges hinaus durchschifft haben, erzählen, daß sie unter den Wassern Felsen gesehen haben, welche Magnetsteine sind. Wenn ein Schiff bei ihnen vorbeifährt, fallen Nägel und Eisenbeschläge davon ab, von der unterirdischen Klippe auf immer angezogen. Und was ein schnelles Fahrzeug gewesen, ein Wohnort, ein lebendes Wesen, ist dann nur mehr eine lose Brettermenge, die vom Winde zerstreut auf den Fluthen treibt. So verlor sich Demetrios in sich selbst vor zwei großen anziehenden Augen, und seine ganze Kraft verließ ihn.

Sie senkte die Augenlider und ging an ihm vorbei.

Er hätte vor Ungeduld aufschreien mögen. Seine Fäuste ballten sich zusammen: er fürchtete sich keine ruhige Haltung mehr annehmen zu können, denn er mußte mit ihr reden. Dach sprach er sie mit den üblichen Worten an:

– Sei mir gegrüßt, sagte er.

– Sei auch Du gegrüßt, antwortete die Vorbeigehende.

Demetrios fuhr fort:

– Wohin gehst Du, mit so wenig Eile?

– Ich gehe nach Hause.

– Ganz allein?

– Ganz allein.

Und sie machte eine Bewegung, um ihren Spaziergang fortzusetzen.

Da dachte Demetrios, er habe sich vielleicht getäuscht, als er sie für eine Dirne hielt. Seit einiger Zeit kleideten und schminkten sich die Gattinen der Richter und Beamten wie Freudenmädchen. Diese war wohl eine in sehr gutem Rufe stehende Frau, und ohne Ironie fuhr er in seiner Frage also fort:

– Zu Deinem Gatten?

Sie lehnte sich mit beiden Händen zurück und sagte lachend:

– Heute Abend hab‘ ich keinen Gatten.

Demetrios biß sich in die Lippen und sagte fast schüchtern:

– Suche ihn nicht. Du hast Dich zu spät daran gemacht. Es ist Niemand mehr da.

– Wer hat Dir gesagt, daß ich auf der Suche bin? Ich gehe allein spazieren und suche nichts.

– Woher bist Du denn gekommen? All‘ den Schmuck hast Du doch nicht für Dich allein angelegt, und Du hast hier einen seidenen Schleier …

– Muthest Du mir zu nackt auszugehen, oder mit Wolle bekleidet wie eine Sklavin? Ich schmücke mich nur zu meinem Vergnügen; es ist mir lieb zu wissen, daß ich schön bin und im Gehen betrachte ich meine Finger, um alle meine Ringe kennen zu lernen.

– Du solltest einen Spiegel in der Hand haben und nur Deine Augen anschauen. Diese Augen sind nicht in Alexandrien geboren worden. Du bist Jüdin, ich höre es an Deiner Stimme, welche milder ist als die unsrigen.

– Nein, ich bin nicht Jüdin, ich bin Galiläerin.

– Wie heißest Du, Miriam oder Noemi?

– Mein Name ist syrisch und Du wirst ihn nicht erfahren. Es ist ein königlicher Name, den man hier nicht trägt. Meine Freunde nennen mich Chrysis, und es ist ein Compliment, das Du mir hättest machen können.

Er legte ihr die Hand auf den Arm.

»Ach! nein, nein, sagte sie mit höhnischer Stimme. Es ist viel zu spät für derlei Scherze. Laß‘ mich schnell nach Hause gehen. Ich bin schon seit fast drei Stunden aufgestanden, ich sterbe vor Müdigkeit.«

Und, sich niederbeugend, nahm sie einen Fuß in die Hand und fuhr fort:

»Schau, wie meine Schuhbänder mir weh thun! Sie sind viel zu straff gebunden worden. Wenn ich sie nicht löse, werde ich die Spur davon am Fuße behalten und Das wäre schön, wenn man mich umarmen wird! Laß‘ mich schnell! Ach, welche Mühe! Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich nicht stehen geblieben. Mein gelber Schleier ist an der Taille ganz zerknüllt, schau nur!«

Demetrios strich mit der Hand über die Stirne; dann murmelte er mit dem leichten Tone eines Mannes, der sich zu entschließen geruht:

»Zeige mir den Weg!«

– Aber ich will nicht! sagte Chrysis mit erstaunter Miene. Du fragst mich nicht einmal, ob es mir Vergnügen macht. »Zeige mir den Weg!« Wie er das sagt! Hältst Du mich für eine Metze des Dirnenviertels, die sich für drei Obolen auf den Rücken legt, ohne auch nur zu schauen, wer sie in den Armen hält? Weißt Du auch nur, ob ich frei bin? Kennst Du die Bedingungen meiner Zusammenkünfte? Bist Du meinen Spaziergängen gefolgt? Hast Du die Thüren, welche sich für mich öffnen, bezeichnet? Hast Du die Männer gezählt, welche sich von Chrysis geliebt wähnen? »Zeige mir den Weg!« Ich werde ihn Dir nicht zeigen, wenn es Dir beliebt. Bleibe hier oder geh fort, aber anderswo hin, nicht zu mir!

– Du weißt nicht, wer ich bin …

– Du? Ach was! Du bist Demetrios von Saïs; Du hast das Standbild meiner Göttin gemacht, Du bist der Geliebte meiner Königin und der Gebieter meiner Stadt. Aber für mich bist Du nur ein schöner Sklave, weil Du mich gesehen hast und weil Du mich liebst.«

Sie näherte sich ihm und fuhr mit schmeichlerischer Stimme fort:

»Ja, Du liebst mich. Oh sage nichts! – ich weiß, was Du mir sagen willst: Du liebst Niemanden, Du wirst geliebt. Du bist der Liebling, der Heißgeliebte, der Abgott. Du hast Glycera zurückgewiesen, die selbst dem Antiochos sich geweigert hat. Demonassa, die Lesbierin, welche geschworen hatte als Jungfrau zu sterben, hat sich während Deines Schlafes in Dein Bett gelegt und sie hätte Dich mit Gewalt genommen, wenn Deine beiden lybischen Sklaven sie nicht nackt vor die Thür gesetzt hätten. Callistion, die Wohlgenannte, hat, nachdem sie alle Hoffnung verloren hatte Dir zu nahen, das Haus, das dem Deinigen gegenüber liegt, angekauft und jeden Morgen zeigt sie sich in der Fensteröffnung, so wenig bekleidet wie Artemis im Bade. Glaubst Du denn, daß ich Alldas nicht weiß? Man erzählt sich ja Alles unter Hetären. In der Nacht Deiner Ankunft in Alexandrien hat man mir von Dir gesprochen; und seitdem ist kein Tag verflossen, ohne daß man Deinen Namen vor mir ausgesprochen hätte. Ich weiß sogar Dinge, die Du vergessen hast. Ich weiß sogar Dinge, die Du noch nicht kennst. Die arme kleine Phyllis hat sich vorgestern am Riegel Deiner Thür erhängt, nicht wahr? Nun, es ist eine Mode, die anfängt sich zu verbreiten. Lydé hat es ebenso wie Phyllis gemacht: ich habe sie heute Abend im Vorbeigehen gesehen; sie war ganz blau, aber die Thränen ihrer Augen waren noch nicht trocken. Du weißt nicht, wer das ist, Lydé? Ein Kind, eine kleine Buhlerin von fünfzehn Jahren, von ihrer Mutter im vergangenen Monat an einem Rheder von Samos verkauft, der eine Nacht in Alexandrien verbrachte, bevor er den Fluß bis nach Theben hinauffuhr. Sie hatte die Gewohnheit zu mir zu kommen. Ich gab ihr gute Rathschläge; sie wußte absolut nichts, nicht einmal Würfel spielen kannte sie. Ich lud sie oft in mein Bett ein, weil sie, wenn sie keinen Geliebten hatte, nicht wußte wo sie schlafen sollte. Und sie liebte Dich! Wenn Du gesehen hättest, wie sie mich an sich zog, indem sie Deinen Namen nannte! … Sie wollte Dir schreiben. Versteht Du? Ich habe ihr gesagt, daß es nicht der Mühe werth sei …«

Demetrios blickte sie an, ohne zu hören.

»Ja, das Alles ist Dir ganz gleichgültig, nicht wahr? fuhr Chrysis fort. Denn Du liebtest sie nicht. Mich liebst Du. Du hast nicht einmal angehört, was ich Dir soeben sagte. Ich bin sicher, daß Du nicht ein einziges Wort wiederholen könntest. Du bist sehr beschäftigt zu erfahren, wie meine Augenlider beschaffen sind, wie mein Mund köstlich, und mein Haar lieblich zu berühren sein muß. Ach! wie viele Andere giebt es, die das wissen! Alle, Alle die, welche Verlangen nach mir hatten, haben es auf mir gestillt: Männer, Jünglinge, Greise, Kinder, Frauen, Mädchen. Ich habe Niemanden zurückgewiesen, hörst Du wohl? Seit sieben Jahren, Demetrios, habe ich nur drei Nächte allein geschlafen. Rechne aus, wie viel Liebhaber das macht? Zweitausend fünfhundert, und mehr, denn ich spreche nicht von denjenigen, die ich des Tages hatte. Im vorigen Jahr habe ich nackt vor zwanzigtausend Personen getanzt, und ich weiß, daß Du nicht dabei warst. Glaubst Du, daß ich mich verberge? Ach, weßhalb denn? Alle Frauen haben mich im Bade gesehen. Alle Männer haben mich im Bett gesehen. Du allein wirst mich nie sehen. Ich weise Dich zurück, ich weise Dich zurück! Von dem was ich bin, von dem was ich fühle, von meiner Schönheit, von meiner Liebe wirst Du niemals, niemals Etwas wissen! Du bist ein abscheulicher Mensch, Du bist dünkelhaft, grausam, gefühllos und feig! Ich weiß nicht, warum nicht Eine von uns genügenden Hasses fähig war, um Euch beide zu tödten, den Einen auf der Anderen: Dich zuerst und dann Deine Königin.«

Demetrios nahm ihr ruhig die beiden Arme, und ohne ein Wort zu erwidern, beugte er sie mit Gewalt zurück.

Einen Augenblick wurde es ihr bange; aber plötzlich drückte sie die Kniee zusammen und preßte die Ellenbogen an einander und mit dem Oberkörper zurückweichend sagte sie:

»Ha! das fürchte ich nicht, Demetrios! Du wirst mich nie mit Gewalt bekommen, wäre ich auch schwach wie eine verliebte Jungfrau und Du stark wie ein Atlas. Du suchst nicht nur Deinen eigenen Genuß, Du willst besonders den meinen. Du willst mich auch sehen, mich ganz sehen, weil Du mich für schön hältst und ich bin es thatsächlich. Und der Mond erleuchtet weniger als meine zwölf Wachskerzen. Hier ist es fast dunkle Nacht. Es ist auch nicht üblich, sich am Strande zu entkleiden. Ich könnte mich nicht wieder ankleiden, wenn ich meine Sklavin nicht da hätte. Laß mich los, Du thust mir am Arme weh.«

Sie schwiegen einige Augenblicke, dann begann Demetrios von Neuem:

»Wir müssen ein Ende machen, Chrysis. Du weißt es wohl, ich werde Dich nicht zwingen. Aber laß mich Dir folgen. So hochmüthig Du auch seist, es ist ein Ruhm, den Du theuer bezahlen wirst, Demetrios zurückzuweisen.«

Chrysis schwieg immer noch.

Sanfter begann er von Neuem:

»Was fürchtest Du?

– Du bist an die Liebe der Anderen gewöhnt. Weißt Du, was man einer Hetäre geben soll, die nicht liebt?

Er wurde ungeduldig.

»Ich verlange nicht, daß Du mich liebst. Ich bin es müde geliebt zu werden. Ich will nicht geliebt werden. Ich verlange nur, daß Du dich hingibst. Dafür werde ich Dir alles Gold der Welt geben. Ich habe es in Aegypten.

– Ich habe es in meinem Haar. Ich bin des Goldes überdrüssig. Ich will kein Gold. Ich will nur drei Dinge. Wirst Du mir sie geben?«

Demetrios fühlte, daß sie das Unmögliche verlangen würde. Er schaute sie beklommen an. Doch sie begann zu lächeln und sagte langsam:

»Ich will einen Silberspiegel, um meine Augen in meinen Augen zu betrachten.

– Du wirst ihn haben. Was willst Du mehr? Sage schnell.

– Ich will einen Kamm aus geschnitztem Elfenbein, um ihn in mein Haar zu tauchen, wie ein Netz in das Wasser bei Sonnenschein.

– Dann?

– Du wirst mir den Kamm geben?

– Natürlich ja. Sprich zu Ende.

– Ich will ein Halsband aus Perlen, um es auf meiner Brust auszubreiten, wenn ich für Dich, in meinem Gemache die Hochzeitstänze meines Landes tanzen werde.

Er hob die Augenbrauen:

– Ist das Alles?

– Wirst Du mir das Halsband geben?

– Dasjenige, welches Dir gefallen wird.

Sie nahm eine sehr zärtliche Stimme an.

– Welches mir gefallen wird? Ha! das ist es gerade, was ich von Dir verlangen wollte. Wirst Du mich meine Geschenke wählen lassen?

– Versteht sich.

– Schwörst Du es?

– Ich schwöre.

– Welchen Schwur leistest Du?

– Schreibe mir ihn vor.

– Bei der Aphrodite, die Du gemeißelt hast.

– Ich schwöre bei der Aphrodite. Aber weßhalb diese Vorsicht?

– Nun… Ich war nicht ruhig… Jetzt bin ich es.

Sie hob den Kopf und sagte:

– Ich habe meine Geschenke gewählt.

Demetrios wurde wieder unruhig und fragte:

– Schon?

– Ja… Glaubst Du, ich würde irgend welchen Silberspiegel annehmen, den Du von einem Händler aus Smyrna oder von einer unbekannten Hetäre kaufen würdest? Ich will denjenigen meiner Freundin Bacchis, welche mir vergangene Woche meinen Geliebten genommen hat und in einem kleinen Gelage, das sie mit Tryphaera, Mousarion und einigen jungen Gecken hielt, die mir Alles wieder erzählt haben, mich boshaft ausgelacht hat. Es ist ein Spiegel, der ihr sehr theuer ist, weil er Rhodopis gehört hat, Rhodopis, die mit Aesop Sklavin war und durch den Bruder der Sappho freigekauft wurde. Du weißt, daß sie eine berühmte Hetäre ist. Ihr Spiegel ist herrlich. Man sagt, daß Sappho sich darin beschaut hat, und darum ist er Bacchis so theuer. Sie hat nichts Kostbareres in der Welt, aber ich weiß, wo Du ihn finden wirst. Sie hat es mir in einer Nacht gesagt, als sie trunken war. Er liegt unter dem dritten Stein des Haus-Altars. Dort verbirgt sie ihn jeden Abend, wenn sie bei Sonnenuntergang ausgeht. Gehe morgen zu dieser Stunde hin und sei unbesorgt: sie führt ihre Sklavinen mit.

– Das ist ja Wahnsinn! rief Demetrios aus. Soll ich denn stehlen?

– Liebst Du mich nicht? Ich glaubte, daß Du mich liebest. Und dann, hast Du nicht geschworen? Ich glaubte, Du hättest geschworen. Wenn ich mich geirrt habe, sprechen wir nicht weiter davon.«

Er begriff, daß sie ihn ins Verderben trieb, aber er ließ sich kampflos, fast willig fortreißen.

»Was Du willst, werde ich thun«, antwortete er.

– Oh! ich weiß wohl, daß Du es thun wirst. Aber Du zögerst noch. Ich begreife, daß Du zögerst. Es ist kein gewöhnliches Geschenk; von einem Philosophen würde ich es nicht verlangen. Aber von Dir verlange ich es. Ich weiß wohl, daß Du es mir geben wirst.

Sie spielte einen Augenblick mit den Pfauenfedern ihres runden Fächers und sagte dann plötzlich:

»Ha! … ich will auch keinen gewöhnlichen Elfenbeinkamm, der bei einem Verkäufer der Stadt zu kaufen ist. Du hast mir gesagt, ich könne wählen, nicht wahr? Nun, ich will … ich will den Kamm aus geschnitztem Elfenbein, der in den Haaren der Gattin des Hohenpriesters steckt. Der ist noch viel kostbarer, als der Spiegel der Rhodopis. Er kommt von einer Königin Aegyptens, welche vor langer, langer Zeit gelebt hat und deren Name so schwer ist, daß ich ihn nicht aussprechen kann. Das Elfenbein ist denn auch sehr alt, und so gelb als wäre es vergoldet. Es ist ein junges Mädchen hineinziseliert worden, das einen Tümpel mit Lotosblumen durchwatet. Die Lotosblumen sind größer als das Mädchen und es geht auf den Zehen, um nicht naß zu werden … Es ist wirklich ein schöner Kamm … ich bin froh, daß Du mir ihn giebst. Ich habe mich auch ein wenig gegen die Besitzerin des Kammes zu beschweren. Vorigen Monat habe ich der Aphrodite einen blauen Schleier dargebracht; und am nächsten Tage habe ich ihn auf dem Kopfe dieser Frau gesehen. Das ist etwas schnell gegangen und ich grollte ihr deshalb. Ihr Kamm wird mich für meinen Schleier rächen.

– Und wie werde ich ihn bekommen? fragte Demetrios.

– Ach! Das wird ein wenig schwieriger sein. Du weißt, daß sie eine Aegypterin ist; sie sticht ihre zweihundert Zöpfchen nur ein Mal im Jahr, wie die anderen Frauen ihrer Rasse. Aber ich will meinen Kamm morgen haben, und Du wirst sie tödten, um ihn zu erhalten. Du hast einen Schwur geleistet.

Sie machte Demetrios ein Mäulchen, weil dieser zur Erde schaute. Dann schloß sie sehr schnell:

»Ich habe auch mein Halsband gewählt. Ich will das Halsband mit sieben Perlenreihen, das den Hals der Aphrodite schmückt.«

Demetrios fuhr auf.

»Ha! das ist zu viel! Du wirst mich nicht bis zu Ende zum Besten haben! Nichts, hörst Du, nichts! weder Spiegel, noch Kamm, noch Halsband sollst Du haben …«

Doch sie schloß ihm den Mund mit der Hand und fuhr mit ihrer einschmeichelnden Stimme fort:

»Sage das nicht. Du weißt wohl, daß Du mir auch das Halsband geben wirst. Ich bin dessen ganz sicher. Ich werde die drei Geschenke erhalten … Du wirst morgen Abend zu mir kommen, und übermorgen, wenn Du willst, und jeden Abend. Zu Deiner Stunde werde ich da sein, in dem Kostüm, das Du liebst, nach Deinem Geschmacke geschminkt, nach Deinem Belieben gekämmt, zu allen Deinen Launen bereit. Wenn Du nur Zärtlichkeit willst, werde ich Dich wie ein Kind lieben. Wenn Du seltene Sinneslüste suchst, werde ich Dir selbst die schmerzhaftesten nicht verweigern. Wenn Du Schweigen verlangst, werde ich still sein … Wenn Du mich singen hören willst, ha! Du wirst sehen, Geliebter! ich kenne Lieder aus allen Ländern. Ich weiß solche, die lieblich sind wie das Plätschern der Quelle, andere, die furchtbar sind, wie das Herannahen des Donners. Ich weiß so naive und frische, daß ein junges Mädchen sie ihrer Mutter singen würde und ich weiß solche, die man nicht in Lampsach singen würde; ich weiß solche, welche Elephantis zum Erröthen gebracht hätten und welche ich nur ganz leise zu singen wagen würde. In den Nächten, wo Du wünschen wirst, daß ich tanze, werde ich bis zum Morgen tanzen. Ich werde angekleidet tanzen, mit meiner schleppenden Tunika, oder unter durchsichtigen Schleiern, oder mit durchbrochenen Beinkleidern und einem Leibchen mit zwei Öffnungen, um die Brüste durchzulassen. Doch ich habe Dir versprochen nackt zu tanzen? Ich werde nackt tanzen, wenn Du es lieber siehst. Nackt und mit Blumen in den Haaren, oder nackt, mit wallendem Haar, und bemalt wie ein heiliges Bild. Ich verstehe es die Hände zu wiegen, die Arme abzurunden, die Brust zu schütteln, den Bauch zu bewegen. Ich tanze auf den Fußspitzen, oder auf dem Teppich liegend. Ich kenne alle Tänze der Aphrodite, solche, die man vor der Urania tanzt, und solche, die man vor der Astarte tanzt. Ich kenne sogar solche, die man sich nicht zu tanzen getraut … Ich werde Dir alle Liebestänze vorführen … Wenn ich damit zu Ende bin, wird Alles von Neuem beginnen. Du wirst sehen. Die Königin ist reicher als ich, aber im ganzen Palaste ist kein Gemach, welches so von Liebe erfüllt ist, wie das meine. Ich sage Dir nicht, was Du dort finden wirst. Es giebt dort Dinge, welche zu schön sind, als daß ich Dir eine Vorstellung davon geben könnte, und andere, die so schmählich sind, daß ich keine Worte finde, um sie zu sagen. Und dann, weißt Du, was Du noch sehen wirst, und was alles Andere übertrifft? Du wirst Chrysis sehen, Chrysis, die Du liebst, und die Du noch nicht kennst. Ja, Du hast nur mein Gesicht gesehen. Du weißt nicht, wie schön ich bin. Ha! Ha! … Ha! Ha! Du wirst Überraschungen erleben! … Ha! wie Du mit den Spitzen meiner Brüste spielen wirst, wie sich meine Taille in Deinem Arme biegen wird, wie Du in der Pressung meiner Kniee zittern wirst, wie Du auf meinem bewegten Körper hinsterben wirst. Und wie süß wird mein Mund Dir sein! Ach! meine Küsse …«

Demetrios warf ihr einen trostlosen Blick zu.

Zärtlich begann sie von Neuem:

»Wie, Du willst mir nicht einmal einen armseligen alten Silberspiegel geben. Du, der all mein Haar, wie einen Wald von Gold, in den Händen haben wird?«

Demetrios wollte sie berühren … Sie trat zurück und sagte:

»Morgen!«

– Du wirst ihn erhalten, murmelte er.

– Und Du willst nicht einen kleinen Elfenbeinkamm für mich stehlen, der mir gefällt? Du, der meine beiden Arme wie zwei Elfenbeinzweige um Deinen Hals haben wird?«

Er versuchte sie zu liebkosen … sie zog sie zurück, und wiederholte:

»Morgen!

– Ich werde Dir ihn bringen, sagte er sehr leise.

– Ha! ich wußte es wohl, rief die Hetäre, und Du wirst mir auch das Halsband mit sieben Reihen Perlen geben, das am Halse der Aphrodite hängt, und dafür werde ich Dir meinen ganzen Körper verkaufen, der wie eine halbgeöffnete Perlenmuschel ist, und mehr Küsse in Deinen Mund, als es Perlen im Meere giebt!«

Demetrios neigte flehend sein Haupt zu ihr … Sie beherrschte seinen Blick und bot ihm ihre wollüstigen Lippen …

Als er die Augen wieder öffnete, war sie schon weit fort.

Ein kleiner, fahler Schatten eilte hinter ihrem wallenden Schleier einher.

Schwankend schlug er den Weg zur Stadt ein, die Stirne unter einer unaussprechlichen Schmach beugend.