Zwölftes Kapitel


Ich werfe das geistliche Gewand ab und ziehe den Soldatenrock an. – Teresa reist nach Neapel, und ich gehe nach Venedig, wo ich in den Dienst meines Vaterlandes trete. – Ich schiffe mich nach Korfu ein und gehe in Orfera an Land, um einen Spaziergang zu machen.

Bei meiner Ankunft in Bologna quartierte ich mich, um niemandes Blick auf mich zu ziehen, natürlich in einem kleinen Gasthofe ein; sobald ich dann an Teresa und den französischen Offizier geschrieben hatte und meine Briefe auf der Post waren, dachte ich daran, mir neue Wäsche zu kaufen; da auch das Eintreffen meines Koffers mindestens unsicher war, glaubte ich gut zu tun, wenn ich mir Kleider machen ließe. Während dieser Gedanken kam mir die Erwägung, daß ich in Zukunft kaum mehr mein Glück im geistlichen machen würde; ungewiß indes über die von mir zu treffende Wahl, hatte ich den Einfall, mich in einen Offizier zu verwandeln, da ich über meine Handlungen ja sicherlich niemandem Rechenschaft zu geben hatte. Dieser Gedanke war in meinem Alter natürlich, denn ich kam von zwei Heeren, wo ich nur den Soldatenrock in Ehren gesehen hatte, und ich fand es gut, mir ebenfalls Achtung zu verschaffen. Da ich überdies nach Venedig zurückkehren wollte, entzückte mich der Gedanke, mich in dem Gewande der Ehre dort zu zeigen, da man mich ja in dem der Religion dort ziemlich schlecht behandelt hatte.

Ich fragte nach einem guten Schneider; man ließ mir »den Tod« kommen; der Mann nämlich, den man mir brachte, hieß Morte. Nachdem ich das Tuch gewählt und ihm erklärt hatte, wie ich meine Uniform wünschte, nahm er mir Maß, und am folgenden Tag schon war ich in einen Jünger des Mars verwandelt. Ich versah mich mit einem langen Degen. Meinen schönen Stock in der Hand, einen keck aufgekrempten Hut mit schwarzer Kokarde auf dem Kopf und einem langen künstlichen Zopf auf dem Rücken, so ging ich aus und sah mich überall in der Stadt um.

Ich glaubte, meine neue Würde erheische eine imposantere Wohnung als die von mir bei meiner Ankunft genommene, und so zog ich in den besten Gasthof. Noch heute erinnere ich mich gern des angenehmen Eindrucks, den ich auf mich selbst machte, als ich mich nach Herzenslust in einem schönen Spiegel bewundern konnte. Ich war von mir entzückt! Ich erschien mir bewundernswert und dazu geschaffen, den Soldatenrock, den ich in einer glücklichen Eingebung gewählt hatte, zu tragen und zu Ehren zu bringen. Da ich sicher war, von niemandem gekannt zu sein, malte ich mir mit lebhafter Freude im voraus die Vermutungen aus, die man bei meinem Erscheinen im ersten Kaffeehaus der Stadt an meine Person knüpfen würde.

Meine Uniform war weiß, die Weste blau, mit gold- und silbernen Fangschnüren und gleicher Degenquaste. Von meinem imponierenden Aussehen sehr befriedigt, ging ich ins Kaffeehaus, las, während ich meine Schokolade trank, ganz unbefangen die Zeitung und freute mich innerlich, wie ich sah, daß alle Leute sich für mich interessierten, während ich selbst darauf gar nicht zu achten schien. Ein kecker Mensch richtete unter irgendeinem Vorwand das Wort an mich; ich antwortete ihm nur einsilbig und machte so die Geriebensten irre. Nachdem ich mich im Kaffeehause zur Genüge hatte bewundern lassen, führte ich meine Wichtigkeit in den belebtesten Straßen der Stadt spazieren und kehrte dann in meinen Gasthof zurück, wo ich allein zu Mittag aß.

Gleich nach dem Essen kam mein Wirt mit einem Buch, in das er mich meine Personalien einzuschreiben bat.

»Casanova.«

»Ihr Stand, mein Herr, bitte?«

»Offizier.«

»In wessen Dienst?«

»In keinem.«

»Ihr Vaterland?«

»Venedig.«

»Woher kommen Sie?«

»Das geht Sie nichts an!«

Diese mit einem, wie ich glaubte, meinem Äußeren entsprechenden Ton hervorgestoßenen Worte taten ihre Wirkung: Der Wirt ging, und ich war mit mir sehr zufrieden, denn ich erriet, daß der Wirt auf Antrieb irgendwelcher Neugieriger gekommen war, und ich wußte, daß man in Bologna in voller Freiheit lebte.

Am nächsten Tag ging ich zu dem Bankier Orsi, um mir meinen Wechsel bezahlen zu lassen; ich nahm einen neuen von sechshundert Zechinen auf Venedig und hundert Zechinen in Gold. Dann führte ich wie am Tag zuvor meine neue Würde in der Stadt spazieren. Am folgenden Tag meldete man mir, während ich meinen Kaffee nach Tisch trank, den Bankier Orsi. Überrascht durch diesen Besuch, ließ ich ihn eintreten und sah in seiner Begleitung Monsignore Cornaro; doch tat ich, als ob ich diesen nicht kenne. Nachdem Herr Orsi mir gesagt, er komme, um mir Geld auf meine Tratten zu bieten, stellt er mir den Prälaten vor. Ich erhebe mich und sage, ich sei entzückt, seine Bekanntschaft zu machen. »Wir kennen uns bereits«, erklärte er, »von Venedig und Rom.« Ich tat verlegen und erwiderte ihm, er irrte sich bestimmt. Der Prälat glaubte den Grund meiner Zurückhaltung zu kennen, bestand nicht auf seiner Behauptung und entschuldigte sich. Ich lud ihn zu einer Tasse Kassee ein; er nahm an; dann verabschiedete er sich mit der Bitte, ihm am nächsten Tag die Ehre zu erweisen, bei ihm zu frühstücken.

Entschlossen, beim Leugnen zu verharren, begebe ich mich zu dem Prälaten, der mich sehr freundlich empfängt. Er war damals apostolischer Protonotar in Bologna. Man brachte die Schokolade und während wir sie tranken, sagte er mir, ich könnte sehr gute Gründe für meine Zurückhaltung haben, doch wäre es um so mehr unrecht von mir, ihm gegenüber es an Vertrauen fehlen zu lassen, als die fragliche Angelegenheit mir Ehre machte. »Ich weiß nicht, Monsignore,« erwiderte ich ihm, »um welche Angelegenheit es sich handelt.« Nun reicht er mir eine Zeitung und bittet mich, einen Artikel, den er mir zeigt, zu lesen. Man denke sich meine Überraschung, als ich den unter der Rubrik Pesaro stehenden Artikel sah: »Herr von Casanova, Offizier im Regiment der Königin, ist desertiert, nachdem er im Duell einen Hauptmann getötet hat. Man kennt die Umstände dieses Duells nicht, man weiß nur, daß der genannte Offizier auf Pferde des anderen, der tot auf dem Platz blieb, den Weg nach Rimini eingeschlagen hat.«

Trotz meiner Überraschung und Lachlust, die mich erfüllte, als ich einen Artikel sah, in dem sich so viel Falsches mit so wenig Wahrem mischte, blieb ich Herr meines Gesichtsausdrucks und sagte dem Prälaten der Casanova in der Zeitung wäre ein anderer als ich.

»Das kann sein, doch sind Sie sicher derselbe, den ich vor einem Monat bei dem Kardinal Aequaviva und vor zwei Jahren bei meiner Schwester, Frau Lovedan, in Venedig sah. Übrigens bezeichnet der Bankier in Ancona in seinem Wechsel auf Herrn Orsi Sie auch als Abbate.«

»Nun wohl, Monsignore, Euer Exzellenz zwingt mich, das zuzugeben, ich bin derselbe, doch bitte ich Sie, hierauf alle Fragen, die Sie an mich stellen könnten, zu beschränken. Die Ehre verpflichtet mich heute zum strengsten Schweigen.«

»Das genügt mir, und ich bin befriedigt. Sprechen wir von anderen Dingen.«

Nach einigen Augenblicken einer ebenso freundlichen wie artigen Unterhaltung verließ ich ihn, indem ich ihm für alle Dienstanerbietungen dankte, die er mir machte. Ich sah diesen Prälaten erst sechzehn Jahre später wieder und werde davon an seiner Stelle sprechen. Ich lachte innerlich über alle falschen Geschichten und Umstände, die sich vereinigten, um ihnen den Stempel der Wahrheit aufzudrücken, und wurde seitdem ein großer Skeptiker hinsichtlich geschichtlichen Wahrheiten. Inzwischen hatte ich ein wahres Vergnügen daran, durch meine Zurückhaltung den Gedanken zu nähren, ich wäre derselbe Casanova, von dem die Zeitung von Pesaro sprach. Ich war sicher, der Prälat würde nach Venedig schreiben, wo diese Tat mir Ehre machen würde, wenigstens solange, bis man die Wahrheit entdeckte, die dann meine Zurückhaltung gerechtfertigt hätte. Übrigens konnte ich dann schon weit fort sein. Dieser Gedanke trug viel zu dem Entschlusse bei, nach Venedig zu gehen, sobald ich einen Brief von Teresa empfangen hätte, da ich sie dort viel bequemer als in Bologna erwarten zu können glaubte. Übrigens hätte mich in meinem Vaterlande nichts abhalten können, sie öffentlich zu heiraten. Vorläufig amüsierte mich die Fabel, und ich erwartete täglich eine Berichtigung in den Zeitungen. Der Offizier Casanova mußte jedenfalls über das angeblich von ihm entführte Pferd ebenso lachen, wie ich über die Laune lachte, die mich bewog, mich in Bologna in einen Offizier zu verwandeln, als hätte ich ausdrücklich dieser Fabel Rückgrat geben wollen.

Am vierten Tag meines Aufenthalts erhielt ich durch besonderen Boten einen dicken Brief von Teresa. Sie teilte mir mit, daß am Tag nach meiner Abreise von Rimini der Baron Vais ihr den Herzog von Castropignano vorgestellt hatte, der ihr, nachdem er sie singen gehört, tausend Unzen jährlich bei freier Reise angeboten hätte, wenn sie im Theater von San Carlo singen wollte, wohin sie sich unmittelbar nach ihrem Engagement in Rimini begeben sollte. Sie hatte um acht Tage Bedenkzeit gebeten und sie erhalten. Ihrem Brief hatte sie zwei besondere Blätter beigefügt; das eine war der geschriebene Vertrag des Herzogs, den sie mir zur Kenntnisnahme schickte und nicht ohne meine Zustimmung unterzeichnen wollte; das andere eine förmliche Verpflichtung, lebenslänglich mir zu Diensten zu bleiben. Sie schrieb mir, wenn ich mit ihr nach Neapel gehen wollte, würde sie sich an jedem von mir gewünschten Ort mit mir treffen, und wenn ich der Rückkehr in jene Stadt abgeneigt wäre, sollte ich den günstigen Vorschlag einfach abweisen und überzeugt sein, daß sie kein anderes Glück kenne, als alles nach meinem Wunsch zu tun.

Zum ersten Male in meinem Leben sah ich mich in die Notwendigkeit versetzt, zu überlegen, ehe ich einen Entschluß faßte. Dieser Brief hatte alle meine Gedanken verwirrt und ich bestellte den Boten, da ich nicht sogleich antworten konnte, auf den nächsten Tag.

Zwei gleichmächtige Beweggründe hielten die Wagschale im Gleichgewicht: Eitelkeit und Liebe. Ich fühlte, ich durfte von Teresa mcht verlangen, ein so großes Glück zu verschmähen oder sich entgehen zu lassen; doch konnte ich es weder über mich gewinnen, Teresa ohne mich nach Neapel gehen zu lassen, noch mit ihr dorthin zu gehen. Einerseits zitterte ich bei dem Gedanken, meine Liebe könnte Teresas Glück hinderlich sein, andererseits fürchtete ich mich vor der Verletzung, die meiner Eigenliebe widerfahren konnte, wenn ich mit ihr nach Neapel ging. Wie konnte ich mich auch entschließen, in dieser Stadt, nachdem ich sie vor sieben oder acht Monaten verlassen hatte, wieder zu erscheinen und noch dazu im Gewande eines Elenden, der auf Kosten seiner Frau oder seiner Geliebten lebt? Was hätten mein Vetter Don Antonio, Don Polo und sein teurer Sohn, Don Lelio Caraffa und der ganze Adel gesagt, der mich kannte? Ich bebte bei dem Gedanken an Lucrezia und ihren Gatten. Ich wußte, daß ich mich, wenn mich dort alle Leute verachteten, trotz meiner Zärtlichkeit für Teresa sehr unglücklich fühlen würde. Als Liebhaber oder Gatte mit ihrem Lose verbunden, wäre ich mir verächtlich, erniedrigt vorgekommen und hätte mich als Schmarotzer von Beruf und Handwerk gefühlt. Dann überlegte ich, daß ich mich in der ersten Blüte meiner jungen Jahre fesseln und so für immer auf das große Glück, für das ich mich geboren glaubte, verzichten wollte, und ich fühlte, daß die Wage ihr Gleichgewicht verlor und mein Verstand meinem Herzen Schweigen gebot. Da ich ein Mittel, Zeit zu gewinnen, gefunden zu haben glaubte, blieb ich dabei stehen. Ich schrieb Teresa, sie sollte annehmen und nach Neapel gehen und dürfte versichert sein, daß ich dort entweder im Juli oder bei meiner Rückkehr von Konstantinopel sie treffen würde. Ich riet ihr, sie möchte eine Kammerfrau von anständigem Äußern nehmen, um in der vornehmen Welt gebührend auftreten zu können, und möchte sich so benehmen, daß ich sie bei meiner Ankunft ohne Erröten heiraten könnte. Ich sah voraus, daß ihr Glück von ihrer Schönheit noch mehr als von ihrem Talent abhängen würde, und da ich meinen Charakter kannte, wußte ich, daß ich niemals ein gefälliger Liebhaber oder ein gefälliger Gatte sein würde.

Wäre Teresas Botschaft eine Woche früher in meine Hände gekommen, so wäre sie sicherlich nicht nach Neapel gegangen, denn damals wäre meine Liebe stärker gewesen als mein Verstand. Doch in der Liebe wie in allem anderen ist die Zeit ein mächtiger Herr. Ich schrieb ihr, sie sollte mir nach Bologna Antwort geben, und drei Tage danach erhielt ich einen traurig-zärtlichen Brief, in dem sie mir mitteilte, sie hätte ihr Engagement unterzeichnet und eine Kammerfrau, die sie als ihre Mutter vorstellen könnte, angenommen; sie wäre im Mai in Neapel und würde auf mich so lange warten, bis ich ihr erklärte, daß ich nichts mehr von ihr wissen wollte. Vier Tage nach dem Empfang dieses Briefes, des vorletzten von Teresa, reiste ich nach Venedig.

Vor meiner Abreise erhielt ich einen Brief von einem französischen Offizier, der mir meldete, mein Paß wäre eingetroffen, und er würde ihn mir mit meinem Koffer schicken, wenn ich vorher Herrn Marcello Birna, Kommissionär des spanischen Heeres, dessen Adresse er mir gab, fünfzig Dublonen für das Pferd gezahlt hätte, das ich oder das mich entführte. Ich begab mich sofort zu dem Herrn, sehr befriedigt, diese Angelegenheit beendigen zu können, und erhielt meinen Koffer und Paß einen Augenblick vor meiner Abreise. Da übrigens alle Leute erfuhren, daß ich das Pferd bezahlt hatte, ward Monsignore Cornaro in dem Gedanken bestätigt, ich hätte meinen Hauptmann im Duell getötet.

Um nach Venedig zu gelangen, mußte man Quarantäne halten, doch bestand diese Formalität nur noch, weil beide Regierungen auf gespanntem Fuß standen. Die Venezianer wünschten, der Papst sollte zuerst seine Grenzen öffnen, und der Pontifex verlangte, die Venezianer sollten den ersten Schritt tun. Aus all diesen Zwistigkeiten entsprangen große Nachteile für den Handel, aber bloße Bedürfnisse der Völker werden ja oft sehr leichtfertig behandelt. Ich wollte mich dieser Formalität nicht unterwerfen und wußte mich mit ihr auf folgende Weise abzufinden. Die Sache war bedenklich, denn in Venedig herrscht in Gesundheitsmaßregeln außerordentlich große Strenge; doch damals fand ich ein besonderes Vergnügen daran, alles zu tun, was verboten oder doch mindestens sehr schwierig war.

Ich wußte, daß man aus Mantua nach Venedig passieren konnte, ich wußte ebenfalls, daß der Verkehr zwischen Mantua und Modena unbeschränkt war. Wenn ich folglich nach Mantua gehen und den Schein erwecken konnte, ich käme aus Modena, ging die Sache; denn von dort konnte ich irgendwo den Po passieren und zu Wagen nach Venedig reisen. Ich nahm einen Wagen nach Rovero, einer Stadt am Po im Staate Mantua.

Der Kutscher sagte mir, er könnte auf Seitenwegen nach Rovero fahren und erklären, wir kämen von Mantua; der einzige Hinderungsgrund wäre nur, daß wir das Gesundheitszeugnis von Mantua, das von uns am Tore gefordert würde, nicht vorzeigen könnten. Ich forderte ihn auf zu erklären, er hätte es verloren, und alles andere nur mir zu überlassen. Ein wenig Geld bestimmte ihn, nach meinem Willen zu tun.

Am Tor von Rovero gab ich mich für einen Offizier des spanischen Heeres aus und sagte, ich ginge nach Venedig, um mit dem Herzog von Modena, der damals dort weilte, in sehr wichtigen Angelegenheiten zu sprechen. Man fragte nicht nur nicht den Kutscher nach dem Gesundheitszeugnis, sondern man erwies mir auch die militärischen Ehrenbezeigungen und war außerordentlich höflich gegen mich. Man gab mir sofort ein Attest, als käme ich von Rovero, und damit passierte ich bei Ostiglia den Po, von wo ich mich nach Legnago begab. Dort entließ ich meinen Kutscher, der mit meiner Freigebigkeit ebenso zufrieden war, wie mit der Leichtigkeit der Reise, nahm die Post und kam am Abend in Venedig an. Ich bemerkte, daß es der 2. April 1744 war, mein Geburtstag, der zehnmal in meinem Leben durch ein besonderes Ereignis gekennzeichnet worden ist.

Am nächsten Tag schon ging ich auf die Börse, um eine Überfahrt nach Konstantinopel zu suchen. Da ich aber kein Schiff fand, das vor zwei oder drei Monaten absegeln sollte, mietete ich eine Kajüte auf einem Linienschiff, das im Laufe des Monats nach Korfu abgehen sollte. Es war ein venezianisches Schiff: »Unsere liebe Frau vom Rosenkranz«, von Kapitän Zisano befehligt.

Nachdem ich mich so darauf vorbereitet hatte, meinem Schicksal zu gehorchen, das mich nach meinem abergläubischen Sinn nach Konstantinopel rief, ging ich auf den Marktplatz, um dort zu sehen und gesehen zu werden. Im voraus genoß ich schon die Überraschung meiner Bekannten, die sehr erstaunt darüber sein mußten, in mir nicht mehr den Herrn Abbate zu finden. Ich darf nicht vergessen, meinen Lesern zu sagen, daß ich in Rovero meinen Hut mit einer roten Kokarde geschmückt hatte.

Ich hielt mich für verpflichtet, Besuche zu machen, und glaubte, der erste gebühre mit Recht dem Abbate Grimani. Sobald er mich erblickte, schrie er laut auf, denn er glaubte mich noch bei dem Kardinal Acquaviva in der diplomatischen Laufbahn und sah nun einen Priester des Mars vor sich. Er erhob sich vom Tisch, als ich eintrat, und er hatte Gesellschaft bei sich. Unter den Gästen bemerkte ich einen Offizier in spanischer Uniform, doch brachte mich dies keineswegs aus der Fassung. Ich sagte dem Abbate Grimani, ich hätte es, da ich nur durchreiste für meine Pflicht gehalten, ihm meine Aufwartung zu machen.

»Ich erwartete nicht, Sie in einer solchen Kleidung zu sehen.«

»Ich faßte den klugen Entschluß, die abzulegen, die mir kein genügendes Glück bieten konnte.«

»Wohin gehen Sie?«

»Nach Konstantinopel, und ich hoffe eine baldige Überfahrt nach Korfu zu finden, denn ich bin mit Depeschen des Kardinals Acquaviva versehen.«

»Woher kommen Sie jetzt?«

»Von dem spanischen Heer, bei dem ich vor zehn Tagen war.« Nach diesen meinen Worten hörte ich einen jungen Herrn rufen:

»Das ist nicht wahr!« »Mein Stand«, versetzte ich sofort, »gestattet mir nicht, mich Lügen strafen zu lassen«, und damit verneigte ich mich im Kreise und ging davon, ohne auf die Zurufe der Gäste, die mich zurückhalten wollten, zu achten.

Ich trug eine Uniform. Ich mußte, so schien es mir, ebenfalls jenen reizbaren Stolz besitzen, jenen Hochmut, der so viele Militärs charakterisiert. Ich war nicht mehr Priester, ich durfte also nicht dulden, Lügen gestraft zu werden und vor allem, wenn dies so öffentlich geschah.

Ich ging zu Frau Manzoni, die zu sehen es mich verlangte. Mein Anblick entzückte sie, und sie verfehlte nicht, mich an ihre Prophezeiung zu erinnern. Ich erzählte ihr meine Geschichte, die sie sehr befriedigte; aber sie sagte mir, wenn ich nach Konstantinopel ginge, würde ich sie sehr wahrscheinlich nicht mehr wiedersehen.

Nachdem ich Frau Manzoni verlassen hatte, begab ich mich zu Frau Orio, wo ich den guten Herrn Rosa, Nannetta und Martina fand. Ihre Überraschung war außerordentlich groß: sie waren wie versteinert. Die beiden liebenswürdigen Schwestern kamen mir noch schöner vor, aber ich fand es nicht passend, ihnen die ganze Geschichte meiner neunmonatlichen Abwesenheit zu erzählen, denn sie hätte weder die Tante erbauen noch den Nichten gefallen können. Ich begnügte mich daher, ihnen zu sagen, was ich wollte, und es gelang mir, sie drei Stunden lang angenehm zu unterhalten. Da ich die gute Frau ganz begeistert sah, erklärte ich ihr, es hinge nur von ihr ab, mich die vier bis fünf Wochen, die ich in Venedig zubringen müßte, zu besitzen, indem sie mir ein Zimmer und das Abendessen gäbe, doch unter der Bedingung, daß ich ihr ebensowenig wie ihren reizenden Nichten beschwerlich falle. »Ich würde glücklich sein,« entgegnete sie mir, »wenn ich Ihnen ein Zimmer anbieten könnte.« – »Sie haben es, meine Teure,« erwiderte ihr ihr Freund Rosa, »und ich übernehme es, in zwei Stunden es in Ordnung zu bringen.«

Es war das Zimmer, das an das der Nichten stieß. Nannetta nahm das Wort und erklärte, sie würde mit ihrer Schwester nach unten ziehen, doch Frau Orio antwortete ihr, das wäre nicht nötig, da sie sich in ihrem Zimmer einschließen könnten.

»Sie werden es nicht nötig haben, Signora,« erklärte ich ernst und bescheiden, »und wenn ich die geringste Störung verursachen sollte, würde ich es vorziehen, im Gasthof zu bleiben.« »Sie werden keine hervorrufen, aber verzeihen Sie meinen Nichten, sie sind kleine Zierpuppen, die eine große Meinung von sich haben.«

Als nun alles so geordnet war, nötigte ich die Frau, fünfzehn Zechinen im voraus zu empfangen, und versicherte ihr, ich wäre reich und gewänne bei diesem Handel noch, da ich in dem Gasthof viel mehr Geld verbrauchen würde. Ich fügte hinzu, ich würde am nächsten Tag meinen Koffer schicken und bei ihr einziehen. Während dieses Gespräches sah ich die Freude sich in den Augen meiner kleinen Frauen malen, die ihr Recht auf mein Herz wiedergewannen – trotz meiner Liebe zu Teresa, die ich stets mit den Augen der Seele sah; doch dies war nur vorübergehende Untreue und keine Unbeständigkeit. Am folgenden Tag ging ich ins Kriegsministerium, doch trug ich Sorge, ohne Kokarde mich dort einzufinden, um jede Verlegenheit zu vereiden. Ich fand dort den Major Pelodoro, der vor Freude, mich im Soldatenrock zu sehen, mir um den Hals fiel. Sobald ich ihm gesagt hatte, ich müßte nach Konstantinopel gehen und wäre trotz meiner Uniform frei, drang er lebhaft in mich, mir den Vorteil zu sichern, mit dem Bailo nach der Türkei zu reisen, da dieser in zwei Monaten spätestens abreisen sollte; ja er riet mir sogar, ich möchte doch den Versuch machen, in den Dienst Venedigs zu treten. Dieser Rat gefiel mir, und der Kriegsminister, der mich im vergangenen Jahr kennengelernt hatte und mich wieder erkannte, rief mich und sagte mir, er hätte Briefe aus Bologna empfangen, die eine mir zur Ehre gereichende Tat berichteten; er setzte hinzu, er wüßte, daß ich es nicht eingestehen wolle, und fragte mich, ob ich beim Austritt aus der spanischen Armee meinen Abschied erhalten hätte.

»Ich konnte keinen Abschied bekommen, da ich niemals gedient habe.«

»Und wie ist es möglich, daß Sie nach Venedig kamen, ohne Quarantäne gehalten zu haben?«

»Wer aus dem Gebiete von Mantua kommt, wird derselben nicht unterworfen.«

»Das ist wahr; nun ich rate Ihnen wie der Major, in den Staatsdienst zu treten.«

Als ich den herzoglichen Palast verließ, begegnete ich dem Abbate Grimani, der mir sagte, mein plötzlicher Aufbruch bei ihm hätte allen Leuten mißfallen.

»Auch dem spanischen Offizier?«

»Nein; der sagte, wenn Sie dort gewesen wären, hätten Sie nicht anders handeln können, und er hat Ihr Dortsein bestätigt; und um seine Behauptung zu bekräftigen, ließ er mich einen Zeitungsartikel lesen, wonach Sie Ihren Hauptmann getötet haben sollen. Das ist doch sicher eine Fabel?«

»Wer sagt Ihnen das?«

»Es ist also wahr?«

»Das sage ich nicht; doch könnte es wahr sein, ganz wie es wahr ist, daß ich vor zehn Tagen bei dem spanischen Heere war.«

»Das ist nicht möglich, Sie müßten denn den Kordon verletzt haben.«

»Ich habe nichts verletzt. Ich ging öffentlich bei Rovero über den Po, und so bin ich hier. Es tut mir leid, nicht mehr zu Euer Exzellenz gehen zu können, wenn nicht die Person, die mich Lügen strafte mir eine vollständige Genugtuung zu geben bereit ist. Ich konnte eine Beschimpfung dulden, als ich das Gewand der Demut trug; heute kann ich es nicht mehr, da ich das Kleid der Ehre trage.«

»Sie tun unrecht, die Sache so zu nehmen. Der Herr, der Ihnen widersprach, war Herr Valmarana, gegenwärtig Provveditore bei der Gesundheitsbehörde, und er behauptete, da der Übergang nicht frei wäre, könnten Sie sich nicht hier befinden. Genugtuung! Haben Sie vergessen, wer Sie sind?«

»Nein, aber ich weiß, wer ich bin, und ich weiß ferner eins: wenn ich vor meiner Abreise für feig gelten konnte, so wird jetzt nach meiner Rückkehr jeder, der mich verletzt, es bereuen!«

»Kommen Sie zu mir zum Essen!«

»Nein, denn jener Offizier würde es erfahren!«

»Er wird Sie selbst sehen, denn er speist alle Tage bei mir!«

»Gut, so will ich kommen und ihn zum Schiedsrichter in meinem Streit nehmen.«

Ich fand mich bei Tisch mit dem Major Pelodoro und einigen anderen Offizieren zusammen; alle redeten mir einstimmig zu, in den Staatsdienst zu treten, und ich entschloß mich dazu. »Ich kenne,« sagte mir der Major, »einen jungen Leutnant, dessen Gesundheit ihm nicht gestattet, nach der Levante zu gehen, und der seine Stelle verkaufen will: er verlangt dafür hundert Zechinen; aber das würde nicht genügen, denn Sie müssen die Einwilligung des Kriegsministers haben.«

»Sprechen Sie mit ihm,« entgegnete ich ihm, »die hundert Zechinen sind bereit.« Er verpflichtete sich dazu.

Am Abend begab ich mich zu Frau Orio und fand eine vortreffliche Wohnung. Nach dem Abendessen forderte die Tante ihre Nichten auf, mich in mein Zimmer einzuführen, und wie man sich denken kann, verlebte das Trio eine köstliche Nacht. Während der folgenden Nächte teilten sie sich in den angenehmen Frondienst, indem sie miteinander abwechselten. Um jede Überraschung zu vermeiden, falls es der Tante einfallen sollte, ihnen einen Besuch zu machen, lösten wir geschickt ein Brett der Scheidewand, so daß sie, ohne die Tür öffnen zu müssen, hindurch konnten. Doch die gute Tante, die uns alle drei für kleine Tugendspiegel hielt, stellte uns niemals auf diese Probe.

Zwei oder drei Tage später bewirkte Abbate Grimani eine Zusammenkunft zwischen mir und Herrn Valmarana. Er sagte mir, hätte er gewußt, daß man den Gesundheitskordon umgehen könnte, so hätte er niemals gesagt: was ich behauptet, wäre unmöglich, und er danke mir dafür, ihm diese Kenntnis verschafft zu haben. Seitdem war die Sache beigelegt, und bis zu meiner Abreise erwies ich Herrn Grimani jeden Tag die Ehre, an seinem ausgezeichneten Mittagsmahl teilzunehmen.

Gegen Ende des Monats trat ich in den Dienst der Republik als Fähnrich im Regiment Bala, das in Korfu stand. Mein Vorgänger, der es gegen Empfang meiner hundert Zechinen verlassen hatte, war Leutnant; doch der Kriegsminister führte mir Gründe an, denen ich mich unterwerfen mußte, wenn ich in das Heer eintreten wollte, doch versprach er mir, mich unfehlbar am Ende des Jahres zum Leutnant zu befördern, und erklärte, daß er mir einen Urlaub bewilligen werde, um nach Konstantinopel zu gehen. Ich nahm an, weil ich durchaus dienen wollte.

Der erlauchte Senator Pietro Vendramin erwirkte mir die Gunst, nach Konstantinopel mit dem Ritter Veniero zu gehen, der sich als Bailo dorthin begab; doch da dieser erst einen Monat nach mir in Korfu eintreffen sollte, versprach er mir sehr freundlich, mich auf seinem Wege dort abzuholen.

Einige Tage vor meiner Abreise erhielt ich einen Brief, in dem Teresa mir mitteilte, daß der Herzog sie in eigener Person begleiten würde. »Dieser Herzog«, schrieb sie, »ist alt. Doch wäre er auch jung, so könntest du um mich ganz unbesorgt sein. Wenn du Geld brauchst, so zieh auf mich überall, wo du bist, und verlaß dich darauf, daß ich deine Wechsel honorieren werde, müßte ich auch meinen ganzen Besitz verkaufen, um sie einzulösen.«

Auf dem Schiff, das mich nach Korfu bringen sollte, sollte sich auch ein vornehmer Venezianer befinden, der mit großem glänzenden Gefolge als Rat nach Zante ging. Der Schiffskapitän erklärte mir, wenn ich allein zu essen gezwungen wäre, würde ich magere Kost erhalten; er riet mir daher, mich diesem Herrn vorzustellen, und er wäre im voraus überzeugt, er würde mich einladen, ihm die Ehre zu erweisen, mit ihm zu essen. Er hieß Antonio Dolfino und man hatte ihm den Spitznamen Bucentauro gegeben, weil er sehr vornehm tat und sich sehr geziert kleidete. Ich hatte nicht nötig, in dieser Angelegenheit einen Schritt zu tun, denn der Abbate Grimani schlug mir selbst vor, mich dem prachtliebenden Rat vorzustellen. Sobald dies geschehen und ich äußerst distinguiert empfangen und an seiner Tafel teilzunehmen eingeladen war, sagte er mir, ich möchte ihm das Vergnügen machen, seine Gemahlin, die sich mit ihm einschiffen sollte, kennenzulernen. Ich begab mich am nächsten Tage zu ihm und fand eine Frau von sehr feiner Lebensart, doch schon ein wenig alt und völlig taub. Es ließ sich also hinsichtlich der Unterhaltung nichts von ihr erhoffen. Sie hatte eine reizende, noch sehr junge Tochter, die sie im Kloster zurückließ. Sie ist nachmals sehr bekannt geworden und lebt, glaube ich, noch als Witwe des Prokurators Iron, dessen Familie ausgestorben ist.

Ich habe keinen schöneren Mann gesehen und keinen, der die Repräsentation besser verstand, als Herr Dolfino. Er zeichnete sich besonders durch viel Geist und Höflichkeit aus. Er war beredt, ein vornehmer Spieler, der stets verlor, beliebt bei Damen, denen er zu gefallen suchte, und immer unerschrocken und gleichmütig, im Glück wie im Unglück.

Er hatte es gewagt, ohne Erlaubnis zu reisen, war in den Dienst einer fremden Macht getreten und infolgedessen bei der Regierung in Ungnade gefallen, denn ein edler Venezianer kann kein größeres Verbrechen begehen. Das hatte ihm die Gunst verschafft, einige Zeit in dem berüchtigten Gefängnis der Bleikammern zuzubringen; eine auch mir für später vorbehaltene Gunst.

Der liebenswürdige, freigebige, aber keineswegs reiche Mann sah sich gezwungen, vom großen Rat einen einträglichen Posten zu erbitten; deshalb war er zum Rat der Insel Zante ernannt worden. Er begab sich aber mit einem so großen Gefolge dorthin, daß er sich auf das Sammeln großer Reichtümer keine Hoffnungen machen konnte. Übrigens konnte dieser Mann, so wie ich ihn beschrieben habe, in Venedig nicht sein Glück machen; denn eine aristokratische Regierung kann nur solange auf Ruhe rechnen, als Gleichheit unter den Aristokraten herrscht, und es ist unmöglich, über die physische oder moralische Gleichheit anders als nach dem Schein zu urteilen. Daraus folgt, daß das Individuum, welches nicht verfolgt werden will, wenn es besser oder schlechter als die andern ist, sein mögliches tun muß, um sich zu verstellen. Wenn ein solcher Mensch ehrgeizig ist, muß er Verachtung der Auszeichnungen heucheln; will er ein Amt, so muß er tun, als liege ihm nichts daran; hat er eine hübsche Figur, so muß er sie vernachlässigen. Er muß sich schlecht halten, noch schlechter sich kleiden, nichts Gesuchtes haben, alles Fremde lächerlich machen, sich ungeschickt verbeugen, sich keiner ausgezeichneten Höflichkeit befleißigen, geringen Wert auf die schönen Künste legen, seinen guten Geschmack verhehlen, keinen fremden Koch halten, eine schlecht gemachte und etwas unsaubere Perücke tragen. Da Herr Dolfino keine dieser bedeutenden Eigenschaften besaß, durfte er auf kein Glück in seinem Vaterlande rechnen.

Den Tag vor meiner Abreise ging ich nicht aus, ich glaubte diesen ganzen Tag der Freundschaft widmen zu müssen. Frau Orio vergoß ebenso wie ihre reizenden Nichten reichliche Tränen, und ich nicht minder. Die letzte Nacht, die wir miteinander verbrachten, sagten sie mir hundertmal in den süßesten Entzückungen, daß sie mich nie wiedersehen würden. Sie errieten die Wahrheit, aber wenn sie mich wiedergesehen hätten, hätten sie sie eben nicht erraten. Das ist das Wunderbare aller Prophezeiungen.

Am fünften Mai begab ich mich an Bord, reich ausgestattet und mit Schmucksachen und barem Gelde gut versehen. Unser Schiff trug vierundzwanzig Kanonen und zweihundert slawonische Soldaten. Wir fuhren nachts von Malamocco nach Istrien und warfen im Hafen von Orsera Anker, um Saroma zu machen9. Während die Mannschaft damit beschäftigt war, ging ich mit mehreren anderen ans Land, um in dem elenden Nest spazierenzugehen, obgleich ich dort vor neun Monaten drei Tage zugebracht hatte. Ich stellte dabei angenehme Vergleiche zwischen meiner Lage bei meinem ersten Besuch und meinem jetzigen an. Welch ein Unterschied an Stand und Glück! Ich war überzeugt, daß mich in der imposanten Kleidung, die ich trug, niemand als den spärlichen Abbate erkennen würde, aus dem ohne Bruder Steffano Gott weiß was geworden wäre.

  1. d.h. den Ballast eines Schiffes vermehren, um seine Leichtigkeit zu mindern, was man dadurch erreicht, daß man eine Menge Steine in den untersten Schiffsraum schafft.

Dreizehntes Kapitel


Komische Begegnung in Orsera. – Reise nach Korfu. – Aufenthalt in Konstantinopel. – Bonneval. – Meine Rückkehr nach Korfu. – Frau F. – Der falsche Prinz. – Meine Flucht aus Korfu. – Meine tollen Streiche auf der Insel Casopo. – Ich begebe mich nach Korfu in Arrest. – Meine schnelle Freilassung und meine Triumphe. – Meine Erfolge bei Frau F.

Ich behaupte, ein dummer Diener ist gefährlicher als ein boshafter, vor allem fällt er mehr zur Last; gegen einen boshaften kann man auf der Hut sein, nie aber gegen einen dummen. Eine Nichtswürdigkeit kann man bestrafen, eine Dummheit aber niemals anders, als indem man den Dummen oder die Dumme wegjagt. Und durch den Wechsel gerät man gewöhnlich von der Charybdis in die Scylla.

Dies Kapitel und die beiden folgenden waren vollendet; sie enthielten im Detail das, was ich nun ohne Zweifel nur in allgemeinen Zügen niederschreiben werde, denn das dumme Mädchen, das mich bedient, hat sich derselben zu ihrem Gebrauch bemächtigt. Als Entschuldigung führte sie mir an, diese Papiere wären beschrieben, beschmutzt und voller durchstrichener Stellen gewesen, deshalb hätte sie diese den nicht beschriebenen vorgezogen, da diese mir nach ihrer Meinung doch viel wertvoller sein müßten. Ich geriet in Zorn, doch ich hatte unrecht, denn das arme Mädchen hatte ihrer Meinung nach richtig gehandelt; ihr Urteil allein hatte sie irregeführt. Bekanntlich bewirkt der Zorn zuerst den Verlust der Urteilsfähigkeit. Denn Zorn und Überlegung sind nicht vom gleichen Stamm. Glücklicherweise ist der Zorn bei mir stets nur von kurzer Dauer: Irasci celerem tamen et placabilem esse – ebenso schnell versöhnt wie erzürnt. Nachdem ich meine Zeit damit verloren hatte, sie auszuzanken, was auf sie keinen besonderen Eindruck machte, und ihr zu beweisen, daß sie ein dummes Tier wäre, widerlegte sie alle meine Gründe durch das vollkommenste Stillschweigen. Ich mußte einen Entschluß fassen und mit einem Rest schlechter Laune machte ich mich von neuem an die Arbeit. Sie wird ohne Zweifel nicht so gut ausfallen wie die, bei der ich guter Laune war, doch der Leser möge sich zufrieden geben; denn nach dem Gesetz der Mechanik wird er an Zeit gewinnen, was er an Kraft verliert.

Ich war also in Orsera ans Land gegangen, wahrend man den Ballast in unser Schiff brachte, dessen zu große Leichtigkeit dem notwendigen Gleichgewicht für die Fahrt Eintrag tat, und bemerkte einen Mann von gewinnendem Aussehen, der mich mit großer Aufmerksamkeit betrachtete. Ich wußte genau, daß es kein Gläubiger sein konnte, und meinte, mein stattliches Aussehen interessiere ihn, und da ich dies nicht übelnehmen konnte, wollte ich meines Weges gehen, als er mich ansprach.

»Herr Hauptmann, dürfte ich mir die Frage erlauben, ob Sie zum erstenmal in diese Stadt kommen?«

»Nein, mein Herr, zum zweitenmal.«

»Waren Sie nicht im vergangenen Jahr hier?«

»Sehr richtig!«

»Aber damals trugen Sie nicht den Soldatenrock?«

»Auch das ist wahr. Doch Ihre Fragen beginnen mir etwas indiskret zu erscheinen.«

»Sie müssen mir verzeihen, mein Herr, denn meine Neugier ist die Tochter meiner Erkenntlichkeit. Sie sind der Mann, dem ich in höchstem Maße verpflichtet bin, und ich denke, die Vorsehung hat Sie nur wieder hierhergefuhrt, um mir noch größere Verpflichtungen aufzulegen.«

»Was habe ich denn für Sie getan, und was kann ich noch tun? Ich vermag es nicht zu erraten!«

»Haben Sie die Güte und frühstücken Sie mit mir. Dort ist meine Wohnung. Ich besitze vortrefflichen Refosco, kommen Sie und kosten Sie ihn. Ich werde Sie mit wenigen Worten überzeugen, daß Sie mein wahrer Wohltäter sind, und daß ich zu der Hoffnung berechtigt hin, Sie seien nur hierher zurückgekommen, um Ihre Wohltaten zu erneuern.«

Ich konnte diesen Menschen nicht für närrisch halten, aber ich begriff auch nichts von seinen Äußerungen und bildete mir ein, er wolle mich bewegen, seinen Refosco zu kaufen; ich nahm also die Einladung an. Wir gingen in sein Zimmer hinauf, wo er mich einen Augenblick allein ließ, um das Frühstück zu bestellen. Ich sah hier mehrere chirurgische Instrumente und schloß daraus, daß er Chirurg wäre; sobald er zurückkam, fragte ich ihn, ob dem so wäre.

»Ja, Herr Hauptmann, seit zwanzig Jaren betreibe ich dieses Handwerk in hiesiger Stadt, wo ich im Elend lebte, da ich nur selten einmal einen Aderlaß vorzunehmen, einen Schröpfkopf zu setzen, ein paar Schrammen zu verbinden und einige Glieder einzurenken hatte. Was ich erwarb, reichte nicht zum Leben aus. Doch hat sich, ich kann es sagen, seit vergangenem Jahr meine Lage geändert, ich verdiente viel Geld, habe es gut angelegt, und Ihnen Herr Hauptmann, Ihnen, den der liebe Gott segnen möge habe ich meinen gegenwärtigen Wohlstand zu verdanken.«

»Wieso?«

»Folgendermaßen, Herr Hauptmann. Sie haben die Haushälterin des Don Geronimo gekannt und ihr bei der Abreise ein Liebesandenken hinterlassen, das sie einem Freunde mitteilte, der ohne Arg damit seine Frau beschenkte. Diese wollte ohne Zweifel nicht zurückstehen und übertrug es auf einen Liebhaber, der seinerseits damit so freigebig war, daß ich in weniger als einem Monat einige fünfzig Patienten bekam. Die folgenden Monate waren nicht minder fruchtbar, und ich kurierte alle Leute und ließ mich, wie recht und billig, gut bezahlen. Noch jetzt habe ich einige Patienten, doch nach einem Monat werde ich niemand mehr haben, denn die Krankheit ist erloschen. Sie werden jetzt die Freude begreifen, die mich bei Ihrem Anblick erfüllte. Sie schienen mir Glück zu verkünden. Darf ich mir schmeicheln, daß Sie einige Tage hier bleiben werden, um die Quelle meines Glücks von neuem hervorsprudeln zu lassen?«

Ich mußte über seine Erzählung lachen, betrübte ihn aber durch meine Erklärung, daß ich mich sehr wohl befinde. Er versicherte mir, ich würde das nach meiner Rückkehr nicht mehr behaupten können, denn das Land, in das ich mich begäbe, wäre voller schlechter Ware; doch niemand besäße so wie er das Geheimnis, das Übel auszurotten. Er bat mich, auf ihn zu zählen und mich nicht an Quacksalber zu wenden, die mir ihre Mittel anpreisen würden. Ich versprach ihm das alles, dankte ihm und ging an Bord zurück. Ich erzählte meine Geschichte Herrn Dolfino, der darüber herzlich lachte. Am nächsten Tage gingen wir unter Segel und am vierten bekamen wir hinter Gurzola einen Sturm, der mir beinahe das Leben gekostet hätte. Dies ging auf folgende Weise zu:

Ein flawonischer Priester, der als Kaplan auf dem Schiffe war, ein ganz unwissender, frecher und roher Mensch, über den ich bei jeder Gelegenheit spottete, war natürlich mein Feind geworden. Die Seele eines Betbruders kann so gallig sein! Während des stärksten Unwetters plazierte er sich auf das oberste Deck und trieb, sein Gebetbuch in der Hand, beschwörend die Teufel davon, die er in den Wolken zu sehen glaubte und die er allen Matrosen zeigte. Sie hielten sich für verloren, weinten, waren verzweifelt und vernachlässigten so die nötigen Manöver, um das Schiff vor den Felsen zu bewahren, die man rechts und links sah.

Ich erkannte die Gefahr, die wir liefen, und die böse Wirkung seiner Exorzismen auf die Mannschaft, die der einfältige Priester entmutigte, anstatt ihr Mut einzuflößen, und hielt es für klug, mich einzumischen. Ich stieg in die Takelage, rief die Matrosen an die Arbeit und sagte ihnen, es gäbe gar keine Teufel, und der Priester, der sie ihnen zeigen wollte, wäre ein Narr. Ich konnte sprechen, was ich wollte, mich selber der größten Gefahr aussetzen und ihnen zeigen, daß nur von tatkräftigem Eingreifen die Rettung zu hoffen sei: ich vermochte nicht den Priester zu hindern, mich für einen Atheisten zu erklären und den größten Teil der Mannschaft gegen mich aufzuhetzen. Die Winde wühlten während der zwei folgenden Tage die Wogen unaufhörlich auf, und der Schurke wußte den Matrosen, die aufmerksam ihm zuhörten, einzureden, das Unwetter würde sich nicht legen, solange ich auf dem Schiff wäre. Von diesem Gedanken durchdrungen, hielt einer von ihnen den Augenblick für günstig, um die Wünsche des Priesters zu erfüllen, und versetzte mir, der ich am Rande des Oberdecks stand, einen so heftigen Schlag mit einem Tau, daß ich hinfiel. Es wäre um mich geschehen gewesen, hätte sich nicht die Spitze eines Ankers in meinem Rock verfangen und mich so vor dem Sturz ins Meer bewahrt; es war im eigentlichsten Wortsinn mein Rettungsanker. Man kam mir zu Hilfe, und ich wurde gerettet. Ein Korporal zeigte mir den Matrosen, der den mörderischen Anschlag auf mich gemacht hatte, ich nahm den Korporalstock und prügelte den Kerl tüchtig durch; doch die Matrosen und der wütende Priester eilten auf sein Geschrei herbei und ich würde unterlegen sein, wenn die Soldaten sich nicht auf meine Seite gestellt hätten. Der Kapitän des Schiffes kam mit Herrn Dolfino hinzu, sie mußten den Priester anhören und der Bande zu deren Beruhigung versprechen, mich sobald als möglich ans Land zu setzen. Damit noch nicht zufrieden, forderte der Priester, ich sollte ihm ein Pergament überliefern, das ich in Malamocco im Augenblick der Einschiffung von einem Griechen gekauft hatte. Ich erinnerte mich dessen nicht mehr, aber es war wahr. Lachend ühergab ich es Herrn Dolfino, und dieser lieferte es dem fanatischen Kapellan aus, der ein Siegesgeschrei ausstieß, sich das Kohlenbecken aus der Küche holen ließ und darauf ein auto da fé hielt. Das unglückselige Pergament wand und krümmte sich eine halbe Stunde lang, es zerfiel, und der Priester stellte das als eine wundersame Erscheinung dar, die alle Matrosen überzeugte, es sei ein Höllenpakt gewesen. Die angebliche Kraft dieses Pergaments sollte darin bestehen, alle Frauen in den Mann, der es trug, verliebt zu machen. Ich hoffe, der Leser wird mir die Gunst schenken und glauben, daß ich nicht im mindesten an Zaubertränke, Talismane und Amulette glaubte. Ich hatte das Pergament nur aus reinem Scherz gekauft.

In ganz Italien, in Griechenland und im allgemeinen überall, wo die Massen unwissend sind, gibt es Griechen, Juden, Astrologen und Exorzisten, die den Dummköpfen Wische und Tand verkaufen, die nach ihrem Glauben wunderbare Eigenschaften besitzen; Zauber, um sich unverwundbar zu machen, Lumpen, um sich vor dem Behexen zu sichern, kleine Kräuterkissen, um die sogenannten bösen Geister abzuhalten, und tausend ähnliche Albernheiten. Diese Waren sind in Frankreich, Deutschland und England, überhaupt im ganzen Norden, wertlos; dagegen aber verübt man in diesen Ländern andere Betrügereien von noch viel bedeutenderem Umfange.

Das Unwetter nahm gerade ein Ende, als das unschuldige Pergament verbrannt wurde; die Matrosen glaubten die bösen Geister gebannt, dachten nicht mehr daran, sich meiner Person zu entledigen, und nach acht Tagen einer glücklichen Fahrt kamen wir nach Korfu. Sobald ich mir eine gute Wohnung genommen hatte, brachte ich meine Briefe Seiner Eminenz, dem Generalprovveditore, und allen höheren Beamten, an die ich empfohlen war; dann machte ich meinem Obersten meine Aufwartung, und nachdem ich mit den Offizieren des Regiments Bekanntschaft geschlossen hatte, dachte ich darauf, wie ich mich bis zur Ankunft des Ritters Veniero, der mich nach Konstantinopel mitnehmen sollte, möglichst gut unterhalten könnte. Er kam gegen Mitte Juli, da ich mich aber inzwischen dem Brettspiel hingegeben hatte, verlor ich all mein Geld und verkaufte oder verpfändete all meine Schmuckgegenstände.

Das ist das Geschick eines jeden, der zu Hazardspielen geneigt ist, wenn er nicht das Glück zu fesseln versteht, indem er mit einem sicheren Vorteil spielt, der von der Berechnung oder der Geschicklichkeit ahhängt, vom Zufall aber unabhängig ist. Ich glaube, ein verständiger und vorsichtiger Spieler kann beides tun, ohne sich dadurch dem Tadel auszusetzen oder ein Betrüger genannt werden zu dürfen.

Während des Monats, den ich in Korfu in der Erwartung des Ritters Veniero verbrachte, beschäftigte ich mich nicht im mindesten mit der Erforschung des Landes weder in physischer noch in moralischer Beziehung; denn abgesehen von den Tagen, an denen ich auf Wache ziehen mußte, lebte ich im Kaffeehause, an der Pharaobank und unterlag natürlich dem Unglück, dem ich zu trotzen unternahm. Nicht ein einziges Mal kam ich mit dem Trost, gewonnen zu haben, nach Hause, und erst wenn ich nichts mehr besaß, hatte ich die Kraft, aufzuhören. Der einzige alberne Trost, den ich zu hören bekam, und der vielleicht nicht frei von Spott war, war das Lob des Bankhalters, der mich stets einen noblen Spieler nannte, wenn ich eine entscheidende Karte verlor. So befand ich mich in einer trostlosen Lage, und ich atmete erst wieder auf, als ich die Kanonenschüsse hörte, die die Ankunft des Bailo meldeten. Er befand sich auf dem Linienschiff Europa, das 72 Kanonen führte; es hatte nur acht Tage zur Fahrt von Venedig bis Korfu gebraucht. Kaum war der Anker ausgeworfen, als er seine Flagge als Generalkapitän der Seestreitkräfte der Republik hissen und der Provveditore die seine streichen ließ. Die Republik Venedig hat auf dem Meere keine Autorität, die über der des Bailo bei der ottomanischen Pforte steht. Ritter Veniero hatte ein glänzendes und distinguiertes Gefolge und die venezianischen Nobili Graf Annibale Gambera und Graf Carlo Zenobio, sowie der Marchese d’Anchetti aus Brescia begleiteten ihn aus Neugier nach Konstantinopel. Er verbrachte acht Tage auf Korfu, und alle Befehlshaber zur See gaben nach der Reihe ihm und seinem Gefolge ein Fest, so daß die großen Soupers und die Bälle nicht aufhörten. Sobald ich mich Seiner Exzellenz vorstellte, sagte er mir, er hätte schon mit dem Generalprovveditore gesprochen, der mir einen Urlaub von sechs Monaten gewährte, um ihn als Adjutant zu begleiten; sobald ich den Urlaub erhielt, ließ ich mein geringes Gepäck an Bord bringen, und das Schiff lichtete gleich am nächsten Tage die Anker.

Wir gingen mit anhaltendem, gutem Winde unter Segel, und nach sechs Tagen lagen wir vor Cerigo, wo wir vor Anker gingen, um frisches Wasser einzunehmen. Neugierig, das alte Cythere zu sehen, begleitete ich die Matrosen auf ihrem Dienstweg; doch ich hätte besser getan, wenn ich an Bord geblieben wäre, denn ich machte eine schlechte Bekanntschaft. Ich war in Gesellschaft des Kapitäns der die Truppen des Schiffes befehligte.

Sobald wir an Land waren, kamen zwei Menschen von verdächtigem Aussehen und in schlechter Kleidung auf uns zu und baten uns um ein Almosen. Ich fragte sie, was sie wären, und der eine, der gewandtere von beiden, antwortete mir folgendermaßen: »Wir sind auf dieser Insel zu leben und vielleicht auch zu sterben verdammt durch den Despotismus des Rats der Zehn und mit uns gegen vierzig Unglückliche wie wir, ebenfalls allesamt geborene Untertanen der Republik.

Unser vorgebliches Verbrechen, das sonst nirgendwo eins ist, bestand in unserer Gewohnheit, mit unseren Geliebten zusammenzuleben und nicht eifersüchtig auf solche Freunde zu sein, die sie hübsch fanden und mit unserer Zustimmung sich ihre Gunstbezeiungen verschafften. Da wir nicht reich waren, machten wir uns keine Gewissensbisse, daraus Vorteil zu ziehen, aber man behandelte unseren Wandel als unerlaubt und schickte uns hierher, wo wir täglich zehn Soldi in kleiner Münze empfangen. Man nennt uns Mangiamarroni – Kastanienesser, und wir sind schlimmer dran als Galeerensträflinge, denn die Langeweile reibt uns auf und oft wissen wir nicht, wie wir unseren Hunger stillen sollen. Mein Name ist Don Anronio Pocchini, ich bin Edelmann aus Padua, und meine Mutter stammt von der erlauchten Familie von Camo San-Piero.«

Wir gaben ihnen ein Almosen, durchstreiften dann die Insel und kehrten, nachdem wir die Festung besucht hatten, an Bord zurück. Ich werde von diesem Pocchini nach fünfzehn Jahren wieder sprechen.

Die stets günstigen Winde brachten uns in acht oder zehn Tagen zu den Dardanellen; dort nahmen uns türkische Bote auf, um uns nach Konstantinopel zu bringen. Der Anblick der Stadt auf die Entfernung von einer Stunde ist staunenerregend, und ich glaube, die ganze Welt bietet nirgends ein so entzückendes Schauspiel. Dieser prachtvolle Anblick war auch der Grund des Untergangs des römischen Reichs und des Beginns des griechischen Reichs; als Konstantin der Große nämlich zu Schiff nach Byzanz kam, rief er, verführt durch die Schönheit der Lage der Stadt, aus: »Hier ist der Herrschersitz des Weltreichs!« Und um seine Prophezeiung wahr zu machen, verließ er Rom und verlegte seine Residenz hierher. Hätte er die Prophezeiung des Horaz gelesen oder vielmehr daran geglaubt, so würde er wahrscheinlich diese Torheit nie begangen haben. Der Dichter hatte geschrieben, das römische Kaiserreich würde seinem Untergang erst dann entgegengehen, wenn ein Nachfolger des Augustus auf den Gedanken käme, den Sitz desselben dorthin zu verlegen, wo er geboren wäre. Troja ist aber von Thrakien nicht weit entfernt.

Wir kamen im venetianischen Palast zu Pera gegen Mitte Juli an und man sprach, was sehr selten ist, in diesem Augenblick in Konstantinopel nicht von der Pest. Wir wurden alle sehr gut untergebracht; doch die große Hitze bestimmte die Baili, die Frische in einem Landhause zu genießen, das der Bailo Dona gemietet hatte. Es lag in Buyukdere. Ich erhielt sofort den Befehl, niemals ohne Wissen des Bailo und ohne Begleitung eines Janitscharen auszugehen. Ich gehorchte aufs Wort. Zu dieser Zeit hatten die Russen noch nicht die Unverschämtheit des türkischen Volkes gezügelt. Jetzt können, wie man erzählt, die Fremden in voller Sicherheit überall hingehen, wo sie wollen.

Am Tag nach meiner Ankunft ließ ich mich zu Osman Pascha von Karamanien führen, diesen Namen hatte Graf von Bonneval nach seinem Ubertritt zum Islam angenommen. Sobald ich ihm meinen Brief hatte überreichen lassen, wurde ich in ein französisch möbliertes Zimmer des Erdgeschosses geführt, wo ich einen dicken, französisch gekleideten, bejahrten Herrn sah, der, sobald ich erschien, sich erhob, mir lächelnd entgegenkam und mich fragte, was er in Konstantinopel für den Schützling eines Kardinals der römischen Kirche, die er nicht mehr seine Mutter nennen könnte, zu tun imstande wäre. Ich erzählte ihm ganz ausführlich meine Geschichte, wie ich in einem Augenblick der Verzweiflung den Kardinal um Empfehlungsbriefe für Konstantinopel gebeten hätte, und fügte hinzu, nach deren Empfang hätte ich aus Aberglauben mich für verpflichtet gehalten, sie zu überbringen. »Also würden Sie ohne diesen Brief«, meinte er, »niemals hierher gekommen sein, wo Sie meiner nicht bedürfen.«

»Das ist wahr, aber ich halte mich für sehr glücklich, daß mir so die Ehre der Bekanntschaft Euer Exzellenz zuteil geworden ist, eines Mannes, von dem ganz Europa gesprochen hat, von dem es noch spricht und noch lange sprechen wird.«

Nachdem wir Betrachtungen über das Glück eines jungen Menschen in meiner Lage angestellt hatten, der ohne alle Sorgen, ohne Absicht und bestimmten Zweck, sich mit einem furchtlosen Vertrauen dem Glück überläßt, sagte er mir, der Brief des Kardinals Acquaviva verpflichte ihn, etwas für mich zu tun, und er wollte mich daher mit drei oder vier seiner türkischen Freunde, bei denen sich dies der Mühe lohne, bekannt machen. Er lud mich ein, jeden Donnerstag bei ihm das Mittagsmahl einzunehmen, und versprach mir, einen Janitscharen mir zu schicken, der mich gegen die Unverschämtheit des Pöbels schützen und mir alle Sehenswürdigkeiten zeigen würde.

Der Brief des Kardinals bezeichnete mich als Gelehrten; er erhob sich und sagte mir, er wolle mir seine Bibliothek zeigen. Ich folgte ihm quer durch den Garten, und wir betraten ein mit vergitterten Schränken gefülltes Zimmer; hinter den Gittern von Eisendraht sah man Vorhänge, und hinter diesen Vorhängen befanden sich ohne Zweifel Bücher.

Er zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete; aber statt Foliobänden sah ich Flaschen der besten Weine aufgereiht, und wir lachten beide von ganzem Herzen. »Das hier«, sagte mir der Pascha, »ist meine Bibliothek und mein Harem; denn da ich alt bin, würden die Frauen mein Leben verkürzen, während der gute Wein es mir nur erhalten kann oder wenigstens es angenehmer gestalten muß.«

»Ich vermute, Euer Exzellenz haben einen Dispens vom Mufti erhalten.«

»Sie irren, der Papst der Türken hat bei weitem nicht soviel Macht wie der Papst der Christen. Er kann in keinem Fall etwas im Koran Verbotenes erlauben; doch das hindert niemanden, sich in Verdammnis zu stürzen, wenn ihm das Vergnügen macht. Die frommen Türken beklagen die Freidenker, aber sie verfolgen sie nicht. Es gibt in der Türkei keine Inquisition. Wer die Vorschriften der Religion nicht beachtet, sagen sie, wird im andern Leben schon unglücklich genug sein, so daß man ihm nicht noch in diesem Leben Leiden zuzufügen braucht. Der einzige Dispens, den ich erbeten und erlangt hahe, obgleich man es kaum so nennen kann, ist der von der Beschneidung; denn in meinem Alter hätte sie gefährlich sein können. Das ist eine Zeremonie, die man im allgemeinen beohachtet, die aber nicht vorgeschrieben ist.«

Während der zwei Stunden, die ich mit ihm verbrachte, fragte er mich nach mehreren ihm befreundeten Venetianern und besonders nach Marco Antonio Diedo. Ich erwiderte ihm, man liebe ihn immer noch und beklage nur seinen Abfall; er antwortete mir, er wäre Türke, wie er Christ gewesen, und er wüßte nicht mehr vom Koran, als er vom Evangelium gewußt hätte. »Ich bin überzeugt,« erklärte er, »daß ich ruhig sterben werde und daß ich in diesem Augenblick viel glücklicher sein werde als Prinz Eugen. Ich habe sagen müssen: Gott ist Gott und Mohammed ist sein Prophet. Ich habe es gesagt, und die Türken kümmern sich nicht darum, ob ich es auch gedacht habe. Ich trage den Turban, wie ein Soldat die Uniform seines Gebieters tragen muß. Ich verstand nur das Kriegshandwerk und entschloß mich erst dann Generalleutnant des Großtürken zu werden, als ich nicht mehr wußte, wovon ich leben sollte. Als ich Venedig verließ, war die Suppe samt der Schüssel verzehrt; und hätte die jüdische Nation mir das Kommando über fünfzigtausend Mann angetragen, so würde ich Jerusalem belagert haben.«

Bonneval war ein schöner Mann, aber etwas zu wohlbeleibt. Er hatte einen Säbelhieb in den Unterleib empfangen und war dadurch gezwungen, beständig eine Binde mit einer silbernen Platte zu tragen. Er war nach Asien verbannt gewesen, doch nur für kurze Zeit; »denn«, so sagte er, »in der Türkei sind die Intrigen nicht so hartnäckig wie in Europa und besonders am Wiener Hof.« Als ich ihn verließ, hatte er die Güte, mir zu erklären, er habe seit seiner Ankunft in der Türkei noch nicht zwei so angenehme Stunden wie die verbrach, die ich ihm verschafft, und er werde dem Bailo dafür danken.

Der Bailo Dona, der ihn in Venedig gut gekannt hatte, beauftragte mich, ihm tausend Grüße zu sagen, und Herr Veniero bedauerte sehr, nicht seine Bekanntschaft machen zu können.

Der zweite Tag nach meinem ersten Besuch war ein Donnerstag, und der Pascha verfehlte nicht, seinem Versprechen gemäß mir einen Janitscharen zu schicken. Er kam gegen elf Uhr, ich folgte ihm und fand diesmal den Pascha türkisch gekleidet. Seine Gäste fanden sich bald ein, und wir setzten uns, acht an der Zahl, zu Tisch, sämtlich in heiterer Stimmung. Die Mahlzeit war ganz französisch, im Zeremoniell sowohl wie in der Zubereitung der Speisen, sein Staatshofmeister und sein Koch waren zwei rechtschaffene französische Renegaten.

Er stellte mich allen Tischgenossen vor und nannte mir ihre Namen ; doch zu sprechen bot sich hier erst am Ende der Mahlzeit Gelegenheit. Die Unterhaltung wurde ausschließlich italienisch geführt, und ich beobachtete, daß die Türken nicht ein einziges Wort in ihrer Sprache redeten, um sich die geringste Bemerkung mitzuteilen. Jeder Gast hatte zu seiner Rechten eine Flasche stehen, welche Weißwein oder auch Hadromel enthalten konnte. Ich weiß nur so viel, daß ich wie auch Herr Bonneval, der zu meiner Rechten saß, ausgezeichneten weißen Burgunder trank.

Ich mußte von Venedig, besonders aber von Rom erzählen, und das brachte das Gespräch auf die Religion, doch nicht auf das Dogma. Man beschränkte sich auf die Lehren und liturgischen Zeremonien. Einer der Gäste, den man Effendi nannte, weil er Minister der auswärtigen Angelegenheiten gewesen war, sagte, er hätte in Rom einen Freund in dem Gesandten Venedigs, von dem er mit Lob sprach. Ich stimmte als Echo ein und sagte ihm, ich hätte von demselben einen Brief an einen muselmännischen Herrn, den er ebenfalls seinen Freund nenne. Er fragte nach dessen Namen, doch da ich ihn vergessen hatte, blätterte ich in meiner Brieftasche, um in ihr den Brief zu suchen, und bereitete ihm große Freude, als ich seinen auf der Adresse verzeichneten Namen nannte. Er bat mich um Erlaubnis, den Brief lesen zu dürfen, und erhob sich, nachdem er die Unterschrift geküßt hatte, um mich zu umarmen. Dieser Auftritt rührte Herrn von Bonneval und die ganze Gesellschaft. Der Effendi, namens Ismail, lud Osman Pascha ein, mich an einem von ihm bestimmten Tage zu ihm zum Essen zu begleiten.

Trotz aller Zuvorkommenheit des edlen Effendi interessierte mich am meisten während dieses reizenden Mahls ein schöner Mann, der etwa sechzig Iahre alt zu sein schien und dessen Physiognomie den Ausdruck der Weisheit mit dem der vollendetsten Sanftmut vereinte. Zwei Jahre später fand ich seine Züge in dem schönen Kopf des venezianischen Senators Herrn von Bragadino wieder, von dem ich sprechen werde, wenn wir so weit gekommen sind. Er hatte mich mit der größten Aufmerksamkeit angehört, ohne das geringste Wort zu sprechen. In einer Gesellschaft reizt ein Mann, dessen Gesicht und Haltung interessieren, gewaltig die Neugier derer, die ihn nicht kennen, wenn er ein auffallendes Schweigen beobachtet. Als wir den Speisesaal verließen, fragte ich Herrn von Bonneval, wer er wäre. Er antwortete mir: es wäre ein reicher Mann, ein Philosoph von anerkannter Rechtschaffenheit, dessen Sittenreinheit ebenso groß wäre, wie seine Achtung für seine Religion. Er riet mir, seinen Umgang zu pflegen, wenn er mir entgegenkommen sollte.

Dieser Rat erfreute mich, und nachdem wir einen Gang durch die Alleen seines Gartens gemacht hatten und wieder in den nach türkischer Art möblierten Salon zurückgekehrt waren, setzte ich mich absichtlich in die Nähe von Jussuff Ali. Dies war der Name des Türken, der mich interessiert hatte. Er bot mir mit freundlichstem Wesen seine Pfeife an. Ich wies sie artig zurück und nahm die, die mir ein Diener Bonnevals reichte. Ich habe stets in Gesellschaft von Rauchern geraucht oder mich entfernt; denn sonst hätte ich mir eingebildet, den Rauch der andern zu schlucken; und dieser Gedanke, der ebenso wahr wie widerlich ist, empörte mich. Ich habe daher auch nie begreifen können, wie das übrigens so liebenswürdige schöne Geschlecht in Deutschland den erstickenden Qualm einer Menge von Rauchern einatmen kann.

Jussuff, erfreut, mich an seiner Seite zu sehen, richtete sogleich ähnliche Fragen an mich, wie die bei Tisch behandelten, besonders aber fragte er nach den Gründen, die mich bewogen hätten, den friedlichen geistlichen Stand aufzugeben, um Soldat zu werden; um seine Negier zu befriedigen, ohne mich bei ihm herabzusetzen, erzählte ich ihm mit Vorsicht die hauptsächlichsten Züge aus der Geschichte meines Lebens; denn ich glaubte ihn überzeugen zu müssen, daß ich die geistliche Laufbahn nicht aus innerem Drang eingeschlagen hätte. Er schien durch meine Erzählung befriedigt zu sein, und da er als stoischer Philosoph von der Berufung gesprochen hatte, erkannte ich deutlich, daß er Fatalist war. Ich war so klug, sein System nicht geradezu anzugreifen; meine Einwände gefielen ihm ohne Zweifel, weil er sich für stark genug hielt, um sie zu widerlegen.

Ich mußte wohl dem wackeren Muselmann große Achtung eingeflößt haben, daß er mich für wert hielt, sein Schüler zu werden; denn da ich erst neunzehn Jahre zählte und, wie er glauben mußte, in einen Unglauben verstrickt war, konnte er unmöglich daran denken, der meinige zu werden.

Nachdem er eine Stunde damit hingebracht hatte, mich zu katechisieren und meine Grundsätze anzuhören, sagte er mir, er hielte mich dazu geboren, die Wahrheit zu erkennen, denn er sähe, daß ich mich damit ernstlich beschäftigte und nicht überzeugt zu sein glaubte, sie schon erreicht zu haben. Er lud mich ein, einen Tag bei ihm zuzubringen, und bezeichnete mir die Tage der Woche, an denen ich ihn unfehlbar treffen würde. »Ehe Sie mich aber besuchen,« setzte er hinzu, »ziehen Sie Osman Pascha zu Rate.« Ich entgegnete ihm, er hätte schon mit mir von ihm gesprochen und mich für ihn eingenommen, was ihm sehr schmeichelte. Nachdem ich ihm versprochen hatte, ihn an dem und dem Tage zu besuchen, trennten wir uns.

Ich teilte alles Herrn von Bonneval mit, der sich sehr darüber freute und mir sagte, sein Janitschar sollte sich täglich im venezianschen Hotel einfinden, um meinen Befehlen nachzukommen.

Die Herren Baili, denen ich von meinen Bekanntschaften erzählte, beglückwünschten mich, und Ritter Veniero riet mir, in einem Lande, wo die Langeweile für die Fremden fürchterlicher ist als die Pest, derartige Bekanntschaften nicht zu vernachlässigen. Am verabredeten Tage begab ich mich früh zu Jussuff, doch er war ausgegangen. Sein Gärtner, den er benachrichtigt hatte, bezeigte mir alle möglichen Aufmerksamkeiten, und ich verbrachte in angenehmer Weise zwei Stunden mit der Besichtigung aller Schönheiten des Gartens und besonders der Blumen. Dieser Gärtner war ein Neapolitaner, der dem Effendi seit dreißig Jahren gehörte. Nach seinem Benehmen nahm ich an, daß er wohl unterrichtet und von guter Familie war, er sagte mir aber offen, er hätte nie lesen gelernt, wäre Matrose gewesen, als er zum Sklaven gemacht worden wäre, und fühlte sich im Dienst Jussuffs so glücklich, daß er es für eine Strafe ansehen würde, wenn er ihm die Freiheit gäbe. Ich hütete mich wohl, ihn über die Angelegenheit seines Herrn zu befragen; denn wäre er verschwiegen gewesen, so hätte ich vielleicht wegen meiner Neugier erröten müssen.

Jussuff kam zu Pferde zurück, und nach den gewöhnlichen Komplimenten speisten wir ganz allein in einem Pavillon, von dem wir das Meer sehen konnten und wo wir uns eines angenehmen, die große Hitze mildernden Windes erfreuten. Dieser Wind, der sich täglich zur selben Stunde erhebt, ist der Nordwest, den man Mistral nennt. Wir aßen sehr gut, obwohl alle Gerichte nach Landesart zubereitet waren. Ich trank Wasser und Honigwasser und versicherte Jusuff, ich zöge dies Getränk dem Wein vor, von dem ich damals überhaupt nur wenig genoß. »Ihr Honigwasser«, sagte ich ihm, »ist ausgezeichnet, und die Muselmänner, die das Gesetz verletzen, indem sie Wein trinken, verdienen kein Mitleid, denn sie können nur von ihm trinken, weil er verboten ist.«

»Es gibt viele Gläubige,« versetzte er, »die ihn wie Arznei genießen zu können glauben. Der Leibarzt des Großherrn hat diese Arznei in Mode gebracht und dadurch sein Glück gemacht, denn er gewann die ganze Gunst seines Herrn, der beständig krank ist, zweifellos aber nur, weil er beständig betrunken ist.«

Ich sagte ihm, bei uns wären die Trunkenbolde selten und Trunksucht nur in den niedersten Klassen der Bevölkerung zu finden. Das überraschte ihn sehr.

»Ich verstehe nicht,« meinte er, »wie der Wein durch alle Religionen außer der unsrigen erlaubt sein kann, da er den Menschen des Gebrauchs seiner Vernunft beraubt.«

»Alle Religionen«, erwiderte ich, »verbieten seinen übermäßigen Genuß, und das Verbrechen kann also nur in dem damit getriebenen Mißbrauche bestehen.« Ich überzeugte ihn davon, indem ich darauf hinwies, daß das Opium dieselben Wirkungen, ja sogar noch viel stärker hervorbrächte, und das, der Islam folglich auch dessen Gebrauch hätte verbieten müssen.

»Ich«, sagte er, »habe, solange ich lebe, weder Wein noch Opium genossen.«

Nach dem Essen brachte man die Pfeifen, die wir uns selbst stopften. Ich rauchte mit Vergnügen, aber ich spuckte dabei aus. Jussuff, der auf Türkenart rauchte, d.h. ohne zu spucken, sagte zu mir:

»Der Tabak, den Sie rauchen, ist ein ausgezeichnetes Gewächs, und Sie tun unrecht, den balsamischen Teil, der sich mit dem Speichel mischt, nicht zu verschlucken.«

»Ich glaube es; denn man kann nur dann einen Genuß an der Pfeife haben, wenn der Tabak vortrefflich ist.«

»Diese Vortrefflichkeit ist ohne Zweifel zum Vergnügen des Rauchens notwendig; doch das Vergnügen hieran ist nicht das größte, da es nur sinnlich ist. Die wahren Freuden sind die, die nur die Seele berühren und von den Sinnen ganz unabhängig sind.«

»Ich kann mir, lieber Jussuff, keine Freuden denken, die die Seele ohne Vermittlung der Sinne erfreuen.«

»Höre mich an! Wenn du deine Pfeife stopfst, macht dir das Vergnügen?«

»Ja.«

»Welchem deiner Sinne schreibst du das zu, wenn nicht deiner Seele? Weiter. Ist es nicht wahr, daß du dich befriedigt fühlst, wenn du sie erst fortlegst, nachdem du sie ganz ausgeraucht hast? Freut es dich nicht, wenn du siehst, daß nur Asche übrigbleibt?«

»Das ist wahr!«

»Das sind also zwei Genüsse, an denen die Sinne gewiß keinen Anteil haben; aber ich bitte dich, den dritten, den wesentlichsten, zu erraten.«

»Den wesentlichsten? Das ist der Wohlgeruch.«

»Durchaus nicht. Das ist ein Vergnügen des Geruchsorgans, er ist also sinnlich.«

»Ich wüßte nicht.«

»Höre! Das größte Vergnügen beim Rauchen besteht im Anblick des Rauches. Du darfst ihn nie aus der Pfeife kommen sehen, sondern nur aus dem Mundwinkel in bestimmten Zwischenräumen und nie zu oft. Daß dieses Vergnügen das größte ist, geht daraus hervor, daß du nie einen Blinden wirst rauchen sehe. Versuche selbst in deinem Zimmer nachts, ohne Licht, zu rauchen: einen Augenblick, nachdem du die Pfeife angezündet hast, wirst du sie weglegen.«

»Was du sagst, ist sehr wahr; doch du mußt mir verzeihen, wenn ich finde, daß mehrere Freuden, die die Sinne reizen, den Vorzug vor denen verdienen, die nur die Seele berühren.«

»Vor vierzig Jahren dachte ich so wie du; wenn du in vierzig Jahren weise geworden bist, wirst du wie ich denken. Die Freuden, mein teurer Sohn, die die Sinne erregen, stören die Ruhe der Seele; und das muß dir beweisen, daß sie als wahre Genüsse nicht genannt zu werden verdienen.«

»Mir scheint aber, als genügte es, sie zu wirklichen Genüssen zu machen, wenn sie mir als solche erscheinen.«

»Zugestanden; doch wenn du dir die Mühe nehmen wolltest, sie nach dem Genuß zu prüfen, würdest du sie nicht mehr dafür halten.«

»Das ist möglich, aber wozu sollte ich mir eine Mühe machen, die lediglich nur der Minderung meiner Freuden dienen würde?«

»Das Alter wird kommen, in dem du ein Vergnügen daran finden wirst, dir diese Mühe zu machen!«

»Mir scheint, mein teurer Vater, du ziehst das Alter der Jugend vor.«

»Sage kühn: das Greisenalter.«

»Du überraschst mich. Soll ich glauben, daß du in deiner Jugend unglücklich warst?«

»Weit entfernt. Ich war stets glücklich und wohlauf, niemals ein Opfer meiner Leidenschaften; doch was ich bei meinen Altersgenossen sah, war eine gute Schule, die mich lehrte, den Menschen kennenzulernen und den Weg zum Glück zu unterscheiden. Der glücklichste Mensch ist aber nicht der wollüstigste, sondern der, der die höchste Wollust zu wählen versteht; die großen Freuden, ich wiederhole es dir, sind nur die, die nicht die Leidenschaften aufregen und den Frieden der Seele mehren.«

»Diese Wollüste nennst du rein?«

»Ja, und ein solcher Genuß ist der Anblick einer weiten grünen Wiese. Die grüne Farbe, die unser göttlicher Prophet so hoch gepriesen hat, trifft mein Auge, und in diesem Augenblick fühle ich meinen Geist in einer so köstlichen Ruhe schwimmen, daß er sich mir dem Schöpfer der Natur zu nähern scheint. Ich empfinde denselben Frieden, eine gleiche Ruhe, als säße ich am Ufer eines Flusses und betrachtete die ruhige und doch stets sich bewegende Woge, die unablässig flieht, ohne meinen Augen doch je zu entschwinden, ohne daß ihre unaufhörliche Bewegung ihr etwas von ihrer Klarheit nimmt. Sie zeigt nur das Bild meines Lebens und die Seelenruhe, die ich mir wünsche, um gleich dem Wasser, das ich betrachte, ans Ziel zu gelangen, das ich nicht sehe und das erst am Ende seines Laufes liegt.«

So urteilte dieser Türke, und mit einem auf diesen Ton gestimmten Gespräch brachten wir vier Stunden hin. Er hatte zwei Frauen gehabt, die ihm zwei Söhne und eine Tochter geboren hatten. Der älteste Sohn hatte den ihm gebührenden Anteil an den Gütern seines Vaters erhalten und sich in Saloniki niedergelassen, wo er einen Großhandel betrieb; er war reich. Der zweite war im Serail im Dienste des Großherrn und sein Erbteil befand sich in den Händen eines Vormunds. Seine fünfzehnjährige Tochter Zelmi sollte die Erbin all seines Gutes werden. Er hatte ihr eine Erziehung gegeben, die zum Glück des ihr vom Himmel zum Gatten bestimmten Mannes genügen mußte. Wir werden bald von dieser Tochter sprechen. Die Mütter dieser drei Kinder waren tot. Seit fünf Jahren hatte er eine dritte Gattin genommen, aus Chios gebürtig, jung, eine vollkommene Schönheit. Er sagte mir aber, er könnte von ihr weder Sohn, noch Tochter erhoffen, da er zu alt wäre. Er zählte indes nur sechzig Jahre. Ehe ich ihn verließ, mußte ich ihm versprechen, jede Woche wenigstens einen Tag bei ihm zuzubringen.

Beim Abendessen erzählte ich den Herren Baili, welch einen angenehmen Tag ich verlebt hatte. »Wir beneiden Sie,« erklärten sie mir, »daß Sie die Aussicht haben, drei Monate angenehm in einem Lande zu verbringen, in dem wir als Beamte dazu verurteilt sind, vor Langeweile zu vertrocknen.«

Wenige Tage darauf nahm mich Herr von Bonneval mit sich zum Essen zu Ismail, wo ich in großem das Bild des asiatischen Luxus sah; doch die Gesellschaft war zahlreich, die Unterhaltung wurde beinahe ganz in türkischer Sprache geführt, was mich ebenso wie Herrn von Bonneval sehr langweilte. Ismail, der das hatte, bat mich nach der Tafel, mit ihm, so oft ich wollte, zu frühstücken, indem er mir versicherte, daß ich ihm damit ein großes Vergnügen bereiten würde. Ich versprach es ihm und ging zehn oder zwölf Tage später hin. Ich werde den Leser bitten, an der Partie teilzunehmen, wenn wir soweit sind; doch jetzt muß ich zu Jussuff zurückkehren, der bei meinem zweiten Besuch einen Charakter offenbarte, der mich mit der größten Achtung und Zuneigung für ihn erfüllte.

Nachdem wir wie das erstemal allein miteinander gegessen hatten, kam das Gespräch auf die Künste, und ich sagte meine Ansicht über eine Vorschrift des Korans, die die Mohammedaner des unschuldigen Vergnügens beraubt, Erzeugnisse der Malerei und Bildhauerei zu genießen. Er sagte mir, Mohammed hätte als weiser Gesetzgeber alle Bilder von den Augen der Moslemiten entfernen müssen. »Denke daran, mein Sohn, daß alle Nationen, die der Prophet mit Gott bekannt machte, Götzendiener waren. Die Menschen sind schwach; hätten sie dieselben Gegenstände gesehen, so hätten sie leicht in dieselben Irrtümer zurückfallen können.«

»Ich glaube, mein teurer Vater, daß niemals irgendeine Nation ein Bild angebetet hat, sondern nur die Gottheit, an die sie dadurch erinnert wurde.«

»Ich will es glauben, aber da Gott nicht Stoff sein kann, muß man von gewöhnlichen Köpfen den Gedanken fernhalten, daß er es sein könnte. Ihr Christen seid die einzigen, die Gott zu sehen glauben!«

»Das ist wahr, wir sind dessen sicher, doch merke wohl, bitte, was uns diese Gewißheit gibt, ist nur der Glaube.«

»Ich weiß es, aber ihr seid darum nicht weniger Götzendiener, denn was ihr seht, ist nur Stoff; ihr seid aber eurer Vision vollständig gewiß, es sei denn, daß du behaupten willst, daß der Glaube sie schwächt.«

»Gott bewahre mich davor! Ganz im Gegenteil: der Glaube stärkt sie.«

»Das ist eine Täuschung, deren wir, Gott sei Dank, nicht bedürfen, und es gibt keinen Philosophen auf der Welt, der mir die Notwendigkeit davon beweisen könnte.«

»Das, mein teurer Vater, gehört nicht zur Philosophie, sondern zur Theologie, die hoch über ihr steht.«

Du redest dieselbe Sprache, wie unsere Theologen, die sich von den euren nur dadurch unterscheiden, daß sie ihre Wissenschaft dazu anwenden, die Wahrheiten, die wir kennen lernen müssen, deutlicher zu machen, während die eurigen es sich angelegen sein lassen, sie zu verdunkeln.«

»Bedenkt, mein teurer Jussuff, daß es sich um ein Mysterium handelt.«

»Die Existenz Gottes ist eins, und zwar ein so großes, daß die Menschen es nicht wagen dürfen, etwas hinzuzufügen. Gott kann nur eins sein. Jede Zusammensetzung würde sein Wesen zerstören, und er ist der Gott, den der Prophet uns verkündet hat und der für alle Menschen und für alle Zeiten derselbe sein muß. Gib zu, daß man der Einheit Gottes nichts zuzusetzen weiß. Wir sagen, er ist der alleinige Gott: das ist ein Bild der Einfachheit. Ihr sagt, er ist Eins und Drei zugleich. Und das erscheint mir als eine widerspruchsvolle, lächerliche und gottlose Erklärung.«

»Es ist ein Mysterium!«

»Sprichst du von Gott oder von der Definition? Ich spreche von der Definition, die kein Mysterium sein darf und die der Verstand verwerfen muß. Der gesunde Verstand, mein Sohn, muß eine Versicherung, die auf einer Abgeschmacktheit beruht, unverschämt finden. Beweise mir, daß Drei keine Zusammensetzung ist oder es nicht sein kann, und ich werde Christ!«

»Meine Religion gebietet mir zu glauben, ohne zu urteilen, und ich bebe, mein teurer Jussuff, bei dem Gedanken, daß ich durch eine tiefgründige Beweisführung dazu gebracht werden könnte, die Religion meines Vaters abzuschwören. Zunächst müßte ich die Überzeugung haben, daß er im Irrtum gelebt hat. Sag‘ mir, ob ich, wenn ich sein Andenken ehre, mich selbst zu seinem Richter machen darf mit der Absicht, seine Verurteilung auszusprechen?«

Dieser lebhafte Widerspruch rührte den wackeren Jussuff, doch nach einigen Augenblicken des Schweigens sagte er mir:

»Mit diesen Gesinnungen, mein Sohn, kannst du Gott nur wert sein, und mußt folglich auserkoren sein. Bist du im Irrtum, so kann nur Gott dich demselben entreißen; denn ich kenne keinen rechtschaffenen Menschen, der imstande wäre, das Gefühl, das du mir gegenüber ausgesprochen hast, zu widerlegen.«

Wir sprachen noch von tausend anderen freundlichen Dingen, und gegen Abend trennten wir uns mit den Versicherungen der aufrichtigsten Freundschaft und Ergebenheit.

Als ich, den Kopf noch ganz voller Gedanken an unsere Unterhaltung, mich zurückzog, dachte ich nach und fand, daß alles, was Jussuff mir über das Wesen Gottes gesagt hatte, wohl wahr sein könnte, denn ganz sicher konnte das Wesen aller Wesen in seiner Wesenheit nur das einfachste aller Wesen sein; doch ich fand es auch unmöglich, mich wegen eines Irrtums der christlichen Religion überreden zu lassen, die türkische anzunehmen, die wohl eine wahre Ansicht von Gott haben konnte, die aber meine Lachlust herausforderte, weil sie ihre Existenz nur dem ausschweifendsten aller Betrüger verdankte. Übrigens hatte, wie ich glaubte, Jussuff auch nicht die Absicht, aus mir einen Proselyten zu machen.

Als ich zum drittenmal bei ihm aß, kam das Gespräch noch einmal auf die Religion.

»Bist du überzeugt, mein teurer Vater, daß man nur in deiner Religion sein Heil finden kann?«

»Nein, mein teurer Sohn, diese Gewißheit habe ich nicht, und kein Mensch würde sie haben, doch habe ich die Überzeugung, daß die christliche Religion falsch ist, denn sie kann nicht allgemein werden!«

»Warum nicht?«

»Weil es auf drei Vierteln der Erde weder Brot noch Wein gibt. Bemerke, daß der Koran überall befolgt werden kann.«

Ich wußte ihm nichts zu antworten und glaubte keine Umschweife machen zu dürfen.

»Wenn Gott nicht Stoff ist,« sagte ich ihm, »muß er also Geist sein?«

»Wir wissen, was er nicht ist, aber nicht, was er ist, und der Mensch kann nicht behaupten, daß er Geist ist, denn wir können uns nur einen abstrakten Begriff von ihm machen. – Gott ist immateriell, das ist alles, was wir wissen, und mehr werden wir niemals erfahren.«

Das erinnerte mich an Plato, der genau dasselbe gesagt hatte, und ganz gewiß hatte Jussuff niemals Plato gelesen.

Er sagte mir am selben Tage, daß die Existenz Gottes nur denen nützlich sein könnte, die an ihr nicht zweifelten, und daß folglich die unglücklichsten Sterblichen die Atheisten wären. »Gott hat den Menschen nach seinem Ebenbilde geschaffen, damit unter allen Wesen, die er schuf, eins sei, das ihm huldigte. Ohne den Menschen hätte Gott keinen Zeugen seines eigenen Ruhms; und der Mensch muß folglich begreifen, daß seine erste Pflicht darin besteht, ihn zu rühmen, indem er Gerechtigkeit übt und sich seiner Vorsehung anvertraut.

Bemerke, daß Gott nie den Menschen verläßt, der sich in seinem Unglück vor ihm niederwirft und seine Hilfe anfleht, und daß er so oft den Unglücklichen untergehen läßt, der das Gebet für unnütz hält.«

»Es gibt indes auch glückliche Atheisten.«

»Das ist wahr, doch trotz der Ruhe ihrer Seele scheinen sie mir beklagenswert, da sie nichts nach diesem Leben hoffen und sich folglich dem Tiere nicht überlegen halten können. Sind sie Philosophen, so müssen sie außerdem noch in der Ungewißheit schmachten. Und wenn sie an nichts glauben, haben sie keine Hilfe im Mißgeschick. Endlich hat Gott den Menschen so geschaffen, daß er nur glücklich sein kann, indem er nicht an seiner göttlichen Existenz zweifelt. In welchem Zustand er sich auch befinden möge, er hat das unbedingte Bedürfnis, dies zuzugestehen; sonst hätte der Mensch niemals einen Gott als Schöpfer aller Dinge zugestanden.«

»Doch ich möchte wissen, warum der Atheismus niemals anders als im System irgendeines Weisen bestanden hat, während es kein Beispiel gibt, daß er jemals im System einer ganzen Nation existierte.«

»Das kommt daher, daß der Arme viel mehr als der Reiche seine Bedürfnisse fühlt. Es gibt unter uns eine Menge Gottloser, die die Gläubigen verspotten, weil diese ihr ganzes Vertrauen in die Pilgerfahrt nach Mekka setzen. Die Unglücklichen! Sie müßten die Denkmäler ehren, die die Frömmigkeit der glaubensfreudigen Seelen erwecken, sie in ihrer Religion nähren und sie zur Erduldung des Mißgeschickes ermutigen. Ohne diese tröstlichen Gegenstände würde das Volk sich bei jedem Anlaß einem Übermaß der Verzweiflung hingeben.«

Entzückt von der Aufmerksamkeit, mit der ich ihn anhörte, überließ Jussuff sich seiner Neigung, mich zu belehren, und ich meinerseits fühlte mich zu ihm durch die Anziehungskraft hingezogen, die die liebenswürdige Tugend auf alle Herzen ausübt; so brachte ich meine Tage ohne besondere Einladung bei ihm zu, und Jussuffs Freund- schaft wurde zur zärtlichsten Neigung.

Eines Morgens befahl ich meinem Janitscharen, mich zu Ismail Effendi zu begleiten, um meinem Versprechen gemäß bei ihm zu frühstücken. Nachdem er mich mit dem edelsten Anstand empfangen hatte, lud er mich zu einem Spaziergang in einem kleinen Garten ein; von hier aus traten wir in ein Landhaus ein, wo er Einfälle bekam, die ich nicht nach meinem Geschmack fand, so daß ich ge- zwungen war, ihn zurückzuweisen, indem ich etwas hastig aufstand. Nun erklärte der Türke, er habe nur mein Zartgefühl auf die Probe stellen und sich nur einen Scherz machen wollen. Wenige Augen- blicke später verließ ich ihn mit der Absicht, nicht mehr zu ihm zurückzukehren. Ich war indes genötigt, ihn wiederzusehen, und werde später erzählen, weshalb. Sobald ich den Grafen von Bonneval sah, erzählte ich ihm dies Geschichtchen, und er sagte mir, nach türkischen Sitten hätte Ismail mir einen großen Beweis seiner Freundschaft geben wollen; doch dürfte ich überzeugt sein, daß ich von seiner Seite keinen Rückfall zu befürchten hätte, und in dieser Uberzeugung erforderte es die Höflichkeit, daß ich ihn noch weiterhin besuchte; übrigens wäre Ismail ein vollkommener Ehrenmann und hätte die schönsten Sklavinnen der Türkei zu seiner Verfügung.

Als unser vertrauter Umgang etwa fünf oder sechs Wochen ge- dauert hatte, fragte Jussuff mich eines Tags, ob ich verheiratet wäre. Als ich ihm verneinend geantwortet hatte, wandte sich die Unterhaltung verschiedenen Gegenständen der Moral zu und fiel endlich auf die Keuschheit, die seiner Ansicht nach nur unter dem Gesichtspunkte der Enthaltung als eine Tugend angesehen werden könnte, doch weit entfernt, Gott angenehm zu sein, ihm vielmehr nicht gefallen müßte, da sie das erste den Menschen gegebene Gebot verletzte.

»Ich möchte wissen,« sagte er, »was die Keuschheit eurer Malteserritter ist. Sie legen das Gelübde der Keuschheit ab, doch verzichten sie damit nicht auf die Frauen, sondern nur auf die Ehe. Ihre Keuschheit und folglich die Keuschheit überhaupt kann also nur durch die Ehe verletzt werden; und doch ist die Ehe eines eurer Sakramente. Diese Herren versprechen also nur, das Werk des Fleisches in dem einzigen ihnen von Gott gestatteten Fall nicht zu vollbringen; aber sie behalten sich vor, diese Freiheit auf unerlaubte Weise sich anzumaßen, so oft es ihnen beliebt und gut scheint. Und diese unerlaubte und unmoralische Freiheit ist ihnen in so hohem Grade gewährt, daß sie einen Sohn anerkennen dürfen, den sie nur bekommen konnten, indem sie ein doppeltes Verbrechen begingen. Besonders empörend ist, daß sie diese Kinder des Verbrechens, die ohne Zweifel unschuldig sind, natürliche Kinder nennen, wie wenn die aus der ehelichen, als Sakrament anerkannten Verbindung auf widernatürliche Weise geboren würden. Endlich, mein lieber Sohn, ist das Gelübde der Keuschheit der göttlichen Moral und menschlichen Natur derart widersprechend, daß es weder Gott noch der Gesellschaft oder den Personen, die es ablegen, angenehm sein kann; und da es diesem allem widerspricht, ist es notwendigerweise ein Verbrechen.«

Er wiederholte die Frage, ob ich verheiratet wäre, und als ich ihm verneinend geantwortet hatte und hinzufügte, ich glaubte, daß ich nie gezwungen sein würde, das Band der Ehe zu knüpfen, unterbrach er mich mit den Worten:

»Wie? Ich muß also glauben, daß du kein vollkommener Mann bist oder daß du dich selbst verdammen willst, wenn du mir nicht wenigstens sagst, daß du nur scheinbar ein Christ bist!«

»Ich bin vollkommener Mann und bin Christ. Ich will dir sogar sagen, daß ich das schöne Geschlecht anbete und durchaus keine Lust habe, die süßesten Freuden abzuschwören.«

»Du wirst nach deiner Religion verdammt sein.«

»Sicherlich nicht, denn wenn wir unsere Sünden bekennen, müssen uns unsere Priester ledig sprechen.«

»Ich weiß es; doch gib mir zu, daß es eine Einfalt ist, zu behaupten, Gott verzeihe dir ein Verbrechen, das du vielleicht nicht begehen würdest, wenn du nicht den Glauben hättest, daß ein Priester, ein Mensch wie du, dich, wenn du es beichtest, absolvieren wird. Gott sieht nur auf die Reue.«

»Das ist nicht zweifelhaft, und die Beichte setzt es voraus; wäre dem nicht so, so ist die Absolution unwirksam.«

»Ist die Masturbation bei euch auch eine Sünde?«

»Eine viel größere als die außereheliche fleischliche Vermischung.«

»Ich weiß es, und das hat mich stets überrascht; denn jeder Gesetzgeber, der ein Gesetz erläßt, dessen Ausübung unmöglich ist, ist ein Dummkopf. Ein Mann, der sich wohl befindet und keine Frau hat, muß unbedingt zur Masturbation kommen, wenn die gebieterische Natur sie ihm zur Notwendigkeit macht; und wer aus Furcht, seine Seele zu beflecken, sich derselben enthielte, würde einer tödlichen Krankheit verfallen.«

»Man glaubt bei uns das gerade Gegenteil. Man ist überzeugt, daß die jungen Leute durch dies Verfahren ihr Temperament verderben und ihr Leben verkürzen. In manchen Erziehungsanstalten überwacht man sie und nimmt ihnen soviel wie tunlich die Möglichkeit, dies Verbrechen an sich zu begehen.«

»Diese Aufpasser sind einfältige Dummköpfe, und die Leute, die sie dafür bezahlen, sind noch dümmer; denn das Verbot muß den Drang mehren, ein so tyrannisches, auch widernatürliches Gesetz zu verletzen.«

»Doch mir scheint, das Übermaß dieser Unordnung muß der Gesundheit schädlich sein, denn es entnervt und schwächt.«

»Gewiß, denn alles Übermaß ist schädlich und verderblich. Aber dies Übermaß kann nur da vorkommen, wo dazu herausgefordert wird, und durch das Verbot fordert man dazu heraus. Wenn man in dieser Beziehung bei euch die Mädchen nicht hindert, so sehe ich nicht ein, warum man gegen die Knaben anders verfährt.«

»Das kommt daher, weil die Mädchen bei weitem nicht die gleiche Gefahr laufen; denn sie haben nur einen geringen Verlust; außerdem strömt dieser nicht aus der gleichen Quelle, aus der der Same der Männer kommt.«

»Davon weiß ich nichts, doch wir haben Ärzte, die behaupten, die bleiche Farbe rühre bei den Mädchen nur von dem Mißbrauch dieses Vergnügens her.«

Nachdem Jussuff Ali diese und andere Gespräche mit mir gepflogen hatte, bei denen er mich sehr vernünftig zu finden schien, selbst wenn ich seiner Ansicht widersprach, machte er mir fast wörtlich folgenden Vorschlag, der mich in großes Staunen versetzte. »Ich habe«, sagte er nur, »zwei Söhne und eine Tochter. Ich denke nicht mehr an die Söhne, da sie schon den ihnen gebührenden Teil von meinen Gütern erhielten. Meine Tochter wird nach meinem Tode all meinen Besitz erhalten; außerdem bin ich imstande, das Glück des Mannes zu machen, den sie zu meinen Lebzeiten heiraten wird. Ich habe vor fünf Jahren eine junge Frau genommen, doch hat sie mir keine Nachkommen gegeben, und ich bin überzeugt, daß sie mir auch keine mehr schenken wird. Meine Tochter Zelmi ist fünfzehn Jahre, sie ist schön, hat schwarze und glänzende Augen wie ihre Mutter, die schönsten schwarzen Haare, eine Brust wie Alabaster, ist groß, wohlgewachsen und von sanftem Charakter, ich habe ihr eine Erziehung gegeben, die sie würdig machen würde, das Herz unseres Gebieters zu besitzen. Sie spricht fließend Griechisch und Italienisch; sie singt zum Entzücken und begleitet sich dazu auf der Harfe; sie zeichnet, stickt und ist stets köstlich heiter. Kein Mann auf Erden kann sich rühmen, je ihr Gesicht gesehen zu haben, und sie selbst kennt nur meinen Willen. Diese Tochter ist ein Schatz, und ich biete sie dir an, wenn du ein Jahr in Adrianopel bei einem meiner Verwandten wohnen willst, wo du unsere Sprache und unsere Sitten lernen könntest. Nach Verlauf eines Jahres kommst du zurück und sobald du dich zum Islam bekehrt hast, wird meine Tochter deine Frau werden. Du findest ein eingerichtetes Haus, Sklaven, deren Gebieter du bist, und ein Einkommen, von dem du im Überfluß leben kannst. Das ist alles. Du sollst mir nicht heute, auch nicht morgen, noch an einem bestimmten Tage antworten. Du sollst mir antworten, wenn du dich durch deinen Geist dazu getrieben fühlst, und deine Antwort wird die Annahme meines Anerbietens sein. Wenn du es zurückweisest, brauchen wir nicht mehr davon zu sprechen. Ich empfehle dir auch nicht, an diese Angelegenheit zu denken; denn von dem Augenblick an, wo ich den Keim in deine Seele senkte, wirst du nicht mehr Herr sein, deren Erfüllung zuzugestehen oder dich ihr zu widersetzen. Ohne dich zu übereilen, ohne zu zögern, ohne dich zu beunruhigen, wirst du nur den Willen Gottes tun, indem du dem unwiderruflichen Ausspruch deines Schicksals folgst. So wie ich dich kenne, bedarfst du nur der Gesellschaft Zelmis, um glücklich zu werden, und du wirst, ich sehe es voraus, eine Säule des ottomanischen Reiches werden.«

Nachdem Jussuff diese Worte gesprochen hatte, drückte er mich an sein Herz, und um mir keine Zeit zur Antwort zu gewähren, verließ er mich. Was ich gehört hatte, beschäftigte mich so daß ich heimkam, ohne es zu merken. Die Baili fanden mich nachdenklich und fragten mich nach dem Grunde; aber wie man sich denken kann, hütete ich mich wohl, ihre Neugierde zu befriedigen. Ich fand Jussuffs Worte nur zu wahr; die Sache war so wichtig, daß ich sie nicht nur niemandem mitteilen durfte, sondern daß ich mich sogar des Gedankens daran enthalten mußte, bis mein Geist ruhig genug war, um mir die Überzeugung zu gewähren, daß nichts Fremdes in die Wagschale fallen und meine Entscheidung beeinflussen könnte. Alle meine Leidenschaften mußten schweigen; Vorurteile, Befangenheit, Liebe und persönliches Interesse, alles mußte in der vollkommensten Ruhe und Untätigkeit bleiben.

Am nächsten Tage drängte sich mir beim Erwachen eine kleine Betrachtung über die Sache auf, und ich sah, daß ich ganz gewiß nicht daran denken durfte, wollte ich mich entschließen; eine derartige Entscheidung durfte mir nur wie durch Eingebung und ohne alle Überlegung kommen. Es war der Fall des Sequere deum – Gib dich Gott anheim – der Stoiker.

Ich verbrachte vier Tage, ohne Jussuff zu sehen, und als ich am fünften bei ihm war, plauderten wir heiter miteinander, ohne von der Sache mit einem Wort zu sprechen, obwohl wir ganz unbedingt daran denken mußten. Wir verlebten so vierzehn Tage einander gegenüber, ohne über das, was uns am meisten beschäftigte, zu sprechen; doch da unser Schweigen nicht von Heuchelei, noch von irgendeinem unserer gegenseitigen Achtung und Freundschaft widersprechenden Gefühle herrührte, sagte er mir eines Tags, er dächte sich, ich hätte seinen Vorschlag irgendeinem Weisen mitgeteilt, um mich durch einen guten Rat zu stärken. Ich beeilte mich, ihm das Gegenteil zu versichern, indem ich ihm sagte, bei einer Sache von so zarter Natur glaubte ich nicht dem Rat irgendeines andern folgen zu dürfen. »Ich habe mich Gott überlassen, mein teurer Jussuff, und da ich ihm volles Vertrauen schenke, bin ich überzeugt, daß ich das Richtige wählen werde, sei es, daß ich mich entschließe, dein Sohn zu werden, sei es, daß ich glaube bleiben zu müssen wie ich bin. Inzwischen beschäftigte der Gedanke an diese Sache meine Seele morgens und abends und in allen Augenblicken, wo ich mit mir ganz allein ruhig und gesammelt bin. Wenn ich entschlossen bin, werde ich nur dir allein die Kunde mitteilen, und von diesem Augenblick an sollst du über mich die Autorität eines Vaters ausüben.« Bei diesen Worten legte der tugendhafte Jussuff, die Augen voller Tränen, seine linke Hand auf meinen Kopf und die beiden ersten Finger der rechten Hand auf meine Stirn mit den Worten: »Fahre so fort, mein teurer Sohn, und sei überzeugt, daß du dich nicht täuschen wirst.«

»Aber,« sagte ich ihm, »könnte es nicht geschehen, daß Zeltmi mich nicht nach ihrem Geschmack fände?«

»Darüber beruhige dich. Meine Tochter liebt dich, sie hat dich gesehen. Sie sieht dich mit meiner Frau und ihrer Gouvernante, so oft wir zusammen essen, und hört dir mit Vergnügen zu.«

»Aber sie weiß nicht, daß du mich ihr zum Gatten zu geben gedenkst?«

»Sie kennt meinen Wunsch, daß du ein Gläubiger werdest, um dein Geschick mit dem ihrigen zu verbinden.«

»Es freut mich, daß es dir nicht erlaubt ist, sie mich sehen zu lassen; denn sie könnte mich blenden, und dann gäbe die Leidenschaft den Ausschlag für die Wagschale. Ich könnte mir nicht mehr schmeicheln, mich in der ganzen Reinheit meiner Seele entschieden zu haben.«

Als Jussuff mich so sprechen hörte, freute er sich außerordentlich, und ich meinte es gewiß ganz aufrichtig. Schon der Gedanke, Zelmi zu sehen, ließ mich erbeben. Ich fühlte, ich wäre, wenn ich in sie verliebt gewesen wäre, Muselmann geworden, um sie zu besitzen, und hätte es zweifellos bereut; denn die mohammedanische Religion bot meinen Augen und meinem Geist nur ein unangenehmes Bild, sowohl in bezug auf dieses wie auf jenes Leben. Und der Reichtum rechtfertigte meiner Meinung nach keinen Schritt gleich dem von mir geforderten. Übrigens konnte ich gleiche Reichtümer in ganz Europa finden, ohne deshalb meiner Stirn den schmachvollen Flecken der Abtrünnigkeit aufzudrücken. Ich hielt auf die Achtung der ausgezeichneten Personen, die mich kannten, und wollte mich derselben nicht unwürdig zeigen. Außerdem ward ich von dem Wunsch getrieben, mir bei den zivilisiertem und gebildeten Nationen entweder in den schönen Künsten oder in der Literatur oder in einer anderen ehrenvollen Laufbahn Ruhm zu erwerben, und ich konnte mich nicht entschließen, meinen Zeitgenossen die Triumphe zu überlassen, die meiner vielleicht warteten, wenn ich in ihrer Mitte lebte. Es erschien mir und erscheint mir noch, als könnte der Entschluß, den Turban zu nehmen, nur einem verzweifelten Christen beikommen, und ein solcher war ich zum Glück nicht. Besonders empörte mich der Gedanke, ein Jahr in Adrianopel leben zu müssen, um dort eine barbarische Sprache zu lernen, gegen die ich nur Widerwillen empfand und die ich folglich schlecht gelernt hätte. Wie konnte ich auch in meinem Alter auf das für mein Selbstgefühl schmeichelhafte Vorrecht verzichten, für einen Schönredner zu gelten? Und diesen Ruf hatte ich überall, wo ich bekannt war. Außerdem dachte ich manchmal, Zelmi, dies achte Wunder in den Augen ihres Vaters, könnte den meinen nicht ebenso erscheinen, und das würde zu meinem Unglück genügt haben; denn Jussuff konnte leicht noch zwanzig Jahre leben, und ich fühlte, daß Achtung und Dankbarkeit mir nie gestattet haben würden, den guten Greis zu kränken, was gewiß geschehen wäre, wenn ich seiner Tochter nicht alle Rücksichten eines guten Gatten gezeigt hätte. Das waren die Gedanken, die mich beschäftigten, und da Jussuff sie nicht erraten konnte, brauchte ich sie ihm nicht anzuvertrauen.

Wenige Tage danach fand ich bei Osman Pascha meinen Ismail Effendi zum Essen. Er bekundete mir große Freundschaft, und ich antwortete darauf, indem ich über seine Vorwürfe, solange nicht bei ihm gefrühstückt zu haben, hinwegglitt. Ich konnte es nicht abschlagen, bei ihm zu essen, und er gewährte mir ein reizendes Schauspiel: neapolitanische Sklaven beider Geschlechter führten eine Pantomine auf und tanzten Kalabreser Tänze. Herr von Bonneval sprach von dem venezianischen Tanz Furlana, und da Ismail mir das lebhafte Verlangen kundgab, diesen kennenzulernen, sagte ich ihm, es wäre mir unmöglich, ihn zu befriedigen, wenn ich nicht eine Tänzerin aus meinem Lande hätte und einen Violinisten, der die Melodie kenne. Danach ergriff ich selbst eine Violine und spielte die Melodie des Tanzes. Aber selbst wenn eine Tänzerin gefunden worden wäre, hätte ich doch nicht zugleich tanzen und spielen können.

Ismail erhob sich und sprach heimlich mit einem seiner Eunuchen. Dieser ging hinaus, kam wenige Minuten danach zurück und sagte ihm etwas ins Ohr. Darauf sagte mir der Effendi, die Tänzerin wäre gefunden; ich entgegnete ihm, der Violinspieler wurde sich ebenfalls bald finden, wenn er ein Briefchen in den venezianischen Botschaftspalast schicken wollte, was auch sogleich geschah. Der Bailo Dona schickte mir einen seiner Leute, einen trefflichen Violinisten. Sobald der Musiker bereit war, öffnete sich eine Pforte, und herein trat eine schöne Frau, das Gesicht mit einer jener Sammetmasken bedeckt, die man in Venedig Moretta nennt. Die Erscheinung dieser schönen Maske überraschte und entzückte die Anwesenden, denn es ist unmöglich, sich eine einnehmendere Erscheinung zu denken. Vollendet schön war, was man von ihrem Gesicht sehen konnte, und die größte Teilnahme erregte die Anmut ihrer Formen, die Schönheit ihres Wuchses, die wollüstige Weichheit ihrer Umrisse und der ausgezeichnete Geschmack ihres Putzes. Die Nymphe wählte ihre Stellung, ich machte es wie sie, und wir tanzten hintereinander sechs Furlanen.

Ich war sehr erhitzt und außer Atem, denn es gibt keinen feurigeren Nationaltanz. Die Schöne aher stand da, ohne das mindeste Zeichen der Ermüdung zu geben, und schien mich herauszufordern. Bei der Ronde des Balletts, dem schwierigsten Teil, schien sie zu schweben. Ich war vor Erstaunen außer mir, denn ich konnte mich nicht erinnern, dies Ballett selbst in Venedig je so schön tanzen gesehen zu haben. Nach einigen Minuten der Ruhe trat ich ein wenig beschämt über meine Ermüdung an sie heran und sagte: »Ancora sei, e poi basta, se non volete vedermi a morire – Noch sechs, aber dann nicht mehr, wenn Sie mich nicht wollen sterben sehen.« Sie hätte mir, wenn sie gekonnt hätte, geantwortet, doch sie trug eine jener barbarischen Masken, die jedes Sprechen unmöglich machen. In Ermanglung eines Wortes ließ ein Druck der Hand, den niemand sehen konnte, mich alles erraten. Sobald die zweiten sechs Furlanen beendet waren, öffnete ein Eunuch die Tur, und meine schöne Partnerin verschwand.

Ismail erschöpfte sich in Danksagungen und doch hätte ich sie ihm machen sollen, denn dies war das einzige wahre Vergnügen, das ich in Konstantinopel hatte. Ich fragte ihn, ob die Dame Venezianerin wäre; doch er antwortete mir nur durch ein bedeutungsvolles Lächeln. Gegen Abend trennten wir uns.

»Der gute Mann«, sagte mir Herr von Bonneval, als wir uns zurückzogen, »hat sich heute von seiner Prachtliebe verleiten lassen, und ich bin überzeugt daß, er schon seine Tat bereut hat, seine schöne Sklavin mit Ihnen tanzen zu lassen! Nach dem Vorurteil des Landes gefährdet das seinen guten Ruf; denn Sie haben ganz sicher das arme Mädchen in Flammen gesetzt. Ich rate Ihnen, auf der Hut zu sein und sich in acht zu nehmen, denn sie wird mit Ihnen einen Liebeshandel anzuknüpfen versuchen. Doch seien Sie klug, denn nach den hierzulande herrschenden Sitten sind derartige Umtriebe stets gefährlich.«

Ich versprach ihm, keinen falschen Schritt zu machen, doch ich hielt nicht Wort; denn drei oder vier Tage später begegnete mir eine alte Sklavin auf der Straße und bot mir einen goldgestickten Tabaksbeutel für einen Piaster an, und indem sie ihn mir in die Hände drückte, ließ sie mich fühlen, daß er einen Brief enthielt.

Ich bemerkte, daß sie die Augen des hinter mir gehenden Janitscharen vermied. Ich gab ihr einen Piaster, sie ging davon, und ich setzte meinen Weg nach dem Hause Jussuffs fort. Da ich den guten Türken nicht fand, ging ich in seinem Garten spazieren, um in aller Ruhe den Brief lesen zu können. Er war versiegelt und ohne Adresse, die Sklavin konnte sich getäuscht haben. Das vermehrte meine Neugier. Ich brach das Siegel und las folgende Zeilen in richtig geschriebenem Italienisch: »Wenn Sie neugierig sind, die Person zu sehen, die mit Ihnen die Furlana getanzt hat, so machen Sie gegen Abend im Garten jenseits des Teiches einen Spaziergang, und machen Sie sich mit der alten Magd des Gärtners bekannt, indem Sie um Limonade bitten. Sie können sie vielleicht sehen, ohne Gefahr zu laufen, selbst wenn Ismail Sie sehen sollte; sie ist Venezianerin. Es ist wichtig, daß Sie von dieser Einladung zu niemandem sprechen.«

»Ich bin nicht so einfältig, meine schöne Landsmännin!« rief ich, als wäre sie zugegen gewesen, und steckte den Brief in meine Tasche. Da trat eine schöne alte Frau hinter einem Gebüsch hervor, nannte meinen Namen und fragte mich, was ich wünschte und wie ich sie bemerkt hätte. Ich antwortete ihr lächelnd, ich hätte in die Luft gesprochen, da ich nicht geglaubt hätte, daß mich jemand hörte. Nun sagte sie geradeheraus, sie wäre erfreut, mich zu sprechen, denn sie wäre Römerin, hätte Zelmi erzogen und sie singen und Harfe spielen gelehrt. Dann sprach sie mir lobend von den Schönheiten und vortrefflichen Eigenschaften ihrer Schülerin und sagte, ich würde gewiß in sie verliebt werden, wenn ich sie sähe, und es verdrösse sie, daß es nicht erlaubt wäre. »Sie sieht uns in diesem Augenblick,« fügte sie hinzu, »hinter dieser grünen Jalousie, und wir lieben Sie, seit uns Jussuff gesagt hat, Sie könnten Zelmis Gatte werden.«

»Darf ich zu Jussuff von unserer Unterhaltung sprechen?« fragte ich sie.

»Nein.«

Dies Nein gab mir zu verstehen, daß, wäre ich nur ein wenig in sie gedrungen, sie sich hätte bestimmen lassen, mir ihre reizende Schülerin zu zeigen, und vielleicht hatte sie sogar in dieser Hoffnung mich aufgesucht. Der Gedanke aber, einen meinem teuren Gastfreunde mißfallenden Schritt zu tun hielt mich zurück. Außerdem, und noch mehr als das sicherlich, fürchtete ich den Eintritt in ein Labyrinth, wo der Anblick eines Turbans schon mich hätte erbeben lassen.

Jussuff kam hinzu und weit entfernt böse darüber zu sein, daß er mich mit der Frau zusammenfand, wünschte er mir Glück zu dem Vergnügen, das es mir machen müßte, mich mit einer Römerin zu unterhalten. Er gratulierte mir dann noch zu dem Vergnügen, daß ich bei dem Tanz mit einer der Schönheiten des Harems des wollüstigen Ismail hatte finden müssen!

»Ist denn das eine so seltene Sache, da man davon spricht?«

»Sehr selten, weil bei uns das Vorurteil besteht, die Schönheiten des Harems nicht den Augen Neidischer auszusetzen; doch jeder kann im eigenen Haus nach Belieben handeln. Ismail ist übrigens ein Ehrenmann und ein kluger Mann.«

»Kennt man die Dame, mit der ich getanzt habe?«

»O, das glaube ich nicht. Ubrigens war sie maskiert, und man weiß, daß Ismail ein halbes Dutzend hat, die alle sehr schön sind.«

Wir verbrachten den Tag heiter, und als ich von ihm schied, ließ ich mich zu Ismail führen. Da man mich hier kannte, ließ man mich eintreten, und ich ging nach dem Ort, den der Zettel mir angezeigt hatte. Als der Eunuch mich sah, kam er mir entgegen und sagte mir, sein Herr wäre ausgegangen; doch würde er sehr erfreut sein, wenn er vernähme, daß ich bei ihm einen Spaziergang gemacht hätte. Ich erklärte ihm, ich wünschte ein Glas Limonade zu trinken, und er führte mich nach dem Kiosk, wo ich die alte Botin erkannte. Der Eunuch ließ mir ein köstliches Getränk reichen und hinderte mich, der Alten ein Silberstück zu geben. Nun gingen wir auf der andern Seite des Teiches spazieren, doch der Eunuch sagte mir, wir müßten umkehren, da er drei Damen, die er mir zeigte, kommen sähe; der Anstand verlange, ihnen auszuweichen. Bald darauf dankte ich ihm für seine Gefälligkeit, trug ihm auf, Ismail meine Komplimente auszurichten, und zog mich zurück, recht zufrieden mit meinem Spaziergang und voller Hoffnung, ein anderes Mal glücklicher zu sein.

Am nächsten Morgen erhielt ich von Ismail ein Billett, worin er mich bat, am Tage darauf mit ihm zum Fischen zu fahren, und mir erklärte, wir würden bis tief in die Nacht hinein bei Mondenschein fischen. Ich hoffte, was ich wünschte, und ging so weit, Ismail zuzutrauen, daß er mich mit meiner schönen Landsmännin bekannt machen wollte. Die Gewißheit, daß er zugegen sein würde, konnte mich nicht abstoßen. Ich bat den Ritter Veniero um die Erlaubnis, eine Nacht außerhalb verbringen zu dürfen, und nur mit vieler Mühe gab er sie mir, denn er fürchtete irgendein Liebesabenteuer und die daraus folgenden Zufälle. Wie man sich wohl denken kann, beruhigte ich ihn so gut wie ich konnte, aber ich setzte ihn trotzdem nicht von allem in Kenntnis; denn Verschwiegenheit schien mir bei diesem Anlaß sehr notwendig.

Zur festgefetzten Stunde fand ich mich pünktlich ein, und Ismail empfing mich mit den herzlichsten Freundschaftsbezeigungen; doch als ich ins Boot stieg, fand ich zu meiner Uberraschung mich mit ihm allein. Er hatte zwei Ruderer und einen Steuermann, und wir fingen einige Fische, die wir in einem Kiosk in Öl braten ließen und aßen. Wir hatten Vollmond, und es war eine jener köstlichen Nächte, von denen man sich keine Vorstellung machen kann, wenn man sie nicht selber gesehen hat. Ganz allein mit Ismail und wohlbekannt mit seiner widernatürlichen Geschmacksrichtung, fühlte ich mich nicht ganz behaglich; denn trotz den Versicherungen des Herrn von Bonneval fürchtete ich, der Türke würde Lust bekommen, mir Beweise einer allzu großen Freundschaft zu geben, und dies Alleinsein beunruhigte mich. Doch es kam eine überraschende Wendung.

»Wir wollen ganz sacht gehen,« sagte er mir, »ich höre ein Geräusch, das mich irgendetwas Amüsantes ahnen läßt.« Er schickte seine Leute fort, nabm mich dann bei der Hand und sagte zu mir: »Wir wollen in ein Kabinett gehen, zu dem ich glücklicherweise den Schlüssel habe; doch dürfen wir nicht das geringste Geräusch machen. Das Kabinett hat ein Fenster nach dem Teich hinaus, wo, wie ich glaube, zwei oder drei meiner jungen Mädchen in diesem Augenblicke ein Bad nehmen. Wir werden sie sehen und uns eines sehr hübschen Schauspiels erfreuen, denn sie wissen nicht, daß sie gesehen werden. Sie wissen, daß außer mir niemandem dieser Ort zugänglich ist.« Wir traten ein und sahen bei dem Licht des Mondes, das voll auf die Wasser des Teiches fiel, drei Nymphen, die bald schwimmend bald aufrecht oder auf den Marmorstufen sitzend, sich unsern Augen von allen möglichen Seiten, in allen Stellungen der Anmut und Wollust darboten. Ich muß mir, lieber Leser, die Einzelheiten des Gemäldes ersparen; doch wenn die Natur dir ein feuriges Herz und entzündbare Sinne gegeben hat, mußt du die Verwirrung erraten, die dies einzigartige und entzückende Schauspiel in meinem armen Leibe anrichten mußte.

Einige Tage nach dieser herrlichen Mondscheinpartie mit Fischen und Badenden war ich schon früh zu Jussuff gegangen, und da ein leichter Regen mich an einem Spaziergang im Garten hinderte, trat ich in den Saal, in dem wir speisten, und wo ich bisher niemals einen Menschen gefunden hatte. Sobald ich erschien, stand ein reizendes weibliches Wesen auf und bedeckte sein Gesicht mit einem dichten Schleier, der bis auf den Boden fiel. Eine Sklavin, die am Stickrahmen neben dem Fenster saß, regte sich nicht. Ich entschuldigte mich und tat, als wollte ich gehen; doch sie hielt mich zurück und sagte mir mit lieblicher Stimme, Jussuff, der ausgegangen wäre, hätte ihr befohlen, mich zu unterhalten. Sie lud mich ein, Platz zu nehmen, und deutete auf ein kostbares auf zwei andern größeren liegendes Kissen; ich gehorchte, während sie selbst, die Beine kreuzend, sich auf ein anderes mir gegenüber setzte. Ich glaubte Zelmi vor mir zu haben und dachte mir, Jussuff hätte sich vielleicht entschlossen, mir zu zeigen, daß er ebenso mutig wäre wie Ismail; doch überraschte mich dieser Schritt, der seinen Grundsätzen widersprach, da er die Reinheit meiner Zustimmung zu gefährden drohte, indem er mich verliebt machte. Indes brauchte ich hier keine Furcht zu haben, denn um mich zu entschließen, hätte ich ihr Gesicht sehen müssen.

»Ich glaube,« sagte die schöne Verschleierte, »du weißt nicht, wer ich bin?«

»Ich kann es in der Tat nicht erraten.«

»Ich bin seit fünf Iahren die Gattin deines Freundes und bin in Chios geboren. Ich war dreizehn Jahr alt, als ich seine Frau wurde.«

Ich war sehr überrascht, daß mein philosophischer Muselmann sich so weit über alle Vorurteile hinwegsetzte, mir eine Unterhaltung mit seiner Frau zu gestatten; doch fühlte ich mich ruhiger und glaubte das Abenteuer weiter treiben zu können. Dazu hätte ich indes ihr Gesicht sehen müssen; denn ein bekleideter schöner Körper, dessen Kopf man nicht sieht, kann nur Begierden erwecken, die leicht zu befriedigen sind. Das Feuer der Begierden gleicht dem Strohfeuer; sobald es brennt, hat es auch schon seine größte Höhe erreicht. Ich sah ein reizendes Bild, doch nicht die Seele, denn ein dichter Flor verbarg sie meinen gierigen Blicken. Ich sah Alabasterarme, die die Grazien gerundet hatten, und ihre Hände glichen denen Alcinens, »an denen man weder Muskel noch Ader sah«, und meine tätige Einbildungskraft schuf alles übrige in Harmonie zu diesen schönen Mustern; denn die anmutigen Falten des Musselins ließen den Umrissen ihren ganzen Zauber und verbargen mir nur den lebenden Abriß der Oberfläche: Alles mußte schön sein, doch ich empfand das Bedürfnis in ihren Augen zu lesen, daß alles, was ich mir einbildete, Leben habe und mit Gefühl begabt sei. Die orientalische Tracht ist nur ein schöner über eine Porzellanvase gezogener Firniß, um die Farben der Blumen und Figuren der Berührung zu entziehen, ohne dem Vergnügen der Augen irgendetwas zu nehmen. Jussuffs Frau war nicht als Sultana gekleidet; sie trug das Kostüm von Chios, mit einem Rock, der mich weder hinderte, die Vollkommenheit ihres Beins noch die Rundung ihrer Schenkel und den wollüstig gerundeten Vorsprung ihrer Hüften zu sehen, auf die sich ein schlanker und wohlgebildeter Rumpf stützte, den ein prächtiger silbergestickter und mit Arabesken bedeckter Gürtel umspannte. Über dem allen sah ich zwei Halbkugeln, die Apelles zum Modell für die seiner schönen Venus hätte nehmen können, und ihre lebhafte, doch ungleiche Bewegung zeigte mir, daß diese bezaubernden Hügel belebt seien. Der kleine Raum zwischen ihnen, den ich mit meinen Augen verschlang, schien mir eine Nektarquelle zu sein, nach der meine heißen Lippen mit größerer Gier sich sehnten, als nach dem Göttertrank, um ihren Durst zu stillen.

Entzückt und außer mir, streckte ich mit einer beinah unwillkürlichen Bewegung meinen Arm aus, und meine kühne Hand wollte schon den Schleier heben, da hinderte sie mich daran, indem sie sich leicht auf die Spitzen ihrer schönen Füße erhob und mir mit gebieterischer Stimme und Haltung meine treulose Keckheit vorwarf. »Verdienst du«, sagte sie mir, »Jussuffs Freundschaft, da du die Gastfreundschaft durch eine Beschimpfung seiner Frau verletzest?«

»Sie müssen mir verzeihen, Signora, denn ich hatte nicht die Absicht, Sie zu beleidigen. Nach unseren Sitten kann der niedrigste Mensch seine Augen auf das Gesicht der Königin heften.«

»Ja, aber ihr nicht den Schleier fortreißen, wenn sie mit ihm verhüllt ist. Jussuff wird mich rächen.«

Diese Drohung und der Ton, in dem sie ausgesprochen wurde, erfüllte mich mit Furcht. Ich warf mich ihr zu Füßen und wußte sie schließlich auch zu beruhigen. »Setze dich!« sagte sie zu mir. Und sie setzte sich selbst, indem sie die Beine mit so großer Nachlässigkeit kreuzte, daß ich Reize erblickte, die mir den Kopf verdreht haben würden, hätte ich sie noch einen einzigen Augenblick länger sehen können. Ich sah nun, daß ich mich ungeschickt benommen hatte, und bereute es, obwohl zu spät. »Bist du entflammt?« fragte sie mich.

»Wie sollte ich es nicht sein,« antwortete ich ihr, wenn du mich mit dem heißesten Feuer brennst?«

Klüger geworden ergriff ich ihre Hand, ohne mich mehr um ihr Gesicht zu kümmern. »Da kommt mein Gatte,« rief sie mir zu; und Jussuff trat ein. Wir erhoben uns, Jussuff umarmte mich; ich begrüßte ihn, die stickende Sklavin entfernte sich. Er dankte mir, daß ich seiner Frau Gesellschaft geleistet hatte, und bot ihr seinen Arm, um sie in ihr Gemach zu führen. Sie verließ das Zimmer, doch neben der Tür hob sie ihren Schleier, umarmte ihren Gatten und ließ mich, scheinbar unabsichtlich, ihr schönes Profil sehen. Ich folgte ihr mit den Augen bis zum letzten Zimmer, wo Jussuff sie verließ. Sobald er wieder hei mir war, erklärte er mir lächelnd, seine Frau hätte sich erboten, mit uns zu essen.

»Ich glaubte,« bemerkte ich ihm, »mich Zelmi gegenüber zu befinden.«

»Das hätte unseren guten Sitten zu sehr widersprochen. Was ich tat, hat gar nichts zu sagen. Doch ich kenne keinen anständigen Mann, der kühn genug wäre, seine Tochter den Blicken eines Fremden auszusetzen.«

»Ich glaube, deine Gattin ist schön; ist sie schöner als Zelmi?«

»Die Schönheit meiner Tochter ist lächelnd und sanft, Sophias Schönheit trägt den Charakter des Stolzes. Sie wird nach meinem Tode glücklich sein. Wer sie heiratet, wird sie jungfräulich finden.«

Ich erzählte mein Abenteuer Herrn von Bonneval, indem ich besonders die Gefahr hervorhob, die ich hätte laufen können, als ich den Schleier der schönen Chiotin hob. »Die Griechin«, sagte mir der Graf, »hat sich nur über Sie lustig machen wollen; von Gefahr war keine Rede. Sie war, glauben Sie mir, ärgerlich, daß sie mit einem Neuling zu tun gehabt hat. Sie haben eine französische Posse gespielt, während Sie gerade auf das Ziel hätten losgehen sollen. Wozu brauchten Sie ihre Nase zu sehen? Sie wußte ganz gut, daß sie, wenn Sie die gesehen hätten, nichts dabei gewonnen haben würde. Sie hätten auf das Wesentliche gehen sollen. Wäre ich jung, so würde es mir vielleicht gelingen, Sie zu rächen und meinen Freund Jussuff zu strafen. Sie haben der Schönen einen traurigen Begriff von der italienischen Tüchtigkeit beigebracht. Der sittsamsten Türkin wohnt Schamhaftigkeit nur auf dem Gesicht; sobald sie ihren Schleier vor hat, weiß sie bestimmt, daß sie über nichts erröten wird. Ich bin überzeugt, die Dame trägt ihr Gesicht stets bedeckt, wenn ihr Mann mit ihr kosen will.«

»Sie ist Jungfrau!«

»Das ist schwer zu glauben, lieber Freund; ich kenne die Chiotinnen. Sie besitzen aber die Kunst, den äußeren Anschein der Jungfräulichkeit zu bewahren.«

Jussuff kam nie mehr auf den Gedanken, mir eine ähnliche Höflichkeit erweisen zu wollen, und gewiß hatte er recht.

Einige Tage später war ich bei einem armenischen Kaufmann wo ich einige schöne Waren besah, als Jussuff hinzukam; er lobte meinen Geschmack bei der Auswahl der Sachen, die ich schön fand, aber nicht kaufte, da sie meiner Ansicht nach zu teuer waren. Jussuff dagegen behauptete, die Waren wären nicht teuer, er kaufte sie alle, und wir trennten uns. Am nächsten Morgen sah ich alle Waren bei mir: das war eine Galanterie Jussuffs, und damit ich keine Veranlassung haben konnte, dies Geschenk zurückzuweisen, hatte er einen hübschen Brief hinzugefügt, worin er mir schrieb, bei meiner Ankunft in Korfu würde ich erfahren, wem ich diese Sachen zuzustellen hätte. Es waren mit Gold und Silber durchwebte glänzende Damaststoffe, Börsen, Brieftaschen, Gürtel, Schärpen, Taschentücher und Pfeifen: alles zusammen im Werte von vier- bis fünfhundert Piastern. Als ich ihm danken wollte, nötigte ich ihn zu dem Geständnis, es wäre ein Geschenk der Freundschaft, das er mir machen wollte.

Am Tage vor meiner Abreise brach der wackere Mann in Tränen aus, als er von mir Abschied nahm; doch die, die ich vergoß, waren ebenso aufrichtig und reichlich wie die seinigen. Er sagte mir: dadurch, daß ich sein Anerbieten nicht angenommen, hätte ich seine Achtung so sehr gewonnen, daß er sich nur schwer denken könnte, daß er mich mehr geachtet hätte, wenn ich sein Sohn geworden wäre. Sobald ich auf dem Schiff war, auf dem ich mich mit dem Bailo Giovanni Dona einschiffte, fand ich eine Kiste, die er mir noch zum Geschenk machte, und die zwei Zentner Mokkakaffee bester Güte, hundert Pfund Blättertabak und zwei große Krüge enthielt, von denen der eine mit Zapanditabak, der andere mit Camussade gefüllt war; außerdem noch ein prachtvolles Pfeifenrohr von Jasminholz, mit Goldfiligran verziert, das ich in Korfo um hundert Zechinen verkaufte. Ich konnte dem freigebigen Türken erst von Korfu aus die Versicherung meiner Dankbarkeit geben und versäumte es nicht. Ich verkaufte alle seine Geschenke, was mir ein kleines Vermögen einbrachte.

Ismail gab mir einen Brief für den Ritter von Lezze, doch konnte ich diesen nicht bestellen, da ich ihn verlor. Auch schenkte er mir ein Faß Honigwasser, das ich ebenfalls zu Geld machte. Herr von Bonneval übergab mir einen Brief für den Kardinal von Acquaviva. Ich sandte ihm denselben samt einer Beschreibung meiner Reife, aber Seine Eminenz glaubte nicht mir zur Bestätigung des Empfangs verpflichtet zu sein. Bonneval schenkte mir zwölf Flaschen Ragusaner Malvasiers und zwölf andere echten Scopolos. Es war eine seltene Gabe, die mir in Korfu dazu diente, ein Geschenk zumachen, das mir, wie man später sehen wird, von großem Nutzen wurde.

Der einzige fremde Gesandte, den ich oft in Konstantinopel sah, war der Lord Marishal von Schottland, der berühmte Keith, der für den König von Preußen hier residierte und dessen Bekanntschaft mir sechs Jahre später zu Paris sehr nützlich ward.

Wir segelten anfangs September auf demselben Kriegsschiff ab, das uns nach Konstantinopel gebracht hatte, und kamen nach vierzehn Tagen in Korfu an. Der Bailo Dona blieb an Bord; er führte acht prächtige türkische Pferde mit sich, von denen ich im Jahre 1773 in Görz noch zwei am Leben fand.

Kaum war ich mit meinem Gepäck gelandet und hatte mich ziemlich ärmlich einquartiert, als ich mich Herrn Andrea Dolfin, dem Generalprovveditore, vorstellte, der mir abermals die Versicherung gab, daß ich bei der ersten Truppenbesichtigung Leutnant werden sollte. Von ihm begab ich mich zu meinern Kapitän, Herrn Camporeggio, der mich sehr freundlich empfing. Mein dritter Besuch galt dem Befehlshaber der Galeassen, Herrn D. R., dem Herr Dolfin, mit dem ich von Venedig nach Korfu gekommen war, mich zu empfehlen die Güte gehabt hatte. Nach den ersten üblichen Höflichkeitsformeln fragte er mich, ob ich hei ihm als Adjutant bleiben wollte. Ich antwortete ihm sogleich, daß sein Anerbieten mich ehrte, daß ich es annähme und daß er mich stets zu seinem Befehl finden würde. Ohne weitere Umstände ließ er mich nach dem mir von ihm bestimmten Zimmer führen, und schon am nächsten Tag sah ich mich bei ihm eingerichtet. Ich erhielt von meinem Kapitän einen französischen Soldaten zu meiner Bedienung, und da dieser von Beruf Friseur und außerdem ein großer Schwätzer war, machte er mir viel Vergnügen, denn er konnte mein schönes Haar pflegen, und ich bedurfte der Übung in der französischen Sprache. Mein Soldat war ein Bauer aus der Picardie, ein Taugenichts, Trunkenbold und Wüstling; er konnte kaum seinen Namen kritzeln; doch das machte mir wenig aus, denn es genügte mir, daß er ziemlich gut sprechen konnte. Er war ein unterhaltender Narr; er kannte eine Menge Schwänke und schlüpfrige Geschichten, die er zum Totlachen zu erzählen wußte.

Als ich meine aus Konstantinopel mitgebrachten Sachen verkauft hatte, indem ich nur den Wein zurückbehielt, sah ich mich im Besitz von ungefähr fünfhundert Zechinen. Ich löste von den Juden alles ein, was ich versetzt hatte, und machte es zu Geld, fest entschlossen, nicht mehr als Dummkopf zu spielen, sondern nur mit allen Vorteilen, die ein vorsichtiger junger Mann sich verschaffen kann, ohne daß man seine Ehre antasten könnte.

Hier ist der Ort, meine Leser mit der Lebensweise in Korfu bekannt zu machen. Uber die Örtlichkeiten, die sie aus so vielen Schilderungen anderer kennenlernen können, sage ich nichts.

Eine unumschränkte Regierungsgewalt übte damals in Korfu der Generalprovveditore aus, der in großer Pracht lebte. Das Amt bekleidete zurzeit Herr Dolfin, ein Greis von zweiundsiebzig Jahren, streng, starrköpfig und unwissend. Er kümmerte sich nicht mehr um die Frauen, aber er liebte es noch, wenn sie ihm den Hof machten. Er empfing alle Abend Gesellschaft und hielt offene Tafel für vierundzwanzig Personen.

Drei hohe Offiziere befehligten die leichten Truppen, die besonders zur Besatzung der Galeeren bestimmt sind, und drei andere die Linientruppen, die die Besatzung der großen Kriegsschiffe bildeten. Jede Galeere mußte einen Befehlshaber, den sogenannten sopracomito haben, und es gab deren zehn; jedes Linienschiff stand unter einem Kommandanten, und es gab deren ebenfalls zehn, darin inbegriffen drei Seechefs oder Admirale. Alle diese Herren waren venezianische Edelleute. Zehn andere junge Männer von zwanzig bis zweiundzwanzig Jahren waren ebenfalls venezianische Edelleute und hielten sich auf der Insel auf, um das Seewesen zu studieren. Außerdem waren noch etwa zehn Nobili im Zivildienst, bei der Polizei der Insel oder bei der Justiz beschäftigt. Sie hießen Großoffiziere des Festlandes. Die mit hübschen Frauen Verheirateten genossen das Vergnügen, ihre Häuser häufig von Herren besucht zu sehen, die nach ihrer Gunst strebten. Aber man sah nirgends lebhafte Leidenschaften, vielleicht weil damals in Korfu sich viele Phrynen aufhielten, deren Reize käuflich waren. Die Glücksspiele waren überall erlaubt, und die habgierige Leidenschaft des Spiels mußte den Gefühlen des Herzens großen Eintrag tun.

Unter den Damen zeichnete sich Frau F. am meisten durch Schönheit und Galanterie aus. Ihr Gatte, Kapitän einer Galeere, war das Jahr vorher nach Korfu gekommen, und die Dame hatte alle Admirale in Staunen versetzt. Sie glaubte Herrin ihrer Wahl zu sein und gab Herrn D. R. den Vorzug mit Ausschluß aller Galane, die sich ihr sonst noch boten. Herr F. hatte sie an dem Tage geheiratet, an dem sie, siebzehn Jahre alt, das Kloster verließ, und sich mit ihr am selben Tag auf seiner Galeere eingeschifft.

Ich sah sie zum erstenmal bei Tisch am Tag meiner Einführung und war von ihrem Anblick betroffen. Ich glaubte etwas Übernatürliches zu sehen, etwas über alle mir bis dahin begegneten Frauen so hoch Erhabenes, daß es mir unmöglich vorkam, mich in sie zu verlieben. Sie schien mir von einer ganz anderen Art zu sein als ich und so hoch zu stehen, daß es mir unmöglich vorkam, mich bis zu ihr zu erheben. Ich ging so weit, daß ich mich überredete, zwischen ihr und Herrn D. R. könnte nur eine platonische Freundschaft bestehen, und ich fand, daß Herr F. mit Recht nicht eifersüchtig war. Übrigens war dieser Herr F. ein ausgemachter Dummkopf und gewiß wenig für eine derartige Frau geschaffen. Die erste Auffassung, die ich von Frau F. hatte, war zu kindisch, als daß sie lange hätte anhalten können; sie änderte denn auch bald ihre Natur, und zwar auf eine mir ganz neue Weise.

Meine Eigenschaft als Adjutant verschaffte mir die Ehre, am selben Tisch mit ihr zu essen, doch das war alles. Der andere Adjutant, Fähnrich wie ich und lächerlich dumm, teilte diese Ehre mit; aber wir wurden nicht als Tischgenossen betrachtet, denn niemand sprach mit uns, man gönnte uns nicht einmal einen Blick. Ich hielt das nicht aus. Ich wußte sehr wohl, daß das nicht von einer absichtlichen Geringschätzung herrühre; doch davon ganz abgesehen, fand ich es zu hart. Mein Kamerad Sanzogno, schien mir, konnte sich nicht darüber beklagen, denn er war ein Tölpel, doch ich hatte keine Lust, zu dulden, daß man mich mit ihm auf eine Stufe stellte. Als nach acht oder zehn Tagen Frau F. mich noch immer keines Blickes gewürdigt hatte, begann sie mir zu mißfallen. Ich war betroffen, gereizt und ungeduldig, um so mehr als ich weit entfernt war, zu glauben, es könnte Absicht sein; denn in diesem Fall hätte es mir nicht mißfallen. Ich kam zu der Überzeugung, daß ich in ihren Augen eine Null wäre, und da ich meinen Wert kannte, so nahm ich mir vor, ihr diesen klarzumachen. Endlich bot sich die Gelegenheit, da sie ein Wort an mich richten zu können meinte und mir ins Gesicht sehen mußte.

Herr D. R. bemerkte, daß ich vor mir einen prächtigen Truthahn stehen hatte; er sagte mir, ich möchte ihn zerlegen, und ich tat das sogleich. Ich war aber nicht geschickt darin, und Frau F. lachte über mein linkisches Benehmen und sagte mir, da ich mich nicht mit Ehren aus der Sache ziehen könnte, hätte ich sie nicht übernehmen sollen. Da ich ihr nicht antworten konnte, wie mein Unwille erfordert hätte, setzte ich mich ganz verwirrt nieder und fühlte mein Herz von Haß gegen sie erfüllt. Um das Maß voll zu machen, fragte sie mich eines Tags, als sie meinen Namen nennen wollte, wie ich hieße. Seit vierzehn Tagen schon versah ich nun meinen Dienst bei Herrn D. R., sie sah mich jeden Tag und hätte meinen Namen wissen müssen. Überdies hatte das Glück, das mich beim Spiel begünstigte, meinen Namen schon in Korfu berühmt gemacht. Mein Unwille erreichte den höchsten Grad.

Ich hatte mein Geld einem gewissen Maroli gegeben, Platzmajor und Spieler von Profession, der im Kaffeehause die Pharaobank hielt. Wir spielten auf Halbpart; ich machte seinen Croupier, wenn er abzog, und er leistete mir denselben Dienst, wenn ich die Karten hielt; und das geschah oft, denn man liebte ihn nicht. Er hielt die Karten auf eine Weise, die Angst einflößte, während bei mir das Gegenteil der Fall war und ich viel Glück hatte. Überdies war ich gern gefällig, verlor lächelnd und gewann, ohne Habgier zu zeigen, und das gefällt stets den Mitspielern.

Dieser Maroli war derselbe, der mir während meines ersten Aufenthalts mein ganzes Geld abgewonnen hatte, und da er mich nach meiner Rückkehr von Konstantinopel entschlossen sah, mich nicht mehr von ihm betrügen zu lassen, hielt er mich für würdig, mich an den weisen Grundsätzen teilnehmen zu lassen, ohne die die Glückspiele alle, die sich ihnen überlassen, zugrunde richten. Indessen flößte mir der Herr Offizier nicht allzuviel Vertrauen ein, ich war daher auf meiner Hut. Jede Nacht, wenn das Spiel beendet war, zählten wir, die Schatulle blieb in den Händen des Kassierers, das gewonnene Geld wurde geteilt und jeder nahm seinen Anteil mit.

Glücklich im Spiel, im Genuß einer guten Gesundheit und der Freundschaft meiner Kameraden, die mich bei Gelegenheit stets gefällig und freigebig fanden, hätte ich mit meinem Los zufrieden sein können, wäre ich an der Tafel des Herrn D. R. von seiner schönen Dame mit ein wenig mehr Auszeichnung und mit weniger Stolz behandelt worden; aber sie schien mich ohne Grund von Zeit zu Zeit demütigen zu wollen. Dies verletzte mein Selbstgefühl so sehr, daß ich sie verabscheute, und in dieser Gemütsverfassung fand ich sie um so dümmer, jemehr ich ihre körperlichen Vorzüge bewunderte. Sie hätte sich meines Herzens versichern können, ohne mich lieben zu müssen, denn ich machte keine weiteren Ansprüche; nur wollte ich nicht gezwungen sein, sie zu hassen, und ich sah nicht ein, was sie dadurch, daß sie sich verabscheuenswert machte, gewinnen könnte, während es ihr mit einfachem Wohlwollen so leicht gewesen wäre, sich anbeten zu lassen. Ich konnte ihr Benehmen nicht einem Geist der Koketterie zuschreiben, denn ich hatte ihr nie im geringsten gezeigt, daß ich ihr Gerechtigkeit widerfahren ließ, und ich hatte keinen Grund, ihr Benehmen daraus zu erklären, daß meine Leidenschaft mich in ihren Augen hätte unangenehm machen können; denn Herr D. R. interessierte sie nur wenig, und aus ihrem Manne machte sie sich sehr wenig. Kurz, die reizende Frau machte mich unglücklich, und was mich besonders gegen mich selber aufbrachte, war das Gefühl, daß ich gar nicht an sie gedacht haben würde, wenn ich sie nicht wegen ihres Benehmens gehaßt hätte. Meine Marter vermehrte noch der Umstand, daß ich an mir einen gehässigen Charakter entdeckte, ein Gefühl, das ich bis dahin nicht bei mir geahnt hatte und dessen Entdeckung mich sehr beunruhigte.

Eines Tages überbrachte mir jemand eine Rolle Gold, die er auf Ehrenwort verloren hatte, und als wir vom Tisch aufstanden, fragte sie mich geradezu:

»Was machen Sie mit Ihrem Geld?«

»Ich bewahre es auf, gnädige Frau, um damit Verluste auszugleichen, die ich etwa haben könnte.«

»Aber wenn Sie keine Ausgaben haben, täten Sie besser, gar nicht zu spielen, denn Sie verlieren dabei Ihre Zeit.«

»Die dem Vergnügen gewidmete Zeit ist nie verloren. Verloren ist nur die langweilig verbrachte. Ein junger Mensch, der sich langweilt, setzt sich dem Unglück aus, sich zu verlieben und sich verschmäht zu sehen.«

»Das ist leicht möglich, aber indem Sie nur zum Spaß den Kassierer Ihres Geldes machen, zeigen Sie sich geizig, und ein Geizhals ist nicht achtenswerter als ein Verliebter. Weshalb kaufen Sie sich keine Handschuhe?«

Bei diesen Worten waren, wie man sich wohl denken kann, die Lacher auf ihrer Seite; und das verwirrte mich um so mehr, als ich mir nicht verhehlen konnte, daß sie vollkommen recht hatte; denn es gehörte zu den Pflichten eines Adjutanten, eine Dame bis zu ihrem Wagen zu führen, indem er ihren Arm stützte, und es war nicht schicklich, dies ohne Handschuhe zu tun. Ich war gedemütigt und der Vorwurf des Geizes schnitt mir in die Seele. Tausendmal lieber hätte ich gesehen, wenn sie meinen Fehler einem Mangel an Erziehung zugeschrieben hätte; trotzdem, unerklärlicher Widerspruch des menschlichen Herzens, machte ich meinen Fehler nicht gut, indem ich mir den Luxus gestattete, zu dem meine Lage mich wohl berechtigte. Ich kaufte keine Handschuhe und faßte den Entschluß, sie zu meiden und die alberne und widerwärtige Galanterie Sanzogno zu überlassen, der zwar Handschuhe trug, aber schlechte Zähne hatte, aus dem Munde roch, eine Perücke trug und dessen Gesicht einem verschrumpelten Schafleder glich.

Ich verbrachte meine Tage damit, mich zu martern, und das Lächerlichste an dem Zustande meines Herzens war, daß ich mich unglücklich fühlte, das junge Weib nicht lassen zu können, an dem ich mit gutem Gewissen kein Unrecht finden konnte. Sie haßte mich weder, noch liebte sie mich; das war ganz einfach, doch da sie jung war und gern lachte, war ich ohne Absicht und Bosheit ihr schwarzes Schaf und das Ziel ihrer Neckereien, die meine sehr reizbare Eitelkeit in meinen Augen noch sehr übertrieb. Wie dem auch sei, ich wünschte lebhaft, sie zu strafen und zur Reue zu zwingen. Ich dachte an alle möglichen Mittel, um zu diesem Ziel zu gelangen. Ich wollte zuerst meinen ganzen Geist und meine Börse aufbieten, um ihr Liebe einzuflößen, und mich dann rächen, indem ich sie verachtete. Doch den Augenblick darauf fühlte ich, wie unausführbar der Plan war; denn vorausgesetzt, ich hätte den Weg zu ihrem Herzen finden können, war ich dann der Mann dazu, bei einer Frau wie sie meinen eigenen Erfolgen Widerstand zu leisten; dies durfte ich mir nicht einbilden. Aber ich war ein Schoßkind des Glückes, und plötzlich verwandelte der Zufall meine Lage.

Herr D. R. hatte mich mit Depeschen zum Befehlshaber der Galeassen, Herrn von Condulmer geschickt; ich mußte bis Mitternacht warten und fand Herrn D. R. schon zu Bett, als ich zurückkehrte. Am Morgen, sobald er aufgestanden war, begab ich mich zu ihm, um ihm von meiner Sendung zu berichten. Der Kammerdiener trat einen Augenblick nach mir ein, gab ihm ein Billett und sagte ihm, der Bote von Frau F. warte auf Antwort. Herr D. R. las das Billett, zerriß es und trat es in seiner Erregung mit den Füßen. Nachdem er einen Augenblick im Zimmer auf- und abgegangen war, schrieb er die Antwort und klingelte dem Boten, dem er es übergab. Dann las er mit scheinbar größter Ruhe zu Ende, was ihm der Admiral meldete, und befahl mir, einen Brief zu schreiben. Er las ihn, als der Kammerdiener sagte, Frau F. wünschte mich zu sprechen. Herr D. R. sagte mir, ich könnte zu ihr gehen, da er selbst mir nichts mehr aufzutragen hätte. Ich ging, doch ich war kaum zwanzig Schritte fort, da rief er mich zurück, um mir zu sagen, es wäre meine Pflicht, nichts zu wissen. Ich bat ihn, zu glauben, daß ich mich davon überzeugt hielte. Ich flog zu Frau F., sehr neugierig, zu erfahren, was sie von mir wünschen könnte. Sie ließ mich nicht warten, und ich war sehr überrascht, sie in ihrem Bett sitzend zu finden, das Gesicht lebhaft erregt und die Augen von den Tränen gerötet, die sie augenscheinlich vergossen hatte. Mein Herz schlug heftig, und doch sah ich keinen Grund dazu.

»Nehmen Sie einen Stuhl,« sagte sie zu mir, »denn ich habe mit Ihnen zu sprechen!«

»Gnädige Frau,« entgegnete ich, »ich halte mich dieser Gunst nicht für wert, da ich sie noch durch nichts verdient habe. Ich werde die Ehre haben, Sie stehend anzuhören.«

Sie erinnerte sich vielleicht, daß sie noch nie so höflich gegen mich gewesen war, und wagte nicht weiter in mich zu dringen.

»Mein Gatte«, sagte sie zu mir, nachdem sie sich besonnen hatte, »verlor gestern abend auf Ehrenwort zweihundert Zechinen an Ihrer Bank. Er glaubte, ich hätte dies Geld, das er mir übergeben hatte, und ich muß sie ihm folglich zurückerstatten, denn er muß sie heute zahlen. Unglücklicherweise aber verfugte ich über das Geld und bin nun in großer Verlegenheit. Ich denke, mein Herr, Sie könnten Maroli sagen, daß Sie die verlorene Summe von mir empfangen haben. Hier ist ein wertvoller Ring. Behalten sie ihn. Sie werden ihn mir am Neujahrstage wiedergeben; zu diesem Zeitpunkt werde ich Ihnen die zweihundert Dukaten zurückerstatten, für die ich Ihnen einen Wechsel gebe.«

»Den Wechsel nehme ich an, gnädige Frau, doch des Ringes will ich Sie nicht berauben. Außerdem muß ich Ihnen noch sagen, daß Herr F. diese Summe an die Bank bezahlen oder einen anderen an seiner Stelle dorthin schicken musß. In zehn Minuten werden Sie die Summe, deren Sie bedürfen, in Händen haben.«

Ich gehe, ohne ihre Antwort abzuwarten, und komme einen Augenblick danach mit zwei Rollen von je hundert Dukaten zurück; ich übergebe sie ihr, stecke ihren Wechsel ein und will gehen. Da richtete sie an mich die kostbaren Worte: »Ich glaube, mein Herr, hätte ich gewußt, daß Sie mir gegenüber so dienstwillig sein würden, so hätte ich nicht den Mut gehabt, mich zu entschließen, Sie um diese Gefälligkeit zu bitten.«

»Nun wohl, gnädige Frau, so glauben Sie in Zukunft, daß niemand Ihnen einen unbedeutenden Dienst abzuschlagen fähig wäre, sobald Sie ihn persönlich darum zu bitten die Güte haben würden.«

»Was Sie mir sagen, ist sehr schmeichelhaft, doch ich hoffe, nie wieder in die unangenehme Lage zu kommen, um das zu erproben.«

Ich ging, indem ich über die Feinheit dieser Antwort nachdachte. Sie hatte mir nicht gesagt, daß ich mich täuschte, wie ich erwartete; sie hätte sich dadurch bloßgestellt, denn sie wußte, daß ich bei Herrn D. R. war, als der Bote ihm ihr Billett übergeben hatte, und sie zweifelte nicht, daß ich erraten hatte, sie hätte eine Zurückweisung erfahren. Da sie mir davon nichts sagte, sah ich, daß sie viel auf ihren guten Ruf hielt; ich erbebte darüber vor Freude und fand sie anbetungswert. Ich sah klar, daß sie Herrn D. R. nicht lieben konnte und daß sie von ihm nicht geliebt wurde, und diese Entdeckung war Balsam für mein Herz. Von diesem Augenblick an fühlte ich mich auch für sie entflammt und erkannte die Möglichkeit, sie fur meine Liebe empfänglich zu machen.

Sobald ich zu Hause war, trug ich zuerst Sorge dafür, mit Tinte alle Worte ihres Wechsels, mit Ausnahme ihres Namens, auszustreichen. Dann steckte ich ihn in ein Kuvert und übergab dies einem Notar, indem ich auf dem Empfangsschein, den ich mir darüber geben ließ, bestätigen ließ, daß das versiegelte Billett nur Frau F. selbst übergeben werden sollte, sobald sie es verlangen würde.

Am selben Abend kam Herr F. an meine Bank, bezahlte mich, spielte mit barem Geld und gewann einige fünfzig Dukaten. Auffallend war mir bei diesem Erlebnis, daß Herr D. R. sich wie vordem freundlich gegen Frau F. zeigte und daß auch sie ihr Benehmen gegen ihn nicht änderte. Er fragte mich nicht einmal, was sie von mir gewollt hätte, als sie mich zu sich holen ließ. Doch wenn auch die Dame ihren Ton gegen meinen Vorgesetzten nicht änderte, wurde sie mir gegenüber doch ganz anders, denn sie saß mir nicht mehr bei Tische gegenüber, ohne häufig an mich das Wort zu richten; und das versetzte mich oft in die Notwendigkeit oder gab mir wenigstens die Gelegenheit, mich geltend zu machen, indem ich pikante Geschichten vortrug oder Äußerungen tat, in denen ich Kenntnisse auf scherzhafte Art zu zeigen verstand. Ich besaß damals das große Talent, Gelächter hervorzurufen und dabei selbst ernst zu bleiben. Dies hatte ich von Herrn Malipiero, meinem ersten Lehrer in der Lebenskunst, gelernt.

»Will man jemanden zum Weinen bringen,« hatte mir der weltgewandte Mann gesagt, »so muß man selber weinen; will man aber lachen machen, dann muß man ernsthaft bleiben.«

Bei allem, was ich tat oder sagte, wenn Frau F. zugegen war verfolgte ich nur den einzigen Zweck, ihr zu gefallen ; ich sah sie aber nie ohne Grund an und vermied es, ihr die Gewißheit zu geben, daß ich diese Absicht hegte. Ich wollte sie dahin bringen, neugierig zu werden, zu zweifeln, selbst mein Geheimnis zu erraten, ohne daß sie sich aber dessen rühmen konnte. Ich fühlte das Bedürfnis, sachte vorzugehen. In Erwartung von etwas Besserem sah ich mit Vergnügen, daß mein Geld, dieser magische Talisman, und meine gute Aufführung mir eine Beachtung gewannen, die ich weder von meinem Rang noch von meinem Alter, noch von irgendeinem Talente erhoffen konnte, das dem von mir erwählten Stande entsprochen hätte.

Gegen Mitte November bekam mein Soldat eine Brustkrankheit, ich teilte es dem Kapitän der Kompagnie mit, der ihn ins Spital bringen ließ. Am vierten Tage sagte der Kapitän mir, er würde sich nicht erholen, und man hätte ihm die letzte Ölung gegeben; und gegen Abend, als ich bei ihm war, meldete der Priester, der ihm beigestanden hatte, er wäre tot, und übergab ihm ein kleines Paket, das der Verstorbene ihm anvertraut hatte, um es erst nach seinem Tode dem Kapitän auszuhändigen. Das Paket enthielt ein kupfernes Petschaft mit einem Wappen und Herzogsmantel, ein Taufzeugnis und ein Blatt Papier mit französischer Schrift. Kapitän Camporeggio, der nur Italienisch verstand, bat mich die Schrift zu lesen, und ich las folgendes:

»Mein Wille ist, daß dies Papier, das ich mit eigener Hand geschrieben und unterzeichnet habe, meinem Kapitän erst übergeben werden soll, wenn ich nicht mehr bin. Vor dieser Zeit darf mein Beichtvater keinen Gehrauch davon machen; denn ich vertraue ihm dasselbe nur unter dem Beichtsiegel an. Ich bitte meinen Kapitän, mich in einem Gewölbe beerdigen zu lassen, aus dem mein Leichnam gehoben werden kann, wenn mein Vater, der Herzog, es verlangen sollte. Ich bitte auch, dem französischen Gesandten in Venedig mein Geburtszeugnis zu schicken, das Siegel mit dem Wappen meiner Familie und ein beglaubigtes Zeugnis meines Todes, damit alles meinem Vater, dem Herzog, gesandt wird, weil mein Erstgeburtsrecht auf meinen prinzlichen Bruder übergehen muß. Zur Beglaubigung dessen habe ich hier meine Unterschrift beigefügt: François VI. Charles Philippe Louis Foucaud, Prince de la Rochefoucauld.«

Das in Saint=Sulpice ausgestellte Taufzeugnis trug denselben Namen, und der des Herzogs, seines Vaters, war Franz der Fünfte. Der Name seiner Mutter war Gabriele du Plessis.

Als ich dieses sonderbare Schriftstück gelesen hatte, konnte ich mich eines lauten Gelächters nicht enthalten. Da aber mein einfältiger Kapitän meine Heiterkeit unpassend fand und sich beeilte, dem Generalprovveditore Bericht zu erstatten, ging ich ins Kaffeehaus, überzeugt, daß Seine Exzellenz sich über ihn lustig machen und daß ganz Korfu über dies Possenspiel lachen würde.

Ich hatte in Rom beim Kardinal Acquaviva den Abbé de Liancourt kennengelernt, den Urenkel Charles des Fünften, dessen Schwester, Gabrielle du Plessis, die Gemahlin François des Sechsten gewesen war; doch das datierte aus dem Anfang des vergangenen Jahrhunderts. Ich hatte in dem Sekretariat des Kardinals ein Aktenstück abgeschrieben, dessen der Abbé von Liancourt bedurfte, um am Madrider Hof anerkannt zu werden, und das mehrere Umstände enthielt, die sich aus das Haus du Plessis bezogen. Ich fand auch insofern den sonderbaren Betrug la Valeurs lächerlich und einfältig, da er erst nach seinem Tode bekannt werden und ihm keinen Vorteil bringen konnte.

Eine halbe Stunde später, als ich eben ein Spiel Karten anspackte, trat Adjutant Sanzogno ein und erzählte mit dem ernstesten Gesicht die wichtige Neuigkeit. Er kam vom Generalat, wo Kapitän Camporeggio ganz atemlos angekommen war, um Seiner Erzellenz das Siegel und die Papiere des Toten zu übergeben. Seine Erzellenz hatte sogleich befohlen, den Prinzen in einem Gewölbe beizusetzen und ihm alle seinem Range zukommenden Ehren zu erweisen. Wieder eine halbe Stunde später kam der Adjutant des Generalprovveditore, Herr Minotto, und sagte mir, daß Seine Erzellenz mich rufen ließen. Beim Ende der Tailie übergab ich die Karten dem Major Maroli und begab mich nach dem Generalat. Ich fand Seine Exzellenz mit den vornehmsten Damen und drei oder vier Admiralen sowie Frau F. und Herrn D. R. bei Tisch. »Nun,« sagte der alte General, »Ihr Diener war also ein Prinz?«

»Gnädiger Herr, ich hätte es nie geahnt; selbst jetzt, wo er tot ist, glaube ich es noch nicht.«

»Wie? Er ist tot, und er war doch nicht verrück. Sie haben sein Wappen und seinen Taufschein gesehen, sowie die Schrift von seiner Hand. Wenn man im Sterben liegt, hat man keine Lust mehr, Possen zu treiben.«

»Wenn Eure Erzellenz das alles für wahr halten, ist es meine Pflicht, zu schweigen.«

»Es kann nur wahr sein, und Ihr Zweifel setzt mich in Erstaunen.«

»Er rührt daher, gnädiger Herr, daß ich über die Familie de la Rochesfoucauld sowie über die der du Plessis unterrichtet bin. Überdies habe ich diesen Menschen zu gut gekannt. Er war nicht verrückt, aber ein toller Possenreißer. Ich habe ihn nie schreiben sehen, und zwanzigmal hat er mir erklärt, er hätte es nicht gelernt.«

»Seine Schrift beweist das Gegenteil. Sein Wappen hat den Herzogsmantel. Aber Sie wissen vielleicht nicht, daß Herr von la Rochefoucauld Herzog und Pair von Frankreich ist?«

»Ich bitte um Verzeihung, gnädiger Herr, ich weiß das alles und sogar noch mehr, denn ich weiß, daß Francois der Sechste ein Fräulein von Vivonne zur Gattin hatte.«

»Sie wissen nichts.«

Durch diesen ebenso einfältigen wie unartigen Ausspruch fühlte ich mich zum Schweigen verurteilt; mit Vergnügen sah ich alle anwesenden Herren über die mir widerfahrene vermeintliche Demütigung erfreut.

Ein Offizier sagte, der Verstorbene wäre schön gewesen, hätte ein edles Aussehen gehabt, viel Geist, und hätte sich so zurückhaltend gezeigt, daß niemand hätte ahnen können, wer er war. Eine Dame erklärte, sie würde ihn, hätte sie ihn gekannt, entlarvt haben. Ein anderer Speichellecker, eine gemeine Gattung, die bei den Großen so gewöhnlich ist, sagte, er wäre stets heiter, liebenswürdig, gefällig, durchaus nicht stolz gegen seine Kameraden gewesen und hätte wie ein Engel gesungen. »Er war fünfundzwanzig Jahre alt,« sagte Frau Sagredo, indem sie mich fest ansah, »und wenn er wirklich diese Eigenschaften besessen hat, müssen Sie sie bemerkt haben!«

»Ich kann Ihnen den Menschen nur so schildern, wie ich ihn gesehen habe. Stets lustig, häufig bis zur Tollheit, denn er schoß bewunderungswürdig Purzelbaum, er sang lustige Lieder und brachte eine Menge Geschichten und Geschichtchen von Zauberei, Wundern und Gespenstern vor, tausend wundersame Erzählungen, die den gesunden Verstand verletzten und vor allem dadurch das Gelächter seiner Zuhörer wachriefen. Seine Fehler bestanden darin, daß er ein Trunkenbold, ein schmutziger, ausschweifender und händelsüchtiger Mensch und ein kleiner Betrüger war. Ich litt ihn trotzdem um mich, weil er mir das Haar nach meinem Geschmack machte und mir durch sein Geschwätz Gelegenheit bot, mich in der Umgangssprache zu üben, die man nicht in den Büchern findet. Er sagte mir stets, er sei Pikarde, der Sohn eines Bauern und Deserteur. Ebenso sagte er mir, er könne nicht schreiben, und es ist unmöglich, daß er mich täuschte.«

Als ich eben diese Worte gesprochen hatte, trat Camporeggio hastig ein und meldete, la Valeur atme noch. Der General richtete einen bedeutungsvollen Blick auf mich und sagte, er wäre entzückt, daß er sich erholen könnte.

»Ich auch, gnädiger Herr; doch der Beichtiger wird ihn gewiß diese Nacht sterben lassen.«

»Weshalb sollte er das wohl tun?«

»Um der Galeere zu entgehen, zu der Eure Exzellenz ihn verurteilen würden, weil er das Beichtgeheimnis verletzte.«

Ein lautes Gelächter brach los; der alte Tropf von General aber runzelte die Stirn. Bald darauf trennte sich die Versammlung. Frau F., der ich zu ihrem Wagen vorausgegangen war, während Herr D. R. ihr den Arm bot, forderte mich auf, mit ihr einzusteigen, unter dem Vorwande, daß es regnete. Zum erstenmal erwies sie mir eine so ausgezeichnete Ehre. »Ich denke ebenso wie Sie,« sagte sie mir, »aber Sie haben dem General außerordentlich mißfallen.«

»Das tut mir leid, gnädige Frau, aber dies Unglück war nicht zu vermeiden, denn ich könnte nicht falsch sein.«

»Sie hätten ihm«, sagte Herr D. R. zu mir, »den beißenden Scherz mit dem Beichtvater, der den angeblichen Prinzen sterben lassen wird, wohl ersparen können.«

»Das ist aber wahr; doch ich dachte, er würde lachen, wie ich Eure Exzellenz und die gnädige Frau darüber lachen sah. Man liebt in der Unterhaltung den Geist, der zum Lachen reizt.«

»Aber der Geist, der nicht lacht, liebt ihn nicht.«

»Ich wette hundert Zechinen, daß der Narr gesund wird und, da er den General für sich hat, sich seines Betrugs freuen wird. Ich kann es kaum erwarten, zu sehen, wie man ihn als Prinzen behandelt und wie er Frau Sagredo den Hof machen wird.«

Bei dieser Bemerkung brach Frau F., die Frau Sagredo nicht liebte, in lautes Gelächter aus, und während wir aus dem Wagen stiegen, lud mich Herr D. R. ein, mit ihnen hinaufzukommen. Er war gewohnt, wenn er mit ihr beim General aß, noch eine halbe Stunde mit ihr unter vier Augen zu bleiben, denn ihr Gatte erschien nie. Zum erstenmal ließ das schöne Paar einen dritten zu. Ich war von dieser Auszeichnung entzückt, und legte ihr den größten Wert bei. Die Genugtuung, die ich empfand, die ich aber zu verbergen wußte, konnte mich nicht hindern, heiter zu sein und allen Äußerungen, die die Dame und der Herr zur Sprache brachten, eine komische Färbung zu geben. Unser angenehmes Trio währte vier Stunden, und wir kehrten erst um zwei Uhr morgens in unseren Palazzo zurück. In dieser Nacht erst machten Frau F. und Herr D. R. meine Bekanntschaft. Frau F. sagte zu dem Herrn, sie hätte noch nie so viel gelacht, noch geglaubt, daß so einfache Äußerungen eine solche Heiterkeit hervorrufen könnten. Ich aber entdeckte an ihr so viel Geist und Munterkeit, daß ich vollends in sie verliebt wurde und mich mit der Überzeugung schlafen legte, daß es mir künftighin unmöglich sein würde, gegen sie den Gleichgültigen zu spielen.

Bei meinem Erwachen am nächsten Tage sagte der neue Soldat, der mich bediente, es stünde um la Valeur besser, und der Arzt hätte erklärt, er wäre außer Gefahr. Man sprach davon bei Tisch, ich sagte aber darüber kein Wort. Am zweiten Tage gab der General Befehl, ihn in ein anständiges Zimmer zu bringen; man gab ihm einen Lakai und gute Kleider; und da der allzu einfältige Generalprovveditore ihm einen Besuch gemacht hatte, hielten alle Admirale es für ihre Pflicht, das gleiche zu tun. Die Neugier mischte sich auch hinein, und es herrschte eine wahre Wut, den neuen Prinzen zu sehen. Herr D. R. folgte dem Strome und, nachdem Frau Sagredo den Anfang gemacht hatte, wollten alle Damen ihn sehen außer Frau F., die mir lachend sagte, sie würde nur dann gehen, wenn ich die Gefälligkeit hätte, sie vorzustellen. Ich bat sie, mich davon entbinden zu wollen. Man gab dem Kerl den Titel Durchlaucht, und der sonderbare Herzog nannte Frau Sagredo seine Prinzessin. Herr D. R. wollte mich überreden, ebenfalls dorthin zu gehen, ich erklärte ihm, ich hätte zu viel gefagt, um die niedrige Gesinnung oder den Mut zu haben, mir zu widersprechen. Der ganze Betrug wäre schnell entdeckt worden, wenn jemand einen königlichen Almanach gehabt hätte, worin die Genealogie aller fürstlichen Familien steht; doch zufällig hatte niemand einen, und der französische Konsul, ein großer Einfaltspinsel, wie man deren viele findet, wußte nicht Bescheid. Der Narr begann acht Tage nach seiner Metamorphose ausgehen. Er aß zu Mittag und Abend an der Tafel des Generals und wohnte alle Abende der Gesellschaft bei, wo er regelmäßig infolge seiner Unmäßigkeit einschlief. Trotzdem hielt man ihn immer noch für einen Prinzen, und zwar aus zwei Gründen: erstens, weil er ohne die mindeste Furcht die Nachrichten aus Venedig erwartete, wohin der Generalprovveditore sogleich nach dem Ereignis geschrieben hatte; zweitens, weil er vom Bischof die Bestrafung des Priesters forderte, der sein Geheimnis verraten hatte, indem er das Beichtsiegel verletzte. Der arme Priester war schon gefangen gesetzt und der General hatte nicht die Kraft, ihn zu verteidigen. Alle Admirale hatten den neuen Herzog zum Mittagessen eingeladen, Herr D. R. aber wagte nicht, sich auch dazu zu entschließen, weil Frau F. ihm deutlich gesagt hatte, sie würde an diesem Tage zu Haus essen. Ich meinerseits hatte ihm in aller Ehrfurcht erklärt, an dem Tage, an dem er ihn einlüde, würde ich mir die Freiheit nehmen, anderswo zu speisen. Eines Tages begegnete ich ihm, als ich aus der alten, an die Esplanade grenzenden Festung trat. Er blieb vor mir stehen und machte mir Vorwürfe, daß ich ihn nicht besucht hätte. Ich lachte und riet ihm, sich aus dem Staube zu machen, ehe die Nachrichten einträfen, die die Wahrheit bekanntmachten, wonach der General gezwungen sein würde, ihm übel mitzuspielen. Ich bot ihm meine Hilfe an, indem ich den Kapitän eines neapolitanischen Schiffes, das unter Segel gehen wollte, bestimmen würde, ihn an Bord zu nehmen und zu verbergen; doch statt mein Anerbieten anzunehmen, das ihn hätte mit Freude erfüllen sollen, sagte mir der Unglückliche die größten Schmähungen.

Der verrückte Mensch machte Frau Sagrebo den Hof, und diese behandelte ihn sehr gut, weil sie stolz darauf war, daß ein französischer Prinz sie allen anderen Damen vorzog.

Eines Tages, als die Dame in großer Gesellschaft bei Herrn D. R. speiste, fragte sie mich, warum ich dem Herrn Herzog geraten hätte, die Flucht zu ergreifen. »Ich habe das von ihm selbst erfahren,« setzte sie hinzu, »und er wundert sich über Ihre Hartnäckigkeit, ihn für einen Betrüger zu halten.«

»Ich gab ihm diesen guten Rat, gnädige Frau, weil ich ein gutes Herz und ein sicheres Urteil habe.«

»Wir sind also alle, selbst der General nicht ausgenommen, Dummköpfe?«

»Diese Folgerung, gnädige Frau, wäre nicht richtig. Eine Meinung, die der eines andern entgegensteht, macht den, der sie hat, noch nicht zu einem Dummkopf; denn es ist möglich, daß ich in zehn Tagen mich von meinem Irrtum überzeuge; doch würde ich mich deshalb nicht für einfältiger halten, als ein anderer ist. Eine Dame von Ihrem Geist kann übrigens wohl bemerkt haben, ob dieser Mensch ein Prinz oder ein Bauer ist; Sie werden ihn nach seinem Benehmen beurteilen und nach der Erziehung, die er erhalten hat. Tanzt er z. B. gut, gnädige Frau?«

»Er kann keinen Schritt machen, doch er lacht darüber; er sagt, er hätte es nicht lernen wollen.«

»Ist er artig bei Tisch?«

»Er hat keine Manieren. Er duldet nicht, daß man seinen Teller wechselt, er fährt mit seinem eigenen Löffel in die Schüssel. Er vermag nicht ein Aufstoßen zu unterdrücken; er gähnt, und wenn er sich bei Tisch langweilt, steht er auf. Offenbar ist er sehr schlecht erzogen!«

»Und trotzdem zweifellos sehr liebenswürdig. Ist er reinlich?«

»Nein, seine Wäsche ist noch nicht gut imstande.«

»Man sagt, er sei nüchtern.«

»Sie scherzen. Zweimal täglich steht er betrunken vom Tisch auf, aber er ist zu beklagen, denn er kann keinen Wein trinken, ohne daß er ihm in den Kopf steigt, er flucht wie ein Husar, und wir lachen darüber, aber er fühlt sich nie durch etwas beleidigt.«

»Hat er Geist?«

»Ein wunderbares Gedächtnis, denn er erzählt uns täglich neue Geschichten.«

»Spricht er von seiner Familie?«

»Viel von seiner Mutter, die er zärtlich liebt. Sie ist eine du Plessis.«

»Wenn sie noch lebt, muß sie ungefähr hundertundfünfzig Jahr alt sein!«

»Welcher Unsinn.«

»Ja gnädige Frau, denn sie wurde zur Zeit der Maria von Medici vermählt.«

»Sein Taufzeugnis nennt sie aber doch; und sein Siegel…«

»Kennt er sein Wappen?«

»Zweifeln Sie daran?«

»Sehr stark; ich glaube vielmehr, er hat keine Ahnung davon.«

Man steht vom Tisch auf, und der Prinz wird gemeldet. Er tritt ein, und Frau Sagredo sagt ihm sogleich: »Mein Prinz, Herr Casa- nova hier sagt, Sie kennen Ihr Wappen nicht.« Bei diesen Worten tritt er hohnlächelnd auf mich zu, nennt mich einen Feigling und gibt mir eine Ohrfeige, die mich betäubt. Ich gehe langsam zur Tür, nehme meinen Hut und Stock und steige die Treppe hinab, während Herr D. R. laut ruft, man solle den Narren aus dem Fenster werfen.

Ich verlasse den Palast und stelle mich an die Esplanade, um ihn zu erwarten. Sobald ich ihn sehe, gehe ich auf ihn zu und gebe ihm so heftige Schläge, daß ich ihn mit einem einzigen hätte töten können. Er wich zurück und geriet zwischen zwei Mauern, wo ihm nichts anderes übrigblieb, als seinen Degen zu ziehen, wenn er nicht erschlagen werden wollte. Der Feigling dachte aber nicht daran, und ich ließ ihn auf dem Boden ausgestreckt und in seinem Blute schwimmend. Die Menge der Zuschauer bildete eine Gasse, und ich schritt durch sie hindurch nach dem Kaffeehause, wo ich ein Glas Limonade ohne Zucker trank, um den bitteren Speichel zu vertreiben, mit dem der Zorn meinen Mund gefüllt hatte. Im Augenblick sah ich mich von allen jungen Offizieren der Garnison umgeben, die im Chorus zu mir sagten, ich hätte ihn ganz totschlagen sollen. Sie langweilten mich zuletzt; denn wenn ich ihn nicht getötet hatte, war es nicht meine Schuld, und ich hätte es gewiß nicht unterlassen, hätte er seinen Degen gezogen.

Ich war ungefähr eine halbe Stunde im Kaffeehause, als der Adjutant des Generals kam und mir sagte, Seine Exzellenz befehle mir, mich an Bord der Bastarde in Arrest zu begeben. So nennt man eine große Galeere; der Arrest besteht darin, daß man gleich einem Sträfling eine Kette an den Füßen trägt. Die Strafe war zu stark und ich hatte keine Lust, mich ihr zu unterwerfen. »Es ist gut, Herr Adjutant, ich habe gehört.« Er ging, und einen Augenblick nach ihm entfernte auch ich mich. Als ich aber am Ende der Straße war, schritt ich statt der Esplanade dem Meere zu. Ich gehe am Ufer eine Viertelstunde lang dahin, finde ein leeres Boot mit zwei Rudern, springe hinein, mache es los und rudere auf einen großen Caych zu, der mit sechs andern gegen den Wind kämpfte. Sobald ich ihn erreicht hatte, bat ich den Karabuschiri, mit dem Winde zu segeln und mich an Bord einer großen Fischerbarke zu bringen die in einiger Entfernung zu sehen war und auf den Felsen von Vido zusteuerte. Ich lasse meinen Kahn treiben, bezahle den Caych reichlich und steige in die große Barke; nachdem ich mit dem Patron den Preis abgemacht habe, spannt er drei Segel auf. Nach zwei Stunden sagte er, wir wären noch fünfzehn Meilen von Korfu entfernt. Der Wind legte sich jetzt, und ich ließ ihn gegen die Strömung steuern; gegen Mitternacht aber sagten mir die Seeleute, sie könnten obne Wind nicht fischen und könnten vor Ermüdung nicht weiter. Sie fordern mich auf, bis zum Tage zu schlagen; ich weigerte mich dessen und ließ mich gegen ein kleines Entgelt ans Land setzen, ohne zu fragen, wo wir waren, um in ihnen keinen Verdacht zu erwecken.

Es genügte mir zu wissen, daß ich zwanzig Meilen von Korfu entfernt war und mich an einem Ort befand, wo mich niemand vermuten konnte. Der Mond leuchtete hell, und ich sah eine Kirche, die an ein Haus stieß, eine lange Baracke, die ein Dach hatte und an beiden Seiten offen war, eine kleine Ebene von etwa hundert Stritt Breite, dahinter Berge und nichts weiter. Ich legte mich in der Baracke auf das Stroh, das ich dort fand, und schlief da trotz der Kälte ziemlich gut bis zum Tagesanbruch; es war der erste Dezember, und trotz dem milden Klima war ich beim Erwachen vor Kälte erstarrt, da ich keinen Mantel hatte und nur meine leichte Uniform trug.

Ich höre die Glocken läuten und gehe nach der Kirche. Der Pope mit langem Barte, durch mein Erscheinen überrascht, fragt mich aus griechisch, ob ich Romeo, Grieche, wäre; ich antwortete ihm, ich sei Fragico, Italiener. Er wendet mir den Rücken, geht in sein Haus und schließt sich ein, ohne mich anhören zu wollen.

Ich kehrte nach dem Meer zurück und sah ein Boot von einer Tartane abstoßen, die hundert Schritt von der Insel vor Anker lag. Es kam mit vier Ruderern, um die in ihm befindlichen Personen ans Land zu setzen. Ich ging heran und sah einen Griechen von anständigem Äußeren, eine Frau und einen Knaben von zehn oder zwölf Jahren. Ich redete den Griechen an, indem ich ihn fragte, ob er eine gute Reise gehabt hätte und woher er käme. Er entgegnete mir italienisch, er käme mit seiner Frau und seinem Sohn aus Kephalonien und reiste nach Venedig, vorher jedoch wollte er die Messe bei Unserer Lieben Frau zu Kasopo hören, um zu erfahren, ob sein Schwiegervater noch lebte und ob er ihm die Mitgift seiner Frau auszahlen würde.

»Wie wollen Sie das erfahren?«

»Ich werde es von dem Popen Deldimopulo hören, der mir getreulich das Orakel der heiligen Jungfrau mitteilen wird.«

Ich senke den Kopf und folge ihm in die Kirche. Er spricht mit dem Popen oder Papa und gibt ihm Geld. Der Papa sagt die Messe; er tritt in das Sancta sanctorum, verläßt es eine Viertelstunde später, besteigt den Altar und wendet sich zu uns. Nachdem er sich einen Augenblick gesammelt und seinen langen Bart gestrichen hatte, verkündete er in zehn oder zwölf Worten sein Orakel. Der Grieche aus Kephalonien, der sicher kein Odysseus war, schien sehr zufrieden zu sein, gab dem Betrüger nochmals Geld und verließ ihn. Ich folgte ihm und während des Wegs fragte ich ihn, ob er mit dem Orakel zufrieden wäre.

»O sehr zufrieden. Ich weiß, daß mein Schwiegervater lebt und mir die Mitgift auszahlen wird, wenn ich ihm mein Kind lassen will. Ich weiß, das ist seine Leidenschaft, und ich werde es ihm lassen.«

»Kennt dieser Pope Sie?«

»Er weiß meinen Namen nicht.«

»Haben Sie schöne Waren an Bord?«

»Ziemlich viel. Frühstücken Sie mit mir, und Sie sollen alles sehen.«

»Gern!«

Entzückt, erfahren zu haben, daß es noch Orakel gäbe, und überzeugt, daß es dergleichen immer geben wird, solange sich einfältige Menschen und betrügerische Priester finden, folgte ich diesem guten Mann, der mir an Bord ein sehr gutes Frühstück vorsetzte. Seine Waren bestanden aus Baumwolle, Leinwand, Korinthen, Öl und vortrefflichen Weinen. Er hatte auch Strümpfe, Mützen von Baumwolle, orientalische Überwürfe, Regenschirme und Schiffszwieback, den ich sehr liebte; denn ich hatte damals dreißig Zähne, und schwerlich konnte man schönere als sie sehen. Leider sind mir jetzt nur noch zwei von ihnen geblieben, die andern achtundzwanzig haben sich mit andern ebenso kostbaren Werkzeugen empfohlen; doch: dum vita superest bene est–solange das Leben mir bleibt, ist noch alles gut. Ich kaufte von allem, nur von der Baumwolle nicht, mt der ich nichts anzufangen gewußt hätte, und bezahlte ihm, ohne zu handeln, die fünfunddreißig oder vierzig Zechinen, die er mir abforderte; darauf schenkte er mir sechs Büchsen prächtigen Kaviars.

Da er mich den Wein von Xante, den er Generoydes nannte, hatte rühmen hören, sagte er mir, wenn ich ihn nach Venedig begleiten wollte, würde er mir täglich eine Flasche von ihm geben, selbst während der Quarantäne. Stets ein wenig abergläubisch, war ich auf dem Punkt, aus dem albernsten aller Gründe anzunehmen, nämlich aus dem, daß dieser sonderbare Entschluß durchaus nicht vorüberlegt gewesen wäre, und daß mich möglicherweise mein Schicksal geführt hätte. So war ich damals, und unglücklicherweise bin ich heute anders. Man sagt, das komme daher, daß das Alter den Menschen verständig macht; doch ich bin noch nicht so weit gekommen, um die Wirkung einer abscheulichen Ursache zu preisen.

In dem Augenblick, da ich ihn beim Worte nehmen wollte, bot er mir ein schönes Gewehr für zehn Zechinen an und sagte, in Korfu würde mir jedermann zwölf dafür geben. Das Wort Korfu warf alle meine Gedanken über den Haufen. Ich glaubte, meinen Schutzgeist zu hören, der mich aufforderte, dorthin zurückzukehren. Ich kaufte das Gewehr für den von ihm genannten Preis, und der brave Kephalonier gab mir in Anbetracht meiner Treuherzigkeit noch eine schöne türkische Jagdtasche, wohl mit Pulver und Blei versehen, in den Kauf. Bewaffnet mit meinem Gewehr, in einen guten Überrock gehüllt, alle meine Einkäufe in einem großen Sack mit mir tragend, nahm ich Abschied von dem rechtschaffenen Griechen und ließ mich an der Küste landen, entschlossen, bei dem Schelm von Popen gutwillig oder mit Gewalt ein Quartier zu finden. Die Erregung, in die mich der gute Wein des Griechen versetzt hatte, sollte ihre Frucht tragen. Ich hatte in meinen Taschen vier- oder fünfhundert Kupfermünzen, die mir sehr schwer vorkamen; doch ich hatte sie nur gehen lassen müssen, da ich voraussah, daß ich auf dieser kleinen Insel ihrer bedürfen würde.

Nachdem ich meinen Sack in die Baracke gelegt hatte, ging ich mit dem Gewehr über die Schulter nach dem Hause des Popen; die Kirche war geschlossen.

Ich muß hier meinen Lesern eine Vorstellung von dem geben, was ich in jenem Augenblick war. Ich war in einem Zustand ruhiger Verzweiflung. Drei= oder vierhundert Zechinen, die ich bei mir trug, konnten mir nicht den Gedanken abwehren, daß ich mich durchaus nicht in Sicherheit befände, daß ich hier nicht lange bleiben könnte, daß man mich hier bald entdecken und dann mich wegen meiner Widerspenstigkeit gegen den höchsten Vorgesetzten schlecht behandeln würde. Ich sah mich in die Unmöglichkeit versetzt, einen Entschluß zu fassen, und das genügt, um jede Lage abscheulich zu machen. Es ging nicht an, daß ich freiwillig nach Korfu zurückkehrte; meine Flucht wäre dann eine unüberlegte gewesen und man hätte mich wie einen Narren behandelt; denn meine Rückkehr wäre ein Zeichen von Leichtfertigkeit oder Feigheit gewesen, indes hatte ich nicht den Mut, ganz zu desertieren. Der Hauptgrund dieser moralischen Ohnmacht waren weder tausend Zechinen, die ich bei dem Kassierer hatte, noch meine reiche Ausstattung, noch die Furcht, anderwärts keinen Lebensunterhalt zu finden, es war vielmehr der Gedanke, eine Frau zu verlassen, die ich anbetete und der ich noch nicht einmal die Hand geküßt hatte. In dieser Lage durfte ich mich nur dem Lauf der Ereignisse überlassen, wie sie auch sein mochten, und für den Augenblick war das Wesentliche, Wohnung und Nahrung zu finden.

Ich klopfe an die Tür des Priesters. Er erscheint am Fenster und schließt es wieder, ohne mich anhören zu wollen. Ich klopfe aufs neue, schimpfe, fluche, doch alles umsonst. Wütend ziele ich auf einen armen Hammel, der mit mehreren anderen zwanzig Schritt von mir weidete, und strecke ihn nieder. Der Hirte schreit laut, der Pope springt ans Fenster, schreit »Diebe« und läßt die Sturmglocke läuten. Ich sehe drei Glocken in Bewegung, erwarte das Hinzuströmen einer Menge. Was wird geschehen? Ich weiß es nicht; doch auf jeden Fall lade ich mein Gewehr wieder und warte.

Kaum waren acht oder zehn Minuten verflossen, als ich von dem Berge eine Menge Bauern, mit Gewehren, Mistgabeln, großen Stöcken bewaffnet, herabkommen sah. Ich zog mich in die Baracke zurück, ohne die geringste Furcht zu empfinden; denn es schien mir nicht natürlich, daß diese Leute, wenn sie mich allein fänden, mich ermorden würden, ohne mich anzuhören.

Die ersten zehn oder zwölf kommen mit angeschlagenen Gewehren näher. Ich halte sie auf, indem ich ihnen meine Kupfermünzen zuwerfe, die sie erstaunt aufzulesen sich beeilen, dasselbe tue ich, sobald andere kommen, bis ich keine Münzen mehr habe und niemanden mehr kommen sehe. Die Tölpel sahen sich wie versteinert an, wußten nicht, was sie von einem jungen Menschen von anständigem Äußern und friedlichem Wesen denken sollten, der ihnen so freigebig sein Geld hinwarf. Sprechen konnte ich mit ihnen erst, als das betäubende Geräusch der Glocken verstummte. Ich setzte mich ruhig auf meinen Sack und hielt mich still; sobald ich sprechen konnte, tat ich es; doch der Pope, sein Küster und der Schäfer unterbrachen mich sofort, zumal da ich Italienisch sprach. Alle drei sprachen zugleich und suchten den Pöbel gegen mich aufzuhetzen.

Einer von den Leuten, in vorgerücktem Alter und von verständigem Ausdruck, nähert sich mir und fragt mich auf italienisch, warum ich den Hammel getötet hätte.

»Um ihn zu essen, nachdem ich ihn bezahlt habe.«

»Aber Seine Heiligkeit kann dafür eine Zechine verlangen.«

Der Pope nimmt die Zechine, geht davon, und die ganze Geschichte ist zu Ende. Der Bauer sagte mir, er hätte in dem Kriege von 1716 gedient und die Verteidigung von Korfu mitgemacht. Ich wünschte ihm dazu Glück und bat ihn, für mich eine Wohnung und einen Diener ausfindig zu machen, der das Essen bereiten könnte. Er erklärte mir, ich könnte ein ganzes Haus bekommen, er selbst würde mir die Küche gut besorgen, doch ich müßte auf den Berg steigen. »Gern!« Nun ruft er zwei stämmige Burschen, ladet dem einen meinen Sack auf, dem andern meinen Hammel, und wir machen uns auf den Weg. Während des Marsches frug ich ihn: »Guter Mann, ich wünschte wohl in meinem Dienst vierundzwanzig tüchtige Burschen zu haben, die sich der militärischen Disziplin unterwürfen. Ich gebe jedem täglich zwanzig Gazetten und Euch, als meinem Leutnant, vierzig.«

»Ich will Ihnen«, antwortete mir mein Mann, »schon heute eine militärische Wache bilden, mit der Sie zufrieden sein sollen.« Wir kommen zu einem sehr bequemen Hause, in dem ich im Erdgeschoß drei Zimmer und einen Stall hatte, den ich sogleich in eine Wachtstube umwandelte. Mein Leutnant ließ mich hier, um alles herbeizuschaffen, was ich nötig hatte, und unter anderem auch eine Näherin, um mir Hemden zu machen. Im Laufe des Tages erhielt ich Bett, Möbel, Küchengerät, ein gutes Mittagessen, vierundzwanzig wohlbewaffnete Burschen, eine bejahrte Näherin und einige junge Lehrmädchen, um mir Hemden zu machen. Nach dem Abendessen befand ich mich in der besten Laune von der Welt, umgeben von einigen dreißig Personen, die mich wie ihren Herrscher behandelten, ohne begreifen zu können, was ich auf ihrer kleinen Insel wollte. Das einzig Unangenehme für mich war, daß die jungen Mädchen nicht Italienisch sprachen; und ich verstand zu wenig Griechisch, um mich ihnen verständlich machen zu können. Am nächsten Morgen ließ mein Leutnant die Wache ablösen, und ich konnte mich nicht eines lauten Gelächters enthalten. Meine Truppe war wie eine Herde Hammel; lauter schöne Menschen, wohlgewachsen und kräftig; doch ohne Uniform und Disziplin ist die schönste Truppe nur ein schlechter Haufen. Indes lernten sie das Gewehr präsentieren und den Befehlen ihres Offiziers gehorchen. Ich ließ drei Schildwachen aufstellen, eine in der Wachtstube, die zweite an meiner Tür und die dritte an einem Ort, von wo man die Küste übersehen konnte. Diese letztere sollte uns benachrichtigen, wenn sie eine bewaffnete Barke landen sähe. Während der zwei oder drei ersten Tage betrachtete ich das alles wie ein Spiel; aber ich überlegte, daß es möglich sein könnte, Gewalt mit Gewalt zurückweisen zu müssen, und ich dachte daran, mir den Treueid leisten zu lassen; ich tat es indessen nicht, obgleich mein Leutnant versicherte, es hinge nur von mir ab. Meine Freigebigkeit hatte mir die Liebe aller Inselbewohner gewonnen. Meine Köchin, die mir Näherinnen für meine Hemden besorgt hatte, hoffte zwar, ich würde mich in eine von ihnen verlieben, aber nicht in alle. Doch mein Eifer überstieg ihre Hoffnungen, und die hübschen Mädchen kamen an die Reihe. Alle waren auch mit mir zufrieden, und meine Köchin ward für ihre guten Dienste belohnt. Ich führte ein köstliches Leben, denn mein Tisch war mit saftigen Speisen, mit dem prächtigsten Hammelfleisch und so schönen Schnepfen bestellt, wie ich ähnliche nur noch in Petersburg gefunden habe. Ich trank nur Scopolo und die besten Muskatweine des Archipels. Mein Leutnant war mein einziger Tischgenosse. Ich ging nie ohne ihn und zwei Leute meiner Leibwache spazieren, um mich gegen einige junge Leute verteidigen zu können, die wütend auf mich waren, da sie sich einbildeten, meine Näherinnen, ihre Geliebten, hätten sie meinetwegen verlassen. Auf meinen Spaziergängen dachte ich manchmal daran, daß ich ohne Gold unglücklich gewesen wäre und daß ich diesem Metall meinen gegenwärtigen, genußvollen Zustand verdankte; aber ich dachte auch, daß ich höchst wahrscheinlich Korfu nicht verlassen hätte, wenn meine Börse nicht so gut gespickt gewesen wäre.

Seit acht oder zehn Tagen spielte ich den Zaunkönig, als ich gegen zehn Uhr abends das: Wer da? der ausgestellten Schildwache hörte. Mein Leutnant ging hinaus und kehrte mit der Meldung zurück, ein anständiger Mensch, der Italienisch spräche, wünschte mich in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen. Ich ließ ihn eintreten, und in Gegenwart meines Leutnants sagte er zu mir auf italienisch:

»Übermorgen am Sonntag wird der Pope Deldimopulo gegen Sie die Cataramonachia schleudern. Wenn Sie ihn nicht daran hindern, führt ein schleichendes Fieber Sie in sechs Wochen in die andere Welt.«

»Ich habe von diesem Trank niemals sprechen hören.«

»Es ist auch kein Trank, fondern ein Fluch, der mit dem heiligen Sakrament in der Hand ausgesprochen wird und diese Macht besitzt.«

»Welchen Grund kann der Priester haben, mich zu ermorden?«

»Sie stören den Frieden und die Ordnung seines Kirchspiels. Sie haben sich mehrerer junger Mädchen bemächtigt, die nun ihre alten Liebhaber nicht mehr heiraten wollen.«

Nachdem ich ihm einen Trunk hatte reichen lassen, dankte ich ihm und wünschte ihm eine gute Nacht. Seine Nachricht erschien mir wichtig; denn wenn ich auch die Cataramonachia nicht fürchtete, an die ich nicht im mindesten glaubte, so konnte ich doch die viel wirksameren Gifte fürchten. Nachdem ich eine sehr ruhige Nacht verbracht hatte, stand ich mit Tagesanbruch auf; ohne meinem Leutnant ein Wort zu sagen, ging ich aus und allein zur Kirche, wo ich den Priester fand, den. ich mit der größten Entschlossenheit sagte: »Bei dem ersten Fieberanfall, den ich spüre, schieße ich Ihnen eine Kugel durch das Hirn; richten Sie sich danach! Schleudern Sie gegen mich einen Fluch, der mich in einem Tage tötet, oder machen Sie Ihr Testament. Leben Sie wohl!«

Nach dieser Warnung kehrte ich in meinen Palast zurück. Am Montag ganz früh bemerkte mich der Pope. Ich hatte etwas Kopfschmerz. Er erkundigte sich nach meiner Gesundheit, und als ich ihm sagte, daß mein Kopf schwer wäre, zwang er mich zum Lachen durch die Angst, mit der er mir die Versicherung gab, das könnte nur die Wirkung der schweren Luft der Insel Karsopo sein.

Drei Tage nach diesem Besuch ließ der vorgeschobene Posten den Alarmruf ertönen. Mein Leutnant geht hinaus und kommt wenige Augenblicke später mit der Meldung zurück, eine bewaffnete Schaluppe habe einen Offizier gelandet. Ich gehe hinaus und lasse meine Truppen unter Gewehr treten, dann schreite ich weiter vor und erblicke einen Offizier, der, von einem Führer begleitet, auf meine Wohnung zukommt. Der Offizier war allein, ich hatte nichts zu fürchten. Ich kehre in mein Zimmer zurück und befehle meinem Leutnant, ihn mit allen Kriegsehren zu empfangen und einzuführen. Ich schnalle meinen Degen um und erwarte ihn stehend.

Ich sehe denselben Adjutanten Minotto eintreten, der mir den Befehl überbracht hatte, mich in Arrest zu begeben.

»Sie sind allein,« sagte ich ihm, »und Sie kommen als Freund. Umarmen wir uns!«

»Ich muß wohl als Freund kommen, denn als Feind hätte ich nicht die nötige Macht. Doch was ich hier sehe, erscheint mir wie ein Traum.«

»Setzen Sie sich, und essen wir miteinander. Sie werden eine gute Mahlzeit finden.«

»Gern, und dann wollen wir zusammen aufbrechen!«

»Sie werden ganz allein gehen, wenn Sie wollen; denn ich gehe von hier nur mit der Gewißheit, nicht nur nicht in Arrest zu kommen, sondern auch Genugtuung an dem Narren zu erhalten, den der General auf die Galeeren schicken muß.«

»Seien Sie vernünftig und kommen Sie gutwillig mit mir. Ich habe Befehl, Sie mit Gewalt mitzuführen. Da ich aber dazu nicht in der Lage bin, werde ich meinen Rapport abstatten, und man wird Sie auf eine Weise holen lassen, daß Sie sich ergeben müssen.«

»Nimmermehr. Man wird mich nur tot bekommen.«

»Sie sind also verrückt geworden; denn Sie haben unrecht. Sie waren ungehorsam gegen den Ihnen von mir überbrachten Befehl, sich auf die Bastarde zu begeben. Darin besteht Ihr Unrecht. Denn sonst hätten Sie tausendmal recht, selbst nach Ansicht des Generals.«

»Ich hätte mich also in Arrest begeben sollen?«

»Gewiß, denn die Subordination ist in unserem Stande unerläßlich.«

»Wären Sie an meiner Stelle in Arrest gegangen?«

»Ich will und kann Ihnen nicht sagen, was ich getan hätte. Ich weiß nur, daß ich strafbar gewesen wäre, wenn ich nicht gehorcht hätte.«

»Aber wenn ich mich jetzt ergäbe, so würde man mich als einen Strafbaren viel härter behandeln, als man getan hätte, wenn ich dem ungerechten Befehl folgte.«

»Das glaube ich nicht. Kommen Sie, und Sie werden alles erfahren.«

»Ohne mein Schicksal zu kennen? Erwarten Sie das nicht. Essen wir! Da ich so strafbar bin, daß man Gewalt anwendet, ergebe ich mich nur der Gewalt. Ich werde dadurch nicht strafbarer werden, wenn auch Blut dabei vergossen wird.«

»Sie sind im Irrtum! Sie würden dadurch strafbarer. Doch zu Tisch! Nach einer guten Mahlzeit urteilen wir vielleicht verständiger.«

Gegen Ende der Mahlzeit hörten wir Lärm, und mein Leutnant trat ein, um mir zu melden, daß Haufen von Bauern sich in der Nähe meines Hauses sammelten, um mich zu verteidigen, weil sich auf der Insel ein Gerücht verbreitet hätte, die bewaffnete Feluke wäre gekommen, um mich zu entführen und nach Korfu zu bringen. Ich befahl ihm, die guten Leute aufzuklären und sie heimzuschicken, nachdem er ihnen ein Faß Wein gegeben hatte.

Die Bauern gingen beruhigt von dannen, doch schossen sie zum Zeichen der Ergebenheit ihre Gewehre in die Luft ab. »Das alles sieht ganz hübsch aus,« sagte zu mir der Adjutant, »doch es wird furchtbar werden, wenn Sie mich allein gehen lassen; denn meine Pflicht fordert, daß ich meinen Bericht sehr genau abfasse.«

»Ich will ihnen folgen, wenn Sie mir Ihr Ehrenwort geben, mich in Freiheit ans Land zu setzen, wenn wir in Korfu ankommen.«

»Ich habe Befehl, Sie Herrn Foscari auf der Bastarde zu über- geben.«

»Nun, diesen Befehl werden Sie nicht vollziehen.«

»Wenn der General Sie nicht fügsam findet, verlangt es seine Ehre, Sie zu zwingen, und er wird die Mittel dazu finden. Doch sagen Sie mir, bitte, was würden Sie tun, wenn der General sich entschlösse, Sie hier zu lassen? Doch das wird nicht geschehen, denn nach meinem Bericht wird man sich entschließen, die Sache ohne Blutvergießen zu beendigen.«

»Ohne Blutbad wird die Sache schwerlich abgehen; denn mit fünfhundert Bauern hier fürchte ich dreitausend Mann nicht.«

»Man wird nur einen brauchen, denn man wird Sie als Rebellenführer behandeln. Alle diese Ihnen ergebenen Menschen können Sie nicht gegen den einen schützen, der Sie niederschießt, um einige Goldstücke zu gewinnen. Ich will Ihnen noch mehr sagen, unter all den Griechen, von denen Sie umgeben sind, gibt es nicht einen, der nicht für zwanzig Zechinen bereit wäre, Sie zu ermorden. Glauben Sie mir, kommen Sie mit mir! Kommen Sie, um in Korfu eine Art Triumph zu genießen. Man wird Ihnen dort Beifall zollen und Ihre Person feiern. Sie werden selbst die Torheit erzählen, die Sie begingen; man wird darüber lachen und zur selben Zeit bewundern, daß Sie der Vernunft Gehör gaben, sobald ich sie Ihnen begreiflich machte. Alle Welt achtet Sie und, Herr D. R. hält große Stücke auf Sie. Er lobt besonders den Mut, den Sie zeigten, indem Sie aus Achtung vor seinem Hause nicht dem Unverschämten Ihren Degen durch den Leib stießen. Der General selbst muß Sie achten, denn er muß sich Ihrer Worte erinnern.«

»Was ist denn aus dem Unglücklichen geworden?«

»Vor vier Tagen ist die Fregatte des Majors Sardina mit Depeschen eingelaufen, in denen der General ohne Zweifel die nötigen fand, denn er ließ den falschen Herzog verschwinden. Niemand weiß, wo er ist, und niemand wagt es, in seinem Hause von ihm zu sprechen, denn seine Dummheit war zu groß.«

»Hat man ihn nach meinen Stockschlägen noch in den Gesellschaften empfangen?«

»Pfui! Erinnern Sie sich nicht, daß er einen Degen hatte? Mehr war nicht nötig, um zu veranlassen, daß niemand ihn weiter sehen wollte. Sein Vorderarm war gebrochen und die Kinnlade zerschmettert. Trotzdem, ohne Rücksicht auf seinen kläglichen Zustand, hat ihn Seine Exzellenz acht Tage später verwinden lassen. Das einzige, worüber sich ganz Korfu wundert, ist Ihr Entkommen. Man hat drei Tage lang geglaubt, Herr D. R. hielte Sie bei sich verborgen, und man verurteilte ihn offen; aber er erklärte laut an der Tafel des Generals, daß er nicht im mindesten wüßte, wo Sie wären. Seine Exzellenz selbst war sehr unruhig über Ihr Entkommen, und erst gestern erfuhr man, was aus Ihnen geworden ist, durch einen Brief des hiesigen Popen an den Protopopen Bulgari, in dem er sich beklage, daß ein italienischer Offizier seit acht Tagen dieser Insel sich bemächtigt hätte und hier Gewalttaten verübte. Er klagt Sie an, alle Mädchen zu verführen und ihn bedroht zu haben, ihn niederzuschießen, wenn er Ihnen die Cataramonachia gäbe. Dieser in der Versammlung vorgelesene Brief hat den Generai sehr ergötzt, aber dennoch erteilte er mir den Befehl, Sie mit zwölf Grenadieren zu holen.«

»Frau Sagredo trägt an dem allen die Schuld.«

»Das ist wahr; aber die Sache tut ihr ungeheuer leid. Sie würden gut tun, ihr morgen mit mir einen Besuch zu machen.«

»Morgen? Sie sind also überzeugt, daß ich nicht in Arrest gebracht werde!«

»Ja, denn ich weiß, daß Seine Exzellenz ein Ehrenmann ist.«

»Ich auch. Machen wir also Schluß! Nach Mitternacht wollen wir zusammen aufbrechen.«

»Warum nicht sofort?«

»Weil ich mich nicht der Gefahr aussetzen will, die Nacht auf der Bastarde zu verbringen. Ich will in Korfu am hellen Tag ankommen, und das wird Ihren Triumph noch glänzender machen.«

»Aber was wollen wir während der acht Stunden hier tun.«

»Wir unterhalten uns mit Nymphen einer Art, wie man sie in Korfu nicht findet, und essen dann ein gutes Abendbrot.«

Ich befahl meinem Leutnant, den Soldaten der Feluke Essen bringen zu lassen und uns ein prächtiges Abendbrot zu bereiten, ohne etwas dabei zu sparen, indem ich ihm sagte, ich würde um Mitternacht wegfahren. Dann schenkte ich ihm alle meine Vorräte und ließ alles verladen, was ich mitnehmen wollte. Meine Janitscharen, denen ich eine Wochenlöhnung schenkte, brachten mich bewaffnet bis zur Feluke, worüber mein Kamerad die ganze Nacht lachte. Wir kamen in Korfu um acht Uhr morgens an der Bastarde selbst an, wo er mich ablieferte, nachdem er mir versichert hatte, daß er sofort mein ganzes Gepäck Herrn D.R. schicken und dem General seinen Bericht abstatten würde. Der Kommandant der Galeere, Herr Foscari, empfing mich sehr schlecht. Hätte er nur ein wenig Seelenadel besessen, so hätte er sich nicht so beeilt, mir die Kette anlegen zu lassen. Er hätte es um eine einzige Viertelstunde verschieben können, indem er mit mir sprach, und ich wäre dieser Demütigung entgangen. Er schickte mich ohne ein Wort zu sagen an den Ort, wo der Profos mich niedersetzen und den Fuß vorstrecken ließ, um mir die Kette anzulegen, die in diesem Lande niemand entehrt, leider nicht einmal die Galeerensträflinge, die man besser behandelt als die Soldaten. Ich hatte die Kette am rechten Fuß, und man schnallte den Schuh des linken Fußes auf, um diesen schönen Zierart zu vollenden, als der Adjutant seiner Exzellenz meinem Kerkermeister befahl, mir meinen Degen zurückzugeben und mich in Freiheit zu setzen. Ich wollte dem edlen Gouverneur meine Huldigung darbringen, doch er schämte sich zweifelsohne ein wenig, und der Adjutant sagte mir, Seine Exzellenz entbände mich davon. Ich verbeugte mich vor dem General, ohne ein einziges Wort zu srechen. Er aber sagte mir in ernstem Ton, ich sollte in Zukunft Verständiger sein und lernen, daß die erste Pflicht eines Soldaten Gehorsam, besonders aber Verschwiegenheit und Bescheidenheit wäre. Ich begriff vollständig die Bedeutung dieser beiden Worte und richtete mich danach.

Mein Erscheinen bei Herrn D.R. rief auf allen Gesichtern Freude hervor. Solche schönen Augenblicke sind mir stets so teuer gewesen, daß sie mich die peinlichen Augenblicke vergeben und mich die Veranlassung glücklich schätzen ließen. Es ist unmöglich, ein Vergnügen wahrhaft zu genießen, wenn ihm nicht irgendein peinliches vorausging, und die Gewinne sind nur im Verhältnis zu den Entbehrungen groß, denen man ausgesetzt war. Herr D. R. war so erfreut, mich zu sehen, daß er mir entgegeneilte und mich zärtlich umarmte. Dann zog er einen schönen Ring vom Finger, schenkte ihn mir und sagte, ich hätte sehr wohl daran getan, alle Welt und ihn besonders über den Ort meiner Zuflucht in Unkenntnis zu lassen. »Sie können sich nicht vorstellen,« setzte er edel und frei hinzu, »wie Frau F. sich für Sie interessiert. Sie werden ihr ein großes Vergnügen machen, wenn Sie sogleich zu ihr gehen!«

Welche Freude, diesen Rat von ihm selbst zu empfangen! Doch das Wort »sogleich« war mir peinlich. Denn da ich die Nacht in der Feluke verbracht hatte, fürchtete ich, die Unordnung meiner Toilette könnte mir in ihren Augen schaden. Ich konnte indes weder ablehnen noch ihm den Grund davon sagen, ich dachte deshalb, mir bei ihr selbst ein Verdienst daraus zu machen. Ich kam an; es war noch nicht Tag bei meiner Göttin, doch ihre Kammerfrau ließ mich eintreten und versicherte mir, ihre Herrin würde gewiß bald klingeln und dann böse sein, mich nicht gesehen zu haben. Während einer halben Stunde, die ich mit der jungen Person, einer reizenden Schwätzerin, zubrachte, erfuhr ich eine Menge Dinge, die mir außerordentliches Vergnügen machten, besonders eine Menge Äußerungen über meine Flucht, und ich zog daraus den Schluß, daß mein Benehmen in dieser ganzen Sache die allgemeine Billigung erhalten hätte. Sobald die gnädige Frau ihre Kammerfrau gesehen hatte, ließ sie mich rufen. Die Vorhänge wurden zurückgezogen, und ich glaubte Aurora, umgeben von den Rosen und Perlen des Morgens, zu sehen. Ich sagte ihr, ohne den Befehl, den Herr D. R. mir gegeben, hätte ich niemals gewagt, in dem Zustande, in dem ich mich befände, mich vor ihr zu zeigen; und im freundlichsten Tone antwortete sie mir, Herr D. R. wüßte, wieviel Teilnahme sie für mich hegte, und hätte deshalb sehr gut getan, mich zu ihr zu schicken; zugleich versicherte sie mir, Herr D. R. schätze mich ebenso wie sie.

»Ich weiß nicht, gnädige Frau, wie ich ein so großes Glück verdienen kann, während ich nur nach Nachsicht strebte.«

»Wir haben alle die Kraft bewundert, die Sie bewiesen, als Sie Narren nicht Ihren Degen durch den Leib bohrten; man hätte zum Fenster hinausgeworfen, wenn er nicht schnell entwischt wäre.«

»Ich hätte ihn, zweifeln Sie daran nicht, getötet, gnädige Frau, wenn Sie nicht zugegen gewesen wären.«

»Das Kompliment ist sehr galant, aber es ist nicht glaublich, daß Sie in jenem Augenblick an mich gedacht haben.«

Bei diesen Worten seufzte ich, schlug die Augen nieder und wendete den Kopf ab. Sie sah meinen Ring; um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, lobte sie Herrn D. R., sobald sie erfahren hatte, wie er mir das Geschenk gemacht hatte. Sie wünschte, daß ich ihr mein Leben auf der Insel erzählen sollte, und ich tat es auch, doch sagte ich wohlweislich von meinen hübschen Näherinnen nichts, denn ich wußte schon damals, daß man im Wandel des Lebens eine große Menge Wahrheiten offiziell vergessen muß.

Sie lachte herzlich über alles, was ich ihr erzählte, und mein Benehmen schien ihr bewundernswert. »Würden Sie wohl,« fragte sie mich, »den Mut haben, dies alles mit denselben Ausdrücken dem Generalprovveditore zu erzählen?«

»Zweifeln Sie nicht daran, gnädige Frau, vorausgesetzt, daß er mich um diese Erzählung bittet.«

»Nun wohl, so halten Sie sich bereit, mir Ihr Wort zu halten. Ich will,« setzte sie hinzu, »daß dieser brave Herr Sie lieben und Ihr vornehmster Beschützer werden soll, um Sie gegen Unrecht zu bewahren. Lassen Sie mich machen!«

Als ich sie verließ, das Herz von ihrem Empfang entzückt, ging ich zu Major Maroli, um mich nach dem Zustand meiner Kasse zu erkundigen, und vernahm mit Vergnügen, daß er mich seit meinem Verschwinden nicht mehr als seinen Teilhaber betrachtet hatte. Er entnahm vierhundert Zechinen der Kasse und behielt mir vor, wieder Teilhaber zu werden, wenn die Umstände mir geeignet erscheinen würden.

Abends machte ich sorgfältig Toilette und suchte den Adjutanten Minotto auf, um mit ihm der Frau Sagredo, der Favoritin des Generals, eine Visite abzustatten. Sie war die hübscheste von den venezianischen Damen auf Korfu, abgesehen von Frau F. Mein Besuch überraschte sie; denn da sie die Ursache alles Vorgefallenen war, erwartete sie ihn keineswegs, glaubte vielmehr, daß ich ihr zürnte. Ich enttäuschte sie, indem ich offen zu ihr sprach; und sie sagte mir die schmeichelhaftesten Dinge und bat mich, manchmal den Abend bei ihr zu verbringen. Auf diese sehr liebenswürdige Einladung antwortete ich mit einer Neigung des Kopfes, ohne zuzusagen oder abzuschlagen. Ich wußte, Frau F. konnte sie nicht leiden; wie hätte ich da ihre Gesellschaften besuchen können. Außerdem liebte die Dame das Spiel, und um ihr zu gefallen, mußte man entweder verlieren oder sie gewinnen lassen. Um sich nun zu einem von beiden zu entschließen, muß man den Gegenstand lieben und Absichten der Eroberung haben. Ich war nicht in dieser Lage. Der Adjutant Minotto spielte nicht, aber er hatte ihre Gunst dadurch erworben, daß er den galanten Merkur bei ihr machte.

Bei meiner Rückkehr ins Hotel fand ich Frau F. ganz allein, Herr D. R. war mit Schreiben beschäftigt. Als ich bei ihr saß, forderte sie mich auf, ihr alles zu erzählen, was mir in Konstantinopel begegnet wäre; ich fand keine Ursache es zu bereuen. Meine Zusammenkunft mit Jussuffs Frau gefiel ihr sehr; aber das nächtliche Bad der drei Nymphen Ismails setzte sie ganz in Flammen. Ich verschleierte die Sache nach Kräften, doch wenn sie mich dunkel fand, mußte ich mich genauer ausdrücken, und wenn ich dann mein Bestes tat und meinen Gemälden einen wollüstigen Reiz zu geben suchte, den ich mehr aus ihren Blicken als aus meiner Erinnerung schöpfte, verfehlte sie nicht, mich zu tadeln, und erklärte, ich hätte weniger deutlich sein können. Ich fühlte, daß die Bahn, auf die sie mich gebracht hatte, sie zu meinen Gunsten stimmen mußte, und ich war überzeugt, daß jemand, der Begierden zu erwecken weiß, leicht dazu verurteilt werden kann, sie zu stillen; das war der Lohn, nach dem ich strebte; ich wagte auf ihn zu hoffen, obgleich ich ihn nur erst in der Ferne sah.

Zufällig hatte Herr D. R. an diesem Tag zum Abendessen große Gesellschaft eingeladen. Ich mußte natürlich die Kosten der Unterhaltung tragen und erzählte mit allen Umständen und den geringsten Einzelheiten alles, was ich getan hatte und was mir begegnet war von dem Augenblick, wo ich den Befehl erhielt, mich in Arrest zu begeben, bis zu meiner Freilassung. Herr Foscari, der Gouverneur der Bastarde, saß an meiner Seite, und der Schluß meiner Erzählung war ihm zweifelsohne nicht sehr angenehm.

Meine Geschichte gefiel übrigens der ganzen Gesellschaft, und es wurde entschieden, der Herr Generalprovveditore müßte das Vergnügen haben, sie aus meinem eigenen Munde zu hören. Da ich gesagt hatte, in Kasopo gäbe es viel Heu, ein Artikel, an dem es in Korfu völlig mangelte, riet mir Herr D. R. diese Gelegenheit zu ergreifen, um mir beim General ein Verdienst zu erwerben, indem ich ihn sofort benachrichtigte. Ich folgte dem Rat schon am nächsten Morgen und ward sehr freundlich angehört; Seine Exzellenz befahl einen Tag, um das Heu zu holen und nach Korfu zu bringen.

Zwei oder drei Tage später saß ich eines Abends im Kaffeehause, als der Adjutant Minotto kam und mir sagte, der General wünsche mich zu sprechen. Man kann sich denken, daß ich diesmal seinem Befehl pünktlich nachkam.

Vierzehntes Kapitel


Fortsetzung meiner Liebesgeschichte – Fahrt nach Otranto – Ich trete in den Dienst der Frau F. – Glückliche Beinverletzung.

Die Gesellschaft war sehr zahlreich. Ich trete ganz sachte ein, Seine Erzellenz sieht mich; sein Gesicht heitert sich auf, und alle Blicke der ganzen Gesellschaft wenden sich mir zu, als er mit lauter Stimme sagt: »Da haben Sie einen jungen Mann, der sich auf Prinzen versteht.«

»Gnädiger Herr,« sage ich sofort, »ich bin auf diesem Gebiet Kenner geworden, da ich viel mit Ihresgleichen verkehrt habe.«

»Die Damen sind neugierig und möchten alles erfahren, was Sie von Ihrem Verschwinden bis zu Ihrer Rückkehr gemacht haben.«

»Sie verurteilen mich also, gnädiger Herr, zu einer öffentlichen Beichte?«

»Meinetwegen; aber wenn Sie es so auffassen, so hüten Sie sich, auch den geringsten Umstand auszulassen, und tun Sie, als wäre ich nicht anwesend.«

»Im Gegenteil; denn nur von Eurer Erzellenz will ich meine Absolution erwarten. Aber die Geschichte wird lang sein.«

»Jn diesem Falle erlaubt der Beichtvater Ihnen, sich zu setzen.«

Ich erzählte meine Geschichte mit der größten Ausführlichkeit; nur verschwieg ich meine häufigen Zusammenkünfte mit den Nymphen der Inseln.

»Die ganze Geschichte«, sagte der alte Herr zu mir, »ist lehrreich.«

»Ja, gnädiger Herr, denn sie zeigt, daß ein junger Mensch niemals in solcher Gefahr ist, zugrunde zu gehen, als wenn er von einer großen Leidenschaft bewegt wird und die Mittel hat, seinem eigenen Willen zu folgen, weil er eine Börse voll Gold in der Tasche trägt.«

Ich wollte gehen; doch kam der Haushofmeister zu mir und sagte mir, Seine Exzellenz lade mich ein, zum Abendessen zu bleiben. Ich hatte also die Ehre an seinem Tische zu sitzen, nicht aber die, auch zu essen; denn da ich auf tausend Fragen antworten mußte, die man von allen Seiten an mich richtete, so war es mir unmöglich, auch nur einen einzigen Bissen in den Mund zu bekommen. Ich saß neben dem Protopapa Bulgari, und ich bat ihn um Verzeihung, daß ich mich über das Orakel des Papa Deldimopulo ein bißchen lustig gemacht hätte. »Es ist eine Betrügerei,« antwortete er mir; »aber es ist um so schwerer, etwas gegen sie zu machen, da sie den Stempel hohen Alters trägt.«

Beim Nachtisch flüsterte Frau F. dem General etwas ins Ohr, worauf dieser das Wort an mich richtete und mir sagte, er würde gern hören, was mir während meines Aufenthalts in Konstantinopel mit der Frau des Türken Jussuff passiert wäre sowie bei einem anderen Türken, bei dem ich Augenzeuge eines Mondscheinbades gewesen wäre. Sehr überrascht über diese Art von Einladung sagte ich ihm, das seien Possen gewesen, die zu erzählen es sich nicht lohnte; hiermit kam ich durch, denn Seine Exzellenz bestand nicht weiter auf ihrem Wunsch. Auffallend war mir vor allen Dingen die Indiskretion der Frau F., die doch nicht ganz Korfu darin einweihen durfte, was für Geschichten ich ihr unter vier Augen erzählte. Ich bedauerte, daß sie nicht eifersüchtiger auf ihren guten Ruf war, der mir noch mehr am Herzen lag, als ihre Person.

Als ich zwei oder drei Tage später einmal mit ihr allein war, sagte sie mir:

»Warum wollten Sie dem General nicht Ihre Abenteuer von Konstantinopel erzählen?«

»Weil ich nicht alle Welt wissen lassen will, daß Sie mir gestatten, Sie von derartigen Dingen zu unterhalten. Was ich, gnädige Frau, Ihnen unter vier Augen zu erzählen wage, würde ich Ihnen sicherlich nicht in öffentlicher Gesellschaft erzählen.«

»Und warum nicht? Mir scheint im Gegenteil: wenn Sie aus einem Gefühl der Achtung in Gesellschaft schweigen, so müssen Sie es um so mehr tun, wenn ich allein bin.«

»Da ich den Wunsch hatte, Sie zu erheitern, so habe ich mich der Gefahr ausgesetzt, Ihr Mißfallen zu erregen; aber, gnädige Frau, es wird nicht wieder vorkommen.«

»Ich will nicht versuchen, Ihre Absichten zu durchdringen; aber mir scheint, wenn Sie den Wunsch hatten, mir zu gefallen, so durften Sie sich nicht wissentlich der Möglichkeit aussetzen, gerade das Gegengesetzte herbeizuführen. Wir werden beim General zu Abend speisen; denn Herr D. R. ist von diesem beauftragt, Sie mitzubringen; ich bin überzeugt, er wird Ihnen den Wunsch wiederholen, den er Ihnen das letztemal aussprach; und Sie werden nicht umhin können, diesen Wunsch zu erfüllen.«

Bald darauf kam Herr D.R., und wir gingen zusammen zum General. Unterwegs überlegte ich mir, daß ich die letzte Wendung als einen Glücksfall ansehen mußte, obwohl Frau F. allem Anschein nach mich hatte demütigen wollen; denn indem sie mich nötigte, mich zu rechtfertigen, hatte sie mich gewissermaßen zu einer Erklärung gezwungen, die ihr nicht gleichgültig sein konnte.

Der Generalprovveditore nahm mich sehr gut auf und erwies mir die Gnade, mir eigenhändig einen Brief zu überreichen, der in einem Paket, das er am selben Tage aus Konstantinopel erhalten hatte, für mich eingetroffen war. Nachdem ich mit einer tiefen Verbeugung gedankt hatte, steckte ich natürlich den Brief in die Tasche; aber er hielt mich zurück, indem er mir sagte, er sei Liebhaber von Neuigkeiten, und ich könne den Brief lesen. Ich öffnete ihn also; es war ein Brief von Jussuff, der mir den Tod des Grafen Bonneval mitteilte. Als er den Namen des guten Jussuff hörte, bat mich der General, ihm die Geschichte von meiner Unterhaltung mit dessen Frau zu erzählen. Da ich der Einladung nicht ausweichen konnte, so begann ich eine Geschichte, die eine volle Stunde dauerte, Seine Exzellenz sehr amüsierte und die ganze Gesellschaft unterhielt; an dieser Geschichte war aber weiter nichts echt als der Ernst, womit ich sie vortrug; denn sie war von A bis Z von mir erfunden. Auf diese Weise gelang es mir, zu vermeiden, dass ich meinem Freund Jussuff unrecht tat, Frau F. bloßstellte und so mich selber in einem wenig vorteilhaften Lichte zeigte. In Hinsicht des Gefühls machte die von mir erfundene Geschichte mir die größte Ehre, und ich empfand eine wahre Freude, als ich einen Blick auf Frau F. warf, und auf ihren Zügen las, daß sie zufrieden war; immerhin war sie doch ein bißchen verlegen.

Als wir wieder in ihrem Hause waren, sagte sie mir in Gegenwart des Herrn D. R., die von mir erzählte Geschichte sei sehr hübsch, wenn auch nur ein Märchen; sie sei mir darum nicht böse, weil ich sie gut unterhalten hätte; sie könne aber doch nicht umhin, die Hartnäckigkeit zu bemerken, womit ich ihr die von ihr gewünschte Gefälligkeit verweigerte. Hierauf wandte sie sich zu Herrn D. R. und fuhr fort: »Er behauptet, wenn er die Geschichte seiner Unterhaltung mit Jussuffs Frau wahrheitsgetreu erzählt hätte, würde er in der Gesellschaft den Glauben erweckt haben, er unterhalte mich mit unanständigen Geschichten. Ich wünsche, daß Sie darüber Ihr Urteil abgeben. – Wollen Sie, Herr Casanova, die Güte haben, sofort diese Zusammenkunft in denselben Ausdrücken zu schildern, die Sie bei der ersten Erzählung anwandten?«

»Ja, Signora, ich kann es, wenn ich will.«

Ärgerlich über eine Indiskretion, die mir, der ich damals noch kein Kenner des Frauenherzens war, beispiellos zu sein schien, und ohne die geringste Furcht des Mißlingens, stellte ich das Abenteuer als begeisterter Maler dar, das Bild mit allen Farben der Leidenschaft belebend und ohne ein einziges der Gefühle zu verschleiern, die der Anblick der Schönheiten der Griechin in mir erweckt hatte.

»Und Sie finden,« sagte Herr D. R. zu der Dame, »er hätte dies Erlebnis vor der ganzen Gesellschaft so erzählen sollen, wie er’s uns jetzt hier erzählt hat?«

»Wenn er unrecht getan hätte, es öffentlich zu erzählen, so hat er doch auch unrecht getan, es mir unter vier Augen zu erzählen!«

»Das können nur Sie allein wissen! Ja – wenn es Ihnen mißfallen hat. Nein – wenn er Sie amüsiert hat. Mich selber, das will ich offen sagen, hat es sehr amüsiert, aber ich würde mich über ihn geärgert haben, wenn er es in einer zahlreichen Gesellschaft ebenso erzählt hätte, wie hier.«

»Nun, so bitte ich Sie,« sagte Frau F. zu mir, »in Zukunft mir unter uns nur zu erzählen, was Sie in der Öffentlichkeit wiederholen können.«

»Gnädige Frau, ich verspreche Ihnen, mich nach Ihrer Vorschrift zu richten.«

»Wohlverstanden,« rief Herr D. R., »daß die gnädige Frau sich im vollen Umfange das Recht vorbehält, diesen Befehl zu widerrufen, so oft und wann es ihr gut scheint.«

Ich war verletzt, doch wußte ich meinen Verdruß zu verbergen. Einen Augenblick später gingen wir.

Ich begann die reizende Frau gründlich kennenzulernen; aber je tiefer ich in das Geheimnis ihres Charakters eindrang, desto deutlicher sah ich alle Prüfungen voraus, denen sie mich unterwerfen würde. Aber einerlei, meine Liebe trug den Sieg davon; und da mir Hoffnung winkte, so hatte ich den Mut, den Dornen zu trotzen, um die Rose pflücken zu können. Vor allem machte es mir großes Vergnügen, zu sehen, daß Herr D. R. durchaus nicht eifersüchtig auf mich war, obgleich sie selber ihn dazu anzureizen schien. Dies war sehr wichtig.

Als ich einige Tage später sie von diesem und jenem unterhielt, kam das Gespräch auch darauf, daß ich das Pech gehabt hätte, ohne einen Heller Geld das Lazarett von Ancona beziehen zu müssen.

»Trotzdem«, erzählte ich ihr, »verliebte ich mich da in eine junge und schöne griechische Sklavin, um derentwillen ich beinahe die Sanitätsvorschriften verletzt hätte.«

»Wie kam das?«

»Gnädige Frau, Sie sind allein, und ich habe Ihre Befehle nicht vergessen.«

»Es ist also recht unanständig?«

»Nein, aber ich möchte es Ihnen nicht in Gesellschaft erzählen.«

»Nun gut denn!« rief sie lachend; »ich widerrufe den Befehl, wie Herr D. R. es voraussagte. Sprechen Sie!«

Ich erzählte ihr nun mit allen Einzelheiten und ganz wahrheitsgetreu das ganze Abenteuer; und da ich sah, daß sie nachdenklich wurde, übertrieb ich mein Unglück.

»Was nennen Sie Ihr Unglück? Ich finde die arme Griechin viel beklagenswerter als Sie. Sie haben sie nicht wiedergesehen?«

»O doch, gnädige Frau, aber ich wage nicht es Ihnen zu sagen.«

»Erzählen Sie jetzt zu Ende! Es ist eine Dummheit. Sagen Sie mir alles. Ich bin darauf gefaßt, irgendeinen bösen Streich von Ihnen zu vernehmen.«

»Weit entfernt, gnädige Frau! Es war ein sehr süßer, obgleich unvollständiger Genuß.«

»Erzählen Sie! Aber nennen Sie nicht die Dinge bei ihrem richtigen Namen; das ist das Wesentliche.«

Infolge dieses neuen Befehls erzählte ich ihr, ohne ihr ins Gesicht zu sehen, mein Zusammentreffen mit der Griechin in Gegenwart Bellinos und den unvollendeten Liebesakt, den wir auf eine höhere Eingebung vollzogen bis zum Augenblick, wo die reizende Sklavin bei der Rückkehr ihres Herrn sich meinen Armen entriß. Frau F. sagte nichts, und ich brachte daher die Unterhaltung auf einen anderen Gegenstand; denn wenn ich mich auch ausgezeichnet mit ihr stand, so fühlte ich doch, daß ich Schritt für Schritt vorgehen mußte; so jung sie auch war, so konnte ich doch sicher sein, daß sie niemals eine unwürdige Verbindung eingegangen sein würde, und das Verhältnis, das ich plante, mußte ihr als eine Verbindung unwürdigster Art erscheinen.

Das Glück, das mich in den verzweifeltsten Lagen stets begünstigt hatte, wollte mich auch dieses Mal nicht als böse Stiefmutter behandeln und verschaffte mir an demselben Tage eine Gunst ganz besonderer Art. Meine Schöne brachte sich einen tiefen Schnitt am Finger bei, stieß einen lauten Schrei aus, hielt mir ihre schöne Hand hin und bat mich, ihr das Blut auszusagen. Wie man sich denken kann, ergriff ich schnell eine so schöne Hand; und wenn mein Leser verliebt ist oder es jemals war, so wird er erraten, wie ich mich meiner angenehmen Aufgabe entledigte. Was ist ein Kuß? Ist er nicht der glühende Wunsch, einen Teil des geliebten Wesens in sich einzusaugen? Und das Blut, das ich aus dieser reizenden Wunde sog, was war es anders, als ein Teil des von mir vergötterten Wesens? Als ich fertig war, dankte sie mir zärtlich und sagte mir, ich möchte das ausgesogene Blut ausspucken.

»Es ist hier!« sagte ich, indem ich die Hand auf mein Herz legte, »und Gott weiß, welchen Genuß es mir bereitet hat.«

»Sie haben mein Blut mit Genuß verschluckt? Sind Sie denn Menschenfresser?«

»Das glaube ich nicht, gnädige Frau, aber ich hätte befürchtet, Sie zu entweihen, wenn ich einen einzigen Tropfen hätte verlorengehen lassen.«

Eines Abends war große Gesellschaft; die Rede kam auf die Freuden des bevorstehenden Karnevals, und man klagte bitter, daß man kein Theater haben würde. Augenblicklich erbot ich mich, auf meine Kosten eine Schauspielertruppe zu besorgen, wenn man sofort alle Logen mieten und mir das ausschließliche Recht die Pharaobank zu halten bewilligen wollte. Es war keine Zeit zu verlieren, denn der Karneval stand vor der Tür, und ich mußte mich nach Otranto begeben. Mein Vorschlag wurde mit Freudenjubel aufgenommen, und der General stellte mir eine Feluke zur Verfügung. In drei Tagen waren alle Logen abonniert, und ein Jude nahm das ganze Parterre, ausgenommen an zwei Tagen der Woche, die ich mir vorbehielt. Der Karneval war in jenem Jahr sehr lang; ich hatte daher gute Aussichten auf Glück. Man behauptet, Theaterunternehmer sein sei ein schwerer Beruf; wenn dies der Fall ist, so habe ich jedenfalls nicht die Erfahrung gemacht und kann für meine Person das Gegenteil behaupten.

Ich fuhr von Korfu mit Einbruch der Nacht ab, und da ein frischer Wind wehte, kam ich in Otranto bei Tagesanbruch an, ohne daß meine Ruderer ihre Ruder eingetaucht hätten. Von Korfu nach Otranto sind nur vierzehn oder fünfzehn Meilen.

Ich konnte nicht daran denken, an Land zu gehen, da in ganz Italien alles, was aus dem Morgenlande kommt, der Quarantäne unterworfen ist; ich ging daher ins Sprechzimmer, wo man hinter einer Schranke mit den Personen sprechen kann, die sich gegenüber hinter einer anderen zwei Klafter entfernten Schranke aufstellen.

Sobald ich bekanntgegeben hatte, daß ich gekommen wäre, um eine Schauspielertruppe für Korfu zu besorgen, erschienen die Direktoren der beiden Truppen, die damals sich in Otranto befanden. Ich sagte ihnen zunächst, ich wollte zuerst alle ihre Mitglieder in voller Bequemlichkeit mir ansehen, und zwar erst die der einen, dann die der anderen Gesellschaft.

Nun gewährten mir die beiden Konkurrenten das Schauspiel eines höchst komischen Auftrittes, indem jeder von ihnen verlangte, daß der andere seine Truppe zuerst zeige. Der Hafenkapitän sagte mir endlich, es stände bei mir, ihrem Streit ein Ende zu machen, indem ich ihnen sagte, welche ich zuerst sehen wollte; die eine war eine neapolitanische, die andere eine sizilianische Truppe. Da ich keine von beiden kannte, so nannte ich die neapolitanische zuerst. Ihr Direktor, Don Fastidio, war ganz traurig darüber, während Battipaglia vor Freude strahlte, indem er hoffte, daß ich nach der Vergleichung seiner Truppe den Vorzug geben würde.

Eine Stunde später sah ich Fastidio mit seiner Truppe ankommen; man denke sich meine Überraschung, als ich Petronio und seine Schwester Marina erkannte. Sobald diese mich bemerkte, stieß sie einen Freudenschrei aus, sprang über die Schranke und stürzte sich in meine Arme. Nun begann ein furchtbarer Spektakel zwischen Don Fastidio und dem Hafenmeister. Da Marina in Fastidios Lohn stand, zwang der Hafenmeister ihn, sie ins Lazarett bringen zu lassen, wo sie auf seine Kosten Quarantäne halten sollte. Die arme Kleine weinte, aber ich konnte ihre Unvorsichtigkeit nicht wieder gutmachen. Schließlich machte ich dem Wortwechsel ein Ende, indem ich Don Fastidio sagte, er möchte mir alle seine Mitglieder eins nach dem anderen vorführen. Zu ihnen gehörte auch Petronio, der die Liebhaberrollen spielte. Er sagte mir, er habe für mich einen Brief von Teresa. Ich sah mit Vergnügen einen Venezianer, den ich kannte und der den Pantalone spielte, drei Schauspielerinnen, die gefallen konnten, einen Pulcinello, einen Scaramuccio; die ganze Truppe schien mir recht leidlich zu sein.

Ich sagte Fastidio, er möchte mir ganz genau sagen, was er für den Tag verlangte; wenn sein Konkurrent mir einen billigeren Preis stellen würde, so würde ich diesem den Apfel reichen. »Herr Offizier,« sagte er, »Sie werden für zwanzig Personen sechs Zimmer mit zehn Betten bereitstellen, dazu einen gemeinsamen Saal, bezahlen alle Reisekosten und täglich dreißig neapolitanische Dukaten. Hier haben Sie mein Repertoire; Sie können jedes beliebige Stück spielen lassen, das Sie bestimmen.«

Ich dachte an die arme Marina, die die ganze Leidenszeit im Lazarett hätte durchmachen müssen, ehe sie wieder auftreten konnte, und sagte zu Fastidio, er möchte den Vertrag bereitmachen, ich wollte sofort abreisen.

Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, so brach zwischen dem vorgezogenen und dem abgewiesenen Direktor offener Krieg aus. Dieser schimpfte im wütenden Ton Marina eine H … und behauptete, sie hätte absichtlich im Einverständnis mit Fastidio die Sanitätsvorschrift verletzt, um mich zu nötigen, ihre Truppe zu nehmen. Petronio ergriff die Partei seiner Schwester und kam Fastidio zu Hilfe; der unglückselige Battipaglia wurde hinausgeworfen und bekam eine Tracht Prügel, die jedenfalls kein besonderer Trost für das entgangene Geschäft war. Eine Viertelstunde später brachte Petronio mir Teresas Brief; sie wurde reich, indem sie den Herzog ruinierte. Sie bewahrte mir immer noch die Treue und erwartete mich in Neapel. Gegen Abend war alles fertig; ich verließ Otranto mit zwanzig Komödianten und sechs großen Kisten, worin die ganze erforderliche Bühnenausrüstung sich befand. Ein leichter Südwind, der bei unserer Abfahrt wehte, hätte mich in zehn Stunden nach Korfu bringen können; aber, nachdem wir eine Stunde gesegelt waren, sagte mir mein Karabuschiri, er sehe im Mondschein ein Schiff kommen, das uns kapern könnte, wenn es ein Seeräuber wäre. Ich wollte nichts wagen, ließ daher umlegen und kehrte nach Otranto zurück. Mit Tagesanbruch gingen wir wieder unter Segel mit einem guten Westwind, der uns ebenfalls nach Korfu gebracht haben würde; aber nachdem wir zwei Stunden lang gefahren waren, sagte mir der Kapitän, er sehe eine Brigantine, die er für einen Korsaren halte, denn sie manöveriere so, als ob sie uns unter den Wind bringen wollte. Ich sagte ihm, er möchte die Richtung ändern und Steuerbord halten, um zu sehen, ob sie uns folgte; sofort machte die Brigantine das gleiche Manöver. Da ich nicht mehr nach Otranto zurück konnte und durchaus keine Lust hatte, nach Afrika zu gehen, sagte ich dem Kapitän, er solle rudern lassen und auf den nächsten Ort der kalabrischen Küste zuhalten. Die Matrosen schlotterten vor Angst an allen Gliedern und teilten ihre Furcht auch meiner komischen Truppe mit; bald herrschte auf dem ganzen Schiff nur Jammer und Wehklagen; jeder empfahl sich irgendeinem Heiligen, aber keinen einzigen von dem Gesindel hörte ich sich Gott empfehlen. Die Grimassen Scaramuccios und das düstere, trostlose Gesicht Fastidios bildeten ein Gemälde, worüber ich herzlich gelacht haben würde, wenn nicht die tatsächlich dringende Gefahr mich daran verhindert hätte. Nur Marina, die von der Größe der Gefahr keine Ahnung hatte, war fröhlich und machte sich über die allgemeine Angst lustig.

Als gegen Abend ein starker Wind sich erhob, befahl ich alle Segel zu setzen und immer geradeaus zu fahren, selbst wenn der Wind noch stärker werden sollte. Ich hatte mich entschlossen, den Golf zu durchqueren, um mich vor den Angriffen des Korsaren in Sicherheit zu bringen. Nachdem ich so die ganze Nacht gesegelt war, beschloß ich, bis Korfu zu rudern; wir waren achtzig Seemeilen entfernt. Das Schiff befand sich mitten im Golf, und am Ende des Tages waren die Matrosen völlig erschöpft; aber ich befürchtete nichts mehr. Plötzlich begann ein Nordwind zu blasen; dieser wurde in weniger als einer Stunde so stark, daß wir mit erschrecklicher Schnelligkeit dahingetrieben wurden. Die Feluke schien jeden Augenblick kentern zu wollen. Entsetzen malte sich auf allen Gesichtern, aber es herrschte tiefes Schweigen, denn dieses hatte ich bei Todesstrafe anbefohlen. Trotz unserer peinlichen Lage mußte ich über die Schluchzer des feigen Scaramuccio lachen. Der Steuermann war ein tüchtiger Matrose, und da der Wind stetig blieb, so fühlte ich, daß wir ohne Unfall ans Ziel kommen würden. In der Morgendämmerung kam denn auch wirklich Korfu in Sicht, und um neun Uhr landeten wir. Man war allgemein erstaunt, uns von dieser Seite her ankommen zu sehen. Sobald meine Truppe ausgeschifft war, kamen natürlich die jungen Offiziere daher, um sich die Künstlerinnen anzusehen; das war in der Ordnung. Sie fanden sie jedoch wenig anmutend, mit Ausnahme Marinas, die, ohne sich zu beklagen, meine Mitteilung entgegennahm, daß ich mich nicht um sie bekümmern könnte. Ich war sicher, daß es ihr nicht an Anbetern fehlen würde. Meine Schauspielerinnen, die am Hafen häßlich ausgesehen hatten, fanden eine andere Beurteilung, als sie auf der Bühne erschienen, und vor allen gefiel die Frau des Pantalone. Als der Linienfchiffs-Kapitän Duodo ihr einen Besuch machte und Herrn Pantalone ungefällig fand, gab er ihm einige Stockhiebe. Infolgedessen kam am nächsten Morgen Don Fastidio zu mir und sagte mir, der Schauspieler und seine Frau wollten nicht mehr spielen. Ich schuf Abhilfe, indem ich ihnen eine Vorstellung als besonderes Benefiz für sie bewilligte.

Pantalones Frau fand großen Beifall; sie fand sich aber beleidigt, weil das Parterre zum Zeichen des Beifalls Bravo duodo! rief, und kam, um sich zu beklagen, in die Loge des Generals, wo ich mich für gewöhnlich befand. Um sie zu trösten, versprach ihr der General in meinem Namen eine andere Benefizvorstellung zum Schluß des Karnevals, und wohl oder übel mußte ich mich mit diesem Versprechen einverstanden erklären. Tatsächlich überließ ich, um dies gefräßige Gezücht zufriedenzustellen, ihnen allmählich, eine nach der anderen, die siebzehn Vorstellungen, die ich mir vorbehalten hatte. Marina bewilligte ich eine auf Wunsch der Frau F., die sich für die Künstlerin interessierte, seitdem diese die Ehre gehabt hatte, mit Herrn D. R. unter vier Augen in einem Landhäuschen vor der Stadt zu frühstücken.

Diese Großmut kostete mir mehr als vierhundert Zechinen; aber die Bank brachte mir mehr als tausend ein, obgleich ich nie selber abzog, da die Theaterangelegenheiten mir keine Zeit dazu ließen. Viel Ehre machte es mir, daß ich, wie man klar und deutlich sah, keinerlei Liebesverhältnis mit den Schauspielerinnen unterhielt, was mir doch so leicht gewesen wäre. Frau F. machte mir ein Kompliment darüber, indem sie mir sagte, sie habe mich nicht für so vernünftig gehalten. Ich war während des ganzen Karnevals so beschäftigt, daß ich nicht an Liebe denken konnte, nicht einmal an die, die mir so sehr am Herzen lag. Erst nach Beginn der Fastenzeit und nach der Abreise der Schauspieler konnte ich mich meiner Leidenschaft ganz und gar hingeben.

Eines Morgens kam zu mir ein Bote von Frau F. und sagte mir, sie wünsche mich zu sprechen. Es war elf Uhr; ich begab mich unverzüglich zu ihr und fragte sie, worin ich ihr angenehm sein könnte.

»Ich habe Sie kommen lassen,« sagte sie mir, »um Ihnen die zweihundert Zechinen wiederzugeben, die Sie mir in so vornehmer Weise geliehen haben. Hier sind sie; wollen Sie mir, bitte, meinen Schuldschein wiedergeben.«

»Ihr Schein, gnädige Frau, ist nicht mehr in meinen Händen. Er ist unter wohlversiegeltem Umschlag bei Herrn Notar N. N. niedergelegt, der ihn laut dieser Quittung nur Ihnen selber ausliefern darf.«

»Warum haben Sie ihn nicht bei sich behalten?«

»Ich hatte Furcht, er könnte mir gestohlen werden oder sonstwie verlorengehen. Ich hätte sterben können, und ich wollte nicht, daß der Schein in andere Hände fiele, als in die Ihrigen.«

»Ihr Vorgehen ist sicherlich zartfühlend; aber mir scheint, Sie hätten sich das Recht vorbehalten müssen, selbst den Schein zurückziehen zu können.«

»Ich habe nicht die Möglichkeit vorausgesehen, ihn zurückzuziehen.«

»Diese Möglichkeit hätte jedoch leicht eintreten können. Ich kann also dem Notar sagen lassen, er möge mir den Umschlag schicken?«

»Ohne Zweifel, gnädige Frau; und Sie allein können es tun.«

Sie schickte zum Notar, und dieser überbrachte ihr den Brief.

Sie riß den Umschlag auf und fand nur ein geschwärztes, unleserliches Papier; nur ihren Namen hatte ich stehen lassen.

»Dies zeugt«, sagte sie mir, »für eine ebenso vornehme wie zartfühlende Handlungsweise. Aber gestehen Sie, ich kann nicht sicher sein, daß dieser Fetzen Papier wirklich mein Schein ist, obgleich ich meinen Namen darauf sehe.«

»Das ist wahr, gnädige Frau, und wenn Sie dessen nicht sicher sind, so habe ich sehr unrecht getan.«

»Ich bin dessen sicher, weil ich es sein muß; aber Sie werden mir zugeben, daß ich nicht darauf schwören könnte.«

»Ich gebe es zu.«

An den folgenden Tagen kam es nur vor, als habe sie ihr Benehmen gegen mich vollständig geändert. Sie empfing mich nicht mehr im Morgenkleide, und ich mußte mich langweilen und warten, bis ihre Zofe sie angekleidet hatte; erst dann wurde ich in ihr Zimmer eingelassen.

Wenn ich irgend etwas erzählte, tat sie, als verstände sie mich nicht oder als könnte sie den Witz eines Wortspieles oder einer Anekdote nicht entdecken; oft sogar sah sie mich nicht einmal an, und dann erzählte ich schlecht. Wenn Herr D.R. über etwas lachte, was ich erzählt hatte, so fragte sie ihn, warum er lache; und wenn er ihr meine Geschichte wiederholte, fand sie sie flach oder abgeschmackt. Wenn sich eines ihrer Armbänder abgelöst hatte, erbot ich mich natürlich, es wieder zu befestigen; aber dann hieß es entweder, sie wolle mir nicht die Mühe machen, oder ich kenne den Mechanismus der Feder nicht, und so mußte ihre Zofe es machen. Meine Verdrießlichkeit wurde allmählich sichtbar; aber sie tat, als merkte sie es nicht. Wenn Herr D. R. mich aufforderte, etwas Nettes zu sagen, und ich nicht sofort sprach, dann sagte sie, ich wäre wohl auf dem Grund meines Sackes angelangt und jetzt völlig ausgepumpt. Voll Verdruß gab ich dies zu, denn da ich nun einmal ihren Beifall nicht finden konnte, so schwieg ich lieber; aber meine Leidenschaft verzehrte mich; denn ich wußte nicht, welchem Umstand ich diese Veränderung, diesen Stimmungswechsel zuschreiben sollte, da mir schien, ich selber hätte nicht den geringsten Anlaß dazu gegeben. Ich wollte den Entschluß fassen, ihr offen meine Mißachtung kundzugeben; aber wenn die Gelegenheit dazu sich bot, hatte ich nicht den Mut.

Als eines Abends Herr D. R. mich fragte, ob ich oft verliebt gewesen sei, antwortete ich ihm: »Dreimal, gnädiger Herr.«

»Und immer glücklich, nicht wahr?«

»Immer unglücklich. Das erstemal vielleicht, weil ich als Abbate mich nicht zu entdecken wagte. Das zweitemal, weil ein furchtbares, unvorhergesehenes Ereignis mich zwang, in demselben Augenblick, wo meine Wünsche sich erfüllen sollten, mich von dem geliebten Wesen zu entfernen. Das drittemal, weil die Dame, für die ich entbrannt war, Mitleid mit mir fühlte und daher Lust bekam, mich von meiner Leidenschaft zu heilen, anstatt mich glücklich zu machen.«

»Und welches Heilmittel hat sie zu diesem Zweck benutzt?«

»Sie ist nicht mehr liebenswürdig gewesen.«

»Ich verstehe; sie hat Sie mißhandelt, und das nennen Sie Mitleid? Sie irren sich.«

»Sicherlich«, sagte die gnädige Frau, »hat man Mitleid mit einem, den man lieb hat, und man will ihn nicht heilen, indem man ihn unglücklich macht. Diese Frau hat Sie niemals geliebt.«

»Das will ich nicht glauben, gnädige Frau.«

»Aher sind Sie geheilt?«

»Vollkommen; denn wenn ich zufällig einmal an sie denke, finde ich mich kalt und gleichgültig; aber bis zur Genesung hat es lange gedauert.«

»Ich denke mir, es hat so lange gedauert, bis Sie in eine andere verliebt geworden sind?«

»In eine andere, gnädige Frau? Ich glaubte, Ihnen gesagt zu haben, daß meine dritte die letzte war.«

Einige Tage später sagte Herr D. R. zu mir, Frau F. sei unwohl; er könne ihr nicht Gesellschaft leisten, aber ich müsse hingehen; er sei überzeugt, es werde ihr viel Vergnügen machen. Ich gehorchte und wiederholte der Frau F., die auf ihrem Sofa lag, Wort für Wort das Kompliment des Herrn D. R.; sie antwortete mir, ohne mich anzusehen, sie glaubte, sie hätte Fieber und lüde mich darum nicht zum Bleiben ein; denn sie wäre überzeugt, daß ich mich weilen würde.

»In Ihrer Gegenwart, gnädige Frau, kann ich mich nicht weilen; übrigens kann ich nur gehen, wenn Sie mir den strengen Befehl geben, und in diesem Fall werde ich vier Stunden in Ihrem Vorzimmer verbringen, denn Herr D. R. hat mir gesagt, ich möchte ihn hier erwarten.«

»Dann setzen Sie sich also, wenn Sie wollen.«

Ein so schroffer Ausdruck empörte mich; aber ich liebte sie, und ich hatte sie niemals so schön gesehen, denn ihr Unwohlsein belebte ihre Gesichtsfarbe auf eine Art, daß sie wirklich blendend aussah. Ich blieb eine Viertelstunde lang stumm und unbeweglich wie ein Standbild; dann klingelte sie ihrer Kammerzofe und bat mich, sie einen Augenblick allein zu lassen. Wenige Minuten später ließ sie mich wieder eintreten und fragte mich: »Was ist denn aus Ihrer lustigen Laune geworden?«

»Wenn meine lustige Laune verschwunden ist, gnädige Frau, so kann dies nur auf Ihren Befehl geschehen sein. Rufen Sie sie zurück, und Sie werden sie in ihrer ganzen Stärke wieder vor Ihnen erscheinen sehen.«

»Was muß ich tun, um sie wieder zurückzurufen?«

»Seien Sie gegen mich so, wie Sie waren, als ich von Kasopo zurückkam. Seit vier Monaten mißfalle ich Ihnen; und da ich nicht wissen kann weshalb, so betrübt mich dieses tief.«

»Ich bin immer die gleiche. In welcher Hinsicht finden Sie mich denn verändert?«

»Gütiger Himmel! In allem, ausgenommen in Ihrer Persönlichkeit. Aber ich habe meinen Entschluß gefaßt.«

»Und wie lautet dieser?«

»Ich will schweigend bleiben. Niemals kann etwas die Gefühle vermindern, die Sie mir eingeflößt haben; stets wird mich der Wunsch erfüllen, Sie von einer vollkommenen Ergebenheit zu überzeugen; stets werde ich bemüht sein, Ihnen neue Beweise meines Eifers zu geben«

»Ich dake Ihnen; aher ich weiß nicht, was Sie meinetwegen schweigend zu leiden haben können. Ich habe Teilnahme für Sie und höre Ihre Abenteuer stets mit Vergnügen. So zum Beispiel bin ich sehr neugierig, Sie von Ihren drei Liebschaften erzählen zu hören.«

Ich erfand sofort drei Geschichtchen, worin viel von Gefühl und idealer Liebe die Rede war; doch streifte ich niemals sinnlichen Genuß, besonders wenn ich zu merken glaubte, daß sie etwas Derartiges erwartete. Ich sah leicht, daß ihre Phantasie weiter ging als meine Erzählung, und ich bemerkte auch, daß meine Zurückhaltung ihr gefiel. Ich glaubte sie gut genug zu kennen, um zu wissen, daß dies das beste Mittel wäre, sie zum erwünschten Ziel zu führen. Sie machte eine Bemerkung, die mich empfindlich traf; doch hütete ich mich, etwas davon merken zu lassen. Es handelte sich um diejenige von den dreien, die es aus Mitleid unternommen hatte, mich von meiner Liebe heilen zu wollen. »Wenn sie Sie wirklich liebte,« sagte sie, »so ist es wohl möglich, daß sie nicht Sie, sondern sich selber hat heilen wollen.«

Am Tage nach dieser Art von Aussöhnung bat ihr Gatte, Herr F., meinen General D. R., mich auf drei Tage nach Butintro auf eine Expedition gehen zu lassen, da sein Adjutant schwer erkrankt war.

Butintro liegt in einer Entfernung von sieben Seemeilen Korfu gegenüber. Es ist der nächstgelegene Ort des Festlandes, kein Fort, sondern ein gewöhnliches Dorf in Epirus, dem heutigen Albanien; es gehört den Venezianern.

In Befolgung des politischen Grundsatzes, daß vernachlässigtes Recht verlorenes Recht ist, schicken die Venezianer alljährlich vier Galeeren mit Sträflingen dorthin, um Holz zu fällen und auf die Schiffe zu verladen; sie sind begleitet von Truppen, um die Arbeiter zu überwachen, die ohne diese Vorsichtsmaßregel desertieren könnten, um Türken zu werden. Da die eine der vier Galeeren von Herrn F. bemannt wurde, brauchte er einen Adjutanten, und seine Wahl fiel auf mich.

Wir fuhren ab und brachten am vierten Tage einen großen Holzvorrat nach Korfu. Es war am Karfreitag. Ich ging in die Wohnung des Herrn D. R., den ich allein auf der Terrasse fand. Er war nachdenklich, und nach kurzem Schweigen hielt er an mich folgende Ansprache, die ich niemals vergessen werde:

»Herr F., dessen Adjutant gestern gestorben ist, hat mich soeben gebeten, Sie ihm abzutreten, bis er sich einen anderen habe verschaffen können. Ich habe ihm geantwortet, ich glaube nicht das Recht zu haben, über Sie verfügen zu können, und er müßte sich an Sie selber wenden; doch versichere ich Ihnen, wenn Sie mich um Erlaubnis bäten, so würde ich keine Schwierigkeiten machen, obwohl ich zwei Adjutanten brauche. Er hat Ihnen seit Ihrer Rückkehr nichts gesagt?«

»Nichts, gnädiger Herr; er hat mir gedankt, daß ich auf seiner Galeere nach Butintro gefahren bin – sonst nichts.«

»Ohne Zweifel wird er mit Ihnen darüber sprechen; was werden Sie ihm sagen ?«

»Selbstverständlich werde ich ihm sagen, daß ich niemals Eure Exzellenz verlassen werde ohne Ihren ausdrücklichen Befehl.«

»Sicherlich werde ich Ihnen diesen Befehl niemals geben.« In dem Augenblick, wo Herr D. R. diese Worte aussprach, traten Herr und Frau F. ein. Da ich wußte, wovon wahrscheinlich die Rede sein würde, ging ich schnell hinaus. Eine Viertelstunde darauf wurde ich hineingerufen, und Herr F. sagte mir in herzlichem Ton: »Nicht wahr, Herr Casanova, Sie würden gerne als Adjutant bei mir sein?«

»Seine Exzellenz gibt mir also meinen Abschied?«

»Durchaus nicht,« sagte Herr D. R., »aber ich lasse Ihnen freie Wahl.«

»Gnädiger Herr, es ist mir unmöglich, undankbar zu sein.«

Verwirrt, mit gesenkten Augen stand ich da; ich suchte nicht meine Betroffenheit zu verbergen, die nur eine Wirkung meiner Lage sein konnte. Ich fürchtete die Blicke der Frau F., denen ich um alles Gold der Welt nicht hätte begegnen mögen, umso mehr da ich wußte, daß sie alles erraten konnte, was in mir vorging. Einen Augenblick darauf machte ihr Mann in kaltem Tone die dumme Bemerkung, ich würde allerdings bei ihm einen viel anstrengenderen Dienst haben als bei Herrn D. R.; außerdem wäre es eine größere Ehre, dem Gouverneur der Galeeren zu dienen, als einem einfachen Sopracomito. Ich wollte antworten, da ergriff die gnädige Frau das Wort und sagte mit liebenswürdiger Stimme und mit ganz unbefangener Miene: »Herr Casanova hat recht.« Hierauf wurde von anderen Dingen gesprochen, und ich ging hinaus, um über das Vorgefallene nachzudenken.

Schließlich gelangte ich zu dem Ergebnis, Herr F. könnte mich nur auf Antrieb seiner Frau von Herrn D. R. verlangt haben, oder mindestens mit ihrer Zustimmung. Dies schmeichelte zugleich meiner Liebe und meinem Selbstgefühl. Indessen war meine Ehre dabei im Spiel, diesen Stellenwechsel nicht anzunehmen, wenn ich nicht die bestimmte Gewißheit hätte, daß es meinem gegenwärtigen Chef angenehm sein würde. Ich werde annehmen, sagte ich bei mir selber, sobald Herr D. R. mir geradezu sagt, daß ich ihm mit der Annahme ein Vergnügen mache. Hierfür hat Herr F. zu sorgen.

Am selben Abend hatte ich die Ehre bei der Karfreitagsprozession, der der ganze Adel zu Fuß folgt, Frau F. den Arm zu reichen. Ich erwartete, sie würde mir ein Wort über die Angelegenheit sagen, aber sie blieb stumm. Meine Liebe war in Verzweiflung und ich verbrachte die ganze Nacht, ohne ein Auge schließen zu können. Ich fürchtete, meine Weigerung hätte sie beleidigt und dieser Gedanke schnitt mir ins Herz. Den ganzen nächsten Tag aß ich keinen Bissen, und am Abend in der Gesellschaft sagte ich kein Wort. Ich fühlte mich krank und legte mich zu Bett mit einem Fieber, das mich a… ersten Ostertag das Bett zu hüten zwang. Am andern Tage war ich noch sehr schwach und wollte in meinem Zimmer bleiben; doch kam ein Bote von Frau F. und sagte mir, sie wolle mich sprechen. Ich verbot dem Mann zu sagen, daß er mich im Bett gefunden, stand auf und begab mich zu ihr. Bleich, verstört betrat ich ihr Zimmer; trotzdem fragte sie mich nicht nach meiner Gesundheit. Sie schwieg einen Augenblick, wie wenn sie sich darauf besinnen müßte, warum sie mich hatte rufen lassen, und sagte dann: »Ach so – wie Sie wissen, ist unser Adjutant gestorben und wir müssen ihn ersetzen. Mein Mann, der Sie gern hat, ist überzeugt, Herr D. R. überlasse Ihnen freie Wahl, und hat sich in den Kopf gesetzt, Sie werden annehmen, wenn ich selber Sie bitte, uns dieses Vergnügen zu machen. Täuscht er sich? Wenn Sie kommen wollen. erhalten Sie dies Zimmer nebenan.«

Sie zeigte mir eine Stube unmittelbar neben ihrem Schlafzimmer und so gelegen, daß ich mich nicht einmal an das Fenster zu stellen brauchte, um sie in allen Winkeln sehen zu können. »Herr D.R.«, sagte sie, »wird Ihnen nicht weniger gewogen bleiben, und da jeden Tag bei mir sehen wird, so wird er Ihre Interessen nicht vergessen. Nun sagen Sie mir, wollen Sie kommen oder nicht?«

»Ich möchte es gern, gnädige Frau, aber ich kann nicht.«

»Sie können nicht? Das ist sonderbar. Setzen Sie sich und sagen Sie mir, was Sie verhindert, wenn Sie sicher sind mit der Annahme, sowohl Herrn D.R. wie uns einen Gefallen zu tun?«

»Wenn ich dessen sicher wäre, würde ich augenblicklich annehmen, ich habe aber aus seinem eigenen Munde nichts weiter gehört, als daß er mir freie Wahl läßt.«

»Sie fürchten also ihn zu betrüben, wenn Sie zu uns kommen?«

»Das könnte wohl sein, und um alles in der Welt möchte ich nicht ….«

»Ich bin des Gegenteils gewiß.«

»Haben Sie die Güte zu bewirken, daß er es mir sagt.«

»Und alsdann werden Sie kommen?«

»O mein Gott! Augenblicklich!«

Bei diesem Ausruf, der vielleicht zu vielsagend war, wandte ich die Augen zur Seite, um sie nicht in Verlegenheit zu setzen. Unterdessen verlangte sie ihr Mäntelchen, um in die Messe zu gehen, und wir verließen das Haus. Als wir die Treppe hinuntergingen, stützte sie ihre bloße Hand auf die meinige. Es war das erstemal, daß ich diese Gunst erlangte; man kann sich denken, daß ich sie als ein gutes Vorzeichen ansah. Als sie meine Hand losließ, fragte sie mich, ob ich Fieber hätte, denn meine Hand wäre ganz glühend heiß.

Als wir die Kirche verließen, bot ich ihr meine Hand, um ihr behilflich zu sein, in den Wagen des Herrn D.R. zu steigen, dem wir zufällig begegneten. Sobald ich mich von ihr verabschiedet hatte, beeilte ich mich nach Hause zu gehen, um frei aufatmen zu können und mich der ganzen Freude meiner Seele hinzugeben; denn ich zweifelte nicht mehr daran, daß ich geliebt würde, und ich glaubte, Herr D.R. könnte unter den obwaltenden Umständen Frau F. die erbetene Gefälligkeit nicht abschlagen.

Was ist die Liebe! Ich habe viel antiken Wortschwall über diesen Gegenstand gelesen; ich habe auch das meiste von dem gelesen, was die Modernen darüber sagen; aber was man auch darüber gesagt haben mag, was ich selber darüber gesagt habe, als ich jung war, und jetzt, wo ich es nicht mehr bin: nichts wird mich zu dem Geständnis bringen, daß die Liebe eine Kleinigkeit oder ein eitles Ding sei. Sie ist eine Art Wahnsinn, ja – ein Wahnsinn, auf den die Philosophie gar keinen Einfluß hat; sie ist eine Krankheit, der der Mensch in jedem Lebensalter unterworfen ist, und die unheilbar ist, wenn sie ihn im Alter befällt. Liebe! Unerklärbares Wesen, unerklärbares Gefühl! Gott der Natur! Süße Bitternis! Grausame Bitternis! Liebe! Reizendes Ungeheuer, das man nicht beschreiben kann! Inmitten von tausend Leiden, die du über das Leben ausbreitest, säest du so viele Wonnen aus, daß ohne dich Sein und Nichtsein ein und dasselbe wären.

Zwei Tage darauf sagte mir Herr D.R., ich möchte, um die Befehle des Herrn F. entgegenzunehmen, mich auf dessen Galeere begeben, die in fünf oder sechs Tagen unter Segel gehen sollte. Schnell packte ich meine Sachen und ging zu meinem neuen Vorgesetzten, der mich sehr gut aufnahm; wir segelten ab, ohne die Signora zu sehen, da diese noch schlief. Fünf Tage darauf liefen wir wieder in den Hafen ein, und ich richtete mich sofort in meiner lieben neuen Behausung ein; denn in dem Augenblick, wo ich mich anschickte, mich zu Herrn D.R. zu begeben, um ihn nach seinen Befehlen zu befragen, erschien dieser selbst. Er fragte Herrn F., ob er mit mir zufrieden gewesen sei, und richtete dieselbe Frage an mich mit Bezug auf Herrn F. Dann sagte er zu mir: »Casanova, da Sie gegenseitig miteinander zufrieden sind, so können Sie überzeugt sein, daß Sie mir ein wirkliches Vergnügen bereiten, indem Sie bei Herrn F. im Dienst bleibend.«

Ich fügte mich ehrerbietig und war in einer Stunde in meinem neuen Wirkungskreise eingerichtet. Frau F. sagte mir, sie sei entzückt, daß diese große Angelegenheit endlich im Sinne ihrer Wünsche erledigt sei. Ich antwortete ihr durch eine tiefe Verbeugung. So war ich also endlich wie der Salamander im Feuer, in das ich mich selber hineingewünscht hatte. Ich war fast immer unter den Augen der gnädigen Frau, speiste oft allein mit ihr; begleitete sie oft allein beim Spaziergang; wenn Herr D.R. nicht bei uns zu Tisch war, saß sie in meinem Zimmer, selbst wenn ich schrieb, mich mit ihr in dem ihrigen; stets war ich dienstfertig und aufmerksam, ohne scheinbar jemals die geringsten Ansprüche zu erheben. So verbrachte ich die ersten vierzehn Tage, ohne daß diese Annäherung in unserem wechselseitigen Benehmen irgendeine Veränderung hervorgebracht hätte. Indessen hoffte ich. Und um meinen Mut zu beleben, redete ich mir ein, die Liebe sei noch nicht stark genug, um ihren Stolz zu besiegen. Ich erwartete alles vom Zufall, und ich war fest entschlossen, sobald ein günstiger sich darbiete, ihn zu benutzen, denn ich war überzeugt, daß ein Liebender verloren ist, wenn er nicht das Glück an der Stirnlocke zu packen weiß.

Unangenehm war mir, daß sie in der Öffentlichkeit sich befleißigte, mich mit Gunstbeweisen zu überhäufen, während sie unter vier Augen damit zu geizen schien. Vor der Welt sah es ganz so aus, als sei ich glücklich; mir aber wäre es lieber gewesen, etwas weniger glücklich zu scheinen und es etwas mehr zu sein. Meine Liebe zu ihr war rein; Eitelkeit mischte sich nicht hinein.

Als ich eines Tages mit ihr allein war, sagte sie mir. »Sie haben Feinde; aber gestern abend habe ich diese zum Schweigen gebracht.«

»Das sind Neider, gnädige Frau, denen ich Mitleid erregen würde, wenn sie das Geheimnis meines Herzens kennten, und von denen Sie mich leicht befreien könnten.«

»Bitte, inwiefern würden Sie ihr Mitleid erregen, und wie könnte ich Sie wohl von ihnen befreien?«

»Sie halten mich für glücklich, und ich schmachte; befreien würden Sie mich von ihnen, wenn Sie mich schlecht behandelten.«

»Sie wären also weniger empfindlich gegen meine schlechte Behandlung als gegen den Neid der Böswilligen?«

»Gewiß, gnädige Frau, vorausgesetzt, daß die öffentliche schlechte Behandlung durch Güte unter vier Augen ausgeglichen würde; denn in meinem Glück, Ihnen anzugehören, fühle ich mich durch kein Gefühl der Eitelkeit belebt. Möge man mich beklagen – ich werde glücklich sein, vorausgesetzt, daß man sich irrt.«

»Eine solche Rolle werde ich niemals zu spielen wissen.«

Ich beging oft die Indiskretion, mich hinter dem Fenstervorhang meines Zimmers zu verbergen, um sie in aller Muße zu betrachten, wenn sie sich sicher glauben mußte, von niemandem gesehen zu werden. Aber was ich auf diese Weise erhaschte, war recht unbedeutend. Entweder ahnte sie, daß ich sie sehe, oder es war ihre Gewohnheit alle ihre Bewegungen waren so gemessen, daß selbst, ich sie in ihrem Bett sah, mein Glück sich auf ihren reizenden Kopf beschränkte.

Als eines Tages ihre Zofe von ihren schönen langen Haaren die Spitzen abschnitt, machte ich mir den Spaß, alle diese hübschen kleinen Schnitzel aufzuheben; ich legte sie nach und nach sämtlich auf ihren Putztisch, mit Ausnahme eines Löckchens, das ich in die Tasche steckte, da ich glaubte, sie habe nicht darauf acht gegeben; kaum aber waren wir allein, so sagte sie mir freundlich, aber ein bißchen zu ernst, ich möchte die Haare herausgeben, die ich aufgehoben hätte. Dies fand ich zu stark; denn eine derartige Strenge schien mir ebenso grausam wie ungerecht und unangebracht zu sein. Ich gehorchte, aber ich warf die Haare mit der verächtlichsten Miene auf ihren Putztisch.

»Mein Herr, Sie vergessen sich!«

»O nein, gnädige Frau; Sie hätten sich ja stellen können, als hätten Sie diesen unschuldigen Raub nicht bemerkt.«

»..Solche Verstellung ist unbequem.«

»Welche schwarze Tat konnten Sie meiner Seele zutrauen wegen eines so kindischen Diebstahles?«

»Keine schwarze Tat, aber unerlaubte Gefühle, die Sie nicht gegen mich hegen dürfen.«

»Gefühle, die Sie vielleicht nicht erwidern, gnädige Frau, die mir aber nur von Haß oder Stolz verboten werden können. Wenn Sie ein Herz hätten, würden Sie solchen Gefühlen nicht zum Opfer fallen; aber Sie haben nur Geist, und es muß ein boshafter Geist sein, weil er sich so viele Mühe gibt, mich zu demütigen. Sie haben mir mein Geheimnis entlockt, gnädige Frau; machen Sie davon Beliebigen Gebrauch. Dafür aber habe ich Sie richtig kennengelernt. Diese Kenntnis wird mir nützlicher sein als Ihnen Ihre Entdeckung; denn ich werde vielleicht vernünftig werden.«

Nach diesem Gefühlsausbruch ging ich hinaus; und da ich mich nicht zurückrufen hörte, schloß ich mich in mein Zimmer ein. In der Hoffnung, mich durch Schlaf zu beruhigen, zog ich mich aus und legte mich zu Bett. In solchen Augenblicken findet ein Verliebter den geliebten Gegenstand abscheulich; seine in Zorn verwandelte Liebe erzeugt nur noch Haß und Verachtung. Es war mir unmöglich einzuschlafen, und als man mich zum Abendessen rufen wollte, ließ ich sagen, ich wäre krank. Die Nacht verging, ohne daß ich ein Auge schließen konnte; ich fühlte mich wie gerädert, aber ich wollte sehen, wie sich die Sache entwickeln würde, und weigerte mich zum Essen zu kommen, indem ich wiederum sagte, ich wäre krank. Am Abend fühlte ich mein Herz vor Freude höher schlagen, als ich meine schöne Dame in mein Zimmer eintreten hörte. Unruhe, Fasten und Schlaflosigkeit ließen mich wirklich krank aussehen, und dies freute mich. Ich entledigte mich bald ihres Besuches, indem ich ihr in gleich- gültigem Tone sagte, es wäre nur ein heftiges Kopfweh, woran ich öfters litte; Fasten und Ruhe würden mich bald wieder herstellen.

Gegen elf Uhr kam abermals Frau F., diesmal mit ihrem Freunde Herrn D. R. Sie trat an mein Bett heran und fragte zärtlich:

»Was haben Sie denn, mein armer Casanova ?«

»Ein schweres Kopfweh, gnädige Frau, das morgen vorüber sein wird.«

»Warum wollen Sie bis morgen warten? Sie müssen sofort gesund werden. Ich habe für Sie eine Fleischbrühe und zwei frische Eier bestellt.«

»Nichts, gnädige Frau! Nur Hunger kann mich heilen.«

»Er hat recht,« sagte Herr D. R.; »ich kenne diese Krankheit.«

Ich schüttelte leise den Kopf.

Während Herr D. R. sich damit beschäftigte, einen Kupferstich zu betrachten, ergriff sie meine Hand und sagte mir, es würde sie außerordentlich freuen, wenn sie mich eine Tasse Brühe trinken sähe; als sie die Hand zurückzog, fühlte ich, wie sie ein Päckchen in der meinigen ließ; hierauf trat sie zu Herrn D. R. heran, um ebenfalls das Bild zu besehen.

Ich öffne das Päckchen, fühle Haare und beeile mich, sie unter der Decke zu verstecken; zugleich aber fühle ich auf eine Weise, die mich erschreckt, mir das Blut in den Kopf steigen. Ich verlange Wasser; sie kommt mit Herrn D. R. an mein Bett, und beide sind erschrocken, mich plötzlich ganz rot und erhitzt zu sehen, während ich eben noch blaß und teilnahmslos gewesen war. Sie gibt mir ein Glas Wasser mit Karmeliterwasser vermischt; dies ruft binnen einer Minute ein heftigs Erbrechen hervor. Einen Augenblick darauf fühle ich mich besser und verlange etwas zu essen. Sie lächelt. Ihre Kammerfrau kommt mit der Brühe und den Eiern, und während ich diese Stärkung zu rnir nehme, erzähle ich ihnen die Geschichte von Pandolfin. Herr D. R. glaubte ein Wunder zu sehen, und ich las auf den Zügen der anbetungswürdigen Frau Liebe, Mitleid und Reue. Wäre nicht Herr D. R. dabei gewesen, so würde jetzt die Stunde meines Glückes geschlagen haben; aber ich hatte die Gewißheit, daß sie nur hinausgeschoben war. Herr D. R. sagte zu Frau F., wenn er nicht mein Erbrechen gesehen hätte, würde er meine Krankheit für Verstellung gehalten haben; denn ein so rascher Übergang von Traurigkeit zur Fröhlichkeit wäre seiner Meinung nach nicht möglich.

»Das hat mein Wasser bewirkt,« sagte die Signora mit einem Blick auf mich; »ich werde Ihnen mein Fläschchen dalassen.«

»Nein, gnädige Frau, nehmen Sie es gütigst mit, denn ohne Ihre Gegenwart würde das Wasser wirkungslos sein.«

»Das glaube ich auch,« sagte der Herr; »darum lasse ich Sie hier bei dem Kranken.«

»Nein, nein! Wir müssen ihn schlafen lassen.«

Wirklich schlief ich die ganze Nacht; und ich schlief im Traum mit ihr; die Wirklichkeit hätte meine Genüsse nicht erhöhen können. Ich fand, daß ich große Fortschritte gemacht hätte; denn ein vierunddreißigstündiges Fasten gab mir das Recht, offen ihr von Liebe zu sprechen, und das Geschenk ihrer Haare war ein unverkennbares Liebesgeständnis.

Am nächsten Morgen sagte ich Herrn F. guten Tag und plauderte dann einen Augenblick mit ihrer Kammerzofe, während ich darauf wartete, daß es bei der gnädigen Frau Tag würde. Ich hatte das Vergnügen, sie lachen zu hören, als sie erfuhr, daß ich da wäre. Sie ließ mich eintreten. Ich hatte keine Zeit, auch nur ein einziges Wort zu sagen; denn sie rief mir sofort entgegen, sie sei ganz entzückt, mich wohlauf zu sehen, und ich müsse Herrn D. R. guten Morgen wünschen.

Nicht nur in den Augen eines Liebenden, sondern in den Augen jedes Mannes, der sie in diesem Zustande sieht, ist eine schöne Frau in dem Augenblick, wo sie sich den Armen des Schlummers entwindet, tausendmal entzückender als in jenem Augenblick, wo sie ihre Toilette beendet hat. Frau F. übergab mich in jenem Augenblick mit mehr Strahlen, als die Sonne verbreitet, wenn sie der Morgenröte sich zeigt. Trotzdem hält auch die schönste Frau ebensoviel auf ihre Toilette, wie eine, die derselben nicht eintraten könnte; denn je mehr man hat, desto mehr will man haben.

In dem Befehl, den Frau F. mir gab, sah ich einen neuen Anlaß für mich, nahen Glückes gewiß zu sein; denn indem sie mich fortschickt, sagte ich mir, hat sie sich gegen Ansprüche sichern wollen, die ich hätte erheben können und die sie hätte befriedigen müssen.

Im Besitze ihrer Haare fragte ich meine Liebe um Rat, was ich damit machen sollte; denn um den sentimentalen Geiz wieder gutzumachen, den sie an den Tag gelegt hatte, indem sie mich die kleinen Abschnitzel wieder herauszugeben nötigte, hatte sie mir diesmal eine ganze Locke gegeben, die groß genug war, eine Flechte daraus zu machen. Ihre Haare waren anderthalb Ellen lang. Nachdem ich meinen Entschluß gefaßt hatte, ging ich zu einem jüdischen Zuckerbäcker, dessen Tochter eine gute Stickerin war, und ließ in meiner Gegenwart auf ein Armband von grünem Atlas die vier Anfangsbuchstaben unserer Namen sticken; hierauf machte sie mir aus dem Rest eine sehr dünne Schnur. An dem einen Ende derselben ließ ich aus schwarzem Bande eine Schnur anbringen, mit der ich mich hätte erdrosseln können, wenn jemals die Liebe mich zur Verzweiflung gebracht hätte. Ich machte mir ein Halsband daraus. Da ich von einem so köstlichen Schatz nichts verlieren wollte, zerschnitt ich den ganzen Rest der Haare mit einer Schere, so daß ein ganz feines Pulver daraus wurde, und befahl dem Zuckerbäcker, dieses vor meinen Augen in einen Teig von Ambra, Zucker, Vanille, Engelwurz, Alkermes und Storar zu mischen; ich ging nicht eher, als bis die Plätzchen, die er aus dieser Mischung formte, fertig waren. Ich ließ mir ganz gleiche aus denselben Bestandteilen, mit Ausnahme der Haare, anfertigen, und tat die ersteren in eine schöne Bonbondose von Bergkristall, die anderen in eine Schildpattdose.

Seitdem sie mir durch das Geschenk ihrer Haare das Geheimnis ihres Herzens verraten hatte, verlor ich nicht mehr meine Zeit damit, ihr Geschichten zu erzählen; ich sprach zu ihr nur noch von meiner Leidenschaft und von meinem Wünschen: ich sagte ihr, sie müsse mich entweder aus ihrer Gegenwart verbannen oder mich glücklich machen; aber die Grausame wollte dies nicht zugeben. Sie antwortete mir wir könnten nur glücklich sein, indem wir uns jeder Pflichtverletzung enthielten. Wenn ich mich ihr zu Füßen warf, um im voraus Vergebung zu erhalten für die Gewalt, die ich ihr antun wollte, wehrte sie mich mit einer Kraft ab, die viel stärker war als die eines weiblichen Herkules; denn sie sagte mir mit einer Stimme voll von Liebe und Gefühl: »Mein Freund, ich bitte Sie nicht, meine Schwachheit zu achten, aber ach! schonen Sie doch meiner um der Liebe willen, die ich für Sie hege!«

»Wie? Sie lieben mich, und Sie wollen sich niemals entschließen, mich glücklich zu machen! Das ist unglaublich, das ist unnatürlich! Sie zwingen mich zu glauben, daß Sie mich nicht lieben. Lassen Sie mich einen Augenblick meine Lippen auf die Ihrigen pressen; mehr werde ich von Ihnen nicht verlangen.«

»Nein, mein Freund, nein! Dies wurde nur unsere Wünsche entflammen, meine Entschlüsse erschüttern, und wir würden noch unglücklicher sein.«

Auf solche Art brachte sie mich jeden Tag zur Verzweiflung, und dann beklagte sie sich hinterdrein, man vermisse an mir in Gesellschaft den Geist und Frohsinn, die ihr so sehr gefallen hätten, als ich von Konstantinopel zurückgekommen wäre. Und Herr D. R., der gerne seinen Scherz an mir ausließ, sagte mir, ich würde zusehends magerer. Eines Tages sagte Frau F. mir, dies wäre ihr unangenehm, denn boshafte Beobachter könnten daraus vielleicht den Schluß ziehen, daß sie mich schlecht behandelte. Wahrlich eine eigentümliche Denkweise, die gegen alle Natur zu sein scheint. Ich machte ein idyllisches Gedicht darüber, das ich noch heutigestags nicht lesen kann, ohne daß mir die Wimper feucht wird.

»Wie?« rief ich, »Sie erkennen also an, daß Sie grausam gegen mich sind? Sie fürchten, die Welt könne Ihre Strenge erraten, und doch machen Sie sich den Spaß, bei solcher Strenge zu verharren! Sie lassen mich alle Qualen eines Tantalus erdulden! Sie wären entzückt mich lustig und freudestrahlend zu sehen, selbst wenn man daraus den Schluß zöge, ich sei es wegen der Huld, die Sie mir erwiesen, und dabei verweigern Sie mir die unbedeutendste Gunstbezeigung!«

»Möge man es glauben, wenn es nur nicht wahr ist.«

»Welcher Widerspruch! Wäre es möglich, daß ich Sie nicht liebte, daß Sie nichts für mich empfänden? Solche Widersprüche erscheinen mir widernatürlich. Aber auch Sie magern ab, und ich, ich sterbe. Unser Schicksal ist unwiderruflich besiegelt: binnen kurzem werden wir sterben, Sie an Auszehrung, ich an Erschöpfung; denn mit mir ist es so weit, daß ich Tag und Nacht, immer und überall Ihres Scheinbildes genieße, auch wenn ich in Ihrer Gegenwart bin.«

Als ich diese Erklärung in leidenschaftlichem Ton hervorgestoßen hatte, sah ich sie erstaunt und gerührt, und ich glaubte, der Augenblick des Glückes sei da. Ich umschlang sie mit meinen Armen und verschaffte mir schon die Vorläufer des Genusses- da klopfte die Schildwache zweimal. Grausame Störung! Ich springe auf, stelle mich vor sie hin und bringe mich in Ordnung …. Herr D. R. erschien und fand mich diesmal bei so munterer Laune, daß er bis ein Uhr nachts bei uns blieb.

Meine Zuckerplätzchen begannen Aufsehen zu machen. Herr D. R., Frau F. und ich waren die einzigen, die sie stets in ihren Bonbonnieren führten.

Ich war geizig damit, und niemand wagte mich um welche zu bitten, da ich gesagt hatte, sie seien teuer, und auf Korfu gäbe es keinen Zuckerbäcker, der imstande sei sie nachzumachen, und keinen Chemiker, der ihre Zusammensetzung festzustellen vermöchte. Vor allen Dingen verschenkte ich niemals etwas von dem Inhalt meiner Kristalldose, und Frau F. hatte dies sehr wohl bemerkt. Ganz gewiß hielt ich meine Zuckererbsen nicht für einen Liebeszauber, und der Gedanke lag mir fern, daß sie durch die Haare köstlicher geworden sein könnten; aber aus einem verliebten Aberglauben legte ich Wert auf sie, und ein Genuß war mir der Gedanke, daß ich einige winzige Körperteilchen des angebeteten Wesens meinem eigenen Körper einverleibte.

Frau F. schwärmte für meine Zuckererbsen, ohne Zweifel infolge einer gewissen Sympathie. Sie behauptete überall, meine Plätzchen seien ein Universalheilmittel. Da sie sich unumschränkte Gebieterin des Erfinders wußte, so verlangte sie das Geheimnis der Zusammensetzung nicht zu erfahren. Da sie jedoch bemerkt hatte, daß ich anderen Leuten nur Zuckererbsen aus meiner Schildpattdose anbot und selber nur solche aus meiner Kristalldose aß, fragte sie mich eines Tages nach dem Grunde. Unbedachterweise antwortete ich ihr, in denen, die ich äße, sei etwas, das mich zwänge, sie zu lieben.

»Davon glaube ich kein Wort; aber sie sind also anders als die, die ich selber esse?«

»Sie sind ganz gleich; nur befindet sich ausschließlich in den meinigen der Bestandteil, der mich zwingt, Sie liebzuhaben.«

»Sagen Sie mir, was für ein Bestandteil das ist!«

»Das ist ein Geheimnis, das ich Ihnen nicht enthüllen kann.«

»Und ich werde nicht mehr Ihre Zuckererbsen essen.«

Mit diesen Worten stand sie auf, schüttete ihre Bonbondose aus und füllte sie mit Schokoladenplätzchen; von der Stunde an schmollte sie mir, auch noch die folgenden Tage, und vermied jede Gelegenheit, sich mit mir allein zu befinden. Dies machte mir Kummer; ich wurde traurig, aber ich konnte mich nicht entschließen, ihr zu sagen, daß ich ihre Haare äße.

Vier oder fünf Tage darauf fragte sie mich, warum ich so traurig sei.

»Weil Sie nicht mehr von meinen Zuckererbsen essen.«

»Es steht bei Ihnen, Ihr Geheimnis zu bewahren, und es steht bei mir, zu essen, was ich will.«

»Das habe ich nun davon, daß ich Ihnen ein Geständnis gemacht habe!«

Mit diesen Worten öffne ich meine Kristalldose und schütte ihren ganzen Inhalt in meinen Mund. »Noch zweimal,« rufe ich, »und ich werde an meiner Liebesraserei sterben. Dann haben Sie Ihre Rache für meine Zurückhaltung. Leben Sie wohl, gnädige Frau.«

Sie ruft mich zurück, bittet mich, neben ihr Platz zu nehmen, und sagt mir, ich solle keine Dummheiten machen, die ihr Kummer bereiten würden; denn sie wisse, daß sie mich liebe, und ich müsse auch wissen, daß sie nicht daran glaube, es geschähe kraft irgendeines Mittels. »Damit Sie Gewißheit haben, daß Sie solcher Mittel nicht bedürfen, um geliebt zu werden, so empfangen Sie hiermit ein Pfand meiner Zärtlichkeit!«

Sie bietet mir ihren schönen Mund, und ich presse meine Lippen darauf, bis ich endlich mich wieder losreißen muß, um Atem zu holen. Dann werfe ich mich ihr zu Füßen, die Augen feucht von Tränen der Zärtlichkeit und Dankbarkeit, und rufe, wenn sie mir verspreche, mir zu verzeihen, wolle ich ihr mein Verbrechen eingestehen.

»Ein Verbrechen! Sie erschrecken mich. Ich verzeihe Ihnen. Schnell, sagen Sie mir alles!«

»Alles! Meine Zuckererbsen enthalten Ihre zu Pulver zerriebenen Haare. Sehen Sie an meinem Arm dieses Armband, worauf mit Ihren Haaren die Anfangsbuchstaben unserer Namen gestickt sind; und sehen Sie hier an meinem Halse diese Haarschnur, mit der ich meinem Leben ein Ende machen will, wenn Sie mich nicht mehr lieben. Dies sind meine Verbrechen; aber ich hätte nicht ein einziges von ihnen begangen, wenn ich Sie nicht anbetete!«

Sie lachte, hob mich auf und sagte mir, ich sei in der Tat der allergrößte Verbrecher. Sie trocknete meine Tränen, indem sie mir die Versicherung gab, ich würde mich niemals erdrosseln.

Nachdem ich bei dieser Unterhaltung den Nektar des ersten Kusses von der Göttin gekostet hatte, besaß ich die Selbstbeherrschung, ihr gegenüber ein ganz anderes Verhalten zu beobachten. Sie sah, wie ich glühte, vielleicht glühte auch sie; und trotzdem besaß ich die Kraft, mich jedes Angriffes zu enthalten.

»Wie kommt es,« fragte sie mich eines Tages, »daß Sie die Kraft gefunden haben, sich zu beherrschen?«

»Nach dem zärtlichen Kuß, den Sie mir ganz aus freiem Willen gewährt haben, fühlte ich, daß ich nichts beanspruchen dürfte, was nicht Ihr Herz ebenso aus freien Stücken mir zu bewilligen Sie antriebe. Sie können sich nicht vorstellen, wie süß mir dieser Kuß gewesen ist!«

»Wie könnte dies mir unbekannt sein, Sie Undankbarer! Wer von uns beiden hat diese Süße hervorgerufen?«

»Nicht Sie, nicht ich, angebetetes Weib! Die Liebe hat ihn gezeugt, diesen so zärtlichen, so süßen Kuß«

»Ia, mein Freund, die Liebe, deren Schätze unerschöpflich sind!«

Sie hatte kaum ausgesprochen, da hatten sich schon unsere Lippen gefunden. Sie hielt mich so fest gegen ihren Busen gepreßt, daß es mir nicht möglich war, mit meinen Händen mir noch andere Genüsse zu verschaffen; aber ich fühlte mich glücklich. Am Ende dieses entzückenden Kampfes fragte ich sie, ob sie glaubte, daß wir immer dabei stehenbleiben würden.

»Immer, mein Freund! Niemals wollen wir weiter gehen. Die Liebe ist ein Kind, das man mit Tändeleien hochwichtigen muß; eine zu kräftige Nahrung muß ihr den Tod bringen.«

»Ich kenne die Liebe besser als Sie. Sie verlangt eine gehaltvolle Nahrung, und wenn diese hartnäckig ihr verweigert wird, verdorrt sie. Versagen Sie mir nicht den süßen Trost der Hoffnung!«

»Hoffen Sie, wenn Sie dabei Ihre Rechnung finden!«

»Was sollte ich sonst anfangen? Ich hoffe, denn ich weiß, Sie haben ein Herz.«

»Hören Sie–erinnern Sie sich, wie Sie nur eines Tages im Zorn sagten, ich hätte nur Verstand? Sie glaubten mir damit eine starke Beleidigung zu sagen.«

»O gewiß!«

»Wie herzlich lachte ich hierüber bei näherem Nachdenken! Ja, lieber Freund, ich habe ein Herz, und hätte ich es nicht, so würde ich jetzt nicht glücklich sein. Bewahren wir uns also unser gegenwärtiges Glück, und seien wir zufrieden, ohne mehr zu wünschen!«

Ich unterwarf mich ihren Gesetzen, aber meine Verliebtheit wuchs von Tag zu Tage, und ich hoffte, daß auf die Länge der Zeit die Natur, die stets stärker ist als alle Vorurteile, eine glückliche Wendung herbeiführen würde. Aber mir half, um zu diesem Ziel zu gelangen, nicht nur die Natur, sondern auch das Glück. Ich verdankte dies einem Unglück.

Als sie eines Tages am Arme des Herrn D. R. in einem Garten spazierte, blieb sie an einem wilden Rosenstrauch hängen und zog sich einen tiefen Riß über dem Knöchel zu. Herr D. R. verband ihr sofort die Wunde mit seinem Taschentuch, um das reichlich strömende Blut zu stillen, und man mußte sie in einer Sänfte nach Hause tragen lassen. Auf Korfu sind Beinwunden gefährlich, wenn sie nicht gut gepflegt werden; oft muß man die Insel verlassen, um die Wunden zum Vernarben zu bringen.

Da sie im Bett bleiben mußte, so war es mein glückliches Amt, mich stets zu ihren Befehlen zu halten. Ich sah sie jeden Augenblick; aber an den ersten drei Tagen folgte ohne Unterbrechung ein Besuch dem anderen, und ich war niemals allein mit ihr. Am Abend, wenn alle Besucher fort waren und ihr Mann sich zurückgezogen hatte, blieb Herr D. R. noch eine Stunde, und wenn auch dieser sie verließ, erforderte der Anstand, daß ich ging. Vor dem Unfall hatte ich viel ungezwungener mit ihr verkehrt, und ich sagte ihr dies in halb lustigem, halb traurigem Ton. Am nächsten Morgen verschaffte sie mir zur Entschädigung einen glücklichen Augenblick.

Ein alter Äskulap kam jeden Morgen bei Tagesanbruch, um sie zu verbinden, und dabei war nur ihre Kammerzofe anwesend; ich ging stets im Schlafrock zu der Mädchenkammer, um als erster zu erfahren, wie meine Gottheit sich befände.

An jenem Morgen kam die Zofe zu mir, als gerade der Wundarzt Frau F. verband, und sagte mir, ich möchte eintreten.

»Sehen Sie doch, bitte, mal nach, ob mein Bein nicht mehr so rot ist.«

»Um dies sagen zu können, gnädige Frau, müßte ich es gestern gesehen halben.«

»Da haben Sie recht. Ich habe Schmerzen und fürchte, die Rose wird dazutreten.«

»Seien Sie unbesorgt, Signora,»sagte der Doktor, »bleiben Sie im Bett, und ich bin sicher, Sie gesund zu machen.«

Der Wundarzt war am Fenster beschäftigt, einen Umschlag zurechtzumachen, und da die Zofe hinausgegangen war, fragte ich, ob sie eine Härte in der Wade verspürte und ob vielleicht die Rötung streifenweise höherstiege; es war natürlich, daß ich diese Frage mit einer Untersuchung durch Hände und Augen begleitete. Ich sah keine Rötung und fühlte keine Härte, aber …. und die zärtliche Kranke beeilte sich lachend, den Vorhang fallen zu lassen, indem sie mir gestattete, mir einen zärtlichen Kuß zu nehmen, dessen Süßigkeit ich seit vier Tagen nicht mehr genossen hatte. Liebeswahnsinn, zaubervolle Raserei! Von ihren Lippen wandte sich mein Mund zu ihrer Wunde; ich war in diesem Augenblick überzeugt, meine Küsse müßten das beste Heilmittel sein, und ich hätte nicht früher abgelassen, wenn mich nicht ein Geräusch, das die Zofe beim Eintreten machte, zum Aufhören gezwungen hätte.

Als ich mit ihr allein war, beschwor ich sie, vor Begierde glühend, sie möchte doch wenigstens meine Augen glücklich machen.

»Ich fühle mich erniedrigt, wenn ich denke, daß das Glück, dessen ich soeben genoß, nur ein Diebstahl ist!«

»Aber wie du dich täuschest!«

Am nächsten Moren war ich wieder beim Verbinden zugegen: Sobald der Arzt fort war, bat sie mich, ihr die Kissen zurechtzulegen. Ich tat es augenblicklich. Wie wenn sie nur diese angenehme Arbeit hätte erleichtern wollen, schlug sie die Decke zurück und stützte sich auf ihre Hände auf. Hierdurch erleichterte sie mir den Anblick einer Menge von Schönheiten, an denen meine Augen sich berauschten. Ich verlängerte meine Arbeit, und sie fand nicht, daß ich zu wäre.

Als ich fertig war, konnte ich nicht mehr; ich warf mich ihr gegenüber in einen Lehnstuhl und versank in eine Art Andacht. Ich betrachtete dies entzückende Wesen, das anscheinend ganz ungekünstelt mir stets eine Wonne nur verschaffte, um mir eine noch größere zu gewähren, und dabei doch niemals ans Ziel kam.

»Woran denken Sie?« fragte sie.

»An das hohe Glück, mit dem Sie mich beseligt haben.«

»Sie sind ein grausamer Mann.« »Nein, ich bin nicht grausam; denn da Sie mich lieben, so bauchen Sie nicht darüber zu erröten, daß Sie barmherzig gewesen sind. Bedenken Sie: ich liebe Sie leidenschaftlich, und ich darf nicht glauben, daß mir nur durch Überraschung dieser entzückende Anblick zuteil geworden ist. Denn wenn ich ihn nur dem Zufall verdankte, so müßte ich vor mir selber eingestehen, daß jeder andere an meiner Stelle dasselbe Glück hätte haben können, und dieser Gedanke wäre Todesqual für mich. Lassen Sie mich Ihnen die wonnige Dankbarkeit schuldig sein, daß Sie mich heute morgen gelehrt haben, wie glücklich schon ein einziger meiner Sinne mich machen kann. Können Sie meinen Augen zürnen?«

»Ja«

»Sie gehören Ihnen, reißen Sie sie mir aus!«

Am nächsten Tage schickte sie, sobald der Doktor fortgegangen war, ihr Mädchen aus, um Einkäufe zu besorgen. Nach Augenblicken sagte sie zu mir: »Ach! sie hat vergessen, mir mein Hemd anzuziehen.«

»O, gestatten Sie, daß ich sie ersetze.«

»Ja. Aber vergiß nicht, daß ich nur deinen Augen erlaube, am Feste teilzunehmen.«

»Damit bin ich einverstanden.«

Sie schnürte ihr Mieder auf und zog dieses sowie ihr Hemd aus; dann sagte sie mir, ich möchte ihr schnell das reine Hemd reichen; da ich aber mit allem, was ich sah, zu sehr beschäftigt war und mich nicht sonderlich beeilte, rief sie: »Gib mir doch mein Hemd her! Es liegt auf dem Tischchen.«

»Wo?«

»Dort unten, am Fußende des Bettes. Ich werde es mir selber nehmen.«

Sie beugte sich zu dem Tischchen hinüber und entblößte dabei fast alles, was ich begehrte. Langsam sich wieder aufrichtend, reichte sie mir das Hemd; aber ich konnte es nicht halten, so sehr zitterte ich vor Glück. Sie hat Mitleid mit mir, meine Hände teilen das Glück meiner Augen; ich sinke in ihre Arme, unsere Lippen verschmelzen sich miteinander, und in einer wollüstigen Umschlingung haben wir beide gleichzeitig einen Liebeserguß, der zwar unzulänglich für unsere Begierden, aber doch süß genug ist, um sie einen Augenblick zu täuschen.

Mit größerer Selbstbeherrschung als ein Weib sie sonst unter derartigen Umständen zu haben pflegt, paßte sie auf, daß ich nur bis zum Vorhof des Tempels gelangte. Der Eintritt in das Heiligtum wurde mir noch nicht bewilligt.

Fünfzehntes Kapitel


Ein schreckliches Unglück drückt mich nieder. – Abkühlung der Liebe. – Meine Abreise von Korfu und Rückkehr nach Venedig. – Ich gebe den militärischen Beruf auf und werde Geigenspieler.

Die Wunde vernarbte allmählich, und ich sah den Augenblick herannahen, wo die Schöne das Bett verlassen und ihre früheren Lebensgewohnheiten wieder aufnehmen würde.

Der Befehlshaber der Galeeren hatte eine allgemeine Besichtigung auf der Höhe von Gouyn angeordnet; Herr F. begab sich also dorthin und hinterließ mir den Befehl, in der Frühe des nächsten Morgens mit der Feluke ihm nachzufahren. Ich speiste abends mit seiner Frau unter vier Augen, und als ich mich beklagte, daß ich sie am nächsten Tage nicht wiedersehen würde, sagte sie zu mir: »Wir wollen heute nacht für diese Enthebung Vergeltung nehmen und sie im Gespräch verbringen. Hier haben Sie die Schlüssel, sobald Sie mein Mädchen haben hinausgehen sehen, gehen Sie durch das Zimmer meines Mannes und kommen zu mir.«

Selbstverständlich befolgte ich ihre Weisung mit buchstäblicher Genauigkeit; so waren wir also miteinander allein und hatten fünf Stunden vor uns. Wir befanden uns im Juni; die Hitze war glühend. Sie lag im Bett. Ich schließe sie in meine Arme, sie drückt mich gegen ihren Busen; aber da sie gegen sich selber die grausamste Tyrannei ausübt, so meint sie, ich dürfe mich nicht beklagen, da ich mich nur denselben Entbehrungen unterwerfe, die auch sie sich auferlege. Vorstellungen, Bitten, Beschwörungen sind vergeblich. Sie sagt: »Wir müssen die Liebe im Zaum halten und darüber lachen, weil wir trotz dem harten Gesetz, das wir uns selber vorschreiben, nichtsdestoweniger doch dorthin gelangen, unsere Wünsche zu befriedigen.«

Als wir aus der Verzückung wieder zu uns kommen, öffnen wir gleichzeitig unsere Augen und Lippen; wir entfernen uns ein wenig voneinander und sehen mit Freuden die wechselseitige Befriedigung, die auf unseren Zügen glänzt.

Unsere Begierden erwachen von neuem; ich sehe sie einen Blick auf meine Mannesnatur werfen, die gänzlich unverhüllt vor ihren Augen liegt. Sie scheint ärgerlich zu werden, wirft alles, was die Hitze unbequemer und den Genuß unvollkommener macht, weit von sich und stürzt sich auf mich. Ich glaube etwas mehr als nur eine Liebesraserei zu sehen: es ist eine Art von Erbitterung. Ich teile ihre Raserei, umschlinge sie, wie wenn ich außer mir wäre, und genieße eines Glückes, das mich fast ohnmächtig macht …. aber im Augenblick, wo ich das Opfer vollziehen will, wirft sie mich aus dem Sattel, entzieht sich mir, flieht und kommt dann zurück, um mit einer geschäftigen Hand, die mir aber eiskalt erscheint, das Werk durch ein halbes Glück zu vollenden.

»Ach. grausame Freundin – du stehst ganz in Flammen, und du beraubst dich des einzigen Heilmittels, das dich beruhigen könnte. Deine reizende Hand ist menschlicher als du; aber du hast nicht die Wonnen gekostet, deren Genuß du mir verschafft hast. Laß meine Hand der deinigen nichts schuldig bleiben! Komm, teurer Gegenstand meiner Wünsche! Die Liebe verdoppelt mein Dasein in der Hoffnung, noch einmal zu sterben; doch dies geschehe nur in jenem köstlichen Zufluchtsort, aus dem du mich im Augenblick des Glückes vertrieben hast.«

Während ich so mit ihr sprach ergoß ihre Seele sich in zärtlichen Ausdrücken; und indem sie mich eng in ihre Arme schloß, fühlte ich, daß sie von Wollust überströmt war.

Unser Schweigen dauerte ein wenig lange; der Genuß war widernatürlich, weil er unvollständig war, und machte mich deshalb traurig, indem er meine Erregung verdoppelte.

»Wie kannst du dich darüber beklagen?« sagte sie mit zärtlichem Eifer; »gerade dieser Unvollständigkeit verdanken wir ja die Dauer des Genusses. Vor einigen Augenblicken liebte ich dich, jetzt liebe ich dich hundertmal mehr; und ich würde dich ohne Zweifel weniger lieben, wenn du den Genuß vollständig gemacht hättest.«

»O, gib doch diesen Irrtum auf, reizende Freundin. Wie sehr täuschest du dich! Du nährst dich mit Sophismen und vernachlässigst die Wirklichkeit, die Natur, die allein uns wahre Wonne geben kann. Begierden, die unaufhörlich sich erneuern und niemals vollständig befriedigt werden, find schlimmer als Höllenqualen.«

»Aber sind nicht gerade diese Begierden das Glück? Sie sind ja doch immer von Hoffnungen begleitet!«

»Nein, sie sind kein Glück, wenn diese Hoffnung stets getäuscht wird. Wo es gar keine Hoffnung gibt, da ist die wahre Hölle– und Hoffnung kann es nicht mehr geben, wenn man sie zu Zwecken der Täuschung mißbraucht.«

»Freund, wenn es in der Hölle keine Hoffnung gibt, so kann es dort auch keine Begierden geben; denn sich Begierden ohne Hoffnung vorstellen, ist heller Wahnsinn.«

»Nun, so antworte mir auf folgendes: Wenn du ganz mir anzugehören begehrst und dich mit dieser Hoffnung trägst, was nach dem von dir Gesagten von Natur zusammengehört–woher kommt es denn, daß du deiner eigenen Hoffnung beständig ein Hindernis entgegensetzest? Laß dich, göttliche Freundin, o laß dich nicht mehr durch schlaue Spitzfindigkeiten betören! Laß uns aus freiem Willen glücklich sein, wie die Natur es verlangt, und sei versichert, die Wirklichkeit des Glückes wird unsere Liebe noch erhöhen und die Liebe wird durch unsere Genüsse stets wieder neu geboren werden.«

»Was ich sehe, überzeugt mich vom Gegenteil: du lebst, und wenn deine Begierden befriedigt worden wären, würdest du ohne Leben, ohne Bewegung sein. Das weiß ich aus Erfahrung. Hättest du im Glück deine Seele verhaucht, wie du es gern getan hättest, so hättest du nur nach langen Zwischenräumen ein schwaches Leben wiedererlangt.«

»Ach, reizende Frau, deine Erfahrung will nicht viel besagen; verlaß dich lieber nicht auf sie. Du hast, das sehe ich, die Liehe nie gekannt. Was du ihr Grab nennst, ist der Tempel, wo sie das Leben empfängt, der Aufenthalt, der sie unsterblich macht. Ergib dich meinen wohlberechtigten Bitten; dann wirst du den Unterschied zwischen Ehe und Liebe kennenlernen. Du wirst sehen, daß freilich Hymen gerne stirbt, um sich des Lebens zu entledigen, daß aber im Gegenteil Amor nur dahinscheidet, um des Lebens zu genießen, und daß er so schnell wie möglich vom Tode wieder aufersteht, um von neuem die Wonnen des Daseins zu kosten. Befreie dich aus deinem Irrtum und glaube mir: Befriedigung vermehrt nur die Zärtlichkeit zweier Herzen, die einander anbeten.«

»Gut also, ich will dir glauben; aber laß uns noch warten. Unterdessen wollen wir alle möglichen Tändeleien treiben und uns mit dem Vorgenuß begnügen, den unsere Fähigkeiten uns zu verschaffen vermögen. Verzehre mit deinen Küssen deine Geliebte und laß mich Herrin deines ganzen Wesens sein. Wenn diese Nacht uns zu kurz scheint, so werden wir uns morgen darüber trösten, indem wir daran denken, wie wir uns eine neue verschaffen können.«

»Und wenn man unser zärtliches Einverständnis entdeckte?«

»Machen wir denn ein Geheimnis daraus? Alle Welt kann sehen, daß wir uns lieben, und fürchten könnten wir gerade nur die, die der Meinung sind, daß wir uns nicht glücklich machen. Wir sollen uns nur hüten, auf frischer Tat überrascht zu werden. Im übrigen werden Himmel und Natur sich vereinigen, um unsere Liebe zu beschützen; denn wenn zwei Herzen sich so zärtlich liehen, wie wir uns lieben, dann ist man nicht schuldig. So lange ich mich kenne, erschien stets die Liehe mir als Gottheit meines Daseins; denn so oft ich einen Mann sah, war ich entzückt; es war mir, als sähe ich die Hälfte meines eigenen Selbst, denn ich fühlte, daß der Mann für mich und ich für den Mann geschaffen wäre. Ungeduldig erwartete ich meine Verheiratung. Meine Ungeduld war aber nur jenes unbestimmte Bedürfnis des Herzens, das ein junges Mädchen einzig und allein beschäftigt, wenn es sich seinem fünfzehnten Lenze nähert. Ich hatte keinen Begriff, was Liebe ist; aber ich dachte mir, diese müsse doch natürlich nach der Heirat ganz von selber kommen. Du kannst dir also meine Überraschung denken, als mein Gatte, indem er mich zur Frau machte, mir nur Schmerz bereitete, vom Genusse aber mir keine Ahnung verschaffte! Meine Phantasie hatte mich im Kloster viel besser bedient, als die jetzt gewonnene Wirklichkeit es tat. So ist es denn ganz natürlich dahin gekommen, daß wir gute Freunde und sehr gleichgültige Ehegatten geworden sind, die keinerlei Neugierde aufeinander verspüren. Übrigens hat er allen Anlaß, mit mir zufrieden zu sein, denn ich bin stets seinen Befehlen willfährig; da aber der Genuß nicht von Liebe gewürzt ist, so findet er ihn jedenfalls geschmacklos, denn er sucht ihn nur selten.

Sobald ich bemerkte, daß du mich liebtest, war ich darüber voller Freude, und ich verschaffte dir alle nur möglichen Gelegenheiten, um täglich noch verliebter zu werden, denn ich hielt es für sicher, daß ich dich niemals lieben würde. Doch als ich fühlte, daß auch ich verliebt war, da mißhandelte ich dich, um dich dafür zu bestrafen, daß du mein Gefühl erweckt hättest. Deine Geduld, deine Beharrlichkeit setzten mich in Erstaunen und wurden Ursache, daß ich mein Unrecht fühlte; nach dem ersten Kusse aber verlor ich die Herrschaft über mich selbst. Ich war ganz verblüfft, daß ein einfacher Kuß solches Unheil anrichten konnte, und ich fühlte, daß ich nur glücklich sein könnte, indem ich dich glücklich machte. Dies schmeichelte mir und entzückte mich, und ich erkannte, besonders in dieser Nacht, daß ich nur in dem Maße glücklich sein kann wie du selber es bist.«

»Dies, mein Engel, ist das zarteste aller Liebesgefühle; aber du wirst mich niemals vollkommen glücklich machen, wenn du nicht in allem den Weisungen der Natur folgst.«

Die Nacht verging mit zärtlichen Klagen und Liebeswonnen, und nicht ohne Schmerz entriß ich mich bei den ersten Strahlen der Morgenröte ihren Armen, um mich nach Gouyn zu begeben. Sie weinte Freudentränen, als sie sah, daß ich sie als siegreicher Held verließ; sie hatte es nicht für möglich gehalten.

Nach dieser so wonnereichen Nacht vergingen etwa zwölf Tage, ohne daß wir auch nur einen Funken von dem uns verzehrenden Feuer hätten löschen können. Und dann stieß mir ein abscheuliches Unglück zu.

Eines Abends nach dem Essen, als Herr D. R. fortgegangen war, sagte Herr F. zu seiner Frau, ohne sich in meiner Gegenwart den geringsten Zwang anzutun: er habe die Absicht, ihr einen Besuch zu machen, sobald er zwei Briefchen geschrieben habe, die er am nächsten Morgen in aller Frühe abschließen müsse. Kaum war er hinaus, so sahen wir uns an und sanken, von einer unwiderstehlichen Bewegung fortgerissen, einander in die Arme: ein Strom von Wonnen ergoß sich schrankenlos in unsere Seelen. Kaum aber war das erste Feuer gelöscht, so ließ sie mir keine Zeit mich zu sammeln und den vollen Zauber meines schönsten Sieges auszukosten. Sie stieß mich zurück und warf sich mit verstörtem Gesicht in einen Lehnstuhl, der neben ihrem Bett stand. Unbeweglich, erstaunt, beinahe verwirrt, sah ich sie zitternd an, um wenn irgend möglich zu erraten, wo diese eigentümliche Bewegung ihren Ursprung hätte. Sie sah mich ebenfalls an und sagte zu mir mit liebeglänzenden Augen: »Mein zärtlicher Freund, bald hätten wir uns ins Verderben gestürzt.«

»Ins Verderben gestürzt! Ach, grausame Freundin, du hast mich getötet!Ich fühle, ach, daß ich sterbe, und vielleicht wirst du mich nicht wiedersehen.«

Ich verließ sie in einem an Raserei grenzenden Zustand und lief nach der Esplanade, um dort frischere Luft zu atmen; denn mir war zumute, als sollte ich ersticken. Wer nicht aus Erfahrung weiß, wie schmerzhaft eine derartige Erregung ist, zumal bei der körperlichen und seelischen Verfassung, in der ich mich damals befand, der kann sich schwerlich einen Begriff von meinem Leiden machen; ich, der ich es durchgemacht habe, vermag es nicht zu schildern.

Während ich so in furchtbarer Verstörtheit herumlief, hörte ich mich von einem Fenster herab anrufen, und ich beging den verhängnisvollen Fehler, aus Gefälligkeit zu antworten. Ich trat näher an das Haus heran und sah im Mondschein die berühmte Melulla auf ihrem Balkon stehen.

»Was machen Sie da um diese Stunde?« fragte ich sie.

»Ich schöpfe ein bißchen frische Luft; kommen Sie doch einen Augenblick herauf!«

Diese Melulla bösen Angedenkens war eine Kurtisane von [?], ein Weib von seltener Schönheit. Seit vier Monaten machte sie alle Wüstlinge von Korfu glücklich oder verrückt. Jeder, der sie gesehen hatte, pries ihre Reize; man sprach nur noch von ihr. Ich hatte sie mehrere Male gesehen; aber so schön sie auch war, so konnte es mir doch nicht einfallen, sie einer Frau F. vergleichbar zu finden, selbst wenn ich in diese nicht verliebt gewesen wäre. Ich erinnere mich, im Iahre 1790 in Dresden ein prachtvolles Weib gesehen zu haben, dessen Züge mich durchaus an die der Melulla erinnerten.

Gedankenlos gehe ich hinauf und sie führt mich in eine üppige Kammer. Sie warf mir vor, ich sei der einzige, der ihr noch keinen Besuch gemacht habe, obgleich sie mich allen anderen vorgezogen haben würde. Ich beging die Niedertracht, sie mit mir machen zu lassen, was sie wollte – und so sank ich zum gemeinsten Verbrecher herab.

Nicht meine Begierde oder meine Phantasie, auch nicht die Schönheit des Weibes waren an meiner Niederlage schuld, denn sie verdiente in keiner Weise mich zu besitzen; schuld war eine gewisse Gleichgültigkeit, eine Schwachheit, der Zustand von Erregung, worin ich mich noch befand; schuld war endlich eine Art Verdruß in einem Augenblick, wo das angebetete Wesen mir durch eine Laune mißfallen hatte, die mich in Wahrheit nur noch verliebter hätte machen müssen, wäre ich nicht ihrer unwürdig gewesen.

Melulla war so befriedigt, daß sie die Goldstücke zurückwies, die ich ihr geben wollte; sie ließ mich erst fort, nachdem ich zwei Stunden mit ihr verbracht hatte.

Kaum war ich wieder zur Besinnung gekommen, so hatte ich nur noch ein Gefühl des Abscheues gegen mich und gegen das unwürdige Weib, das mich verführt hatte, der anbetungswürdigsten Frau so große Schmach anzutun. Von Gewissensbissen gepeinigt kam ich nach Hause. Ich legte mich zu Bett, aber nicht eine einzige Sekunde lang während dieser entsetzlichen Nacht wollte sich der Schlaf auf meine glühenden Augenlider senken.

Von der schlaflosen Nacht und dem Schmerz ganz ermattet, stand ich am andern Morgen auf, zog mich an und begab mich sofort zu Herrn F., der mich hatte rufen lassen, um mir einige Befehle zur Weiterbeförderung zu übergeben. Nachdem ich den Auftrag ausgeführt und ihm Bericht erstattet hatte, trat ich in das Zimmer der Signora ein. Ich fand sie an ihrem Putztisch und sandte meinen Morgengruß ihrem Spiegelbilde zu; plötzlich aber begegneten ihre Augen den meinigen: ihre Züge entstellten sich, und Traurigkeit trat an Stelle des Ausdrucks der Zufriedenheit. Sie senkte die Wimpern, wie wenn sie in tiefe Gedanken versunken wäre; unmittelbar darauf aber schlug sie die Augen auf, wie wenn sie in meiner Seele lesen wollte. Erst als ihre Zofe hinausgegangen war, brach sie das peinliche Schweigen und sagte zu mir im zärtlichsten und zugleich feierlichsten Ton: »Mein Freund, keine Verstellung weder von deiner noch von meiner Seite! Ich war tieftraurig, als ich dich gestern abend fortgehen sah; denn die Uberlegung sagte mir, daß mein Verhalten dir zum Unheil gereichen könnte. Derartige Auftritte könnten ein Temperament wie das deinige in eine gefährliche Verwirrung stürzen; darum entschloß ich mich, in Zukunft nicht mehr auf halbem Wege stehenzubleiben. Ich dachte mir, du seiest ausgegangen, um frische Luft zu schöpfen, und dies freute mich, denn ich hoffte, es würde dir gut tun. Um mir Gewißheit darüber zu verschaffen, trat ich ans Fenster und stand da länger als eine Stunde, ohne in deinem Zimmer Licht zu sehen. Da mein Mann nach Hause kam, mußte ich mich mit der traurigen Gewißheit, daß du nicht zu Hause warst, zu Bett legen. Ärgerlich über mein Verhalten und um so mehr in dich verliebt, konnte ich fast die ganze Nacht kein Auge schließen. Heute früh befahl mein Mann einem Unteroffizier, dir zu sagen, daß er mit dir sprechen wolle; ich hörte, wie er den Bescheid zurückbrachte, du schliefest noch, weil du spät nach Hause gekommen wärest. Diese Worte schnitten mir ins Herz. Ich bin nicht eifersüchtig, mein Freund, denn ich weiß, daß du nur mich lieben kannst; aber ich befürchte irgendein Unglück. Als ich heute morgen dann endlich dich bei mir eintreten hörte, schlug mir das Herz vor Freude; ich wollte dir meine Reue zeigen, aber als ich dich ansah, glaubte ich einen anderen Menschen zu erblicken. Auch jetzt prüfe ich wieder deine Züge, und meine Seele liest wider meinen Willen auf deinem Gesicht, daß du schuldig bist, daß du mir einen Schimpf angetan hast. Sage mir ohne Furcht, lieber Freund, ob ich mich täusche; wenn du mich verraten hast, so gestehe es ohne Umschweife. Verrate nicht Liebe und Wahrheit! Da ich mir bewußt bin, die verhängnisvolle Ursache deines Fehltrittes zu sein, so werde ich mir dies nicht verzeihen; dich aber entschuldigt mein Herz und mein ganzes Ich.«

Ich habe mich im Laufe meines Lebens mehr als einmal in der harten Notwendigkeit befunden, geliebten Frauen Lügen zu sagen; aber nachdem ich diese so wahren, so rührenden Worte gehört hatte, konnte ich da wohl unaufrichtig sein? Ich fühlte mich durch meine abscheuliche Verfehlung zu tief niedergedrückt, als daß ich mich auch noch durch eine Lüge hätte besudeln mögen. Dazu war ich in diesem Augenblick völlig außerstande; mein Herz war voll von Zärtlichkeit und von Gewissensbissen, und es war mir unmöglich, ein einziges Wort herauszubringen: erst mußte ich meinen Tränen freien Lauf lassen.

»Mein zärtlicher Freund, du weinst! Deine Tränen tun mir weh. Du dürftest nur mit mir gemeinsam Tränen des Glückes und der Liebe vergießen. Schnell, Geliebter, schnell sage mir, ob du mich unglücklich gemacht hast. Sage mir, welche furchtbare Rache du gegen mich hast ausüben können – gegen mich, die lieber sterben als dich beleidigen wollte. Ich kann dir nur in der Unschuld meines liebenden und treuen Herzens Kummer bereitet haben.«

»Geliebter Engel, ich habe gar nicht daran gedacht, mich zu rächen; denn mein Herz kann niemals aufhören, dich anzubeten, und wird daher niemals auf einen so abscheulichen Gedanken kommen. Gegen mich selber habe ich schnöderweise ein Verbrechen begangen, das mich für den Rest meines Lebens deiner Güte unwürdig macht.«

»Du hast dich also mit irgendeiner Verlorenen eingelassen?«

»Ja, ich habe zwei Stunden mit einer erniedrigenden Ausschweifung verbracht; aber meine Seele war nur dabei, um Zeugin meiner Traurigkeit, meiner Reue, meiner furchtbaren Unwürdigkeit zu sein.«

»Traurigkeit und Reue! – Ach, mein armer Freund, ich glaube es dir. Aber es ist meine Schuld; ich allein muß dafü bestraft werden; mir kommt es zu, dich dafür um Verzeihung zu bitten.« Tränen entströmten ihren Augen, und auch ich begann wieder zu weinen.

»Erhabene Seele!« rief ich aus; »die Vorwürfe, die du dir machst, verdoppeln die Schwere meines Unrechts. Du hättest dir niemals einen Vorwurf zu machen brauchen, wenn ich deiner Zärtlichkeit wirklich würdig gewesen wäre.«

Ich fühlte, daß ich wahr sprach.

Den Rest des Tages verbrachten wir in anscheinend ziemlich ruhiger Stimmung, indem wir unsere Traurigkeit in der Tiefe unserer Herzen verschlossen. Meine Geliebte war neugierig, alle Umstände meines kläglichen Abenteuers zu erfahren, und ich nahm es als eine Strafe auf mich, ihr meine eklen Heldentaten zu berichten. Voller Güte versicherte sie mir, wir müßten beide den Vorfall als ein Verhängnis betrachten, das auch dem Vernünftigsten hätte zustoßen können. »Im Grunde bist du mehr zu beklagen als zu verdammen, und ich darf dich um deiner Verfehlung willen nicht weniger lieben.«

Wir waren fest entschlossen, den ersten günstigen Augenblick zu benutzen: sie, um meine Verzeihung zu besiegeln; ich, um meine Beleidigung wieder gutzumachen. Dies konnte nur geschehen, indem wir uns neue Beweise gaben von der glühenden Liebe, die uns beide erfüllte. Aber der gerechte Himmel bestimmte anders, und ich wurde für meine abscheuliche Ausschweifung grausam bestraft.

Am dritten Tage verspürte ich beim Aufstehen ein fürchterliches Brennen und erkannte sofort, in welchen abscheulichen Zustand die unglückselige Zantiotin mich versetzt hatte. Ich war wie betäubt. Und als ich erst daran dachte, welches Unglück ich hätte anrichten können, wenn ich im Laufe der letzten drei Tage von meiner göttlichen Freundin irgendeine neue Gunst erlangt hätte, da war ich nahe daran, den Verstand zu verlieren. In welcher Lage wäre ich gewesen, wenn ich sie für ihr ganzes Leben unglücklich gemacht hätte? Würde wohl jemand, der diese Geschichte gehört, mich verdammen können, wenn ich das Leben von mir geworfen hätte, um vor meinen Gewissensbissen Ruhe zu bekommen! Nein! Denn wer sich in Verzweiflung, aber als gerechter Vollstrecker der verdienten Strafe, tötet, der kann weder von einem Philosophen noch von einem duldsamen Christen getadelt werden. So viel ist ganz gewiß: wenn ein derartiges Unglück mir zugestoßen wäre, so hätte ich mir das Leben genommen.

Meine neue Entdeckung machte mich sehr traurig; indessen hoffte ich davonzukommen, wie es mir die ersten drei Male gelungen war. Ich entschloß mich daher zu einer Lebensweise, die mich in sechs Wochen wieder gesund gemacht haben würde, ohne daß jemand eine Ahnung von meiner Krankheit gehabt hätte. Aber meine Leiden waren noch nicht zu Ende: Melulla hatte in meine Adern alle schlechten Säfte ergossen, wodurch die Quellen vergiftet werden, aus denen das Leben strömt. Ich kannte einen alten Doktor, der auf diesem Gebiet große Erfahrung besaß; ihn zog ich zu Rate, und er versprach mir, mich binnen zwei Monaten völlig wieder herzustellen. Er hielt Wort. Zu Anfang des Monats September sah ich mich wieder völlig gesund, und etwa um dieselbe Zeit kehrte ich auch nach Venedig zurück.

Nachdem ich über meinen schlimmen Zustand Gewißheit erlangt hatte, faßte ich vor allen Dingen den Entschluß, Frau F. davon in Kenntnis zu setzen. Ich wollte nicht bis zu einem Augenblick warten, wo meine notgedrungene Erklärung sie gezwungen haben würde, über eine Schwäche zu erröten; ich wollte sie auch nicht zur Überlegung bringen, welche entsetzlichen Folgen ihre Leidenschaft für sie hätte haben gönnen. Ihre Liebe war mir zu teuer, als daß ich mich der Gefahr hätte aussetzen mögen, sie aus Mangel an Vertrauen zu ihr zu verlieren. Ich kannte ihren Geist, die Einfalt ihrer Seele, den Edelsinn, womit sie mich nur beklagenswert, nicht schuldig gefunden hatte; darum glaubte ich durch Aufrichtigkeit ihr beweisen zu müssen, daß ich ihrer Achtung würdig war.

Ich schilderte ihr ganz unbefangen den Zustand, worin ich mich befand, und malte ihr die Gefühle aus, mit denen mich der Gedanke erfüllte, welche entsetzlichen Folgen derselbe Zustand für sie hätte haben können. Ich sah sie bei meinen Worten zusammenschaudern, und sie erblaßte vor Schreck, als ich ihr sagte, ich würde sie gerächt haben, indem ich mir das Lehen genommen hätte.

»Schurkische, niederträchtige Melulla< rief sie aus; ich aber wiederholte diese Ausdrücke gegen mich selber, als ich sah, welches Glück ich der ekelhaftesten Schwachheit aufgeopfert hatte.

Ganz Korfu wußte, daß ich dem verdammten Weibe einen Besuch gemacht hatte, und alle Welt war erstaunt, auf meinen Zügen alle Anzeichen vollkommener Gesundheit zu sehen; denn die Zahl der Opfer, die sie ebenso behandelt hatte wie mich, war nicht gering.

Meine Krankheit war nicht der einzige Kummer, der mich verzehrte. Ich hatte noch andere Verdrießlichkeiten, die zwar anderer Art, aber darum nicht weniger drückend waren. Es stand geschrieben, daß ich als einfacher Fähnrich, wie ich ausgezogen war, nach Venedig zurückkehren sollte; denn der Generalprovveditore hatte mir sein Wort gebrochen, und der Bankert eines Patriziers war mir vorgezogen worden. Von diesem Augenblick an verabscheute ich den Militärstand, der mehr als alle anderen Stände der Willkür despotischer Laune ausgesetzt ist, und ich beschloß einen anderen Beruf zu wählen. Es kam ein anderer noch größerer Kummer hinzu, nämlich die Unbeständigkeit des Glücks, das mir ganz und gar den Rücken gedreht hatte. Ich bemerkte, daß von dem Augenblick an, wo ich mich mit der Melulla besudelt hatte, alles mögliche Ungemach auf mich einstürmte, wie wenn es mich zerschmettern wollte. Am empfindlichsten war es mir, daß acht oder zehn Tage vor der Abfahrt der Truppen Herr D. R. mich wieder in seinen Dienst haben wollte, uud daß Herr F. sich einen neuen Adjutanten suchen mußte; ich war jedoch so vernünftig, diesen Umstand bald als eine Gunst des Schicksals zu betrachten. Bei dieser Gelegenheit sagte die Signora mir mit betrübter Miene, in Venedig würden wir aus verschiedenen Gründen uns nicht mehr sehen können. Ich hat sie, mir die Aufzählung dieser Gründe zu ersparen; denn ich konnte mir wohl denken, daß diese für mich nur demütigend hätten sein können. Ich bemerkte, daß die vermeintliche Göttin nur eine arme Sterbliche war wie alle anderen Weiber, und ich begann zu denken, daß ich sehr unrecht getan haben würde, ihretwegen auf das Leben zu verzichten. Eines Tages sah ich ihr bis auf den Grund der Seele: bei irgendeinem Anlaß sagte sie mir, ich täte ihr leid. Da sah ich klar, daß sie mich nicht mehr liebte; denn von dem erniedrigenden Gefühl des Mitleids weiß ein liebendes Herz nichts; diesem traurigen Gefühl steht immer Verachtung zu nahe. Von diesem Augenblick an habe ich mich nicht mehr mit ihr allein befunden. Ich liebte sie noch; es wäre mir leicht gewesen, sie erröten zu machen. Ich tat es nicht.

Gleich nach unserer Ankunft in Venedig schloß sie sich an Herrn D. R. an; sie liebte ihn bis zu seinem Tode. Zwanzig Jahre später erblindete sie. Ich glaube, sie lebt noch.

Die leiden letzten Monate meines Aufenthaltes auf Korfu gaben mir eine von den großen Lehren meines Lebens; ich habe mich ihrer oft erinnert, um mir diese Lehren zunutze zu machen.

Vor meinem nächtlichen Abenteuer mit der elenden Melulla befand ich mich wohl: ich war reich, glücklich im Spiel, allgemein beliebt, wurde von der schönsten Frau der Stadt angebetet. Wenn ich sprach, spitzten alle die Ohren, priesen meinen Geist; meine Worte waren Orakel, und jedermann stimmte meinen Ansichten bei. Nach jenem verhängnisvollen Beisammensein verlor ich in kürzester Zeit Gesundheit, Geld, Kredit; mit dem Glück zugleich verschwand gute Laune, Überlegung, Geist – ja sogar die Fähigkeit, mich auszudrücken. Ich machte viele Worte, aber man wußte, daß ich unglücklich war, und darum überzeugte ich niemanden mehr. Unmerklich verschwand der Einfluß, den ich auf Frau F. hatte; die schöne Dame wußte es selber kaum, aber ich wurde ihr vollkommen gleichgültig.

Ich reiste ohne Geldmittel ab, nachdem ich alle Sachen von einigem Werte versetzt oder verkauft hatte. Zweimal war ich reich angekommen, und zweimal reiste ich arm davon; aber dieses zweite Mal hatte ich Schulden gemacht, die ich niemals bezahlt habe – nicht aus bösem Willen, sondern aus Gedankenlosigkeit.

Als ich reich und gesund war, wurde ich von aller Welt gefeiert; dem Armen und Abgemagerten erwies man kein einziges Zeichen von Achtung mehr. Als ich volle Taschen hatte und in zuversichtlichem Ton sprach, fand man mich geistreich, unterhaltend; als mein Beutel leer war und mein Ton bescheiden, erschienen alle meine Erzählungen flach und albern. Wenn ich wieder reich geworden wäre, würde ich von neuem ein achtes Weltwunder gewesen sein. O Menschen, o Glück! Man mied mich, wie wenn das Pech, das mir anhaftete, eine ansteckende Pest gewesen wäre.

Gegen Ende September fuhren wir unter dem Oberbefehl des Herrn Veniero ab, fünf Galeeren, zwei Galeassen und mehrere kleine Schiffe; wir fuhren die nördliche Küste des Adriatischen Meeres entlang, die reich an Häfen ist, während die gegenüberliegende hafenarm ist. Jeden Abend liefen wir einen Hafen an; infolgedessen sah ich Frau F. allabendlich; denn sie kam mit ihrem Gatten auf unsere Galeasse, um zu speisen. Unsere Reise war sehr glücklich; am 14. Oktober 1745 gingen wir im Hafen von Venedig vor Anker, und nachdem wir auf unserer Galeasse die Quarantänezeit durchgemacht hatten, betraten wir am 25. November das Land. Zwei Monate später wurden die Galeassen aufgehoben. Der Gebrauch dieser Fahrzeuge ging bis in uralte Zeiten zurück; ihre Unterhaltung war sehr kostspielig und ihr Nutzen gleich Null. Eine Galeasse hatte den Rumpf einer Fregatte, aber Bänke wie eine Galeere; fünfhundert Sträflinge ruderten, wenn kein Wind da war.

Bevor es dem gesunden Menschenverstand gelang, die Einziehung dieser unnützen alten Kästen durchzusetzen, gab es große Debatten im Senat; als Hauptgrund führten die Gegner der Maßregel an, man müsse alles Alte achten und bewahren. An dieser Krankheit leiden die Leute, die sich niemals mit den aus Vernunft und Erfahrung hervorgegangenen allmählichen Verbesserungen vertraut machen können; diese guten Leute müßte man nach China oder zum Dalai-Lama schicken; in diese Länder gehören sie weit eher als nach Europa.

So lächerlich der genannte Grund ist, so ist er doch stets der stärkste in allen Republiken; denn diese müssen vor dem Wort Neuerung erzittern und zwar in unbedeutenden Dingen sowohl wie in wichtigen. Übrigens mischt sich stets auch etwas Aberglaube hinein. Was die Republik Venedig niemals abschaffen wird, das sind ihre Galeeren; erstens weil sie diese Fahrzeuge braucht, um zu allen Zeiten, auch bei Windstille, ein enges Meer befahren zu können; sodann, weil sie nicht wüßte, was sie mit den Menschen anfangen sollte, die sie zu den Galeeren verurteilt.

Auf Korfu, wo oft 3000 Galeerenknechte sind, machte ich eine eigentümliche Beobachtung, nämlich daß denen, die wegen eines Verbrechens zur Galeerenstrafe verurteilt werden, eine Art Makel anhaftet, während die freiwilligen Galeerenknechte einer gewissen Achtung genießen. Ich bin immer der Meinung gewesen, daß es eigentlich gerade umgekehrt hätte sein müssen; denn Unglück, welcher Art es auch sein mag, erheischt immer eine Art Achtung, während ein gemeiner Mensch, der sich berufsmäßig dem Stande eines Sträflings widmet, mir im höchsten Grade verächtlich erscheint. Übrigens genießen die Galeerenknechte der Republik mehrerer Vorrechte und werden in jeder Hinsicht viel besser behandelt als die Soldaten. Es kommt oft vor, daß Soldaten von ihren Kompagnien desertieren und sich einem Sopracomito überliefern, um Galeerenknechte zu werden. Der Hauptmann, der auf diese Weise einen Soldaten verliert, kann nichts Besseres tun, als sich in Geduld zu ergeben; alle seine Vorstellungen würden vergeblich sein. Der Grund dieser Erscheinung ist der, daß die Republik stets ihre Galeerenknechte nötiger zu haben geglaubt hat als ihre Soldaten; vielleicht beginnt sie jedoch heute ihres Irrtums gewahr zu werden. (Ich schreibe dies im Jahre 1797.)

Ein Galeerenknecht hat zum Beispiel das seltene Vorrecht, ungestraft stehlen zu können. Dies, sagt man, ist das geringste Verbrechen, das er begehen kann; darum muß man es ihm verzeihen. Seid auf eurer Hut, sagt der Herr des Galeerensträflings, und wenn ihr ihn auf frischer Tat ertappt, so schlagt ihn, aber verstümmelt ihn nicht; denn dann müßtet ihr mir die hundert Dukaten bezahlen, die er mich gekostet hat.

Die Gerechtigkeit selber kann einen Galeerenknecht, der ein Verbrechen begangen hat, nicht hängen lassen, ohne vorher dem Meister die Summe zu bezahlen, die er ihn gekostet hat.

Kaum in Venedig angelangt, ging ich zu Frau Orio; aber ich fand das Haus leer. Ein Nachbar erzählte mir, der Sachwalter Rosa habe sie geheiratet und sie wohne bei ihm. Augenblicklich begab ich mich dorthin, und ich wurde mit freudigem Jubel aufgenommen. Als erste Neuigkeit wurde mir mitgeteilt, daß Nannetta Gräfin R. geworden sei und mit ihrem Gatten in Guastalla wohne.

Vierundzwanzig Jahre später sah ich ihren ältesten Sohn als ausgezeichneten Offizier im Dienste des Infanten-Herzogs von Parma.

Martina war von der göttlichen Gnade berührt worden und hatte in Murano den Nonnenschleier genommen. Zwei Iahre später erhielt ich von ihr einen salbungsvollen Brief, worin sie mich im Namen Jesu Christi und der heiligen Jungfrau beschwor, mich nicht vor ihren Augen sehen zu lassen. Sie sagte mir: das Verbrechen, das ich begangen habe, indem ich sie verführte, müsse sie mir verzeihen, und sie sei glücklich über diese Verpflichtung, denn die Reue, womit mein Verbrechen sie erfüllt habe, mache sie gewiß, daß sie die Glückseligkeit der Auserwählten erlangen werde. Zum Schluß versicherte sie mir, daß sie unaufhörlich Gott um meine Bekehrung anflehen werde.

Ich habe sie nicht mehr gesehen, aber sie sah mich im Iahre 1754, wie ich am geeigneten Ort mitteilen werde.

Frau Manzoni war immer noch dieselbe. Sie hatte mir prophezeit, ich würde nicht beim Militär bleiben, und als ich ihr sagte, ich sei entschlossen, den Beruf zu wechseln, da ich die mir widerfahrene Ungerechtigkeit nicht ertragen könne, da lachte sie, daß sie sich die Seiten halten mußte. Sie fragte mich, welchen Beruf ich zu ergreifen gedächte, wenn ich den Degen ablegte. Ich sagte ihr, ich wolle Advokat werden. Von neuem begann sie zu lachen, indem sie mir sagte, dazu sei es zu spät. Ich war jedoch erst zwanzig Jahre alt.

Als ich mich bei Herrn Grimani vorstellte, wurde ich gut aufgenommen; als ich mich jedoch nach meinem Bruder Francesco erkundigte, sagte er mir, er halte ihn im Fort Sant‘ Andrea, demselben, wohin er mich vor der Ankunft des Bischofs von Martorano hatte bringen lassen. »Er arbeitet dort für den Major: er kopiert Schlachtenbilder von Simonetti, die der Major ihm bezahlt; auf diese Weise gewinnt er seinen Lebensunterhalt und wird zugleich ein guter Maler.«

»Aber er ist doch nicht in Haft?«

»Gewissermaßen ja; denn er darf die Festung nicht verlassen. Der Major heißt Spiridion und ist ein Freund Razzettas, dem er sehr gerne den Gefallen getan hat, für Ihren Bruder zu sorgen.«

Ich fand es fürchterlich, daß dieser fatale Razzetta der Henker meiner ganzen Familie sein sollte; ich verbarg jedoch meine Gefühle und fragte nur: »Ist meine Schwester immer noch bei ihm?«

»Nein, sie ist in Dresden bei ihrer Mutter.«

Diese Nachricht erfreute mich.

Ich verabschiedete mich sehr herzlich vom Abbate Grimani und begab mich nach der Festung Sant‘ Andrea. Ich fand dort meinen Bruder mit dem Pinsel in der Hand; er war mit seinem Schicksal zwar nicht zufrieden, aber auch nicht unzufrieden, und er erfreute sich einer guten Gesundheit. Nachdem wir uns umarmt hatten, fragte ich ihn, welches Verbrechen er denn begangen hätte, daß man ihn auf solche Weise einsperrte.

»Bitte, frage den Major danach; ich habe keine Ahnung davon.«

In diesem Augenblick trat der Major ein; ich grüßte ihn militärisch und fragte ihn, mit welchem Recht er meinen Bruder in Haft halte.

»Ich habe Ihnen keine Rechenschaft abzulegen.«

»Das werden wir sehen.«

Ich sagte meinem Bruder, er solle seinen Hut nehmen und mit mir zum Essen kommen. Der Major lachte und sagte: »Mir soll’s recht sein; wenn nur der Wachtposten ihn herausläßt!«

Ich sah, daß ich mit diesem Wortwechsel nur meine Zeit verlieren würde, und ging daher, ohne ihm zu antworten, aber fest entschlossen, mir Gerechtigkeit zu verschaffen.

Gleich am nächsten Morgen begab ich mich auf das Kriegsministerium, wo ich das Vergnügen hatte, meinen lieben Major Pelodoro zu finden, der jetzt das Fort Chiozza befehligte. Ich sprach mit ihm von der Klage, die ich zugunsten meines Bruders beim Kriegsminister einreichen wollte, und von meiner Absicht, meine Fähnrichstelle aufzugeben. Er versprach mir, er wolle mir, sobald er die Zustimmung des Kriegsministers erlangt habe, den Verkauf meines Patents zu dem von mir dafür bezahlten Preise vermitteln.

Ich brauchte nur einen Augenblick zu warten; der Kriegsminister kam, und in weniger als einer halben Stunde war alles in Ordnung. Er versprach mir, meinen Abschied zu bewilligen sobald er sich von der Tauglichkeit des Herrn, der mein Patent kaufen wollte, überzeugt hätte. Inzwischen war auch Major Spiridion angekommen, und der Weise der Schrift befahl diesem in gebieterischem Ton, meinen Bruder in Freiheit zu setzen und sich in Zukunft derartige verwerfliche Willkürhandlungen nicht mehr zu erlauben. Ich holte meinen Bruder sofort ab und brachte ihn bei mir in einem möblierten Zimmer unter.

Ein paar Tage später erhielt ich meinen Abschied und hundert Zechinen, zog die Uniform aus und wurde wieder mein eigener Herr.

Da ich nun daran denken mußte, einen Beruf zu ergreifen, um meinen Lebensunterhalt zu gewinnen, so entschied ich mich dafür, gewerbsmäßiger Spieler zu werden. Dame Fortuna war jedoch anderer Ansicht, denn sie verließ mich schon bei meinen ersten Schritten in dieser neuen Laufbahn, und acht Tage später hatte ich keinen Heller in der Tasche. Was nun? Ich mußte leben und wurde Geigenspieler. Beim Doktor Gozzi hatte ich genug gelernt, um in einem Theaterorchester mitfiedeln zu können. Ich trug Herrn Grimani meine Wünsche vor, und er brachte mich in dem Orchester seines Theaters San Samuele unter. Dort verdiente ich täglich einen Taler, woran ich mir einstweilen Genüge leisten konnte, bis bessere Zeiten kommen würden.

Meiner Lage mir bewußt, betrat ich von nun an kein einziges der Häuser von gutem Ton, in denen ich verkehrt hatte, bevor ich so tief gesunken war. Ich wußte, daß man mich als Lüderjahn ansehen mußte; aber daraus machte ich mir nichts. Ohne Zweifel verachtete man mich: ich tröstete mich mit dem Bewußtsein, daß ich nicht verächtlich war. Die Stellung, in der ich mich befand, nachdem ich eine ziemlich glänzende Rolle gespielt hatte, demütigte mich; dieses Gefühl behielt ich jedoch für mich, und wenn ich mich auch schämte, so war ich deshalb doch nicht erniedrigt. Denn ich hatte nicht auf das Glück verzichtet und hoffte daher, noch darauf rechnen zu können, weil ich jung war und weil die wankelmütige Gottheit es mit der Jugend nicht böse meint.

Sechzehntes Kapitel


Ich werde ein Taugenichts. – Ein großes Glück entreißt mich der Erniederigung, und ich werde ein großer Herr.

Bei einer Erziehung, die mir einen ehrenvollen Stand in der Welt hätte sichern können, bei geistigen Eigenschaften, einer guten Grundlage literarischer und wissenschaftlicher Bildung und außerdem mit jenen zufälligen physischen Eigenschaften ausgestattet, die in der Welt ein so vorteilhafter Empfehlungsbrief sind, sah ich mich im Alter von zwanzig Jahren als Jünger einer erhabenen Kunst, bei deren Ausübung man mit Recht die Mittelmäßigkeit ebenso verachtet, wie man die Überlegenheit des Talentes anerkennt. Durch meine Lage gezwungen, wurde ich Mitglied eines Orchesters, wo ich weder Achtung noch Beachtung fordern konnte, während ich natürlich erwarten mußte, zum Gelächter der Leute zu werden, die mich als Doktor, Geistlichen und Offizier gekannt hatten und die mich in der besten Gesellschaft aufgenommen und gefeiert gesehen hatten.

Ich wußte alles das, denn ich verschloß keineswegs meine Augen gegen meine Verhältnisse. Allein die Verachtung, das einzige, dem gegenüber ich nicht gleichgültig sein konnte, zeigte sich nirgends auf solche Art, daß ich sie nicht hätte übersehen können. Ich forderte sie heraus, weil ich die Überzeugung hatte, daß sie nur der Erbärmlichkeit gebührt, und ich wußte, daß ich mir keine vorwerfen konnte. Nach Achtung war ich stets begierig gewesen, aber mein Ehrgeiz schlummerte, und zufrieden damit, mir selbst anzugehören, genoß ich meine Unabhängigkeit, ohne mir wegen der Zukunft den Kopf zu zerbrechen. Ich fühlte, daß ich in meinem ersten Beruf, zu dem ich mich keineswegs berufen gefühlt hatte, meinen Weg nur als Heuchler hätte machen können, und daß ich mir selber ein Gegenstand der Verachtung geworden wäre, hätte ich auch den römischen Purpur erlangt; denn äußerliche Ehren verhindern keineswegs den Menschen, sein erster Zeuge zu sein, und seinem eigenen Gewissen kann man nicht entrinnen. Wenn ich im Gegenteil auch weiterhin mein Glück im Waffenhandwerk gesucht hätte, das nur durch den Dunst des Glückes, der ihm zum Glorienschein dient, schön erscheint, im übrigen aber der letzte Stand ist, weil man beständig das eigene Ich und jeden eigenen Willen zugunsten dessen verleugnet, was der passive Gehorsam verlangt – so hätte ich eine große Geduld haben müssen, worauf ich keinen Anspruch machen konnte, da mich jede Ungerechtigkeit empörte und jedes Joch mir unerträglich wurde, sobald ich es bemerkte. Übrigens dachte ich, daß jeder Beruf, den der Mensch sich wählt, ihm einen hinlänglichen Unterhalt gewähren sollte, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Die mittelmäßigen Bezüge eines Offiziers aber würden zu meiner Existenz nicht genügt haben, weil ich infolge meiner Erziehung größere Bedürfnisse hatte, als die eines Offiziers im allgemeinen sind. Indem ich die Geige spielte, verdiente ich genug, um mich durchzubringen, ohne jemanden nötig zu haben, und ich habe immer den Menschen für glücklich gehalten, der sich rühmen kann, sich selber zu genügen. Meine Stellung war freilich nicht glänzend, aber daraus machte ich mir nichts, und indem ich alle Gefühle, die sich in mir gegen mich selbst auflehnten, als Vorurteile behandelte, nahm ich schließlich bald die Gewohnheiten meiner niederen Kameraden an. Nach dem Schauspiel ging ich mit ihnen in die Schenke, die wir betrunken verließen, um die Nacht gewöhnlich an schlechten Orten zu verbringen. Wenn wir den Platz besetzt fanden, zwangen wir die Inhaber zum Rückzuge und beraubten die unglücklichen Opfer der Verdorbenheit ihres kargen Lohnes, den ihnen das Gesetz zuerkennt, indem wir sie zwangen, sich unserer Brutalität zu unterwerfen. Aber durch eine so tadelnswerte Aufführung setzten wir uns oft der augenscheinlichsten Gefahr aus.

Oft kam es vor, daß wir in der Nacht durch verschiedene Stadtteile liefen, indem wir allen möglichen Unfug erfanden und ausführten. Einer unserer Lieblingsspäße bestand darin, die Privatgondeln vom Ufer loszumachen und sie in den Kanälen der Strömung zu überlassen, indem wir uns im voraus über alle Flüche ergötzten, die die Barkarolen am Morgen gegen uns ausstoßen würden. Oft weckten wir auch in aller Eile die ehrenwerten Hebammen auf, indem wir sie beschworen, sich zu dieser oder jener Dame zu begeben, die dann, da sie niemals schwanger gewesen war, sie bei ihrer Ankunft wie eine Verrückte behandelte. Ebenso verfuhren wir mit den Ärzten, die wir, halb angekleidet, zu diesem oder jenem großen Herrn laufen ließen, der sich ganz gesund befand. Auch die Geistlichen kamen an die Reihe. Wir schickten sie, einen Gatten zu versehen, der ruhig an der Seite seiner Frau schlief und sich gar nicht um die letzte Ölung kümmerte. Wir rissen die Glockenzüge an allen Häusern, und wenn wir eine Tür offen fanden, schlichen wir uns hinauf und erschreckten die Schläfer, indem wir ihnen zuschrien, daß das Tor ihres Hauses offen stände. Dann stiegen wir lärmend wieder hinunter und ließen das Tor weit offen.

Während einer sehr dunklen Nacht verschworen wir uns, einen großen Marmortisch umzuwerfen, der als eine Art von Denkmal mitten auf dem Platze Sant‘ Angelo stand. Man erzählte, daß zur Zeit der Liga von Cambrai die Kommissäre auf diesem Tische die Rekruten auszahlten, die sich für den heiligen Markus anwerben ließen. Das verschaffte ihm eine Art Verehrung.

Als wir in die Glockentürme eindringen konnten, war es für uns ein großes Vergnügen, die ganze Gemeinde alarmieren zu können, indem wir die Sturmglocke läuteten, als ob ein großer Brand wütete. Aber darauf beschränkten wir uns nicht. Wir schnitten die Glockenstricke ab, so daß die Meßner sich außerstande sahen, am Morgen die Gläubigen zur ersten Messe zu rufen. Zuweilen setzten wir, jeder in einer besonderen Gondel, über den Kanal, und wenn wir auf der anderen Seite waren, ergriffen wir die Flucht, ohne zu zahlen, so daß die Gondoliere uns wütend nachliefen.

Die ganze Stadt ertönte von Klagen, wir aber machten uns über die Verfolgungen lustig, die man anstellte, um die Störer der öffentlichen Ruhe zu entdecken. Wir hatten keine Lust etwas auszuplaudern, denn wenn man uns entdeckt hätte, so hätte man uns wohl für einige Zeit auf der Galeere des Rates der Zehn rudern lassen.

Wir waren unser sieben und manchmal acht, denn da ich viel Freundschaft für meinen Bruder Francesco hegte, so gestattete ich ihm von Zeit zu Zeit Zutritt zu unseren nächtlichen Orgien. Indessen legte endlich die Furcht diesen Schändlichkeiten, die ich damals für Jugendstreiche hielt, einen Zügel an und zwar auf folgende Weise.

In jedem der zweiundsiebzig Kirchspiele der Stadt Venedig gibt es eine große Schenke, die man Magazzino nennt. Sie ist die ganze Nacht geöffnet, und der Wein wird dort im kleinen billiger verkauft als in den anderen Schenken. Man kann dort auch essen, aber man muß von einem benachbarten Garkoch holen lassen, was man wünscht, da er für diesen Verkauf privilegiert ist und daher seinen Laden die ganze Nacht offen hält. Gewöhnlich ist dies ein Garkoch, der ein sehr schlechtes Essen zubereitet, allein da er es billig gibt, so lassen die armen Leute es sich gern schmecken, und diese Anstalten genießen den Ruf, für die niedere Klasse sehr nützlich zu sein. Niemals sieht man an diesen Orten weder den Adel, noch die gute Bürgerschaft, nicht einmal die wohlhabenden Handwerker, denn auf Peinlichkeit wird hier nicht eben großer Wert gelegt. Übrigens gibt es kleine abgesonderte Zimmer, wo an einem von Bänken umgebenen und gedeckten Tisch eine ehrbare Familie oder einige Freunde sich auf eine anständige Weise der Heiterkeit hingeben können.

Es war während des Karnevals von 1745, daß wir in einer Nacht nach zwölf Uhr alle acht maskiert herumstrichen. Damit beschäftigt, irgendeinen neuen Streich zu erfinden, der uns ergötzen konnte, traten wir in ein Magazzino des Kirchspiels della Croce, um dort zu trinken. Wir fanden niemand darin, aber in einem kleinen Zimmer nebenan entdeckten wir drei Männer, die sich sehr friedlich mit einer jungen und hübschen Frau unterhielten und dabei ihre Flaschen leerten.

Unser Führer, ein edler Venezianer aus der Familie Balbi, sagte zu uns: »Es wäre ein ausgezeichneter Streich, diese drei Spitzbuben einzeln dieser hübschen Frau zu entführen, die dann notwendigerweise unter unserm Schutz zurückbleiben würde.« Sofort setzte er uns seinen Plan in allen Einzelheiten auseinander; durch unsere Masken begünstigt, traten wir in ihr Zimmer; Balbi an unserer Spitze. Unser Erscheinen überraschte die armen Leute sehr, ganz bestürzt aber wurden sie, als sie Balbi sagen hörten: »Bei Todesstrafe und auf Befehl der Häupter des Rates der Zehn ordne ich euch an, ohne den geringsten Lärm zu machen, uns sogleich zu folgen. Ihr, gute Frau, fürchtet nichts, man wird Euch nach Hause führen.« Kaum waren diese Worte ausgesprochen, als zwei unserer Genossen sich der Frau bemächtigten, um sie an den ihnen von unserem Führer bezeichneten Ort zu bringen ; wir anderen ergriffen die drei armen, ganz zitternden Männer, die an nichts weniger dachten, als uns Widerstand zu leisten.

Der Kellner des Magazzino eilte mit seiner Rechnung herbei, und unser Anführer bezahlte ihn, indem er ihm bei Todesstrafe Stillschweigen gebot. Wir führten die drei Männer in ein großes Boot, Balbi trat zum Steuer und befahl dem Schiffer am Vorderteil zu rudern. Dieser mußte gehorchen, ohne zu wissen, wohin die Fahrt ginge. Der Weg wurde vom Steuermann bestimmt, und keiner von uns wußte, wohin unser Führer die armen Teufel bringen würde.

Er schlug den Weg über den Kanal ein, verließ ihn dann und in einer Viertelstunde langten wir in San Giorgio an, wo er die drei Gefangenen aussteigen ließ, die sich sehr glücklich fanden, sich in Freiheit zu erblicken. Hierauf ließ unser Anführer, da er ermüdet war, den Schiffer ans Steuer treten und hefahl ihm, uns nach Santa Genoveffa zu bringen, wo wir nach unserer Landung ausstiegen, nachdem wir ihn gut bezahlt hatten.

Hierauf begaben wir uns auf den kleinen Platz Renier, wo mein Bruder mit einem anderen der Bande uns erwartete, indem sie mit der hübschen Frau, die weinte, auf der Erde saßen.

»Weinen Sie nicht, meine Schöne,« sagte Balbi zu ihr, »denn man wird Ihnen nichts zuleide tun. Wir werden am Rialto einen Schluck trinken, hierauf werden wir Sie sicher nach Hause geleiten.«

»Wo ist mein Mann?«

»Seien Sie ruhig, Sie werden ihn morgen früh wiedersehen.«

Durch dieses Versprechen getröstet, folgte sie uns sanft wie ein Lamm zu dem Gasthof delle Spade, wo wir in einem Zimmer des zweiten Stocks ein gutes Feuer machen ließen; nachdem wir zu essen und zu trinken bestellt hatten, schickten wir den Kellner weg und blieben allein. Dann nahmen wir unsere Masken ab, und der Anblick von acht jungen und frischen Gesichtern erfüllte die Seele der schönen Entführten mit Befriedigung. Durch die Galanterie unseres Benehmens versetzten wir sie in eine ganz behagliche Stimmung. Durch den Wein und das gute Essen ermutigt und vorbereitet durch unsere Gespräche und einige Küsse, sah sie wohl, was ihrer wartete, und schien sich gutwillig darein zu fügen. Unser Chef mußte natürlich den Tanz eröffnen; durch Höflichkeiten besiegte er das natürliche Widerstreben, das sie anfangs bezeigte, das Opfer in so zahlreicher Gesellschaft zu vollbringen. Ohne Zweifel erschien ihr die Opfergabe süß, denn, nachdem ich mich als mutiger Opferpriester zur zweiten Opfergabe angeboten hatte, empfing sie mich mit einer Art Erkenntlichkeit; und sie konnte ihre Freude nicht verbergen, sobald sie sah, daß sie bestimmt war, ebenso viele Glückliche zu machen, als wir Gäste waren. Mein Bruder allein entzog sich dem Tribute, indem er vorgab, krank zu sein, der einzige Grund, der seine Weiterung entschuldigen konnte, denn es war zu einer Art von Gesetz geworden, daß jeder von uns bei jeder Gelegenheit dasselbe tun mußte, was die anderen taten.

Nach dieser schönen Heldentat nahmen wir die Masken wieder vor, bezahlten die Rechnung und führten das glückliche Opfer nach San Giobbe, wo sie wohnte; wir verließen sie erst, als wir sie in ihr Haus eingetreten und das Tor geschlossen sahen.

Möge man sich denken, ob wir Lust hatten zu lachen, als sie uns gute Nacht wünschte, dabei in der herzlichsten und aufrichtigsten Weise sich bei uns bedankte! Wir trennten uns hierauf, und jeder ging nach Hause.

Am zweiten Tag darauf begann diese nächtliche Saturnalie Lärm zu machen. Der Gatte der jungen Frau war Weber, ebenso seine zwei Freunde. Sie vereinigten sich, um bei dem Rat der Zehn zu klagen. Diese Klage war sehr offenherzig abgefaßt und schilderte die ganze Wahrheit; aber was sie an Abscheulichem berichtete, war durch einen Umstand gemildert, der die strengen Stirnen der Richter entrunzeln mußte, da sie dem öffentlichen Gelächter einen ergiebigen Stoff bot. Die Klage besagte nämlich, daß die acht Masken an der Frau keine unangenehme Handlung begangen hätten. Die beiden Masken, die sie entführt hatten, hätten sie an den und den Ort gebracht, wohin eine Stunde später die sechs anderen gekommen wären, und alle hätten sich dann zusammen in den Gasthof »zu den Schwertern« begeben, wo sie eine Stunde mit Zechen zugebracht hätten. Die Frau wäre von den Masken sehr gut bewirtet und dann nach Hause geführt worden, wo man sie gebeten hätte, sie möchte doch entschuldigen, man hätte gerne ihrem Manne einen Streich spielen wollen. Die Klagesteller hätten die Insel nicht vor Tagesanbruch verlassen können und der Mann hätte bei seiner Rückkehr seine Frau friedlich schlafend gefunden. Bei ihrem Erwachen hätte sie ihm alles erzählt, was ihr zugestoßen wäre. Sie beklagte sich nur über die große Angst, die sie um ihren Mann ausgestanden hätte, und verlangte deswegen Gerechtigkeit und exemplarische Strafe.

In dieser Klage war alles komisch, denn die drei Trottel spielten darin die Tapferen, indem sie sagten, daß wir sie sicher nicht so folgsam gefunden hätten, wenn der Anführer nicht den achtbaren Namen des Gerichtes ausgesprochen hätte.

Die Klage brachte drei Wirkungen hervor. Zunächst machte sie die ganze Stadt lachen; zweitens gingen alle Müßiggänger nach San Giobbe, um die Geschichte aus dem Munde der Heldin selbst zu hören, was ihr mehr als ein Geschenk eintrug; und drittens endlich veranlaßte sie, daß das Gericht öffentlich eine Belohnung vou 500 Dukaten versprach, für jeden, der die Urheber der Freveltat angeben würde, selbst wenn er einer von den Übeltätern wäre, mit Ausnahme des Anführers.

Diese Bekanntmachung würde uns Furcht eingejagt haben, wäre nicht unser Anführer, gerade der einzige, der an uns zum Verräter zu werden imstande gewesen wäre, ein Patrizier gewesen. Diese Eigenschaft unseres Hauptes beruhigte mich sogleich, denn ich wußte, daß, selbst wenn einer von uns sich so erniedrigen hätte können, daß er sich die Summe um den Preis eines Verrates hätte verschaffen wollen, das Gericht nichts unternommen haben würde, um nicht verpflichtet zu sein, einen Patrizier bloßzustellen. Der Verräter fand sich aber nicht unter uns, obwohl wir alle arm waren, allein die Furcht brachte eine heilsame Wirkung hervor, und unsere nächtlichen Ausschweifungen erneuerten sich nicht wieder.

Drei oder vier Monate darauf verursachte mir der Ritter Niccolo Iron, damals Inquisitor, eine große Überraschung, indem er mir die ganze Geschichte erzählte und mir alle Teilhaber nannte. Er sagte mir nicht, ob irgendeiner der Bande das Geheimnis verraten hätte; die Sache kümmerte mich wenig, allein ich sah klar den Geist der Aristokratie, der das solo mihi das oberste Gesetz ist.

Gegen Mitte April 1746 heiratete Herr Girolamo Cornaro, das älteste Mitglied der Familie Cornaro della Regina, ein Fräulein aus dem Hause Soranzo di San Polo und ich hatte die Ehre, bei der Hochzeit zu sein …. in meiner Eigenschaft als Fiedler. Ich war Mitglied eines der zahlreichen Orchester für die Bälle, die man an drei aufeinanderfolgenden Tagen im Palazzo Soranzo gab.

Am dritten Tage, gegen das Ende des Festes, eine Stunde vor Tagesanbruch, verließ ich ermüdet das Orchester, in der Absicht, mich zurückzuziehen, als ich beim Hinabsteigen über die Treppe einen Senator im roten Talar bemerkte, der in seine Gondel steigen wollte und, indem er sein Schnupftuch aus der Tasche zog, einen Brief fallen ließ. Ich raffte ihn in aller Eile auf und übergab dem hohen Herrn den Brief in dem Augenblick, wo ich ihn einholte, als er die Stufen hinabstieg. Er nahm ihn dankend und fragte mich, wo ich wohnte. Ich sagte es ihm, und er nötigte mich, in seine Gondel zu steigen, da er mich durchaus nach Hause bringen wollte. Ich nahm dies mit Dank an und setzte mich auf das Bänkchen neben ihm. Einen Augenblick darauf bat er mich, ihm den linken Arm zu schütteln, indem er mir sagte, er empfände eine so starke Lähmung, daß er den Arm nicht mehr fühlte. Ich schüttelte mit voller Kraft, aber gleich darauf sagte er mir mit undeutlicher Stimme, die Lähmung erstrecke sich über die ganze linke Seite und er fühle sich sterben.

Entsetzt öffnete ich den Vorhang und nahm die Laterne. Ich sah einen Sterbenden mit ganz verzerrtem Mund. Ich begriff, daß der hohe Herr von einem Schlaganfall betroffen war, und schrie den Gondolieren zu, sie sollten mich aussteigen lassen, um einen Chirurgen zu holen, der ihm zur Ader ließe.

Ich sprang gerade an dem Ort aus der Gondel, wo ich drei Jahre vorher Razetta eine so kräftige Lehre gegeben hatte, und ging in ein Kaffeehaus, wo man mir die Wohnung eines Wundarztes angab. Ich laufe hin, klopfe wiederholt, man öffnet mir, ich zwinge den Wundarzt, mir im Schlafrock in die Gondel zu folgen, die uns erwartet. Er läßt dem Senator zur Ader, während ich mein Hemd zerreiße, um die Kompressen und den Verband zu machen.

Nach dieser Operation befahl ich den Barkarolen, die Ruder mit doppelter Kraft einzusetzen, und in einem Augenblick kamen wir bei Santa Marina an. Man weckte seine Bedienten auf, und nachdem man ihn aus der Gondel gehoben, bringen wir ihn fast leblos in sein Bett.

Mich zum Anordner aufwerfend, befahl ich einem Diener, in aller Eile einen Arzt zu holen. Sobald der Äskulap angelangt war, gebot er augenblicklich einen zweiten Aderlaß, indem er dadurch den billigte, den ich ihm schon hatte beibringen lassen. Da ich mich berechtigt glaubte, den Kranken zu pflegen, so setzte ich mich neben sein Bett, um ihm meine Pflege angedeihen zu lassen.

Eine Stunde später traten zwei Patrizier, Freunde des Kranken, wenige Minuten nacheinander ein. Sie waren in Verzweiflung, und da sie sich schon bei den Gondolieren erkundigt und diese ihnen gesagt hatten, ich wüßte darüber mehr als sie, so fragten sie mich aus. Ich sagte ihnen alles, was ich wußte. Sie wußten nicht, wer ich war, wagten auch nicht, mich darum zu fragen, und ich glaubte mich in ein bescheidenes Schweigen einhüllen zu müssen.

Der Kranke war regungslos und gab kein anderes Lebenszeichen, als daß er noch atmete. Man machte ihm Umschläge, und der Priester, den man geholt hatte und der unter diesen Umständen sehr überflüssig war, schien nur seinen Tod zu erwarten. Man wies auf meine Veranlassung alle Besuche ab, und die zwei Patrizier und ich waren die einzigen bei dem Kranken. Zu Mittag nahmen wir schweigend ein kleines Mahl ein, ohne das Krankenzimmer zu verlassen.

Am Abend sagte mir der ältere der beiden Patrizier, daß ich fortgehen könnte, wenn ich Geschäfte hätte, denn sie würden die Nacht auf Matratzen in dem Krankenzimmer verbringen. »Und ich, mein Herr,« sagte ich zu ihm, »ich werde sie in demselben Lehnstuhl an der Seite des Bettes verbringen; denn wenn ich mich entfernte, würde der Kranke sterben, und ich bin überzeugt, daß er solange leben wird, als ich hier bleibe.« Diese salbungsvolle Antwort machte, wie sich wohl erwarten ließ, einen starken Eindruck auf sie, und die beiden Herren blickten sich mit Überraschung an.

Wir speisten, und bei der spärlichen Unterhaltung, die wir während des Essens führten, erzählten mir die Herren, ohne daß ich sie danach fragte, der Senator sei ihr Freund, Herr von Bragadino, der einzige Bruder des Prokurators dieses Namens. Dieser Herr von Bragadino war in Venedig ebensosehr durch seine Beredsamkeit und seine großen Talente als Staatsmann berühmt, wie durch die galanten Abenteuer feiner brausenden Jugend. Er hatte Torheiten für die Frauen begangen, und mehr als eine Schöne hatte dasselbe für ihn getan. Er hatte viel gespielt und viel verloren, und sein Bruder war sein grausamster Feind, weil dieser sich in den Kopf gesetzt hatte, er hätte ihn vergiften wollen. Er hatte ihn wegen dieses Verbrechens bei dem Rat der Zehn angeklagt, der ihn acht Monate darauf infolge einer gründlichen Untersuchung mit Stimmeneinheit für unschuldig erklärte. Allein trotz dieser glänzenden Genugtuung kam sein Bruder doch nicht von seinen Vorurteilen zurück.

Der unschuldige Senator, durch einen ungerechten Bruder unterdrückt, der ihm die Hälfte seiner Einkünfte raubte, lebte als liebenswürdiger Philosoph im Schoße der Freundschaft. Er hatte zwei vertraute Freunde, eben jene, die jetzt bei ihm waren; der eine war aus der Familie Dandolo, der andere aus der Familie Barbaro, alle beide ehrenwert und liebenswürdig wie er. Herr Bragadino war schön, gelehrt, kurzweilig und hatte den sanftesten Charakter; er zählte siebenundfünfzig Jahre.

Der Arzt, der es unternommen hatte, ihn zu heilen, hieß Terro. Er bildete sich ein, ihn durch ein ganz besonderes Mittel retten zu können, indem er ihm auf der Brust eine Einreibung von Merkurialsalbe machte, und man ließ ihn gewähren. Die schnelle Wirkung dieses Heilmittels entsetzte mich, während sie die beiden Freunde entzückte, denn in weniger als vierundzwanzig Stunden fühlte sich der Kranke durch einen großen Blutandrang zum Kopfe gequält.

Der Arzt sagte, er wüßte, daß die Einreibung diese Wirkung hervorbringen müßte, allein am nächsten Tage würde sie vom Kopf aus auf die anderen Teile des Körpers wirken, die es nötig hätten, durch eine künstliche Herstellung des Gleichgewichts im Blutumlauf belebt zu werden.

Um Mitternacht war der Kranke ganz in Glut und in einer tödlichen Aufregung. Ich näherte mich ihm und sah, daß seine Augen schon brachen, während er kaum atmen konnte. Ich ließ die beiden Freunde aufstehen und erklärte ihnen, der Kranke würde sterben, wenn man ihn nicht sofort von der verhängnisvollen Salbe befreite. Ohne ihre Antwort abzuwerten, entblößte ich ihm die Brust und nahm das Pflaster fort; nachdem ich ihn sorgfältig mit lauem Wasser gewaschen hatte, sahen wir ihn in weniger als drei Minuten erleichtert atmen und in den sanftesten Schlaf versinken. Dann legten auch wir drei uns hocherfreut nieder; besonders ich fühlte mich sehr beglückt.

Der Arzt kam schon sehr früh und machte ein sehr vergnügtes Gesicht, als er seinen Kranken in einer so guten Verfassung sah, allein als Herr Dandolo ihm gesagt hatte, was man getan hatte, erzürnte er sich, sagte, damit bringe man einen Kranken ins Grab, und fragte, wer der Mensch wäre, der sich seine Kur zu zerstören erlaubt hätte. Herr von Bragadino nahm hierauf das Wort und sagte: »Doktor, der Mann, der mich von dem Quecksilber befreit hat, das mich erstickte, ist ein Arzt, der mehr weiß als Sie.« Bei diesen Worten zeigte er mit der Hand auf mich.

Ich weiß nicht, wer von uns beiden mehr überrascht war, der Doktor, da er einen jungen Menschen sah, den er nicht kannte und den er für einen Quacksalber halten mußte, obwohl man ihn für einen großen Gelehrten ausgab, oder ich, der sich in einen Arzt verwandelt sah, ohne daran zu denken, es zu sein. Ich verhielt mich, um nicht in lautes Lachen auszubrechen, in einem bescheidenen Schweigen, während der Arzt mich mit einer Art von Verwirrung, die mit Verachtung gemischt war, betrachtete und mich ohne Zweifel für einen frechen Betrüger hielt, der es gewagt hatte, ihn zu verdrängen. Schließlich wandte er sich zu dem Kranken und sagte ihm kalt, er räume mir den Platz. Er wurde beim Wort genommen. Er ging, und ich war also der Arzt eines der berühmtesten Mitglieder des Senates von Venedig geworden. Ich muß gestehen, im Grunde war ich davon entzückt, und ich sagte dem Kranken, er bedürfe nur der Diät, und die Natur werde, unterstützt durch die herannahende schöne Jahreszeit, alles übrige besorgen.

Der abgedankte Doktor erzählte die Geschichte in der ganzen Stadt, und als es dem Kranken besser und besser ging, sagte ihm einer seiner Verwandten, der ihn besuchte, alle Welt wäre überrascht, daß er zu seinem Arzt einen Fiedler des Theaterorchesters erwählt hatte. Allein Herr von Bragadino schloß ihm den Mund, indem er ihm sagte, ein Geigenspieler könne wohl ebensoviel wissen wie alle Ärzte Venedigs, und er verdanke es nur mir, daß er nicht erstickt sei.

Der hohe Herr hörte auf mich wie auf ein Orakel, und seine beiden erstaunten Freunde widmeten mir dieselbe Aufmerksamkeit. Diese Art von Eingenommenheit gab mir Mut. Ich sprach wie ein Gelehrter über Dogmen der Heilkunde und zitierte Autoren, die ich niemals gelesen hatte.

Herr von Bragadino, der mit Vorliebe sich mit abstrakten Wissenschaften befaßte, sagte mir eines Tages, er finde mich für einen jungen Menschen zu gelehrt; ich müsse daher über übernatürliche Gewalten verfügen. Er bat mich, ihm die Wahrheit zu sagen.

Wie merkwürdig wirken doch der Zufall und die Macht der Umstände! Um nicht seine Eitelkeit zu verletzen, indem ich ihm sagte, daß er sich täuschte, faßte ich den tollen Entschluß, ihm in Gegenwart seiner beiden Freunde die falsche und überspannte vertrauliche Mitteilung zu machen, ich besitze eine Zahlenberechnung, wodurch ich, indem ich eine Frage aufschreibe und in Zahlen setze, gleicherweise in Zahlen eine Antwort erhalte, die mich über alles unterrichte, was ich wissen wolle, und die kein Mensch auf der Welt mir hätte sagen können. Herr von Bragadino sagte mir, dies sei der Schlüssel Salomons, den das gemeine Volk die Kabbala nenne. Er fragte mich, von wem ich meine Wissenschaft gelernt hätte.

»Von einem alten Eremiten,« sagte ich ihm, »der auf dem Berge Carpegna wohnt und den ich zufällig kennenlernte, während ich bei der spanischen Armee Gefangener war.«

»Dieser Eremit«, sagte er zu mir, »hat ohne Ihr Wissen mit der Berechnung, die er Sie gelehrt, eine unsichtbare Einsicht vereint, denn die einfachen Zahlen können nicht die Fähigkeit des Denkens besitzen. Du hast,« fügte er bei, »einen wahren Schatz, und es steht nur bei dir, daraus den größten Vorteil zu ziehen.«

»Ich weiß nicht,« erwiderte ich, »wie ich diesen großen Vorteil aus meiner Wissenschaft ziehen könnte, denn die Antworten, die mir meine Berechnung gibt, sind manchmal so dunkel, daß ich ihrer höchst überdrüssig wurde und mich fast niemals mehr ihrer bediente. Indessen ist es doch wahr, daß ich niemals das Glück gehabt haben würde, Eure Exzellenz kennenzulernen, wenn ich nicht meine Pyramide gemacht hätte.«

»Wie das?«

»Am zweiten Tage der Feste in dem Hause Soranzo hatte ich Luft, mein Orakel zu fragen, ob ich auf dem Ball jemanden treffen würde, dessen Begegnung mir unangenehm sein könnte. Ich erhielt die Antwort: »Verlasse das Fest genau um sechs Uhr!« Das war eine Stunde vor Tagesanbruch. Ich entschloß mich zu gehorchen und traf Eure Exzellenz.«

Meine drei Zuhörer waren wie versteinert. Herr Dandolo bat mich dann, auf eine Frage zu erwidern, die er stellen wollte und deren Auslegung nur ihm möglich wäre, da die Sache auch nur ihm allein bekannt wäre.

»Gerne.« – Da ich mich einmal so unbesonnen eingelassen hatte, mußte ich frech sein. Er schrieb die Frage auf, gab sie mir, ich las sie und begriff nichts von der Sache und nichts vom Inhalte. Aber einerlei: antworten mußte ich. Wenn mir die Frage derart dunkel war, daß ich nichts begreifen konnte, so konnte ich natürlich auch von der Antwort nichts verstehen. Ich erwiderte also in gewöhnlichen Ziffern mit vier Versen, deren Dolmetsch nur er allein sein konnte, und zeigte mich hinsichtlich der Auslegung sehr gleichgültig. Herr Dandolo las sie, las sie wieder, zeigte sich überrascht und verstand alles. »Das ist göttlich, das ist einzig,« rief er, »das ist ein Schatz des Himmels. Die Zahlen sind nur das Werkzeug, aber die Antwort muß von einem unsterblichen Geist herrühren.«

Herr Dandolo war so befriedigt, daß auch seine beiden Freunde Lust bekommen mußten. Sie stellten mir Fragen über alles mögliche, und meine Antworten, von denen ich selber nichts verstand, erschienen ihnen alle göttlich. Ich beglückwünschte sie und mich selbst, etwas zu besitzen, worauf ich bisher kein Gewicht gelegt hätte, allein ich versprach ihnen, daß ich nicht verfehlen würde, es sorgfältig zu pflegen, da ich sähe, daß ich dadurch Ihren Exzellenzen nützlich sein könnte.

Alle drei zusammen fragten mich nun, binnen welcher Zeit ich sie die Regeln dieser erhabenen Berechnung lehren könnte. »In sehr kurzer Zeit, meine Herren,« antwortete ich ihnen, »und ich werde Ihrem Wunsche mich gerne gefällig erweisen, obwohl mir der Eremit versichert hat, daß ich drei Tage darauf, nachdem ich meine Wissenschaft irgendeinem mitgeteilt hätte, eines plötzlichen Todes sterben würde. Allein ich glaube keineswegs an diese Drohung.«

Herr von Bragadino, der mehr daran glaubte als ich, sagte mir mit sehr ernsthafter Miene, ich müßte daran glauben. Von diesem Augenblick an sprach keiner von ihnen mehr von dieser Sache. Sie dachten ohne Zweifel, wenn sie mich an sich fesseln könnten, so wäre dies dasselbe, als ob sie selber die Wissenschaft besäßen. Auf diese Art wurde ich der Hierophant dieser drei Männer, sehr ehrenwerter und unendlich liebenswürdiger Leute, die aber trotz ihren schönen wissenschaftlichen Kenntnissen keineswegs weise waren, da sie in die chimärischen geheimen Wissenschaften vernarrt waren und an die Existenz unmöglicher Dinge sowohl geistiger wie körperlicher Art glaubten. Sie schätzten sich durch mich im Besitz des Steines der Weisen, der Universalmedizin, des Verkehrs mit den Elementargeistern, mit allen himmlischen und höllischen Geistern. Endlich bezweifelten sie nicht, durch meine erhabene Wissenschaft der Geheimisse sämtlicher Kabinette Europas teilhaftig zu werden.

Nachdem sie sich von der Erhabenheit meiner kabbalistischen Wissenschaft durch Fragen über die Vergangenheit überzeugt hatten, schickten sie sich an, sich diese nützlich zu machen, indem sie sie über die Gegenwart und Zukunft befragten. Es war mir nicht schwierig zu erraten, da ich nur doppelsinnige Antworten gab, die ich mit Sorgfalt so zurecht richtete, daß sie nur nach dem Eintritt des Ereignisses ausgelegt werden konnten. So schlug meine Kabbala, wie die delphischen Orakel, niemals fehl. Ich erkannte, wie leicht es den alten heidnischen Priestern gewesen sein mußte, die unwissende und daher leichtgläubige Welt zu betrügen. Ich sah, wie bequem es immer den Betrügern geworden war, Leute zu täuschen, und ich fühlte besser als der römische Redner, wie zwei Auguren sich anblicken konnten, ohne zu lachen: weil alle beide ein gleiches Interesse daran hatten, der Täuschung, die sie ausübten und aus der sie ungeheuren Gewinn zogen, große Wichtigkeit beizulegen. Was ich nicht begriff und ohne Zweifel niemals begreifen werde, ist, daß die christlichen Kirchenväter, die nicht einfältig und unwissend waren wie unsere Evangelisten, geglaubt haben, die Göttlichkeit der Orakel nicht leugnen zu dürfen, und daß sie, um sich aus der Verlegenheit zu ziehen, diese dem Teufel zugeschrieben haben. Sie würden diese bizarre Idee nicht gehabt haben, hätten sie die Kabbala zu stellen gewußt. Meine drei Freunde schienen den Kirchenvätern zu ähneln. Sie waren Leute von Geist, jedoch abergläubisch und durchaus keine Philosophen. Indessen waren sie doch, indem sie meinen Orakelsprüchen vollen Glauben beimaßen, viel zu gut, um sie für das Werk des Teufels zu halten, und die Güte ihrer Herzen behalf sich damit, meine Antworten lieber für die Eingebungen eines Engels zu halten.

Die drei hohen Herren waren nicht allein gute Christen und ihrer Religion getreu, sondern sogar fromm und gewissenhaft. Sie waren nicht verheiratet und, nachdem sie auf die Frauen verzichtet hatten, waren sie deren Feinde geworden, was vielleicht für ihre Geistesschwäche spricht. Sie hatten sich eingebildet, dies sei die conditio sine qua non, die die Geister von denen verlangten, die mit ihnen Verbindung oder einen vertrauten Verkehr haben wollten. Das eine schließe das andere aus.

Bei allen diesen Verschrobenheiten waren, was mir am Beginn unserer Bekanntschaft unerklärlich erschien, die drei vornehmen Herren, wie ich bereits gesagt habe, im Grunde kluge Leute. Aber der voreingenommene Geist urteilt schlecht, und bei jeder Sache handelt es sich vor allem darum, gut zu urteilen. Ich lachte oft bei mir selber, wenn ich sie von ihrer Religion sprechen hörte. Sie machten sich über jene lustig, deren geistige Fähigkeiten derart beschränkt waren, daß sie ihre Geheimnisse nicht begriffen. Die Fleischwerdung des Wortes war für Gott eine Kleinigkeit und folglich sehr begreiflich, und die Auferstehung war eine so geringfügige Sache, daß sie ihnen nicht wunderbar erschien, denn da Gott nicht tot sein konnte, mußte Jesus Christus natürlich auferstehen. Was die Eucharistie anbelangte, die wahre Gegenwart bei der Transsubstantiation, so war das für sie eine greifbare Augenscheinlichkeit, und doch waren sie keine Jesuiten. Sie gingen alle Woche zur Beichte, ohne ihren Beichtvätern gegenüber in Verlegenheit zu geraten, da sie deren Unwissenheit wohlwollend beklagten. Sie glaubten sich nur verpflichtet, ihnen über das Rechenschaft zu geben, was sie für eine Sünde hielten, und darin urteilten sie sehr richtig.

Mit diesen drei Originalen, die – ganz abgesehen von der zufälligen Vornehmheit ihrer Geburt – durch ihre moralischen Eigenschaften und ihre Rechtschaffenheit ebenso wie durch ihren Einfluß und ihr Alter ehrwürdig waren, verbrachte ich sehr angenehme Tage, obwohl sie mich in ihrem Wissensdurst oft zehn Stunden täglich zu einer eifrigen Arbeit anhielten, bei der wir alle vier eingeschlossen und für alle Welt unzugänglich waren.

Schließlich gewann ich sie zu vertrauten Freunden, indem ich ihnen alles erzählte, was mir bis dahin zugestoßen war, nicht ohne mir anstandshalber einige Zurückhaltung aufzuerlegen, um sie nicht Todsünden begehen zu lassen. Ich verhehle mir nicht, daß ich sie ebenso hintergangen habe, wie der Pope Deldimopulo die Griechen betrog, die von ihm die Orakelsprüche seiner Jungfrau verlangten. Ich habe gegen sie nicht ganz im Sinne eines rechtschaffenen Mannes gehandelt, aber wenn der Leser, dem ich beichte, die Welt und ihren Geist erkannt hat, so möge er überlegen, bevor er mich richtet, und vielleicht wird er mir nicht einige Nachsicht versagen.

Man wird mir sagen, wenn ich mich streng an die reinste Moral hätte halten wollen, so hätte ich mich nicht ihnen anschließen oder ihnen den Irrtum benehmen sollen. Ich will das keineswegs leugnen, allein ich werde erwidern, daß ich zwanzig Jahre alt war, einen klugen Kopf hatte und zuletzt Geigenkratzer mit einem Taler täglich gewesen war. Endlich würde ich vergebens ihre Heilung versucht haben; es wäre mir nicht geglückt, denn sie hätten mir ins Gesicht gelacht, würden meine Unwissenheit beklagt und obendrein mich hinausgeworfen haben. Ich verspürte übrigens nicht den Beruf, mich als Apostel darzustellen, und wenn ich den heroischen Entschluß gefaßt hätte, sie zu verlassen, sobald ich sie als Visionäre erkannt, so würde ich mich als Menschenfeind bewiesen haben, als einen Feind dieser wackeren Herren, denen ich unschuldige Genüsse verschaffte, und meiner selbst, der als junger Mensch gerne gut leben und alle Vergnügungen genießen wollte, die man mit zwanzig Jahren und einer guten Gesundheit sich verschaffen kann. Ich wäre unhöflich gewesen, ich hätte vielleicht Herrn Bragadinos Tod verschuldet und hätte die drei ehrenwerten Männer der Gefahr ausgesetzt, das Opfer des ersten besten Spitzbuben zu werden, der sich, durch ihre Manie begünstigt, bei ihnen hätte einführen können und sie ruiniert haben würde, indem er sie zur chemischen Operation des großen Werkes überredet hätte. Es war auch noch ein anderer Grund vorhanden, mein lieber Leser, und da du mir teuer bist, so will ich dir ihn sagen: Schon mein unüberwindliches Selbstgefühl würde mich verhindert haben, mich ihrer Freundschaft durch Unwissenheit oder Stolz für unwürdig zu erklären, und ich würde ihnen augenscheinliche Beweise meiner Unhöflichkeit gegeben haben, indem ich aufgehört hätte, mit ihnen zu verkehren.

Ich faßte, wie mir scheint, den schönsten, edelsten und natürlichsten Entschluß, der ihrer Geistesanlage angemessen war, nämlich den, mich in den Stand zu setzen, daß es mir nicht mehr an dem Nötigsten fehlte. Und was dieses Nötigste war, wer hätte das besser beurteilen können als ich?

Durch die Freundschaft dieser drei Männer sicherte ich mir in meiner Vaterstadt Achtung und Einfluß. Ich mußte überdies ein sehr schmeichelhaftes Vergnügen darin finden, der Gegenstand der Unterhaltungen und der Spekulationen der müßigen Hohlköpfe zu werden, die die Ursachen aller moralischen Erscheinungen erraten wollen, die sie sehen und über die sie keine Rechenschaft ablegen können.

Man zerbrach sich in Venedig den Kopf, weil man nicht begreifen konnte, wie meine Verbindung mit drei Männern von diesem Charakter möglich war, sie ganz Himmel und ich ganz Welt, sie sehr streng in ihren Sitten und ich allen Vergnügungen hingegeben.

Zu Beginn des Sommers war Herr von Bragadino wieder in der Verfassung, im Senat zu erscheinen, und am Tage vor seinem ersten Ausgang hielt er folgende Ansprache an mich:

»Wer du auch seist, ich verdanke dir mein Leben. Deine Beschützer, die dich zum Priester, Doktor, Advokaten, Soldaten und schließlich zum Geigenspieler machen wollten, waren lauter Dummköpfe, die dich nicht kannten. Gott hat deinem Engel befohlen, dich in meine Arme zu führen. Ich habe dich erkannt, ich weiß dich zu schätzen. Wenn du mein Sohn sein willst, hast du mich nur als Vater anzuerkennen, und künftighin werde ich dich bis zu meinem Tode in meinem Hause als solchen behandeln. Deine Wohnung steht bereit, lasse deine Sachen hinschaffen; du wirst einen Diener, eine freie Gondel, meinen Tisch und monatlich zehn Zechinen haben. In deinem Alter erhielt ich von meinem Vater kein größeres Taschengeld. Es ist nicht notwendig, daß du dich mit der Zukunft beschäftigst; denke daran, dich zu erhalten, und nimm mich zu deinem Ratgeber bei allem, was dir begegnen könnte oder was du unternehmen willst, und sei sicher, in mir immer deinen Freund zu finden.«

Ich warf mich zu seinen Füßen, um ihn meiner Dankbarkeit zu versichern, und ich umarmte ihn, indem ich ihm den süßen Vaternamen gab. Er schloß mich in seine Arme und nannte mich seinen teueren Sohn. Ich versprach ihm Gehorsam und Liebe. Darauf umarmten mich seine beiden Freunde, die bei ihm im Palazzo wohnten, und wir schwuren uns eine ewige Bruderschaft.

Das, mein teuerer Leser, ist die Geschichte meiner Metamorphose und des glücklichen Ereignisses, das mich aus dem niederen Gewerbe eines Fiedlers um Tagelohn zum Range eines großen Herrn erhob.

Siebzehntes Kapitel


Unordentlicher Lebenswandel. – Zawoisti. – Rinaldi. – L’Abbadie. – Die junge Gräfin. – Steffani wird Kapuziner. – Ancilla. – Die Ramon. – Ich steige in San Giobbe in eine Gondel, um nach Mestre zu fahren.

Das Glück schien sich darin zu gefallen, mir eine Probe seiner despotischen Laune zu geben, da es mich auf einem der Weisheit unbekannten Wege glücklich machte; es besaß nicht die Macht, mich ein System der Mäßigung und Klugheit befolgen zu lassen, das meine Zukunft hätte sicher begründen können.

Mein feuriger Charakter, meine unwiderstehliche Neigung zum Vergnügen und meine unbesiegbare Unabhängigkeitsliebe erlaubten mir nicht, mir die Mäßigung aufzuerlegen, zu der meine neue Lage mir zu raten schien. Ich begann daher ohne Rücksicht auf alles, was meine Neigungen hätte beschränken können, zu leben, und glaubte mich über alle Vorurteile schwingen zu können, wenn ich nur die Gesetze achtete. Ich glaubte in einem Lande, das einer durch und durch aristokratischen Regierung unterwarfen war, vollkommen frei leben zu können; aber ich würde mich getäuscht haben, selbst wenn das Glück mich zum Regierungsmitglied gemacht hätte; denn die Republik Venedig, die als erste Pflicht ihre Selbsterhaltung ansieht, findet sich so selbst als Sklavin der gebieterischen Staatsräson. Sie muß, wenn nötig, alles dieser Pflicht opfern, der gegenüber selbst die Gesetze nicht mehr unverletzlich sind.

Aber verlassen wir dieses bereits allzubekannte Thema; denn das menschliche Geschlecht ist wenigstens in Europa überzeugt, daß eine grenzenlose Freiheit nirgends mit dem gesellschaftlichen Zustande vereinbar ist. Ich streife diesen Stoff nur, um dem Leser einen Begriff von meiner Aufführung in meinem Vaterlande zu geben, in welchem ich in diesem Jahre einen Weg zu betreten begann, der mich in ein Staatsgefängnis führen sollte, das eben durch seine Ungesetzlichkeit von der Außenwelt undurchdringlich abgeschlossen war.

Ich war hinlänglich reich, von der Natur mit einem angenehmen und stattlichen Äußern begünstigt, ein kühner Spieler, ein unverbesserlicher Verschwender, redselig, immer scharf in meinem Witz, nichts weniger als bescheiden, furchtlos, stellte den hübschen Weibern nach, schlug die Nebenbuhler aus dem Felde, erkannte nur eine Gesellschaft, die mich unterhielt, als gute an, und so konnte ich nur gehaßt sein; da ich aber stets bereit war, mit meiner Person einzustehen, so glaubte ich, es sei mir alles erlaubt, denn dem Mißbrauch, der mich behinderte, glaubte ich schroff gegenübertreten zu müssen.

Eine solche Aufführung konnte den drei Ehrenmännern, deren Orakel ich geworden war, nur mißfallen; aber sie wagten es nicht mir dies zu sagen. Der gute Herr von Bragadino begnügte sich, mir anzudeuten, daß ich ihm das tolle Leben, das er selber in meinem Alter geführt hätte, wieder vor Augen führte, allein ich sollte mich darauf vorbereiten, dafür zu büßen und mich bestraft zu sehen, wenn ich sein Alter erreicht hätte. Ohne die Achtung zu verletzen, die ich ihm schuldete, gab ich seinen fürchterlichen Prophezeiungen eine scherzhafte Wendung und ging meinen Weg. Doch gab er mir auch Proben von seiner wahren Weisheit; die erste bei folgender Gelegenheit:

Ich hatte bei Frau Avogadro, einer geistreichen und trotz ihren sechzig Jahren sehr liebenswürdigen Frau, die Bekanntschaft eines jungen polnischen Edelmannes, namens Zawoiski, gemacht. Er erwartete Geld aus seiner Heimat; aber während er wartete, verschafften die Venezianerinnen ihm solches zur Genüge, da seine hübsche Figur und seine polnischen Manieren sie entzückten. Wir wurden gute Freunde, und ich öffnete ihm meine Börse; aber zwanzig Jahre später in München öffnete er mir die seinige noch freigebiger. Er war ein Ehrenmann, der nur geringe Geistesgaben, aber für sein Wohlbefinden immerhin genug besaß. Er ist vor fünf oder sechs Jahren in Dresden als Geschäftsträger des Kurfürsten von Trier gestorben. Ich werde an der gehörigen Stelle darüber sprechen.

Dieser liebenswürdige junge Mensch, den alle Welt gern hatte, und den man für einen Freigeist hielt, da er die Herren Angelo Querini und Lunardo Veniero besuchte, machte mich auf dem Spaziergang im Garten der Zueeca mit einer fremden Gräfin bekannt, die mir gefiel. Wir machten ihr am Abend unseren Besuch, und nachdem sie mich ihrem Gatten, dem Grafen Rinaldi, vorgestellt hatte, lud sie uns zum Abendessen ein.

Der Gemahl hielt eine Pharaobank; ich spielte mit seiner Frau halbpart gegen ihn und gewann einige fünfzig Dukaten.

Entzückt über diese schöne Bekanntschaft besuchte ich sie am nächsten Morgen ganz allein. Nachdem sich der Graf entschuldigt hatte, daß seine Frau noch nicht aufgestanden wäre, ließ er mich eintreten. Sie empfing mich auf die ungezwungenste Art, ich blieb mit ihr allein, und sie besaß die Kunst, mich, ohne sich bloßzustellen, alles erhoffen zu lassen; als sie mich im Begriff sah fortzugehen, lud sie mich zum Abendessen ein. Ich willigte ein; indem ich wie am Vorabend mit ihr halbpart spielte, gewann ich abermals. Als ich ging, war ich völlig verliebt. Natürlich besuchte ich sie am nächsten Morgen in der Hoffnung, sie gefügig oder wenigstens gefällig zu finden; aber als ich mich anmeldete, sagte man mir, sie sei ausgegangen.

Ich beeilte mich, am Abend wieder hinzugehen; nach tausend Entschuldigungen wurde Bank gehalten, und ich verlor alles, was ich mit ihr zur Hälfte gewonnenn hatte. Wir speisten zu Abend, und als sich nach dem Essen die Fremden entfernt hatten, blieb ich mit Zawoiski zurück, weil Graf Rinaldi uns Revanche geben wollte. Da ich kein Geld mehr hatte, so spielte ich auf Wort; als jedoch der Graf sah, daß ich ihm fünfhundert Zechinen schuldete, legte er die Karten nieder. Ich entfernte mich sehr traurig. Die Ehre verpflichtete mich, am nächsten Tage zu zahlen, und ich hatte keinen Soldo. Die Liebe erhöhte meine Verzweiflung, denn ich sah mich in Gefahr, in den Augen einer Frau, in die ich verliebt war, eine klägliche Figur zu spielen; die Unruhe wegen dieser Lage malte sich auf meinen Zügen und entging am nächsten Tage Herrn von Bragadino nicht. Er fühlte mir freundschaftlich auf den Zahn und ermutigte mich, ihm mich anzuvertrauen. Ich fühlte, daß ich nichts Besseres tun könnte, erzählte ihm unbefangen die ganze Geschichte und schloß damit, daß ich mich für entehrt hielte und daß ich daran sterben würde. Er tröstete mich mit den Worten, er werde meine Schuld im Laufe des Tages zahlen, wenn ich ihm versprechen wolle, niemals wieder auf Wort zu spielen. Ich leistete ihm den Schwur, indem ich ihm die Hand küßte, und ging, einer ungeheuren Last ledig, spazieren. Ich war gewiß, daß mein würdiger Vater mir im Laufe des Tages fünfhundert Dukaten geben würde, und schon im voraus freute mich die Ehre, die meine Pünktlichkeit mir bei der reizenden Gräfin einlegen würde. Das richtete meine Hoffnungen wieder auf und hinderte mich, eine so große Summe zu beklagen; aber durchdrungen von der außerordentlichen Großmut meines Wohltäters, fühlte ich mich fest entschlossen, ihm Wort zu halten.

Ich aß sehr vergnügt mit den drei Freunden, ohne daß ein Wort über den Vorgang gefallen wäre. Einen Augenblick nachdem wir uns von der Tafel erhoben hatten, übergab ein Bedienter Herrn Bragadino einen Brief und ein Päckchen. Nachdem mein Vater den Brief gelesen und den Diener fortgeschickt hatte, bat er mich, ihm in sein Kabinett zu folgen, und sobald wir darin waren, sagte er: »Hier, ein Paket, das dir gehört.« Ich öffne es und finde einige vierzig Zechinen. Als mich Herr von Bragadino überrascht sah, begann er zu lachen und übergab mir den Brief, der folgende Worte enthielt: »Herr von Casanova kann überzeugt sein, daß unser Spiel in der vergangenen Nacht nur ein Scherz gewesen ist; er ist mir nichts schuldig. Meine Frau schickt ihm die Hälfte des Goldes, das er bar verloren hat. Graf Rinaldi.«

Erstaunt blicke ich Herrn von Bragadino an; der lacht aus vollem Halse. Ich errate alles, danke ihm, umarme ihn zärtlich und schwöre ihm, in Zukunft verständiger zu sein. Die Binde, die meine Augen bedeckte, zerreißt, ich fühle mich von meiner Liebe geheilt und ganz beschämt, doppelt, vom Manne wie von der Frau, betrogen worden zu sein.

»Heute abend«, sagt mir mein weiser Arzt, »wirst du sehr vergnügt mit deiner reizenden Gräfin speisen.«

»Heute abend, mein würdiger Wohltäter, werde ich mit Ihnen speisen. Sie haben mir als Großmeister eine Lehre gegeben.«

»Das nächstemal, wenn du auf Ehrenwort verlierst, wirst du gut tun, nichts zu bezahlen.«

»Ich würde mich entehren.«

»Gleichviel; je mehr du dich beeilst, dich zu entehren, desto mehr wirst du dabei ersparen, denn du wirst ohnehin genötigt sein, dich zu entehren, sobald du dich völlig außerstande befindest zu bezahlen. Es ist daher viel klüger, diesen fatalen Augenblick nicht abzuwarten.«

»Aber es ist noch viel hesser, ihm auszuweichen, indem man nur mit barem Gelde spielt.«

»Ohne Zweifel, denn dadurch würdest du zugleich Ehre und Geld retten. Aber da du die Hazardspiele liebst, so rate ich dir niemals zu pointieren. Zieh selbst ab, und du wirst im Vorteil sein.«

»Ja, aber nur in einem kleinen.«

»Klein, das geb‘ ich gerne zu; aber du wirst ihn haben, und du wirst sehen, daß zwischen Verlust und Gewinn am Ende der Rechnung ein ungeheurer Unterschied ist. Der Pointeur ist verrückt, der Bankier verständig. Dieser letztere sagt: >Ich wette, daß du nicht errätst,< der erstere sagt: >Ich wette, daß ich errate.< Welcher ist der Narr? Welcher der Vernünftige?«

»Die Antwort ist leicht.«

»Um Gottes willen sei vernünftig; solltest du aber beim Pointieren gewinnen, so erinnere dich, daß du nur ein Dummkopf bist, wenn du schließlich verlierst.«

»Wieso ein Dummkopf? Das Glück ist veränderlich.«

»Und es muß nach der Natur der Sache veränderlich sein, wenn nicht aus anderen Gründen. Glaube mir, höre auf zu spielen, sobald du das Glück sich ändern siehst, und solltest du auch nur einen Deut gewonnen haben.«

Ich hatte Plato gelesen, und ich verwunderte mich, einen Mann zu finden, der weise wie Sokrates sprach.

Am nächsten Tage besuchte mich Zawoiski in aller Frühe, um mir zu sagen, man habe mich zum Souper erwartet und habe meine Pünktlichkeit in der Bezahlung von Ehrenschulden gerühmt. Ich glaubte nicht nötig zu haben, ihm seinen Irrtum zu benehmen, aber ich ging nicht mehr zu dem Grafen Rinaldi, den ich erst sechzehn Jahre später in Mailand wiedergesehen habe. Zawoiski hat die Geschichte erst vierzig Iahre später in Karlsbad erfahren, wo ich ihn taub wiederfand.

Drei oder vier Monate darauf gab mir Herr von Bragadino eine andere, noch stärkere Lektion. Zawoiski hatte mich mit einem Franzosen, namens L’Abbadie, bekannt gemacht, der bei der Regierung sich um die Stelle eines Inspektors aller Landtruppen der Republik bewarb. Seine Ernennung hing vom Senate ab, und ich stellte ihn meinem Beschützer vor, der ihm seine Stimme versprach; aber ein Zwischenfall, den ich erzählen will, verhinderte ihn, sein Versprechen zu halten.

Da ich hundert Zechinen brauchte, um Schulden zu zahlen, bat ich ihn eines Tages, sie mir geben zu wollen.

»Warum, mein Lieber, erbittest du diese Gefälligkeit nicht von Herrn L’Abbadie?«

»Ich wage es nicht, Vater!«

»Wage es; ich bin sicher, daß er dir diese Summe gern vorstrecken wird.«

»Ich zweifle stark daran, aher ich will es versuchen.«

Ich ging am nächsten Tage zu ihm, und nach einer kurzen höflichen Einleitung bat ich ihn um den Dienst, den ich von ihm erwartete. Er entschuldigte sich mit vieler Artigkeit und begründete seine Weigerung mit einem Wortschwall jener tausend Gemeinplätze, die man stets zu wiederholen pflegt, wenn man einen Dienst nicht leisten kann oder will. Da Zawoiski hinzukam, grüßte ich und ging. Schnell eilte ich zu meinem Beschützer, um ihn von meinem fruchtlosen Schritt in Kenntnis zu setzen Er sagte mir lachend, der Franzose habe wenig Verstand.

Gerade an diesem Tage sollte der Beschluß seiner Ernennung im Senate verhandelt werden. Ich verließ den Palazzo, um meinen Geschäften, das heißt meinen Vergnügungen nachzugehen, und da ich erst nach Mitternacht nach Hause kam, legte ich mich zu Bett, ohne meinen Vater zu sehen. Am nächsten Tage wünschte ich ihm einen guten Morgen und sagte ihm, ich wolle dem neuen Inspektor meinen Glückwunsch darbringen.

»Erspare dir diese Mühe, mein Freund; der Senat hat den Antrag verworfen.«

»Wie kommt das? Vor drei Tagen war L’Abbadie von dem Gegenteil überzeugt.«

»Er täuschte sich nicht, denn der Beschluß würde zu seinen Gunsten ausgefallen sein, hätte ich nicht dagegen gesprochen. Ich habe dem Senat bewiesen, daß eine gesunde Politik uns nicht gestatten dürfte, diesen wichtigen Posten einem Ausländer anzuvertrauen.«

»Ich bin ganz überrascht, denn Eure Exzellenz dachten vorgestern nicht so.«

»Das ist wahr, aber damals kannte ich ihn nicht recht. Ich bemerkte gestern, daß dieser Mensch nicht genug Verstand für das Amt hat, das er anstrebte. Kann er dir wirklich hundert Zechinen verweigern, wenn er gescheit ist? Durch diese Weigerung hat er ein hohes Amt verloren und ein Einkommen von dreitausend Talern, in deren Besitz er jetzt sein würde.«

Ich ging aus und traf Zawoiski mit L’Abbadie, dem ich keineswegs auszuweichen suchte. Der letztere war wütend, und man konnte es allerdings schon aus geringerem Anlaß sein.

»Wenn Sie mir angedeutet hätten,« sagte er mir, »daß die hundert Zechinen dazu gedient haben würden, Herrn von Bragadino den Mund zu stopfen, so würde ich schon das Mittel gefunden haben, sie Ihnen zu verschaffen.«

»Wenn Sie den Kopf eines Inspektors gehabt hätten, so würden Sie das wohl leicht erraten haben.«

Dieser Herr war mir mit seinem Ärger sehr nützlich; er erzählte die Geschichte jedem, der sie hören wollte, und seitdem wandten sich alle, die die Stimme meines Beschützers brauchten, an mich. Ich will darüber nichts sagen; das war vorher so und wird noch lange so sein, denn um die größte Gunst zu erlangen, braucht man nur den Günstling eines Ministers oder oft nur seinen Kammerdiener für sich zu gewinnen. Bald waren meine Schulden bezahlt.

In jener Zeit kam mein Bruder Giovanni nach Venedig mit dem getauften Juden Guarienti, dem großen Bilderkenner, der auf Kosten Seiner Majestät des Königs von Polen, Kurfürsten von Sachsen, reiste. Dieser frühere Jude hatte dem Monarchen die Erwerbung der Galerie des Herzogs von Modena für hunderttausend Zechinen vermittelt. Sie gingen zusammen nach Rom, wo mein Bruder in der Schule des berühmten Raphael Mengs blieb. Ich werde später von ihm sprechen.

Als getreuer Geschichtsschreiber bin ich jetzt meinen Lesern die Nachricht eines Ereignisses schuldig, von dem die Ehre und das Glück einer der liebenswürdigsten Frauen Italiens anhingen; sie wäre unglücklich geworden, wenn ich nicht ein leichtsinniger Windbeutel gewesen wäre.

Eines Tages zu Anfang des Monats Oktober 1746 ging ich maskiert spazieren, da die Theater geöffnet waren. Plötzlich bemerkte ich wenige Schritte vor dem Römischen Tor eine Frauengestalt, die, von der Kapuze ihres Mantels verhüllt, aus dem eben landenden Marktschiff von Ferrara ausstieg. Da ich sah, daß sie allein war und offenbar nicht Bescheid wußte, fühlte ich mich wie durch eine geheime Macht zu ihr hingetrieben. Ich nähere mich und biete ihr meine Dienste an, wenn sie in der Lage sei, diese zu benötigen.

Sie erwiderte mir mit schüchterner Stimme, sie habe einige Erkundigungen einzuziehen.

»Wir sind hier an keinem passenden Ort,« sage ich ihr, »aber haben Sie die Güte, mir in eine Weinstube zu folgen, wo Sie frei mit mir werden sprechen können.«

Sie zögert, ich bestehe auf meiner Einladung, und sie gibt nach. Die Schenke ist keine zwanzig Schritte entfernt, wir treten ein und sind uns allein gegenüber. Ich demaskiere mich, und die Höflichkeit verpflichtet sie, ihre Kapuze herabzuziehen. Eine große Tüllhaube verbirgt die Hälfte ihres Gesichtes; aber ihre Augen, ihre Nase und ihr hübscher Mund genügen mir, um in ihren Zügen Schönheit, Adel, Schmerz und jene Unschuld der Tugend zu erkennen, die der Jugend einen unbeschreibbaren Reiz verleiht. Ich brauche nicht zu sagen, daß dieser Empfehlungsbrief ihr sofort meine vollste Teilnahme sicherte. Nachdem sie einige Tränen getrocknet hatte, die sich wie unwillkürlich Bahn brachen, sagte sie mir, sie sei ein junges Mädchen von Adel und dem väterlichen Hause allein, unter dem Schutze Gottes, entflohen, um einen Venezianer aufzusuchen, der sie verführt und betrogen habe, um sie für ihre übrige Lebenszeit unglücklich zu machen.

»Sie haben also einige Hoffnung, ihn zu seiner Pflicht zurückzuführen? Ich denke mir, er hat Ihnen seine Hand versprochen.«

»Er hat mir ein schriftliches Versprechen gegeben. Ich bitte Sie um die einzige Gunst, mich zu ihm zu führen, mich dort allein zu lassen und verschwiegen zu sein.«

»Zählen Sie, meine Gnädige, auf die Gefühle eines Ehrenmannes. Ich bin einer; vertrauen Sie sich mir an, denn ich interessiere mich schon für alles, was Sie angeht. Sagen Sie mir seinen Namen.« »Ach, mein Herr, ich liefere mich meinem Schicksal aus.«

Mit diesen Worten zieht sie aus ihrem Busen ein Papier, das sie mir übergibt Ich erkannte die Schrift Zanetto Steffanis. Es war ein Heiratsversprechen, wodurch er sein Wort gab, binnen acht Tagen die junge Gräfin A. S. in Venedig zu heiraten. Nachdem ich es gelesen hatte, gab ich es ihr mit den Worten zurück, daß ich den Schreiber genau kenne; er sei bei der Cancelleria angestellt, ein großer Wüstling, mit Schulden beladen, werde aber nach dem Tode seiner Mutter reich sein.

»Bitte, bitte, führen Sie mich zu ihm.«

»Ich werde tun, Fräulein, was Sie mir befehlen; aber haben Sie volles Vertrauen zu mir und hören Sie mich, bitte, an. Ich rate Ihnen, nicht zu ihm zu gehen. Er hat Ihnen schon eine große Beleidigung zugefügt und wenn Sie ihn auch wirklich zu Hause antreffen würden, so wäre es leicht möglich, daß er sich soweit erniedrigte, Sie schlecht zu empfangen; ist er nicht zu Hause, so werden Sie wahrscheinlich von seiner Mutter unfreundlich aufgenommen werden, wenn Sie sich zu erkennen geben. Vertrauen Sie sich mir an und glauben Sie, daß Gott mich auf Ihren Weg verschlagen hat, um Ihnen als Beschützer zu dienen. Ich verspreche Ihnen, daß Sie spätestens morgen erfahren werden, ob Steffani in Venedig ist, was er mit Ihnen zu tun gedenkt und was man von ihm durch Zwang erreichen kann. Einstweilen aber ist mein Rat, lassen Sie den jungen Mann nicht erfahren, daß Sie in Venedig sind.«

»Großer Gott! Wohin soll ich aber diese Nacht gehen?«

»In ein ehrbares Haus.«

»Zu Ihnen, wenn Sie verheiratet sind.«

»Ich bin Junggeselle.«

Ich kannte eine ehrbare Witwe, die in einer stillen Gasse wohnte und zwei Zimmer zu vermieten hatte. Ich überredete das Mädchen, sich meiner Führung anzuvertrauen. Wir stiegen in eine Gondel und fuhren ab. Unterwegs sagte sie mir, Steffani hätte sich vor einem Monat in ihrem Wohnorte aufgehalten, um seinen Wagen ausbessern zu lassen und an demselben Tage noch hätte er ihre Bekanntschaft in einem Hause gemacht, wohin sie mit ihrer Mutter gegangen wäre, um einer Jungvermählten zu gratulieren.

»Ich war so unglücklich,« sagte sie, »ihm Liebe einzuflößen, und er dachte nicht mehr ans Abreisen. Er blieb einen Monat in C. und ging nur am Abend aus. Er verbrachte alle Nächte unter meinem Fenster, um sich mit mir zu unterhalten. Tausendmal schwur er, daß er mich anbete und daß seine Absichten rein seien. Ich sagte ihm, er solle sich meinen Eltern vorstellen und um meine Hand anhalten; aber er schützte gute oder schlechte Gründe vor, indem er mir versicherte, er könnte sich nur dann glücklich fühlen, wenn ich ihm volles Vertrauen entgegenbrächte. Ich sollte mich entschließen, ohne Wissen eines Menschen mit ihm abzureisen, und er versicherte mir, daß meine Ehre dabei nicht leiden würde, da drei Tage nach meiner Flucht die ganze Stadt erfahren würde, daß ich seine Frau wäre; er versprach mir, mich öffentlich als solche wieder zurückzuführen. Ach, was soll ich Ihnen sagen, mein Herr? Die Liebe machte mich blind; ich stürzte in den Abgrund; ich glaubte ihm und willigte in alles ein. Er übergab mir die Schrift, die Sie gelesen haben, und in der folgenden Nacht gestattete ich ihm, durch das Fenster, an dem wir uns sprachen, in mein Zimmer zu kommen. Ich willigte in ein Verbrechen, das in drei Tagen getilgt werden sollte, und er verließ mich mit dem Schwure, in der folgenden Nacht wieder unter dasselbe Fenster zu kommen, um mich in seine Arme zu nehmen. Konnte ich wohl nach dem ungeheuren Fehltritte, den ich soeben begangen hatte, daran zweifeln? Ich schnürte mein Bündel, und in der folgenden Nacht erwartete ich ihn, aber vergeblich. Welch grausame Nacht! Am nächsten Morgen erfuhr ich, daß das Ungeheuer mit seinem Bedienten abgereist sei – eine Stunde nachdem er mich geschändet hatte! Stellen Sie sich meine Verzweiflung vor. Ich faßte den Entschluß, den diese mir eingab, und der natürlich nur böse sein konnte. Eine Stunde vor Mitternacht verließ ich allein das väterliche Dach, um mich vollends zu entehren, aber ich war entschlossen, zu sterben, wenn der grausame Mann, der mir das Teuerste geraubt hatte und den hier zu finden eine Ahnung mich hoffen ließ, mir nicht ein Gut zurückgäbe, das er allein ersetzen konnte. Ich bin die ganze Nacht und beinahe den ganzen folgenden Tag zu Fuß gegangen, ohne irgendwelche Nahrung zu mir zu nehmen, bis ich das Marktschiff bestieg, das mich in vierundzwanzig Stunden hierher brachte. In der Barke waren fünf Männer und zwei Frauen, aber niemand hat mein Gesicht gesehen noch den Klang meiner Stimme gehört. Ich bin beständig mit gesenktem Kopf in halber Betäubung dagesessen, und in den Händen hielt ich immer dieses Gebetbuch. Man ließ mich in Ruhe, niemand richtete ein Wort an mich und ich habe dafür Gott gedankt. Als ich kaum den Kai betreten hatte, haben Sie mir keine Zeit gelassen, um nachzudenken, wie ich zu dem treulosen Verführer kommen könnte. Aber Sie können sich den Eindruck vorstellen, den die Erscheinung eines maskierten Mannes auf mich machen mußte, der mir, wie wenn die Vorsehung dabei ihr Spiel hätte, sofort seine Dienste anbot. Es hat mir geschienen, als ob Sie meine Not errieten, und weit entfernt, irgendeinen Widerwillen zu empfinden, war ich geneigt, auf Ihr Anerbieten einzugehen, indem ich mich Ihnen anvertraute, obgleich Vorsicht mich gegen Ihre Sprache und die Einladung, allein mit Ihnen in das Weinhaus zu treten, hätte taub machen sollen. Jetzt wissen Sie alles, mein Herr, aber ich bitte Sie, mich nicht zu streng zu beurteilen. Ich war mein ganzes Leben ehrbar; vor einem Monat noch brauchte ich über keinen Fehltritt zu erröten, und die grausamen Tränen, die ich nun jeden Tag vergieße, werden mir dazu dienen, meinen Flecken vor Gott auszulöschen. Ich habe eine sorgsame Erziehung genossen, aber Liebe und Mangel an Erfahrung haben mich in den Abgrund gestürzt. Ich bin in Ihren Händen, und ich glaube nicht, daß ich jemals werde zu bereuen haben, mich Ihnen anvertraut zu haben.«

Ihre lange Erzählung diente dazu, mich in dem Interesse, das sie mir bereits eingeflößt hatte, zu bestärken. Ich sagte ihr grausamerweise, daß Steffani sie mit Überlegung verführt und betrogen hätte und daß sie sich seiner nur erinnern sollte, um sich für seine Treulosigkeit zu rächen. Bei diesen Worten erschauderte sie und verbarg ihr schönes Gesicht in den Händen.

Als wir bei der Witwe angelangt waren, brachte ich sie in ein hübsches Zimmer und bestellte für sie ein kleines Abendessen, indem ich der guten Frau auftrug, für sie alle Sorge zu tragen und es ihr an nichts mangeln zu lassen. Einen Augenblick darauf nahm ich teilnahmsvoll Abschied von ihr, wobei ich ihr versprach, sie am nächsten Morgen wieder zu sehen.

Nachdem ich die interessante Unglückliche verlassen, begab ich mich zu Steffani. Ich erfuhr von einem der Gondoliere seiner Mutter, daß er vor drei Tagen nach Venedig zurückgekehrt, aber vierundzwanzig Stunden darauf wieder ganz allein abgereist wäre; niemand wüßte wohin, selbst seine eigene Mutter nicht. Am selben Abend traf ich im Theater einen Abbate aus Bologna und erkundigte mich nach der Familie meines unglücklichen Schützlings, und da es sich herausstellte, daß der Abbate sie genau kannte, so erfuhr ich alles, was zu wissen mir wichtig war, unter anderem auch, daß die junge Gräfin einen Bruder hätte, der als Offizier in päpstlichen Diensten stände.

Früh am nächsten Morgen begab ich mich zu ihr. Sie schlief noch. Die Witwe sagte mir, daß sie bei gutem Appetit, jedoch ohne ein Wort zu sprechen, gespeist und sich dann sogleich eingeschlossen hätte. Sobald sie sich hören ließ, trat ich ein, und nachdem ich alle ihre Entschuldigungen kurz abgeschnitten hatte, teilte ich ihr alles mit, was ich erfahren hatte.

Ihre Züge trugen den Ausdruck einer tiefen Trauer, dabei aber war ihr Gesicht leicht gerötet, und sie sah ganz ruhig aus.

»Es ist nicht wahrscheinlich,« sagte sie, »daß Steffani abgereist ist, ohne nach C. zurückzukehren.«

Da ich diese Betrachtung in ihrer Lage sehr natürlich fand, bot ich ihr an, mich sofort in ihre Heimat zu begeben, um mich von der Wahrheit zu überzeugen, und ohne Zögern wiederzukommen und sie zu holen, wenn ihre Ahnungen begründet wären. Ohne ihr Zeit zur Antwort zu lassen, erzählte ich ihr hierauf alles, was ich von ihrer ehrenwerten Familie erfahren hatte, worüber sie eine außerordentliche Freude empfand.

»Ich habe nichts dagegen,« sagte sie mir, »daß Sie nach C. gehen, und ich erkenne die ganze Großmut Ihres Anerbietens an, aber haben Sie die Güte, die Ausführung dieses Planes noch aufzuschieben. Ich hege einige Hoffnung, daß Steffani zurückkehren wird, und dann werde ich mit ruhigem Kopf einen Entschluß fassen können.«

»Ich finde«, sagte ich, »Ihre Bemerkung sehr verständig. Wollen Sie mir gestatten, mit Ihnen zu frühstücken?«

»Dürfen Sie eine Weigerung erwarten?«

»Ich wäre in Verzweiflung, Sie zu belästigen. Womit verbrachten Sie zu Hause Ihre Tage?«

»Ich liebe die Lektüre und die Musik über alles; und das Klavier verschaffte mir die höchste Wonne.«

Ich verließ sie nach dem Frühstück, und am Abend kehrte ich wieder zurück mit einem Korb voll guter Bücher und Noten und mit einem guten Klavier. Diese Aufmerksamkeit brachte sie in Verwirrung, aber ich vermehrte ihre Überraschung, als ich aus meiner Tasche drei Paar Pantoffeln zog. Die Röte stieg ihr in das Gesicht, als sie mir mit einem unaussprechlichen Gefühle dankte. Da sie einen, für eine junge Dame wie sie, sehr langen Weg zu Fuße zurückgelegt hatte, so mußten ihre Schuhe abgenützt und ihre Füße sehr empfindlich sein; sie mußte also meine Aufmerksamkeit sehr zart finden. Da ich keine böse Absicht auf sie hatte, so genoß ich ihre Dankbarkeit und freute mich, daß meine Aufmerksamkeit ihr nur einen hohen Begriff von meinem Zartgefühl geben konnte. Ich hatte kein anderes Ziel, als ihr Herz zu beruhigen und den schlimmen Eindruck in ihr zu verwischen, den sie durch den unwürdigen Steffani von den Männern hatte erhalten müssen. Ich beabsichtigte keineswegs, ihr Liebe einzuflößen, und dachte nicht einen Augenblick daran, daß ich in sie verliebt werden könnte. Sie war unglücklich, daher in meinen Augen geheiligt, und verdiente meinerseits um so mehr die redlichste Teilnahme, als sie mir, ohne mich zu kennen, ihr ganzes Vertrauen zugewandt hatte. Ich würde sie in ihrer Lage nicht einer neuen Neigung für fähig gehalten haben und hätte einen Abscheu davor gehabt, sie in irgendeiner Weise zu verführen.

Ich blieb nur eine Viertelstunde bei ihr und verließ sie, um ihr die Verlegenheit zu benehmen, die meine Anwesenheit in diesem Augenblick ihr verursachen konnte, zumal da sie nicht wußte, in welchen Ausdrücken sich ihre Dankbarkeit äußern sollte.

Ich sah mich in eine delikate Angelegenheit verwickelt, deren Ausgang ich keineswegs vorhersah; aber das kühlte meinen Eifer nicht ab, und da mich ihr Unterhalt nicht in Verlegenheit setzte, so wünschte ich den Ausgang nicht herbei. Dieses merkwürdige Zusammentreffen, das mir den unschätzbaren Vorteil bot, bei mir edle Neigungen zu entdecken, die stärker waren als mein Hang zur Ausschweifung, schmeichelte mir über alle Maßen. Ich machte eine große Erfahrung an mir selbst, und da ich wußte, daß ich es nötig hätte, mich selbst zu studieren, so gab ich mich dieser Neigung voll und ganz hin.

Am dritten Tage, als sie sich wieder in Danksagungen erschöpfte, denen ich vergeblich Einhalt zu gebieten mich bemühte, sagte sie mir, sie begreife nicht, wie ich ihr so großes Interesse beweisen könne, da die Leichtigkeit, mit der sie mir in die Schenke gefolgt sei, mir keine hohe Meinung von ihr hätte geben können. Aber als ich ihr antwortete, ich begriffe ebensowenig, wie ich ihr mit einer Maske vor dem Gesicht Vertrauen genug zu meiner Tugend hätte einflößen können, zumal da mein Anzug gerade den entgegengesetzten Eindruck hätte erwecken müssen, da lächelte sie.

»Mir, meine Gnädige, war es leicht, die unglückliche Schönheit zu erkennen, als ich Ihre Jugend, den Adel Ihrer Züge und besonders Ihre Offenherzigkeit bemerkte. Der Charakter der Wahrheit, deren Gepräge Ihre ersten Worte trugen, ließ mir keinen Zweifel zu, daß Sie ein Opfer des natürlichsten aller Gefühle wären und daß die Ehre allein Sie gezwungen hätte, das väterliche Haus zu fliehen. Ihr Fehltritt war der eines verführten Herzens, über das die Vernunft ihre Herrschaft verloren hatte, und Ihre Flucht, die Wirkung einer edlen Seele, die nach Genugtuung oder Rache schrie, rechtfertigt Sie vollkommen. Ihr unwürdiger Verführer muß sein Verbrechen mit dem Leben büßen und darf nicht dadurch belohnt werden, daß er Sie heiratet; denn er hat nicht das Recht, Sie zu besitzen, nachdem er sich durch die ehrloseste Handlung erniedrigt hat.«

»Alles, was Sie sagen, ist wahr. Ich habe einen Bruder, der, wie ich hoffe, mich rächen wird.«

»Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, daß Steffani sich schlägt; er ist ein Feigling, der nicht imstande ist, sich einem ehrenvollen Tode auszusetzen.«

Wie ich diese Worte beendete, griff sie in die Tasche, überlegte einige Augenblicke, zog einen sechs Zoll langen Dolch hervor und legte ihn auf den Tisch.

»Was ist das?«

»Das ist eine Waffe, von der ich bis auf diesen Augenblick gegen mich selbst Gebrauch zu machen dachte, wenn es mir nicht gelingen sollte, meinen Fehltritt auszulöschen. Sie haben mich soeben aufgeklärt. Ich bitte Sie, nehmen Sie diesen Dolch weg; ich brauche ihn nicht mehr. Ich zähle auf Ihre Freundschaft und fühle, daß ich Ihnen Ehre und Leben schulde.«

Ich war betroffen über diese Rede und fühlte, daß ihre Worte und Blicke den Weg zu meinem Herzen auf eine andere Art als durch ein edelmütiges Mitgefühl gefunden hätten. Ich nahm den Dolch und verließ sie mit einer Verwirrung, die mir die Schwäche eines Heldentums ankündigte, über das ich beinahe laut herausgelacht hätte, so komisch begann ich es jetzt zu finden; ich hatte aber die Stärke, bis zum siebenten Tage ein halber Cato zu sein.

Ich muß indessen gestehen, daß mir ein Argwohn in Bezug auf die junge Person aufstieg. Dieser Argwohn bedrückte mein Herz, denn, wäre er begründet gewesen, so war ich angeführt, und dieser Gedanke war demütigend. Sie hatte mir gesagt, sie sei musikalisch, ich hatte ihr an demselben Tage ein Klavier und Noten verschafft; aber obwohl das Instrument seit drei Tagen zu ihrer Verfügung stand, hatte sie es noch nicht geöffnet, wie die Alte mir versichert hatte. Es schien mir doch, als hätte sie mir für meine Aufmerksamkeiten dadurch danken müssen, daß sie mir eine Probe ihrer Talente gab. Sollte sie mich getäuscht haben? Das würde sie bei mir bedeutend herabgesetzt haben. Da ich ein voreiliges Urteil vermeiden wollte, so war ich auf meiner Hut und beschloß, den ersten günstigen Augenblick zu benützen, um meine Zweifel aufzuklären.

Am nächsten Tage besuchte ich sie gegen meine Gewohnheit nach dem Essen, um diesen Augenblick auf irgendeine Weise herbeizuführen. Ich überraschte sie vor dem Spiegel sitzend, ihren Kopf unter den Händen der Witwe, die ihr das wunderschönste blonde Haar frisierte. Ich entschuldigte mich wegen meines ungewöhnlichen Erscheinens, und sie ließ sich weiter nicht stören, nachdem sie sich ihrerseits wegen der Unordnung entschuldigt hatte. Zum erstenmal sah ich ihr ganzes Gesicht, ihren Hals und die Hälfte ihrer von den Grazien gerundeten Arme. Ich schwieg und betrachtete. Zufällig lobte ich den Geruch der Pomade, und die Alte benützte diesen Umstand, um ihr zu sagen, daß sie für Kämme, Puder und Pomade die drei Livres ausgegeben hätte, die sie ihr verabreicht hätte. Ich erinnerte mich nun, daß sie mir am ersten Tage gesagt hatte, sie sei mit zehn Paoli in der Tasche fortgegangen. Ich fühlte vor Verwirrung mir die Röte ins Geficht steigen, denn ich hätte daran denken sollen.

Sobald die Witwe fertig war, ging sie hinaus, um uns Kaffee zu machen. Ich nehme einen Ring von der Toilette und sehe ein Porträt, das ihr vollkommen gleicht, allein ich lachte über ihre Laune, daß sie sich als Mann mit schwarzen Haaren hatte malen lassen.

»Sie täuschen sich,« sagte sie mir, »es ist das Porträt meines Bruders. Er ist um zwei Jahre älter als ich und jetzt Offizier im Dienste des Heiligen Vaters, wie ich Ihnen schon sagte.«

Ich bat sie um die Erlaubnis, ihr den Ring anzustecken. Sie streckte den Finger aus, aber als ich ihr mit üblicher Galanterie die Hand küssen wollte, zog sie sie errötend zurück. Da ich fürchtete, sie möchte sich beleidigt fühlen, beeilte ich mich, sie meiner Ehrfurcht zu versichern.

»Ach, mein Herr,« sagte sie zu mir, »in der Lage, in der ich mich befinde, muß ich viel mehr daran denken, mich gegen mich selbst zu verteidigen als gegen Sie.«

Das Kompliment schien mir so fein und so schmeichelhaft für mich, daß ich glaubte, es lieber überhören zu sollen, allein sie konnte in meinen Augen lesen, daß sie weder ein vergebliches Verlangen nach mir empfinden könnte, noch fürchten durfte, mich undankbar zu finden. Indessen nahm durch diese Unterredung meine Liebe derart zu, daß ich nicht mehr wußte, wie ich sie verheimlichen sollte.

Bald darauf ergriff sie die Gelegenheit, mir für die Bücher zu danken, die ich für sie ausgesucht hatte, ich hätte ihren Geschmack erraten, denn sie liebte die Romane nicht, und sie sagte:

»Ich muß mich vielmals entschuldigen, daß ich Ihnen noch kein Lied vorgesungen habe, so gut ich es eben kann, denn ich weiß, daß Sie die Musik lieben.«

Ich atmete bei diesen Worten auf und, ohne meine Antwort abzuwarten, setzte sie sich an das Klavier und spielte mehrere Stücke mit einer Leichtigkeit, Sicherheit und einem Ausdruck, die sich nicht wiedergeben lassen. Ich war entzückt. Ich bat sie ein Lied zu singen, und nachdem sie sich ein wenig hatte bitten lassen, nahm sie eines der Hefte, die ich ihr gebracht hatte, und sang vom Blatt mit einer Begleitung, die mich hinriß. Ich flehte sie an, mir ihre Hand zum Kusse zu reichen, sie tat es nicht; aber sie setzte keinen Widerstand entgegen, als ich sie nahm, und trotz dem Feuer, das mich verzehrte, besaß ich die Mäßigung, sie nur mit einer Zärtlichkeit zu küssen, die mit Bewunderung und Achtung gemischt war.

Ich verließ sie endlich, ungeheuer verliebt und fest entschlossen, mich zu erklären. Die Zurückhaltung wird Dummheit, wenn wir erkannt haben, daß der angebetete Gegenstand unsere Gefühle teilt. Ich hatte jedoch diese Überzeugung noch nicht erlangt.

Die ganze Stadt sprach von dem Verschwinden Steffanis, aber ich sagte meiner schönen Gräfin nichts davon. Man war sich allgemein darüber einig, daß seine Mutter sich geweigert hätte, seine Schulden zu bezahlen, und daß er entflohen wäre, um nicht von seinen Gläubigern verfolgt zu werden. Die Sache hatte etwas für sich. Aber, ob er nun zurückkam oder nicht, ich konnte mich auch nicht in den Verlust eines Schatzes fügen, den ich in den Händen hatte. Da ich indessen nicht wußte, wie oder unter welchem Vorwand ich mir den Genuß desselben verschaffen sollte, so befand ich mich in einem wahren Labyrinth. Zuweilen faßte ich den Gedanken, meinen Vater um Rat zu fragen, aber bald verwarf ich ihn wieder mit Abscheu, denn ich hatte ihn in der Angelegenheit des Rinaldi und noch mehr in der mit L’Abbadie als zu großen Freund von Kraftkuren befunden. Ich fürchtete seine Heilmittel so sehr, daß ich lieber krank sein wollte, als mich durch ihre Benützung heilen zu lassen.

Eines Morgens beging ich die Dummheit, die Witwe zu fragen, ob die Dame sich erkundigt hätte, wer ich wäre. Welche Tölpelei! Ich erkannte das sehr schnell, als die gute Frau, anstatt mir zu antworten, sagte:

»Weiß sie denn nicht, wer Sie sind?«

»Antworten Sie doch und fragen Sie nicht!« sagte ich ihr, um meine Verwirrung zu verbergen.

Die gute Frau hatte recht. Sie war natürlich jetzt neugierig geworden, was eigentlich los sei; der Klatsch würde sich hineinmengen und alles das durch eine schülerhafte Unbesonnenheit! Das war unverzeihlich. Man muß niemals mehr auf seiner Hut sein, als wenn man an halbdumme Leute Fragen stellt. Seit vierzehn Tagen war die Gräfin unter meiner Obhut und hatte sich niemals neugierig bezeigt, zu erfahren, wer ich wäre; allein darum glaubte ich doch nicht, daß sie es nicht gern gewußt hätte.

Ich hätte gut getan, es ihr am ersten Tag zu sagen, aber noch an demselben Abend machte ich mein Unrecht aufs beste wieder gut und, nachdem ich sie von allem unterrichtet hatte, bat ich sie um Verzeihung, es nicht früher getan zu haben. Sie gestand mir, indem sie mir für mein Vertrauen dankte, daß sie sehr neugierig gewesen sei, mich kennenzulernen, aber sie versicherte mir auch, daß sie niemals die Unklugheit begangen haben würde, sich über mich bei ihrer Wirtin zu erkundigen. Die Frauen haben einen zarteren und sichereren Takt als die Männer, und ich nahm von diesen letzten Worten den Teil, der mir gebührte.

Da sich unser Gespräch um Steffanis unbegreiflich lange Ahwesenheit drehte, sagte sie mir, ihr Vater glaube möglicherweise, er hielte sich irgendwo mit ihr verborgen auf. »Er muß es erfahren haben,« fügte sie hinzu, »daß ich alle Nächte mit ihm unter meinem Fenster sprach, und es wird ihm nicht schwer gewesen sein zu entdecken, daß ich auf dem Marktschiff von Ferrara nach Venedig gefahren bin. Mein Vater muß in Venedig sein, und ich bin überzeugt, daß er insgeheim alles aufbietet, um mich zu entdecken. Er wohnt gewöhnlich bei Boncousin; suchen Sie zu erfahren, ob er dort ist.«

Von Steffani sprach sie nur noch mit einem Ausdruck des Schreckens und des Hasses; sie wollte fern von ihrer Heimat sich in ein Kloster einschließen, wo ihre schmachvolle Geschichte niemandem bekannt wäre.

Ich verließ sie mit der Absicht, am nächsten Tage Erkundigungen einzuziehen, aber ich hatte das nicht nötig, denn am Abend beim Speisen sagte uns Herr Barbaro: »Man empfiehlt mir einen Edelmann, Untertan des Papstes, den ich in einer delikaten und schwierigen Angelegenheit mit meinem Einfluß unterstützen soll. Einer unserer Mitbürger hat seine Tochter entführt, und seit vierzehn Tagen soll er irgendwo mit ihr verborgen sein; aber niemand weiß wo. Die Sache mußte vor den Rat der Zehn gebracht werden. Die Mutter des Entführers behauptet, meine Verwandte zu sein, ich denke aber, mich nicht hineinzumischen.«

Ich tat, als ob ich diese Erzählung ohne Interesse anhörte, und am nächsten Morgen begab ich mich sehr zeitig zu meiner reizenden Gräfin, um ihr diese interessante Neuigkeit mitzuteilen. Sie schlief noch, aber da ich es eilig hatte, schickte ich die Witwe hinein, ihr zu sagen, daß ich nur zwei Minuten brauchte, um ihr etwas Wichtiges mitzuteilen. Sie empfing mich im Bett liegend und hatte die Decke bis zum Kinn hinaufgezogen.

Sobald sie alles wußte, bat sie mich inständig, Herrn Barbaro zu beschwören, zwischen ihrem Vater und ihr zu vermitteln, indem sie mir versicherte, sie würde lieber sterben, als die Frau des Ungeheuers werden, das sie entehrt hätte. Ich versprach es ihr und sie übergab mir, um es ihrem Vater zu zeigen, das Eheversprechen, dessen sich der Nichtswürdige bedient hatte, um sie zu verführen.

Um Herrn Barbaro zur Erfüllung ihrer Wünsche zu veranlassen, hätte ich ihm sagen müssen, daß sie sich in meiner Obhut befände; aber ich fühlte, daß diese Mitteilung meinem Schützling schaden würde. Ich konnte keinen Entschluß fassen, und daran war zum Teil schuld, daß ich den Augenblick nahe fühlte, wo ich sie verlieren müßte, und das war mir gar nicht recht.

Nach dem Mittagsmahl meldete man Herrn Bararo den Grafen A.S. Er trat mit seinem Sohn, dem leibhaftigen Ebenbild seiner Schwester, ein. Herr Barbaro führte sie in sein Kabinett, um mit ihnen von ihrer Angelegenheit zu sprechen, und eine Stunde später kamen sie zurück. Sobald diese Herren fort waren, bat mich der gute Herr Barbaro, wie ich es erwartet hatte, meinen Engel zu befragen, ob er sich zugunsten des Grafen A.S. verwenden könnte. Er schrieb selbst die Frage auf, und ich schrieb ihm nachlässig folgende Antwort nieder: »Sie müssen sich in diese Angelegenheit mischen, aber nur um den Vater dazu zu bringen, daß er seiner Tochter verzeiht und die Idee aufgibt, sie zur Heirat mit ihrem Verführer zu zwingen: denn Steffani ist durch den Willen Gottes zum Tode verurteilt.«

Diese Antwort erregte Verwunderung, und ich war selbst erstaunt, daß ich gewagt hatte, sie zu geben; aber ich wurde durch eine Ahnung bewogen, daß Steffani durch die Hand irgendeines Menschen enden würde, und vielleicht war es die Liebe, die mich so denken ließ. Herr von Bragadino, der mein Orakel für unfehlbar hielt, sagte, es hätte noch nie so klar gesprochen, und Steffani wäre zu dieser Stunde sicherlich tot.

»Laden Sie«, sagte Barbaro, »den Vater und den Sohn ein, morgen zum Speisen herzukommen. Wir müssen sachte zu Werke gehen und, bevor wir ihn überreden, seiner Tochter zu verzeihen, müssen wir wissen, wo sie ist.«

Herr Barbaro ergriff das Wort und hätte mich bald um meinen Ernst gebracht, als er sagte, ich könnte ihnen das sogleich mitteilen, wenn ich wollte.

»Ich verspreche Ihnen,« erwiderte ich ihm, »morgen meinen guten Genius darüber zu befragen.«

So gewann ich Zeit, um vorher die Ansicht des Vaters und des Sohnes kennenzulernen. Indessen lachte ich bei mir selbst darüber, daß ich mich in die Notwendigkeit versetzt hatte, Steffani in eine andere Welt zu befördern, um nicht mein Orakel zu beschämen.

Ich verbrachte den ganzen Abend bei der jungen Gräfin, die an der Güte ihres Vaters nicht zweifelte und zu mir volles Vertrauen hatte.

Welches Vergnügen machte es dem reizenden Mädchen, als ich ihr sagte, daß ich am nächsten Tage mit ihrem Vater und ihrem Bruder zusammen speisen und ihr alles wiederholen würde, was über sie gesprochen werden würde! Aber welch ein Vergnügen fand auch ich in ihrer Überzeugung, daß sie mich schätzen müßte, und daß sie ohne mich unfehlbar in einer Stadt zugrunde gegangen wäre, in der die Regierungspolitik gerne die Ausschweifung duldet, als einen Beweis der angeblich vorhandenen persönlichen Freiheit, die man aber durch tausend Mittel wieder einzuschränken weiß. Wir beglückwünschten uns gegenseitig zu unserer so unverhofften Begegnung und zu der Übereinstimmung unserer Entschlüsse, die wir als wunderbar erachteten. Wir waren entzückt, es nicht der Anziehungskraft unserer Gesichter zuschreiben zu können, daß sie so bereitwillig meiner Einladung gefolgt war, daß ich sie so eifrig überredet hatte, mir zu folgen und sich meinen Ratschlägen zu überlassen, denn ich war maskiert, und ihre Kapuze wirkte wie eine Maske.

Wir zweifelten nicht daran, daß der Himmel dies alles so geordnet hätte, um uns miteinander bekannt zu machen, und wir verliebten uns ineinander, ohne es zu merken.

»Gestehen Sie,« sagte ich in einem Augenblick der Schwärmerei, während ich ihre Hand mit tausend Küssen bedeckte, »gestehen Sie, daß Sie mich fürchten würden, wenn Sie mich verliebt fänden.«

»Ach, ich fürchte nur, Sie zu verlieren.«

Diese Erklärung, in einem Ton gesprochen und von einem Blicke begleitet, die die Wahrheit verbürgten, war der elektrische Funke, der mich ganz in Feuer setzte. Ich nahm sie plötzlich in meine Arme, preßte meinen Mund auf ihre Lippen, und als ich in ihren schönen Augen weder stolzen Unwillen, noch die Spur einer kalten Gefälligkeit sah, überließ ich mich der süßen Regung, die die Liebe mir einflößte. Und als ich in einem Meer von Entzückungen schwamm, fühlte ich diese wachsen, indem ich in den Zügen des reizenden Wesens, das sie mir verschaffte, die Befriedigung, die Liebe, die Scham und alle jene Gefühle las, die die Reize des schönsten Triumphes erhöhen.

Kaum wieder zu sich gekommen, schlug sie die Augen nieder, und ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust. Da ich die Ursache zu erraten glaubte, stürzte ich zu ihren Füßen und bat sie im zärtlichsten Ton, mir zu verzeihen.

»Welche Beleidigung, mein Freund, hätte ich Ihnen zu verzeihen. Sie haben meine Gedanken schlecht erraten. Ihre Zärtlichkeit ließ mich an mein Glück denken, und in diesem Augenblick hat mir eine grausame Erinnerung diesen Seufzer entrissen. Stehen Sie auf.«

Es hatte schon Mitternacht geschlagen; ich sagte ihr, ihre Ehre verlange, daß ich sie verlasse. Ich maskierte mich wieder und ging. Ich war so ergriffen, so verwundert, ein Glück erlangt zu haben, dessen ich mich noch nicht würdig glaubte, daß ihr meine Entfernung ein wenig schroff erscheinen mußte. Ich schlief nicht. Ich verbrachte eine jener unruhigen Nächte, in der die Einbildungskraft eines jungen verliebten Mannes unablässig dem Scheine der Wirklichkeit nachjagt. Diese Wirklichkeit hatte ich genossen, aber nicht ausgekostet, und ich stürmte im Geiste auf den Gegenstand los, der meinen Genuß vollständig machen sollte. In diesem nächtlichen Drama waren Liebe und Phantasie die Hauptdarsteller; die Hoffnung kam erst in zweiter Linie und spielte mehr eine stumme Rolle. Was man auch sagen mag, die Hoffnung ist im Grunde nur ein schmeichlerisches Wesen, das die Vernunft nur duldet, weil sie Scheinmittel nötig hat. Glücklich die Menschen, die, um das Leben zu genießen, weder zu hoffen noch vorzusorgen brauchen!

Als ich bei meinem Erwachen an das Todesurteil dachte, das ich über Steffani gefällt hatte, war ich ein wenig verlegen. Ich hätte gewünscht, es zurücknehmen zu können, sowohl zur Ehre meines Orakels, das ich auf eine gefährliche Art bloßgestellt sah, als auch für Steffani selbst, den ich schon nicht mehr so sehr haßte, seitdem ich ihm den Schatz verdankte, den ich besaß.

Der Graf und sein Sohn kamen zum Speisen. Der Vater war ein ganz einfacher Mann, ungekünstelt und ungeziert. Man las in seinen Zügen Traurigkeit über das unangenehme Abenteuer sowie Verlegenheit, wie er es zu Ende führen sollte; aber nicht die geringste Spur von Zorn. Der Sohn, schön wie ein Liebesgott, besaß Geist und ein angenehmes Wesen. Seine Ungezwungenheit gefiel mir, und in der Absicht, seine Freundschaft zu gewinnen, beschäftigte ich mich besonders mit ihm.

Beim Nachtisch wußte Herr Barbaro den Grafen so zu überzeugen, wir seien vier Personen mit einem Geist, daß der brave Mann ohne Rückhalt sprach. Er lobte in jeder Beziehung seine Tochter. Hierauf versicherte er uns, Steffani habe nie einen Fuß in sein Haus gesetzt, und er könne daher nicht begreifen, durch welche Hexerei es ihm gelungen sei, das Mädchen, mit dem er nie anders als in der Nacht, auf der Straße und am Fenster gesprochen habe, derart zu verführen, daß sie zwei Tage, nachdem er selber mit der Post abgereist war, allein und zu Fuß fortgegangen sei.

»Man kann also«, entgegnete Herr Barbaro, »weder behaupten, daß sie verführt, noch beweisen, daß sie von Steffani entführt worden ist.«

»Ich fühle das wohl; aber obwohl man es nicht kann, ist die Tatsache doch nicht minder gewiß. Denn er kann gegenwärtig, wo niemand weiß, wo er ist, nur mit ihr beisammen sein. Aber ich verlange weiter nichts, als daß er sie heiratet.«

»Mir scheint, es wäre besser, keine gezwungene Heirat herbeizuführen, die Ihre Tochter unglücklich machen würde, denn Steffani ist in jeder Beziehung einer der größten Taugenichtse unter unseren Sekretären.«

»Wenn ich an Ihrer Stelle wäre,« sagte Herr von Bragadino, »würde ich mich durch die Reue meiner Tochter erweichen lassen und ihr verzeihen.«

»Wo ist sie? Ich bin bereit, sie in meine Arme zu schließen, aber ich kann nicht glauben, daß sie reuig ist; ich wiederhole es, sie kann nur bei ihm sein.«

»Ist es gewiß, daß sie hierher kam, als sie von C. wegging?«

»Ich weiß es vom Patron des Marktschiffes selbst; sie stieg zwanzig Schritte vor dem Römischen Tore an das Ufer. Eine maskierte Person, die sie erwartete, trat zu ihr, und alle beide verschwanden, ohne daß man weiß, wohin sie gegangen sind.«

»Das war vielleicht Steffani.«

»Nein, denn er ist klein, und die Maske war groß. Ich habe außerdem erfahren, daß Steffani zwei Tage vor der Ankunft meiner Tochter abgereist war. Die Maske, mit der sie gegangen ist, muß ein Freund Steffanis gewesen sein, der sie ihm zugeführt haben wird.«

»Aber das sind nur Mutmaßungen, mein lieber Graf.«

»Vier Personen, die die Maske gesehen haben, behaupten zu wissen, wer sie war; aber sie sind nicht unter sich einig. Hier die Anzeige. Ich werde indessen alle diese vier Namen den Häuptern des Rates der Zehn anzeigen, wenn Steffani leugnet, meine Tochter in seiner Gewalt zu haben.«

Der Zettel, den er Herrn Barbaro übergab, enthielt nicht allein die Namen der vier Angeklagten, sondern auch die Namen der Ankläger. Der letzte Name, den Herr Barbaro las, war der meine. Ich machte, als ich ihn hörte, eine Kopfbewegung, worüber die drei Freunde gleichzeitig in ein lautes Gelächter ausbrachen.

Als Herr von Bragadino sah, daß der Graf sich über diese Heiterkeit verwunderte, sagte er zu ihm: »Casanova hier ist mein Sohn, und ich gebe Ihnen mein Wort, daß Ihre Tochter, wenn sie in seinen Händen ist, sich in Sicherheit befindet, obwohl er nicht gerade danach aussieht, daß man ihm junge Mädchen anvertrauen könnte.«

Das Erstaunen, die Überraschung und die Verwirrung des Vaters und des Sohnes waren zum Malen. Der gute und zärtliche Vater bat mich mit Tränen in den Augen um Entschuldigung und sagte, ich möchte mich nur an seine Stelle versetzen. Als Antwort umarmte ich ihn mehrere Male. Der Denunziant, der mich erkannt hatte, war ein Kuppler, den ich einige Zeit vorher geprügelt hatte, weil er mich betrogen hatte. Wenn ich nur einen einzigen Augenblick gezögert hätte, mich der unglücklichen Gräfin zu bemächtigen, würde sie ihm nicht entgangen sein, und er würde sie völlig zugrunde gerichtet haben, indem er sie an irgendeinen schlechten Ort gebracht hätte.

Unsere Unterhaltung führte zu dem Schluß, daß der Graf nicht eher seine Zuflucht zum Rat der Zehn nehmen sollte, als bis man entdeckt hätte, wo Steffani wäre.

»Seit sechs Monaten, Herr Graf,« sagte ich zu ihm, »verkehre ich nicht mehr mit ihm; aber ich verspreche Ihnen, ihn im Zweikampf zu töten, sobald er auftaucht.«

»Sie werden ihn erst töten,« sagte der junge Graf mit kalter Miene, »wenn er mich getötet hat.«

»Meine Herren,« rief Herr von Bragadino, »ich versichere Ihnen, daß keiner von Ihnen beiden sich mit Steffani schlagen wird, denn er ist tot.«

»Tot?« sagte der Graf.

»Sie dürfen dieses Wort nicht buchstäblich nehmen,« sagte der vorsichtige Barbaro, »aber ganz gewiß ist der Unglückliche für die Ehre tot.«

Nach dieser wahrhaft dramatischen Szene, die mir zeigte, daß das Stück dem Ende zueilte, begab ich mich zu meiner anbetungswürdigen Gräfin, indem ich dreimal die Gondel wechselte, eine notwendige Vorsicht, um die Spione irrezuführen.

Ich erstattete meiner neugierigen Gräfin, die ich sehr ungeduldig fand, mich zu sehen, genauen Bericht über alles. Sie weinte vor Freude, als ich ihr die Äußerungen ihres Vaters und die Sehnsucht, die er bekundet hatte, sie in seine Arme zu schließen, mitteilte. Aber als ich ihr die Versicherung gab, daß niemand wußte, daß Steffani in ihrem Zimmer gewesen war, da warf sie sich auf die Erde, um Gott zu danken.

Ich wiederholte ihr hierauf die Worte, die ihr Bruder mit so kaltblütiger Miene geäußert hatte: Sie werden ihn erst töten, wenn er mich getötet hat. Da umarmte sie mich, nannte mich ihren Schutzengel, ihren Retter und überströmte mein Gesicht mit Tränen. Ich versprach ihr spätestens am übernächsten Tag den geliebten Bruder zuzuführen; dann speisten wir, und von Steffani oder von Rache wurde kein Wort gesprochen. Nach dieser köstlichen Mahlzeit nahm uns die Liebe zwei volle Stunden lang schrankenlos in Besitz. Ich verließ sie gegen Mitternacht mit dem Versprechen, daß sie mich sehr zeitig am Morgen wiedersehen würde; ich brachte nicht die Nacht bei ihr zu, damit die Wirtin nötigenfalls mit gutem Gewissen schwören konnte, daß ich nie eine Nacht dort verbracht hätte. Es war übrigens ein guter Einfall von mir, denn als ich nach Hause kam, fand ich meine drei alten Freunde noch wach, die mich mit Ungeduld erwarteten, um mir eine überraschende Neuigkeit mitzuteilen, die Herr von Bragadino im Senat erfahren hatte.

»Steffani«, sagte er mir, »ist tot, wie unser Engel Paralis uns entdeckt hat: er ist tot für die Welt, denn er ist Kapuziner geworden. Der ganze Senat ist natürlich davon unterrichtet. Wir im besonderen wissen ja, daß es eine Strafe Gottes ist. Beten wir den Schöpfer aller Dinge und die himmlischen Mächte an, die uns würdig machen, zu wissen, was niemand weiß. Jetzt aber muß das Werk zu Ende geführt und der gute Vater getröstet werden. Wir müssen Paralis fragen, wo dieses Mädchen ist; sicherlich ist sie nicht bei Steffani, denn sie ist nicht dazu verdammt, Kapuzinerin zu werden.«

»Ich brauche meinen Engel nicht zu Rate ziehen, lieber Vater, denn nur um ihm zu gehorchen, mußte ich bisher den Ort geheimhalten, wo sich die junge Gräfin befindet.«

Ich erzählte ihnen hierauf die ganze Geschichte mit Ausnahme dessen, was sie nicht zu wissen brauchten; denn in den Köpfen dieser drei ausgezeichneten Männer, die selber der Liebe in sehr hohem Maße zinspflichtig gewesen waren, hatte jetzt sündhafte Liebe etwas Entsetzliches an sich. Die Herren Dandolo und Barbaro bezeugten große Überraschung, als sie erfuhren, daß die junge Dame seit vierzehn Tagen unter meinem Schutze stand; aber Herr von Bragadino sagte ihnen, dabei sei nichts zu verwundern, denn das läge im kabbalistischen System, und überdies wäre es ihm bekannt.

»Nur«, fügte er hinzu, »muß dem Grafen ein Geheimnis daraus gemacht werden, bis wir überzeugt sind, daß er ihr verzeihen und sie in ihre Vaterstadt führen wird oder wohin sie sonst wünscht.«

»Er muß ihr wohl verzeihen,« sagte ich, »denn das ausgezeichnete Mädchen hätte C. niemals verlassen, wenn der Verführer ihr nicht ein schriftliches Heiratsversprechen gegeben hätte. Sie erreichte zu Fuß das Marktschiff, aus dem sie in dem Augenblick ausstieg, als ich aus dem Römischen Tore trat. Eine Eingebung hieß mich, sie anzusprechen und sie einzuladen, mir zu folgen. Sie selbst gehorchte wie aus Eingebung, und ich habe sie an einen der Neugier unzugänglichen Ort unter den Schutz einer gottesfürchtigen Frau gebracht.«

Meine drei Freunde hörten mich so aufmerksam an, daß sie wie drei Bildsäulen aussahen. Ich sagte ihnen, sie möchten den Grafen für den übernächsten Tag zum Speisen einladen, weil ich Zeit haben müßte, Paralis de modo temendi zu befragen. Hierauf sagte ich Barharo, er möchte dem Grafen mitteilen, inwiefern er Steffani für tot ansehen müßte. Das wurde abgemacht, dann gingen wir schlafen.

Ich schlief nur vier oder fünf Stunden, dann kleidete ich mich hastig an, eilte zu meinem Engel und befahl der Witwe, den Kaffee erst zu bringen, wenn wir sie rufen würden, da wir einige ruhige Stunden brauchten, um mehrere Briefe zu schreiben.

Ich fand meine Göttin im Bette, aber wach, und ich las in ihren Blicken Genugtuung und Befriedigung. Ich hatte sie ein Dutzend Tage lang nur traurig, düster und nachdenklich gesehen. Ihre neue Zufriedenheit, die ich mir zuschreiben konnte, erfüllte mich mit Jubel. Zum erstenmal waren wir als glückliche Liebende zusammen und beschenkten uns gegenseitig verschwenderisch mit Beweisen der Liebe, der Zärtlichkeit und Dankbarkeit.

Nach unseren köstlichen Liebeskämpfen erstattete ich ihr Rechenschaft über alles, aber die Liebe hatte diese reine und gefühlvolle Seele so erfüllt, daß die Hauptsache für sie gänzlich zur Nebensache geworden war. Doch war sie von der Neuigkeit, daß ihr Verführer Kapuziner geworden sei, ganz verblüfft; sie stellte über dieses Ereignis sehr gescheite Betrachtungen an und beklagte ihn schließlich. Wenn man bedauert, haßt man nicht mehr, aber nur große und edelmütige Seelen sind solchen Vergebens fähig. Es war ihr ganz recht, daß ich meinen drei Freunden anvertraut hatte, sie sei in meiner Obhut, und sie überließ es mir, alle Anordnungen zu treffen, um sie mit ihrem Vater zusammenzubringen.

Von Zeit zu Zeit dachten wir daran, daß der Augenblick unserer Trennung nahe wäre, und dann empfanden wir eine peinliche Angst, die wir einen Augenblick darauf in der höchsten Wollust vergaßen. »Warum können wir uns nicht für das ganze Leben angehören?« sagte das anbetungswürdige Mädchen zu mir. »Ach, nicht die Bekanntschaft mit Steffani hat mich unglücklich gemacht, aber dein Verlust wird dies verursachen!«

Endlich mußten wir das süße Beisammensein abbrechen, denn die Stunden flossen mit unglaublicher Schnelligkeit dahin. Ich verließ sie glücklich, die Augen feucht von Tränen des Glückes.

Bei Tische sagte mir Herr Barbaro, er habe die Mutter Steffanis, seine angebliche Verwandte, besucht, und sie sei über den Entschluß ihres Sohnes nicht erzürnt gewesen, obwohl er ihr einziges Kind sei. »Er hatte zwischen dem Tod und der Kapuzinerkutte zu wählen,« sagte sie, »und er hat das klügste Teil erwählt.«

Die Frau sprach als gute Christin, und sie machte Anspruch darauf, eine zu sein, aber sie sprach als schlechte Mutter, und das war sie auch; denn da sie reich war, so wäre ihr Sohn niemals vor die Wahl zwischen Tod und Kloster gestellt worden, wenn sie nicht so furchtbar geizig gewesen wäre.

Der letzte und stärkste Grund zur Verzweiflung Steffanis, der noch lebt, blieb jedermann unbekannt. Meine Memoiren werden ihn kundmachen, wenn er niemanden mehr interessieren wird.

Der Graf und sein Sohn, von diesem Ereignis sehr überrascht wünschten nur noch die junge Gräfin wiederzufinden, um sie nach C., in den Schoß ihrer Familie zurückzuführen. Aber um ihren Aufenthalt zu erfahren, war der Graf entschlossen, die vier Beschuldigten und Anzeiger, außer mir, vorladen zu lassen. Dies zwang uns, ihm zu erklären, daß sie in meiner Obhut wäre, und Herr von Bragadino übernahm es, ihm die Sache zu entdecken.

Wir waren sämtlich zum Abendessen bei dem Grafen eingeladen, mit Ausnahme des Herrn von Bragadino, der sich entschuldigt hatte; wir gingen hin, und dies hinderte mich, meine Göttin diesen Abend zu besuchen; aber am nächsten Tage in aller Frühe war ich bei ihr, die verlorene Zeit einzuholen, und da es entschieden war, daß der Vater noch an diesem Tage alles erfahren sollte, so trennten wir uns erst zu Mittag.

Wir hatten keine Hoffnung, uns allein wieder beisammen zu finden, denn am Nachmittag sollte ich ihren Bruder zu ihr führen.

Der Graf und fein Sohn speisten mit uns und als wir uns vom Tisch erhoben, sagte Herr von Bragadino: »Freuen wir uns, Herr Graf, Ihre teure Tochter ist wieder gefunden!«

Welch angenehme Überraschung für Vater und Sohn! Herr von Bragadino zeigte ihnen das Heiratsversprechen, das Steffani der Gräfin geschrieben hatte, und sagte: »Dies, meine Herren, hat einen Augenblick der liebenswürdigen jungen Dame den Kopf eingenommen, als sie erfuhr, daß er C. ohne sie verlassen hätte. Sie ging allein zu Fuße fort und, kaum hier angelangt, führte sie der Zufall mit dem großen jungen Manne zusammen, den Sie hier sehen.

Dieser überredete sie, ihm zu folgen, und er hat sie den Händen einer ehrbaren Frau übergeben, von der sie sich seither nicht getrennt hat und von der sie nur fortgehen wird, um sich in Ihre Arme zu werfen, sobald sie sicher ist, Verzeihung und Vergessenheit des begangenen Fehltrittes zu finden.«

»Meiner Verzeihung darf sie gewiß sein,« sagte der Vater in zärtlicher Begeisterung. Und sich zu mir wendend, fuhr er fort: »O, mein Herr, haben Sie die Güte und zögern Sie nicht, mir eine Befriedigung zu verschaffen, von der das Glück meines Lebens abhängt.«

Ich umarmte ihn herzlich und sagte ihm, sie werde ihm morgen zurückgegeben werden, allein noch heute würde ich seinen Sohn zu ihr führen, damit er sie auf diese süße Wiedervereinigung durch einen allmählichen Übergang vorbereite. Herr Barbaro wünschte dabei zu sein, und der junge Graf umarmte mich, von dieser Anordnung entzückt, und schwor mir ewige Freundschaft.

Wir gingen fort, und eine Gondel führte uns in wenigen Augenblicken an den Ort, wo ich einen kostbareren Schatz als die Äpfel der Heseriden bewahrte. Aber ach! Diesen Schatz, der mir heute noch ein süßes Beben verursacht, sollte ich für immer verlieren.

Ich ging meinen beiden Begleitern voraus, um meine junge und schöne Freundin über ihre Annäherung zu verständigen, und als ich ihr gesagt hatte, daß ich die Sache so geordnet hätte, daß ihr Vater sie erst am nächsten Tage sehen würde, rief sie mit dem Ausdruck des Glückes: »Ach, wir können also noch einige Stunden zusammen verbringen! Geh, mein Freund, und hole meinen Bruder.«

Ich kehre mit den Herren zurück. Aber wie soll ich die dramatische Szene beschreiben, die sich nun abspielte? O, wie weit wird die Kunst immer hinter der Natur zurückbleiben! Die geschwisterliche Liebe und das Entzücken, die sich auf diesen beiden reizenden Gesichtern mit einer kleinen Beimischung von Verwirrung auf dem der anbetungswürdigen Schwester ausdrückten, die reine Freude, die durch die zärtlichsten Umarmungen leuchtete, die beredtesten Ausrufe, gefolgt von einem noch beredteren Schweigen, ihre zärtlichen Blicke, die wie Blitze über einem Tau gefühlvoller Tränen funkelten, dann ihre Verwirrung, als ihr plötzlich einfiel, die Pflichten der Höflichkeit gegenüber einem hochstehenden vornehmen Herrn, den sie zum erstenmal sah, vergessen zu haben, schließlich meine Person, der stumme und eigentliche Urheber dieser Szene, der aber über allen diesen Gefühlsausbrüchen gänzlich vergessen war – alles das gewährte ein Bild, das der geschickteste Maler nur mit Mühe hätte wiedergeben können.

Schließlich setzten wir uns, die Gräfin zwischen ihrem Bruder und Herrn Barbaro auf einem Sofa, ich ihr gegenüber auf einem Taburett.

»Wem, meine teure Schwester, verdanken wir das Glück, dich wiedergefunden zu haben?«

»Meinem Schutzengel,« sagte sie, mir die Hand reichend, »diesem edelmütigen Manne, der mich erwartete, als ob es ihm vom Himmel eingegeben worden wäre, über deiner Schwester zu wachen. Er hat mich gerettet, hat mich vor dem Abgrund bewahrt, der sich vor meinen Füßen auftat. Er hat mich vor der Schmach gerettet, die mich bedrohte und von der ich keinen Begriff hatte, und er küßt, wie Sie sehen, meine Hand zum erstenmal.«

Sie drückte ihr Taschentuch auf ihre schönen Augen, um einige Tränen wegzuwischen, mit denen wir die unsrigen mischten.

Das ist die wahre Tugend, die nie ihren edlen Charakter verliert, selbst wenn ihr die Scham eine unschuldige Lüge entreißt. Übrigens wußte die liebenswürdige Gräfin in diesem Augenblicke nicht, daß sie log. Aus ihrem hübschen Munde sprach eine reine, tugendhafte Seele, und sie überließ sich einfach dem, was diese ihr eingab. Diese Tugend wollte ihr Wesen darstellen, gleichsam um ihr zu sagen, daß sie trotz ihren Verirrungen sich niemals von ihr getrennt hatte. Ein junges Mädchen, das der Liebe und dem Gefühl gehorcht, kann kein Verbrechen begehen und daher auch keinen Gewissensbissen zugänglich sein.

Als der zärtliche Besuch zu Ende ging, sagte sie, sie sehne sich danach, sich ihrem Vater zu Füßen zu werfen, aber sie wünsche, daß es erst gegen Abend geschehe, um nicht der Nachbarschaft Stoff zum Klatsch zu geben. Es wurde also abgemacht, daß diese Zusammenkunft, die die Lösung des dramatischen Knotens bringen sollte, erst mit Anbruch der folgenden Nacht stattzufinden habe.

Wir gingen zum Grafen, der uns zum Essen eingeladen hatte, und dieser gute und wackere Mensch, der fest überzeugt war, daß er mir seine Ehre und die seiner Tochter und ihrer Familie verdankte, sprach nur mit mir und blickte mich nur mit Bewunderung an. Er freute sich indessen, daß er, schon vor meinem Geständnis, gewußt hätte, daß ich es war, der nach ihrem Aussteigen aus dem Marktschiff zuerst mit ihr gesprochen hätte. Bevor wir uns trennten, bat Herr Barbaro sie für den nächsten Tag zum Mittagsmahl.

Ich begab mich sehr frühzeitig zu meiner Schönen und obwohl es gefährlich war, zu lange beisammen zu bleiben, beschäftigte uns diese Sorge wenig, oder vielmehr, wenn wir daran dachten, so geschah es nur deshalb, um die wenigen Augenblicke, die uns die Liebe noch ließ, besser zu benützen.

Nachdem wir bis zur Erschöpfung alles durchgekostet hatten, was die lebhafteste Zärtlichkeit an süßer Wollust zwei jungen, starken und leidenschaftlichen Verliebten verschaffen kann, kleidete sich meine junge Gräfin an, zog ihre Schuhe an und, indem sie ihre Pantoffeln küßte, sagte sie, sie werde sich gewiß nur im Tode von ihnen trennen. Ich hat sie um eine Locke von ihrem Haar, die ich augenblicklich erhielt. Ich ließ daraus das Gegenstück zur Schnur von den Haaren der Frau F. verfertigen, die ich noch trug.

Mit der Abenddämmerung begaben der Graf, sein Sohn, die Herren Dandolo, Barbaro und ich uns zur Gräfin. Sobald sie ihren Vater erblickte, stürzte sie sich zu seinen Füßen; heiße Tränen vergießend, hob er sie schnell auf, umarmte sie, verzieh ihr und gab ihr seinen väterlichen Segen. Alles dies ging mit Zärtlichkeit, mit Gefühl und Liebe vor sich. Eine Stunde später begleiteten wir die Familie nach dem Gasthof und, nachdem wir ihnen die glücklichste Reise gewünscht hatten, kehrte ich mit meinen beiden Freunden zu Herrn von Bragadino zurück, dem ich alles erzählte, was vorgegangen war.

Am nächsten Morgen glaubten wir, sie wären schon abgereist, als wir sie in einer sechsruderigen Peotte zu dem Palast kommen sahen. Sie hatten Venedig nicht verlassen wollen, ohne uns wiederzusehen und uns für den großen Dienst zu danken, den wir und ich besonders, wie sie glaubten, ihnen geleistet hatten. Herr von Bragadino, der die junge Gräfin noch nicht gesehen hatte, war von der außerordentlichen Ähnlichkeit des Bruders mit der Schwester ganz überrascht.

Nachdem sie einige Erfrischungen zu sich genommen hatten, bestiegen sie ihre Peotte wieder, die sie in vierundzwanzig Stunden nach Pontelagoscuro am Po bringen sollte, also an die Grenze des Kirchenstaates. Ich konnte nur mit den Augen dem anbetungswürdigen Mädchen alles ausdrücken, was mein Herz in diesem Augenblick empfand, aber sie verstand ihre Sprache, und die der ihrigen wußte ich leicht zu deuten.

Niemals kam eine Empfehlung gelegener als in dieser Angelegenheit die an Herrn Barbaro gerichtete. Sie diente zur Rettung einer ehrenwerten Familie und ersparte mir die Unannehmlichkeiten, die ich gehabt haben würde, wenn ich vor dem Rat der Zehn hätte Rechenschaft ablegen sollen, was aus dem Fräulein geworden wäre; denn zweifellos wäre ich überführt worden, daß ich sie mit mir genommen hatte.

Wenige Tage darauf reisten wir alle vier nach Padua, um bis zum Ende des Herbstes dort zu bleiben. Ich hatte den Schmerz, den Doktor Gozzi nicht mehr dort zu finden; er war Pfarrer in einem Städtchen geworden, wo er mit Bettina lebte; denn sie hatte es bei dem Taugenichts nicht aushalten können, der sie nur geheiratet hatte, um sie ihrer kleinen Mitgift zu berauben, und der sie außerordentlich unglücklich machte.

Der ruhige Müßiggang der großen Stadt konnte mir wenig gefallen, und um die Langweile zu töten, verliebte ich mich in die berühmteste Kurtisane Venedigs. Sie hieß Ancilla und ist dieselbe, die der berühmte Tänzer Campioni später heiratete und die er nach London führte, wo sie die Todesursache eines sehr liebenswürdigen Engländers wurde. Ich werde nach vier Jahren ausführlicher von ihr sprechen; jetzt will ich nur von einem Ereignis sprechen, das schuld daran war, daß meine Liebe nur drei oder vier Wochen dauerte.

Graf Medini, ein junger Brausekopf wie ich und von denselben Neigungen wie ich, stellte mich dem Mädchen vor. Der Graf war ein unerschrockener Spieler und ein erklärter Feind des Glückes. Man spielte bei Ancilla, deren Hauptliebhaber er war, und der gute Apostel verschaffte mir die Bekanntschaft seiner Mätresse nur, um mich beim Kartenspiel betrügen zu können.

In der Tat wurde ich anfangs betrogen, aber da ich nichts merkte, so machte ich gute Miene zum bösen Spiel. Als ich mich jedoch eines Tages auf eine sehr auffallende Art bestohlen sah, zog ich eine Pistole aus meiner Tasche, setzte ihm die Mündung auf die Brust und drohte ihn zu töten, wenn er mir nicht augenblicklich zurückerstattete, was er mir gestohlen hätte. Ancilla wurde ohnmächtig, er aber gab mir mein Geld zurück und forderte mich auf, mit ihm hinauszugehen, um unsere Degen zu messen. Dies nahm ich an, legte meine Pistole auf den Tisch, und wir gingen hinaus. An einem geeigneten Ort angelangt, zogen wir bei Mondschein die Klingen, und ich hatte das Glück, ihm einen Stich durch die Schulter beizubringen. Da der Graf den Arm nicht mehr ausstrecken konnte, war er gezwungen, mich um Schonung zu bitten.

Nach dieser Waffentat legte ich mich nieder und schlief sehr gut. Als ich aber in der Frühe den Handel meinem Vater erzählt hatte, glaubte ich seinem Rate folgen und Padua augenblicklich verlassen zu müssen.

Graf Medini war sein Leben lang mein Feind; ich werde Gelegenheit haben, wieder von ihm zu sprechen, wenn der Leser mich in Neapel finden wird.

Der übrige Teil des Jahres verfloß in gewohntem Lebenswandel, ohne große Ereignisse, und ich war mit dem Glück bald zufrieden, bald unzufrieden.

Gegen Ende des Januars 1747 empfing ich einen Brief von der jungen Gräfin A. S., die nicht mehr ihren Namen trug, da sie den Marchese von *** geheiratet hatte. Sie bat mich, wenn der Zufall mich in die Stadt führte, wo sie wohnte, so zu tun, als ob ich sie nicht kennte, denn sie hätte das Glück, mit einem Manne verbunden zu sein, der ihr Herz gewonnen hätte, nachdem sie ihm ihre Hand gegeben.

Ich hatte schon durch ihren Bruder erfahren, daß ihre Mutter sie gleich nach ihrer Heimkehr nach der Stadt gebracht hatte, von wo sie mir schrieb, und daß sie dort bei einem Verwandten, wo sie wohnte, die Bekanntschaft eines Mannes gemacht hatte, der sich zur Aufgabe gestellt hatte, sie glücklich zu machen. Ich sah sie ein Jahr darauf und ohne den Brief, den sie mir geschrieben hatte, würde ich mich sicherlich ihrem Gemahl vorgestellt haben. Die Süßigkeiten des Friedens sind den Reizen der Liebe vorzuziehen, aber so denkt man nicht, wenn man verliebt ist.

In dieser Zeit fesselte mich etwa vierzehn Tage lang eine junge, sehr hübsche Venezianerin, die ihr Vater Ramon der Bewunderung des Publikums zur Schau stellte, indem er sie auf dem Theater tanzen ließ. Ich würde vielleicht meine Fesseln länger getragen haben, wenn Hymen sie nicht zerbrochen hätte. Ihre Beschützerin, Frau Cecilia Valmarauo, fand für sie einen passenden Gatten in einem französischen Tänzer, namens Binet, der den Namen Binetti annahm. Seine junge Gattin konnte daher Italienerin bleiben und brauchte keine Französin zu werden. Diese Binetti besaß das eigentümliche und seltene Vorrecht, daß die Jahre auf ihren Zügen nur leichte Spuren hinterließen. Sie erschien immer allen ihren Liebhabern jung, selbst den feinsten Kennern gealterter Züge. Die Männer verlangen im allgemeinen nichts weiter, und sie haben recht, wenn sie sich nicht noch die Mühe machen, sich zu überzeugen, daß sie vom Schein betrogen werden. Der letzte Liebhaber, dem diese einzige Frau durch das Übermaß des Vergnügens den Tod brachte, war ein gewisser Mosciuski, ein Pole, den sein Schicksal vor sieben oder acht Jahren nach Venedig rief. Die Binetti war damals dreiundsechzig Jahre alt.

Das Leben, welches ich in Venedig führte, hätte mir glücklich erscheinen können, wenn ich mich hätte enthalten können, in der Bassette zu pointieren. Das Bankhalten war auf den Ridotti nur den Nobili allein erlaubt; sie durften nicht maskiert sein und mußten das Patrizierkleid tragen, mit der großen Perücke auf dem Kopfe, die seit Beginn des Jahrhunderts zur Amtstracht gehörte. Ich spielte und tat unrecht daran, denn ich besaß weder die Klugheit, aufzuhören, wenn das Glück gegen mich war, noch die Willenskraft, einzuhalten, wenn ich einen Gewinn gemacht hatte. Ich spielte damals wirklich nur aus Geiz. Ich liebte die Verschwendung, aber jede Ausgabe tat mir leid, wenn sie nicht auf Kosten des im Spiel gewonnenen Geldes ging, denn dieses allein schien mir nichts gekostet zu haben.

Am Ende des Monats Januar sah ich mich in die Notwendigkeit versetzt, mir zweihundert Zechinen zu verschaffen. Frau Manzoni ließ mir durch eine andere Dame einen Brillanten leihen, der fünfhundert wert war. Ich beschloß, mich nach Treviso, fünfzehn Meilen von Venedig, zu begeben, um ihn in das Leihhaus zu tragen, das Gelder zu fünf auf Hundert leiht. Diese schöne und nützliche Anstalt fehlt in Venedig, wo die Juden ihre Zulassung stets zu verhindern gewußt haben.

Ich stand früh auf und ging zu Fuß bis an das Ende des Canal regio, in der Absicht, eine Gondel nach Mestre zu nehmen, wo ich einen Postwagen genommen haben würde, der mich in nicht ganz zwei Stunden nach Treviso gebracht haben würde; von dort wäre ich noch an demselben Tage, nachdem ich den Brillanten versetzt hätte, zurückgekehrt und hätte die Nacht wieder in Venedig schlafen können.

Als ich über den Kai von San Giobbe ging, sah ich in einer zweirudrigen Gondel ein sehr reich geputztes Bauernmädchen. Ich blieb stehen, um sie zu betrachten. Der Barkarole am Steuer dachte, ich wolle die Gelegenheit benützen, um billiger nach Mestre zu kommen, und sagte dem Barkarolen auf dem Schiffshinterteil, er solle auf das Ufer zuhalten. Ich zögerte nicht einen Augenblick, als ich das hübsche Gesicht des Bauernmädchens sah, stieg ein und zahlte ihm das Doppelte, damit er niemand mehr aufnähme. Ein alter Priester nahm den ersten Platz neben dem Mädchen ein, er erhob sich, um mir Platz zu machen, aber ich nötigte ihn höflich, sich wieder zu setzen.

Achtzehntes Kapitel


Ich verliebe mich in Cristina und finde einen würdigen Gatten für sie. – Ihre Hochzeit.

»Diese Barkarolen«, sagte der greise Priester, um ein Gespräch einzuleiten, »haben viel Glück. Sie haben uns am Rialto für dreißig Soldi aufgenommen unter der Bedingung, daß sie noch andere Passagiere aufnehmen könnten, und schon ist einer da. Sie werden sicher noch andere finden.«

»Wenn ich in einer Gondel bin, Hochwürden, ist kein Platz mehr für andere darin.«

Indem ich dies sage, gehe ich den Schiffern noch vierzig Soldi, und sie sind zufrieden, denn sie danken mir und nennen mich Exzellenz. Der gute Abbé nahm das für bare Münze und bat mich um Verzeihung, mir nicht diesen Titel gegeben zu haben.

»Da ich kein venezianischer Edelmann bin, Hochwürden, gebührt mir der Titel nicht.«

»Ach, sagte das junge Mädchen, »da bin ich sehr froh!«

»Und warum, mein Fräulein?«

»Weil ich Furcht habe, wenn ich einen Edelmann neben mir sehe. Aber ich denke mir, Sie sind ein Illustrissimo.«

»Auch nicht, mein Fräulein; ich bin einfach Schreiber bei einem Advokaten.«

»Das freut mich noch mehr, denn ich liebe, mich in Gesellschaft von Leuten zu finden, die sich nicht für mehr halten als ich bin. Mein Vater war Pächter und Bruder meines Onkels, den Sie hier sehen. Er ist Pfarrer von Pr., wo ich geboren bin und erzogen wurde. Da ich die einzige Tochter bin, erbe ich das Vermögen meines Vaters, der gestorben ist, und das meiner Mutter, die seit langer Zeit krank ist und nicht mehr lange Zeit leben wird, was mir viel Kummer macht; aber der Arzt hat es uns gesagt. Doch um auf meine Worte zurückzukommen, ich glaube, daß der Unterschied zwischen einem Advokatenschreiber und der Tochter eines reichen Pächters kein so großer ist. Ich sage das nur so beiläufig, denn ich weiß wohl, daß man auf der Reise mit allen möglichen Leuten zusammenkommt, nicht wahr, Onkel?«

»Ja, meine liebe Cristina; wie du siehst, hat der Herr sich ja zu uns gesetzt, ohne zu wissen, wer wir sind.«

»Aber glauben Sie denn, Herr Pfarrer, daß ich gekommen wäre, wenn ich nicht durch die Schönheit Ihrer hübschen Nichte angezogen worden wäre?«

Auf diese Worte hin brechen meine guten Leute in ein Gelächter aus. Da ich meine Bemerkung nicht sehr komisch fand, so hielt ich meine Reisegefährten für etwas einfältig, und ich war über diese Entdeckung keineswegs erzürnt.

»Warum lachen Sie so sehr, mein schönes Fräulein? Um mir Ihre schönen Zähne zeigen zu können? Ich gestehe, daß ich in Venedig niemals so schöne gesehen habe.«

»O keineswegs, mein Herr, obwohl mir in Venedig jedermann dieses Kompliment gemacht hat. Ich versichere, daß in Pr. alle Mädchen so schöne Zähne haben wie ich. Nicht wahr, mein teurer Onkel?«

»Ja, liebe Nichte.«

»Mein Herr, ich lachte über eine Sache, die ich Ihnen nie sagen werde.«

»Ach, sagen Sie mir’s, ich bitte Sie darum.«

»O nein, niemals!«

»Ich werde es Ihnen selbst sagen«, sagte der Pfarrer zu mir.

»Ich will’s nicht,« sagte sie, indem sie ihre schönen Augenbrauen runzelte, »oder ich gehe fort.«

»Das wirst du wohl bleiben lassen, meine Teure. – Wissen Sie, was sie gesagt hat, als sie Sie auf dem Kai erblickt hat? ›Sieh mal da den hübschen Jungen, der mich anblickt; der ärgert sich, daß er nicht bei uns ist.‹ – Und als sie gesehen hat, daß Sie die Gondel anhalten ließen, war ihr das sehr recht.«

Während der Geistliche erzählte, gab ihm die erzürnte Nichte Schläge auf die Schulter.

»Warum, schöne Cristina, sind Sie böse, daß ich erfahre, Ihnen gefallen zu haben? Ich dagegen bin entzückt, daß Sie wissen, wie reizend ich Sie finde.«

»Sie sind nur einen Augenblick darüber entzückt. O, ich kenne die Venezianer jetzt gut. Sie haben mir alle gesagt, daß ich sie entzückte, und keiner von denen, die mir gepaßt hätten, hat sich erklärt.«

»Welche Erklärung wünschten Sie?«

»Die Erklärung, die ich verlangen kann, mein Herr: einen Antrag auf eine richtige Heirat in der Kirche in Gegenwart von Zeugen. Und wir sind doch vierzehn Tage lang in Venedig geblieben, nicht wahr, Onkel?«

»Das Mädchen«, sagte mir jetzt der Onkel, »ist eine gute Partie, so wie Sie sie hier sehen; denn sie hat dreitausend Taler. Sie hat immer gesagt, sie will nur einen Venezianer heiraten, und ich habe sie nach Venedig begleitet, damit sie Bekanntschaften machen könnte. Eine Frau von guter Familie hat uns während vierzehn Tagen eine Zuflucht gegeben und hat sie in mehrere Häuser geführt, wo junge heiratsfähige Leute sie gesehen haben, aber die, die ihr gefallen haben, wollten nichts von der Heirat sprechen hören, und die, die sie hätten heiraten wollen, waren nicht nach ihrem Geschmack.«

»Aber glauben Sie denn,« sagte ich zu ihm, »daß sich eine Heirat so leicht macht wie ein Eierkuchen? Vierzehn Tage in Venedig sind gar nichts, man muß wenigstens sechs Monate dort zubringen. Ich zum Beispiel finde Ihre Nichte zum Anbeißen hübsch, und ich würde mich glücklich schätzen, wenn die Frau, die Gott mir bestimmt, ihr ähnlich sähe; aber wenn sie mir auf der Stelle fünfzigtausend Taler geben würde, um sie sogleich zu heiraten, so würde ich sie nicht wollen. Ein junger vernünftiger Mann will, bevor er eine Frau nimmt. ihren Charakter kennenlernen, denn weder Geld noch Schönheit sichern das Glück eines Hausstandes.«

»Was verstehen Sie unter Charakter?« sagte Cristina zu mir. »Meinen Sie schöne Schrift?«

»Nein, mein Engel, Sie machen mich lachen. Es handelt sich um Eigenschaften des Herzens und des Geistes. Ich muß mich ja auch einmal verheiraten, und ich suche den Gegenstand seit drei Jahren, aber ich suche ihn noch vergeblich. Ich habe mehrere Mädchen gekannt, die fast so hübsch waren wie Sie, und alle hatten eine gute Mitgift, aber nachdem ich zwei oder drei Monate mit ihnen verkehrt hatte, sah ich, daß sie mich nicht glücklich machen würden.«

»Was fehlte ihnen?«

»Ich will es Ihnen gerne sagen, denn Sie kennen sie nicht. Die eine, die ich sicher geheiratet haben würde, denn ich liebte sie sehr, war außerordentlich eitel. Ich brauchte nur zwei Monate, um es zu bemerken. Sie würde mich durch Kleider, Moden und Luxus zugrunde gerichtet haben. Denken Sie sich, sie gab dem Friseur monatlich eine Zechine, und zum mindesten eine andere ging für Pomaden und wohlriechende Wässer drauf.«

»Das war eine Närrin. Ich gebe jährlich nur zehn Soldi für Wachs aus, das ich mit Ziegenfett mische, und ich habe eine ausgezeichnete Pomade.«

»Eine andere, die ich vor zwei Jahren geheiratet haben würde, hatte ein Leiden, das mich unglücklich gemacht haben würde; sobald ich es bemerkte, besuchte ich sie nicht mehr.«

»Was war dies für ein Leiden?«

»Sie war so angelegt, daß sie nicht hätte Mutter werden können, und das ist schrecklich; denn wenn ich mich verheirate, will ich Kinder.«

»Darüber ist Gott allein der Herr, ich weiß indessen, daß ich gesund bin. Nicht wahr, Onkel?«

»Eine andere war zu fromm, und das will ich auch nicht. Sie war so gewissenhaft, daß sie alle drei oder vier Tage beichten ging, und ihre Beichte dauerte wenigstens eine Stunde. Ich will eine gute Christin zur Frau, aber keine Betschwester.«

»Das war vielleicht eine große Sünderin oder eine sehr einfältige Person. Ich beichte jeden Monat einmal, und ich sage alles in zwei Minuten. – Ist das wahr, Onkel? Und wenn Sie mir nicht Fragen stellen würden, so wüßte ich nicht, was ich Ihnen sagen sollte.«

»Eine andere wollte gebildeter sein als ich, obwohl sie jede Minute irgendeine Dummheit sagte; eine andere war beständig traurig, und ich will eine lustige Frau.«

»Sehen Sie Onkel, Sie und die Mutter, ihr werft mir immer meine Heiterkeit vor.«

»Eine andere, die ich sehr schnell verließ, hatte immer Furcht davor, sich allein mit mir zu befinden, und wenn ich ihr einen Kuß gab, so lief sie, dies der Mutter zu sagen.«

»Die war wohl dumm. Ich habe noch keinen Liebhaber in Pr. erhört, denn es gibt dort nur grobe Bauern, aber ich weiß doch, daß es gewisse Dinge gibt, die ich nicht meiner Mutter erzählen würde.«

»Eine andere hatte einen übelriechenden Atem; wieder eine andere schminkte sich, und diesen häßlichen Fehler haben fast alle Mädchen. Ich fürchte darum sehr, daß ich mich nie verheiraten werde, denn ich verlange zum Beispiel, daß die, die ich heiraten werde, schwarze Augen hat; und heutzutage haben fast alle Mädchen das Geheimnis gelernt, sie zu färben. Aber ich würde nicht angeführt werden, denn ich bin Kenner.«

»Sind die meinen schwarz?«

»Haha!«

»Sie lachen?«

»Ich lache, weil sie schwarz scheinen, aber sie sind es nicht. Trotzdem sind Sie sehr liebenswürdig.«

»Das ist komisch. Sie glauben, daß meine Augen gefärbt sind, und Sie sagen, daß Sie sich darauf verstehen. Meine Augen, mein Herr, mögen schön oder häßlich sein, aber sie sind so, wie Gott sie mir gegeben hat. Nicht wahr, Onkel?«

»Ich habe es immer geglaubt, liebe Nichte.«

»Und Sie glauben es nicht?« sagte sie lebhaft zu mir.

»Nein, sie sind zu schön, als daß ich sie für natürlich hielte.«

»Bei Gott. Das ist zu stark.«

»Entschuldigen Sie, mein schönes Fräulein, ich sehe, ich bin zu aufrichtig gewesen.«

Diesem Streit folgte ein Schweigen. Der Pfarrer lächelte von Zeit zu Zeit, aber das Mädchen gab sich Mühe, ihren Verdruß zu verbergen.

Ich blickte sie verstohlen an und sah, daß ihr beinahe die Tränen kamen; das schmerzte mich, denn sie war entzückend. Als reiche Bäuerin geputzt trug sie auf dem Kopfe für mehr als hundert Zechinen goldene Nadeln und Pfeile, die die Flechten ihres langen ebenholzschwarzen Haares zusammenhielten. Lange massive Ohrbommeln und eine goldene Kette, die sich zwanzigmal um ihren Alabasterhals wand, verliehen ihrem Lilien- und Rosenantlitz einen bezaubernden Glanz. Es war die erste bäuerliche Schönheit, die ich in solchem Putze sah. Sechs Jahre früher hatte mich Lucia in Paseano auf eine andere Art gefesselt.

Cristina sagte kein Wort mehr, aber sie mußte in Verzweiflung sein, denn gerade ihre Augen waren von einer strahlenden Schönheit, und ich beging die Barbarei, ihr ihre Echtheit zu bestreiten! Sie mußte mich verabscheuen, und wenn sie nicht weinte, so geschah dies nur deshalb, weil sie wütend sein mußte. Ich hütete mich indessen, sie zu belehren, denn ich wollte, daß sie selber die Entwicklung durch einen Gewaltstreich herbeiführte.

Sobald die Gondel in den langen Kanal von Manghera eingelaufen war, fragte ich den Pfarrer, ob er einen Wagen hätte, um nach Treviso zu fahren; er mußte nämlich diesen Ort passieren, um nach Pr. zu gelangen.

»Ich werde zu Fuß gehen«, sagte mir der brave Mann, »denn meine Pfarre ist arm, und für Cristina werde ich leicht einen Platz auf irgendeinem Wagen finden.«

»Sie würden mir ein wahrhaftes Vergnügen machen, wenn Sie alle beide einen Platz in meinem Wagen einnähmen. Er hat vier Plätze, wir werden bequem darin sitzen.«

»Das ist ein Glück, das wir nicht erhofften.«

»Aber nein, Onkel! Ich will nicht mit diesem Herrn fahren.«

»Warum denn nicht, liebe Nichte?«

»Weil ich nicht will.«

»Aha!« sagte ich, ohne sie anzublicken, »so belohnt man ja gewöhnlich die Aufrichtigkeit.«

»Es war keine Aufrichtigkeit von Ihnen, mein Herr,« sagte sie heftig, »es war reine Bosheit. Für Sie wird es in der ganzen Welt keine schwarzen Augen mehr geben, aber, da Sie die schwarzen Augen lieben, freut mich das!«

»Sie täuschen sich, schöne Cristina, denn ich besitze ein Mittel, die Wahrheit zu erfahren.«

»Und was ist das für ein Mittel?«

»Man braucht sie nur mit etwas lauem Rosenwasser zu waschen, und selbst das ist nicht nötig, denn die ganze künstliche Farbe geht weg, sobald das Mädchen weint.«

Bei diesen Worten änderte sich die Szene wie durch einen Zauberchlag. Das Antlitz des schönen Mädchens, das nur Entrüstung, Unwille und Verachtung ausdrückte, nahm eine heitere und befriedigte Miene an, die sie wahrhaft verführerisch machte. Sie richtete ein Lächeln an den Pfarrer, der von der Veränderung entzückt war, denn die freie Wagenfahrt lag ihm am Herzen.

»Weine doch, Nichte, und der Herr wird deinen Augen Gerechtigkeit widerfahren lassen.«

Cristina weinte tatsächlich, aber vor lauter Lachen.

Ich war auf dem Gipfel der Freude, eine solche Art von natürlichem Original zu sehen, und während ich die Stufen hinaufstieg, um das Ufer zu erreichen, gab ich ihr eine so vollständige Genugtuung, daß sie das Anerbieten meines Wagens annahm. Ich ließ ein Frühstück auftragen und befahl einem Kutscher, während wir frühstückten, einen schönen Wagen anzuspannen, aber der Pfarrer sagte, er wolle vor allen Dingen eine Messe lesen.

»Sehr gut,« sagte ich zu ihm, »wir werden sie anhören, und ich bitte Sie, sagen Sie die Gebete für mich.«

Gleichzeitig drückte ich ihm einen Silberdukaten in die Hand.

»Das, Hochwürden, ist mein gewöhnlicher Satz.«

Meine Freigebigkeit verwunderte ihn so sehr, daß er mir die Hand küssen wollte. Er ging zur Kirche, und ich bot meinen Arm der Nichte an; sie wußte nicht, ob sie ihn annehmen oder ausschlagen sollte, und sagte zu mir:

»Glauben Sie denn, daß ich nicht allein gehen kann?«

»Das nicht, aber wenn ich Ihnen nicht den Arm gebe, wird man sagen, ich sei unhöflich.«

»Und was wird man jetzt sagen, da ich ihn Ihnen gebe?«

»Man wird vielleicht sagen, daß wir uns lieben und vielleicht sogar, daß wir gut zueinander passen.«

»Und wenn man Ihrer Geliebten sagt, daß wir uns lieben, oder auch nur einfach ihr hinterbringt, daß Sie einem anderen Mädchen den Arm gaben?«

»Ich habe keine Geliebte und will keine mehr haben, denn in Venedig würde ich kein so schönes Mädchen wie Sie finden.«

»Das tut mir Ihretwegen leid, denn wir werden nicht nach Venedig zurückkehren, und wenn auch, wie könnte ich mich wohl sechs Monate dort aufhalten? Und das ist doch die Zeit, haben Sie gesagt, die Sie brauchen, um ein Mädchen kennenzulernen.«

»Ich würde gern die Auslagen zahlen.«

»Wahrhaftig? Sagen Sie es doch meinem Onkel, und er wird sich’s überlegen, denn ich kann nicht allein dorthin gehen.«

»In sechs Monaten würden Sie mich auch kennenlernen.«

»O, ich, – ich kenne Sie schon sehr gut.«

»Sie würden sich also an meine Person gewöhnen?«

»Warum nicht?«

»Und Sie würden mich lieben?«

»Ja, sehr, wenn Sie mein Gatte wären.«

Ich sah das junge Mädchen mit Erstaunen an. Sie machte den Eindruck einer als Bäuerin verkleideten Prinzessin. Ihr Kleid von schwerer Seide, mit goldenen Tressen besetzt, war von dem höchsten Lurus und mußte das Doppelte des schönsten Stadtkleides kosten. Ihre Armbänder, die ihrem Halsschmuck entsprachen, ergänzten den reichsten Putz. Sie besaß eine Nymphentaille, und da die Mode der Mäntelchen noch nicht bis aufs Land gedrungen war, sah ich den schönsten Busen, den man sich denken kann, obwohl ihr Kleid bis an den Hals zugeknöpft war. Der Saum des reichbesetzten Rockes ging nur bis zu den Knöcheln und ließ mich den kleinsten Fuß und das feinste Ankel erblicken. Ihr Gang war sicher und ungezwungen, alle Bewegungen waren frei, natürlich und anmutig, und ihr reizender Blick schien mir zu sagen: »Ich bin sehr zufrieden, daß Sie mich hübsch fanden.« Dies alles versetzte meine Sinne in einen Glückstaumel. Es war mir unbegreiflich, wie ein so entzückendes Mädchen vierzehn Tage in Venedig sein konnte, ohne irgend jemanden zu finden, der sie heiratete oder betrog. Besonders viel trugen zu meinem Entzücken bei ihr Geplauder und ihre Naivität, die ich als Großstädter für Dummheit hielt.

Von meinen Betrachtungen in Anspruch genommen und entschlossen, ihren Reizen eine glänzende Huldigung nach meiner Art darzubringen, erwarte ich mit Ungeduld das Ende der Messe.

Als wir gefrühstückt hatten, hatte ich die größte Mühe, dem Pfarrer begreiflich zu machen, daß ich zuletzt meinen Platz im Wagen einnehmen müßte. Aber ich hatte weniger Mühe, ihn bei unserer Ankunft in Treviso zu überreden, daß er in einem nicht sehr besuchten Gasthof zum Mittag- und Abendessen bleiben sollte, da ich die Kosten trüge. Er nahm die Einladung an, sobald ich ihm gesagt hatte, daß nach dem Abendessen ein Wagen bereitstehen würde, der ihn bei schönstem Mondschein in einer Stunde nach Pr. führen würde. Es drängte ihn nichts als die unbedingte Notwendigkeit, am nächsten Tage in seiner Kirche die Messe zu halten.

Nachdem ich im Wirtshaus ein gutes Feuer hatte anmachen lassen und ein gutes Mittagessen bestellt hatte, fiel mir ein, der Pfarrer könnte meinen Diamanten versetzen, so daß ich einige Augenblicke mit der Nichte allein sein würde. Ich machte ihm den Vorschlag, indem ich ihm sagte, ich wolle nicht selber hingehen, denn ich möchte nicht gerne erkannt werden. Er nahm meinen Vorschlag mit Eifer an und freute sich, mir eine Gefälligkeit erweisen zu können.

Er ging, und ich war mit der reizenden Cristina allein. Ich verbrachte eine Stunde mit ihr; aber ich versuchte nicht einmal, ihr einen einzigen Kuß zu geben, obwohl ich vor Verlangen danach starb. Allein ich bereitete ihr Herz auf das Verlangen, von dem ich entflammt war, durch alle jene Reden vor, die so leicht die Einbildungskraft eines jungen Mädchens erhitzen.

Der Pfarrer kam zurück und übergab mir den Ring mit Worten, daß ich ihn wegen des Festes der heiligen Jungfrau erst am übernächsten Tag versetzen könnte. Er hatte mit dem Kassier des Versatzamtes gesprochen, und dieser hatte ihm gesagt, man würde mir das Doppelte geben, wenn ich es wünschte.

»Herr Pfarrer,« sagte ich zu ihm, »Sie würden mir einen Dienst erweisen, wenn Sie von Pr. zurückkehrten, um ihn selbst zu versetzen, denn nachdem Sie ihn gezeigt haben, könnte es Verdacht erregen, wenn es durch einen anderen geschähe. Ich werde Ihnen den Wagen bezahlen.«

»Ich verspreche Ihnen, zurückzukommen.«

Ich hoffte natürlich, daß er auch seine Nichte mitbringen würde.

Während des Essens Cristina gegenübersitzend, entdeckte ich jeden Augenblick einen neuen Reiz an ihr. Allein da ich fürchtete, ihr Vertrauen zu verlieren, wenn ich mir im Laufe des Tages irgendeine unbedeutende Gunst verschaffte, so beschloß ich, nichts zu übereilen und es dahin zu bringen, daß der gute Pfarrer sie nach Venedig zurückführte. Nur dort konnte ich nach meiner Ansicht ihre Liebe erwecken und dieser die passende Nahrung zuführen.

»Herr Pfarrer,« sagte ich zu ihm, »ich rate Ihnen, Ihre Nichte wieder nach Venedig zu führen. Ich übernehme alle Auslagen, und ich werde Ihnen eine tugendhafte Person verschaffen, bei der Fräulein Cristina so sicher sein wird wie unter den Augen ihrer Mutter. Ich muß sie gut kennenlernen, um sie heiraten zu können; dann aber kann die Sache gar nicht fehlschlagen.«

»Mein Herr, ich werde meine teure Nichte selbst hinführen, sobald Sie mich benachrichtigt haben, daß Sie das Haus gefunden haben, dem ich sie mit Sicherheit anvertrauen kann.«

Während wir miteinander sprachen, blickte ich auf Cristina und sah sie voll Befriedigung lächeln.

»Meine teure Cristina,« sagte ich zu ihr, »in höchstens einer Woche wird die Sache geordnet sein. Während dieser Zeit werde ich Ihnen schreiben; ich hoffe, daß Sie mir antworten werden.«

»Mein Onkel wird Ihnen für mich antworten, denn ich habe niemals Lust gehabt, schreiben zu lernen.«

»Ei, mein teures Kind, wie wollen Sie die Frau eines Venezianers werden, ohne schreiben zu können?«

»Aber ist es denn notwendig, schreiben zu können, um Frau zu werden? Lesen kann ich sehr gut.«

»Das genügt nicht, und obwohl man Frau und Familienmutter sein kann, ohne einen Strich vom A ziehen zu können, ist es dennoch erwünscht, daß ein junges Mädchen schreiben kann; ich verwundere mich, daß Sie es nicht können.«

»Aber welches Wunder! Es gibt bei uns kein einziges Mädchen, das es kann; nicht wahr, Onkel?«

»Das ist wahr, allein keine denkt dran, nach Venedig zu heiraten; aber da du das willst, so mußt du es lernen.«

»Gewiß« sagte ich zu ihr, »und zwar bevor Sie nach Venedig kommen, denn man würde sich über Sie lustig machen, wenn Sie es nicht verstünden. Das macht Sie traurig, meine Teure, aber es tut mir leid.«

»Es verdrießt mich, weil es unmöglich ist, in einer Woche schreiben zu lernen.«

»Ich verpflichte mich,« sagte ihr Onkel, »es dich in vierzehn Tagen zu lehren, wenn du allen Fleiß darauf verwenden willst. Du wirst dann genug können, um dich später selber weiterzubilden.«

»Es ist das ein großes Unternehmen, allein ich nehme es auf mich, und verspreche Ihnen, Tag und Nacht zu studieren; schon morgen will ich beginnen.«

Als wir gegessen hatten, sagte ich dem Pfarrer, statt nach dem Abendessen abzureisen, würde er wohl daran tun, sich in der Nacht auszuruhen und erst eine Stunde vor Tagesanbruch zu fahren. So würde er noch zeitig genug für seine Messe ankommen und frischer sein. Am Abend erneuerte ich meinen Vorschlag, und da er sah, daß seine Nichte schläfrig war, ließ er sich leicht überreden. Ich rief die Wirtin, um einen Wagen zu bestellen, und als ich ihr auftrug, mir im benachbarten Zimmer Feuer zu machen und ein Bett zu bereiten, sagte der fromme Pfarrer zu mir, das wäre nicht nötig, weil in dem Zimmer, in dem wir uns befänden, zwei Betten wären, das eine für mich und das andere für seine Nichte und ihn.

»Wir werden uns nicht auskleiden,« fügte er hinzu, »aber Sie können sich in aller Freiheit ausziehen; denn da Sie nicht mit uns fahren, können Sie im Bett bleiben, solange es Ihnen beliebt.«

»Oh!« sagte Cristina, »ich muß mich ausziehen, denn sonst könnte ich nicht schlafen; allein ich werde Sie nicht warten lassen, denn ich brauche nur eine Viertelstunde, um mich zurechtzumachen.«

Ich sagte nichts, aber ich konnte vor Erstaunen nicht zu mir kommen. Cristina, das reizende Mädchen, geschaffen, einen Xenokrates zu verführen, schlief nackt bei ihrem Onkel, dem Pfarrer, der allerdings alt, sehr fromm und keineswegs dazu angetan war, um diese Anordnung verwegen erscheinen zu lassen. Aber man mag sagen, was man will, der Pfarrer war schließlich doch ein Mann, er mußte es ebenso gut gewesen sein wie ein anderer und wissen, daß er sich Gefahr aussetzte. Mein ganz auf das Fleischliche gerichteter Verstand fand das unerhört. Und dennoch war die Sache unschuldig, und so unschuldig, daß er sie nicht nur nicht verbarg, sondern daß er selber nicht einmal an die Möglichkeit dachte, man könnte etwas Schlimmes dabei finden. Ich sah das alles ein, aber ich war an so etwas nicht gewöhnt und konnte es durchaus nicht begreifen. Als ich an Alter und Erfahrung zunahm, habe ich diesen Gebrauch in vielen Ländern bei braven Menschen gefunden, deren guten Sitten er keineswegs anstößig war. Allein, ich wiederhole, das geschieht nur unter braven Leuten, und ich mache keinen Anspruch darauf, zu denen zu gehören.

Wir hatten zu Mittag kein Fleisch gegessen, und mein verwöhnter Gaumen war wenig befriedigt worden. Ich stieg in die Küche hinab und sagte der Wirtin, ich wollte das Beste, was der Markt von Treviso böte, und vor allen Dingen ausgezeichneten Wein.

»Wenn es Ihnen auf die Ausgabe nicht ankommt, mein Herr, lassen Sie mich nur sorgen, Sie werden zufrieden sein. Sie werden Gattawein bekommen.«

»Gut, und Bereiten Sie das Abendessen rechtzeitig.«

Ich ging wieder hinauf und überraschte Cristina, wie sie die Wangen ihres alten fünfundfiebzigjährigen Oheims streichelte. Der gute Mann lachte.

»Wissen Sie, um was es sich handelt?« fragte er mich. »Meine Nichte liebkost mich, damit ich sie bis zu meiner Rückkehr hier lasse. Sie sagt mir, Sie hätten heute früh die Stunde, die ich Sie mit ihr allein gelassen habe, wie ein Bruder mit seiner Schwester verbracht, und ich glauhe es. Allein sie denkt nicht daran, daß sie Sie belästigen würde.«

»Nein, im Gegenteil, seien Sie sicher, daß sie mir Vergnügen machen wird, denn ich finde sie höchst liebenswürdig. Daß sie und ich unserer Pflicht eingedenk sein werden, darauf können Sie sich, glaube ich, unbedingt verlassen.«

»Ich zweifle nicht daran. Ich lasse sie Ihnen also bis übermorgen. Sie werden mich rechtzeitig wieder hier sehen, um Ihr Geschäft zu besorgen.«

Infolge dieses so überraschenden und unerwarteten Übereinkommens stieg mir das Blut zu Kopf, und ich hatte ein Nasenbluten, das länger als eine Viertelstunde dauerte. Ich machte mir nichts daraus, denn ich war an diese Zufälle gewöhnt, aber der gute Pfarrer hatte Angst, denn er furchtete einen Blutsturz.

Sobald er sich beruhigt hatte, verließ er uns wegen seines Geschäftes und sagte uns, er werde erst mit Eintritt der Nacht zurückkehren. Ich sah mich allein mit der liebenswürdigen und naiven Cristina und beeilte mich, ihr für das Vertrauen zu danken, das sie mir entgegenbrachte.

»Ich gebe Ihnen die Versicherung,« sagte sie, »daß ich mich danach sehne, Sie möchten mich ganz kennenlernen. Sie würden sehen, daß ich nicht die Fehler habe, die Ihnen an den Mädchen, die Sie in Venedig kennengelernt haben, so sehr mißfallen haben. Außerdem verspreche ich Ihnen, sofort gut schreiben zu lernen.«

»Sie sind anbetungswürdig in Ihrer Aufrichtigkeit, aber Sie müssen in Pr. verschwiegen sein und niemandem sagen, daß Sie mit mir ein Abkommen getroffen hahen. Sie werden sich danach richten, was Ihnen Ihr Oheim sagen wird, denn ich werde ihm alles schreiben.«

»Sie können auf meine Verschwiegenheit zählen, und selbst meine Mutter wird nur dann etwas erfahren, wenn Sie mir gestatten, es ihr zu sagen.«

So verbrachte ich den Tag, indem ich mir die geringsten Freiheiten verwehrte; dabei aber verliebte ich mich immer mehr in das reizende Mädchen. Ich erzählte ihr kleine galante Geschichten, die ich derart verschleierte, daß ich sie interessierte, ohne sie scheu zu machen, und ich sah, obwohl sie nicht alles begriff, daß sie so tat, als verstände sie es, um mir gegenüber nicht unwissend zu erscheinen.

Als ihr Onkel zurückkehrte, machte ich allerlei Pläne, was zu tun sei, um sie zu heiraten, und ich nahm mir vor, sie ebenfalls zu der guten Witwe zu führen, wo ich meine schöne Gräfin untergebracht hatte.

Wir setzten uns zu Tische, und unser Abendessen war ausgezeichnet. Ich mußte Cristina lehren, Austern und Trüffeln zu essen, die sie zum erstenmal vor sich sah. Der Wein von Gatta ist wie der Champagner, er erheitert, aber berauscht nicht; leider erhält er sich nur von einer Lese bis zur anderen. Wir legten uns vor Mitternacht nieder und ich erwachte erst bei vollem Tag. Der Geistliche war so leise fortgegangen, daß ich ihn nicht gehört hatte.

Ich drehte mich gegen das andere Bett um und sah nur Cristina darin schlafen. Ich wünschte ihr guten Morgen, sie erwachte, kam zu sich und fächelte, indem sie sich auf den Ellbogen stützte.

»Mein Oheim ist fort, ich habe ihn nicht gehört.«

»Meine teure Freundin, du bist schön wie ein Engel; ich sterbe vor Verlangen, dir einen Kuß zu gehen.«

»Wenn du dieses Verlangen hast, mein teurer Freund, dann komm und gib mir ihn.«

Ich sprang aus dem Bett, der Anstand ließ sie zurückweichen; es war kalt, ich war verliebt und lag mit einer jener plötzlichen Bewegungen, die das Gefühl allein herbeiführt, in ihren Armen, und wir gehörten einander an, ohne daran gedacht zu haben, uns hinzugeben, sie glücklich und ein wenig verwirrt, ich strahlend und dennoch erstaunt über einen Sieg, den ich ohne Kampf errungen hatte.

Nach einer Stunde zärtlichen Vergessens wurden wir ruhiger und blickten uns gefühlvoll an, aber ohne uns etwas zu sagen. Cristina war die erste, die das Schweigen brach:

»Was haben wir getan?« sagte sie mit der zärtlichsten Miene und im sanftesten Ton.

»Wir haben uns verheiratet.«

»Was wird morgen mein Onkel sagen?«

»Er wird es erst dann erfahren, wenn er uns die eheliche Einsegnung in der Kirche seiner Gemeinde gegeben hat.«

»Und wann wird er sie uns geben?«

»Sobald wir alle nötigen Vorbereitungen zu einer öffentlichen Heirat getroffen haben.«

»Wieviel Zeit erfordert das?« »Kaum einen Monat.«

»Man kann sich in der Fastenzeit nicht verheiraten.«

»Ich werde die Erlaubnis dazu erhalten.«

»Du hintergehst mich doch nicht?«

»Nein; ich bete dich an.«

»Du brauchst mich also nicht kennenzulernen?«

»Nein, denn ich kenne dich ganz und gar, und ich bin sicher, daß du mein Glück sein wirst.«

»Und du das meine.«

»Ich hoffe es.«

»Laß uns aufstehen und in die Messe gehen. Wer hätte das gedacht, daß ich, um einen Mann zu bekommen, nicht nach Venedig gehen, sondern von dort zurückkehren müßte?«

Wir erhoben uns, und nachdem wir gefrühstückt hatten, gingen wir in die Messe. Der Rest des Vormittags verstrich unbemerkt bis zum Mittagessen. Da ich Cristina anders fand als am Tage vorher, fragte ich sie nach dem Grund:

»Es muß derselbe sein,« sagte sie zu mir, »der dich nachdenklich macht.«

»Mein nachdenkliches Wesen, meine Teure, ist der glücklichen Liebe angemessen, wenn diese sich mit der Ehre auseinandersetzt. Die Angelegenheit ist sehr ernst geworden, und die Liebe sieht sich zur Überlegung verpflichtet. Es handelt sich um unsere kirchliche Heirat, und wir können sie nicht vor der Fastenzeit schließen, denn wir sind in den letzten Tagen des Faschings, indessen können wir nicht bis Ostern warten, denn die Zeit würde uns zu lang erscheinen. Wir brauchen einen rechtsgültigen Dispens, um unsere Hochzeit zu feiern. Habe ich also nicht sehr viel Grund nachzudenken?«

Statt aller Antwort erhob sie sich und umarmte mich mit Zärtlichkeit. Was ich ihr gesagt hatte, war wahr, allein ich konnte ihr nicht alles sagen, was mich nachdenklich machte. Ich erblickte mich in einer Verpflichtung, die mir nicht mißfiel, aber ich würde gewünscht haben, daß es nicht so eilig gewesen wäre. Ich konnte mir nicht verhehlen, daß etwas Reue sich in meine verliebte und gut gesinnte Seele schlich. Und das betrübte mich. Indessen hatte ich die Gewißheit, daß das ausgezeichnete Geschöpf mir niemals sein Unglück werde vorzuwerfen haben.

Wir hatten den ganzen Abend vor uns, und da sie mir gesagt hatte, daß sie noch niemals ein Theater gesehen hätte, so entschloß ich mich, ihr dieses Vergnügen an diesem Abend noch zu bieten. Ich ließ einen Juden kommen, der mich mit allem versorgte, was zur Maskierung nötig war, und wir gingen. Ein Verliebter findet seine wahre Lust nur in dem Vergnügen, das er dem geliebten, Gegenstand verschafft. Nach der Vorstellung führte ich sie ins Kasino, und sie machte mich lachen durch das Erstaunen, das sie zeigte, als sie zum erstenmal eine Pharaobank sah. Ich hatte nicht Geld genug, um selbst zu spielen, aber mehr als genug, um sie durch ein kleines Spiel zu unterhalten. Ich gab ihr zehn Zechinen, indem ich ihr sagte, was sie tun sollte. Sie kannte keine Karten. Allein in weniger als einer Stunde hatte sie gegen hundert Zechinen vor sich liegen. Ich ließ sie nun das Spiel aufgeben, und wir zogen uns zurück. Als wir in unserem Zimmer waren, ließ ich sie das Geld zählen, das sie gewonnen hatte, und als sie erfuhr, daß dies ganze Gold ihr gehörte, glaubte sie zu träumen.

»O! Was wird mein Onkel sagen?« rief sie aus.

Wir nahmen ein leichtes Mahl ein und verbrachten hierauf eine köstliche Nacht; doch trugen wir Sorge dafür, uns bei Tagesanbruch zu trennen, damit der gute Pfarrer uns nicht beisammen fände. Er kam sehr zeitig und fand uns, jedes in seinem Bett, in tiefem Schlummer. Er weckte mich auf, und ich gab ihm den Ring, mit dem er fortging, um ihn zu versetzen. Zwei Stunden später kam er zurück und fand uns angekleidet und am Kaminfeuer plaudernd. Sobald ihn Cristina sah, eilte sie ihn zu umarmen, hierauf zeigte sie ihm alles Gold, dessen Eigentümerin sie war. Welche süße Überraschung für den guten alten Priester! Er wußte nicht, wie er seine Bewunderung ausdrücken sollte. Er dankte Gott für das Wunder, wie er es nannte, und schloß daraus, daß wir dazu geboren wären, einander zu beglücken.

Als es Zeit wurde, uns zu trennen, versprach ich ihm, sie zu Beginn der Fastenzeit zu besuchen, aber unter der Bedingung, daß ich bei meiner Ankunft niemanden weder von meinem Namen noch von unseren Angelegenheiten unterrichtet finden würde. Er übergab mir das Taufzeugnis seiner Nichte und das Verzeichnis ihrer Mitgift, und sobald ich sie abreisen gesehen hatte, schlug ich den Weg nach Venedig ein, verliebt und entschlossen, dem reizenden Mädchen die Treue nicht zu brechen. Ich wußte, daß es mir leicht sein würde, meine drei Freunde zu überzeugen, daß meine Heirat in dem großen Buch des Schicksals unwiderruflich vorgeschrieben stände.

Bei meinem Erscheinen waren die drei ausgezeichneten Männer vor Freude trunken, denn, da sie nicht gewöhnt waren, daß ich drei Tage fortblieb, fürchteten die Herren Dandolo und Barbaro, mir wäre irgendein Unglück zugestoßen, aber Herr von Bragadino, der einen stärkeren Glauben besaß, tröstete sie mit den Worten, mir könnte kein Unglück geschehen, da ich Paralis zur Schildwache hätte.

Gleich am nächsten Morgen entschloß ich mich, das Glück Cristinens herbeizuführen, ohne sie mit mir zu verbinden. Ich hatte den Gedanken gehabt, sie zu heiraten, als ich sie mehr als mich selbst liebte. Allein nach dem Genuß hatte sich die Wagschale so sehr auf meine Seite geneigt, daß meine Eigenliebe sich stärker erwies als meine Liebe. Ich konnte mich nicht entschließen, auf die Vorteile und Hoffnungen zu verzichten, die ich mit meiner Unabhängigkeit verbunden glaubte. Trotzdem war ich ein Sklave des Gefühls. Dieses naive und unschuldige Mädchen zu verlassen, erschien mir als eine so schwarze Handlung, daß ich fühlte, sie würde über meine Kräfte gehen. Schon der Gedanke daran ließ mich erschauern. Ich fühlte, daß sie möglicherweise in ihrem Schoße ein Pfand unserer gegenseitigen Liebe trüge, und ich zitterte vor der Möglichkeit, daß ihr Vertrauen zu mir mit der Schande und dem Unglück ihres ganzen Lebens bezahlt werden sollte. Ich dachte daran, für sie einen Mann ausfindig zu machen, der mir in jeder Hinsicht vorzuziehen wäre, einen Mann, der geschaffen wäre, daß sie mir nicht allein die Schmach verziehe, die ich ihr angetan hatte, sondern daß sie mich sogar wegen meines Betruges schätzte und mich um so mehr liebte.

Diesen Gatten zu finden, konnte nicht schwierig sein, denn Cristina war ein Muster von Schönheit, sie genoß in ihrem Dorf eines tadellosen Rufes, und sie besaß außerdem eine Mitgift von viertausend Venezianer Silberdukaten.

Ich schloß mich mit den drei Bewunderern meines Orakels ein und stellte, die Feder in der Hand, an Paralis eine Frage über eine Angelegenheit, die mein Herz bedrückte. Er gab mir die Antwort:

»Vertraue die Sache Serenus an.«

Dies war der kabbalistische Name des Herrn von Bragadino, und da der wackere Mann sich willig allem unterwarf, was ihm Paralis zu tun befahl, so lag es nur an mir, ihn zu unterrichten.

»Es handelt sich darum,« sagte ich zu ihm, »von dem Heiligen Vater einen Heiratsdispens zugunsten eines sehr ehrbaren Mädchens zu erhalten, so daß es während der Fastenzeit öffentlich seine Hochzeit in der Kirche seines Dorfes feiern könnte. Es ist ein junges Landmädchen. Hier,« sagte ich, »ist ihr Taufzeugnis. Man kennt den Gatten noch nicht. Allein das macht nichts, da Paralis ihn ausfindig machen wird.«

»Verlasse dich auf mich,« sagte mein Vater zu mir, »ich werde gleich morgen unserem Gesandten in Rom schreiben und ich werde es derart einrichten, daß der Minister, der den Wochendienst hat, meine Depesche mit einem eigenen Boten fortschickt. Laß mich nur machen; ich will diesem Geschäft das Aussehen einer Staatsangelegenheit geben, und Paralis wird um so besser bedient werden, als ich voraussehe, daß der Gatte einer von uns Vieren sein wird. Wir müssen uns also zum Gehorsam bereit halten.«

Ich mußte mir Gewalt antun, um nicht in ein helles Gelächter auszubrechen, denn ich sah, daß es vollkommen in meinem freien Belieben stand, Cristina zur venezianischen Edeldame und Frau eines Senators zu machen. Allein tatsächlich dachte ich nicht daran. Als ich mein Orakel neuerdings befragte, wo der Gatte des jungen Mädchens sein würde, gab es zur Antwort, daß Herr Dandolo es übernehmen sollte, einen jungen, schönen, gescheiten und zum inneren oder äußeren Dienste der Republik fähigen Bürger ausfindig zu machen. Aber er sollte sich in nichts einlassen, ohne mich um Rat zu fragen. Ich gab ihm Mut, indem ich ihm sagte, daß das junge Mädchen viertausend Dukaten Kurant Mitgift befäße, und daß er vierzehn Tage Zeit hätte, um ´seine Wahl zu treffen. Herr von Bragadina war entzückt, nicht mit diesem Auftrag beschwert zu werden und lachte sich halb zu Tode.

Nach diesem doppelten Schritt fühlte ich mich ruhig. Ich war überzeugt, daß man einen solchen Gatten finden würde, wie ich ihn wünschte. Ich dachte also nur daran, meinen Karneval gut abzuschließen und mich derart einzurichten, daß ich meine Börse in einem dringenden Augenblick nicht leer fand.

Das Glück setzte mich bald in den Besitz von tausend Zechinen. Vor allen Dingen bezahlte ich meine Schulden. Als der Dispens nach zehn Tagen in Rom angelangt war, übergab ich Herrn von Bragadino die hundert römischen Taler, die er gekostet hatte. Dieser Dispens gestattete Cristina, sich in jeder Kirche der Christenheit zu verheiraten, nur mußte das Siegel der bischöflichen Diözesankanzlei beigefügt sein, die von der gewöhnlichen Publikation des Aufgebotes dispensierte. Es fehlte also bloß noch eine Kleinigkeit, der Gatte. Herr Dandolo hatte mir schon drei oder vier vorgeschlagen, von denen ich aus guten Gründen nichts hatte wissen wollen, aber schließlich machte er mir einen ganz nach Wunsch ausfindig.

Ich mußte den Ring wieder auslösen; da ich aber nicht selber erscheinen wollte, schrieb ich dem Pfarrer, er möchte sich an dem und dem Tage und zu der und der Stunde in Treviso einfinden. Man kann sich denken, daß ich nicht überrascht war, ihn in Begleitung seiner schönen Nichte ankommen zu sehen. Da sie mit Sicherheit glaubte, daß ich nur gekommen wäre, um die Anordnungen für unsere Heirat zu treffen, so legte sie sich keinen Zwang auf. Sie umarmte mich zärtlich, und ich machte es ebenso. In dieser süßen Umarmung wäre es um meinen Heroismus geschehen gewesen, wenn ihr Onkel nicht zugegen gewesen wäre. Ich legte in die Hände des Pfarrers den päpstlichen Dispens, und das schöne Gesicht Cristinas erschien im Augenblick ganz freudestrahlend. Sie konnte sich natürlich nicht vorstellen, daß ich für einen anderen als mich so tätig gearbeitet hätte, und da ich noch nicht volle Gewißheit hatte, so wollte ich sie in diesem Augenblick nicht enttäuschen. Ich versprach ihr, in acht oder zehn Tagen nach Pr. zu gehen, wo wir dann alles festsetzen würden. Nach dem Abendessen übergab ich dem Pfarrer den Pfandschein und das Geld, um den Ring aus dem Versatzamte wieder auszulösen; sodann gingen wir schlafen. Diesmal war glücklicherweise nur ein einziges Bett im Zimmer, und ich mußte mich in einem anderen niederlegen.

Am nächsten Morgen trat ich in das Zimmer Cristinens, die ich noch im Bett fand. Ihr Onkel war fortgegangen, um meinen Solitär zu holen und ich, allein mit diesem herrlichen Mädchen, hatte Gelegenheit zu beobachten, daß ich nötigenfalls auch zurückhaltend sein konnte. Da ich sie nicht mehr als mein Eigentum betrachtete und da ich ihr Herz zugunsten eines anderen umstimmen mußte, so umarmte ich sie zärtlich, aber ich blieb vernünftig. Ich verbrachte eine Stunde mit ihr, während welcher ich wie der heilige Antonius gegen das Fleisch kämpfen mußte. Ich sah das reizende Mädchen verliebt und überrascht, und ich bewunderte ihre Tugend, indem ihre natürliche Sittsamkeit ihr nicht gestattete, mir entgegenzukommen. Sie stand auf, kleidete sich an und zeigte keine üble Laune. Sie würde sicherlich gekränkt gewesen sein, wäre ihr in den Sinn gekommen, daß ich sie hätte verachten oder den Wert ihrer Reize hätte verkennen können.

Ihr Onkel kehrte zurück, übergab mir den Diamanten, und wir speisten zu Mittag. Nach dem Essen zeigte er mir ein kleines Wunder. Seine Nichte hatte schreiben gelernt, und um mir davon einen Beweis zu geben, schrieb sie sehr hübsch und sehr geläufig in meiner Gegenwart nach seinem Diktat.

Bald darauf trennten wir uns, nachdem ich ihnen mein Versprechen wiederholt hatte, in etwa zehn Tagen wiederzukommen, und ich kehrte am Abend nach Venedig zurück.

Am zweiten Fastensonntag sagte mir Herr Dandolo gleich nach der Predigt mit triumphierender Miene, der glückliche Gatte wäre gefunden, und er wäre überzeugt, daß er meine Zustimmung erhalten würde. Sodann nannte er mir Carlo ***, den ich vom Sehen kannte. Es war ein sehr schöner, junger, gesitteter Mann, der fast zweiundzwanzig Iahre alt war. Er war Schreiber bei dem »Ragionato« und Patenkind des Grafen Algarotti, dessen eine Schwester mit einem Bruder des Herrn Dandolo verheiratet war.

»Der junge Mann«, sagte mir Herr Dandolo, »hat weder Vater noch Mutter mehr, und ich bin überzeugt, daß sein Pate sich für die Mitgift verbürgen wird, die eine Gattin ihm zubringen wird. Ich habe ihn ausgeforscht und bemerkt, daß er sich bereit finden würde, sich mit einem ehrbaren Mädchen zu verheiraten, die ihm das mitbrächte, womit er sich die Stelle erkaufen könnte, die er jetzt nur in der Eigenschaft eines Schreibers innehätte.«

»Das ist ausgezeichnet, allein ich kann nichts entscheiden, bis ich ihn nicht selber gesprochen habe.«

»Er wird morgen zu uns zum Essen kommen.«

Er kam in der Tat, und ich fand ihn der Lobsprüche des Herrn Dandolo sehr würdig. Wir wurden Freunde. Er hatte Neigung für die Poesie, ich zeigte ihm einige meiner Leistungen, und als ich ihn am folgenden Tage besuchte, teilte er mir einige kleine Werke mit, die ich gut gemacht fand. Er stelle mich seiner Tante vor, bei der er mit seiner Schwester wohnte, und ich war entzückt über ihre Liebenswürdigkeit und den Empfang, den sie mir bereiteten. Als ich mich mit ihm allein in seinem Zimmer befand, fragte ich ihn, was er von der Liebe halte.

»Ich mache mir nichts aus ihr,« sagte er mir, »aber ich suche mich zu verheiraten, um eine unabhängige Stellung zu erhalten.«

In den Palast zurückgekehrt, sagte ich Herrn Dandolo, er könne über die Angelegenheit mit dem Grafen Algarotti verhandeln, und dieser sprach mit Carlo darüber, der erwiderte, daß er weder ja noch nein sagen könnte, bevor er seine Zukünftige gesehen, mit ihr gesprochen und sich über alles, was sie anginge, unterrichtet hätte. Übrigens war der Graf bereit, für sein Patenkind Bürgschaft zu leisten, das heißt, für die viertausend Dukaten der Gattin zu haften, wenn ihre Mitgift soviel wert wäre. Nach diesen Unterhandlungen kam die Reihe an mich.

Da Dandolo Carlo gesagt hatte, daß die ganze Angelegenheit in meinen Händen liege, so suchte mich dieser auf und fragte mich, wann ich die Gefälligkeit haben könnte, ihn mit der jungen Person bekannt zu machen.

»An dem und dem Tage,« sagte ich zu ihm, »aber man muß einen ganzen Tag opfern, denn die Zukünftige wohnt zwanzig Meilen von hier. Wir werden mit ihr speisen und am Abend wieder zum Schlafen nach Venedig zurückkehren.«

Er versprach mir, mit Tagesanbruch zu meinem Befehl zu stehen, und wir trennten uns. Sofort schickte ich einen Eilboten an den Pfarrer, um ihn zu benachrichtigen, daß ich mit einem Freunde bei ihm erscheinen würde, und daß wir alle drei mit seiner Nichte speisen wollten.

Am verabredeten Tage traf Carlo pünktlich ein, und ich trug Sorge, ihm auf der Fahrt zu erzählen, daß ich vor ungefähr einem Monat auf einer Fahrt nach Mestre die Bekanntschaft der jungen Person und ihres Oheims gemacht hätte und daß ich mich selbst als Gatten angeboten haben würde, wenn ich eine sichere Stellung hätte und ihr ihre viertausend Dukaten verbürgen könnte. Weiter glaubte ich mit meinen vertraulichen Mitteilungen nicht herausrücken zu sollen.

Wir kamen bei dem guten Pfarrer zwei Stunden vor Mittag an, und eine Viertelstunde später erschien Cristina mit ganz freiem Wesen. Sie wünschte ihrem Onkel guten Tag und sagte mir, sie freue sich sehr über meine Ankunft. Carlo nickte sie nur mit dem Kopfe zu, indem sie mich fragte, ob er Schreiher wäre wie ich. Carlo antwortet ihr, er sei Schreiber beim Ragionato. Sie tat so, als ob sie ihn verstünde, denn sie wollte nicht unwissend erscheinen.

»Ich will«, sagte sie mir, »Ihnen meine Schrift zeigen, und dann werden wir meine Mutter besuchen, wenn es Ihnen gefällig ist.«

Entzückt über das Lob, das Carlo ihrer Schrift zollte, als er erfuhr, daß sie erst seit einem Monat schreiben gelernt hätte, lud sie uns ein, ihr zu folgen. Unterwegs frug Carlo sie, warum sie bis zum neunzehnten Jahre gewartet hätte, um schreiben zu lernen.

»Erstlich, mein Herr, was geht Sie das an? Sodann bin ich nicht neunzehn Jahre alt, denn ich zähle erst siebzehn.«

Carlo bat sie um Entschuldigung, indem er über ihren schroffen Ton lachte.

Sie war als einfaches Bauernmädchen gekleidet, aber sehr sauber und trug um den Hals und an ihren Armen ihre prächtigen Goldketten. Ich sagte ihr, sie möge uns die Arme geben, und sie tat es, indem sie einen gehorsamen Blick auf mich warf. Wir fanden ihre Mutter, die ein schmerzhaftes Hüftweh dazu verdammte, im Bette zu bleiben. Ein Mann von gutem Aussehen, der an der Seite der Kranken saß, erhob sich, als er uns sah, und umarmte Carlo. Man sagte mir, dieser Herr sei der Arzt, und das machte mir Vergnügen.

Nachdem wir der guten Frau die angemessenen Komplimente gemacht hatten, fragte der Arzt Carlo nach seiner Schwester und seiner Tante. Da er von seiner Schwester sprach, die eine geheime Krankheit hatte, bat Carlo seinen Freund, mit ihm abseits zu sprechen, und sie gingen hinaus. Als ich mit der Mutter und Tochter, die sich auf das Bett ihrer Mutter gesetzt hatte, allein geblieben war, lobte ich Carlo, seine gute Aufführung, seine Sitten, seine Geschicklichkeit und ich pries das Glück der Frau, die der Himmel ihm zur Gattin geben würde. Alle beide bestätigten meine Lobsprüche, indem sie sagten, er trage auf seinem Gesicht alles Gute, das ich ihm nachsage.

Da ich keine Zeit zu verlieren hatte, sagte ich zu Cristina, daß sie bei Tisch auf ihrer Hut sein sollte, weil es möglich wäre, daß das der Gatte wäre, den der Himmel ihr bestimmt hätte.

»Mir?«

»Ja, Ihnen. Er ist ein einziger junger Mann; Sie werden mit viel glücklicher sein, als Sie es mit mir sein würden, und da der Arzt ihn kennt, so werden Sie von ihm alles erfahren können, was ich Ihnen jetzt zu sagen nicht Zeit habe.«

Man stelle sich die Qual vor, die diese Erklärung ex abrupto mir machen mußte, und meine Überraschung, als ich das junge Mädchen ruhig und keineswegs fassungslos sah! Diese Erscheinung hielt die Tränen auf, die ich beinahe vergossen hätte. Nachdem sie eine Minute lang geschwiegen hatte, fragte sie mich, ob ich überzeugt wäre, daß dieser hübsche Jüngling sie haben wollte. Diese Frage, die mir den Zustand von Cristinas Herz zeigte, beruhigte mich und verscheuchte meine Qual, denn ich sah, daß ich sie nicht recht gekannt hatte. Ich sagte ihr, sie könne so, wie sie sei, niemandem mißfallen.

»Beim Essen, meine teure Cristina, wird mein Freund Sie studieren, und es wird nur von Ihnen abhängen, alle guten Eigenschaften, die Ihnen Gott gegeben hat, leuchten zu lassen. Bewirken Sie besonders, daß er keinen Argwohn über unsere vertraute Freundschaft fassen kann.«

»Das ist sehr sonderbar. Ist mein Onkel über diesen Wechsel der Szene unterrichtet?«

»Nein.«

»Und wenn ich ihm gefalle, wann wird er mich heiraten?«

»In acht bis zehn Tagen. Ich werde für alles Sorge tragen. Sie werden mich im Laufe der Woche wieder hier sehen.«

Als Carlo mit dem Doktor wieder eingetreten war, verließ Cristina das Bett ihrer Mutter und nahm uns gegenüber einen Stuhl. Sie beantwortete mit viel Verstand alle Fragen, die Carlo an sie richtete, indem sie ihn manchmal durch ihre Naivitäten, niemals aber durch Dummheiten, zum Lachen reizte. Reizende Naivität! Kind des Geistes und der Unwissenheit! Deine Zauber sind entzückend, und du allein hast die Macht, alles zu sagen, ohne jemals zu beleidigen. Aber wie häßlich bist du, wenn du nicht natürlich bist! Und du bist das Meisterwerk der Kunst, wenn du zur vollkommenen Nachahmung wirst.

Wir speisten ein wenig spät, und ich nahm mich in acht, mit Cristina weder zu sprechen, noch sie anzublicken, um sie nicht abzulenken. Carlo beschäftigte sie fortwährend, und ich sah mit lebhafter Genugtuung, daß sie ihm mit Leichtigkeit und voll Munterkeit die Spitze bot. Als wir nach dem Speisen im Begriff waren, uns zu trennen, sagte sie ihm ein Wort, das mir ins Herz schnitt.

»Sie sind geschaffen,« hatte Carlo ihr gesagt, »um einen Fürsten zu beglücken.«

»Ich würde mich glücklich schätzen,« versetzte sie, »wenn Sie mich für würdig hielten, Sie zu beglücken.«

Diese Worte setzten Carlo ganz in Feuer. Er umarmte mich, und wir gingen.

Cristina war einfältig, aber ihre Einfalt lag keineswegs in ihrem Verstande, sondern in ihrem Herzen. Die Einfalt des Verstandes ist Dummheit, die des Herzens ist nur Unwissenheit, Unschuld: sie ist eine wahre Tugend, die selbst dann noch bleibt, nachdem die Ursache aufgehört hat. Das junge Mädchen, das beinahe ein Naturkind war, war einfältig in ihren Manieren, aber anmutig durch jene tausend Nichtigkeiten, die man nicht beschreiben kann. Sie war aufrichtig, denn sie wußte nicht, daß die Verheimlichung aller seiner Gefühle eine Vorschrift der Schicklichkeit ist. Und da ihre Absicht stets rein war, so war sie nicht mit jener häßlichen Scham, jener falschen Bescheidenheit behaftet, die die erheuchelte Unschuld zwingen, über ein Wort oder einer Bewegung zu erröten, die oft keiner bösen Absicht entspringen.

Während der ganzen Fahrt sprach Carlo nur von seinem Glück. Er war entschieden verliebt.

»Ich werde«, sagte er, »gleich morgen zum Grafen Algarotti gehen, und Sie können dem Pfarrer schreiben, er möge mit allen nötigen Papieren kommen, um den Heiratsvertrag aufzusetzen, den ich mich zu unterschreiben sehne.«

Er lachte vor Glück und Überraschung, als ich ihm sagte, daß ich seiner Zukünftigen das Geschenk eines päpstlichen Freibriefes gemacht hätte, um sich während der Fastenzeit verheiraten zu können. »Wir müssen also«, sagte er, »die Sache schnell zu Ende führen.«

In der Unterredung, die mein junger Stellvertreter am nächsten Tage mit Herrn Dandolo und seinem Paten hatte, wurde abgemacht, daß man dem Pfarrer schreiben wollte, mit seiner Nichte zu kommen. Ich übernahm es, den Auftrag persönlich zu bestellen, und nachdem ich Venedig zwei Stunden vor Tagesanbruch verlassen hatte, ich mich nach Pr., wo der Pfarrer, um mir zu folgen, nur soviel Zeit verlangte, daß er noch seine Messe lesen könnte. Ich begab mich zu der Braut, und hielt ihr eine gefühlvolle und väterliche Rede, deren Worte bezweckten, ihr den Weg des Glückes in dem neuen Stande vorzuzeichnen, in den sie eintrat. Ich sagte ihr, wie sie sich gegen ihren Mann, seine Tante und ihre Schwägerin betragen sollte, um ihre Liebe und ihre Freundschaft zu gewinnen. Der Schluß meiner Rede war pathetisch und für mich selber ein wenig beschämend, denn, da ich ihr die Treue empfahl, so war es natürlich, daß ich sie um Verzeihung bat, sie verführt zu haben.

»Als Sie mir das erstemal, da wir die Schwäche hatten, uns einander hinzugeben, versprachen, mich zu heiraten, hatten Sie da die Absicht, mich zu hintergehen?«

»Gewiß nicht.«

»Sie haben mich also nicht hintergangen. Ich schulde Ihnen im Gegenteil Dank für Ihre Überlegung, daß, wenn unsere Verbindung unglücklich sein könnte, es besser wäre, wenn Sie für mich einen anderen Mann fänden. Ich danke Gott dafür, daß es Ihnen so gut gelungen ist. Sagen Sie mir jetzt, was ich Ihrem Freund antworten soll, wenn er in der Hochzeitsnacht fragt, warum ich nicht mehr Jungfrau bin.«

»Es ist unwahrscheinlich, daß Carlo, der zartfühlend und sittlich ist, eine ähnliche Frage an Sie stellen wird. Aber, wenn das geschähe, so sagen Sie ihm dreist, daß Sie niemals einen Liehhaber gehabt hätten und daß Sie nicht glaubten, sich von einem anderen Mädchen zu unterscheiden.«

»Wird er mir glauben?«

»Ja ganz gewiß, denn der erfahrenste Mann kann sich darin täuschen.«

»Aber wenn er mir nicht glaubte?«

»Er würde Ihre Verachtung verdienen und selbst dafür büßen müssen. Aber beruhigen Sie sich vollkommen, das wird nicht geschehen. Ein kluger Mann, der eine gute Erziehung genossen hat, meine teure Cristina, wagt niemals eine ähnliche Frage, da er überzeugt sein muß, daß er nicht nur mißfallen, sondern auch niemals die Wahrheit erfahren wird, denn wenn diese Wahrheit der guten schaden muß, die jede Frau ihrem Mann beizubringen trachten soll, so könnte sich nur eine alberne Person dazu entschließen, ihm die Wahrheit zu sagen.«

»Ich verstehe vollkommen, was du mir sagst, mein teurer Freund. Umarmen wir uns also zum letztenmal.

»Nein, denn wir sind allein, und meine Tugend ist schwach. Ich bete dich immer an.«

»Weine nicht, mein teurer Freund, denn ich mache mir wahrhaftig nichts daraus.«

Dieser naive und komische Grund änderte plötzlich meine Stimmung, und anstatt zu weinen begann ich zu lachen. Sie zog sich vollkommen an, und nachdem wir gefrühstückt hatten, reisten wir ab. Wir kamen in Venedig nach vier Stunden an, und nachdem ich sie in einem Gasthof untergebracht hatte, begab ich mich zu Herrn von Bragadino und sagte Herrn Dandolo, unsere Leute wären angekommen. Er sollte sie am nächsten Tage mit Carlo zusammenbringen und die ganze Angelegenheit übernehmen, weil die Ehre der Gatten, die der Verwandten und die Schicklichkeit es nicht gestatteten, daß ich mich länger darein mengte.

Er begriff meine Gründe und handelte danach. Er suchte Carlo auf und kam mit ihm zu mir. Nachdem ich die beiden dem Pfarrer und seiner Nichte vorgestellt hatte, sagte ich ihnen Lebewohl.

Wie ich erfuhr, waren sie hierauf beim Grafen Algarotti und später bei einem Notar gewesen, und Carlo hatte seine Braut nach Pr. zurückgeführt und den Tag für die Feier seiner Hochzeit bestimmt.

Nach seiner Rückkehr machte mir Carlo einen Besuch und sagte mir, seine Verlobte habe durch ihre Schönheit und die Freundlichkeit ihres Charakters seine Tante, seine Schwester und seinen Paten, der alle Kosten der Hochzeit tragen wollte, entzückt.

»Sie wird«, sagte er mir, »an dem und dem Tage in Pr. gefeiert, und ich hoffe, daß Sie mir das Vergnügen machen werden, das Werk zu krönen, indem Sie ihr beiwohnen.«

Ich setzte ihm alle Gründe entgegen, die ich geltend machen konnte, um mich davon zu befreien. Allein er bat so inständig mit einer Art Dankbarkeit und so großem Gefühlsüberschwang, daß ich es annehmen mußte. Ich hörte ihn mit wahrem Vergnügen den Eindruck schildern, den die Schönheit, die Naivität, der reiche Schmuck und besonders die Sprache des reizenden Mädchens auf seine Familie auf den Grafen gemacht hätten.

»Ich bin sehr verliebt,« sagte mir der junge Mann, »und ich fühle, daß ich Ihnen das Glück verdanke, das ich mit diesem entzückenden Mädchen zu finden hoffe. Ihre ländliche Mundart wird sie in Venedig, wo Neid und Spötterei ihr leicht eiuen Vorwurf daraus machen würden, bald abzulegen trachten.«

Ich genoß seiner Begeisterung und seines Glückes und beglückwünschte mich, daß das alles mein Werk war. Indessen empfand ich ziemliche Eifersucht und beneidete ihn um ein Glück, das ich für mich selber hätte aufbewahren können.

Da Carlo auch die Herren Dandolo und Barbaro eingeladen hatte, so begab ich mich mit ihnen nach Pr. Ich fand bei dem Pfarrer eine Tafel, die durch die Dienerschaft des Grafen Algarotti gedeckt wurde, den Carlo zu seinem Brautführer gewählt hatte; da er alle Kosten der Hochzeit trug, hatte er Sorge dafür getragen, seinen Koch und seinen Haushofmeister nach Pr. zu schicken.

Als ich bald darauf Cristina erblickte, kamen mir die Tränen in die Augen, und ich war genötigt, hinauszugehen. Sie war als Landmädchen gekleidet, aber schön wie ein Stern. Ihr Gatte, ihr Oheim und Graf Algarotti hatten vergeblich sie zu überreden versucht, venetianische Tracht anzulegen. Sie hatte vernünftigerweise ihren Bitten Widerstand geleistet.

»Sobald ich Ihre Gattin bin,« hatte sie zu Carlo gesagt, »werde ich mich kleiden, wie Sie es wünschen, aber hier werde ich unter den Augen meiner Gefährtinnen nur so erscheinen, wie sie mich immer gesehen haben. Ich werde dadurch vermeiden, daß alle Mädchen, mit denen ich erzogen worden bin, sich über mich lustig machen und mir die Absicht unterschieben, sie beleidigen zu wollen.«

Es lag in diesen Schlüssen etwas so Richtiges, Edles und Großmütiges, daß Carlo in seiner Geliebten ein übernatürliches Wesen zu sehen glaubte. Er sagte mir, er hätte sich bei der Frau, wo Cristina vierzehn Tage gewohnt hätte, nach zwei jungen Leuten erkundigt, die sie zurückgewiesen hätte, und er sei darüber sehr überrascht gewesen, denn sie seien in jeder Beziehung sehr annehmbare Partien gewesen. »Cristina«, fügte er hinzu, »ist ein Los das mir durch den Himmel vorbehalten worden ist, um mein Glück zu machen, und Ihnen schulde ich den kostbaren Besitz.« Seine Erkenntlichkeit gefiel mir, und ich muß gerecht gegen mich sein, daß ich keineswegs daran dachte, daraus Vorteil zu ziehen. Es war mir eine Freude, Menschen glücklich zu machen.

Wir begaben uns gegen elf Uhr in die Kirche und waren sehr überrascht, nur mit Mühe hineingelangen zu können. Eine Anzahl Adeliger aus Treviso waren gekommen, da sie neugierig waren, ob es wirklich wahr wäre, daß man öffentlich während der Fastenzeit die Hochzeit einer Bäuerin feierte, während man nur einen Monat zu warten brauchte, um sie ohne Dispens abzuhalten. Das war ein Wunder für alle Welt, und es mußte dabei irgendein geheimer Grund walten, den man zur allgemeinen Verzweiflung nicht entdecken konnte.

Trotz dem Neide zeigte sich auf allen Gesichtern Befriedigung, als das Paar erschien. Jeder gab zu, daß dieses hübsche Liebespaar eine glänzende Auszeichnung, eine Ausnahme von allen Regeln verdiente.

Eine Gräfin Tof. aus Treviso, Cristinas Patin, hatte sich ihr nach der Messe genähert, umarmte sie wie eine zärtliche Freundin und beklagte sich in aller Bescheidenheit, daß sie ihr nicht dieses glückliche Ereignis mitgeteilt habe, als sie durch Treviso gekommen sei. In ihrer Unbefangenheit antwortete ihr Cristina mit ebensoviel Bescheidenheit als Sanftmut, daß sie diese Pflichtversäumnis nur der Eile zuschreiben möge, womit die Heirat geschlossen worden sei. Gleichzeitig stellte sie ihr ihren Gatten vor, und bat den Grafen Algarotti ihr Unrecht gutmachen zu wollen, indem er ihre Patin einlüde, dem Hochzeitsmahl beiwohnen zu wollen, was die Gräfin sehr gnädig annahm. Dieses Benehmen, das die Frucht einer guten Erziehung und einer großen Weltkenntnis hätte sein sollen, war in dieser Bäuerin nur die Wirkung eines geraden und feinen Geistes, der weniger geglänzt haben würde, wenn man ihn durch die Kunst derart zu gestalten versucht hätte.

Aus der Kirche zurückgekehrt, knieten die Neuvermählten vor dem Lehnstuhl der Mutter nieder, und diese segnete sie unter Freudentränen.

Man setzte sich zu Tische, und nach dem Herkommen mußte Cristina und ihr glücklicher Gatte die ersten Plätze einnehmen. Ich setzte mich mit dem größten Vergnügen auf den letzten; obwohl alles ausgezeichnet war, aß ich wenig und sprach fast kein Wort.

Cristinas einzige Beschäftigung war, an alle Anwesenden Artigkeiten auszuteilen, indem sie jedesmal ihren Gatten anblickte, um sich seiner Zustimmung zu versichern.

Zwei- oder dreimal sagte sie seiner Tante und seiner Schwester so anmutige Dinge, daß diese sich nicht enthalten konnten, sich zu erheben, um sie zu umarmen und ihrem Gatten zu seinem Glück zu gratulieren. Und ich, der ich ziemlich nahe beim Grafen Algarotti saß, hörte ihn zur Freude meiner Seele der Patin Cristinas wiederholt versichern, er habe niemals ein so großes Vergnügen genossen.

Um zweiundzwanzig Uhr[R1 Vier Uhr nachmittags] sagte Carlo seiner reizenden Gattin, die ihrer Patin zunickte, ein Wort in das Ohr, und man stand auf. Nach den üblichen Komplimenten – hier trugen sie den Stempel der Aufrichtigkeit – verteilte die Neuvermählte an alle Mädchen des Dorfes, die in dem benachbarten Zimmer waren, Düten mit Zuckerwerk, die man in einem Korb bereitgehalten hatte. Hierauf nahm sie Abschied von ihnen, indem sie sie ohne den geringsten Anschein des Stolzes umarmte. Nach dem Kaffee lud Graf Algarotti die ganze Gesellschaft ein, in einem Hause, das er in Treviso hatte, zu übernachten und dort am Tage nach der Hochzeit das Mittagsmahl einzunehmen. Der Pfarrer allein entschuldigte sich, und von der Mutter konnte nicht die Rede sein, denn ihr leidender Zustand machte es ihr unmöglich, sich zu bewegen. Sie starb drei Monate später.

Cristina verließ also ihr Dorf, um ihrem Gatten zu folgen, dessen Glück sie machte und der auch sie vollkommen beglückte. Carlos Pate und die Patin seiner Frau fuhren zusammen mit meinen zwei edlen Freunden. Die beiden jungen Gatten hatten billigerweise einen Wagen für sich allein, und ich leistete in einem anderen der Tante und der Schwester des glücklichen Gatten Gesellschaft, den ich unwillkürlich beneidete, obgleich mir im Grunde des Herzens sein Glück wohl tat.

Diese Schwester war nicht übel; als junge Witwe von fünfundzwanzig Jahren verdiente sie noch Huldigungen, indessen gab ich der Tante den Vorzug. Sie sagte mir, ihre neue Nichte sei ein wahres Kleinod, geschaffen, um von aller Welt angebetet zu werden, allein sie sollte sich erst dann öffentlich zeigen, wenn sie gut venetianisch spräche. »Ihre Heiterkeit, ihre Unbefangenheit und ihr Geist sind Dinge, die man nach der Mode kleiden muß, wie ihren Körper. Wir sind sehr zufrieden mit der Wahl meines Neffen, und er ist Ihnen ewigen Dank schuldig, den niemand bestreiten wird. Ich hoffe, mein Herr, Sie werden in Zukunft unser Haus als das Ihre betrachten.«

Die Einladung war höflich und aufrichtig, indessen tat ich das Gegenteil, und man wußte mir dafür Dank. Nach Verlauf eines Jahres gab Cristina ihrem Gatten ein Pfand ihrer gegenseitigen Liebe, wodurch ihr Glück nur erhöht wurde.

Wir waren in Treviso sehr gut untergebracht und nachdem wir einige Erfrischungen aenommen hatten, gingen wir schlafen. Am nächsten Morgen war ich mit dem Grafen Algarotti und meinen zwei Freunden beisammen, als Carlo, schön, frisch und strahlend eintrat. Nachdem er mit viel Geist und Witz auf einige Scherze geantwortet hatte, blickte ich ihn, nicht ohne einige Besorgnis, an, als er mich herzlich umarmte. Ich gestehe, daß mir niemals ein Kuß mehr wohlgetan hat.

Man verwunderte sich, daß es fromme Übeltäter gab, die sich ihrem Heiligen empfehlen, wenn sie glauben, seine Hilfe nötig zu haben, oder die ihm danken, wenn sie sich einbilden, von ihm etwas erlangt zu haben. Allein man hat unrecht, denn es ist gut so, da es gegen den Atheismus wirkt.

Die Tante und die Schwester, die auf Carlos Einldung zu der jungen Gattin gegangen waren, um ihr guten Morgen zu wünschen, kehrten eine Stunde später mit ihr zurück. Niemals hat sich das Glück auf einem schöneren Antlitz abgemalt!

Herr Algarotti ging ihr entgegen und fragte sie teinahmsvoll, ob sie die Nacht gut verbracht hätte. Statt aller Antwort eilte sie zu ihrem Mann und umarmte ihn. Das war die unbefangenste und beredteste Antwort, die es geben konnte. Hierauf wandte sie ihre schönen Augen auf mich, gab mir die Hand und sagte:

»Herr Casanova, ich bin glücklich und freue mich, Ihnen mein Glück zu verdanken.«

Ich küßte ihr die Hand, und meine Tränen sagten ihr, wie glücklich ich mich selber fand.

Wir speisten in einer Art von Entzückung und brachen nach dem Mittagmahl nach Mestre auf, von wo wir uns nach Venedig begaben. Wir ließen die Neuvermählten bei ihrem Hause absteigen, dann gingen wir zu Herrn von Bragadino, der über die Erzählung unseres Ausfluges herzlich lachte. Der in merkwürdiger Art gelehrte Mann stellte hundert tiefe oder absurde Betrachtungen über diese Heirat an. Ich lachte darüber bei mir selbst, denn da ich allein den Schlüssel des Geheimnisses besaß, sah nur ich die ganze Komik davon.

Neuntes Kapitel


Benedikt der Vierzehnte. – Ausflug nach Tivoli. – Donna Lucrezias Abreise. – Marchesa G. – Barbara Dalaequa. – Mein Unglück und meine Abreise von Rom.

Da Herr Dalacqua sehr krank war, gab seine Tochter Barbara mir die Stunde. Nach Schluß derselben benutzte sie einen günstigen Augenblick, mir geschickt einen Brief in die Tasche zu stecken, und um mir keine Zeit zu lassen, diese neue Gefälligkeit ihr abzuschlagen, war sie blitzschnell verschwunden. übrigens war ihr Brief nicht so, daß ich die Annahme hätte verweigern können. Er war an mich persönlich gerichtet und brachte nur Gefühle reinster Dankbarkeit zum Ausdruck. Sie bat mich nur, ihrem Geliebten mitzuteilen, daß ihr Vater wieder mit ihr spreche und daß sie hoffe, er werde nach seiner Genesung eine andere Magd nehmen. Zum Schluß gab sie mir die festesten Versicherungen, sie werde mich niemals bloßstellen.

Da der Vater noch etwa zwei Wochen lang das Bett hüten mußte, so erteilte während dieser ganzen Zeit Barbara mir den Unterricht. Sie erregte meine Teilnahme durch ein ganz neues Gefühl, das ich einem hübschen jungen Mädchen gegenüber noch nicht gehabt hatte. Es war ein Gefühl des Mitleids, und ich fühlte mich gewissermaßen geschmeichelt, ihr Stütze und Trost zu sein. Niemals ruhten ihre Augen auf den meinigen; niemals begegnete ihre Hand der meinen; niemals merkte ich ihrem Putz den Wunsch an, auf mich einen angenehmen Eindruck zu machen. Sie war hübsch und, wie ich wußte, auch zärtlich, aber dies verminderte nicht die Achtung und die Rücksicht, die ich der Ehre und dem Zutrauen schuldig zu sein glaubte, und ich fühlte mich geschmeichelt, daß sie mich nicht für fähig hielt, mir meine Kenntnis ihrer Schwäche zunutze zu machen.

Sobald ihr Vater wieder gesund war, jagte er die Magd aus dem Hause und nahm eine andere. Barbara bat mich, dies ihrem Freunde mitzuteilen und ihm zu sagen, sie hoffe die neue Magd wenigstens so weit zu gewinnen, daß sie ihm schreiben könne. Ich versprach ihr, diesem Auftrag auszuführen; um mir ihre Dankbarkeit dafür zu zeigen, ergriff sie meine Hand und führte sie an ihre Lippen; ich zog sie noch rechtzeitig zurück und wollte ihr einen Kuß geben; bescheiden errötend drehte sie den Kopf zur Seite. Dies gefiel mir.

Es gelang Barbara, das neue Mädchen auf ihre Seite zu bringen und von nun an kümmerte ich mich nicht mehr um die ganze Angelegenheit; denn ich fühlte wohl, welche ärgerlichen Folgen sie für mich hätte haben können. Leider war das Unglück schon geschehen.

Zu Don Gasparo ging ich nur selten, denn das Studium der französischen Sprache nahm meine Vormittage in Anspruch, und dies war die einzige Zeit, wo ich ihn besuchen konnte. Zum Abbate Georgi aber ging ich jeden Abend, und obwohl ich in seinen Gesellschaften weiter keine Rolle spielte, sondern ganz einfach nur für seinen Schützling galt, so kam es doch meinem guten Ruf zustatten. Ich sprach niemals ein Wort; trotzdem langweilte ich mich nicht. In dieser Gesellschaft wurde kritisiert, aber nicht gelästert; man sprach von Politik, aber ohne Verbitterung, von Literatur, aber ohne Leidenschaft. Ich lernte dabei. Von dem weisen Mönch begab ich mich in die große Abendgesellschaft meines Herrn, des Kardinals. Diese besuchte ich, weil es meine Pflicht war. So oft die schöne Marchesa mich an ihrem Spieltisch sah, richtete sie an mich einige verbindliche Worte in französischer Sprache; ich antwortete ihr italienisch, da ich mich nicht in so großer Gesellschaft von ihr wollte auslachen lassen. Diese Scheu entsprang einem eigentümlichen Gefühl, über dessen Berechtigung zu urteilen ich dem Verstande des Lesers überlasse. Ich fand die Frau reizend, und doch floh ich sie. Nicht daß ich befürchtet hätte, mich in sie zu verlieben, denn ich liebte Lucrezia, und mich dünkte, diese Liebe müsse mir als Ägide gegen jede andere dienen; ich befürchtete vielmehr, sie könnte sich in mich verlieben oder wenigstens auf meine Bekanntschaft neugierig werden. War dies geckenhafte Eitelkeit oder Bescheidenheit? Laster oder Tugend? Vielleicht war es nichts von alledem.

Eines Abends ließ sie mich durch Abbate Gama zu sich rufen. Sie stand neben dem Kardinal, meinem Herrn, und sobald ich vor ihr erschien, überraschte sie mich ganz merkwürdig durch eine in italienischer Sprache an mich gerichtete Frage, an die ich niemals im Traume gedacht hätte: »Vi ha piaciuto molto Frascati?«

»Sehr, gnädige Frau. Ich habe niemals etwas so Schönes gesehen.«

»Ma la compagnia, con laquale eravate, era ancor più bella, ed assai galante era il vostro vis-à-vis.«6

Ich antwortete nur durch eine Verbeugung. Eine Minute darauf sagte Kardinal Acquaviva voll Güte: »Wundern Sie sich, daß man es weiß?« »Nein, gnädiger Herr; aber ich wundere mich, daß man davon spricht. Ich hätte Rom nicht für so klein gehalten.«

»Je länger Sie hier bleiben,« sagte mir Seine Eminenz, »desto kleiner werden Sie es finden. Sind Sie noch nicht beim Heiligen Vater gewesen, ihm den Fuß zu küssen?«

»Noch nicht, gnädiger Herr.«

»Sie müssen hingehen.« Ich antwortete durch eine Verbeugung.

Als ich fortging, sagte Abbate Gama mir, ich müsse am nächsten Tage zum Papst gehen. Dann fragte er: »Sie besuchen doch gewiß auch die Salons der Marchesa G.?«

»Nein, ich bin niemals dort gewesen.«

»Das wundert mich. Sie läßt Sie rufen; sie spricht mit Ihnen!«

»Ich werde mit Ihnen hingehen.«

»Ich verkehre dort niemals.«

»Aber sie spricht doch auch mit Ihnen.«

»Ja, aber… Sie kennen Rom nicht. Gehen Sie allein hin ! Sie müssen es tun.«

»Sie wird mich also empfangen?«

»Sie scherzen wohl. Es ist nicht davon die Rede, daß Sie sich anmelden lassen. Sie besuchen Sie, wenn die beiden Türflügel ihres Salons weit offen stehen. Sie werden dort alle ihre Anbeter treffen.«

»Wird sie mich bemerken?«

»Verlassen Sie sich darauf!«

Am anderen Morgen begab ich mich nach Monte Cavallo und ging geradeswegs in das Gemach des Papstes, nachdem man mir gesagt hatte, ich könne eintreten. Er war allein. Ich werfe mich vor ihm zu Boden und küsse das Heilige Kreuz auf seinem allerheiligsten Pantoffel.

Der Heilige Vater fragt mich, wer ich sei; ich sage es ihm, und er antwortet mir, er kenne mich und wünsche mir Glück, zum Hause eines so bedeutenden Kardinals zu gehören. Hierauf fragte er mich, wie es mir gelungen sei, diese Anstellung zu erhalten. Ich erzählte ihm alles von meiner Ankunft in Martorano bis zu meinem Eintritt beim Kardinal Acquaviva. Er lachte recht herzlich über meine Schilderung des guten armen Bischofs und sagte mir dann, ich brauche mir nicht den Zwang anzutun, mit ihm toskanisch zu sprechen; ich könne venetianisch reden, und er werde die Bologneser Mundart sprechen. Da ich mich in seiner Gegenwart behaglich fühlte, erzählte ich ihm so viel und amüsierte ihn mit meinen Geschichten so sehr, daß er mir sagte, ich würde ihm Vergnügen machen, so oft ich ihn besuchte. Ich bat ihn um Erlaubnis, alle verbotenen Bücher lesen zu dürfen; er gab sie mir, indem er mir seinen Segen erteilte. Er sagte, er wolle mir die Erlaubnis schriftlich ausfertigen lassen. Dies hat er aber vergessen.

Benedikt der Vierzehnte war gelehrt, liebenswürdig und ein Freund geistreicher Wendungen. Zum zweitenmal sah ich ihn in der Villa Medici. Er rief mich heran und sprach im Gehen mit mir über allerlei Kleinigkeiten. Bei ihm waren Kardinal Albani und der venetianische Gesandte. Ein Mann mit bescheidener Miene näherte sich, der Pontifer fragte ihn, was er wolle; der Mann spricht leise, der Papst hört ihn an und sagt hierauf: »Ihr habt recht; empfehlt Euch Gott.« Mit diesen Worten gibt er ihm den Segen, der arme Mann entfernt sich traurig, und der Heilige Vater setzt seinen Spaziergang fort.

»Dieser Mann, Allerheiligster Vater,« sagte ich, »ist von der Antwort Eurer Heiligkeit nicht sehr befriedigt.«

»Warum?«

»Weil er allem Anscheine nach sich bereits Gott empfohlen hatte, bevor er mit Ihnen sprach. Wenn nun Eure Heiligkeit ihn an Gott verweisen, so wird er, wie es im Sprichwort heißt, von Pontius zu Pilatus geschickt.«

Der Papst und seine beiden Begleiter lachen laut auf; ich bleibe ernst.

»Ich vermag«, versetzt der Papst, »nichts Rechtes ohne Gottes Beistand.«

»Das ist richtig, Heiliger Vater, aber der Mann da weiß auch, daß Eure Heiligkeit Gottes Premierminister sind; man kann sich also leicht denken, in welcher Verlegenheit er jetzt sein muß, da er an den Herrn zurückverwiesen wird. Er hat jetzt kein anderes Mittel mehr, als den römischen Bettlern Geld zu geben. Wenn er ihnen einen Bajocco gibt, werden sie alle für ihn beten. Sie rühmen ihren Einfluß bei Gott; ich aber glaube nur an den Eurer Heiligkeit und bitte mich von dem Verbot des Fleischessens zu entbinden, damit ich die Hitze los werde, die infolge des Genusses von Fastenspeisen mir die Augen entzündet.«

»Iß Fleisch, mein Kind.«

»Allerheiligster Vater, Ihren Segen!«

Er gab ihn mir, sagte aber dabei, er entbinde mich nicht von den vorgeschriebenen Fasten.

Am selben Abend war in der Gesellschaft beim Kardinal die Neuigkeit von meinem Gespräch mit dem Papst bereits bekannt. Nun wollte alles sich gerne mit mir unterhalten. Dies war schmeichelhaft für mich, noch schmeichelhafter aber war mir die Freude, die Kardinal Aquaviva vergeblich zu verbergen suchte.

Ich wollte den Rat des Abbate Gama nicht in den Wind schlagen und ging daher zur schönen Marchesa. Ich wählte die Stunde, wo jedermann freien Zutritt hatte. Ich sah sie, sah den Kardinal und viele andere geistliche Herren. Aber es kam mir vor, als sei ich unsichtbar; denn da die Signora mich mit keinem Blick beehrte, so sprach kein Mensch ein Wort zu mir. Nachdem ich eine halbe Stunde lang die Rolle eines Stummen gespielt hatte, ging ich fort. Fünf oder sechs Tage darauf sagte die Schöne mir in liebenswürdigem, aber vornehmem Ton, sie habe mich in ihrem Gesellschaftssaal bemerkt.

»Ich war in der Tat da; aber ich glaubte nicht die Ehre gehabt zu haben, von der Gnädigen bemerkt zu werden.«

»O, ich sehe einen jeden. Man hat mir gesagt, Sie hätten Geist.«

»Wenn die, die Ihnen dies gesagt haben, gnädige Frau, sich nicht täuschten, so machen Sie mir da eine sehr angenehme Mitteilung.«

»O, es sind Kenner.«

»Diese Herrschaften, gnädige Frau, müssen mir also die Ehre erwiesen haben, mit mir zu sprechen; denn sonst hätten sie wahrscheinlich niemals diese Bemerkung machen können.«

»Sicherlich. Aber lassen Sie sich doch bei mir sehen.«

Dieses Gespräch fand in der Gesellschaft beim Kardinal Acquaviva statt. Kardinal S. C. sagte mir, wenn die Frau Marchesa unter vier Augen französisch mit mir spreche, so müsse ich ihr in derselben Sprache antworten, so gut es eben gehe. Der diplomatische Gama nahm mich beiseite und sagte mir, meine Antworten seien zu scharf; ich würde dadurch auf die Dauer mißfallen.

Ich hatte im Französischen nämlich schnelle Fortschritte gemacht; ich nahm keine Stunden mehr und brauchte nur noch Übung, um mich zu vervollkommnen. Zu Lucrezia ging ich bisweilen morgens; abends aber war ich regelmäßig beim Abbate Georgi, der von meinem Ausflug nach Frascati wußte und ihn nicht getadelt hatte.

Zwei Tage, nachdem ich von der Marchesa eine Art von Befehl empfangen hatte, ging ich zu ihr. Sobald sie mich erblickte, begrüßte sie mich durch ein Lächeln, auf das ich mit einer tiefen Verbeugung antworten zu müssen glaubte. Das war alles. Eine Viertelstunde darauf ging ich. Die Marchesa war schön, sie war einflußreich. Aber ich konnte mich nicht entschließen, vor ihr zu kriechen. In Rom war das Brauch; aber dieser Brauch war mir widerwärtig.

Gegen Ende November kam eines Morgens Angelicas Bräutigam mit dem Advokaten zu mir und lud mich ein, mit der ganzen von mir in Frascati bewirteten Gesellschaft vierundzwanzig Stunden in Tivoli verbringen zu wollen. Ich nahm voll Freuden an, denn seit dem Ursulatag war ich niemals mit Lucrezia allein gewesen. Ich versprach ihm, mich bei Tagesanbruch wieder mit demselben Wagen zu Donna Cecilia begeben zu wollen. Wir mußten frühzeitig abfahren, denn Tivoli liegt sechzehn Miglien von Rom entfernt, und die vielen schönen Sehenswürdigkeiten nehmen eine Menge Zeit in Anspruch. Da ich die Nacht ausbleiben mußte, bat ich meinen Kardinal selber um Erlaubnis. Als er hörte, mit wem ich die Lustpartie machen sollte, sagte er mir, ich täte sehr recht daran, die Gelegenheit zu benutzen und den schönen Ort in so schöner Gesellschaft zu besichtigen.

Um halb acht hielten wir an einem Ort, wo wir, dank Don Francescos Vorsorge, ein ausgezeichnetes Frühstück fanden, dem wir alle Ehre antaten, da es kein Mittagessen geben sollte; denn in Tivoli blieb uns nur Zeit zum Abendessen. Nach dem Frühstück stiegen wir wieder ein und kamen um zehn Uhr an. Ich trug den schönen Ring am Finger, den Lucrezia mir gegeben hatte. Hinter dem Kasten hatte ich eine Emailleplatte anbringen lassen, worauf ein Merkurstab mit einer einzigen Schlange sich zwischen den beiden griechischen Buchstaben Alpha und Omega befand. Um diesen Ring drehte sich das Gespräch während des ganzen Frühstücks; der Advokat und Don Francesco gaben sich alle mögliche Mühe, die Bedeutung der rätselhaften Inschrift herauszubekommen, zur großen Belustigung Lucrezias, die das Geheimnis natürlich kannte.

Zunächst besichtigten wir aufmerksam die Behausung des Bräutigams. Es war ein richtiges Schmuckkästchen. Hierauf verbrachten wir in Gesellschaft sechs Stunden damit, uns die Altertümer von Tivoli anzusehen. Als bei irgendeiner Gelegenheit Lucrezia etwas dem Don Francesco leise ins Ohr sagte, benutzte ich diesen Augenblick, um zu Angelica zu sagen, wenn sie verheiratet sein würde, würde ich einige Tage der schönen Jahreszeit bei ihnen verbringen.

»Herr Abbate, sobald ich hier Herrin bin, werden Sie der erste sein, dem ich meine Tür verschließen lasse.«

»Ich bin Ihnen sehr verbunden, mein Fräulein, daß Sie mir diesen Wink gegeben haben.«

Das Spaßhafte dabei ist, daß ich ihre Ungezogenheit für eine einfache Liebeserklärung nahm. Ich war starr vor Staunen. Lucrezia bemerkte meinen Zustand, zupfte mich am Arm und fragte, was mir sei. Ich sagte es ihr, und nun sprach sie folgende Worte: »Lieber Freund, mein Glück kann nicht lange mehr dauern; der grausame Augenblick ist nah, wo ich mich von dir trennen muß. Sobald ich fort bin, mache es dir zur Aufgabe, sie zur Erkenntnis ihres Irrtums zu bringen. Sie bedauert mich – räche mich an ihr!«

Ich vergaß zu erzählen, daß ich bei der Besichtigung von Don Francescos Hause ein reizendes kleines Zimmer gelobt hatte, das an die Orangerie anstieß. Der Besitzer hatte dies gehört und sagte mir liebenswürdig, es sei für mich bestimmt. Lucrezia tat, als hörte sie es nicht; aber es war für sie der Ariadnefaden; da wir die Schönheiten Tivolis alle miteinander besuchen sollten, so konnten wir nicht darauf hoffen, uns den Tag über auch nur einen kurzen Augenblick miteinander allein zu befinden.

Wie gesagt verbrachten wir sechs Stunden damit, alle Schönheiten von Tivoli uns anzusehen, ich muß aber hier gestehen, daß ich für mein Teil sehr wenig sah; erst achtundzwanzig Jahre später lernte ich den schönen Ort in allen seinen Einzelheiten kennen.

Todmüde und mit einem Wolfshunger kamen wir gegen Abend nach Hause. Aber eine Stunde Ruhe vor dem Essen, zwei Stunden bei Tisch, die leckersten Speisen, die trefflichsten Weine, besonders der ausgezeichnete Wein von Tivoli – dies alles bekam uns so gut, daß ein jeder nur noch ein gutes Bett brauchte, um je nach seinem Geschmack darin zu schlafen oder zu wachen.

Da niemand allein schlafen wollte, sagte Lucrezia, sie würde mit Angelica das Zimmer neben dem Orangenhause nehmen, ihr Mann könne mit ihrem Bruder, dem jungen Abbate, zusammen schlafen und ihre Mutter mit der kleinen Schwester.

Diese Anordnung wurde für ausgezeichnet befunden. Don Francesco nahm eine Kerze und führte mich in mein hübsches Kämmerchen, unmittelbar neben dem Zimmer, wo die beiden Schwestern schlafen sollten. Nachdem er mir gezeigt hatte, wie ich mich einschließen könnte, wünschte er mir gute Nacht und ließ mich allein.

Angelica wußte nicht, daß ich ihr Nachbar war, aber Lucrezia und ich hatten uns verstanden, ohne uns ein Wort zu sagen.

Durch das Schlüsselloch sah ich hinter dem dienstbeflissenen Gastgeber, der einen Armleuchter trug, die beiden liebenswürdigen Schwestern eintreten. Er zündete eine Nachtlampe an, wünschte einen guten Abend und ging. Die beiden Schönen schlossen sich ein, setzten sich auf ein Sofa und machten ihre Nachttoilette, die in diesem glücklichen Klima der unserer Ältermutter gleicht. Lucrezia wußte, daß ich sie hörte, und sagte ihrer Schwerer, sie solle sich auf die Seite nach dem Fenster zu legen. Infolgedessen ging die Jungfrau, die ja keine Ahnung hatte, daß sie ihre Reize meinem unheiligen Auge preisgab, nackt durch das ganze Zimmer. Lucrezia löschte Lampe und Kerzen aus und legte sich an die Seite ihrer keuschen Schwester.

Glückliche Augenblicke! Ich weiß, ich kann auf solche nicht mehr hoffen, aber nur der Tod allein kann die Erinnerung an euch in mir auslöschen! Ich glaube, niemals habe ich mich so schnell entkleidet, wie an jenem Abend. Ich reiße die Tür auf. Ich sinke in Lucrezias Arme, die zu ihrer Schwester sagt: »Es ist mein Holder! Schweig und schlafe!«

Es war das einzige, was sie sprach. Kuß und Umarmung verscheuchten die Worte. Ausbruch innerer Fülle und inneren Lebens war das Feuer, das uns entflammte. Der Versuch, es beherrschen zu wollen, hätte uns verzehrt. Nur dadurch, daß wir der Flamme nicht wehrten, erkauften wir uns Ruhe.

In köstlicher Erschöpfung überließen wir uns endlich Morpheus‘ Armen. Die ersten Lichtstrahlen des Morgens, die durch die Spalten der Fensterläden drangen, entrissen uns diesem stärkenden Schlummer. Und wie zwei tapfere Krieger, die ihre Waffen nur sinken ließen, um mit um so größerer Glut den Kampf wieder zu beginnen, so überließen wir uns von neuem dem Feuer, das unsere Sinne entflammte.

»O meine Lucrezia, wie glücklich ist dein Geliebter! Aber, zärtliche Freundin, gib acht auf deine Schwester; sie könnte sich umdrehen und uns sehen.«

»Fürchte nichts, Seele meines Lebens! Meine Schwester ist reizend, sie liebt mich, sie beklagt mich; nicht wahr, gute Angelica, du liebst mich! O, dreh dich um! Seh deine Schwester glücklich! Erkenne das Glück, das deiner warte, wenn dich einst die Liebe ihrer süßen Herrschaft unterwirft.«

Angelica war siebzehn Jahr alt und war Jungfrau; sie mußte eine Nacht voller Tantalusqualen verbracht haben. Sie verlangte nichts Besseres, als einen Vorwand, um ihrer Schwester zeigen zu können, daß sie ihr verziehen hatte. Sie drehte sich um, gab Lucrezia hundert Küsse und gestand ihr, sie hätte kein Auge zutun können.

»Verzeih auch ihm, meine zärtliche Angelica, verzeih auch ihm, der mich liebt und den ich anbete!«

Unbegreifliche Macht des Gottes, der alle Wesen unterjocht!

»Angelica haßt mich!« rief ich, »ich wage nicht …«

»Nein, ich hasse Sie nicht!« sagte das reizende Kind.

»Küsse Sie, mein Freund!« sagte Lucrezia. Sie stieß mich auf ihre Schwester und sah mit Wonne diese schmachtend und regungslos in meinen Armen. Aber Gefühl noch mehr als Liebe verbietet mir, meine Lucrezia des Dankbarkeitszeichens zu berauben, das ich ihr schulde. Mit der ganzen Glut besinnungsloser Leidenschaft stürzte ich mich auf sie, und mein Feuer wächst noch, als ich Angelica in Ekstase sehe. Sie war zum erstenmal Zuschauerin des süßesten aller Liebeskämpfe. Lucrezia vergingen die Sinne; sie bat mich aufzuhören; da sie mich aber unerbittlich fand, entzog sie sich meiner Glut und statt ihrer opferte die sanfte Angelica zum erstenmal der Mutter der Liebe. Gewiß, so war es, als einst noch die Götter bei den Sterblichen wohnten – als die wollüstige Arcadia, verliebt in den sanften und anmutigen Hauch des Westwinds, ihm eines Tags die Arme öffnete und fruchtbar wurde. Es war der sanfte Zephyr.

Erstaunt und entzückt bedeckte Lucrezia bald die Schwester bald mich mit ihren Küssen. Angelica war ebenso glücklich wie ihre Schwester; zum drittenmal verging sie in meinen Armen in köstlicher Ohnmacht; sie war so feurig, so zärtlich, daß ich zum erstenmal das Glück der Liebe zu genießen glaubte.

Der blonde Phöbus hatte das bräutliche Lager verlassen, und schon verbreiteten seine Strahlen ihr Licht über das Weltall. Die Helligkeit, die durch die Spalten der Fensterläden drang, erinnerte mich daran, daß ich scheiden mußte. Ich nahm zärtlich Abschied von meinen beiden Göttinnen und zog mich in meine Kammer zurück. Wenige Augenblicke daraus erscholl bei meinen Nachbarinnen die lustige Stimme des guten Advokaten; er schalt seine Frau und Schwägerin aus, sie lägen zu lange im Bett. Dann klopfte er an meine Tür und drohte, er würde mir die Damen ins Zimmer schicken. Schließlich ging er fort, um mir einen Friseur zu besorgen.

Nachdem ich zahlreiche Abspülungen vorgenommen und sorgfältig Toilette gemacht hatte, fand ich, daß mein Gesicht sich allenfalls sehen lassen könne, und erschien mit stoischer Ruhe im Salon. Dort fand ich die beiden liebenswürdigen Schwestern inmitten der ganzen übrigen Gesellschaft und war entzückt vom rosigen Hauch ihrer Wangen. Lucrezia war fröhlich und ungezwungen und auf ihren Zügen malte sich das Glück. Angelica war frisch wie eine Rose am Morgen; sie war lebhafter als für gewöhnlich, aber sie vermied es, mich auch nur ein einziges Mal anzusehen. Ich sah, wie sie darüber lächelte, daß es mir nicht gelingen wollte, ihr ins Gesicht zu sehen; boshafterweise sagte ich nun zur Mutter, es sei schade, wenn Angelica Weiß auflege. Das Mädchen ging in diese Falle und verlangte, ich solle ihr mit einem Taschentuch übers Gesicht fahren. Dabei mußte sie mich denn wohl ansehen. Ich bat sie um Entschuldigung, und Don Francesco war entzückt, daß die weiße Haut seiner Zukünftigen einen so schönen Triumph errungen hatte.

Nach dem Frühstück machten wir einen kleinen Spaziergang im Garten. Als ich mit meiner Lucrezia allein war, machte ich ihr zärtliche Vorwürfe.

»Mache mir keine Vorwürfe!« rief sie. »Ich verdiene im Gegenteil nur Lob. Ich habe die Seele meiner reizenden Schwester aufgeklärt; ich habe sie in die süßesten Mysterien eingeweiht. Statt mich zu beklagen, muß sie mich jetzt beneiden; statt dich zu hassen, muß sie dich lieben. Da ich so unglücklich bin, bald von dir scheiden zu müssen, mein Freund, so lasse ich sie dir. Sie möge meine Stelle einnehmen.«

»Ah, Lucrezia! Wie könnte ich sie wohl lieben?!«

»Ist sie nicht reizend?«

»Ganz gewiß; aber meine Liebe zu dir feit mich gegen jede andere Liebe. Übrigens muß hinfort Don Francesco allein sie ganz und gar in Anspruch nehmen; ich möchte nicht schuld sein, daß ihre Liebe sich abkühlt, ich möchte nicht den Frieden ihrer Ehe stören. Auch bin ich sicher, daß deine Schwester ganz und gar von dir verschieden ist; ich möchte darauf wetten, sie bereut es schon, daß sie sich von ihrem Temperament hat fortreißen lassen.«

»Das kann wohl sein, mein Freund. Aber weißt du, was mich untröstlich macht? Mein Mann rechnet darauf, das Urteil bereits im Laufe der Woche zu erhalten, und dann sind die Augenblicke des Glückes für mich vorüber!«

Diese Nachricht betrübte mich. Um mich abzulenken, beschädigte ich mich bei Tisch viel mit dem hochherzigen Don Francesco. Ich versprach ihm ein Epithalamium für seine Hochzeit, die im Januarmonat stattfinden sollte.

Auf der Rückfahrt nach Rom verbrachte ich mit Lucrezia drei Stunden in meinem Visavis ohne daß sie eine Abnahme in der Lebhaftigkeit meiner Gefühle für sie hätte feststellen können. Bei unserer Ankunft fühlte ich mich ermüdet und stieg daher beim Spanischen Palast aus.

Wie Lucrezia mir gesagt hatte, erhielt ihr Mann drei oder vier Tage darauf den Urteilsspruch. Er kam zu mir, um mir unter vielen Freundschaftsbeteuerungen mitzuteilen, daß er am übernächsten Tage abreise. Die beiden letzten Abende verbrachte ich mit Lucrezia, doch stets inmitten ihrer Familie. Am Tage der Abreise wollte ich ihr eine angenehme Überraschung bereiten; ich fuhr voraus und erwartete sie an dem Ort, wo sie, wie ich glaubte, übernachten würden. Der Advokat war jedoch durch verschiedene unerwartete Umstände zurückgehalten worden und hatte erst vier Stunden später abreisen können, als er eigentlich wollte. Sie kamen daher erst am nächsten Tage um die Mittagszeit an. Nachdem wir miteinander gespeist hatten, nahmen wir traurig Abschied. Sie setzten ihre Reise fort, und ich kehrte nach Rom zurück.

Nach der Abreise dieser seltenen Frau empfand ich eine gewisse Leere; dies ist ja ziemlich natürlich bei einem jungen Menschen, dessen Herz nicht von Hoffnungen erfüllt ist. Ich arbeitete tagelang auf meinem Zimmer und machte Auszüge aus französischen Briefen, die der Kardinal selber verfaßt hatte. Seine Eminenz hatte die Güte, mir zu sagen, er finde meine Auszüge sehr sachlich; aber ich dürfe durchaus nicht soviel arbeiten. Die schöne Marchesa war dabei, als ich dieses schmeichelhafte Lob erhielt. Seit meinem zweiten Besuch hatte ich mich nicht wieder bei ihr sehen lassen. Daher schmollte sie mir, und um mich dies fühlen zu lassen, sagte sie dem Kardinal, ich müsse wohl so viel arbeiten, um den Kummer zu verscheuchen, den mir Lucrezias Abreise gewiß verursache.

»Ich will nicht verhehlen, gnädige Frau, daß ich den Schmerz tief empfinde. Sie war gut und hochherzig; vor allen Dingen verzieh sie mir, daß ich sie nur selten besuchte. Übrigens war meine Freundschaft unschuldig.«

»Daran zweifle ich nicht, obgleich Ihre Ode auf einen verliebten Dichter schließen läßt.«

»Unmöglich«, warf der Kardinal wohlwollend ein, »kann ein Dichter etwas schreiben, ohne sich wenigstens den Anschein der Verliebtheit zu geben.«

»Aber«, versetzte die Marchesa, »wenn er wirklich verliebt ist, so braucht er nicht ein Gefühl zu heucheln, das er ja besitzt.«

Mit diesen Worten zog die Marchesa ein Papier aus der Tasche und reichte es Seiner Eminenz: »Da ist die Ode! Sie machte dem Dichter und Verfasser alle Ehre, denn sie ist von allen schönen Geistern Roms als ein kleines Meisterwerk anerkannt, und Donna Lucrezia weiß sie auswendig.«

Der Kardinal überflog das Gedicht und gab es ihr lächelnd zurück, indem er sagte, er finde keinen Geschmack an italienischer Poesie, und wenn er es schön finden solle, müsse sie sich das Vergnügen machen, es ins Französische zu übersetzen.«

»Französisch schreibe ich nur Prosa,« sagte die Marchesa, »und jede Prosaübertragung nimmt Versen dreiviertel ihres Wertes.« Dann fuhr sie mit einem bedeutungsvollen Blick auf mich fort: »Ich gebe mich nur zuweilen damit ab, anspruchslose italienische Verse zu dichten.«

»Ich würde mich glücklich schätzen, gnädige Frau, wenn ich mir den Vorzug verschaffen könnte, einige von Ihren Versen kennenzulernen.«

»Hier habe ich«, sagte Kardinal S. C., »ein Sonett der Frau Marchesa«

Ich nahm es ehrfurchtsvoll entgegen und wollte es lesen, doch die liebenswürdige Marchesa sagte mir, ich möchte es in die Tasche stecken; ich könnte es am nächsten Tage dem Kardinal zurückgeben, obwobl es nicht viel wert wäre.

»Wenn Sie morgen früh ausgehen,« sagte mir der Kardinal, »können Sie es mir zurückgeben, indem Sie zu mir zum Essen kommen.«

Kardinal Acquaviva ergriff das Wort urd sagte: »Nun so wird er morgen auf alle Fälle ausgehen.«

Nach einer tiefen Verbeugung, die alles sagte, entfernte ich mich langsam und ging auf mein Zimmer hinauf. Ich war ungeduldig, das Sonett zu lesen. Bevor ich aber diese Ungeduld befriedigte, verweilte ich noch einen Augenblick, um eine kurze Musterung über mich selbst abzuhalten. Meine gegenwärtige Lage schien mir einige Aufmerksamkeit zu verdienen, nachdem ich am letzten Abend einen Riesenschritt vorwärts getan hatte, wie mir schien. Die Marchesa G. erklärt mir auf die unzweideutigste Art ihr Interesse für mich und fürchtet mit ihrer hoheitsvollen Miene sich nicht bloßzustellen, indem sie mir öffentlich auf das schmeichelhafteste entgegenkommt. Aber wer hätte sich’s können einfallen lassen, daran etwas auszusetzen? Ein junger Abbate wie ich war vollkommen ohne Bedeutung und konnte kaum Anspruch auf ihre hohe Protektion erheben, die sie, so wie sie nun einmal war, gerade solchen gerne gewährte, die sich derselben nicht wert hielten und daher auch anscheinend gar keinen Anspruch darauf erhoben. In dieser Hinsicht mußte meine Bescheidenheit aller Welt in die Augen springen, und die Marchesa hätte mich ohne Zweifel beleidigt, wenn sie mir zugetraut hätte, ich könnte mir einbilden, sie hätte auch nur im geringsten Geschmack an mir gefunden. Nein, eine derartige geckenhafte Eitelkeit ist mir ganz gewiß nicht eigen. Beweis dafür: der Kardinal selbst lud mich zu Tisch ein. Hätte er das getan, wenn er es für möglich gehalten hätte, daß ich seiner schönen Marchesa gefallen könnte? Nein, ganz gewiß nicht.

Warum sollte ich mich vor meinen Lesern verstellen? Mögen sie mich für einen eitlen Gecken nehmen – ich verzeihe es ihnen. Aber es ist Tatsache: ich fühlte mit Bestimmtheit, daß ich der Marchesa gefallen hatte. Ich wünschte mir Glück, daß sie diesen ersten so wichtigen und so schwierigen Schritt getan hatte. Sonst hätte ich nicht nur niemals gewagt, sie mit den herkömmlichen Mitteln anzugreifen, sondern es wäre mir nicht einmal eingefallen, ein Auge auf sie zu werfen. Mit einem Wort: erst von diesem Abend an erschien sie mir als das Weib, das mir meine Lucrezia ersetzen konnte. Sie war schön, jung, geistvoll und gebildet; sie war in den Wissenschaften bewandert, und mehr als das: sie war mächtig in ganz Rom. Was brauchte ich mehr?

Trotzdem hielt ich es für gut, scheinbar ihre Neigung für mich nicht zu bemerken und gleich vom nächsten Tage an sie zum Glauben zu bringen, ich liebte sie, ohne die geringste Hoffnung zu hegen. Ich wußte, dies war ein unfehlbares Mittel; ich schonte dadurch ihre Eitelkeit. Mein Plan schien mir danach angetan, den Beifall des Vaters Georgi selber zu erringen. Übrigens hatte ich mit lebhafter Befriedigung bemerkt, daß die Einladung des Kardinals S. C. meinem Kardinal Acquaviva viel Vergnügen machte. Er selber hatte mir solche Ehre noch nie erwiesen. Diese Einladung konnte Folgen haben, die nicht abzusehen waren.

Ich las das Sonett der liebenswürdigen Marchesa und fand es gut, fließend, gewandt und ausgezeichnet stilisiert. Sie pries darin den König von Preußen, der soeben durch eine Art von Handstreich sich Schlesiens bemächtigt hatte. Als ich es abschrieb, hatte ich den Einfall, Schlesien zu personifizieren und eine Antwort auf das Sonett geben zu lassen, als dessen Verfasserin ich die Liebe annahm. Silesia beklagte sich bei der Liebe, daß sie ihren Besieger preise, obwohl dieser Eroberer ein erklärter Feind der Liebe sei.

Wenn jemand gewohnt ist, Verse zu machen, so kann er sich dessen unmöglich enthalten, sobald ein glücklicher Einfall seiner bezauberten Einbildungskraft zugelächelt hat. Das poetische Feuer, das sich dann durch seine Adern ergießt, würde ihn verzehren, wenn er ihm den freien Ausweg verwehren wollte. Ich machte mein Sonett mit denselben Reimen wie das der Marchesa sie hatte; dann ging ich, zufriede mit meinem Apollo, zu Bett.

Am anderen Morgen, als ich gerade damit fertig war, mein Sonett abzuschreiben, kam Abbate Gama zu mir und lud sich bei mir zum Frühstück ein. Er wollte mir Glück wünschen zu der Ehre, die Kardinal S. C. mir erwiesen, indem er mich öffentlich vor der ganzen Gesellschaft zu Tisch eingeladen hätte.

»Aber seien Sie vorsichtig!« fuhr er fort, »Seine Eminenz gilt für eifersüchtig.«

Ich dankte ihm für den freundschaftlichen Rat und versicherte ihm nachdrücklich, ich hätte nichts zu besorgen, denn ich spürte keinerlei Neigung für seine schöne Marchesa.

Kardinal S. C. empfing mich mit großer Güte, in die sich aber eine gewisse Würde mischte, um mich die ganze Bedeutung der mir von ihm erwiesenen Gnade fühlen zu lassen.

»Haben Sie«, fragte er, »das Sonett der Marchesa gut gefunden?«

»Gnädiger Herr, ich fand tadellos und, was mehr sagen will: reizend. Hier ist es.«

»Sie hat viel Talent. Ich will Ihnen zehn Stanzen von ihrer Feder zeigen, Abbate, aber unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit.«

»Darauf können Eure Eminenz sich völlig verlassen.«

Er holte aus seinem Schreibtisch die Stanzen, die an ihn selber gerichtet waren. Ich las sie; sie waren gut gemacht, aber ich fand, sie hatten kein Feuer, sie waren das Werk einer Dichterin: Liebe in leidenschaftlichem Stil, aber man vermißte in ihnen das Gefühl, das ein Gedicht sofort als wahr erkennen läßt. Der gute Kardinal beging ohne Zweifel eine große Indiskretion; aber wie vieles begeht nicht die Eitelkeit! Ich fragte Seine Eminenz, ob sie auf die Stanzen geantwortet habe. »Nein,« sagte er, »aber würden Sie wohl«, fuhr er lachend fort, »mir Ihre Feder leihen – selbstverständlich stets unter der Bedingung unverbrüchlichen Schweigens?«

»Für Verschwiegenheit, Monsignore, stehe ich mit meinem Kopfe ein; aber ich fürchte, die gnädige Frau könnte die Verschiedenheit des Stils bemerken.«

»Sie besitzt keine Verse von mir; übrigens glaube ich nicht, daß sie mich für einen Dichter hält, und deshalb müssen auch Ihre Stanzen so sein, daß sie sie nicht zu gut für meine schwachen Kräfte finden kann.«

»Ich werde sie dichten, gnädiger Herr, und Eure Eminenz werden selber das Urteil abgeben. Wenn Sie sie nicht mehr als Ihre eigene Arbeit ihr glauben geben zu können, so behalten Sie sie.«

»Ja, so ist es gut. Wollen Sie sie sofort machen?«

»Sofort, gnädiger Herr? Es ist keine Prosa.«

»Nun, so sehen Sie zu, daß Sie sie mir morgen geben können.« Wir speisten selbzweit, und Seine Eminenz wünschte mir Glück zu meinem Appetit; er sehe mit Vergnügen, sagte er, daß ich in dieser Hinsicht ebensoviel leiste wie er. Ich begann, das Original zu erkennen und sagte, um ihm zu schmeicheln: er erweise mir zuviel Ehre, ich müsse hinter ihm zurückstehen. Dieses eigentümliche Kompliment gefiel ihm, und ich sah nun, wie großen Vorteil ich von dieser Eminenz haben könnte

Gegen Ende der Mahlzeit, als wir im besten Plaudern waren, trat die Marchesa ein, selbstverständlich ohne sich anmelden zu lassen. Ihr Anblick entzückte mich: ich fand in ihr eine vollkommene Schönheit. Sie ließ dem Kardinal keine Zeit, ihr entgegenzutreten, sondern setzte sich neben ihn; ich blieb stehen: so gehörte es sich.

Die Marchesa tat, als bemerke sie mich gar nicht; sie sprach geistreich über verschiedenes bis zu dem Augenblick, wo der Kaffee gebracht wurde. Da richtete sie das Wort an mich und sagte mir, ich möchte mich setzen; aber in einem Tone, wie wenn sie mir ein Almosen reichte.

»Was ich sagen wollte, Abbate,« sagte sie einen Augenblick darauf, »haben Sie mein Sonett gelesen?«

»Ja, gnädige Frau; und ich hatte die Ehre, es Monsignore zurückzugeben. Ich fand es so gelungen, daß ich überzeugt bin, es hat Ihnen viel Zeit gekostet.«

»Zeit?« rief der Kardinal, »da kennen Sie sie nicht.«

»Gnädiger Herr,« versetzte ich, »ohne Zeitaufwand macht man nichts Rechtes. Aus diesem Grunde wagte ich auch nicht, Euerer Eminenz eine Antwort auf das Sonett zu zeigen, die ich in einer halben Stunde gedichtet habe.«

»Zeigen Sie sie her, Abbate,« sagte die Marchesa; »ich will sie lesen.«

Antwort Silesias an die Liebe. Dieser Titel ließ sie aufs lieblichste erröten. »Von Liebe ist nicht die Rede!« rief der Kardinal. »Warten Sie!« sagte die Marchesa, »man muß den Einfall des Dichters achten.«

Sie las mein Sonett zweimal und fand die von Silesia an die Liebe gerichteten Vorwürfe sehr berechtigt. Sie setzte meinen Gedanken dem Kardinal auseinander, indem sie ihm klarmachte, warum Silesia beleidigt wäre, daß gerade der König von Preußen sie erobert hätte.

»Ach so! Ja!« rief der Kardinal freudestrahlend: »Silesia ist ein Weib, und der König von Preußen … oh! oh! der Gedanke ist göttlich!« Und der Kardinal lachte länger als eine Viertelstunde aus vollem Halse. »Ich will das Sonett abschreiben«, rief er endlich. »Ich will es auf alle Fälle besitzen!«

»Der Abbate«, sagte die Marchesa, »wird Ihnen die Mühe ersparen; ich werde es ihm diktieren.«

Ich setzte mich zum Schreiben nieder; plötzlich aber rief Seine Eminenz: »Ach; Marchesa, das ist ja wunderbar; er hat das Sonett mit den Reimen des Ihrigen gemacht. Haben Sie’s bemerkt?«

Die Marchesa warf mir einen so ausdrucksvollen Blick zu, daß Sie mich vollends zu ihrem Sklaven machte. Ich begriff, was sie wollte: ich sollte den Kardinal kennenlernen, wie sie selber ihn kannte, und wir sollten gemeinsam vorgehen. Ich fühlte mich vollkommen dazu aufgelegt, ihr beizustehen.

Sobald ich nach dem Diktat der reizenden Frau das Sonett geschrieben hatte, wollte ich mich empfehlen; der Kardinal war so entzückt, daß er mir sagte, er erwarte mich am nächsten Tage zu Tisch.

Ich hatte viel Arbeit vor mir; denn die zehn Stanzen, die ich zu dichten hatte, waren ganz eigener Art. Ich zog mich daher schleunigst auf mein Zimmer zurück, um in aller Muße nachdenken zu können. Ich mußte mich in acht nehmen, daß ich mich nicht zwischen zwei Stühle setzte, und ich fühlte, daß ich dazu aller meiner Geschicklichkeit bedurfte. Ich mußte die Marchesa instand setzen, so zu tun, als ob sie den Kardinal für den Verfasser der Stanzen hielte, zu gleicher Zeit aber mußte sie genötigt sein, das Gedicht mir zuzuschreiben, und sie durfte nicht daran zweifeln können, daß ich das wußte. Ich mußte viel Zurückhaltung beobachten, daß sie mich nicht in Verdacht haben konnte, Hoffnungen zu hegen, und trotzdem mußten unter dem durchsichtigen Schleier der Dichtung meine Verse von feurigstem Gefühl durchglüht sein. Vom Kardinal wußte ich, daß er um so eher geneigt sein würde, sich meine Stanzen anzueignen, je hübscher er sie fände. Es handelte sich nur darum, klar zu sein – und das ist in der Poesie so schwer; Dunkelheit dagegen hätte in den Augen meines neuen Midas für Erhabenheit gegolten. Aber obwohl mir sehr viel daran lag, ihm zu gefallen, kam bei dieser Sache der Kardinal nur in zweiter Linie in Betracht, in erster dagegen die schöne Marchesa.

Die Signora gab in ihren Versen eine pomphafte Auszählung der körperlichen und moralischen Eigenschaften des Kardinals; ich durfte daher nicht versäumen, ihr dies mit Gleichem zu vergelten, und ich tat es um so lieber, da die Aufgabe leicht war. Voll von meinen Stoff machte ich mich ans Werk; ich ließ meiner Phantasie und dem doppelten Gefühl, das mich beherrschte, freien Lauf und beendigte schließlich meine zehn Stanzen mit den beiden schönen Versen Ariostos:

Le angeliche belezze nate al cielo
Non si ponno celar sotto alcun velo.

Die Engelschönheit aus des Himmels Auen,
Kein Schleier hindert ihren Glanz zu schauen.

Ziemlich zufrieden mit meinem kleinen Werk brachte ich es am anderen Tage zu Seiner Eminenz. Ich sagte, ich zweifle, daß er sich als Verfasser eines so mittelmäßigen Erzeugnisses werde bekennen wollen. Er las die Verse wiederholt sehr schlecht und sagte mir schließlich, sie seien ja allerdings nicht viel wert, aber das sei gerade gut in diesem Fall. Besonders dankte er mir für die Verwendung der beiden Ariostschen Verse; er würde um so eher als Verfasser des Ganzen gelten, weil die Marchesa glauben würde, er habe die Anleihe bei Ariost nötig gehabt. Gleichsam zum Trost sagte er mir zu guter Letzt, er werde bei Abschreiben noch einige Fehler in die Verse hineinbringen; dadurch werde die Illusion vollständig werden.

Wir speisten etwas früher als am Tag vorher, und ich ging gleich nach dem Essen fort, damit er Zeit hätte, vor der Ankunft seiner Dame die Verse abzuschreiben.

Am nächsten Abend begegnete ich ihr am Tor des Palastes; ich reichte ihr den Arm, um ihr beim Aussteigen aus dem Wage zu helfen. Sobald sie stand, sagte sie zu mir: »Wenn man in Rom etwas von Ihren und meinen Stanzen erfährt, können Sie auf meine Feindschaft rechnen.«

»Gnädige Frau, ich weiß nicht, was Sie meinen.«

»Diese Antwort hatte ich erwartet; aber lassen Sie sich’s gesagt sein.«

Ich begleitete sie bis an die Türe des Salons und entfernte mich, Verzweiflung im Herzen, denn ich glaubte, sie sei allen Ernstes aufgebracht.

»Meine Stanzen«, sprach ich bei mir selbst, »sind zu feurig, sie stellen ihren Stolz bloß, und ihr Selbstgefühl wird sich beleidigt gefühlt haben, daß ich so tief in das Geheimnis ihres Verhältnisses eingedrungen bin. Trotzdem bin ich überzeugt, daß ihre angebliche Furcht vor einer Indiskretion erheuchelt ist. Sie ist nur ein Vorwand, mich in Ungnade fallen zu lassen. Sie hat meine Zurückhaltung gar nicht begriffen. Was hätte sie denn machen wollen, wenn ich sie in der Nacktheit des goldenen Zeitalters geschildert hätte, ohne alle jene Schleier, die die Scham ihrem Geschlecht anzulegen gebietet.« Ich bedauerte, es nicht getan zu haben. Schließlich zog ich mich aus und ging zu Bett. Ich lag im halben Traum, da klopfte Abbate Gama an meine Tür. Ich zog die Schnur, er trat ein und sagte: »Mein Lieber, der Kardinal möchte Sie sehen: die schöne Marchesa und Kardinal S. C. wünschen, daß Sie herunterkommen.«

»Es tut mir leid, aber ich kann nicht. Sagen Sie ihnen die Wahrheit: daß ich zu Bett liege und krank bin.«

Da der Abbate nicht wiederkam, so dachte ich mir, er werde wohl meine Bestellung ausgerichtet haben, und verbrachte die Nacht ziemlich ruhig. Am anderen Morgen war ich noch nicht fertig angezogen, als ich ein Briefchen vom Kardinal S. C. erhielt. Er lud mich zum Essen ein und teilte mir mit, er habe zur Ader gelassen und müsse mich sprechen; er forderte mich auf, recht früh zu ihm zu kommen, selbst wenn ich krank wäre.

Das war dringend. Ich konnte nicht ahnen, was los war; aber um etwas Unangenehmes schien es mir nach diesem Brief sich nicht zu handeln. Ich ging in die Messe, wo Kardinal Aquaviva mich bemerken mußte. Dies geschah denn auch. Nach der Messe winkte Monsignore mich zu sich heran und fragte: »Sind Sie wirklich krank?«

»Nein, gnädiger Herr, ich hatte nur Lust zu schlafen.«

»Das freut mich sehr; aber Sie hahen unrecht, denn man ist Ihnen gut. Der Kardinal läßt heute zur Ader.«

»Ich weiß es, Monsignore. Er teilt es mir in diesem Briefchen mit, worin er mich einladet, zu ihm zum Essen zu kommen, wenn Eure Eminenz es erlauben wollen.«

»Sehr gern. Aber das ist scherzhaft! Ich glaubte nicht, daß er einen Dritten nötig hätte.«

»Wird denn ein Dritter dort sein?«

»Davon weiß ich nichts, und ich bin neugierig darauf.«

Hierauf entließ der Kardinal mich, und alle Anwesenden glaubten, Seine Eminenz habe mit mir von Staatsgeschäften gesprochen.

Ich ging zu meinem neuen Mäcen, den ich im Bett fand.

»Ich muß heute Diät halten,« sagte er zu mir; »Sie werden allein speisen, aber Sie kommen dabei nicht zu kurz, denn mein Koch weiß nichts davon. Ich habe Ihnen was zu sagen: ich fürchte Ihre Stanzen sind zu hübsch, denn die Marchesa ist ganz vernarrt darin. Hätten Sie sie mir so vorgelesen, wie sie es getan hat, so hätte ich mich nicht entschließen können, sie für mein Werk auszugehen.«

»Aber sie glaubt doch, daß die Verse von Eurer Eminenz sind?«

»Ganz gewiß.«

»Das ist die Hauptsache, gnädiger Herr.«

»Ja. Aber was sollte ich anfangen, wenn sie Lust bekäme, noch mehr Verse auf mich zu machen?«

»Sie würden ihr auf dieselbe Weise antworten, denn Sie können Tag und Nacht über mich verfügen und sich vollkommen auf meine unverbrüchliche Verschwiegenheit verlassen.«

»Ich bitte Sie, dies kleine Geschenk anzunehmen; es ist Negrillo von Havanna, den mir Kardinal Acquaviva gegeben hat.«

Der Tabak war gut, aber die Verpackung war besser: sie bestand in einer prachtvollen Dose aus emailliertem Gold. Ich nahm sie ehrfurchtsvoll und mit dem Ausdruck gerührter Dankbarkeit entgegen.

Wenn die Eminenz auch keine Verse machen konnte, so wußte sie doch zu schenken, und zwar in vornehmer Form zu schenken; und diese Kunst ist an einem hohen Herrn unendlich viel mehr wert als jene andere.

Gegen Mittag sah ich zu meiner großen Überraschung die schöne Marchesa in einem sehr eleganten Hauskleide erscheinen. »Hätte ich gewußt, daß Sie gute Gesellschaft haben,« sagte sie zum Kardinal, »so wäre ich nicht gekommen.«

»Ich bin überzeugt, liebe Marchesa, die Gegenwart unseres Abbate wird Ihnen nicht unangenehm sein.«

»Nein, denn ich halte ihn für anständig.«

Ich hielt mich in achtungsvoller Entfernung bereit, bei der erstem Stichelrede der Dame mich mit meiner schönen Tabaksdose aus dem Staube zu machen. Der Kardinal fragte sie, ob sie zu Mittag speisen würde. »Ja,« antwortete sie; »aber schlecht, denn ich esse nicht gerne allein.«

»Wenn Sie ihm die Ehre erweisen wollen, wird der Abbate Ihnen Gesellschaft leisten.«

Sie warf mir einen freundlichen Blick zu, sagte aber keinen Ton.

Es war das erstemal, daß ich mit einer Dame der großen Welt zu tun hatte. Ihre Protektionsmiene, so wohlwollend sie auch war, brachte mich aus der Fassung; denn Begönnerung kann nichts mit Liebe zu schaffen haben. Aber da sie sich in Gegenwart des Kardinals befand, so begriff ich, daß ihr Verhalten wahrscheinlich durch die Schicklichkeit geboten wäre.

Der Tisch wurde neben dem Bett des Kardinal gedeckt, und die Marchesa, die fast gar nichts aß, ermunterte meinen glücklichen Appetit.

»Ich habe Ihnen gesagt, der Abbate gibt mir nichts nach«, sagte S. C.

»Ich glaube auch, es fehlt nicht viel daran; aber Sie sind leckerer«, fügte sie hinzu, um ihm zu schmeicheln.

»Frau Marchesa, dürfte ich mir die Bitte erlauben, mir sagen zu wollen, warum Sie mich für einen großen Esser, aber nicht für einen Feinschmecker halten? Denn von allem liebe ich nur die feinen, auserlesenen Bissen.«

»Erklären Sie das näher, sagte der Kardinal.

Ich erlaubte mir zu lachen und sagte in improvisierten Versen alles her, was mir von feinen und auserlesenen Speisen gerade einfiel. Die Marchesa klatschte Beifall und sagte mir, sie bewundere meinen Mut.

»Mein Mut, gnädige Frau, ist Ihr Mut; denn ich bin furchtsam wie ein Hase, wenn man mich nicht ermutigt: Sie sind die Urheberin meiner Improvisation.«

»Ich bewundere Sie. Ich könnte keine vier Verse hersagen, ohne sie niedergeschrieben zu haben, und wenn der Gott des Pindus selber mich ermutigte.«

»Wagen Sie sich Ihrem Genius zu überlassen, gnädige Frau, und Sie werden göttliche Sachen sagen.«

»Das glaube ich auch,« rief der Kardinal. »Bitte erlauben Sie mir doch, daß ich dem Abbate Ihre zehn Stanzen zeige.«

»Sie sind nachlässig gemacht. Aber ich bin damit einverstanden – vorausgesetzt, daß es unter uns bleibt.«

Der Kardinal gab mir nun die Stanzen der Marchesa, und ich las sie auf eine Art, daß dadurch alle ihre Schönheiten hervortraten.

»Wie Sie es gelesen haben!« sagte die Marchesa. »Es kommt mir vor, als seien die Verse gar nicht von mir. Ich danke Ihnen. Aber haben Sie die Güte und lesen Sie in derselben Weise die Stanzen vor, die Seine Eminenz als Antwort auf die meinigen gedichtet hat. Sie sind bei weitem besser.«

»Glauben Sie das nicht, Abbate! sagte der Kardinal, indem er mir die Verse gab. »Aber geben Sie sich Mühe, daß beim Vorlesen nichts verloren geht!«

Seine Eminenz hatte sicherlich nicht nötig, mir dies zu empfehlen; denn es waren meine eigenen Verse, und es wäre mir unmöglich gewesen, sie nicht so gut zu lesen wie ich nur konnte, besonders da die Frau, die mich zu diesen Versen begeistert hatte, mir gegenübersaß. Außerdem hatte Bacchus meinen Apoll erwärmt und die schönen Augen der Marchesa vermehrten noch die Glut, die alle meine Sinne durchströmte.

Ich las die Stanzen so, daß der Kardinal ganz entzückt war. Aber die Stirn der schönen Frau übergoß sich mit roter Glut, als ich an die Beschreibung jener Schönheiten kam, die des Dichters Einbildungskraft erraten darf, die ich aber nicht gesehen haben konnte. Sie riß mir mit ärgerlicher Miene das Papier aus der Hand und sagte, ich schöbe Verse unter. Dies war richtig, aber ich hütete mich wohl, es einzugestehen. Ich war ganz und gar entflammt, und sie glühte nicht weniger als ich.

Der Kardinal war eingeschlafen; sie stand auf, um sich auf die Terrasse zu setzen; ich folgte ihr dorthin. Sie saß auf dem Geländer; ich stand vor ihr, so daß ihr Knie meine Uhr berührte. Welche Stellung! Ich ergriff sanft eine ihrer Hände und sagte ihr, sie habe eine verzehrende Flamme in meine Seele geworfen; ich bete sie an, und wenn ich nicht hoffen könne, bei ihr Verständnis für meinen Liebesschmerz zu finden, sei ich entschlossen, sie auf ewig zu meiden.

»Geruhen Sie, schöne Marchesa, mir mein Urteil zu sprechen.«

»Ich halte Sie für ausschweifend und unbeständig.«

»Ich bin keins von beiden.« Mit diesen Worten preßte ich sie an meine Brust und drückte auf ihre schönen Rosenlippen einen wonnigen Kuß, den sie, ohne sich zu sträuben, empfing. Dieser Kuß, Vorläufer der süßesten Wonnen, machte meine Hände außerordentlich kühn und ich wollte… Da nahm die Marchesa eine andere Stellung ein und bat mich so sanft, ihrer zu schonen, daß ich eine neue Wollust im Gehorsam fand. Ich ließ nicht nur davon ah, einen Sieg zu verfolgen, der wohl möglich gewesen wäre, sondern ich bat sie sogar um Verzeihung, die ich leicht im sanftesten Blick lesen konnte.

Sie sprach hierauf mit mir über Lucrezia, und meine Verschwiegenheit mußte sie entzücken. Dann brachte sie die Rede auf den Kardinal. Sie wollte mich glauben machen, zwischen ihm und ihr bestehe nur ein reines Freundschaftsverhältnis. Ich wußte wohl Bescheid, aber es lag in meinem Interesse, mich so zu stellen, als glaube ich ihr ohne Einschränkung alles. Dann gingen wir dazu über, Verse unserer besten Dichter herzusagen. Sie saß, und ich stand vor ihr und konnte meine Blicke an ihren Reizen weiden, gegen die ich anscheinend unempfindlich blieb. Ich war entschlossen, an diesem Tage keinen schöneren Sieg zu erstreben, als ich bereits errungen hatte.

Der Kardinal war aus seinem langen friedlichen Schlummer erwacht; er kam in der Nachtmütze zu uns hinaus und fragte gutmütig, ob wir nicht ungeduldig geworden seien, auf ihn zu warten. Ich blieb bei ihnen bis zur Dämmerung. Dann ging ich. Ich war mit dem Erfolg des Tages sehr zufrieden und fest entschlossen, meine Glut im Zaum zu halten, bis sich der Augenblick eines völligen Sieges mir von selber darböte.

Von diesem Tage an gab die Marchesa mir fortwährend Beweise einer besonderen Hochschätzung und legte sich nicht den geringsten Zwang mehr auf. Ich rechnete auf den nahen Karneval, denn ich war überzeugt, je mehr ich ihr Zartgefühl schonte, desto lieber würde sie selber für eine Gelegenheit sorgen, mich den Lohn für meine Treue, Zärtlichkeit und Beständigkeit ernten zu lassen.

Aber das Schicksal hatte es anders beschlossen; denn in dem Augenblicke, wo der Papst und mein Kardinal ernsthaft daran dachten, meiner Existenz eine feste Grundlage zu geben, drehte mir das Glück den Rücken.

Der Heilige Vater hatte mir zu der vom Kardinal S.C. geschenkten prachtvollen Tabaksdose Glück gewünscht, aber er hatte es vermieden, jemals den Namen der Marchesa zu erwähnen. Kardinal Acquaviva gab unverhohlen seine Befriedigung kund, daß sein Kollege mir seinen Negrillo in einer so schönen Hülle gegeben hatte. Abbate Gama wagte mir keine Ratschläge mehr zu geben, als er mich auf so schönem Wege sah, und der tugendhafte Vater Georgi beschränkte seinen Rat darauf, daß er mir sagte, ich solle mich an die schöne Marchesa halten und mich vor anderen Bekanntschaften recht in acht nehmen.

So war meine wirklich glänzende Lage, als ich am Weihnachtstage den Liebhaber der hübschen Barbara Dalacqua bei mir eintreten sah. Er schloß die Tür auf, warf sich auf mein Sofa und rief, ich sähe ihn zum letztenmal. Er wolle mich nur um einen guten Rat bitten.

»Welchen Rat kann ich Ihnen geben?«

»Da, lesen Sie diesen Brief, und Sie wissen alles.«

Der Brief war von seiner Geliebten: der Inhalt besagte etwa folgendes: »Ich trage unter meinem Herzen ein Pfand unserer Liebe; ich kann nicht mehr daran zweifeln, geliebter Freund, und erkläre Dir hiermit, daß ich entschlossen bin, ganz allein von Rom fortzugehen und zu sterben, wo Gott will, wenn Du Dich nicht meiner annimmst. Lieber will ich das Ärgste ertragen, als mich meinem Vater entdecken.«

»Wenn Sie ein Ehrenmann sind,« sagte ich ihm, »können Sie sie nicht verlassen. Heiraten Sie sie, Ihren beiden Vätern zum Trotz, und leben Sie als gute Eheleute miteinander. Die ewige Vorsehung wird über Ihnen wachen.«

Nachdem ich ihm diesen Rat gegeben hatte, schien er ruhiger geworden zu sein und ging.

Zu Anfang des Jahres 1744 sah ich ihn wieder bei mir erscheinen. Diesmal machte er ein sehr zufriedenes Gesicht. »Ich habe«, erzählte er mir, »das oberste Stockwerk des Hauses gemietet, das an das Dalacquasche anstößt. Barbara weiß es. Heute nacht klettere ich durch die Dachluke auf ihren Boden, und wir verabreden den Zeitpunkt der Entführung. Mein Entschluß steht fest; ich gehe mit ihr nach Neapel, und da die Magd, die auf dem Dachboden schläft, um die Flucht wissen muß, so nehme ich auch diese mit.«

»Gott gebe Ihnen sein Geleit!«

Acht Tage später sah ich gegen elf Uhr abends ihn und einen Abbate in mein Zimmer eintreten.

»Was wollen Sie von mir zu dieser späten Stunde?«

»Ich möchte Ihnen diesen schönen Abbate vorstellen.«

Ich sehe diesen Abbate an und erkenne in ihm mit Entsetzen Barbara. »Hat man Sie eintreten sehen?« frage ich.

»Nein. Und wenn auch – ’s ist eben ein Abbate. Wir gehen allnächtlich miteinander aus.«

»Meinen Glückwunsch dazu!«

»Die Magd ist mit uns im Bunde; sie ist damit einverstanden, uns zu begleiten. Alle Vorbereitungen sind getroffen.«

»Ich wünsche Ihnen guten Erfolg. Addio! Bitte, gehen Sie!«

Als ich ein paar Tage darauf mit dem Abbate Gama in der Villa Medici spazierenging, sagte er mir infolge irgendeiner Bemerkung, im Laufe der Nacht werde auf dem Spanischen Platz eine Exekution stattfinden.

»Was für eine Exekution denn?«

»Der Bargello oder sein Leutnant wird einen ordine santissimo ausführen oder irgendein verdächtiges Haus durchsuchen, um jemanden festzunehmen, der nicht darauf gefaßt ist.«

»Woher weiß man das?«

»Seine Eminenz muß es wissen, denn der Papst würde es nicht wagen, in seine Gerichtsbarkeit einzugreifen, ohne ihn um Erlaubnis zu fragen.«

»Er hat ihm also diese Erlaubnis gegeben?«

»Ja. Ein Auditor des Heiligen Vaters hat ihn heute morgen darum gebeten.«

»Aber unser Kardinal hätte sie verweigern können?«

»Gewiß. Aber solche Verweigerung kommt niemals vor.«

»Und wenn die gesuchte Person unter seinem Schutz steht – was macht man dann?«

»Dann wird sie von Seiner Eminenz gewarnt.«

Das Gespräch kam auf andere Dinge, aber diese Nachricht beunruhigte mich. Ich dachte mir, der Befehl könne wohl Barbara oder ihren Liebhaber angehen, denn das Haus ihres Vaters stand unter spanischer Gerichtsbarkeit. Vergeblich suchte ich den jungen Menschen; es gelang mir nicht, ihn zu treffen, und ich befürchtete mich bloßzustellen, wenn ich zu ihm oder seiner Schönen ginge. Allerdings wurde ich im Grunde von diesem Schritt nur dadurch abgehalten, daß ich keine Gewißheit hatte. Denn hätte ich bestimmt gewußt, daß die Sache sie anging, so hätte ich ohne Scheu allen Blicken getrotzt.

Als ich gegen Mitternacht zu Bett gehen wollte und meine Tür öffnete, um den draußen steckenden Schlüssel herauszuziehen, stürzte zu meiner Überraschung plötzlich ganz atemlos ein Abbate in mein Zimmer und warf sich in einen Lehnstuhl. Ich erkannte Barbara und erriet alles. Ich sah sofort voraus, welche Folgen ihr Schritt für mich haben konnte, und geriet in große Aufregung und Verwirrung. Ich warf ihr vor, daß sie sich zu mir geflüchtet habe, und bat sie, sich sofort zu entfernen.

Ich Unglücklicher! Ich fühlte, daß ich mich mit ihr zugrunde richtete, ohne doch wirksame Hilfe leisten zu können. Ich hätte sie zwingen sollen, mein Zimmer zu verlassen; ich hätte sogar Leute herbeirufen müssen, wenn sie Widerstand leistete. Ich hatte nicht den Mut dazu oder vielmehr: ich gab unwillkürlich meinem Schicksal nach.

Als ich ihr sagte, sie müsse hinausgehen, warf sie unter strömenden Tränen sich vor mir auf die Knie und flehte mich an, Mitleid mit ihr zu haben.

Welches Herz ist so stahlhart, daß es sich nicht durch Tränen und Bitten eines schönen jungen Weibes erweichen ließe! Ich gab nach, aber ich sagte ihr, sie stürze uns alle beide ins Verderben.

»Niemand«, sagte sie, »hat mich das Haus betreten oder zu Ihnen hinaufgehen sehen. Dessen bin ich gewiß. Und ich schätze mich glücklich, daß ich vor acht Tagen hier gewesen bin, denn sonst hätte ich niemals Ihr Zimmer finden können.«

»Ach, es wäre besser, Sie wären niemals gekommen! Was ist aus Ihrem Liebhaber, dem Doktor geworden?«

»Die Sbirren haben ihn und die Magd verhaftet. Ich will Ihnen alles erzählen: Mein Liebster hatte mir gesagt, daß heute nacht ein Wagen unten an der Freitreppe der Trinita de Monti warten und daß er selber auch dort sein würde. Vor einer Stunde kletterte ich durch die Dachluke unseres Hauses und stieg in seine Wohnung ein. Dort kleidete ich mich um, wie Sie sehen, und ging dann mit der Magd fort, um ihn am verabredeten Ort zu treffen. Die Magd mit meinem Bündel ging ein kleines Stück vor mir. An der Straßenecke merkte ich, daß eine von meinen Schuhschnallen losgegangen war. Ich blieb stehen, um sie zu befestigen, während die Magd, im Glauben, daß ich ihr folgte, ruhig weiterging. Sie kam beim Wagen an und stieg hinein. Ich sah aber, als ich näher kam, beim Schein einer Laterne etwa dreißig Sbirren, von denen einer sich auf den Kutscherbock setzte. Sofort fuhr er mit verhängten Zügeln davon und entführte auf diese Weise die Magd, die sie mit mir verwechselt hatten, und meinen Liebsten, der ohne Zweifel im Wagen auf mich wartete. Was konnte ich in diesem fürchterlichen Augenblick machen? Zu meinem Vater durfte ich nicht zurück. So folgte ich meiner ersten Eingebung, die mich zu Ihnen trieb. Hier bin ich nun. Sie sagen mir, ich richte Sie durch diesen Schritt zugrunde. Wenn Sie das wirklich glauben, so sagen Sie mir, was ich tun soll. Ich fühle mich todunglücklich. Finden Sie ein Aushilfsmittel. Ich bin zu allem bereit. Sogar sterben will ich lieber, als Sie ins Unglück stürzen.«

Aber indem sie dies sagte, stürzten ihr von neuem unglaubliche Tränenfluten aus den Augen.

Ihre Lage war so traurig, daß ich sie für viel unglücklicher erachtete als die meinige, obgleich ich sah, daß ich trotz meiner vollkommenen Unschuld in den Abgrund stürzen mußte.

»Lassen Sie mich Sie zu Ihrem Vater führen!« sagte ich. »Ich mache mich anheischig, Ihnen seine Verzeihung zu erwirken.«

Aber dieser Vorschlag verdoppelte ihre Angst.

»Ich bin verloren!« rief sie. »Ich kenne meinen Vater. O, Herr Abbate, lieber stoßen Sie mich auf die Straße und überlassen Sie mich meinem unglücklichen Schicksal.«

Ohne Frage hätte ich das tun müssen, wenn ich auf meinen Vorteil gesehen und nicht meinem Mitleid nachgegeben hätte. Aber ihre Tränen! Ich habe es oft gesagt, und der Leser, der es selber erlebt hat, wird meiner Meinung sein: nichts ist so unwiderstehlich wie Tränen aus schönen Augen, wenn ein schönes, anständiges und unglückliches Weib sie vergießt. Es war mir körperlich unmöglich, sie zum Verlassen meines Zimmers zu zwingen oder dies auch nur zu versuchen.

»Mein armes Mädchen,« sagte ich endlich zu ihr, »wenn der Tag kommt – und das dauert nicht lange, denn es ist schon Mitternacht vorbei –, was gedenken Sie dann zu tun?«

»Ich werde den Palast verlassen,« sagte sie schluchzend. »In dieser Verkleidung wird mich niemand erkennen. Ich werde Rom verlassen und so lange wandern, bis ich vor Ermüdung und Schmerz tot zu Boden sinke.«

Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, so sank sie auf den Fußboden nieder. Sie erstickte: schon wurde sie blau im Gesicht. Ich war in der schrecklichsten Verlegenheit.

Ich löste ihr den Kragen ab und schnürte ihr Mieder auf. Dann sprengte ich ihr Wasser ins Gesicht, und es gelang mir, sie ins Leben zurückzurufen.

Die Nacht war sehr kalt, und ich hatte kein Feuer. Ich riet ihr daher, sich in mein Bett zu legen, und versprach ihr, ihren Zustand zu achten.

»Ach, Herr Abbate, das einzige Gefühl, das ich erregen kann, ist Mitleid.«

Ich war in der Tat zu bewegt und zugleich zu unruhig, um irgendeine Begierde zu verspüren. Ich überredete sie, sich ins Bett zu legen, da sie aber in ihrer Schwäche völlig hilflos war, so zog ich sie aus und legte sie ins Bett. Dabei machte ich die ganz neue Erfahrung, daß vor dem Mitleid selbst das gebieterischste Bedürfnis schwieg, trotz dem Anblick aller Reize, die sonst den höchsten Grad der Erregung hervorrufen. Ich legte mich völlig bekleidet neben sie, und beim ersten Morgendämmern weckte ich sie. Da sie sich gestärkt fühlte, so kleidete sie sich allein an, ich sagte ihr, sie möchte sich bis zu meiner Rückkehr ganz ruhig verhalten, und ging hinaus. Meine Absicht war, mich zu ihrem Vater zu begeben und auf jede nur mögliche Weise seine Verzeihung zu erwirken. Da ich aber verdächtige Leute um den Palast herum bemerkte, glaubte ich von meinem Plan abstehen zu müssen und begab mich nach einem Kaffeehause in der Via Condotta. Ich bemerkte, daß ein Sbirre mir von ferne folgte, aber ich tat, als sähe ich es nicht. Nachdem ich meine Schokolade getrunken und einige Zwiebacke zu mir gesteckt hatte, ging ich, anscheinend mit der größten Seelenruhe, nach Hause. Der Spion ging immer hinter mir her. Ich vermutete, daß der Bargello nach dem Fehlschlagen der Unternehmung bestimmte verdächtige Spuren verfolgte; in dieser Annahme wurde ich bestärkt, als der Türsteher mir ungefragt erzählte, es habe in der Nacht eine Exekution stattfinden sollen, sie sei aber mißlungen. Im selben Augenblick kam ein Auditor des Kardinalvikars und fragte den Türsteher, wann er den Abbate Gama sprechen könne. Ich sah, daß keine Zeit mehr zu verlieren war, und ging nach meinem Zimmer hinauf, um zu einem bestimmten Entschluß zu kommen.

Zunächst nötigte ich das arme Mädchen, ein paar Zwiebacke zu essen, die ich in Kanariensekt getaucht hatte. Hierauf führte ich sie in das oberste Stockwerk des Hauses, an einen nicht eben anständigen Ort, den aber niemand besuchte. Ich sagte ihr, sie möge auf mich warten.

Kurz darauf kam mein Lakai; ich befahl ihm, sofort mein Zimmer zu machen, und sobald er damit fertig wäre, die Tür abzuschließen und mir den Schlüssel zu Gama zu bringen. Ich fand den Abbate in einer Besprechung mit dem Auditor des Kardinalvikars begriffen. Sobald er mit diesem fertig war, begrüßte er mich und befahl seinem Bedienten, Schokolade zu bringen. Als wir allein waren, erzählte er mir, was seine Unterhaltung mit dem Auditor zu bedeuten gehabt hätte. Es handelte sich darum, Seine Eminenz unseren Kardinal zu bitten, daß er aus seinem Palast eine Person entferne, die sich um Mitternacht hineingeflüchtet haben müsse. »Wir müssen warten, bis der Kardinal sichtbar geworden ist; aber wenn wirklich jemand ohne sein Wissen sich in den Palast geflüchtet hat, so wird er ihn sicherlich fortschicken.« Wir sprachen hierauf allerlei über gleich- gültige Sachen, bis mein Lakai mir den Schlüssel brachte. Ich wußte nun, daß ich mindestens eine Stunde vor mir hatte, und mir war das Mittel eingefallen, das einzig und allein Barbara vor Schimpf und Schande retten konnte.

Nachdem ich mich vergewissert hatte, daß niemand mich konnte gesehen haben, ging ich zu der armen Eingesperrten und ließ sie in gutem Französisch mit Bleistift folgende Zeilen schreiben: »Ich bin ein anständiges Mädchen, Monsignore, aber als Abbate verkleidet. Ich beschwöre Euere Eminenz mir zu gestatten, daß ich Ihnen meinen Namen unter vier Augen sage. Von der Größe Ihrer Seele erhoffe ich, daß Sie meine Ehre retten werden.«

Ich gab ihr die nötigen Weisungen, um dies Billett Seiner Eminenz zukommen zu lassen, der sie sofort empfangen werde, sobald er es gelesen habe. »Sobald Sie bei ihm sind, werfen Sie sich auf die Knie und erzählen Sie ihm Ihre ganze Geschichte ohne jede Abweichung von der Wahrheit. Nur davon, daß Sie die Nacht in meinem Zimmer zugebracht haben, dürfen Sie nichts sagen, denn der Kardinal darf nicht erfahren, daß ich von Ihrer ganzen Entführungsgeschichte auch nur eine Ahnung gehabt habe. Sagen Sie ihm folgendes: Als Sie gesehen, daß der Wagen mit Ihrem Liebsten davonfuhr, traten Sie in seinen Palast ein. Sie stiegen die Treppen hinauf, so hoch Sie konnten und verbrachten oben eine sehr schlimme Nacht. Am Morgen hatten Sie den Einfall, an ihn zu schreiben und sein Mitleid anzurufen. Ich bin fest überzeugt, Seine Eminenz wird Sie auf irgendeine Art vor der Schande bewahren. Jedenfalls ist dies das einzige Mittel, wodurch Sie hoffen können, mit dem von Ihnen geliebten Mann vereinigt zu werden.«

Nachdem sie mir versprochen hatte, genau alles zu tun, was ich ihr gesagt hatte, ließ ich mich frisieren und kleidete mich zum Ausgehen an. Ich ging in die Messe, wo der Kardinal mich sah; dann ging ich aus und kam erst zum Mittagessen nach Hause. Bei Tisch sprach man von nichts anderem, als von dieser Geschichte. Nur Gama sagte nichts, und ich schwieg ebenso wie er. Ich entnahm aber aus all dem Geschwätz, daß der Kardinal meine arme Barbara in seinen Schutz genommen hatte. Das war alles, was ich wünschte. Ich glaubte nun nichts mehr zu befürchten zu haben und freute mich im stillen meiner Kriegslist, die mir ein kleines Meisterstück zu sein schien. Als ich nach dem Essen mit Gama allein war, fragte ich ihn, was es denn mit der Geschichte auf sich hätte.

Er antwortete mir: »Ein Familienvater, dessen Namen ich noch nicht weiß, hatte beim Kardinalvikar beantragt, er möge seinen Sohn verhindern, ein Mädchen zu entführen und mit demselben die Staaten des Heiligen Vaters zu verlassen. Die Entführung sollte um Mitternacht auf unserem Platz stattfinden. Der Kardinalvikar holte, wie ich Ihnen gestern erzählte, die Zustimmung unseres Kardinals ein und befahl dem Bargello, Sbirren auszuschicken, die jungen Leute auf frischer Tat festzunehmen und in Haft zu setzen. Der Befehl wurde ausgeführt; aber als die Sbirren beim Bargello ankamen, sahen sie, daß ihnen der Fang nur zur Hälfte gelungen war; denn das Weib, das mit dem jungen Mann dem Wagen entstieg, war nicht von der Art, die man zu entführen pflegt. Einige Minuten darauf erfuhr der Bargello von einem Spion, im Augenblick der Abfahrt des Wagens sei ein junger Abbate Hals über Kopf davongelaufen und habe sich in den Spanischen Palast geflüchtet. Dies hat ihn auf den Verdacht gebracht, der verkleidete Abbate könnte wohl das der Verhaftung entgangene Mädchen sein. Der Bargello hat dem Vikar den Hergang und die Aussage des Spions gemeldet; der Kardinal hat die Mutmaßungen der Polizisten für begründet erachtet und hat den Kardinal, unsern Herrn, bitten lassen, er möge befehlen, daß die betreffende Person, sei es ein Mädchen oder ein Abbate aus dem Palast verwiesen werde, falls sie nicht etwa Seiner Eminenz als unverdächtig bekannt sei. Kardinal Acquaviva hat dies alles heute früh um neun durch den Auditor des Kardinalvikars erfahren, den Sie bei mir sahen; und er hat versprochen, die betreffende Person auszuweisen, falls sie nicht etwa zu seinem Haushalt gehöre.

Diesem Versprechen getreu, hat unser Kardinal in der Tat Befehl gegeben, das ganze Haus durchsuchen zu lassen. Aber eine Viertelstunde später hat der Haushofmeister Gegenbefehl erhalten, und der Grund dafür kann nur folgender sein:

Wie mir der Kammerdiener erzählte, kam Punkt neun Uhr ein sehr hübscher Abbate, den er für ein verkleidetes junges Mädchen hielt, zu ihm und hat ihn, Seiner Eminenz ein Briefchen zu übergeben. Der Kardinal hat dieses gelesen und den besagten Abbate in seine Privatgemächer einführen lassen, die er seither nicht wieder verlassen hat. Da der Befehl, die Nachsuchungen einzustellen, unmittelbar nach der Einführung des Abbate gegeben wurde, so kann man annehmen, daß dieser Abbate niemand anderes ist, als das den Sbirren entwischte Mädchen, das sich in den Spanischen Palast geflüchtet hat, wo es die ganze Nacht zugebracht haben muß.«

»Seine Eminenz,« fragte ich, »wird sie ohne Zweifel heute ausliefern, zwar nicht an die Sbirren, wohl aber an den Kardinalvikar?«

»Nein, nicht einmal an den Papst!« antwortete Gama. »Sie haben noch nicht den rechten Begriff von der Protektion unseres Kardinals. Und diese Protektion hat er bereits erklärt, denn die junge Person befindet sich nicht nur in Monsignores Palast, sondern sogar in seinem eigenen Zimmer und unter seiner Obhut.«

Da die Geschichte an und für sich interessant war, konnte meine Aufmerksamkeit dem Abbate nicht verdächtig erscheinen. Ganz gewiß hätte er mir nichts gesagt, wenn er hätte ahnen können, welchen Anteil ich selber an der Sache hatte und welch ein großes Interesse ich daran nehmen mußte.

Am anderen Morgen trat mein Abbate Gama ganz freudestrahlend in mein Zimmer und sagte mir, der Kardinalvikar wisse, daß der Entführer mein Freund sei, und er nehme an, daß ich auch mit der Tochter befreundet sei, da deren Vater mein Sprachlehrer sei. »Man ist fest überzeugt, daß Sie um die ganze Geschichte gewußt haben, und natürlich nimmt man an, daß die arme Kleine die Nacht in Ihrem Zimmer zugebracht hat. Ich bewundere Ihr kluges Verhalten gestern mir gegenüber. Sie waren so sehr auf Ihrer Hut, daß ich hätte schwören wollen, Sie wüßten von nichts.«

»So ist es auch!« antwortete ich ernst. »Ich erfahre es erst in diesem Augenblick. Ich kenne das Mädchen, aber ich habe es seit sechs Wochen nicht mehr gesehen, nämlich seitdem ich keine Stunden mehr nehme. Mit dem jungen Doktor bin ich viel besser bekannt; er hat mir aber niemals etwas von seinem Plan mitgeteilt. Aber ein jeder mag glauben, was er will. Sie sagen, natürlich habe das Mädchen die Nacht in meinem Zimmer verbracht; aber erlauben Sie mir, über diejenigen zu lachen, die ihre Unwissenheit für Tatsachen nehmen.«

»Dies ist nun einmal das Laster der Römer, mein lieber Freund. Glücklich, wer darüber lachen kann. Aber diese Verleumdung kann Ihnen schaden, selbst bei unserm Kardinal.«

Da am Abend keine Oper war, ging ich in die Gesellschaft beim Kardinal. Ich bemerkte weder beim Kardinal, noch an irgendeinem anderen eine Veränderung im Benehmen gegen mich, und die Marchesa war gegen mich so liebenswürdig wie gewöhnlich, und sogar noch liebenswürdiger.

Den Tag darauf nach dem Essen sagte Gama mir, der Kardinal habe das junge Mädchen in einem Kloster untergebracht, wo sie auf Kosten Seiner Eminenz sehr gut behandelt werde; er sei überzeugt, daß sie das Kloster verlassen werde, um den jungen Doktor zu heiraten.

»Dies würde mich aufrichtig freuen,« sagte ich; »denn sie sind beide sehr anständig und verdienen die allgemeine Achtung.«

Als ich zwei Tage darauf den guten Vater Georgi besuchte, sagte er mir mit bekümmertem Gesicht, das Tagesgespräch in Rom sei die mißglückte Verhaftung der Barbara Dalacqua; man weise mir die Hauptrolle bei der ganzen Geschichte zu, und dies sei ihm höchst unangenehm. Ich sagte ihm dasselbe wie dem Abbate Gama, und er schien mir zu glauben. Aber er wandte mir ein, Rom wolle die Dinge nicht wissen, wie sie wirklich seien, sondern wie es den Leuten gefalle, sie sich zurechtzumachen. »Man weiß, junger Freund, daß Sie jeden Morgen zu Dalacqua gingen, man weiß, daß der junge Mann oft zu Ihnen kam: das genügt. Man will nicht die Umstände wissen, durch die eine Verleumdung widerlegt wird, sondern im Gegenteil die, durch die sie bestätigt wird. Denn in dieser heiligen Stadt liebt man die Verleumdung. Trotz Ihrer Unschuld wird Ihnen diese Geschichte angerechnet werden, wenn vielleicht in vierzig Jahren in meinem Konklave die Rede davon sein sollte, Sie zum Papst zu wählen.«

Während der folgenden Tage begann diese unangenehme Geschichte mir über alle Maßen lästig zu werden, denn jedermann sprach mit mir davon, und ich sah wohl, daß man sich nur stellte, als glaubte man mir, weil man das Gegenteil nicht wagte. Die Marchesa sagte mir mit feinem Lächeln, Fräulein Dalacqua sei mir sehr zu Dank verpflichtet. Den größten Kummer aber machte mir die Wahrnehmung, daß in den letzten Tagen des Karnevals Kardinal Acquaviva nicht mehr so ungezwungen freundlich zu mir war wie früher, wenngleich niemand außer mir selber etwas von der Veränderung seines Benehmens merken konnte.

Das Gerede begann sich zu legen, da ließ zu Anfang der Fastenzeit der Kardinal mich in sein Arbeitszimmer kommen und sagte mir:

»Die Geschichte mit der jungen Dalacqua ist zu Ende; man spricht nicht mehr davon. Aber man ist zu dem Schluß gekommen, daß Sie und ich diejenigen gewesen seien, die von der Ungeschicklichkeit des jungen Mannes, der sie entführen wollte, ihren Vorteil gehabt hätten. Was man redet, kümmert mich im Grunde sehr denn in gleichem Falle würde ich nicht anders handeln, als ich es getan habe. Ich will auch nicht wissen, was niemand Sie zwingen kann zu sagen, und worüber Sie als anständiger Mensch schweigen müssen. Auch wenn Sie nichts vorher wußten, durften Sie das Mädchen nicht aus Ihrem Zimmer weisen – angenommen, daß sie dort gewesen ist – denn Sie hätten damit barbarisch, ja sogar niederträchtig gehandelt: Sie hätten das Mädchen für ihr ganzes Leben unglücklich gemacht, und doch hätte Sie dies nicht vor dem Verdacht der Mitwisserschaft geschützt und außerdem wären Sie als feiger Verräter dagestanden.

Trotz alledem können Sie sich wohl vorstellen, daß ich mich über die Klatschereien nicht öffentlich hinwegsetzen kann, so sehr ich sie auch verachte. Ich sehe mich also gezwungen, Sie zu bitten, nicht nur mein Haus, sondern auch Rom zu verlassen. Ich werde Ihnen einen ehrenvollen Vorwand geben, damit Sie der Achtung, die die bisher Ihnen gegebenen Beweise meiner Wertschätzung Ihnen erworben haben, auch fernerhin genießen können. Ich verspreche Ihnen, den Personen, die Sie mir nennen, im Vertrauen zu sagen oder auch öffentlich zu erzählen, daß Sie in einer wichtigen Angelegenheit, die ich Ihnen anvertraut habe, eine Reise unternehmen müssen. Überlegen Sie sich nur, in welches Land Sie gehen wollen. Ich habe Freunde überall und werde Sie auf eine Art empfehlen, daß Ihre Dienste Verwendung finden werden. Meine Empfehlungen werde ich eigenhändig schreiben, und wenn Sie nicht wollen, wird kein Mensch erfahren, wohin Sie gehen. Besuchen Sie mich morgen in der Villa Negroni, und sagen Sie mir, wohin Sie wünschen, daß ich meine Briefe adressiere. Richten Sie sich so ein, daß Sie in acht Tagen abreisen können. Glauben Sie mir, es tut mir leid, Sie zu verlieren; es ist ein Opfer, das das törichteste Vorurteil mir auferlegt. Gehen Sie und lassen Sie mich nicht Ihre Betrübnis sehen!«

Diese letzten Worte sagte er, als er sah, daß sich meine Augen mit Tränen füllten; damit ich nicht noch mehr weinte, ließ er mir keine Zeit zu antworten. Ich hatte die Selbstbeherrschung mich zusammenzuraffen, bevor ich noch aus seinem Kabinett heraus war. Ich war sogar so lustig, daß Abbate Gama, der mich zum Kaffee eingeladen hatte, mir ein Kompliment darüber machte. »Ich bin überzeugt,« sagte er, »Ihre gute Laune kommt von der Unterhaltung, die Sie heute früh mit Seiner Eminenz gehabt haben.«

»Allerdings. Aber Sie wissen nicht, wie betrübt ich im Herzen bin, obwohl ich es verberge.«

»Betrübt?«

»Ich fürchte an einem schwierigen Auftrag zu scheitern, den mir der Kardinal heute morgen gegeben hat. Ich muß verbergen, wie wenig Zutrauen ich zu mir selbst habe, damit das Zutrauen, das Seine Eminenz mir gütigst bezeigt, sich nicht vermindert.«

»Wenn mein Rat Ihnen irgendwie nützen kann, so verfügen Sie über mich. Übrigens tun Sie gut, wenn Sie sich heiter und ruhig zeigen. Handelt es sich um einen Auftrag hier in Rom?«

»Nein; um eine Reise, die ich in acht oder zehn Tagen antreten muß.«

»Nach welcher Richtung?«

»Nach Westen.«

»Ich bin nicht neugierig.«

Ich ging allein nach dem Garten der Villa Borghese, wo ich zwei Stunden in düsterer Verzweiflung verbrachte. Ich liebte Rom, ich hatte mich bereits auf der breiten Straße zum Glück gesehen, und nun auf einmal sah ich mich in den Abgrund gestürzt, wußte nicht wohin und war in meinen schönsten Hoffnungen getäuscht. Ich prüfte mein Verhalten, ich beurteilte mich selber mit aller Strenge, ich konnte keine andere Schuld an mir finden als eine zu weit gehende Gefälligkeit; aber ich sah jetzt, wie sehr der wackere Abbate Georgi recht gehabt hatte. Ich hätte mich nichts nur nicht in die Geschichten des Liebespaares einmischen dürfen, sondern ich hätte sofort einen anderen Sprachlehrer nehmen müssen, sobald ich davon erfuhr. Aber wenn der Kranke tot ist, ruft man den Arzt. Übrigens war ich ja so jung und wußte noch uichts von Unglück und noch weniger von der Bosheit der Welt; da konnte ich allerdings kaum schon jene Vorsicht haben, die man allein durch Lebenserfahrung erwirbt.

Wohin sollte ich gehen? Diese Frage schien mir unlösbar. Ich dachte die ganze Nacht und den ganzen Vormittag darüber nach, aber vergeblich. Wenn ich nicht in Rom sein konnte, war mir alles gleichgültig.

Am Abend hatte ich keine Lust zum Essen und zog mich auf mein Zimmer zurück; Abbate Gama suchte mich auf und meldete mir, der Kardinal lasse mir sagen, ich möge für den anderen Tag keine Einladung zum Mittagessen annehmen, denn er habe mit mir zu sprechen.

Wie er befohlen, suchte ich ihn in der Villa Negroni auf; er ging mit seinem Sekretär spazieren, der sich aber entfernte, sobald er mich bemerkte. Sobald ich mich mit ihm allein sah, erzählte ich ihm mit allen Einzelheiten das ganze Drama der beiden Liebenden. Hierauf schilderte ich ihm in den lebhaftesten Farben meine große Trauer über die Notwendigkeit, mich von ihm zu trennen. »Ich habe mich um all mein Glück gebracht, denn ich fühle, daß ich es nur im Dienste Eurer Eminenz machen kann.« So betete ich ihm fast eine Stunde lang unter strömenden Tränen meine Litanei her; aber es gelang mir nicht, seinen Entschluß zu erschüttern. Gütig, aber dringend redete er mir zu, ich möchte ihm sagen, nach welchem Orte Europas ich gehen wolle, und in Ärger und Verzweiflung sagte ich schließlich: »Nach Konstantinopel.«

»Nach Konstantinopel?« sagte er, zwei Schritte zurücktretend.

»Jawohl, Monsignore; nach Konstantinopel!« wiederholte ich, meine Tränen trocknend.

Der Prälat war ein geistvoller Mann, aber Spanier durch und durch; er schwieg einige Augenblicke und sagte dann mit einem Lächeln: »Ich danke Ihnen, daß Sie mir nicht Ispahan genannt haben; denn da hätten Sie mich wirklich in Verlegenheit gebracht. Wann wollen Sie abreisen?«

»Heute in acht Tagen, wie Eure Eminenz befehlen.«

»Wollen Sie in Neapel oder in Venedig zu Schiff gehen?«

»In Venedig.«

»Ich werde Ihnen einen Paß ausfertigen lassen, durch den Sie besonders empfohlen werden sollen; denn Sie finden in der Romagna zwei Heere in Winterquartieren. Mich dünkt, Sie können überall erzählen, daß ich Sie nach Konstantinopel schicke; denn kein Mensch wird Ihnen glauben.« Über diese diplomatische List hätte ich beinahe gelacht. Er sagte mir, ich würde bei ihm speisen, ließ mich stehen und ging wieder zu seinem Sekretär.

Als ich wieder zu Hause war, dachte ich über die von mir getroffene Wahl nach und fragte zu mir selber: Entweder bin ich verrückt, oder ich gehorche der Macht eines geheimen Schutzgeistes, der an jenem Ort mein Schicksal für mich bereit hält. Das einzige, was ich noch begriff, war, daß der Kardinal ohne Widerspruch zugestimmt hatte. Ohne Zweifel, sagte ich mir, sollte ich nicht glauben, daß er sich über seine Kräfte gerühmt hätte, als er mir sagte, er habe Freunde überall. An wen kann er mich wohl in Konstantinopel empfehlen? Und was werde ich dort anfangen? Gewiß, davon weiß ich nichts, aber nach Konstantinopel muß ich gehen!

Ich speiste mit Seiner Eminenz unter vier Augen. Der Kardinal behandelte mich vor seinen Leuten mit ganz besonderer Güte, und ich tat, als ob ich sehr zufrieden sei; denn meine Eitelkeit war stärker als mein Kummer und verbot mir, die Zuschauer ahnen zu lassen, daß ich in Ungnade gefallen sein könnte. Übrigens war mein größter Kummer, daß ich die Marchesa verlassen mußte, in die ich verliebt war, und von der ich noch nichts Wesentliches erlangt hatte.

Zwei Tage später gab der Kardinal mir einen Paß nach Venedig und einen versiegelten Brief, der an Osman Bonneval, Pascha von Karamanien in Konstantinopel überschrieben war. Ich konnte niemandem etwas darüber sagen; aber da Seine Eminenz mir das nicht verboten hatte, so zeigte ich die Adresse des Briefes allen meinen Bekannten.

Der venezianische Botschafter, Cavaliere da Lezze, gab mir einen Brief an einen sehr liebenswürdigen reichen Türken, der sein Freund gewesen war. Don Gasparo und Abbate Georgi baten mich, ihnen zu schreihen. Abbate Gama aber sagte mir lachend mit aller Bestimmtheit, er wisse, daß ich nicht nach Konstantinopel gehe.

Ich machte einen Abschiedsbesuch bei Donna Cecilia, die kurz vorher einen Brief von Lucrezia erhalten hatte; sie schrieb ihr, sie werde bald das Glück haben, Mutter zu sein. Auch von Angelica und Don Francesco verabschiedete ich mich; sie waren seit kurzem verheiratet und hatten mich nicht zu ihrer Hochzeit eingeladen.

Der Papst, der mich nicht in Verwunderung setzte, als er von seinen Bekanntschaften in Konstantinopel sprach und von Bonneval, den er genau kannte, an den er mir sogar Grüße und die Bestellung auftrug, er bedauere, ihm seinen Segen nicht schicken zu können, gab ihn mir um so kräftiger, zugleich einen Rosenkranz von Achat und Gold, etwa zwölf Zechinen wert.

Als ich zum Kardinal Acquaviva ging, um seine letzten Befehle einzuholen, übergab er mir eine Börse mit hundert spanischen Unzen oder Goldquadrupeln, soviel wie siebenhundert Zechinen. Ich selber hatte dreihundert, das machte zusammen tausend. Zweihundert behielt ich; für den Rest nahm ich einen Wechsel über sechszehnhundert römische Taler auf einen Ragusaner, Giovanni Buchetti, der ein Haus in Ancona hatte. Hierauf nahm ich einen Platz in einer Berline, worin eine Dame nach Loretto fuhr, um ein Gelübde zu erfüllen, das sie während der Krankheit ihrer Tochter getan hatte. Diese Tochter reiste mit ihr. Da sie häßlich war, so hatte ich eine ziemlich langweilige Reise.

  1. Hat Ihnen Frascati gut gefallen? – Aber die Gesellschaft, in der Sie waren, war noch schöner, und recht galant war Ihr Visavis.

Zehntes Kapitel


Mein kurzer, zu lebenslustiger Aufenthalt in Ancona. – Cecilia, Marina, Bellino. – Die griechische Sklavin vom Lazarett. – Bellino gibt sich zu erkennen.

Ich traf in Ancona am 25. Februar des Jahres 1744 ein und stieg im besten Gasthof ab. Mein Zimmer gefiel mir. Ich sagte dem Wirt, ich wolle Fleisch essen, aber er antwortete mir, in der Fastenzeit äßen Christenmenschen Fastenspeisen.

»Der Heilige Vater hat mir die Erlaubnis gegeben, Fleisch zu essen.«

»Zeigen Sie mir diese Erlaubnis.«

»Er hat sie mir mündlich gegeben.«

»Herr Abbate, ich bin nicht verpflichtet, Ihnen zu glauben.«

»Sie sind ein Dummkopf !«

»In meinem Hause bin ich Herr, und ich bitte Sie, in einen anderen Gasthof zu gehen!«

Eine derartige Antwort und Aufforderung, auf die ich ganz und gar nicht gefaßt war, brachte mich in Zorn. Ich fluche, schimpfe, schreie, als plötzlich ein würdevoller Herr ins Zimmer tritt und zu mir sagt: »Mein Herr, Sie haben unrecht, daß Sie Fleisch essen wollen, während in Ancona die Fastenspeisen viel besser sind. Sie haben unrecht, daß Sie den Wirt zwingen wollen, Ihnen auf Ihr Wort zu glauben, und wenn Sie die Erlaubnis des Papstes haben, so haben Sie unrecht, daß Sie in Ihrem Alter sie verlangt haben. Sie haben unrecht, daß Sie sich die Erlaubnis nicht schriftlich geben ließen. Sie haben unrecht, daß Sie den Wirt Dummkopf nennen, denn das ist ein Kompliment, das kein Mensch sich in seinem eigenen Hause gefallen zu lassen braucht. Und endlich haben Sie unrecht, daß Sie solchen Lärm machen.«

Dieser Mensch, der da in mein Zimmer kam, bloß um mich abzukanzeln und mir alles mögliche Unrecht aufzubinden, reizte meine Lachlust, statt mich noch verdrießlicher zu machen, und ich antwortete:

»Gerne, mein Herr, gebe ich alles Unrecht zu, dessen Sie mich beschuldigen; aber es regnet, es ist spät, ich bin müde und habe guten Appetit; mit anderen Worten: ich habe ganz und gar keine Lust, ein anderes Quartier zu suchen. Wollen Sie mir ein Abendessen geben, da der Wirt sich weigert?«

»Nein,« sagte er sehr bestimmt; »denn ich bin ein guter Christ und faste. Aber ich erbiete mich, den Wirt zu besänftigen; der wird Ihnen ein ausgezeichnetes Abendessen gehen.«

Mit diesen Worten ging er die Treppen hinunter; und indem ich meine Ungebärdigkeit mit seiner Ruhe verglich, erkannte ich ihn als würdig an, mir einen Denkzettel zu geben. Gleich darauf kam er zurück und sagte mir, alles wäre beigelegt und ich würde gut bedient werden.

»Sie wollen also nicht mit mir speisen?«

»Nein; aber ich werde Ihnen Gesellschaft leisten.«

Ich nahm dies Anerbieten mit Freuden an; um seinen Namen zu erfahren, stellte ich mich ihm vor, wobei ich mich als Sekretär des Kardinals Acquaviva bezeichnete.

»Ich heiße Sancho Pico,« sagte er, »bin Kastilianer und verpflege die Armee Seiner katholischen Majestät, die der Graf Gages unter dem Oberbefehl des Generalissimus, des Herzogs von Modena, kommandiert.«

Mein ausgezeichneter Appetit erregte seine Bewunderung, und er fragte mich, ob ich zu Mittag gegessen hätte. Ich verneinte und bemerkte auf seinem Gesicht einen Ausdruck von Befriedigung.

»Fürchten Sie nicht, daß das Abendessen Ihnen schlecht bekommen könnte?« fuhr er fort.

»Ich hoffe im Gegenteil, es wird mir sehr gut tun.«

»Sie haben also den Papst getäuscht?«

»Nein; denn ich habe ihm nicht gesagt, dass ich keinen Appetit hätte, sondern nur, daß ich lieber Fleisch als Fastenspeisen äße.«

»Wenn Sie gute Musik hören wollen,« sagte er einen Augenblick darauf, »so kommen Sie mit mir ins Nebenzimmer, die Primadonna wohnt da.«

Das Wort ›Primadonna‹ erregte meine Neugier, und ich folgte ihm. Ich sehe an einem Tisch eine schon ältere Frau mit zwei jungen Mädchen und zwei Knaben, vergebens aber suche ich die Primadonna. Don Sancho Pico stellte sie mir vor, indem er auf den einen Knaben zeigte, der von entzückender Schönheit und höchstens siebzehn Jahre alt war. Ich dachte, es sei ein Castrato, der als Primadonna auftrete, denn das Theater zu Ancona ist den Gesetzen für die römische Bühne gleichfalls unterworfen. Die Mutter stellte mir ihren anderen Sohn vor, der ebenfalls sehr hübsch war; doch sah er, obwohl jünger, männlicher aus als der Castrato; er hieß Petronio. Dieser setzte die Serie der Verwandlungen fort, denn er trat als erste Tänzerin auf. Das älteste der beiden Mädchen, die mir von der Mutter ebenfalls vorgestellt wurden, hieß Cecilia und lernte Musik. Sie war erst zwölf Jahre alt; die jüngere, Marina, zählte elf und war wie ihr Bruder dem Kultus Terpsichorens geweiht. Beide waren sehr hübsch.

Die Familie war aus Bologna und lebte vom Ertrag ihrer Talente; Gefälligkeit und Frohsinn ersetzten ihr den fehlenden Reichtum.

Bellino, so hieß der Kastrat, gab endlich den dringenden Bitten Don Sanchos nach, setzte sich ans Klavier und sang mit einer Engelstimme und mit bezaubernder Anmut. Der Kastilianer hörte mit geschlossenen Augen und in einer Art von Verzückung zu; ich aber schloß keineswegs meine Augen, sondern bewunderte Bellinos schwarze und feurige Augen, welche Funken zu sprühen schienen, von denen ich, wie ich bald fühlte, entflammt wurde. Ich entdeckte an ihr mehrere Züge Lucrezias und die anmutigen Manieren der Marchesa, und alles an ihr verriet mir ein schöne Weib; denn ihre Männertracht verbarg nur unvollkommen den schönsten Busen. Trotz der Vorstellung durch Don Sancho setzte ich mir daher in den Kopf, der angebliche Bellino sei eine verkleidete Schönheit; meine entfesselte Phantasie nahm freien Lauf, und ich war bis über die Ohren verliebt.

Nachdem wir bei der Familie zwei köstliche Stunden verbracht hatten, entfernte ich mich mit dem Kastilianer, der mich nach meinem Zimmer brachte. »Ich reise«, sagte er zu mir, »in aller Frühe mit dem Abbate Vilmarcati nach Sinigaglia, aber ich werde übermorgen abend zum Nachtessen zurück sein.« Ich wünschte ihm glückliche Reise und sagte, wir würden uns gewiß unterwegs begegnen, denn ich würde wahrscheinlich am übernächsten Tage abreisen, da ich hier nur einen Besuch bei meinem Bankier zu machen hätte.

Ganz erfüllt von dem Eindruck, den Bellino auf mich gemacht hatte, legte ich mich zu Bett, und es ärgerte mich abreisen zu sollen, ohne ihm bewiesen zu haben, daß ich mich von der Verkleidung nicht täuschen ließe. Ich war daher natürlich sehr angenehm überrascht, als ich ihn am anderen Morgen bei mir eintreten sah, sobald ich meine Tür geöffnet hatte. Er wollte mir das Anerbieten machen, ich solle während meines Aufenthaltes seinen jüngeren Bruder als Bedienten anstellen, statt des Lohndieners, den ich sonst hätte nehmen müssen. Gern erklärte ich mich einverstanden und schickte sofort Petronio hinunter, um Kaffee für mich und die ganze Familie zu holen.

Ich ließ Bellino sich auf mein Bett setzen in der Absicht ihm Komplimente zu machen und ihn als Mädchen zu behandeln, aber plötzlich kommen die beiden jungen Schwestern herein und laufen auf mich zu; dies warf meine Pläne über den Haufen. Indessen bildete das Trio vor meinen Augen ein Gemälde, das mir nicht mißfallen konnte: ungeschminkte Schönheit und naive, natürliche Fröhlichkeit von dreifach verschiedener Art, nämlich zarte Zutraulichkeit, Theatergeist und die hübschen bologneser Scherzchen und kleinen Possierlichkeiten, die ich noch nicht kannte. Dies alles war reizend und würde mich in gute Laune versetzt haben, wenn es solchen Antriebes überhaupt bedurft hätte. Cecilia und Marina waren zwei liebliche Rosenknospen, die, um sich zu öffnen, nur darauf warteten, daß der Hauch, nicht des Zephirs, sondern der Liebe sie berührte; und ganz gewiß hätte ich sie vor Bellino vorgezogen, wenn ich in diesem nur einen traurigen Auswurf der Menschheit gesehen hätte oder vielmehr nur ein bedauernswertes Opfer priesterlicher Grausamkeit. Denn trotz ihrer Jugend verrieten die beiden liebenswürdigen Mädchen durch ihre hübschen sprossenden Brüste frühzeitige Mannbarkeit.

Petronio kam mit dem Kaffee und wartet uns auf; der Mutter schickte ich ihren Anteil in ihr Zimmer, das sie niemals verließ. Dieser Petronio war ein richtiger Giton7, sogar ein berufsmäßiger. Das ist nicht selten in Italien, wo in dieser Beziehung weder eine so unverkünftige Unduldsamkeit herrscht wie in England, noch eine so wilde und grausame Verfolgung wie in Spanien. Ich hatte ihm eine Zechine gegeben, um den Kaffee zu bezahlen, und als ich ihm den Überschuß, 18 Paoli, schenkte, bezeigte er mir seine Dankbarkeit dafür, indem er mir mit halbgeöffnetem Munde einen wollüstigen Kuß auf die Lippen drückte; allerdings hatte ich ganz und gar nicht den Geschmack, den er bei mir voraussetzte. Ich klärte ihn darüber auf, und er schien es sich keineswegs zu Herzen zu nehmen. Dann befahl ich ihm, Mittagessen für sechs Personen zu bestellen, aber er sagte mir, er werde nur für vier bestellen, denn er müsse seiner lieben Mutter Gesellschaft leisten, die stets im Bett speise. Jedes nach seinem Geschmack! Ich ließ ihm seinen Willen.

Zwei Minuten darauf kam der Wirt zu mir und sagte: »Herr Abbate, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß die von Ihnen Eingeladenen für zwei essen; ich kann Ihnen daher nur aufwarten, wenn ich Sie entsprechend bezahlen lasse. Unter sechs Paoli auf den Kopf kann ich nicht anrichten.«

»Schon recht,« antwortete ich, »aber bedienen Sie uns gut!«

Sobald ich angezogen war, glaubte ich der gefälligen Mutter guten Tag sagen zu müssen. Ich trat in ihr Zimmer ein und machte ihr ein Kompliment über ihre Kinder. Sie dankte mir für das Geschenk, das ich ihrem Sohn gemacht, und begann mir darauf ihre Not zu schildern: »Der Theaterunternehmer ist ein Barbar, der mir für den ganzen Karneval« nur fünfzig römische Taler hat geben wollen. Diese haben wir für unseren Lebensunterhalt verbraucht, und jetzt können wir nach Bologna zurückkehren, wenn wir zu Fuß wandern und unterwegs betteln.« Ihr Vertrauen erweckte mein Mitleid; ich zog aus meiner Börse einen Goldquadrupel und gab ihr diesen, worüber sie Tränen der Freude und Dankbarkeit vergoß.

»Ich verspreche Ihnen einen zweiten, Signora, wenn Sie mir ein Geständnis machen wollen: sagen Sie mir offen, daß Bellino ein hübsches, verkleidetes Mädchen ist.«

»Verlassen Sie sich darauf, er ist es nicht; aber er sieht so aus.«

»Er hat das Aussehen und den Klang der Stimme, Signora; ich bin Kenner.«

»Natürlich ist er ein Knabe; er hat sich ja untersuchen lassen müssen, um auf der Bühne auftreten zu können.«

»Von wem denn?«

»Vom hochwürdigsten Beichtvater Seiner Gnaden des Herrn Bischofs.«

»Von einem Beichtvater!«

»Ja, und Sie können sich davon überzeugen; Sie brauchen ihn nur zu fragen.«

»Ich werde meiner Sache nur gewiß sein, wenn ich selber ihn untersuche.«

»Tun Sie das, wenn er einverstanden ist; aber ich kann mich mit gutem Gewissen nicht in die Sache einmischen, denn ich kenne Ihre Absichten nicht.«

»Diese sind ganz natürlicher Art.«

Ich ging in mein Zimmer zurück und ließ mir von Petronio eine Flasche Cyperwein holen. Er führte den Auftrag aus und brachte mir als Rest auf eine Dublone, die ich ihm mitgegeben hatte, sieben Zechinen zurück. Diese verteilte ich unter Bellino, Cecilia und Marina und bat dann die beiden kleinen Mädchen, mich mit ihrem Bruder allein zu lassen.

»Bellino, ich bin überzeugt, daß Sie anders gebaut sind als ich. Meine Liebe, Sie sind ein Mädchen!«

»Ich bin Mann, aber Kastrat. Man hat mich untersucht.«

»Lassen Sie sich auch von mir untersuchen; ich gebe Ihnen eine Dublone.«

»Das kann ich nicht; denn offenbar lieben Sie mich, und das verbietet die Religion.«

»Beim Beichtvater des Bischofs haben Sie nicht solche Schwierigkeiten gemacht.«

»Der war ein alter Priester; übrigens hat er nur einen flüchtigen Blick auf mich geworfen.«

»Ich werde es gleich wissen!« sagte ich mit einem kühnen Griff. Bellino stieß mich zurück und stand auf.

Diese Halsstarrigkeit ärgerte mich, denn ich hatte schon fünfzehn oder sechzehn Zechinen ausgegeben, um meine Neugierde zu befriedigen. Mit verdrießlichem Gesicht setzte ich mich zu Tisch; aber der ausgezeichnete Appetit meiner hübschen Gäste gab mir meine gute Laune wieder, und ich dachte, eigentlich sei es doch besser, fröhlich zu sein als zu schmollen; in dieser Stimmung beschloß ich mich an den beiden reizenden jüngeren Schwestern schadlos zu halten, die mir zu losen Scherzen sehr geneigt zu sein schienen.

Ich saß in ihrer Mitte an einem guten Feuer, und wir aßen gebratene Kastanien, die wir mit Cyperwein befeuchteten; bald begann ich nach rechts und nach links einige unschuldige Küsse auszuteilen. Aber es dauerte nicht lange, so betasteten meine gierigen Hände alles, was meine Lippen küssen konnten, und Cecilia und Marina ergötzten sich sehr an diesem Spiele. Da Bellino lächelte, so umarmte ich auch ihn, und da sein halboffenes Spitzenjabot meine Hand herauszufordern schien, so erkühnte ich mich und drang ein, ohne Widerstand zu finden. Niemals hatte der Meißel des Prariteles einen so schönen Busen geformt. »An diesem Zeichen«, sagte ich zu ihr, »erkenne ich zweifellos, daß Sie ein vollendet schönes Weib sind.«

»Dies ist«, antwortete sie, »ein Mangel, den ich mit allen meinesgleichen teile.«

»Nein, es ist die höchste Vollkommenheit aller Ihresgleichen. Bellino, glauben Sie mir, ich bin Kenner genug, um den häßlichen Busen eines Kastraten von dem einer schönen Frau unterscheiden zu können; und dieser Alabasterbusen gehört einer jungen Schönheit von siebzehn Jahren.«

Wer wüßte nicht, daß eine von der höchsten Reizen entflammte Liebe in der Jugend erst dann einhält, wenn sie Befriedigung gefunden hat, und daß das Erlangen einer Gunstbezeigung nur dazu antreibt, eine noch größere Gunst zu gewähren? Ich war auf gutem Wege, und darum wollte ich noch weiter gehen und mit glühenden Küssen den Busen bedecken, der meiner Hand preisgegeben war; aber der falsche Bellino tat, wie wenn er erst in diesem Augenblick bemerkte, daß ich eines unerlaubten Vergnügens genösse; er stand auf und entfloh. In das Feuer der Liebe mischte sich nun Zorn; es war mir unmöglich, ihn zu verachten, weil ich dann zuerst mich selber hätte verachten müssen, aber ich fühlte das Bedürfnis mich zu beruhigen, indem ich meine Leidenschaft befriedigte oder ablenkte; ich bat daher Cecilia, die Bellinos Schülerin war, mir einige neapolitanische Lieder zu singen. Hierauf ging ich aus und begab mich zum Bankier, wo ich mir zum Austausch für den bei ihm fälligen Wechsel einen Sichtwechsel auf Bologna geben ließ. Nach meiner Rückkehr nahm ich ein leichtes Abendessen mit den kleinen Mädchen ein; hierauf zog ich mich aus, um mich zu Bett zu legen, nachdem ich Petronio befohlen hatte, mir für Tagesanbruch einen Wagen zu bestellen.

Im Augenblick, wo ich die Tür verschließen wollte, kam Cecilia halb ausgezogen und sagte mir, Bellino lasse mich fragen, ob ich ihn nach Rimini mitnehmen wolle, wo er nach Ostern in der Oper singen wolle.

»Sage ihm, mein kleiner Engel, ich werde ihm sehr gerne dieses Vergnügen bereiten, wenn er mir in deiner Gegenwart das von mir gewünschte Vergnügen machen will; ich will durchaus wissen, ob er ein Knabe oder ein Mädchen ist.«

Sie ging, kam sofort wieder und sagte mir, Bellino sei schon zu Bett, aber er verspreche mir, am nächsten Tage meinen Wunsch zu erfüllen, wenn ich meine Abreise nur um vierundzwanzig Stunden verschieben wolle.

»Sage mir die Wahrheit, Cecilia, und ich gebe dir sechs Zechinen.«

»Ich kann sie mir nicht verdienen, denn ich habe ihn niemals ganz nackt gesehen, und ich kann nicht darauf schwören, ob er ein Mädchen ist oder nicht. Aber er muß doch wohl ein Knabe sein, denn sonst hätte er nicht hier auf dem Theater auftreten dürfen.«

»Gut, ich werde erst übermorgen abreisen, wenn du nur diese Nacht Gesellschaft leisten willst.«

»Sie lieben mich also?«

»Sehr – wenn du gut sein willst.«

»Sehr gut will ich sein; denn ich habe Sie ebenfalls sehr lieb. Ich werde meiner Mutter Bescheid sagen.«

»Du hast gewiß einen Liebhaber?«

»Ich habe niemals einen gehabt.«

Sie ging und kam gleich darauf freudestrahlend zurück, um mir zu sagen, ihre Mutter halte mich für einen Ehrenmann. Die Hauptsache war ohne Zweifel, daß sie mich für freigebig hielt. Cecilia schloß die Tür, warf sich in meine Arme und küßte mich. Sie war hübsch und lieblich, aber ich war nicht in sie verliebt und konnte nicht zu ihr sagen: Lucrezia, du hast mein Glück gemacht. Aber sie sagte mir dieses, ohne daß ich mich jedoch dadurch besonders geschmeichelt fühlte; indessen tat ich so, als glaubte ich es ihr. Bei meinem Erwachen erhielt sie von mir einen zärtlichen Morgengruß, und nachdem ich ihr drei Dublonen gegeben hatte, worüber jedenfalls ihre Mutter sich ganz besonders freuen mußte, entließ ich sie, ohne ihr erst ewige Treue zu schwören; denn diese Schwüre sind ebenso leichtfertig wie abgeschmackt; und selbst der verständigste Mann sollte sie niemals auch der schönsten Frau gegenüber anwenden.

Nach dem Frühstück ließ ich den Wirt heraufkommen und bestellte bei ihm ein ausgezeichnetes Abendessen für fünf Personen, denn ich war überzeugt, daß Don Sancho, der am Abend zurückkehren sollte, mir nicht die Ehre verweigern würde, mit mir zu Nacht zu speisen; in dieser Hoffnung beschloß ich, nicht zu Mittag zu essen. Die Bologneser Familie hatte es nicht nötig, mein Vorbild nachzuahmen, um eines guten Appetits für den Abend sicher zu sein.

Ich ließ Bellino rufen und forderte ihn auf, sein Versprechen zu halten; aber er sagte mir lachend, der Tag sei noch nicht zu Ende und es sei sicher, daß er mit mir abreisen werde.

»Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß dies nicht der Fall sein wird, wenn ich nicht völlig zufriedengestellt werde.«

»Sie werden es sein.«

»Ist es Ihnen recht, wenn wir zusammen einen Spaziergang machen?«

»Gern – ich werde mich anziehen.«

Während ich auf ihn warte, kommt Marina und fragt mich mit schmollendem Gesicht, womit sie es verdient habe, daß ich sie verachte. »Cecilia hat die Nacht mit Ihnen verbracht; morgen reisen Sie mit Bellino ab; nur ich allein bin unglücklich.«

»Willst du Geld?«

»Nein; denn ich liebe Sie.«

»Aber, Marina, du bist zu jung!«

»Ich bin kräftiger als meine Schwester.«

»Es ist aber auch möglich, daß du einen Liebhaber hast.«

»O, gewiß nicht!«

»Schön denn; wir werden heute abend sehen.«

»Famos! Ich werde Mama sagen, daß sie für morgen frische Bettücher bereit halten soll; denn sonst würde man es im Gasthof merken.«

Ich bewunderte die Früchte einer Theatererziehung; aber es machte mir Spaß.

Bellino kam, wir gingen aus und lenkten unsere Schritte nach dem Hafen. Auf der Reede lagen mehrere Schiffe, unter anderen ein venetianisches und ein türkisches. Ich ließ mich an Bord des ersteren fahren und besichtigte es mit Interesse; da ich aber keinen Bekannten fand, verließ ich es bald wieder und fuhr mit Bellino zu dem türkischen Schiff hinüber, wo mich die romanhafteste Überraschung erwartete. Die erste Person, die ich bemerkte, war die schöne Griechin, die ich vor sieben Monaten zu Ancona im Lazarett verlassen hatte. Sie stand neben dem alten Kapitän. Seine schöne Gefangene scheinbar gar nicht bemerkend, fragte ich ihn, ob er schöne Waren zu verkaufen habe. Er führte uns in die Kajüte, und indem ich einen Seitenblick auf seine schöne Griechin warf, las ich in ihren Augen die höchste Freude über unser Wiedersehen.

Ich tat, als gefiele mir nichts von dem, was der Türke mir zeigte; schließlich sagte ich ihm, wie wenn ich eine plötzliche Eingebung hätte, ich würde gerne etwas Hübsches kaufen, das seiner schönen Gattin gefiel. Er lächelte und verließ die Kajüte, nachdem die Griechin ihm etwas auf türkisch gesagt hatte. Kaum war er unseren Blicken entschwunden, so fiel die neue Aspasia mir um den Hals und rief: »Der Augenblick des Glücks ist da!«

Ich hatte nicht weniger Mut als sie, nahm eine geeignete Stellung ein und machte ihr in einem Nu, was ihr Gebieter ihr in fünf Iahren nicht gemacht hatte. Ich war noch nicht ganz am Ziel meiner Wünsche, als die unglückliche Griechin ihren Herrn zurückkommen hörte; mit einem Seufzer entriß sie sich meinen Armen und stellte sich so geschickt vor mich, daß ich Zeit hatte, meine Kleider wieder in Ordnung zu bringen; sonst hätte das Abenteuer mir das Leben oder wenigstens all mein Hab und Gut gekostet. Lachen mußte ich in dieser eigentümlichen Lage über Bellinos Überraschung ; er stand wie erstarrt da und zitterte an allen Gliedern.

Die Nippsachen, die die schöne Sklavin wählte, kosteten mir nur etwa dreißig Zechinen. »Spolaitis!« sagte sie mir in ihrer Sprache; der Türke befahl ihr, mich zu umarmen, sie aber verhüllte ihr Gesicht und lief hinaus. Ich verließ das Schiff mehr traurig als zufrieden; denn es tat mir leid, daß sie trotz ihrem Mut nur eine unvollständige Befriedigung hatte erreichen können. Sobald wir wieder in unserer Veluke waren, sagte Bellino, der sich von seiner Furcht erholt hatte, ich hätte ihm ein wahres Wunder gezeigt, das kaum glaublich wäre, ihm aber einen eigentümlichen Begriff von meinem Charakter gäbe; der Charakter der Griechin sei überhaupt nicht verständlich, ich müßte ihm denn etwa versichern können, daß alle Weiber ihres Landes ebenso wären wie sie.

»Wie unglücklich müssen sie sein« rief er aus.

»Glauben Sie denn,« fragte ich ihn, »daß die Koketten glücklicher sind?«

»Nein; aber ich verlange, daß ein Weib, wenn es aufrichtig ist, sich erst ergibt, nachdem es mit sich selber gekämpft hat; sie darf nicht dem ersten Antrieb eines wollüstigen Wunsches nachgehen, sie darf nicht dem ersten besten, der ihr gefällt, sich hingeben wie ein Tier, das nur den Trieben seiner Sinne folgt. Geben Sie mir zu, daß diese Griechin Ihnen ein sicheres Zeichen gegeben hat, daß Sie ihr gefallen haben; daß sie Ihnen aber ein nicht weniger sicheres Zeichen ihrer rohen Sinnlichkeit gegeben hat, und zwar mit einer Schamlosigkeit, die sie der Gefahr aussetzte, schimpflich zurückgewiesen zu werden ; denn sie konnte nicht wissen, ob Sie sich ebenso stark zu ihr hingezogen fühlten, wie sie sich zu Ihnen. Sie ist sehr hübsch, und alles ist gut gegangen; aber der ganze Vorfall hat mich in eine Aufregung versetzt, von der ich mich noch nicht erholt habe.«

Ich hätte Bellino leicht aus seinem Erstaunen reißen und ihm seinen Irrtum benehmen können ; aber eine derartige Aufklärung wäre nicht im Interesse meiner Eitelkeit gelegen; daher schwieg ich. Denn wenn Bellino, wie ich bestimmt glaubte, ein Mädchen war, so wünschte ich ihr die Überzeugung beizubringen, daß ich auf die körperliche Betätigung der Liebe im Grunde einen sehr geringen Wert legte, und daß es sich nicht lohnte, zur List zu greifen, um ihre Folgen zu verhindern.

Gegen Abend hörte ich Don Sanchos Wagen in den Hof des Wirtshauses einfahren; ich beeilte mich, ihn zu empfangen, und sagte ihm, er werde nur hoffentlich verzeihen, daß ich darauf gerechnet habe, er werde mir die Ehre erweisen, mit mir und Bellino zu Nacht zu speisen. Würdevoll und höflich bedeutete er mir, meine Aufmerksamkeit mache ihm das größte Vergnügen, und nahm die Einladung an.

Die auserlesensten Speisen, die besten spanischen Weine, und mehr als alles dieses, die Fröhlichkeit und die entzückenden Stimmen Bellinos und Cecilias ließen den Kastilianer fünf köstliche Stunden verbringen. Um Mitternacht verließ er mich mit den Worten, er könne sich nicht für völlig befriedigt erklären, wenn ich ihm nicht das Versprechen gebe, am nächsten Tage in seinem Zimmer mit derselben Gesellschaft zu Abend zu speisen. Ich mußte also meine Abreise noch um einen Tag aufschieben; aber ich nahm an.

Kaum war Don Sancho gegangen, so forderte ich Bellino auf, sein Wort zu halten; aber er sagte mir, Marina erwarte mich, und da ich ja den nächsten Tag noch bleibe, so werde er schon einen günstigen Augenblick finden, um mich zufrieden zu stellen. Hierauf wünschte er mir gute Nacht und ging.

Marinetta lief freudestrahlend an die Tür, schob den Siegel vor und eilte dann mit flammenden Blicken auf mich zu. Obgleich sie ein Jahr jünger war als Cecilia, waren ihre Formen schon reifer entwickelt, und sie schien mich überzeugen zu wollen, daß sie mehr wert sei als ihre Schwester. Da sie jedoch fürchtete, die Anstrengung der vergangenen Nacht möchte meine Kräfte erschöpft haben, so kramte sie alle verliebten Ideen ihrer Seele vor mir aus, sprach lang und breit über alles, was sie von dem großen Mysterium wusste, das sie mit mir vollziehen sollte, und von allen Versuchen, die sie gemacht hatte, sich unvollkommene Kenntnisse zu verschaffen; dies alles brachte sie mit der Zusammenhangslosigkeit ihres kindlichen Alters vor. Wie ich bald merkte, fürchtete sie, ich möchte sie nicht als Jungfer befinden und ihr Vorwürfe darüber machen. Ihre Unruhe machte mir Spaß, und ich beruhigte sie, indem ich ihr sagte, die sogenannte Mädchenblume sei etwas, das die Natur vielen Mädchen verweigere, und Männer, die sich darüber beklagten, seien in meinen Augen Dummköpfe.

Mein Sachverständnis gab ihr Mut und Vertrauen, und ich sah mich genötigt, ihr zu gestehen, daß sie ihrer Schwester weit überlegen sei. »Ich bin entzückt darüber!« rief sie; »wir wollen die ganze Nacht verbringen, ohne einen Augenblick zu schlafen.«

»Der Schlaf, liebes Kind, wird uns zustatten kommen; er wird uns neue Kräfte geben, und diese werden dich morgen früh für eine nach deiner Meinung vielleicht verlorene Zeit entschädigen.«

Und in der Tat wurde nach einem süßen Schlummer das Erwachen für sie zu einer Reihe von neuen Triumphen; sie war überselig, als ich ihr beim Abschied drei Dublonen gab, die sie ihrer Mutter überbrachte, wodurch in dieser der unersättliche Wunsch erregt wurde, neue Wohltaten von der Vorsehung anzunehmen.

Ich ging zu meinem Bankier, um mir Geld zu holen, da ich nicht wissen konnte, was mir unterwegs zustoßen würde; denn ich hatte genossen, aber ich hatte zu viel ausgegeben. Außerdem blieb mir noch Bellino, der, wenn er Mädchen war, mich gegen sich nicht weniger freigebig finden durfte, als gegen seine jungen Schwestern. Dies mußte sich im Laufe des Tages entscheiden; ich glaubte übrigens des Ergebnisses sicher zu sein.

Es gibt Leute, die da sagen, das Leben sei nur eine Anhäufung von lauter Unglück, was darauf hinausliefe, daß unser Dasein ein Unglück wäre; aber wenn das Leben ein Unglück ist, so ist der Tod gerade das Gegenteil, also Glück; denn der Tod ist dem Leben genau entgegengesetzt. Diese Schlußfolgerung kann etwas gezwungen erscheinen. Aber die Menschen, die eine solche Sprache führen, sind sicherlich entweder krank oder arm. Denn wenn sie einer guten Gesundheit genössen, wenn sie eine wohlgespickte Börse hätten, Fröhlichkeit im Herzen, dazu eine Cecilia, eine Marina, und Hoffnung auf noch viel besseres – o, gewiß, da würden sie ihre Meinung ändern. Ich halte solche Leute für Pessimisten, die es nur unter bettelhaften Philosophen und unter heuchlerischen oder schwarzgalligen Pfaffen gegeben haben kann. Wenn es Freude gibt, und wenn man Freude nur genießen kann, solange man am Leben ist – dann ist das Leben ein Glück. Es gibt Unglück, davon weiß ich selber etwas; aber das Vorhandensein gerade dieses Unglücks beweist, daß im großen und ganzen genommen das Glück überwiegt. Weil man bei einer Fülle von Rosen einige Dornen findet, darf man deshalb die Existenz dieser schönen Blume verkennen? Nein; man verleumdet das Leben, wenn man behauptet, es sei kein Gut. Wenn ich in einem dunklen Zimmer bin, bereitet es mir einen unendlichen Genuß, durch ein Fenster einen unermeßlichen Horizont vor mir sich ausbreiten zu sehen.

Als es Zeit zum Abendessen war, begab ich mich zu Don Sancho, den ich in einem prachtvollen Zimmer untergebracht fand. Sein Tisch war mit Silbergeschirr bedeckt, und seine Bedienten trugen große Livree. Er war allein, aber bald kamen Cecilia, Marina und Bellino, der aus Neigung oder aus Laune weibliche Tracht angelegt hatte. Die beiden jüngeren Schwestern waren gut angezogen und sahen reizend aus; aber Bellino in seiner Damentoilette stellte sie dermaßen in den Schatten, daß ich nicht mehr den geringsten Zweifel hatte.

»Sind Sie überzeugt,« fragte ich Don Sancho, »daß Bellino kein Mädchen ist?«

»Ob Mädchen oder Junge, was macht das mir aus? Ich halte ihn für einen sehr hübschen Kastraten, und ich habe Kastraten gesehen, die ebenso hübsch waren wie er.«

»Aber sind Sie dessen sicher?«

»Valgame Dios!« antwortete der würdevolle Kastilianer; »ich habe durchaus keine Lust, mir solche Gewißheit zu verschaffen.«

Oh! da dachten wir aber sehr verschieden! Ich respektierte jedoch in ihm die Weisheit, die mir fehlte, und erlaubte mir keine indiskrete Frage mehr. Bei Tische aber vermochten meine gierigen Augen sich nicht von dem entzückenden Geschöpf abzuwenden; infolge meiner natürlichen Lasterhaftigkeit fand ich eine süße Wollust in dem Glauben, Bellino gehöre einem Geschlecht an, dem er angehören mußte, wenn ich nicht unglücklich sein sollte.

Don Sanchos Nachtmahl war köstlich und natürlich dem meinigen weit überlegen; denn sonst hätte der kastilianische Stolz sich gedemütigt geglaubt. Ubrigens begnügen die Menschen im allgemeinen sich niemals mit dem Guten; sie wollen das Bessere, oder richtiger gesagt, das Reichlichere. Er bewirtete uns mit weißen Trüffeln, mit Muschelgerichten verschiedener Art und den besten Fischen des Adriatischen Meeres; dazu gab es nichtmoussierenden Champagner, Peralta, Xeres und Pedro-Firnenes.

Nach diesem lukullischen Abendessen sang uns Bellino mit einer Stimme, die uns das letzte Restchen von Vernunft benahm, das die ausgezeichneten Weine uns noch gelassen hatten. Ihre Gebärden, der Ausdruck ihres Blickes, ihr Benehmen, ihr Gang, ihre Haltung, ihre Gesichtszüge, ihre Stimme und vor allem mein Instinkt, der mir nicht für einen Kastraten die Gefühle einflößen konnte, die ich für sie empfand – dies alles bestärkte mich in meiner Hoffnung. Indessen mußte ich mich mit eigenen Augen überzeugen.

Nach tausend Komplimenten und tausend Danksagungen verließen wir den prachtliebenden Spanier und gingen in mein Zimmer, wo endlich das Geheimnis sich enthüllen sollte. Ich forderte Bellino auf, mir Wort zu halten; sonst würde ich am nächsten Morgen in aller Frühe allein abreisen.

Ich nehme Bellino an der Hand, und wir setzen uns zusammen an das Kaminfeuer. Ich schicke Cecilia und Marina fort und sage zu ihm: »Bellino, alles hat seine Grenzen. Sie haben mir Ihr Versprechen gegeben: die Sache wird bald entschieden sein. Wenn Sie sind, was Sie sagen, werde ich Sie bitten, sich auf Ihr Zimmer zu begeben. Sind Sie dagegen, wofür ich Sie halte, und wollen Sie bei mir bleiben, so werde ich Ihnen morgen hundert Zechinen geben, und wir werden zusammen abreisen.«

»Sie werden allein abreisen und werden meiner Schwäche verzeihen, wenn ich Ihnen nicht Wort halten kann. Ich bin, was ich Ihnen gesagt habe, und ich kann mich nicht entschließen, Sie zum Zeugen meiner Schande zu machen, noch auch mich den furchtbaren Folgen auszusetzen, die diese Aufklärung haben könnte.«

»Sie kann keine einzige haben; sobald ich mich überzeugt habe, daß Sie das Unglück haben, das zu sein, wofür ich Sie nicht halte, so ist alles abgemacht; es wird mit keinem Wort mehr davon die Rede sein, wir reisen morgen zusammen ab, und ich werde Sie in Rimini absetzen.«

»Nein, es ist entschieden; ich kann Ihre Neugierde nicht befriedigen.«

Über diese Worte war ich außer mir, und ich war nahe daran, Gewalt anzuwenden; doch beherrschte ich mich und versuchte mit Güte ans Ziel zu gelangen und mich des Punktes zu bemächtigen, in welchem die Lösung des Problems lag. Fast hatte ich ihn erweicht, da setzte seine Hand mir einen kräftigen Widerstand entgegen. Ich verdoppelte meine Anstrengung, aber ich fand sie vereitelt, indem Bellino plötzlich aufstand. Nachdem ich einen Augenblick ruhig gewesen war, glaubte ich ihn überraschen zu können und streckte die Hand aus – aber ein jäher Schreck durchfuhr mich, ich glaubte in ihm einen Mann zu erkennen, noch dazu einen verachtungswürdigen Mann, verachtungswürdig weniger wegen seiner Verstümmelung, als wegen der Gefühllosigkeit, die ich auf seinem Zügen zu lesen glaubte. Angeekelt, verwirrt, beinahe über mich selbst errötend, schickte ich ihn fort. Seine Schwestern kamen zu mir; ich verabschiedete mich von ihnen und beauftragte sie, ihrem Bruder zu sagen, er würde mit mir reisen und brauchte keine Zudringlichkeiten mehr von meiner Seite zu befürchten. Jedoch trotz der Überzeugung, die ich erlangt zu haben glaubte, beherrschte Bellino, den meine Phantasie mir als Weib vorgestellt hatte, immer noch alle meine Gedanken. Dies war mir unbegreiflich.

Am anderen Morgen reiste ich mit ihm ab, begleitet von den Tränen der beiden reizenden Schwestern und von den Segenswünschen der Mutter, die mit dem Rosenkranz in der Hand Pater noster murmelte und ihren ewigen Refrain wiederholte: Dio provvedera – Gott wird versorgen.

Dieses Vertrauen, das die meisten Leute, die von unerlaubten oder durch die Religion verbotenen Gewerben leben, auf die Vorsehung setzen, ist durchaus nicht abgeschmackt, erkünstelt oder heuchlerisch; sondern es ist wahr, echt und sogar fromm, denn es entstammt einer ausgezeichneten Quelle. Welche Wege auch immer die Vorsehung wählen mag, die Sterblichen müssen sie stets in ihrem Wirken erkennen, und wer sie unabhängig von jedem Nebengedanken anruft, kann im Grunde immer ein guter Mensch sein, wenn er auch einer Ausschreitung schuldig sein mag.

Pulchra Laverna
Da mihi fallere; da justo sanctoque videri;
Noctem peccatis, et fraudibus objice nubem.

O schöne Laverna, gib zu meinem falschen Spiele
Mir ferner Glück. Verleih mir, tadellos
Zu scheinen und gerecht! Mach, wenn ich sündige,
Nacht um mich her, und wirf wie einen Schild
Die dickste Wolke meiner Schalkheit vor !8

So sprachen zur Zeit des Horaz die Diebe lateinisch zu ihrer Göttin, und ich erinnere mich, daß eines Tages ein Jesuit mir sagte der Dichter habe nicht Latein gekonnt, wenn er gesagt habe: Justo sanctoque. Aber es gab auch unter den Jesuiten Ignoranten, und ohne Zweifel pfiffen die Diebe auf die Grammatik.

So war ich also unterwegs mit Bellino, der in dem Glauben. war, daß ich von meiner Meinung zurückgekommen sei, und sich daher vielleicht einbildete, ich sei nicht mehr neugierig auf ihn; aber schon nach einer knappen Viertelstunde sah er, daß er sich täuschte; denn ich konnte meine Blicke nicht in seine schönen Augen versenken, ohne mich von einer Glut entflammt zu fühlen, die der Anblick eines Mannes niemals in mir hätte erzeugen können. Ich sagte ihm, seine Augen und alle Züge seien die eines Weibes, und ich müsse mich mit eigenen Augen der Tatsache vergewissern, weil der von mir bemerkte Auswuchs möglicherweise nur ein Naturspiel sei. »Wenn dies der Fall wäre, würde ich Ihnen gern eine solche Verunstaltung verzeihen, die im Grunde doch nur komisch ist. Bellino, diese sozusagen magnetische Wirkung, die Sie auf mich hervorbringen, dieser Venusbusen, den Sie meiner lüsternen Hand überlassen haben, der Ton Ihrer Stimme, Ihr ganzes Gehaben – alles bestätigt mir, daß Sie von anderem Geschlecht sind als ich. Lassen Sie mich davon mich überzeugen und seien Sie meiner Liebe gewiß, wenn ich mich nicht irre; seien Sie meiner Freundschaft gewiß, wenn ich meinen Irrtum erkenne. Wenn Sie aber immer noch hartnäckig bleiben, so muß ich glauben, Sie machen sich eine grausame Belustigung daraus, mich zu quälen. Dann muß ich annehmen, Sie haben als ausgezeichneter Beobachter der Natur in der verdammtesten aller Ärzteschulen gelernt, daß es, um einem Jüngling die Heilung von einer Liebesleidenschaft unmöglich zu machen, kein besseres Mittel gibt, als ihn unaufhörlich in Erregung zu halten. Aber Sie werden mir zugeben, daß Sie eine solche Tyrannei nur ausüben können, wenn Sie den Mann hassen, an welchem Sie solche Wirkung erproben. Und wenn dies der Fall wäre, so müßte ich meine Vernunft zu Hilfe rufen, um auch meinerseits Sie zu hassen.«

In diesem Tone fuhr ich noch lange Zeit fort, ohne daß er mir ein Wort erwiderte; doch sah er sehr bewegt aus. Zum Schluß sagte ich ihm, sein Widerstreben versetzte mich in einen solchen Zustand, daß ich gezwungen sein werde, ihn ohne Schonung zu behandeln, um eine Gewißheit zu erlangen, die ich mir nur durch Gewalt verschaffen könne. Hierauf erwiderte er mir stolz:

»Bedenken Sie, daß Sie nicht mein Herr sind, daß ich mich im Vertrauen auf ein Versprechen in Ihren Händen befinde, und daß Sie sich eines Mordes schuldig machen würden, wenn Sie mir Gewalt antäten. Sagen Sie dem Postkutscher, er solle halten: ich werde aussteigen und mich bei niemandem beklagen!« Dieser kurzen Anrede folgte eine Sintflut von Tränen, und das ist ein Mittel, dem ich niemals habe widerstehen können. Ich fühlte mich bis auf den Grund meiner Seele gerührt und glaubte beinahe, ich hätte unrecht gehabt. Ich sage beinahe, denn wenn ich überzeugt gewesen wäre, so hätte ich mich ihm zu Füßen geworfen und ihn um Verzeihung gebeten; da ich mich jedoch nicht imstande fühlte, über den Fall zu urteilen, so begnügte ich mich damit, mich in ein düsteres Schweigen zu hüllen, und ich besaß die Standhaftigkeit, kein einziges Wort zu sprechen, bis wir eine halbe Post von Sinigaglia entfernt waren, wo ich zu Abend essen und übernachten wollte. Dort endlich ergriff ich das Wort, nachdem ich lange genug mit mir selber gekämpft hatte, und sagte zu ihm: »Wir hätten als gute Freunde in Rimini zur Ruhe gehen können, wenn Sie ein bißchen Freundschaft für mich empfunden hätten; denn wenn Sie nur ein wenig gefällig gewesen wären, so hätten Sie mich von meiner Leidenschaft heilen können.«

»Sie wären nicht geheilt worden,« antwortete Bellino mir mutvoll, aber in einem Tone, dessen Sanftheit mich überraschte. »Nein, Sie wären nicht geheilt worden, einerlei, ob ich Mädchen oder Knabe hin; denn Sie sind in meine Person verliebt, und Ihre Verliebtheit hat mit meinem Geschlecht nichts zu tun; wenn Sie Gewißheit erlangt hätten, wären Sie rasend geworden. Hätten Sie mich in diesem Zustande unerbittlich gefunden, so hätten Sie sich ganz gewiß zu Ausschreitungen hinreisen lassen, worüber Sie später unnütze Tränen würden vergossen haben.«

»Sie glauben, durch diese schönen Vernunftgründe mich zu dem Eingeständnis zu bringen, daß Ihr Widerstand vernünftig sei; aber Sie befinden sich vollkommen im Irrtum, denn ich fühle, daß ich völlig ruhig sein würde, und daß Ihre Gefälligkeit Ihnen meine Freundschaft sichern würde.«

»Sie würden rasend werden, sage ich Ihnen!«

»Bellino, was mich rasend gemacht hat, ist die Schaustellung Ihrer allzu wirklichen oder allzu trügerischen Reize, deren Wirkung Ihnen sicherlich nicht unbekannt sein kann. Damals haben Sie meine Liebesraserei nicht gefürchtet; wie soll ich denn glauben, daß Sie sich jetzt fürchten, da ich von Ihnen nichts weiter verlange, als daß Sie mich ein Ding anfassen lassen, das mir nur Ekel erregen kann?«

»Ach? Ihnen Ekel erregen? Ich bin vom Gegenteil völlig überzeugt. Hören Sie mich an! Wenn ich ein Mädchen wäre, so stände es nicht in meiner Macht, Ihnen meine Liebe zu versagen, das fühle ich; da ich aber ein Knabe bin, so ist es meine Pflicht, die von Ihnen gewünschte Gefälligkeit nicht zu gewähren; denn Ihre Leidenschaft, die jetzt noch erklärlich ist, würde dann widernatürlich werden. Ihre glühende Natur würde stärker sein als Ihre Vernunft, und Ihre Vernunft selber würde leicht eine Bundesgenossin Ihrer Sinne werden und würde mit Ihrer Natur halbpart machen. Wenn Sie diese Aufklärung erhielten, so würde sie Sie in Flammen setzen und Sie würden die Herrschaft über sich selbst verlieren. Sie würden suchen, was Sie nicht finden können; Sie würden sich an dem, was Sie wirklich fänden, befriedigen wollen, und das würde ohne Zweifel zu greulichen Dingen führen.

Sie sind doch so klug; wie können Sie sich mit der Hoffnung schmeicheln, es werde Ihnen möglich sein, mich plötzlich nicht mehr zu lieben, wenn Sie in mir einen Mann fänden? Werden die Reize, die Sie an mir bemerkten, nicht mehr vorhanden sein? Ihre Macht wird sich vielleicht sogar noch vermehren; alsdann wird Ihre Glut brutal werden, und Sie werden, um sie zu befriedigen, zu allen Mitteln greifen, auf die Ihre Phantasie nur verfallen kann. Es wird Ihnen gelingen, sich zu überreden, Sie könnten mich zum Weibe umwandeln; oder, schlimmer noch, Sie könnten mir gegenüber zum Weibe werden. Ihre Leidenschaft wird tausend Spitzfindigkeiten aushecken, um Ihre Liebe zu rechtfertigen, die Sie mit dem schönen Namen Freundschaft schmücken werden; und um Ihr Verhalten zu verteidigen, werden Sie nicht verfehlen, mir tausend Beispiele ähnlicher Schändlichkeiten anzuführen. Wer weiß, ob Sie mich nicht mit dem Tode bedrohen würden, wenn Sie mich nicht gefügig fänden? Denn ganz gewiß würden Sie mich in dieser Hinsicht niemals gefügig finden.«

Von der Länge ihrer Auseinandersetzung ein wenig ermüdet, antwortete ich ihr: »Nichts von alledem, Bellino, würde geschehen; wahrhaftig, nichts! Und ich bin überzeugt, Sie übertreiben; denn soweit kann Ihre Furcht unmöglich gehen. Doch muß ich Ihnen sagen: Selbst wenn es dazu käme, so dünkt mich, es wäre weniger schlimm, der Natur eine Verirrung zu verzeihen, die streng genommen nur als eine Geistesverwirrung betrachtet werden kann, als wenn Sie eine Geisteskrankheit unheilbar machen, die bei vernünftigem Verhalten nur vorübergehend sein würde.«

Solche Reden hält ein armer Philosoph, wenn er in Augenblicken, wo eine aufrührerische Leidenschaft alle Fähigkeiten seiner Seele in die Irre führt, vernünftige Reden halten will. Um von seiner Vernunft den rechten Gebrauch zu machen, darf man weder verliebt noch zornig sein, denn diese beiden Leidenschaften haben das miteinander gemein, daß sie in ihren Ausartungen uns den Tieren gleichmachen, die nur den Antrieben ihrer Instinkte folgen; unglücklicherweise sind wir niemals so dazu aufgelegt, Vernunftschlüsse zu ziehen, wie wenn wir unter dem Einfluß der einen oder der anderen dieser Leidenschaften stehen. Mit Einbruch der Nacht kamen wir in Sinigaglia an, wo ich im besten Gasthof abstieg; nachdem ich mir ein gutes Zimmer hatte anweisen lassen, bestellte ich ein Abendessen. Da in dem Zimmer nur ein einziges Bett war, fragte ich mit der ruhigsten Miene Bellino, ob er sich in einem anderen Zimmer Feuer machen wolle. Man stelle sich meine Überraschung vor, als er in sanftem Tone mir sagte, er habe durchaus nichts dagegen, mit mir im selben Bett zu schlafen. Auf diese Antwort war ich durchaus nicht gefaßt; aver sie war mir nötig, um die düstere Stimmung zu verscheuchen, die mich quälte. Ich sah wohl, daß der Knoten der Komödie sich entschürzen sollte, aber ich hütete mich wohl, mir dazu Glück zu wünschen, denn ich befand mich noch in Ungewißheit, ob die Lösung mir günstig sein würde oder nicht. Indessen empfand ich eine aufrichtige Befriedigung über meinen Sieg, denn ich war gewiß, vollkommen Herr und Meister meiner selbst zu bleiben, wenn meine Sinne und mein Instinkt mich getäuscht haben sollten; d.h. ich würde ihn respektieren, wenn er ein Mann wäre. Im entgegengesetzten Falle glaubte ich die süßesten Gunstbeweise erwarten zu dürfen.

Wir setzten uns bei Tische einander gegenüber, und während des Essens ließen seine Reden, seine Miene, der Ausdruck seiner schönen Augen, sein sanftes, wollüstiges Lächeln mich vorausahnen, daß er es müde war, noch fernerhin eine Rolle zu spielen, die für ihn ebenso peinlich hatte sein müssen wie für mich.

Von einer großen Last befreit, kürzte ich das Abendessen nach Möglichkeit ab. Sobald wir vom Tische aufgestanden waren, ließ mein liebenswürdiger Begleiter eine Nachtlampe bringen, zog sich aus und ging zu Bett. Unverzüglich folgte ich ihm, und der Leser wird sehen, wie die so heiß ersehnte Lösung sich vollzog; inzwischen wünsche ich ihm eine ebenso glückliche Nacht, wie die, die mich erwartete.

  1. Nach dem schönen Lustknaben im Satiricon des Petronius; der Name ist zum Gattungsbegriff geworden.
  2. Die Nymphe Laverna, in deren heiligen Hain die Römer unter Romulus ihren Raub in Sicherheit zu bringen pflegten, war die Schutzgöttin der Diebe und Räuber.

Elftes Kapitel


Bellinos Geschichte. – Ich werde in Arrest gesetzt. – Meine unfreiwillige Flucht – Meine Rückkehr nach Rimini und Ankunft in Bologna

Leser, ich habe dich die glücklichste Entwicklung ahnen lassen – nur ahnen; denn kein Ausdruck könnte dir die ganze Wonne schildern, die das reizende Wesen für mich aufgespart hatte. Sie näherte sich mir zuerst, sobald ich im Bett lag. Wir sprachen kein Wort, unsere Küsse verschmolzen miteinander, und ich befand mich auf dem Höhepunkt des Genusses, ehe ich nur Zeit gehabt hatte, ihn zu suchen. Nachdem ich den vollkommensten Sieg errungen hatte – was hätten meine Augen und meine Finger von Nachforschungen gehabt, die mir keine größere Gewißheit verschaffen konnten, als ich bereits besaß! Ich ließ meine Blicke über das schöne Antlitz schweifen, das von der zärtlichsten Liebe mit dem wärmsten und natürlichsten Feuer belebt wurde. Nach einem Augenblick der Verzückung entzündete ein neues Feuer einen neuen Brand in allen unseren Sinnen, und wir löschten diesen in einem Meer von neuen Wonnen. Bellino fühlte die Verpflichtung, mich meine Leiden vergessen zu machen und mit eigener Person für die Glut einzustehen, die ihre Reize mir eingeflößt hatten. Ich aber verdoppelte mein eigenes Glück durch das, welches ich ihr verschaffte, denn ich hatte immer die Schwäche, vier Fünftel meines eigenen Genusses in der Wonne zu finden, die ich dem reizenden Wesen verschaffte, dem ich mein Glück verdankte. Dieses Gefühl muß leider Abscheu vor dem Alter geben, das sich wohl Genuß verschaffen, aber niemals welchen gewähren kann. Die Jugend flieht das Alter, denn dieses ist ihr furchtbarster Feind.

Endlich kam ein Augenblick der Ruhe, der durch die außerordentliche Lebhaftigkeit unserer Liebesfreuden notwendig geworden war. Unsere Sinne waren noch nicht ohnmächtig, aber sie bedurften jener Ruhe, die ihnen ihr Wohlbefinden wiedergibt und ihnen jene Spannkraft verleiht, die für die Spiele der Liebe notwendig ist. Bellino brach zuerst das Schweigen. »Mein Freund, bist du zufrieden? Hast du mich recht verliebt gefunden?«

»Verliebt? Verräterin! Du gibst also zu, daß ich mich nicht täuschte, als ich in dir ein reizendes Weib erriet? Und wenn es wahr ist, daß du mich liebtest – sage mir, wie hast du solange dein und mein Glück hinausschieben können; aber ist es auch ganz gewiß, daß ich mich nicht geirrt habe?«

»Ich bin ganz dein; überzeuge dich.«

Welche Untersuchung! Welche Reize! Welche Genüsse! Als ich aber nicht das geringste Zeichen von einer Mißbildung fand, die mich so sehr abgestoßen hatte, fragte ich sie: »Aber was ist denn aus jenem greulichen Ding geworden?«

»Höre zu!« antwortete sie, »ich werde deine Neugierde befriedigen. Ich heiße Teresa. Bei meinem Vater, einem armen Beamten am Institut von Bologna, wohnte der berühmte Kastrat Salimbeni, der wundervolle Sänger. Er war jung und schön, er schloß sich an mich an, und ich fühlte mich geschmeichelt, ihm zu gefallen und mich von ihm loben zu hören. Ich war erst zwölf Iahre alt; er erbot sich, mich in der Musik zu unterrichten, und da er meine Stimme schön fand, wandte er mir alle Sorgfalt zu, und in Jahresfrist wußte ich mich tadellos auf dern Klavier zu begleiten.

Er erhielt den Lohn, den seine Zärtlichkeit ihn von mir zu erbitten zwang, und ich gewährte ihm diesen, ohne mich für erniedrigt zu halten, denn ich betete ihn an. Ohne Zweifel sind Männer wie du im allgemeinen Männern seiner Art weit überlegen; aber Salimbeni bildete eine Ausnahme. Seine Schönheit und Klugheit, sein Benehmen, sein Talent und die hohen Vorzüge seines Herzens stellten ihn in meinen Augen weit über alle Männer, die ich bis dahin gekannt hatte. Er war bescheiden und zartfühlend, reich und freigebig, und ich bezweifle, daß er einer Frau hätte begegnen können, die ihm Widerstand geleistet hätte ; trotzdem habe ich ihn niemals sich seiner Triumphe bei Frauen rühmen hören. Die Verstümmelung hatte aus ihm ein Ungeheuer gemacht, aber alle Eigenschaften, die ihn schmückten, machten aus ihm einen Engel.

Salimbeni unterhielt in Nimini bei einem Musiklehrer einen jungen Knaben meines Alters. Dessen Vater war arm und hatte eine zahlreiche Familie; als er sein Ende herannahen fühlte, wußte er nichts Besseres zu tun, als seinen unglücklichen Sohn verschneiden zu lassen, damit er durch seine Stimme für den Unterhalt seiner Geschwister sorgen könnte. Dieser junge Knabe hieß Bellino. Die gute Frau, die du in Ancona gesehen hast, war seine Mutter und alle Welt hält sie für die meine.

Seit einem Jahre gehörte ich Salimbeni an, als er eines Tages mir weinend die Mitteilung machte, er müsse mich verlassen, um nach Rom zu gehen; aber er versprach mir zu gleicher Zeit, ich würde ihn wiedersehen. Diese Nachricht versetzte mich in Verzweiflung. Er hatte alle Anordnungen getroffen, damit mein Vater meine Ausbildung fortsetzen lassen könnte; aber gerade in jenem Augenblick wurde mein Vater krank; er starb, und ich stand als Waise da.

Als Salimbeni mich in diesem Zustand sah, besaß er nicht die Kraft, meinen Tränen zu widerstehen; er beschloß, mich nach Rimini zu bringen und mich in dieselbe Pension zu geben, wo er seinen jungen Schützling erziehen ließ. Wir stiegen in einem Gasthof ab, und nachdem er fich einen Augenblick ausgeruht hatte, verließ er mich und begab sich zu dem Musiklehrer, um mit ihm die nötigen Abreden wegen meiner Ausbildung zu treffen; kurz darauf aber sah ich ihn traurig und niedergeschlagen zurückkommen: Bellino war den Tag vorher gestorben.

Indem er sich vorstellte, welchen Schmerz der Verlust des jungen Mannes der Mutter verursachen würde, kam ihm der Gedanke, mich unter dem Namen Bellino nach Bologna zu bringen und bei dessen Mutter in Pension zu geben; da sie arm war, mußte sie ein Interesse daran haben, das Geheimnis zu bewahren. ›Ich werde ihr‹, sagte er zu mir, ›alle Mittel geben, deine Ausbildung zu vollenden; in vier Jahren werde ich dich nach Dresden kommen lassen (er stand im Dienst des Kurfürsten von Sachsen und Königs von Polen), und zwar nicht als Mädchen, sondern als Kastraten. Dort werden wir miteinander leben, ohne daß jemand etwas dagegen einwenden könnte, und du wirst mich bis zu meinem Tode glücklich machen. Es handelt sich nur darum, dich für Bellino auszugeben; und nichts ist leichter als das, denn in Bologna kennt dich kein Mensch. Nur Bellinos Mutter wird in das Geheimnis eingeweiht sein; denn ihre anderen Kinder, die ihren Bruder nur im zartesten Alter gesehen haben, werden von dem wahren Sachverhalt keine Ahnung haben. Aber du mußt, wenn du mich liebst, auf dein Geschlecht verzichten, du mußt sogar die Erinnerung verlieren, bis jetzt ein Mädchen gewesen zu sein, und mußt unter dem Namen Bellino und als Knabe gekleidet augenblicklich nach Bologna abreisen. Du hast dich um weiter nichts zu kümmern, als daß niemand dich als Mädchen kennt. Du wirst allein schlafen, dich niemals in Gegenwart anderer Leute an- und auskleiden, und wenn in einem oder zwei Jahren dein Busen sich gebildet hat, so wird das eine Eigentümlichkeit sein, die du mit vielen von uns gemeinsam hast. Außerdem werde ich dir, ehe ich fortgehe, ein kleines Instrument geben, und werde dich lehren, es so zu befestigen, daß man dich leicht für einen Mann halten kann, wenn du dich jemals einer Untersuchung solltest unterwerfen müssen. Wenn mein Plan dir gefällt, so bin ich sicher, daß ich in Dresden mit dir werde leben können, ohne daß die Königin, die sehr fromm ist, Anstoß daran nimmt. Bist du einverstanden?‹

An meiner Einwilligung brauche er nicht zu zweifeln, denn ich betete ihn an. Sobald ich als Junge verkleidet war, reisten wir nach Bologna ab, wo wir mit Einbruch der Nacht ankamen. Nachdem er mit Bellinos Mutter um den Preis einer kleinen Summe Geldes alles vereinbart hatte, trat ich bei ihr ein, indem ich sie Mutter nannte, und sie umarmte mich und nannte mich ihren lieben Sohn. Salimbeni ließ uns allein und kehrte einige Augenblicke darauf mit dem Instrument zurück, das meine Umwandlung vollständig machen sollte. Er lehrte mich in Gegenwart meiner neuen Mutter, es mit Klebgummi zu befestigen, und ich fand mich nun meinem Freunde so ähnlich, daß jedermann sich hätte täuschen können. Dies würde mich belustigt haben, hätte mir nicht die plötzliche Abreise des angebeteten Wesens das Herz zerrissen; denn Salimbeni fuhr ab, sobald das eigentümliche Experiment gemacht worden war. Man spottet über Vorgefühle, und ich selber glaube nicht daran, aber die Ahnung, die ich in dem Augenblick hatte, wo er mich umarmte, hat mich nicht betrogen. Ich fühlte einen Todesschauer durch alle meine Glieder rinnen, ich glaubte ihn zum letztenmal zu sehen: ich sank in Ohnmacht. Ach! meine Ahnung war nur zu richtig gewesen. Salimbeni ist in ganz jugendlichem Alter vor einem Jahr in Tirol als wahrer Philosoph gestorben. Sein Verlust zwang mich, aus meinen Talenten Vorteil zu ziehen, um meinen Lebendunterhalt zu bestreiten. Meine Mutter riet mir, mich auch künftig hin für einen Kastraten auszugeben; sie hoffte mich auf diese Weise in Rom auf dem Theater auftraten lassen zu können. Ich erklärte mich einverstanden, denn mir fehlte der Mut, einen bestimmten Entschluß zu fassen. Inzwischen nahm sie für mich ein Engagement beim Theater zu Ancona an und bestimmte Petronio dazu, dort als Tänzerin aufzutreten. So bildeten wir also die verkehrte Welt. Nach Salimbeni bist du der einzige Mann, den ich gekannt habe; und wenn du willst, so steht es nur bei dir, mich meinem Frauenberuf zurückzugeben und mich den Namen Bellino ablegen zu lassen, den ich seit dem Tode meines Beschützers verabscheue, und der mir allerlei unangenehme Verdrießlichkeiten zu verursachen beginnt. Ich bin nur in zwei Theatern aufgetreten und jedesmal bin ich gezwungen gewesen, mich der schmachvollen und demütigenden Prüfung zu unterwerfen; denn man findet überall, ich gleiche zu sehr einem Mädchen, und will mich stets nur zulassen, nachdem man sich die Überzeugung vom Gegenteile verschafft hat. Bis jetzt habe ich zum Glück nur mit alten Priestern zu tun gehabt, die in gutem Glauben sich mit einer leichten Besichtigung begnügt und dem Bischof einen entsprechenden Bericht abgestattet haben; aber es kann der Fall eintreten, daß ich an einen jungen Priester gerate, und dann würde die Untersuchung viel gründlicher vorgenommen werden. Außerdem finde ich mich täglichen Verfolgungen von zwei Sorten Männern ausgesetzt: von denen, die wie du nicht glauben können, daß ich ein Mann sei, und von solchen, die, um einen widernatürlichen Geschmack zu befriedigen, sich Glück dazu wünschen, daß ich es sei, oder die zum mindesten ihre Rechnung dabei finden, mich für einen Kastraten gelten zu lassen. Besonders die letzteren belästigen mich. Ihre Leidenschaften sind so niederträchtig, ihre Gewohnheiten sind so gemein, daß ich in tiefster Seele darüber empört bin und daß ich fürchte, ich werde einmal eines Tages einen von ihnen erdolchen, wenn die lange verhaltene Wut über ihre schändlichen Anträge sich einen Ausweg sucht.

Um Gottes willen, mein Engel, wenn du mich lieb hast, sei edel! Befreie mich aus dem schimpflichen Zustande der Verworfenheit. Nimm mich mit dir! Ich verlange nicht deine Frau zu werden; das wäre zu viel des Glückes; ich will nur deine Freundin sein, wie ich Salimbenis Freundin gewesen wäre. Mein Herz ist rein; ich fühle mich für ein ehrenhaftes Leben geschaffen, in dem ich meinem Geliebten unverbrüchliche Treue halte. Verlaß mich nicht! Die Zärtlichkeit, die du mir eingeflößt hast, ist echt; meine Zärtlichkeit für Salimbeni war unschuldig und hatte ihre Ursachen nur in meiner Jugend und in meiner Dankbarkeit; wirklich zum Weibe geworden bin ich erst durch dich.«

Die zärtliche Rührung, mit der sie sprach, ein unbeschreiblicher Reiz, der ihren Lippen die Gabe der Überredung verlieh, ließen mich Tränen der Liebe und zärtlicher Teilnahme vergießen. Ich vermischte sie mit denen, die ihren schönen Augen entströmten, und versprach ihr tief gerührt aufrichtigen Herzens, sie nicht zu verlassen und ihr Schicksal mit dem meinen zu verbinden. Ihre höchst eigentümliche Geschichte machte auf mich den Eindruck vollkommener Wahrheit und es drängte mich wirklich, sie glücklich zu machen; nur konnte ich mich nicht überreden, daß ich ihr während des kurzen Aufenthaltes in Ancona wirklich eine ewige Neigung eingeflößt haben sollte, da im Gegenteil mehrere Auftritte in ihr nur flüchtige Wünsche erweckt haben konnten. Ich sagte daher zu ihr: »Wenn du mich wirklich geliebt hättest, wie hättest du dann dulden können, daß ich aus Verdruß über deinen Widerstand mich deinen Schwestern hingab?«

»Ach, lieber Freund! Bedenke unsere große Armut; bedenke, wie schwer es mir fallen mußte, mich zu entdecken. Ich liebte dich; aber mußte ich nicht denken, daß das Feuer, das du mir zeigtest, nur vorübergehende Glut einer Laune sei? Indem ich dich so leicht von Cecilia zu Mariuetta übergehen sah, glaubte ich, du würdest mich ebenso behandeln, sobald du deine Wünsche befriedigt hättest. Meine Meinung von deinem flatterhaften Charakter und Mangel an Zartgefühl wurde bestärkt, als ich sah, was du auf dem türkischen Schiff machtest, ohne dir durch meine Gegenwart einen Zwang auferlegen zu lassen. Sie würde dir peinlich gewesen sein, wenn du mich geliebt hättest. Ich habe gefürchtet, mich verachtet zu sehen; und Gott weiß, was ich gelitten habe. Du hast mich, lieber Freund, auf hundert verschiedene Arten beleidigt; trotzdem verteidigte ich dich bei mir selber, denn ich sah, daß du gereizt und nach Rache begierig warft. Hast du mich nicht heute im Wagen bedroht? Ich gestehe, du hast mir Furcht eingejagt; aber glaube nur nicht, daß Furcht mich bestimmt hat, deinem Verlangen nachzugehen. Nein, ich war dazu entschlossen seit dem Augenblick, wo du mir durch Cecilia sagen ließest, du würdest mich nach Rimini mitnehmen, und deine heutige Zurückhaltung während eines Teiles des Fahrt hat mich in meinem Entschluß bestärkt; denn ich habe geglaubt, mich deinem edlen Charakter ruhig überliefern zu können.«

»Gib doch«, rief ich, »dein Engagement in Rimini auf! Wir wollen weiter reisen, uns ein paar Tage in Bologna aufhalten, und von dort wirst du mit mir nach Venedig gehen; wenn du als Frau gekleidet bist und einen anderen Namen trägst, so will ich es ruhig darauf ankommen lassen; der Impresario der Oper von Rimini mag nur versuchen, dich ausfindig zu machen.«

»Einverstanden. Dein Wille wird stets der meine sein. Ich bin meine eigene Herrin, und ich ergebe mich dir rückhaltlos; mein Herz gehört dir, und ich hoffe, daß ich mir das deine werde zu erhalten wissen.«

Es lebt in dem Menschen ein Trieb, immer über das Ziel hinauszustreben, das er bereits erreicht hat. Ich hatte alles erlangt, jetzt wollte ich noch mehr. »Zeige mir,« sagte ich, »wie du warst, als ich dich für einen Mann hielt.« Sie stand auf, öffnete ihren Koffer, holte das nachgebildete Glied nebst Gummi hervor und befestigte es sich; ich mußte die Erfindung bewundern. Nachdem meine Neugierde befriedigt war, verbrachte ich in ihren Armen eine glückliche Nacht.

Als ich am Morgen erwachte, betrachtete ich ihr entzückendes Gesicht, während sie noch schlief. Jedes Wort des Mädchens, ihre Schönheit, ihre Gaben, ihre Feinheit der Seele, die Kraft ihres Gefühles und ihre Unglücksfälle, von denen ohne Zweifel der bitterste der war, daß sie ein anderes Wesen vorstellen mußte, wodurch sie der Erniedrigung und Schmach preisgegeben wurde – dies alles brachte mich zu dem Entschluß, ihr Schicksal an das meinige zu knüpfen, oder meines an das ihrige; denn unsere Lage war ungefähr die gleiche.

Da ich mich ernstlich mit dem liebenswürdigen Geschöpf verbinden wollte, so setzte ich meinen Gedankengang fort und entschloß mich, unserer Verbindung die Weihe der Gesetze und der Religion zu geben, und sie zu meiner rechtmäßigen Frau zu machen; denn nach meinen damaligen Begriffen konnte dieses unsere Zärtlichkeit und gegenseitige Achtung nur erhöhen und uns die Anerkennung der Gesellschaft sichern, die unser Band niemals hätte gesetzlich finden können, wenn wir es nicht dem geltenden Herkommen unterworfen hätten. Teresas Talent gab mir die Sicherheit, daß es uns niemals am Notwendigen fehlen könne, und obgleich ich nicht wußte, wozu meine eigenen Anlagen gut sein konnten, so verlor ich doch darum den Mut nicht. Unsere gegenseitige Liebe hätte Schaden leiden können, Teresa wäre mir zu weit überlegen gewesen, und mein Selbstgefühl würde zu sehr gelitten haben, hätte ich von den Früchten ihrer Arbeit leben sollen. Dadurch hätte im Laufe der Zeit die Natur unserer Gefühle sich ändern können; meine Frau würde sich vielleicht nicht mehr als empfangenden Teil angesehen haben und hätte sich vielleicht als Beschützerin statt als Beschützte gefühlt; und hätte ich das Unglück gehabt, eine solche Denkungsart bei ihr anzutreffen, so würde sich – das fühlte ich – meine Liebe in tiefe Verachtung verwandelt haben. Obgleich ich auf das Gegenteil hoffte, so hatte ich doch das Bedürfnis, ihren Charakter zu untersuchen, und ich beschloß, sie einer Probe zu unterwerfen, die mich in den Stand setzen würde, sie sofort bis auf den Grund ihrer Seele zu beurteilen. Daher hielt ich folgende Ansprache an sie, sobald sie erwacht war:

»Meine liebe Teresa, alle deine Worte lassen mir nicht den geringsten Zweifel an deiner Liebe; und daß du dich gewiß fühlst, meines Herzens Herrin geworden zu sein, macht mich vollends in dich verliebt, so daß ich bereit bin, alles zu tun, um dich zu überzeugen, daß du dich nicht getäuscht hast. Zunächst will ich dir zeigen, daß ich deines edlen Vertrauens würdig bin, indem ich dir mit gleicher Aufrichtigkeit die Geschichte meines eigenen Lebens anvertraue.

Unsere Herzen müssen einander vollkommen gleich gegenüberstehen. Ich kenne dich, meme Teresa, aber du kennst mich noch nicht. Ich lese in deinen Blicken, daß dies dir gleichgültig ist, und diese Hingebung bürgt mir für deine vollkommene Liebe; aber sie erhebt dich zu weit über mich, und ich will dir einen so großen Vorteil nicht lassen. Ich bin gewiß, daß dieses Vertrauen deiner Liebe nicht nötig ist, daß du nichts weiter verlangst als mir anzugehören, und daß du nur nach dem Besitz meines Herzens strebst. Dies alles ist recht schön, liebe Teresa, aber es würde mich in gleicher Weise demütigen, über dich erhoben oder unter dich herabgedrückt zu werden, wenn es auch nur scheinbar wäre. Du hast mir deine Geheimnisse anvertraut; höre jetzt die meinigen; zuvor aber versprich mir, daß du mir, wenn du alles erfahren hast, wahrheitsgemäß sagen wirst, wenn in deinen Gefühlen oder in deinen Hoffnungen sich das geringste geändert hat.«

»Ich schwöre dir, ich werde dir nichts verheimlichen ; sei aber du so ehrlich, mir keine falschen Geständnisse zu machen; denn ich sage dir voraus, sie würden dir zu nichts nützen; wenn du Listen anwenden würdest, um zu entdecken, ob ich deiner weniger würdig wäre, als es tatsächlich der Fall ist, so könntest du dich höchstens in meinen Augen um ein weniges herabsetzen. Ich möchte dich nicht schlauer Hinterlist gegen mich für fähig wissen. Sei meiner gewiß, wie ich mich deiner gewiß gezeigt habe: sage mir ohne Umschweife die Wahrheit.«

»So höre denn die Wahrheit: Zunächst hältst du mich für reich, und das bin ich nicht; sobald meine Börse leer ist, werde ich nichts mehr haben. Ferner glaubst du vielleicht, ich sei von hoher Geburt, und in Wirklichkeit bin ich von geringerem Stande als du, oder höchstens von gleichem. Ich besitze kein gewinnbringendes Talent, ich habe keine Anstellung, ja ich habe nicht einmal eine Aussicht, um gewiß zu sein, daß ich in einigen Monaten meinen Lebensunterhalt haben werde. Ich habe weder Eltern noch Freunde, habe keinen Anspruch irgendwelcher Art, ja nicht einmal einen festen Lebensplan. Mit einem Wort, ich habe weiter nichts als Jugend, Gesundheit, Mut, ein bißchen Geist, ehrenhafte und rechtschaffene Gesinnung und beherrsche einige Anfangsgründe guter Literatur. Mein größter Schatz ist, daß ich mein eigener Herr bin, daß ich von niemandem abhänge und daß ich keine Furcht vor dem Unglück habe. Außerdem neige ich zur Verschwendung. Schöne Teresa, so ist dein Mann. Jetzt antworte!«

»Vor allen Dingen, lieber Freund, sei fest überzeugt, daß ich dir buchstäblich alles glaube, was du mir gesagt hast; sodann aber wisse, daß ich in gewissen Augenblicken in Ancona dich als einen solchen beurteilt habe, wie du dich jetzt schilderst; aber diese Ahnung deines Wesens war mir durchaus nicht peinlich, sondern ich fürchtete im Gegenteil, mich zu täuschen. Denn wenn du so warst, wie ich annahm, so durfte ich hoffen, daß mir dann deine Eroberung gelingen würde. Kurz und gut, mein Freund, da du wirklich arm bist und mit deinem Gelde leichtsinnig umgehst, so gestatte mir, dir zu versichern, daß mich dies freut; denn in diesem Fall wirst du, da du mich liebst, nicht das Geschenk verschmähen, das ich dir machen will. Dieses Geschenk besteht in mir, so wie ich bin und mit all meinen Gaben. Ich überliefere mich dir ohne jeden Rückhalt; ich bin dein und werde für dich sorgen. Denke in Zukunft nur daran, mich zu lieben; aber liebe mich einzig und allein. Von diesem Augenblick an bin ich nicht mehr Bellino. Laß uns nach Venedig gehen, wo mein Talent mir und dir den Unterhalt verschaffen wird; willst du aber anderswo hin, so gehen wir, wohin du willst.«

»Ich muß nach Konstantinopel gehen.«

»Gehen wir dorthin! Wenn du fürchtest, mich durch Unbeständigkeit zu verlieren, so heirate mich, und deine Rechte auf mich werden durch die Gesetze gestärkt sein. Ich werde dich darum nicht zärtlicher lieben; aber es wird mir angenehm sein, deine Gattin heißen zu dürfen.«

»Ich habe diese Absicht gehabt, und ich bin entzückt, daß du sie teilst. Übermorgen, keinen Tag später, wirst du in Bologna vor dem Altar meinen Treuschwur empfangen, wie ich ihn jetzt hier in den Armen der Liebe dir schwöre. Ich will, daß du mein bist, daß wir einander durch alle nur denkbaren Bande verknüpft angehören.«

»Ich bin über alle Maßen glücklich! Wir haben in Rimini nichts zu tun; laß uns nicht aufstehen; wir werden im Bett speisen, und morgen werden wir gut ausgeruht weiterreisen.«

Am nächsten Tage setzten wir unsere Reise fort und machten in Pesaro halt, um zu frühstücken. Im Augenblick, wo wir wieder in den Wagen steigen wollten, kam ein Unteroffizier mit zwei Füsilieren, fragte nach unseren Namen und verlangte unsere Pässe. Bellino gibt ihm seinen, ich aber suche vergeblich nach dem meinigen; ich finde ihn nicht.

Der Korporal befiehlt dem Postkutscher zu warten und geht fort, um seinen Bericht zu machen. Nach einer halben Stunde kommt er mit Bellinos Paß zurück und sagt ihm, er könne weiterreisen; mir aber bedeutet er, er habe Befehl, mich zum Kommandanten zu führen. Ich gehorche.

»Was haben Sie mit Ihrem Paß gemacht?« fragt mich der Offizier.

»Ich habe ihn verloren.«

»Einen Paß verliert man nicht.«

»Man verliert ihn; denn ich habe ihn verloren.«

»Sie werden nicht weiterreisen.«

»Ich komme von Rom und gehe nach Konstantinopel, um einen Brief vom Kardinal Acquaviva zu überbringen. Hier ist der Brief mit seinem Wappensiegel.«

»Alles, was ich für Sie tun kann, ist, daß ich Sie zu Herrn de Gages führen lasse.«

Ich fand den berühmten Feldherrn inmitten seines Generalstabes stehen. Nachdem ich ihm alles vorgetragen hatte, was ich bereits dem Kommandanten gesagt hatte, bat ich ihn, mich meine Reise fortsetzen zu lassen.

»Ich kann Ihnen nur die Gnade bewilligen, Sie in Arrest zu schicken, bis aus Rom unter dem von Ihnen angegebenen Namen ein neuer Paß für Sie ankommt. Das Unglück, einen Paß zu verlieren, stößt nur einem Leichtfuß zu, und der Kardinal wird daraus die Lehre ziehen, einem Leichtfuß keine Aufträge anzuvertrauen.«

Hierauf befahl er, mich nach dern Wachtposten Santa Maria vor der Stadt zu führen, nachdem ich vorher meinen Brief an den Kardinal geschrieben hätte, um einen neuen Paß zu erhalten. Seine erhabenen Befehle wurden ausgeführt. Zunächst führte man mich nach dem Wirtshaus zurück; dort schrieb ich meinen Brief, den ich durch reitenden Boten an Seine Eminenz schickte. Ich bat den Kardinal flehentlich, mir unverzüglich direkt an das Kriegsbureau in Pesaro einen Paß zu schicken. Hierauf umarmte ich Teresa, die über dieses Mißgeschick untröstlich war, bat sie, mich in Rimini erwarten zu wollen, und nötigte sie, hundert Zechinen von mir anzunehmen. Sie wollte in Pesaro bleiben; dem widersetzte ich mich; und nachdem ich meinen Koffer hatte abladen lassen, sah ich sie abfahren und ließ mich an den Ort bringen, den der große General mir angewiesen hatte. Sehr weh tat mir Teresas Schmerz; sie war fast erstickt von dem Bemühen, ihre Tränen zurückzuhalten, als sie mich gerade im Augenblick unserer Vereinigung ihren Armen entrissen sah. Sie würde mich nicht verlassen haben, hätte ich ihr nicht klar gemacht, daß sie in Pesaro nicht bleiben könnte, und hätte ich sie nicht überzeugt, daß ich in zehn Tagen wieder bei ihr sein würde, um sie niemals mehr zu verlassen. Aber das Schicksal hatte anders bestimmt.

In Santa Maria ließ der wachhabende Offizier mich sofort in die Wachstube bringen, wo ich mich auf meinen Koffer setzte. Er war ein schweigsamer Katalonier, der mich nicht einmal einer Antwort würdigte, als ich ihm sagte, ich hätte Geld, und ihn bat, jemanden zur Bedienung zuzuweisen. Ich erhielt nichts zu essen und mußte die Nacht auf einem bißchen Stroh inmitten katalonischer Soldaten verbringen. Dies war die zweite Nacht, die das Schicksal mich auf solche Weise verbringen ließ, nachdem ich vorher zwei köstliche Nächte genossen hatte. Ohne Zweifel machte mein Schutzgeist sich den Spaß, mich zu meiner Belehrung solche Vergleiche anstellen zu lassen. Jedenfalls ist eine solche Schule von unfehlbarer Wirkung auf Charaktere von gewisser Anlage.

Willst du einem sogenannten Philosophen den Mund stopfen, wenn er dir sagt, in unserem Leben sei die Summe der Leiden größer als die der Freuden, so frage ihn nur, ob er ein Leben haben wolle, worin es weder die einen noch die anderen gebe. Er wird dir nicht antworten oder er wird Ausflüchte machen; denn wenn er die Frage verneint, so liebt er das Leben so wie es ist, und wenn er es liebt, so findet er es also angenehm; angenehm aber könnte es nicht sein, wenn es lästig wäre. Wenn er aber die Frage bejaht, so gesteht er, daß er ein Dummkopf ist, denn dann muß er das Vergnügen in der Gleichgültigkeit erblicken, und das ist Unsinn.

Leiden ist untrennbar verbunden mit der menschlichen Natur; aber wir werden niemals leiden, ohne Hoffnung auf Heilung zu hegen, oder zum mindesten kann dieser Fall nur sehr selten vorkommen; Hoffnung aber ist eine Freude. Wenn zuweilen vielleicht ein Mensch ohne Hoffnung auf Genesung leidet, so muß die unfehlbare Zuversicht, daß sein Leben einmal ein Ende haben wird, eine Freude sein; denn auf alle Fälle ist das schlimmste, was uns widerfahren kann, ein Schlaf der Ermattung, während dessen uns glückliche Träume trösten, oder der Verlust der Empfindung; aber wenn wir genießen, dann stört uns niemals der Gedanke, daß auf unsere Freude Leid folgen werde. Die Freude ist also immer rein, wenn sie sich betätigt; das Leid ist immer gemildert.

Ich nehme an, lieber Leser, du bist zwanzig Jahr alt und gerade dabei, ein Mann zu werden, indem du deinen Geist mit den Kenntnissen ausstattest, die durch die Arbeit deines Gehirns dich zu einem nützlichen Wesen machen werden. Der Rektor tritt ein und sagt dir: ich bringe dir dreißig Lebensjahre – dies ist der unwandelbare Beschluß des Schicksals; fünfzehn aufeinanderfolgende Jahre sollen glücklich sein, die anderen fünfzehn Unglück. Du hast freie Wahl, mit welcher Hälfte du beginnen willst.

Gestehe, lieber Leser, du wirst nicht lange nachzudenken brauchen, um dich zu entscheiden, und du wirst mit den Leidensjahren beginnen; denn du wirst fühlen, daß die Aussicht auf fünfzehn köstliche Jahre dir unfehlbar die nötige Kraft geben wird, um die Schmerzensjahre zu ertragen; wir werden sogar mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit annehmen können, daß die Erwartung eines gesicherten Glücks die Dauer der Leiden in gewisser Weise mildern wird.

Ich bin überzeugt, du hast bereits erraten, worauf ich hinaus will. Glaube mir, ein Weiser kann niemals ganz unglücklich sein; und ich glaube gerne meinem Freunde Horaz, der im Gegenteil sagt, er sei immer glücklich: nisi quum pituita molesta est – wenn nicht der Katarrh beschwerlich wird. Aber welcher Mensch hätte wohl beständig Katarrh?

Tatsache ist, daß diese scheußliche Nacht, die ich in Santa Maria vor Pesaro verbrachte, mir wenig Verlust und viel Gewinn brachte. Der kleine Verlust bestand darin, daß ich meine liebe Teresa entbehren mußte; da ich aber gewiß war, sie in zehn Tagen wiederzusehen, so war dies ein geringes Unglück; der Gewinn dagegen bestand in Mehrung meiner Lebenskenntnisse, die die wahre Schule des Menschen ist. Ich verdankte ihr ein völliges System gegen die Unbesonnenheit, ein System der Umsicht. Es ist hundert gegen eins zu wetten, daß ein junger Mensch, der einmal seine Börse oder seinen Paß verloren hat, niemals wieder weder die eine noch den anderen verlieren wird. Diese beiden Unglücksfälle sind mir zugestoßen, jeder ein einziges Mal, und sie hätten mir oft zustoßen können, hätte ich nicht die beständige Furcht davor gehabt. Ein echter Leichtfuß aber hat nicht das Wort Furcht in seinem Lebenslexikon.

Der Offizier, der am nächsten Tage meinen bärbeißigen Katalonier ablöste, schien mir von ganz anderer Art zu sein: Er hatte ein freundliches Gesicht, das mir gefiel. Er war Franzose, und ich muß bei dieser Gelegenheit bemerken, daß die Franzosen mir immer gefallen haben und die Spanier niemals; denn in den Manieren der einen ist etwas so Zuvorkommendes, so Liebenswürdiges, daß man sich zu ihnen hingezogen fühlt wie zu alten Bekannten; den anderen gibt eine Miene übelangebrachten Stolzes einen gewissen abstoßenden Ausdruck, der nicht zu ihren Gunsten einnimmt. Indessen bin ich mehr als einmal von Franzosen betrogen worden, niemals aber von Spaniern. Hüten wir uns vor unseren Neigungen!

Der Offizier trat mit edlem, höflichem Anstand auf mich zu und fragte: »Welchem Zufall, Herr Abbate, verdanke ich die Ehre, Sie in meiner Obhut zu haben?«

Solch ein Stil gibt den Lungen ihre ganze Spannkraft wieder!

Ich erzählte ihm lang und hreit mein ganzes Mißgeschick. Er fand es komisch; aber ein Charakter, der mein Pech lächerlich fand, konnte mir nicht mißfallen; denn ich ahnte, daß er mehr als einen Berührungspunkt mit meiner eigenen Denkweise haben werde. Er gab mir sofort einen Soldaten zu meiner Bedienung, und bald hatte ich ein Bett, Stühle und einen Tisch. Sein Zartgefühl ging sogar so weit, daß er mein Bett in sein Zimmer stellen ließ – eine Freundlichkeit, gegen die ich nicht unempfindlich war.

Nachdem er mich höflich eingeladen hatte, an seinem Mittagessen teilzunehmen, schlug er mir eine Partie Pikett vor. Aber schon gleich im Anfang unseres Spieles machte er mich darauf aufmerksam, daß er mir überlegen sei, und sagte mir, der Offizier, der ihn ablösen werde, spiele noch besser als er; ich verlor drei oder vier Dukaten. Zum Schluß riet er mir, am nächsten Tage mich des Spieles zu enthalten; ich befolgte seinen Rat. Auch sagte er mir, es werde zum Abendessen Besuch bekommen; nach der Mahlzeit werde man Pharao spielen, aber der Bankhalter sei ein Grieche, ein feiner Spieler; ich dürfe daher nicht spielen. Ich fand diesen Rat sehr zartfühlend, besonders als ich sah, daß alle Mitspieler verloren und daß der Grieche, unbekümmert um das Schimpfen der Betrogenen, seelenruhig sein Geld in die Tasche steckte, nachdem er dem wachhabenden Offizier, der an der Bank beteiligt war, seinen Anteil ausgezahlt hatte.

Dieser Bankhalter nannte sich Don Bepe il Cadetto, und an seiner Aussprache erkannte ich ihn als Neapolitaner. Ich teilte meine Beobachtungen dem Offizier mit und fragte ihn, warum er mir gesagt habe, daß er Grieche sei. Er erklärte mir, daß dieser Ausdruck einen Falschspieler bedeute, und die Belehrung, womit er seine Erklärung begleitete, war mir für die Folge sehr nützlich.

Während der folgenden fünf Tage war mein Leben eintönig und ziemlich trübselig; am sechsten Tage aber bezog wieder der Franzose den Wachtposten; ich sah ihn mit Vergnügen kommen. Er sagte mir lachend, er sei entzückt, mich wieder zu finden, und ich nahm das Kompliment für das, was es war. Am Abend fand das gleiche Spiel statt, und mit demselben Ergebnis, abgesehen davon, daß einer der Mitspieler dem Buchhalter einen kräftigen Stockhieb über den Rücken gab, den der Grieche mit stoischem Gleichmut unbeachtet ließ. Neun Jahre später sah ich dasselbe Individuum als Kapitän im Dienste Maria Theresias in Wien wieder; er nannte sich damals d’Afflissio. Zehn Jahre darauf sah ich ihn als Obersten wieder, und kurze Zeit darauf als Millionär; endlich aber habe ich ihn vor dreizehn oder vierzehn Jahren als Galeerensträfling gesehen. Er war hübsch; komischerweise aber hatte er trotz seiner Schönheit eine Galgenphysiognomie. Ich habe andere Gesichter von derselben Sorte gesehen: Cagliostro z. B. und einen anderen, der noch nicht auf den Galeeren ist, ihnen aber nicht entrinnen wird. Wenn der Leser neugierig ist, will ich ihm den Namen ins Ohr sagen.

Etwa am neunten oder zehnten Tage war ich in der ganzen Armee bekannt und beliebt; ich wartete immer noch auf meinen Paß, dessen Eintreffen mir aber unfehlbar bald gemeldet werden mußte. Ich war beinahe frei und ging sogar außer Sehweite der Schildwache spazieren. Man hatte recht, daß man meine Flucht nicht befürchtete, denn es wäre sehr töricht von mir gewesen, daran zu denken. Unversehens jedoch hatte ich das sonderbarste Erlebnis, das mir in meinem ganzen Leben zugestoßen ist.

Es war sechs Uhr in der Früh. Ich ging etwa hundert Schritt von der Schildwache spazieren, als ein Offizier herangeritten kam, vom Pferde stieg, demselben den Zügel auf den Hals legte und sich entfernte, um ein Bedürfnis zu verrichten. Ich bewunderte die Gelehrigkeit des Pferdes, denn es stand da wie ein treuer Diener, dem sein Herr befohlen hätte, auf ihn zu warten. Ich trat an das Tier heran, nahm, ohne mir etwas dabei zu denken, den Zügel in die Hand, setzte den Fuß in den Steigbügel und – eins, zwei, drei war ich im Sattel

Es war das erstemal in meinem Leben, daß ich zu Pferde saß. Ich weiß nicht, ob ich es vielleicht mit meinem Stock oder mit dem Absatz berührte, genug, plötzlich ging das Tier in voller Karriere durch. Ich umklammerte es mit meinen Absätzen, da mein rechter Fuß den Steigbügel verloren hatte; das Pferd wurde wild, ich wußte nicht, wie ich es zum Stehen bringen sollte, und es lief immer schneller. Der letzte Vorposten ruft mir zu, ich solle halten; ich kann dem Befehl nicht nachkommen, da das Perd wie der Wind davonsaust; endlich höre ich einige Kugeln pfeifen, die ich meinem unfreiwilligen Ungehorsam verdanke. Beim ersten Vorposten der Österreicher hält man endlich mein Pferd an, und ich danke Gott, daß ich absteigen kann.

Ein Husarenoffizier fragt mich, wohin ich so eilig reite; mein Wort ist schneller als mein Gedanke, und ich antworte unwillkürlich, darüber werde ich nur dem Fürsten Lobkowitz Rechenschaft ablegen; dies war der Kommandierende der Armee, dessen Hauptquartier sich in Rimini befand. Infolge meiner Antwort läßt der Offizier zwei Husaren aufsitzen, man befiehlt mir, ein drittes Pferd zu besteigen, und bringt mich im Galopp nach Rimini, wo der wachhabende Offizier mich sofort vor den Fürsten führen läßt.

Ich finde Seine Hoheit allein und erzähle ihm ganz einfach alles, was mir passiert ist. Meine Erzählung brachte ihn zum Lachen; doch sagte er, dies alles wäre wenig glaubhaft. »Ich müßte Sie, Herr Abbate, in Arrest setzen lassen; aber ich will Ihnen diese Unannehmlichkeit ersparen.« Hierauf rief er einen seiner Adjutanten und befahl ihm, mich bis vor das Cesenische Tor zu begleiten. »Von dort«, fuhr er zu mir gewandt fort, »können Sie gehen, wohin Sie wollen; aber nehmen Sie sich in acht, daß Sie nicht ohne Paß zu meiner Armee zurückkehren; denn das könnte Ihnen übel bekommen.« Ich bat ihn, mir das Pferd zurückgeben zu lassen; er antwortete mir, es gehöre mir nicht. Ich vergaß, ihn zu bitten, mich dorthin zurückzuschicken, wo ich hergekommen war, und meine Vergeßlichkeit ärgerte mich; doch war es im Grunde vielleicht gut so.

Der Offizier, der mit meiner Begleitung beauftragt war, fragte mich, als wir an einem Kaffeehaus vorüberkamen, ob ich eine Tasse Schokolade trinken wollte, und wir traten ein. Ich sah Petronio vorübergehen, benutzte einen Augenblick, wo der Offizier mit einem Bekannten sprach, und befahl dem Knaben, er solle so tun, als ob er mich nicht kenne, und solle nur sagen, wo sie wohnten. Als wir die Schokolade getrunken hatten, bezahlte der Offizier und wir gingen weiter. Unterwegs plauderten wir, er nannte mir seinen Namen, und ich sagte ihm den meinigen und erzählte ihm, wie ich nach Rimini gekommen sei. Er fragte mich, ob ich mich einige Zeit in Ancona aufgehalten hätte, und als ich diese Frage bejahte, sagte er mir lächelnd, ich könnte in Bologna einen Paß nehmen, ohne Besorgnis nach Rimini und Pesaro zurückkehren und mir meinen Koffer wieder verschaffen, indem ich dem spanischen Offizier das durchgegangene Pferd zahlte. Am Tor wünschte er mir gute Reise, und wir trennten uns.

Ich sah mich frei, im Besitze von Gold- und Schmucksachen, aber ohne meinen Koffer. Teresa war in Rimini, und es war mir verboten, dorthin zurückzukehren. Ich beschloß, mich schnell nach Bologna zu begeben, mir einen Paß ausstellen zu lassen und nach Pesaro zurückzukehren, wo inzwischen ohne Zweifel mein römischer Paß eintreffen mußte, denn ich konnte mich nicht entschließen, meinen Koffer zu verlieren, und ich wollte nicht Teresa bis zum Ende ihres Engagements bei dem Operndirektor von Rimini entbehren.

Es regnete; ich war in Seidenstrümpfen, und da ich ein schlechter Fußgänger war, so brauchte ich einen Wagen. Ich stellte mich unter eine Kirchentür, um das Aufhören des Regens abzuwarten, und drehte meinen schönen Überrock um, um nicht als Abbate erkannt zu werden. Ein Bauer kam vorbei; ich fragte ihn, ob er wohl einen Wagen hätte, um mich nach Cesena zu bringen.

»Ich habe einen, Herr,« antwortete er mir, »aber er ist eine halbe Meile von hier.«

»Hole ihn und komm damit hierher; ich werde auf dich warten.«

Während ich auf die Rückkehr des Bauern mit dem Wagen warte, kommt eine Karawane von vierzig beladenen Maultieren, die nach Rimini hineingetrieben werden. Es regnete immer noch; die Maultiere kamen ganz dicht an mir vorüber; ich legte mechanisch einem von ihnen den Arm um den Hals, folgte dem langsamen Schritt der Tiere und kam wieder nach Rimini hinein, ohne daß man im geringsten auf mich achtete; nicht einmal die Treiber bemerkten mich. Ich gab dem ersten Gassenjungen, dem ich begegnete, ein Geldstück und ließ mich nach Teresas Wohnung führen.

Ich hatte meine Haare mit einer Nachtmütze gedeckt, die Hutkrempe heruntergeschlagen, meinen schönen Spazierstock unter meinem Überzieher verborgen; so sah ich nach nichts aus. Ich fragte nach Bellinos Mutter, und die Hauswirtin führte mich in ein Zimmer, wo ich die ganze Familie besammen fand; Teresa trug Frauenkleider. Ich gedachte, sie zu überraschen; da aber Petronio ihnen schon von mir erzählt hatte, so erwarteten sie mich. Ich erzählte meine Geschichte; Teresa aber erschrak ob der Gefahr, der ich mich aussetzte, und sagte mir trotz ihrer Liebe, ich müßte unbedingt nach Bologna gehen, wie Herr Vais mir geraten habe. »Ich kenne diesen Offizier,« sagte sie, »er ist ein Ehrenmann, aber er kommt jeden Abend hierher, und du mußt dich verstecken.« Es war erst acht Uhr in der Früh, wir hatten den ganzen Tag vor uns, und alle versprachen, verschwiegen zu sein. Ich beruhigte Teresa, indem ich ihr versicherte, ich würde leicht ein Mittel finden, unbemerkt aus der Stadt heraus zu gelangen. Teresa führte mich in ihr Zimmer und erzählte mir, sie sei auf der Reise nach Rimini unterwegs ihrem Direktor begegnet; er habe sie in die für sie und ihre Familie bestimmte Wohnung gebracht; sie habe ihm erklärt, sie sei Mädchen und wolle nicht für einen Kastraten gelten; dem Direktor sei das ganz recht gewesen, weil Rimini zu einer anderen Legation gehöre als Ancona und Frauen hier auf der Bühne auftreten könnten. Zum Schluß sagte sie mir, sie sei nur bis Anfang Mai verpflichtet und werde überall hinkommen, wo ich auf sie warten wollte.

»Sobald ich einen Paß habe,« sagte ich ihr, »wird nichts mich hindern können, so lange bei dir zu bleiben, bis du frei bist. Aber sage mir doch: Herr Vais verkehrt ja bei dir; hast du ihm nicht gesagt, ich hätte mich einige Tage in Ancona aufgehalten?« »Jawohl; ich habe ihm sogar gesagt, daß man dich arretiert hat, weil du deinen Paß verloren hast.«

Nun begriff ich, warum der Offizier gelächelt hatte, als er mir seinen Rat gab.

Nach dieser wichtigen Unterhaltung empfing ich die Komplimente der Mutter und der beiden jüngeren Schwestern; doch fand ich diese letzteren weniger lustig und weniger offenherzig als in Ancona. Sie fühlten, daß Bellino jetzt als Teresa eine zu gefährliche Nebenbuhlerin war. Ich hörte geduldig alle Klagelieder der Mutter an; sie behauptete, Teresa habe ihr Glück aufgegeben, indem sie die schöne Kastratenrolle aufgegeben; denn in Rom hätte sie jährlich tausend Zechinen verdienen können. »In Rom, meine gute Frau,« sagte ich ihr, »wäre der falsche Bellino entlarvt und Teresa wäre in ein elendes Kloster eingesperrt worden; und dazu ist sie nicht geschaffen.«

Trotz der gefährlichen Lage, in der ich mich befand, verbrachte ich den ganzen Tag im Beisammensein mit meiner Liebsten, und es kam mir vor, als entdeckte ich in jedem Augenblick an ihr neue Reize und an mir mehr Liebe. Um acht Uhr abends hörten wir jemanden kommen; sie ließ mich allein, und ich blieb im Dunkeln; doch konnte ich alles sehen und hören. Ich sah den Baron Vais eintreten, und Teresa reichte ihm ihre Hand zum Kuß mit der Anmut einer hübschen Frau und mit der ganzen Würde einer Fürstin. Das erste, was er ihr sagte, war die Nachricht über mich; sie tat, als freute sie sich darüber, und hörte mit gleichgültiger Miene zu, als er ihr erzählte, er habe mir geraten, mit einem Paß zurückzukehren. Er verbrachte eine Stunde mit ihr, und ich fand Teresa bewunderungswürdig in ihrem Verhalten wie in ihren Manieren; mit einem Wort, sie benahm sich so, daß ich nicht den kleinsten Anlaß zur Eifersucht hätte entdecken können. Mariana leuchtete dem Offizier, als er fortging, und Teresa begab sich zu mir. Wir speisten fröhlich miteinander, und im Augenblick, wo wir uns zu Bett legen wollten, kam Petronio und sagte mir, sechs Maultiertreiber sollten zwei Stunden vor Tagesanbruch nach Cesena abgehen; wenn ich eine Viertelstunde vorher zu ihnen ginge und ihnen ein Trinkgeld gäbe, könnte ich ganz gewiß ohne Schwierigkeit aus der Stadt herauskommen. Dieser Meinung war auch ich, und ich entschloß mich, das Abenteuer zu versuchen; ich bat ihn, nicht zu Bett zu gehen, damit er mich zur rechten Zeit weckte. Es wäre nicht nötig gewesen, denn ich war schon vor der Zeit fertig. Ich verließ Teresa, fest überzeugt von meiner Liebe und Treue, aber ein wenig unruhig wegen meines Herauskommens aus Rimini. Sie hatte noch sechzig Zechinen und wollte mich nötigen, diese zurückzunehmen; ich fragte sie aber, was sie wohl von mir denken würde, wenn ich sie nähme, und es war nicht mehr die Rede davon.

Ich ging nach dem Stall, gab einem Maultiertreiber ein Trinkgeld und sagte ihm, ich möchte gerne auf einem seiner Maultiere bis Sarignano reiten. »Das können Sie tun,« sagte mir der gute Mann, »aber es wäre besser, wenn Sie erst vor der Stadt aufstiegen und das Tor zu Fuß passierten, wie wenn Sie ein Treiber wären.« Das wollte ich ja gerade. Petromo begleitete mich bis ans Tor, wo ich ihm ein reichliches Zeichen meiner Dankbarkeit gab. Ich kam ohne die geringste Schwierigkeit hinaus und verließ die Maultiertreiber in Sarignano, von wo ich mit der Post nach Bologna fuhr. Bald sah ich, daß es mir unmöglich sein würde, einen Paß zu erhalten, schon deshalb, weil man mir sagte, ich brauchte keinen; damit hatten sie allerdings unter gewöhnlichen Umständen recht; ich aber wußte, daß das Gegenteil der Fall war, und es lag mir nichts daran, sie ins Geheimnis zu ziehen. Ich entschloß mich, an den französischen Offizier zu schreiben, der mich auf der Wache von Santa Maria so höflich behandelt hatte; ich bat ihn, sich auf dem Kriegssekretariat zu erkundigen, ob mein Paß noch nicht gekommen wäre, und, wenn dies der Fall wäre, ihn mir zu schicken. Ich bat ihn ferner, sich nach dem Besitzer des mit mir durchgegangenen Pferdes zu erkundigen; denn ich fand es nicht mehr als recht und billig, diesem seinen Schaden zu ersetzen. Auf alle Fälle beschloß ich, Teresa in Bologna zu erwarten, und ich teilte ihr dies mit, indem ich sie bat, mir sehr oft zu schreiben. Der Leser wird sehen, was fur einen neuen Entschluß ich noch am selben Tage faßte.