Benedikt der Vierzehnte. – Ausflug nach Tivoli. – Donna Lucrezias Abreise. – Marchesa G. – Barbara Dalaequa. – Mein Unglück und meine Abreise von Rom.

Da Herr Dalacqua sehr krank war, gab seine Tochter Barbara mir die Stunde. Nach Schluß derselben benutzte sie einen günstigen Augenblick, mir geschickt einen Brief in die Tasche zu stecken, und um mir keine Zeit zu lassen, diese neue Gefälligkeit ihr abzuschlagen, war sie blitzschnell verschwunden. übrigens war ihr Brief nicht so, daß ich die Annahme hätte verweigern können. Er war an mich persönlich gerichtet und brachte nur Gefühle reinster Dankbarkeit zum Ausdruck. Sie bat mich nur, ihrem Geliebten mitzuteilen, daß ihr Vater wieder mit ihr spreche und daß sie hoffe, er werde nach seiner Genesung eine andere Magd nehmen. Zum Schluß gab sie mir die festesten Versicherungen, sie werde mich niemals bloßstellen.

Da der Vater noch etwa zwei Wochen lang das Bett hüten mußte, so erteilte während dieser ganzen Zeit Barbara mir den Unterricht. Sie erregte meine Teilnahme durch ein ganz neues Gefühl, das ich einem hübschen jungen Mädchen gegenüber noch nicht gehabt hatte. Es war ein Gefühl des Mitleids, und ich fühlte mich gewissermaßen geschmeichelt, ihr Stütze und Trost zu sein. Niemals ruhten ihre Augen auf den meinigen; niemals begegnete ihre Hand der meinen; niemals merkte ich ihrem Putz den Wunsch an, auf mich einen angenehmen Eindruck zu machen. Sie war hübsch und, wie ich wußte, auch zärtlich, aber dies verminderte nicht die Achtung und die Rücksicht, die ich der Ehre und dem Zutrauen schuldig zu sein glaubte, und ich fühlte mich geschmeichelt, daß sie mich nicht für fähig hielt, mir meine Kenntnis ihrer Schwäche zunutze zu machen.

Sobald ihr Vater wieder gesund war, jagte er die Magd aus dem Hause und nahm eine andere. Barbara bat mich, dies ihrem Freunde mitzuteilen und ihm zu sagen, sie hoffe die neue Magd wenigstens so weit zu gewinnen, daß sie ihm schreiben könne. Ich versprach ihr, diesem Auftrag auszuführen; um mir ihre Dankbarkeit dafür zu zeigen, ergriff sie meine Hand und führte sie an ihre Lippen; ich zog sie noch rechtzeitig zurück und wollte ihr einen Kuß geben; bescheiden errötend drehte sie den Kopf zur Seite. Dies gefiel mir.

Es gelang Barbara, das neue Mädchen auf ihre Seite zu bringen und von nun an kümmerte ich mich nicht mehr um die ganze Angelegenheit; denn ich fühlte wohl, welche ärgerlichen Folgen sie für mich hätte haben können. Leider war das Unglück schon geschehen.

Zu Don Gasparo ging ich nur selten, denn das Studium der französischen Sprache nahm meine Vormittage in Anspruch, und dies war die einzige Zeit, wo ich ihn besuchen konnte. Zum Abbate Georgi aber ging ich jeden Abend, und obwohl ich in seinen Gesellschaften weiter keine Rolle spielte, sondern ganz einfach nur für seinen Schützling galt, so kam es doch meinem guten Ruf zustatten. Ich sprach niemals ein Wort; trotzdem langweilte ich mich nicht. In dieser Gesellschaft wurde kritisiert, aber nicht gelästert; man sprach von Politik, aber ohne Verbitterung, von Literatur, aber ohne Leidenschaft. Ich lernte dabei. Von dem weisen Mönch begab ich mich in die große Abendgesellschaft meines Herrn, des Kardinals. Diese besuchte ich, weil es meine Pflicht war. So oft die schöne Marchesa mich an ihrem Spieltisch sah, richtete sie an mich einige verbindliche Worte in französischer Sprache; ich antwortete ihr italienisch, da ich mich nicht in so großer Gesellschaft von ihr wollte auslachen lassen. Diese Scheu entsprang einem eigentümlichen Gefühl, über dessen Berechtigung zu urteilen ich dem Verstande des Lesers überlasse. Ich fand die Frau reizend, und doch floh ich sie. Nicht daß ich befürchtet hätte, mich in sie zu verlieben, denn ich liebte Lucrezia, und mich dünkte, diese Liebe müsse mir als Ägide gegen jede andere dienen; ich befürchtete vielmehr, sie könnte sich in mich verlieben oder wenigstens auf meine Bekanntschaft neugierig werden. War dies geckenhafte Eitelkeit oder Bescheidenheit? Laster oder Tugend? Vielleicht war es nichts von alledem.

Eines Abends ließ sie mich durch Abbate Gama zu sich rufen. Sie stand neben dem Kardinal, meinem Herrn, und sobald ich vor ihr erschien, überraschte sie mich ganz merkwürdig durch eine in italienischer Sprache an mich gerichtete Frage, an die ich niemals im Traume gedacht hätte: »Vi ha piaciuto molto Frascati?«

»Sehr, gnädige Frau. Ich habe niemals etwas so Schönes gesehen.«

»Ma la compagnia, con laquale eravate, era ancor più bella, ed assai galante era il vostro vis-à-vis.«6

Ich antwortete nur durch eine Verbeugung. Eine Minute darauf sagte Kardinal Acquaviva voll Güte: »Wundern Sie sich, daß man es weiß?« »Nein, gnädiger Herr; aber ich wundere mich, daß man davon spricht. Ich hätte Rom nicht für so klein gehalten.«

»Je länger Sie hier bleiben,« sagte mir Seine Eminenz, »desto kleiner werden Sie es finden. Sind Sie noch nicht beim Heiligen Vater gewesen, ihm den Fuß zu küssen?«

»Noch nicht, gnädiger Herr.«

»Sie müssen hingehen.« Ich antwortete durch eine Verbeugung.

Als ich fortging, sagte Abbate Gama mir, ich müsse am nächsten Tage zum Papst gehen. Dann fragte er: »Sie besuchen doch gewiß auch die Salons der Marchesa G.?«

»Nein, ich bin niemals dort gewesen.«

»Das wundert mich. Sie läßt Sie rufen; sie spricht mit Ihnen!«

»Ich werde mit Ihnen hingehen.«

»Ich verkehre dort niemals.«

»Aber sie spricht doch auch mit Ihnen.«

»Ja, aber… Sie kennen Rom nicht. Gehen Sie allein hin ! Sie müssen es tun.«

»Sie wird mich also empfangen?«

»Sie scherzen wohl. Es ist nicht davon die Rede, daß Sie sich anmelden lassen. Sie besuchen Sie, wenn die beiden Türflügel ihres Salons weit offen stehen. Sie werden dort alle ihre Anbeter treffen.«

»Wird sie mich bemerken?«

»Verlassen Sie sich darauf!«

Am anderen Morgen begab ich mich nach Monte Cavallo und ging geradeswegs in das Gemach des Papstes, nachdem man mir gesagt hatte, ich könne eintreten. Er war allein. Ich werfe mich vor ihm zu Boden und küsse das Heilige Kreuz auf seinem allerheiligsten Pantoffel.

Der Heilige Vater fragt mich, wer ich sei; ich sage es ihm, und er antwortet mir, er kenne mich und wünsche mir Glück, zum Hause eines so bedeutenden Kardinals zu gehören. Hierauf fragte er mich, wie es mir gelungen sei, diese Anstellung zu erhalten. Ich erzählte ihm alles von meiner Ankunft in Martorano bis zu meinem Eintritt beim Kardinal Acquaviva. Er lachte recht herzlich über meine Schilderung des guten armen Bischofs und sagte mir dann, ich brauche mir nicht den Zwang anzutun, mit ihm toskanisch zu sprechen; ich könne venetianisch reden, und er werde die Bologneser Mundart sprechen. Da ich mich in seiner Gegenwart behaglich fühlte, erzählte ich ihm so viel und amüsierte ihn mit meinen Geschichten so sehr, daß er mir sagte, ich würde ihm Vergnügen machen, so oft ich ihn besuchte. Ich bat ihn um Erlaubnis, alle verbotenen Bücher lesen zu dürfen; er gab sie mir, indem er mir seinen Segen erteilte. Er sagte, er wolle mir die Erlaubnis schriftlich ausfertigen lassen. Dies hat er aber vergessen.

Benedikt der Vierzehnte war gelehrt, liebenswürdig und ein Freund geistreicher Wendungen. Zum zweitenmal sah ich ihn in der Villa Medici. Er rief mich heran und sprach im Gehen mit mir über allerlei Kleinigkeiten. Bei ihm waren Kardinal Albani und der venetianische Gesandte. Ein Mann mit bescheidener Miene näherte sich, der Pontifer fragte ihn, was er wolle; der Mann spricht leise, der Papst hört ihn an und sagt hierauf: »Ihr habt recht; empfehlt Euch Gott.« Mit diesen Worten gibt er ihm den Segen, der arme Mann entfernt sich traurig, und der Heilige Vater setzt seinen Spaziergang fort.

»Dieser Mann, Allerheiligster Vater,« sagte ich, »ist von der Antwort Eurer Heiligkeit nicht sehr befriedigt.«

»Warum?«

»Weil er allem Anscheine nach sich bereits Gott empfohlen hatte, bevor er mit Ihnen sprach. Wenn nun Eure Heiligkeit ihn an Gott verweisen, so wird er, wie es im Sprichwort heißt, von Pontius zu Pilatus geschickt.«

Der Papst und seine beiden Begleiter lachen laut auf; ich bleibe ernst.

»Ich vermag«, versetzt der Papst, »nichts Rechtes ohne Gottes Beistand.«

»Das ist richtig, Heiliger Vater, aber der Mann da weiß auch, daß Eure Heiligkeit Gottes Premierminister sind; man kann sich also leicht denken, in welcher Verlegenheit er jetzt sein muß, da er an den Herrn zurückverwiesen wird. Er hat jetzt kein anderes Mittel mehr, als den römischen Bettlern Geld zu geben. Wenn er ihnen einen Bajocco gibt, werden sie alle für ihn beten. Sie rühmen ihren Einfluß bei Gott; ich aber glaube nur an den Eurer Heiligkeit und bitte mich von dem Verbot des Fleischessens zu entbinden, damit ich die Hitze los werde, die infolge des Genusses von Fastenspeisen mir die Augen entzündet.«

»Iß Fleisch, mein Kind.«

»Allerheiligster Vater, Ihren Segen!«

Er gab ihn mir, sagte aber dabei, er entbinde mich nicht von den vorgeschriebenen Fasten.

Am selben Abend war in der Gesellschaft beim Kardinal die Neuigkeit von meinem Gespräch mit dem Papst bereits bekannt. Nun wollte alles sich gerne mit mir unterhalten. Dies war schmeichelhaft für mich, noch schmeichelhafter aber war mir die Freude, die Kardinal Aquaviva vergeblich zu verbergen suchte.

Ich wollte den Rat des Abbate Gama nicht in den Wind schlagen und ging daher zur schönen Marchesa. Ich wählte die Stunde, wo jedermann freien Zutritt hatte. Ich sah sie, sah den Kardinal und viele andere geistliche Herren. Aber es kam mir vor, als sei ich unsichtbar; denn da die Signora mich mit keinem Blick beehrte, so sprach kein Mensch ein Wort zu mir. Nachdem ich eine halbe Stunde lang die Rolle eines Stummen gespielt hatte, ging ich fort. Fünf oder sechs Tage darauf sagte die Schöne mir in liebenswürdigem, aber vornehmem Ton, sie habe mich in ihrem Gesellschaftssaal bemerkt.

»Ich war in der Tat da; aber ich glaubte nicht die Ehre gehabt zu haben, von der Gnädigen bemerkt zu werden.«

»O, ich sehe einen jeden. Man hat mir gesagt, Sie hätten Geist.«

»Wenn die, die Ihnen dies gesagt haben, gnädige Frau, sich nicht täuschten, so machen Sie mir da eine sehr angenehme Mitteilung.«

»O, es sind Kenner.«

»Diese Herrschaften, gnädige Frau, müssen mir also die Ehre erwiesen haben, mit mir zu sprechen; denn sonst hätten sie wahrscheinlich niemals diese Bemerkung machen können.«

»Sicherlich. Aber lassen Sie sich doch bei mir sehen.«

Dieses Gespräch fand in der Gesellschaft beim Kardinal Acquaviva statt. Kardinal S. C. sagte mir, wenn die Frau Marchesa unter vier Augen französisch mit mir spreche, so müsse ich ihr in derselben Sprache antworten, so gut es eben gehe. Der diplomatische Gama nahm mich beiseite und sagte mir, meine Antworten seien zu scharf; ich würde dadurch auf die Dauer mißfallen.

Ich hatte im Französischen nämlich schnelle Fortschritte gemacht; ich nahm keine Stunden mehr und brauchte nur noch Übung, um mich zu vervollkommnen. Zu Lucrezia ging ich bisweilen morgens; abends aber war ich regelmäßig beim Abbate Georgi, der von meinem Ausflug nach Frascati wußte und ihn nicht getadelt hatte.

Zwei Tage, nachdem ich von der Marchesa eine Art von Befehl empfangen hatte, ging ich zu ihr. Sobald sie mich erblickte, begrüßte sie mich durch ein Lächeln, auf das ich mit einer tiefen Verbeugung antworten zu müssen glaubte. Das war alles. Eine Viertelstunde darauf ging ich. Die Marchesa war schön, sie war einflußreich. Aber ich konnte mich nicht entschließen, vor ihr zu kriechen. In Rom war das Brauch; aber dieser Brauch war mir widerwärtig.

Gegen Ende November kam eines Morgens Angelicas Bräutigam mit dem Advokaten zu mir und lud mich ein, mit der ganzen von mir in Frascati bewirteten Gesellschaft vierundzwanzig Stunden in Tivoli verbringen zu wollen. Ich nahm voll Freuden an, denn seit dem Ursulatag war ich niemals mit Lucrezia allein gewesen. Ich versprach ihm, mich bei Tagesanbruch wieder mit demselben Wagen zu Donna Cecilia begeben zu wollen. Wir mußten frühzeitig abfahren, denn Tivoli liegt sechzehn Miglien von Rom entfernt, und die vielen schönen Sehenswürdigkeiten nehmen eine Menge Zeit in Anspruch. Da ich die Nacht ausbleiben mußte, bat ich meinen Kardinal selber um Erlaubnis. Als er hörte, mit wem ich die Lustpartie machen sollte, sagte er mir, ich täte sehr recht daran, die Gelegenheit zu benutzen und den schönen Ort in so schöner Gesellschaft zu besichtigen.

Um halb acht hielten wir an einem Ort, wo wir, dank Don Francescos Vorsorge, ein ausgezeichnetes Frühstück fanden, dem wir alle Ehre antaten, da es kein Mittagessen geben sollte; denn in Tivoli blieb uns nur Zeit zum Abendessen. Nach dem Frühstück stiegen wir wieder ein und kamen um zehn Uhr an. Ich trug den schönen Ring am Finger, den Lucrezia mir gegeben hatte. Hinter dem Kasten hatte ich eine Emailleplatte anbringen lassen, worauf ein Merkurstab mit einer einzigen Schlange sich zwischen den beiden griechischen Buchstaben Alpha und Omega befand. Um diesen Ring drehte sich das Gespräch während des ganzen Frühstücks; der Advokat und Don Francesco gaben sich alle mögliche Mühe, die Bedeutung der rätselhaften Inschrift herauszubekommen, zur großen Belustigung Lucrezias, die das Geheimnis natürlich kannte.

Zunächst besichtigten wir aufmerksam die Behausung des Bräutigams. Es war ein richtiges Schmuckkästchen. Hierauf verbrachten wir in Gesellschaft sechs Stunden damit, uns die Altertümer von Tivoli anzusehen. Als bei irgendeiner Gelegenheit Lucrezia etwas dem Don Francesco leise ins Ohr sagte, benutzte ich diesen Augenblick, um zu Angelica zu sagen, wenn sie verheiratet sein würde, würde ich einige Tage der schönen Jahreszeit bei ihnen verbringen.

»Herr Abbate, sobald ich hier Herrin bin, werden Sie der erste sein, dem ich meine Tür verschließen lasse.«

»Ich bin Ihnen sehr verbunden, mein Fräulein, daß Sie mir diesen Wink gegeben haben.«

Das Spaßhafte dabei ist, daß ich ihre Ungezogenheit für eine einfache Liebeserklärung nahm. Ich war starr vor Staunen. Lucrezia bemerkte meinen Zustand, zupfte mich am Arm und fragte, was mir sei. Ich sagte es ihr, und nun sprach sie folgende Worte: »Lieber Freund, mein Glück kann nicht lange mehr dauern; der grausame Augenblick ist nah, wo ich mich von dir trennen muß. Sobald ich fort bin, mache es dir zur Aufgabe, sie zur Erkenntnis ihres Irrtums zu bringen. Sie bedauert mich – räche mich an ihr!«

Ich vergaß zu erzählen, daß ich bei der Besichtigung von Don Francescos Hause ein reizendes kleines Zimmer gelobt hatte, das an die Orangerie anstieß. Der Besitzer hatte dies gehört und sagte mir liebenswürdig, es sei für mich bestimmt. Lucrezia tat, als hörte sie es nicht; aber es war für sie der Ariadnefaden; da wir die Schönheiten Tivolis alle miteinander besuchen sollten, so konnten wir nicht darauf hoffen, uns den Tag über auch nur einen kurzen Augenblick miteinander allein zu befinden.

Wie gesagt verbrachten wir sechs Stunden damit, alle Schönheiten von Tivoli uns anzusehen, ich muß aber hier gestehen, daß ich für mein Teil sehr wenig sah; erst achtundzwanzig Jahre später lernte ich den schönen Ort in allen seinen Einzelheiten kennen.

Todmüde und mit einem Wolfshunger kamen wir gegen Abend nach Hause. Aber eine Stunde Ruhe vor dem Essen, zwei Stunden bei Tisch, die leckersten Speisen, die trefflichsten Weine, besonders der ausgezeichnete Wein von Tivoli – dies alles bekam uns so gut, daß ein jeder nur noch ein gutes Bett brauchte, um je nach seinem Geschmack darin zu schlafen oder zu wachen.

Da niemand allein schlafen wollte, sagte Lucrezia, sie würde mit Angelica das Zimmer neben dem Orangenhause nehmen, ihr Mann könne mit ihrem Bruder, dem jungen Abbate, zusammen schlafen und ihre Mutter mit der kleinen Schwester.

Diese Anordnung wurde für ausgezeichnet befunden. Don Francesco nahm eine Kerze und führte mich in mein hübsches Kämmerchen, unmittelbar neben dem Zimmer, wo die beiden Schwestern schlafen sollten. Nachdem er mir gezeigt hatte, wie ich mich einschließen könnte, wünschte er mir gute Nacht und ließ mich allein.

Angelica wußte nicht, daß ich ihr Nachbar war, aber Lucrezia und ich hatten uns verstanden, ohne uns ein Wort zu sagen.

Durch das Schlüsselloch sah ich hinter dem dienstbeflissenen Gastgeber, der einen Armleuchter trug, die beiden liebenswürdigen Schwestern eintreten. Er zündete eine Nachtlampe an, wünschte einen guten Abend und ging. Die beiden Schönen schlossen sich ein, setzten sich auf ein Sofa und machten ihre Nachttoilette, die in diesem glücklichen Klima der unserer Ältermutter gleicht. Lucrezia wußte, daß ich sie hörte, und sagte ihrer Schwerer, sie solle sich auf die Seite nach dem Fenster zu legen. Infolgedessen ging die Jungfrau, die ja keine Ahnung hatte, daß sie ihre Reize meinem unheiligen Auge preisgab, nackt durch das ganze Zimmer. Lucrezia löschte Lampe und Kerzen aus und legte sich an die Seite ihrer keuschen Schwester.

Glückliche Augenblicke! Ich weiß, ich kann auf solche nicht mehr hoffen, aber nur der Tod allein kann die Erinnerung an euch in mir auslöschen! Ich glaube, niemals habe ich mich so schnell entkleidet, wie an jenem Abend. Ich reiße die Tür auf. Ich sinke in Lucrezias Arme, die zu ihrer Schwester sagt: »Es ist mein Holder! Schweig und schlafe!«

Es war das einzige, was sie sprach. Kuß und Umarmung verscheuchten die Worte. Ausbruch innerer Fülle und inneren Lebens war das Feuer, das uns entflammte. Der Versuch, es beherrschen zu wollen, hätte uns verzehrt. Nur dadurch, daß wir der Flamme nicht wehrten, erkauften wir uns Ruhe.

In köstlicher Erschöpfung überließen wir uns endlich Morpheus‘ Armen. Die ersten Lichtstrahlen des Morgens, die durch die Spalten der Fensterläden drangen, entrissen uns diesem stärkenden Schlummer. Und wie zwei tapfere Krieger, die ihre Waffen nur sinken ließen, um mit um so größerer Glut den Kampf wieder zu beginnen, so überließen wir uns von neuem dem Feuer, das unsere Sinne entflammte.

»O meine Lucrezia, wie glücklich ist dein Geliebter! Aber, zärtliche Freundin, gib acht auf deine Schwester; sie könnte sich umdrehen und uns sehen.«

»Fürchte nichts, Seele meines Lebens! Meine Schwester ist reizend, sie liebt mich, sie beklagt mich; nicht wahr, gute Angelica, du liebst mich! O, dreh dich um! Seh deine Schwester glücklich! Erkenne das Glück, das deiner warte, wenn dich einst die Liebe ihrer süßen Herrschaft unterwirft.«

Angelica war siebzehn Jahr alt und war Jungfrau; sie mußte eine Nacht voller Tantalusqualen verbracht haben. Sie verlangte nichts Besseres, als einen Vorwand, um ihrer Schwester zeigen zu können, daß sie ihr verziehen hatte. Sie drehte sich um, gab Lucrezia hundert Küsse und gestand ihr, sie hätte kein Auge zutun können.

»Verzeih auch ihm, meine zärtliche Angelica, verzeih auch ihm, der mich liebt und den ich anbete!«

Unbegreifliche Macht des Gottes, der alle Wesen unterjocht!

»Angelica haßt mich!« rief ich, »ich wage nicht …«

»Nein, ich hasse Sie nicht!« sagte das reizende Kind.

»Küsse Sie, mein Freund!« sagte Lucrezia. Sie stieß mich auf ihre Schwester und sah mit Wonne diese schmachtend und regungslos in meinen Armen. Aber Gefühl noch mehr als Liebe verbietet mir, meine Lucrezia des Dankbarkeitszeichens zu berauben, das ich ihr schulde. Mit der ganzen Glut besinnungsloser Leidenschaft stürzte ich mich auf sie, und mein Feuer wächst noch, als ich Angelica in Ekstase sehe. Sie war zum erstenmal Zuschauerin des süßesten aller Liebeskämpfe. Lucrezia vergingen die Sinne; sie bat mich aufzuhören; da sie mich aber unerbittlich fand, entzog sie sich meiner Glut und statt ihrer opferte die sanfte Angelica zum erstenmal der Mutter der Liebe. Gewiß, so war es, als einst noch die Götter bei den Sterblichen wohnten – als die wollüstige Arcadia, verliebt in den sanften und anmutigen Hauch des Westwinds, ihm eines Tags die Arme öffnete und fruchtbar wurde. Es war der sanfte Zephyr.

Erstaunt und entzückt bedeckte Lucrezia bald die Schwester bald mich mit ihren Küssen. Angelica war ebenso glücklich wie ihre Schwester; zum drittenmal verging sie in meinen Armen in köstlicher Ohnmacht; sie war so feurig, so zärtlich, daß ich zum erstenmal das Glück der Liebe zu genießen glaubte.

Der blonde Phöbus hatte das bräutliche Lager verlassen, und schon verbreiteten seine Strahlen ihr Licht über das Weltall. Die Helligkeit, die durch die Spalten der Fensterläden drang, erinnerte mich daran, daß ich scheiden mußte. Ich nahm zärtlich Abschied von meinen beiden Göttinnen und zog mich in meine Kammer zurück. Wenige Augenblicke daraus erscholl bei meinen Nachbarinnen die lustige Stimme des guten Advokaten; er schalt seine Frau und Schwägerin aus, sie lägen zu lange im Bett. Dann klopfte er an meine Tür und drohte, er würde mir die Damen ins Zimmer schicken. Schließlich ging er fort, um mir einen Friseur zu besorgen.

Nachdem ich zahlreiche Abspülungen vorgenommen und sorgfältig Toilette gemacht hatte, fand ich, daß mein Gesicht sich allenfalls sehen lassen könne, und erschien mit stoischer Ruhe im Salon. Dort fand ich die beiden liebenswürdigen Schwestern inmitten der ganzen übrigen Gesellschaft und war entzückt vom rosigen Hauch ihrer Wangen. Lucrezia war fröhlich und ungezwungen und auf ihren Zügen malte sich das Glück. Angelica war frisch wie eine Rose am Morgen; sie war lebhafter als für gewöhnlich, aber sie vermied es, mich auch nur ein einziges Mal anzusehen. Ich sah, wie sie darüber lächelte, daß es mir nicht gelingen wollte, ihr ins Gesicht zu sehen; boshafterweise sagte ich nun zur Mutter, es sei schade, wenn Angelica Weiß auflege. Das Mädchen ging in diese Falle und verlangte, ich solle ihr mit einem Taschentuch übers Gesicht fahren. Dabei mußte sie mich denn wohl ansehen. Ich bat sie um Entschuldigung, und Don Francesco war entzückt, daß die weiße Haut seiner Zukünftigen einen so schönen Triumph errungen hatte.

Nach dem Frühstück machten wir einen kleinen Spaziergang im Garten. Als ich mit meiner Lucrezia allein war, machte ich ihr zärtliche Vorwürfe.

»Mache mir keine Vorwürfe!« rief sie. »Ich verdiene im Gegenteil nur Lob. Ich habe die Seele meiner reizenden Schwester aufgeklärt; ich habe sie in die süßesten Mysterien eingeweiht. Statt mich zu beklagen, muß sie mich jetzt beneiden; statt dich zu hassen, muß sie dich lieben. Da ich so unglücklich bin, bald von dir scheiden zu müssen, mein Freund, so lasse ich sie dir. Sie möge meine Stelle einnehmen.«

»Ah, Lucrezia! Wie könnte ich sie wohl lieben?!«

»Ist sie nicht reizend?«

»Ganz gewiß; aber meine Liebe zu dir feit mich gegen jede andere Liebe. Übrigens muß hinfort Don Francesco allein sie ganz und gar in Anspruch nehmen; ich möchte nicht schuld sein, daß ihre Liebe sich abkühlt, ich möchte nicht den Frieden ihrer Ehe stören. Auch bin ich sicher, daß deine Schwester ganz und gar von dir verschieden ist; ich möchte darauf wetten, sie bereut es schon, daß sie sich von ihrem Temperament hat fortreißen lassen.«

»Das kann wohl sein, mein Freund. Aber weißt du, was mich untröstlich macht? Mein Mann rechnet darauf, das Urteil bereits im Laufe der Woche zu erhalten, und dann sind die Augenblicke des Glückes für mich vorüber!«

Diese Nachricht betrübte mich. Um mich abzulenken, beschädigte ich mich bei Tisch viel mit dem hochherzigen Don Francesco. Ich versprach ihm ein Epithalamium für seine Hochzeit, die im Januarmonat stattfinden sollte.

Auf der Rückfahrt nach Rom verbrachte ich mit Lucrezia drei Stunden in meinem Visavis ohne daß sie eine Abnahme in der Lebhaftigkeit meiner Gefühle für sie hätte feststellen können. Bei unserer Ankunft fühlte ich mich ermüdet und stieg daher beim Spanischen Palast aus.

Wie Lucrezia mir gesagt hatte, erhielt ihr Mann drei oder vier Tage darauf den Urteilsspruch. Er kam zu mir, um mir unter vielen Freundschaftsbeteuerungen mitzuteilen, daß er am übernächsten Tage abreise. Die beiden letzten Abende verbrachte ich mit Lucrezia, doch stets inmitten ihrer Familie. Am Tage der Abreise wollte ich ihr eine angenehme Überraschung bereiten; ich fuhr voraus und erwartete sie an dem Ort, wo sie, wie ich glaubte, übernachten würden. Der Advokat war jedoch durch verschiedene unerwartete Umstände zurückgehalten worden und hatte erst vier Stunden später abreisen können, als er eigentlich wollte. Sie kamen daher erst am nächsten Tage um die Mittagszeit an. Nachdem wir miteinander gespeist hatten, nahmen wir traurig Abschied. Sie setzten ihre Reise fort, und ich kehrte nach Rom zurück.

Nach der Abreise dieser seltenen Frau empfand ich eine gewisse Leere; dies ist ja ziemlich natürlich bei einem jungen Menschen, dessen Herz nicht von Hoffnungen erfüllt ist. Ich arbeitete tagelang auf meinem Zimmer und machte Auszüge aus französischen Briefen, die der Kardinal selber verfaßt hatte. Seine Eminenz hatte die Güte, mir zu sagen, er finde meine Auszüge sehr sachlich; aber ich dürfe durchaus nicht soviel arbeiten. Die schöne Marchesa war dabei, als ich dieses schmeichelhafte Lob erhielt. Seit meinem zweiten Besuch hatte ich mich nicht wieder bei ihr sehen lassen. Daher schmollte sie mir, und um mich dies fühlen zu lassen, sagte sie dem Kardinal, ich müsse wohl so viel arbeiten, um den Kummer zu verscheuchen, den mir Lucrezias Abreise gewiß verursache.

»Ich will nicht verhehlen, gnädige Frau, daß ich den Schmerz tief empfinde. Sie war gut und hochherzig; vor allen Dingen verzieh sie mir, daß ich sie nur selten besuchte. Übrigens war meine Freundschaft unschuldig.«

»Daran zweifle ich nicht, obgleich Ihre Ode auf einen verliebten Dichter schließen läßt.«

»Unmöglich«, warf der Kardinal wohlwollend ein, »kann ein Dichter etwas schreiben, ohne sich wenigstens den Anschein der Verliebtheit zu geben.«

»Aber«, versetzte die Marchesa, »wenn er wirklich verliebt ist, so braucht er nicht ein Gefühl zu heucheln, das er ja besitzt.«

Mit diesen Worten zog die Marchesa ein Papier aus der Tasche und reichte es Seiner Eminenz: »Da ist die Ode! Sie machte dem Dichter und Verfasser alle Ehre, denn sie ist von allen schönen Geistern Roms als ein kleines Meisterwerk anerkannt, und Donna Lucrezia weiß sie auswendig.«

Der Kardinal überflog das Gedicht und gab es ihr lächelnd zurück, indem er sagte, er finde keinen Geschmack an italienischer Poesie, und wenn er es schön finden solle, müsse sie sich das Vergnügen machen, es ins Französische zu übersetzen.«

»Französisch schreibe ich nur Prosa,« sagte die Marchesa, »und jede Prosaübertragung nimmt Versen dreiviertel ihres Wertes.« Dann fuhr sie mit einem bedeutungsvollen Blick auf mich fort: »Ich gebe mich nur zuweilen damit ab, anspruchslose italienische Verse zu dichten.«

»Ich würde mich glücklich schätzen, gnädige Frau, wenn ich mir den Vorzug verschaffen könnte, einige von Ihren Versen kennenzulernen.«

»Hier habe ich«, sagte Kardinal S. C., »ein Sonett der Frau Marchesa«

Ich nahm es ehrfurchtsvoll entgegen und wollte es lesen, doch die liebenswürdige Marchesa sagte mir, ich möchte es in die Tasche stecken; ich könnte es am nächsten Tage dem Kardinal zurückgeben, obwobl es nicht viel wert wäre.

»Wenn Sie morgen früh ausgehen,« sagte mir der Kardinal, »können Sie es mir zurückgeben, indem Sie zu mir zum Essen kommen.«

Kardinal Acquaviva ergriff das Wort urd sagte: »Nun so wird er morgen auf alle Fälle ausgehen.«

Nach einer tiefen Verbeugung, die alles sagte, entfernte ich mich langsam und ging auf mein Zimmer hinauf. Ich war ungeduldig, das Sonett zu lesen. Bevor ich aber diese Ungeduld befriedigte, verweilte ich noch einen Augenblick, um eine kurze Musterung über mich selbst abzuhalten. Meine gegenwärtige Lage schien mir einige Aufmerksamkeit zu verdienen, nachdem ich am letzten Abend einen Riesenschritt vorwärts getan hatte, wie mir schien. Die Marchesa G. erklärt mir auf die unzweideutigste Art ihr Interesse für mich und fürchtet mit ihrer hoheitsvollen Miene sich nicht bloßzustellen, indem sie mir öffentlich auf das schmeichelhafteste entgegenkommt. Aber wer hätte sich’s können einfallen lassen, daran etwas auszusetzen? Ein junger Abbate wie ich war vollkommen ohne Bedeutung und konnte kaum Anspruch auf ihre hohe Protektion erheben, die sie, so wie sie nun einmal war, gerade solchen gerne gewährte, die sich derselben nicht wert hielten und daher auch anscheinend gar keinen Anspruch darauf erhoben. In dieser Hinsicht mußte meine Bescheidenheit aller Welt in die Augen springen, und die Marchesa hätte mich ohne Zweifel beleidigt, wenn sie mir zugetraut hätte, ich könnte mir einbilden, sie hätte auch nur im geringsten Geschmack an mir gefunden. Nein, eine derartige geckenhafte Eitelkeit ist mir ganz gewiß nicht eigen. Beweis dafür: der Kardinal selbst lud mich zu Tisch ein. Hätte er das getan, wenn er es für möglich gehalten hätte, daß ich seiner schönen Marchesa gefallen könnte? Nein, ganz gewiß nicht.

Warum sollte ich mich vor meinen Lesern verstellen? Mögen sie mich für einen eitlen Gecken nehmen – ich verzeihe es ihnen. Aber es ist Tatsache: ich fühlte mit Bestimmtheit, daß ich der Marchesa gefallen hatte. Ich wünschte mir Glück, daß sie diesen ersten so wichtigen und so schwierigen Schritt getan hatte. Sonst hätte ich nicht nur niemals gewagt, sie mit den herkömmlichen Mitteln anzugreifen, sondern es wäre mir nicht einmal eingefallen, ein Auge auf sie zu werfen. Mit einem Wort: erst von diesem Abend an erschien sie mir als das Weib, das mir meine Lucrezia ersetzen konnte. Sie war schön, jung, geistvoll und gebildet; sie war in den Wissenschaften bewandert, und mehr als das: sie war mächtig in ganz Rom. Was brauchte ich mehr?

Trotzdem hielt ich es für gut, scheinbar ihre Neigung für mich nicht zu bemerken und gleich vom nächsten Tage an sie zum Glauben zu bringen, ich liebte sie, ohne die geringste Hoffnung zu hegen. Ich wußte, dies war ein unfehlbares Mittel; ich schonte dadurch ihre Eitelkeit. Mein Plan schien mir danach angetan, den Beifall des Vaters Georgi selber zu erringen. Übrigens hatte ich mit lebhafter Befriedigung bemerkt, daß die Einladung des Kardinals S. C. meinem Kardinal Acquaviva viel Vergnügen machte. Er selber hatte mir solche Ehre noch nie erwiesen. Diese Einladung konnte Folgen haben, die nicht abzusehen waren.

Ich las das Sonett der liebenswürdigen Marchesa und fand es gut, fließend, gewandt und ausgezeichnet stilisiert. Sie pries darin den König von Preußen, der soeben durch eine Art von Handstreich sich Schlesiens bemächtigt hatte. Als ich es abschrieb, hatte ich den Einfall, Schlesien zu personifizieren und eine Antwort auf das Sonett geben zu lassen, als dessen Verfasserin ich die Liebe annahm. Silesia beklagte sich bei der Liebe, daß sie ihren Besieger preise, obwohl dieser Eroberer ein erklärter Feind der Liebe sei.

Wenn jemand gewohnt ist, Verse zu machen, so kann er sich dessen unmöglich enthalten, sobald ein glücklicher Einfall seiner bezauberten Einbildungskraft zugelächelt hat. Das poetische Feuer, das sich dann durch seine Adern ergießt, würde ihn verzehren, wenn er ihm den freien Ausweg verwehren wollte. Ich machte mein Sonett mit denselben Reimen wie das der Marchesa sie hatte; dann ging ich, zufriede mit meinem Apollo, zu Bett.

Am anderen Morgen, als ich gerade damit fertig war, mein Sonett abzuschreiben, kam Abbate Gama zu mir und lud sich bei mir zum Frühstück ein. Er wollte mir Glück wünschen zu der Ehre, die Kardinal S. C. mir erwiesen, indem er mich öffentlich vor der ganzen Gesellschaft zu Tisch eingeladen hätte.

»Aber seien Sie vorsichtig!« fuhr er fort, »Seine Eminenz gilt für eifersüchtig.«

Ich dankte ihm für den freundschaftlichen Rat und versicherte ihm nachdrücklich, ich hätte nichts zu besorgen, denn ich spürte keinerlei Neigung für seine schöne Marchesa.

Kardinal S. C. empfing mich mit großer Güte, in die sich aber eine gewisse Würde mischte, um mich die ganze Bedeutung der mir von ihm erwiesenen Gnade fühlen zu lassen.

»Haben Sie«, fragte er, »das Sonett der Marchesa gut gefunden?«

»Gnädiger Herr, ich fand tadellos und, was mehr sagen will: reizend. Hier ist es.«

»Sie hat viel Talent. Ich will Ihnen zehn Stanzen von ihrer Feder zeigen, Abbate, aber unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit.«

»Darauf können Eure Eminenz sich völlig verlassen.«

Er holte aus seinem Schreibtisch die Stanzen, die an ihn selber gerichtet waren. Ich las sie; sie waren gut gemacht, aber ich fand, sie hatten kein Feuer, sie waren das Werk einer Dichterin: Liebe in leidenschaftlichem Stil, aber man vermißte in ihnen das Gefühl, das ein Gedicht sofort als wahr erkennen läßt. Der gute Kardinal beging ohne Zweifel eine große Indiskretion; aber wie vieles begeht nicht die Eitelkeit! Ich fragte Seine Eminenz, ob sie auf die Stanzen geantwortet habe. »Nein,« sagte er, »aber würden Sie wohl«, fuhr er lachend fort, »mir Ihre Feder leihen – selbstverständlich stets unter der Bedingung unverbrüchlichen Schweigens?«

»Für Verschwiegenheit, Monsignore, stehe ich mit meinem Kopfe ein; aber ich fürchte, die gnädige Frau könnte die Verschiedenheit des Stils bemerken.«

»Sie besitzt keine Verse von mir; übrigens glaube ich nicht, daß sie mich für einen Dichter hält, und deshalb müssen auch Ihre Stanzen so sein, daß sie sie nicht zu gut für meine schwachen Kräfte finden kann.«

»Ich werde sie dichten, gnädiger Herr, und Eure Eminenz werden selber das Urteil abgeben. Wenn Sie sie nicht mehr als Ihre eigene Arbeit ihr glauben geben zu können, so behalten Sie sie.«

»Ja, so ist es gut. Wollen Sie sie sofort machen?«

»Sofort, gnädiger Herr? Es ist keine Prosa.«

»Nun, so sehen Sie zu, daß Sie sie mir morgen geben können.« Wir speisten selbzweit, und Seine Eminenz wünschte mir Glück zu meinem Appetit; er sehe mit Vergnügen, sagte er, daß ich in dieser Hinsicht ebensoviel leiste wie er. Ich begann, das Original zu erkennen und sagte, um ihm zu schmeicheln: er erweise mir zuviel Ehre, ich müsse hinter ihm zurückstehen. Dieses eigentümliche Kompliment gefiel ihm, und ich sah nun, wie großen Vorteil ich von dieser Eminenz haben könnte

Gegen Ende der Mahlzeit, als wir im besten Plaudern waren, trat die Marchesa ein, selbstverständlich ohne sich anmelden zu lassen. Ihr Anblick entzückte mich: ich fand in ihr eine vollkommene Schönheit. Sie ließ dem Kardinal keine Zeit, ihr entgegenzutreten, sondern setzte sich neben ihn; ich blieb stehen: so gehörte es sich.

Die Marchesa tat, als bemerke sie mich gar nicht; sie sprach geistreich über verschiedenes bis zu dem Augenblick, wo der Kaffee gebracht wurde. Da richtete sie das Wort an mich und sagte mir, ich möchte mich setzen; aber in einem Tone, wie wenn sie mir ein Almosen reichte.

»Was ich sagen wollte, Abbate,« sagte sie einen Augenblick darauf, »haben Sie mein Sonett gelesen?«

»Ja, gnädige Frau; und ich hatte die Ehre, es Monsignore zurückzugeben. Ich fand es so gelungen, daß ich überzeugt bin, es hat Ihnen viel Zeit gekostet.«

»Zeit?« rief der Kardinal, »da kennen Sie sie nicht.«

»Gnädiger Herr,« versetzte ich, »ohne Zeitaufwand macht man nichts Rechtes. Aus diesem Grunde wagte ich auch nicht, Euerer Eminenz eine Antwort auf das Sonett zu zeigen, die ich in einer halben Stunde gedichtet habe.«

»Zeigen Sie sie her, Abbate,« sagte die Marchesa; »ich will sie lesen.«

Antwort Silesias an die Liebe. Dieser Titel ließ sie aufs lieblichste erröten. »Von Liebe ist nicht die Rede!« rief der Kardinal. »Warten Sie!« sagte die Marchesa, »man muß den Einfall des Dichters achten.«

Sie las mein Sonett zweimal und fand die von Silesia an die Liebe gerichteten Vorwürfe sehr berechtigt. Sie setzte meinen Gedanken dem Kardinal auseinander, indem sie ihm klarmachte, warum Silesia beleidigt wäre, daß gerade der König von Preußen sie erobert hätte.

»Ach so! Ja!« rief der Kardinal freudestrahlend: »Silesia ist ein Weib, und der König von Preußen … oh! oh! der Gedanke ist göttlich!« Und der Kardinal lachte länger als eine Viertelstunde aus vollem Halse. »Ich will das Sonett abschreiben«, rief er endlich. »Ich will es auf alle Fälle besitzen!«

»Der Abbate«, sagte die Marchesa, »wird Ihnen die Mühe ersparen; ich werde es ihm diktieren.«

Ich setzte mich zum Schreiben nieder; plötzlich aber rief Seine Eminenz: »Ach; Marchesa, das ist ja wunderbar; er hat das Sonett mit den Reimen des Ihrigen gemacht. Haben Sie’s bemerkt?«

Die Marchesa warf mir einen so ausdrucksvollen Blick zu, daß Sie mich vollends zu ihrem Sklaven machte. Ich begriff, was sie wollte: ich sollte den Kardinal kennenlernen, wie sie selber ihn kannte, und wir sollten gemeinsam vorgehen. Ich fühlte mich vollkommen dazu aufgelegt, ihr beizustehen.

Sobald ich nach dem Diktat der reizenden Frau das Sonett geschrieben hatte, wollte ich mich empfehlen; der Kardinal war so entzückt, daß er mir sagte, er erwarte mich am nächsten Tage zu Tisch.

Ich hatte viel Arbeit vor mir; denn die zehn Stanzen, die ich zu dichten hatte, waren ganz eigener Art. Ich zog mich daher schleunigst auf mein Zimmer zurück, um in aller Muße nachdenken zu können. Ich mußte mich in acht nehmen, daß ich mich nicht zwischen zwei Stühle setzte, und ich fühlte, daß ich dazu aller meiner Geschicklichkeit bedurfte. Ich mußte die Marchesa instand setzen, so zu tun, als ob sie den Kardinal für den Verfasser der Stanzen hielte, zu gleicher Zeit aber mußte sie genötigt sein, das Gedicht mir zuzuschreiben, und sie durfte nicht daran zweifeln können, daß ich das wußte. Ich mußte viel Zurückhaltung beobachten, daß sie mich nicht in Verdacht haben konnte, Hoffnungen zu hegen, und trotzdem mußten unter dem durchsichtigen Schleier der Dichtung meine Verse von feurigstem Gefühl durchglüht sein. Vom Kardinal wußte ich, daß er um so eher geneigt sein würde, sich meine Stanzen anzueignen, je hübscher er sie fände. Es handelte sich nur darum, klar zu sein – und das ist in der Poesie so schwer; Dunkelheit dagegen hätte in den Augen meines neuen Midas für Erhabenheit gegolten. Aber obwohl mir sehr viel daran lag, ihm zu gefallen, kam bei dieser Sache der Kardinal nur in zweiter Linie in Betracht, in erster dagegen die schöne Marchesa.

Die Signora gab in ihren Versen eine pomphafte Auszählung der körperlichen und moralischen Eigenschaften des Kardinals; ich durfte daher nicht versäumen, ihr dies mit Gleichem zu vergelten, und ich tat es um so lieber, da die Aufgabe leicht war. Voll von meinen Stoff machte ich mich ans Werk; ich ließ meiner Phantasie und dem doppelten Gefühl, das mich beherrschte, freien Lauf und beendigte schließlich meine zehn Stanzen mit den beiden schönen Versen Ariostos:

Le angeliche belezze nate al cielo
Non si ponno celar sotto alcun velo.

Die Engelschönheit aus des Himmels Auen,
Kein Schleier hindert ihren Glanz zu schauen.

Ziemlich zufrieden mit meinem kleinen Werk brachte ich es am anderen Tage zu Seiner Eminenz. Ich sagte, ich zweifle, daß er sich als Verfasser eines so mittelmäßigen Erzeugnisses werde bekennen wollen. Er las die Verse wiederholt sehr schlecht und sagte mir schließlich, sie seien ja allerdings nicht viel wert, aber das sei gerade gut in diesem Fall. Besonders dankte er mir für die Verwendung der beiden Ariostschen Verse; er würde um so eher als Verfasser des Ganzen gelten, weil die Marchesa glauben würde, er habe die Anleihe bei Ariost nötig gehabt. Gleichsam zum Trost sagte er mir zu guter Letzt, er werde bei Abschreiben noch einige Fehler in die Verse hineinbringen; dadurch werde die Illusion vollständig werden.

Wir speisten etwas früher als am Tag vorher, und ich ging gleich nach dem Essen fort, damit er Zeit hätte, vor der Ankunft seiner Dame die Verse abzuschreiben.

Am nächsten Abend begegnete ich ihr am Tor des Palastes; ich reichte ihr den Arm, um ihr beim Aussteigen aus dem Wage zu helfen. Sobald sie stand, sagte sie zu mir: »Wenn man in Rom etwas von Ihren und meinen Stanzen erfährt, können Sie auf meine Feindschaft rechnen.«

»Gnädige Frau, ich weiß nicht, was Sie meinen.«

»Diese Antwort hatte ich erwartet; aber lassen Sie sich’s gesagt sein.«

Ich begleitete sie bis an die Türe des Salons und entfernte mich, Verzweiflung im Herzen, denn ich glaubte, sie sei allen Ernstes aufgebracht.

»Meine Stanzen«, sprach ich bei mir selbst, »sind zu feurig, sie stellen ihren Stolz bloß, und ihr Selbstgefühl wird sich beleidigt gefühlt haben, daß ich so tief in das Geheimnis ihres Verhältnisses eingedrungen bin. Trotzdem bin ich überzeugt, daß ihre angebliche Furcht vor einer Indiskretion erheuchelt ist. Sie ist nur ein Vorwand, mich in Ungnade fallen zu lassen. Sie hat meine Zurückhaltung gar nicht begriffen. Was hätte sie denn machen wollen, wenn ich sie in der Nacktheit des goldenen Zeitalters geschildert hätte, ohne alle jene Schleier, die die Scham ihrem Geschlecht anzulegen gebietet.« Ich bedauerte, es nicht getan zu haben. Schließlich zog ich mich aus und ging zu Bett. Ich lag im halben Traum, da klopfte Abbate Gama an meine Tür. Ich zog die Schnur, er trat ein und sagte: »Mein Lieber, der Kardinal möchte Sie sehen: die schöne Marchesa und Kardinal S. C. wünschen, daß Sie herunterkommen.«

»Es tut mir leid, aber ich kann nicht. Sagen Sie ihnen die Wahrheit: daß ich zu Bett liege und krank bin.«

Da der Abbate nicht wiederkam, so dachte ich mir, er werde wohl meine Bestellung ausgerichtet haben, und verbrachte die Nacht ziemlich ruhig. Am anderen Morgen war ich noch nicht fertig angezogen, als ich ein Briefchen vom Kardinal S. C. erhielt. Er lud mich zum Essen ein und teilte mir mit, er habe zur Ader gelassen und müsse mich sprechen; er forderte mich auf, recht früh zu ihm zu kommen, selbst wenn ich krank wäre.

Das war dringend. Ich konnte nicht ahnen, was los war; aber um etwas Unangenehmes schien es mir nach diesem Brief sich nicht zu handeln. Ich ging in die Messe, wo Kardinal Aquaviva mich bemerken mußte. Dies geschah denn auch. Nach der Messe winkte Monsignore mich zu sich heran und fragte: »Sind Sie wirklich krank?«

»Nein, gnädiger Herr, ich hatte nur Lust zu schlafen.«

»Das freut mich sehr; aber Sie hahen unrecht, denn man ist Ihnen gut. Der Kardinal läßt heute zur Ader.«

»Ich weiß es, Monsignore. Er teilt es mir in diesem Briefchen mit, worin er mich einladet, zu ihm zum Essen zu kommen, wenn Eure Eminenz es erlauben wollen.«

»Sehr gern. Aber das ist scherzhaft! Ich glaubte nicht, daß er einen Dritten nötig hätte.«

»Wird denn ein Dritter dort sein?«

»Davon weiß ich nichts, und ich bin neugierig darauf.«

Hierauf entließ der Kardinal mich, und alle Anwesenden glaubten, Seine Eminenz habe mit mir von Staatsgeschäften gesprochen.

Ich ging zu meinem neuen Mäcen, den ich im Bett fand.

»Ich muß heute Diät halten,« sagte er zu mir; »Sie werden allein speisen, aber Sie kommen dabei nicht zu kurz, denn mein Koch weiß nichts davon. Ich habe Ihnen was zu sagen: ich fürchte Ihre Stanzen sind zu hübsch, denn die Marchesa ist ganz vernarrt darin. Hätten Sie sie mir so vorgelesen, wie sie es getan hat, so hätte ich mich nicht entschließen können, sie für mein Werk auszugehen.«

»Aber sie glaubt doch, daß die Verse von Eurer Eminenz sind?«

»Ganz gewiß.«

»Das ist die Hauptsache, gnädiger Herr.«

»Ja. Aber was sollte ich anfangen, wenn sie Lust bekäme, noch mehr Verse auf mich zu machen?«

»Sie würden ihr auf dieselbe Weise antworten, denn Sie können Tag und Nacht über mich verfügen und sich vollkommen auf meine unverbrüchliche Verschwiegenheit verlassen.«

»Ich bitte Sie, dies kleine Geschenk anzunehmen; es ist Negrillo von Havanna, den mir Kardinal Acquaviva gegeben hat.«

Der Tabak war gut, aber die Verpackung war besser: sie bestand in einer prachtvollen Dose aus emailliertem Gold. Ich nahm sie ehrfurchtsvoll und mit dem Ausdruck gerührter Dankbarkeit entgegen.

Wenn die Eminenz auch keine Verse machen konnte, so wußte sie doch zu schenken, und zwar in vornehmer Form zu schenken; und diese Kunst ist an einem hohen Herrn unendlich viel mehr wert als jene andere.

Gegen Mittag sah ich zu meiner großen Überraschung die schöne Marchesa in einem sehr eleganten Hauskleide erscheinen. »Hätte ich gewußt, daß Sie gute Gesellschaft haben,« sagte sie zum Kardinal, »so wäre ich nicht gekommen.«

»Ich bin überzeugt, liebe Marchesa, die Gegenwart unseres Abbate wird Ihnen nicht unangenehm sein.«

»Nein, denn ich halte ihn für anständig.«

Ich hielt mich in achtungsvoller Entfernung bereit, bei der erstem Stichelrede der Dame mich mit meiner schönen Tabaksdose aus dem Staube zu machen. Der Kardinal fragte sie, ob sie zu Mittag speisen würde. »Ja,« antwortete sie; »aber schlecht, denn ich esse nicht gerne allein.«

»Wenn Sie ihm die Ehre erweisen wollen, wird der Abbate Ihnen Gesellschaft leisten.«

Sie warf mir einen freundlichen Blick zu, sagte aber keinen Ton.

Es war das erstemal, daß ich mit einer Dame der großen Welt zu tun hatte. Ihre Protektionsmiene, so wohlwollend sie auch war, brachte mich aus der Fassung; denn Begönnerung kann nichts mit Liebe zu schaffen haben. Aber da sie sich in Gegenwart des Kardinals befand, so begriff ich, daß ihr Verhalten wahrscheinlich durch die Schicklichkeit geboten wäre.

Der Tisch wurde neben dem Bett des Kardinal gedeckt, und die Marchesa, die fast gar nichts aß, ermunterte meinen glücklichen Appetit.

»Ich habe Ihnen gesagt, der Abbate gibt mir nichts nach«, sagte S. C.

»Ich glaube auch, es fehlt nicht viel daran; aber Sie sind leckerer«, fügte sie hinzu, um ihm zu schmeicheln.

»Frau Marchesa, dürfte ich mir die Bitte erlauben, mir sagen zu wollen, warum Sie mich für einen großen Esser, aber nicht für einen Feinschmecker halten? Denn von allem liebe ich nur die feinen, auserlesenen Bissen.«

»Erklären Sie das näher, sagte der Kardinal.

Ich erlaubte mir zu lachen und sagte in improvisierten Versen alles her, was mir von feinen und auserlesenen Speisen gerade einfiel. Die Marchesa klatschte Beifall und sagte mir, sie bewundere meinen Mut.

»Mein Mut, gnädige Frau, ist Ihr Mut; denn ich bin furchtsam wie ein Hase, wenn man mich nicht ermutigt: Sie sind die Urheberin meiner Improvisation.«

»Ich bewundere Sie. Ich könnte keine vier Verse hersagen, ohne sie niedergeschrieben zu haben, und wenn der Gott des Pindus selber mich ermutigte.«

»Wagen Sie sich Ihrem Genius zu überlassen, gnädige Frau, und Sie werden göttliche Sachen sagen.«

»Das glaube ich auch,« rief der Kardinal. »Bitte erlauben Sie mir doch, daß ich dem Abbate Ihre zehn Stanzen zeige.«

»Sie sind nachlässig gemacht. Aber ich bin damit einverstanden – vorausgesetzt, daß es unter uns bleibt.«

Der Kardinal gab mir nun die Stanzen der Marchesa, und ich las sie auf eine Art, daß dadurch alle ihre Schönheiten hervortraten.

»Wie Sie es gelesen haben!« sagte die Marchesa. »Es kommt mir vor, als seien die Verse gar nicht von mir. Ich danke Ihnen. Aber haben Sie die Güte und lesen Sie in derselben Weise die Stanzen vor, die Seine Eminenz als Antwort auf die meinigen gedichtet hat. Sie sind bei weitem besser.«

»Glauben Sie das nicht, Abbate! sagte der Kardinal, indem er mir die Verse gab. »Aber geben Sie sich Mühe, daß beim Vorlesen nichts verloren geht!«

Seine Eminenz hatte sicherlich nicht nötig, mir dies zu empfehlen; denn es waren meine eigenen Verse, und es wäre mir unmöglich gewesen, sie nicht so gut zu lesen wie ich nur konnte, besonders da die Frau, die mich zu diesen Versen begeistert hatte, mir gegenübersaß. Außerdem hatte Bacchus meinen Apoll erwärmt und die schönen Augen der Marchesa vermehrten noch die Glut, die alle meine Sinne durchströmte.

Ich las die Stanzen so, daß der Kardinal ganz entzückt war. Aber die Stirn der schönen Frau übergoß sich mit roter Glut, als ich an die Beschreibung jener Schönheiten kam, die des Dichters Einbildungskraft erraten darf, die ich aber nicht gesehen haben konnte. Sie riß mir mit ärgerlicher Miene das Papier aus der Hand und sagte, ich schöbe Verse unter. Dies war richtig, aber ich hütete mich wohl, es einzugestehen. Ich war ganz und gar entflammt, und sie glühte nicht weniger als ich.

Der Kardinal war eingeschlafen; sie stand auf, um sich auf die Terrasse zu setzen; ich folgte ihr dorthin. Sie saß auf dem Geländer; ich stand vor ihr, so daß ihr Knie meine Uhr berührte. Welche Stellung! Ich ergriff sanft eine ihrer Hände und sagte ihr, sie habe eine verzehrende Flamme in meine Seele geworfen; ich bete sie an, und wenn ich nicht hoffen könne, bei ihr Verständnis für meinen Liebesschmerz zu finden, sei ich entschlossen, sie auf ewig zu meiden.

»Geruhen Sie, schöne Marchesa, mir mein Urteil zu sprechen.«

»Ich halte Sie für ausschweifend und unbeständig.«

»Ich bin keins von beiden.« Mit diesen Worten preßte ich sie an meine Brust und drückte auf ihre schönen Rosenlippen einen wonnigen Kuß, den sie, ohne sich zu sträuben, empfing. Dieser Kuß, Vorläufer der süßesten Wonnen, machte meine Hände außerordentlich kühn und ich wollte… Da nahm die Marchesa eine andere Stellung ein und bat mich so sanft, ihrer zu schonen, daß ich eine neue Wollust im Gehorsam fand. Ich ließ nicht nur davon ah, einen Sieg zu verfolgen, der wohl möglich gewesen wäre, sondern ich bat sie sogar um Verzeihung, die ich leicht im sanftesten Blick lesen konnte.

Sie sprach hierauf mit mir über Lucrezia, und meine Verschwiegenheit mußte sie entzücken. Dann brachte sie die Rede auf den Kardinal. Sie wollte mich glauben machen, zwischen ihm und ihr bestehe nur ein reines Freundschaftsverhältnis. Ich wußte wohl Bescheid, aber es lag in meinem Interesse, mich so zu stellen, als glaube ich ihr ohne Einschränkung alles. Dann gingen wir dazu über, Verse unserer besten Dichter herzusagen. Sie saß, und ich stand vor ihr und konnte meine Blicke an ihren Reizen weiden, gegen die ich anscheinend unempfindlich blieb. Ich war entschlossen, an diesem Tage keinen schöneren Sieg zu erstreben, als ich bereits errungen hatte.

Der Kardinal war aus seinem langen friedlichen Schlummer erwacht; er kam in der Nachtmütze zu uns hinaus und fragte gutmütig, ob wir nicht ungeduldig geworden seien, auf ihn zu warten. Ich blieb bei ihnen bis zur Dämmerung. Dann ging ich. Ich war mit dem Erfolg des Tages sehr zufrieden und fest entschlossen, meine Glut im Zaum zu halten, bis sich der Augenblick eines völligen Sieges mir von selber darböte.

Von diesem Tage an gab die Marchesa mir fortwährend Beweise einer besonderen Hochschätzung und legte sich nicht den geringsten Zwang mehr auf. Ich rechnete auf den nahen Karneval, denn ich war überzeugt, je mehr ich ihr Zartgefühl schonte, desto lieber würde sie selber für eine Gelegenheit sorgen, mich den Lohn für meine Treue, Zärtlichkeit und Beständigkeit ernten zu lassen.

Aber das Schicksal hatte es anders beschlossen; denn in dem Augenblicke, wo der Papst und mein Kardinal ernsthaft daran dachten, meiner Existenz eine feste Grundlage zu geben, drehte mir das Glück den Rücken.

Der Heilige Vater hatte mir zu der vom Kardinal S.C. geschenkten prachtvollen Tabaksdose Glück gewünscht, aber er hatte es vermieden, jemals den Namen der Marchesa zu erwähnen. Kardinal Acquaviva gab unverhohlen seine Befriedigung kund, daß sein Kollege mir seinen Negrillo in einer so schönen Hülle gegeben hatte. Abbate Gama wagte mir keine Ratschläge mehr zu geben, als er mich auf so schönem Wege sah, und der tugendhafte Vater Georgi beschränkte seinen Rat darauf, daß er mir sagte, ich solle mich an die schöne Marchesa halten und mich vor anderen Bekanntschaften recht in acht nehmen.

So war meine wirklich glänzende Lage, als ich am Weihnachtstage den Liebhaber der hübschen Barbara Dalacqua bei mir eintreten sah. Er schloß die Tür auf, warf sich auf mein Sofa und rief, ich sähe ihn zum letztenmal. Er wolle mich nur um einen guten Rat bitten.

»Welchen Rat kann ich Ihnen geben?«

»Da, lesen Sie diesen Brief, und Sie wissen alles.«

Der Brief war von seiner Geliebten: der Inhalt besagte etwa folgendes: »Ich trage unter meinem Herzen ein Pfand unserer Liebe; ich kann nicht mehr daran zweifeln, geliebter Freund, und erkläre Dir hiermit, daß ich entschlossen bin, ganz allein von Rom fortzugehen und zu sterben, wo Gott will, wenn Du Dich nicht meiner annimmst. Lieber will ich das Ärgste ertragen, als mich meinem Vater entdecken.«

»Wenn Sie ein Ehrenmann sind,« sagte ich ihm, »können Sie sie nicht verlassen. Heiraten Sie sie, Ihren beiden Vätern zum Trotz, und leben Sie als gute Eheleute miteinander. Die ewige Vorsehung wird über Ihnen wachen.«

Nachdem ich ihm diesen Rat gegeben hatte, schien er ruhiger geworden zu sein und ging.

Zu Anfang des Jahres 1744 sah ich ihn wieder bei mir erscheinen. Diesmal machte er ein sehr zufriedenes Gesicht. »Ich habe«, erzählte er mir, »das oberste Stockwerk des Hauses gemietet, das an das Dalacquasche anstößt. Barbara weiß es. Heute nacht klettere ich durch die Dachluke auf ihren Boden, und wir verabreden den Zeitpunkt der Entführung. Mein Entschluß steht fest; ich gehe mit ihr nach Neapel, und da die Magd, die auf dem Dachboden schläft, um die Flucht wissen muß, so nehme ich auch diese mit.«

»Gott gebe Ihnen sein Geleit!«

Acht Tage später sah ich gegen elf Uhr abends ihn und einen Abbate in mein Zimmer eintreten.

»Was wollen Sie von mir zu dieser späten Stunde?«

»Ich möchte Ihnen diesen schönen Abbate vorstellen.«

Ich sehe diesen Abbate an und erkenne in ihm mit Entsetzen Barbara. »Hat man Sie eintreten sehen?« frage ich.

»Nein. Und wenn auch – ’s ist eben ein Abbate. Wir gehen allnächtlich miteinander aus.«

»Meinen Glückwunsch dazu!«

»Die Magd ist mit uns im Bunde; sie ist damit einverstanden, uns zu begleiten. Alle Vorbereitungen sind getroffen.«

»Ich wünsche Ihnen guten Erfolg. Addio! Bitte, gehen Sie!«

Als ich ein paar Tage darauf mit dem Abbate Gama in der Villa Medici spazierenging, sagte er mir infolge irgendeiner Bemerkung, im Laufe der Nacht werde auf dem Spanischen Platz eine Exekution stattfinden.

»Was für eine Exekution denn?«

»Der Bargello oder sein Leutnant wird einen ordine santissimo ausführen oder irgendein verdächtiges Haus durchsuchen, um jemanden festzunehmen, der nicht darauf gefaßt ist.«

»Woher weiß man das?«

»Seine Eminenz muß es wissen, denn der Papst würde es nicht wagen, in seine Gerichtsbarkeit einzugreifen, ohne ihn um Erlaubnis zu fragen.«

»Er hat ihm also diese Erlaubnis gegeben?«

»Ja. Ein Auditor des Heiligen Vaters hat ihn heute morgen darum gebeten.«

»Aber unser Kardinal hätte sie verweigern können?«

»Gewiß. Aber solche Verweigerung kommt niemals vor.«

»Und wenn die gesuchte Person unter seinem Schutz steht – was macht man dann?«

»Dann wird sie von Seiner Eminenz gewarnt.«

Das Gespräch kam auf andere Dinge, aber diese Nachricht beunruhigte mich. Ich dachte mir, der Befehl könne wohl Barbara oder ihren Liebhaber angehen, denn das Haus ihres Vaters stand unter spanischer Gerichtsbarkeit. Vergeblich suchte ich den jungen Menschen; es gelang mir nicht, ihn zu treffen, und ich befürchtete mich bloßzustellen, wenn ich zu ihm oder seiner Schönen ginge. Allerdings wurde ich im Grunde von diesem Schritt nur dadurch abgehalten, daß ich keine Gewißheit hatte. Denn hätte ich bestimmt gewußt, daß die Sache sie anging, so hätte ich ohne Scheu allen Blicken getrotzt.

Als ich gegen Mitternacht zu Bett gehen wollte und meine Tür öffnete, um den draußen steckenden Schlüssel herauszuziehen, stürzte zu meiner Überraschung plötzlich ganz atemlos ein Abbate in mein Zimmer und warf sich in einen Lehnstuhl. Ich erkannte Barbara und erriet alles. Ich sah sofort voraus, welche Folgen ihr Schritt für mich haben konnte, und geriet in große Aufregung und Verwirrung. Ich warf ihr vor, daß sie sich zu mir geflüchtet habe, und bat sie, sich sofort zu entfernen.

Ich Unglücklicher! Ich fühlte, daß ich mich mit ihr zugrunde richtete, ohne doch wirksame Hilfe leisten zu können. Ich hätte sie zwingen sollen, mein Zimmer zu verlassen; ich hätte sogar Leute herbeirufen müssen, wenn sie Widerstand leistete. Ich hatte nicht den Mut dazu oder vielmehr: ich gab unwillkürlich meinem Schicksal nach.

Als ich ihr sagte, sie müsse hinausgehen, warf sie unter strömenden Tränen sich vor mir auf die Knie und flehte mich an, Mitleid mit ihr zu haben.

Welches Herz ist so stahlhart, daß es sich nicht durch Tränen und Bitten eines schönen jungen Weibes erweichen ließe! Ich gab nach, aber ich sagte ihr, sie stürze uns alle beide ins Verderben.

»Niemand«, sagte sie, »hat mich das Haus betreten oder zu Ihnen hinaufgehen sehen. Dessen bin ich gewiß. Und ich schätze mich glücklich, daß ich vor acht Tagen hier gewesen bin, denn sonst hätte ich niemals Ihr Zimmer finden können.«

»Ach, es wäre besser, Sie wären niemals gekommen! Was ist aus Ihrem Liebhaber, dem Doktor geworden?«

»Die Sbirren haben ihn und die Magd verhaftet. Ich will Ihnen alles erzählen: Mein Liebster hatte mir gesagt, daß heute nacht ein Wagen unten an der Freitreppe der Trinita de Monti warten und daß er selber auch dort sein würde. Vor einer Stunde kletterte ich durch die Dachluke unseres Hauses und stieg in seine Wohnung ein. Dort kleidete ich mich um, wie Sie sehen, und ging dann mit der Magd fort, um ihn am verabredeten Ort zu treffen. Die Magd mit meinem Bündel ging ein kleines Stück vor mir. An der Straßenecke merkte ich, daß eine von meinen Schuhschnallen losgegangen war. Ich blieb stehen, um sie zu befestigen, während die Magd, im Glauben, daß ich ihr folgte, ruhig weiterging. Sie kam beim Wagen an und stieg hinein. Ich sah aber, als ich näher kam, beim Schein einer Laterne etwa dreißig Sbirren, von denen einer sich auf den Kutscherbock setzte. Sofort fuhr er mit verhängten Zügeln davon und entführte auf diese Weise die Magd, die sie mit mir verwechselt hatten, und meinen Liebsten, der ohne Zweifel im Wagen auf mich wartete. Was konnte ich in diesem fürchterlichen Augenblick machen? Zu meinem Vater durfte ich nicht zurück. So folgte ich meiner ersten Eingebung, die mich zu Ihnen trieb. Hier bin ich nun. Sie sagen mir, ich richte Sie durch diesen Schritt zugrunde. Wenn Sie das wirklich glauben, so sagen Sie mir, was ich tun soll. Ich fühle mich todunglücklich. Finden Sie ein Aushilfsmittel. Ich bin zu allem bereit. Sogar sterben will ich lieber, als Sie ins Unglück stürzen.«

Aber indem sie dies sagte, stürzten ihr von neuem unglaubliche Tränenfluten aus den Augen.

Ihre Lage war so traurig, daß ich sie für viel unglücklicher erachtete als die meinige, obgleich ich sah, daß ich trotz meiner vollkommenen Unschuld in den Abgrund stürzen mußte.

»Lassen Sie mich Sie zu Ihrem Vater führen!« sagte ich. »Ich mache mich anheischig, Ihnen seine Verzeihung zu erwirken.«

Aber dieser Vorschlag verdoppelte ihre Angst.

»Ich bin verloren!« rief sie. »Ich kenne meinen Vater. O, Herr Abbate, lieber stoßen Sie mich auf die Straße und überlassen Sie mich meinem unglücklichen Schicksal.«

Ohne Frage hätte ich das tun müssen, wenn ich auf meinen Vorteil gesehen und nicht meinem Mitleid nachgegeben hätte. Aber ihre Tränen! Ich habe es oft gesagt, und der Leser, der es selber erlebt hat, wird meiner Meinung sein: nichts ist so unwiderstehlich wie Tränen aus schönen Augen, wenn ein schönes, anständiges und unglückliches Weib sie vergießt. Es war mir körperlich unmöglich, sie zum Verlassen meines Zimmers zu zwingen oder dies auch nur zu versuchen.

»Mein armes Mädchen,« sagte ich endlich zu ihr, »wenn der Tag kommt – und das dauert nicht lange, denn es ist schon Mitternacht vorbei –, was gedenken Sie dann zu tun?«

»Ich werde den Palast verlassen,« sagte sie schluchzend. »In dieser Verkleidung wird mich niemand erkennen. Ich werde Rom verlassen und so lange wandern, bis ich vor Ermüdung und Schmerz tot zu Boden sinke.«

Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, so sank sie auf den Fußboden nieder. Sie erstickte: schon wurde sie blau im Gesicht. Ich war in der schrecklichsten Verlegenheit.

Ich löste ihr den Kragen ab und schnürte ihr Mieder auf. Dann sprengte ich ihr Wasser ins Gesicht, und es gelang mir, sie ins Leben zurückzurufen.

Die Nacht war sehr kalt, und ich hatte kein Feuer. Ich riet ihr daher, sich in mein Bett zu legen, und versprach ihr, ihren Zustand zu achten.

»Ach, Herr Abbate, das einzige Gefühl, das ich erregen kann, ist Mitleid.«

Ich war in der Tat zu bewegt und zugleich zu unruhig, um irgendeine Begierde zu verspüren. Ich überredete sie, sich ins Bett zu legen, da sie aber in ihrer Schwäche völlig hilflos war, so zog ich sie aus und legte sie ins Bett. Dabei machte ich die ganz neue Erfahrung, daß vor dem Mitleid selbst das gebieterischste Bedürfnis schwieg, trotz dem Anblick aller Reize, die sonst den höchsten Grad der Erregung hervorrufen. Ich legte mich völlig bekleidet neben sie, und beim ersten Morgendämmern weckte ich sie. Da sie sich gestärkt fühlte, so kleidete sie sich allein an, ich sagte ihr, sie möchte sich bis zu meiner Rückkehr ganz ruhig verhalten, und ging hinaus. Meine Absicht war, mich zu ihrem Vater zu begeben und auf jede nur mögliche Weise seine Verzeihung zu erwirken. Da ich aber verdächtige Leute um den Palast herum bemerkte, glaubte ich von meinem Plan abstehen zu müssen und begab mich nach einem Kaffeehause in der Via Condotta. Ich bemerkte, daß ein Sbirre mir von ferne folgte, aber ich tat, als sähe ich es nicht. Nachdem ich meine Schokolade getrunken und einige Zwiebacke zu mir gesteckt hatte, ging ich, anscheinend mit der größten Seelenruhe, nach Hause. Der Spion ging immer hinter mir her. Ich vermutete, daß der Bargello nach dem Fehlschlagen der Unternehmung bestimmte verdächtige Spuren verfolgte; in dieser Annahme wurde ich bestärkt, als der Türsteher mir ungefragt erzählte, es habe in der Nacht eine Exekution stattfinden sollen, sie sei aber mißlungen. Im selben Augenblick kam ein Auditor des Kardinalvikars und fragte den Türsteher, wann er den Abbate Gama sprechen könne. Ich sah, daß keine Zeit mehr zu verlieren war, und ging nach meinem Zimmer hinauf, um zu einem bestimmten Entschluß zu kommen.

Zunächst nötigte ich das arme Mädchen, ein paar Zwiebacke zu essen, die ich in Kanariensekt getaucht hatte. Hierauf führte ich sie in das oberste Stockwerk des Hauses, an einen nicht eben anständigen Ort, den aber niemand besuchte. Ich sagte ihr, sie möge auf mich warten.

Kurz darauf kam mein Lakai; ich befahl ihm, sofort mein Zimmer zu machen, und sobald er damit fertig wäre, die Tür abzuschließen und mir den Schlüssel zu Gama zu bringen. Ich fand den Abbate in einer Besprechung mit dem Auditor des Kardinalvikars begriffen. Sobald er mit diesem fertig war, begrüßte er mich und befahl seinem Bedienten, Schokolade zu bringen. Als wir allein waren, erzählte er mir, was seine Unterhaltung mit dem Auditor zu bedeuten gehabt hätte. Es handelte sich darum, Seine Eminenz unseren Kardinal zu bitten, daß er aus seinem Palast eine Person entferne, die sich um Mitternacht hineingeflüchtet haben müsse. »Wir müssen warten, bis der Kardinal sichtbar geworden ist; aber wenn wirklich jemand ohne sein Wissen sich in den Palast geflüchtet hat, so wird er ihn sicherlich fortschicken.« Wir sprachen hierauf allerlei über gleich- gültige Sachen, bis mein Lakai mir den Schlüssel brachte. Ich wußte nun, daß ich mindestens eine Stunde vor mir hatte, und mir war das Mittel eingefallen, das einzig und allein Barbara vor Schimpf und Schande retten konnte.

Nachdem ich mich vergewissert hatte, daß niemand mich konnte gesehen haben, ging ich zu der armen Eingesperrten und ließ sie in gutem Französisch mit Bleistift folgende Zeilen schreiben: »Ich bin ein anständiges Mädchen, Monsignore, aber als Abbate verkleidet. Ich beschwöre Euere Eminenz mir zu gestatten, daß ich Ihnen meinen Namen unter vier Augen sage. Von der Größe Ihrer Seele erhoffe ich, daß Sie meine Ehre retten werden.«

Ich gab ihr die nötigen Weisungen, um dies Billett Seiner Eminenz zukommen zu lassen, der sie sofort empfangen werde, sobald er es gelesen habe. »Sobald Sie bei ihm sind, werfen Sie sich auf die Knie und erzählen Sie ihm Ihre ganze Geschichte ohne jede Abweichung von der Wahrheit. Nur davon, daß Sie die Nacht in meinem Zimmer zugebracht haben, dürfen Sie nichts sagen, denn der Kardinal darf nicht erfahren, daß ich von Ihrer ganzen Entführungsgeschichte auch nur eine Ahnung gehabt habe. Sagen Sie ihm folgendes: Als Sie gesehen, daß der Wagen mit Ihrem Liebsten davonfuhr, traten Sie in seinen Palast ein. Sie stiegen die Treppen hinauf, so hoch Sie konnten und verbrachten oben eine sehr schlimme Nacht. Am Morgen hatten Sie den Einfall, an ihn zu schreiben und sein Mitleid anzurufen. Ich bin fest überzeugt, Seine Eminenz wird Sie auf irgendeine Art vor der Schande bewahren. Jedenfalls ist dies das einzige Mittel, wodurch Sie hoffen können, mit dem von Ihnen geliebten Mann vereinigt zu werden.«

Nachdem sie mir versprochen hatte, genau alles zu tun, was ich ihr gesagt hatte, ließ ich mich frisieren und kleidete mich zum Ausgehen an. Ich ging in die Messe, wo der Kardinal mich sah; dann ging ich aus und kam erst zum Mittagessen nach Hause. Bei Tisch sprach man von nichts anderem, als von dieser Geschichte. Nur Gama sagte nichts, und ich schwieg ebenso wie er. Ich entnahm aber aus all dem Geschwätz, daß der Kardinal meine arme Barbara in seinen Schutz genommen hatte. Das war alles, was ich wünschte. Ich glaubte nun nichts mehr zu befürchten zu haben und freute mich im stillen meiner Kriegslist, die mir ein kleines Meisterstück zu sein schien. Als ich nach dem Essen mit Gama allein war, fragte ich ihn, was es denn mit der Geschichte auf sich hätte.

Er antwortete mir: »Ein Familienvater, dessen Namen ich noch nicht weiß, hatte beim Kardinalvikar beantragt, er möge seinen Sohn verhindern, ein Mädchen zu entführen und mit demselben die Staaten des Heiligen Vaters zu verlassen. Die Entführung sollte um Mitternacht auf unserem Platz stattfinden. Der Kardinalvikar holte, wie ich Ihnen gestern erzählte, die Zustimmung unseres Kardinals ein und befahl dem Bargello, Sbirren auszuschicken, die jungen Leute auf frischer Tat festzunehmen und in Haft zu setzen. Der Befehl wurde ausgeführt; aber als die Sbirren beim Bargello ankamen, sahen sie, daß ihnen der Fang nur zur Hälfte gelungen war; denn das Weib, das mit dem jungen Mann dem Wagen entstieg, war nicht von der Art, die man zu entführen pflegt. Einige Minuten darauf erfuhr der Bargello von einem Spion, im Augenblick der Abfahrt des Wagens sei ein junger Abbate Hals über Kopf davongelaufen und habe sich in den Spanischen Palast geflüchtet. Dies hat ihn auf den Verdacht gebracht, der verkleidete Abbate könnte wohl das der Verhaftung entgangene Mädchen sein. Der Bargello hat dem Vikar den Hergang und die Aussage des Spions gemeldet; der Kardinal hat die Mutmaßungen der Polizisten für begründet erachtet und hat den Kardinal, unsern Herrn, bitten lassen, er möge befehlen, daß die betreffende Person, sei es ein Mädchen oder ein Abbate aus dem Palast verwiesen werde, falls sie nicht etwa Seiner Eminenz als unverdächtig bekannt sei. Kardinal Acquaviva hat dies alles heute früh um neun durch den Auditor des Kardinalvikars erfahren, den Sie bei mir sahen; und er hat versprochen, die betreffende Person auszuweisen, falls sie nicht etwa zu seinem Haushalt gehöre.

Diesem Versprechen getreu, hat unser Kardinal in der Tat Befehl gegeben, das ganze Haus durchsuchen zu lassen. Aber eine Viertelstunde später hat der Haushofmeister Gegenbefehl erhalten, und der Grund dafür kann nur folgender sein:

Wie mir der Kammerdiener erzählte, kam Punkt neun Uhr ein sehr hübscher Abbate, den er für ein verkleidetes junges Mädchen hielt, zu ihm und hat ihn, Seiner Eminenz ein Briefchen zu übergeben. Der Kardinal hat dieses gelesen und den besagten Abbate in seine Privatgemächer einführen lassen, die er seither nicht wieder verlassen hat. Da der Befehl, die Nachsuchungen einzustellen, unmittelbar nach der Einführung des Abbate gegeben wurde, so kann man annehmen, daß dieser Abbate niemand anderes ist, als das den Sbirren entwischte Mädchen, das sich in den Spanischen Palast geflüchtet hat, wo es die ganze Nacht zugebracht haben muß.«

»Seine Eminenz,« fragte ich, »wird sie ohne Zweifel heute ausliefern, zwar nicht an die Sbirren, wohl aber an den Kardinalvikar?«

»Nein, nicht einmal an den Papst!« antwortete Gama. »Sie haben noch nicht den rechten Begriff von der Protektion unseres Kardinals. Und diese Protektion hat er bereits erklärt, denn die junge Person befindet sich nicht nur in Monsignores Palast, sondern sogar in seinem eigenen Zimmer und unter seiner Obhut.«

Da die Geschichte an und für sich interessant war, konnte meine Aufmerksamkeit dem Abbate nicht verdächtig erscheinen. Ganz gewiß hätte er mir nichts gesagt, wenn er hätte ahnen können, welchen Anteil ich selber an der Sache hatte und welch ein großes Interesse ich daran nehmen mußte.

Am anderen Morgen trat mein Abbate Gama ganz freudestrahlend in mein Zimmer und sagte mir, der Kardinalvikar wisse, daß der Entführer mein Freund sei, und er nehme an, daß ich auch mit der Tochter befreundet sei, da deren Vater mein Sprachlehrer sei. »Man ist fest überzeugt, daß Sie um die ganze Geschichte gewußt haben, und natürlich nimmt man an, daß die arme Kleine die Nacht in Ihrem Zimmer zugebracht hat. Ich bewundere Ihr kluges Verhalten gestern mir gegenüber. Sie waren so sehr auf Ihrer Hut, daß ich hätte schwören wollen, Sie wüßten von nichts.«

»So ist es auch!« antwortete ich ernst. »Ich erfahre es erst in diesem Augenblick. Ich kenne das Mädchen, aber ich habe es seit sechs Wochen nicht mehr gesehen, nämlich seitdem ich keine Stunden mehr nehme. Mit dem jungen Doktor bin ich viel besser bekannt; er hat mir aber niemals etwas von seinem Plan mitgeteilt. Aber ein jeder mag glauben, was er will. Sie sagen, natürlich habe das Mädchen die Nacht in meinem Zimmer verbracht; aber erlauben Sie mir, über diejenigen zu lachen, die ihre Unwissenheit für Tatsachen nehmen.«

»Dies ist nun einmal das Laster der Römer, mein lieber Freund. Glücklich, wer darüber lachen kann. Aber diese Verleumdung kann Ihnen schaden, selbst bei unserm Kardinal.«

Da am Abend keine Oper war, ging ich in die Gesellschaft beim Kardinal. Ich bemerkte weder beim Kardinal, noch an irgendeinem anderen eine Veränderung im Benehmen gegen mich, und die Marchesa war gegen mich so liebenswürdig wie gewöhnlich, und sogar noch liebenswürdiger.

Den Tag darauf nach dem Essen sagte Gama mir, der Kardinal habe das junge Mädchen in einem Kloster untergebracht, wo sie auf Kosten Seiner Eminenz sehr gut behandelt werde; er sei überzeugt, daß sie das Kloster verlassen werde, um den jungen Doktor zu heiraten.

»Dies würde mich aufrichtig freuen,« sagte ich; »denn sie sind beide sehr anständig und verdienen die allgemeine Achtung.«

Als ich zwei Tage darauf den guten Vater Georgi besuchte, sagte er mir mit bekümmertem Gesicht, das Tagesgespräch in Rom sei die mißglückte Verhaftung der Barbara Dalacqua; man weise mir die Hauptrolle bei der ganzen Geschichte zu, und dies sei ihm höchst unangenehm. Ich sagte ihm dasselbe wie dem Abbate Gama, und er schien mir zu glauben. Aber er wandte mir ein, Rom wolle die Dinge nicht wissen, wie sie wirklich seien, sondern wie es den Leuten gefalle, sie sich zurechtzumachen. »Man weiß, junger Freund, daß Sie jeden Morgen zu Dalacqua gingen, man weiß, daß der junge Mann oft zu Ihnen kam: das genügt. Man will nicht die Umstände wissen, durch die eine Verleumdung widerlegt wird, sondern im Gegenteil die, durch die sie bestätigt wird. Denn in dieser heiligen Stadt liebt man die Verleumdung. Trotz Ihrer Unschuld wird Ihnen diese Geschichte angerechnet werden, wenn vielleicht in vierzig Jahren in meinem Konklave die Rede davon sein sollte, Sie zum Papst zu wählen.«

Während der folgenden Tage begann diese unangenehme Geschichte mir über alle Maßen lästig zu werden, denn jedermann sprach mit mir davon, und ich sah wohl, daß man sich nur stellte, als glaubte man mir, weil man das Gegenteil nicht wagte. Die Marchesa sagte mir mit feinem Lächeln, Fräulein Dalacqua sei mir sehr zu Dank verpflichtet. Den größten Kummer aber machte mir die Wahrnehmung, daß in den letzten Tagen des Karnevals Kardinal Acquaviva nicht mehr so ungezwungen freundlich zu mir war wie früher, wenngleich niemand außer mir selber etwas von der Veränderung seines Benehmens merken konnte.

Das Gerede begann sich zu legen, da ließ zu Anfang der Fastenzeit der Kardinal mich in sein Arbeitszimmer kommen und sagte mir:

»Die Geschichte mit der jungen Dalacqua ist zu Ende; man spricht nicht mehr davon. Aber man ist zu dem Schluß gekommen, daß Sie und ich diejenigen gewesen seien, die von der Ungeschicklichkeit des jungen Mannes, der sie entführen wollte, ihren Vorteil gehabt hätten. Was man redet, kümmert mich im Grunde sehr denn in gleichem Falle würde ich nicht anders handeln, als ich es getan habe. Ich will auch nicht wissen, was niemand Sie zwingen kann zu sagen, und worüber Sie als anständiger Mensch schweigen müssen. Auch wenn Sie nichts vorher wußten, durften Sie das Mädchen nicht aus Ihrem Zimmer weisen – angenommen, daß sie dort gewesen ist – denn Sie hätten damit barbarisch, ja sogar niederträchtig gehandelt: Sie hätten das Mädchen für ihr ganzes Leben unglücklich gemacht, und doch hätte Sie dies nicht vor dem Verdacht der Mitwisserschaft geschützt und außerdem wären Sie als feiger Verräter dagestanden.

Trotz alledem können Sie sich wohl vorstellen, daß ich mich über die Klatschereien nicht öffentlich hinwegsetzen kann, so sehr ich sie auch verachte. Ich sehe mich also gezwungen, Sie zu bitten, nicht nur mein Haus, sondern auch Rom zu verlassen. Ich werde Ihnen einen ehrenvollen Vorwand geben, damit Sie der Achtung, die die bisher Ihnen gegebenen Beweise meiner Wertschätzung Ihnen erworben haben, auch fernerhin genießen können. Ich verspreche Ihnen, den Personen, die Sie mir nennen, im Vertrauen zu sagen oder auch öffentlich zu erzählen, daß Sie in einer wichtigen Angelegenheit, die ich Ihnen anvertraut habe, eine Reise unternehmen müssen. Überlegen Sie sich nur, in welches Land Sie gehen wollen. Ich habe Freunde überall und werde Sie auf eine Art empfehlen, daß Ihre Dienste Verwendung finden werden. Meine Empfehlungen werde ich eigenhändig schreiben, und wenn Sie nicht wollen, wird kein Mensch erfahren, wohin Sie gehen. Besuchen Sie mich morgen in der Villa Negroni, und sagen Sie mir, wohin Sie wünschen, daß ich meine Briefe adressiere. Richten Sie sich so ein, daß Sie in acht Tagen abreisen können. Glauben Sie mir, es tut mir leid, Sie zu verlieren; es ist ein Opfer, das das törichteste Vorurteil mir auferlegt. Gehen Sie und lassen Sie mich nicht Ihre Betrübnis sehen!«

Diese letzten Worte sagte er, als er sah, daß sich meine Augen mit Tränen füllten; damit ich nicht noch mehr weinte, ließ er mir keine Zeit zu antworten. Ich hatte die Selbstbeherrschung mich zusammenzuraffen, bevor ich noch aus seinem Kabinett heraus war. Ich war sogar so lustig, daß Abbate Gama, der mich zum Kaffee eingeladen hatte, mir ein Kompliment darüber machte. »Ich bin überzeugt,« sagte er, »Ihre gute Laune kommt von der Unterhaltung, die Sie heute früh mit Seiner Eminenz gehabt haben.«

»Allerdings. Aber Sie wissen nicht, wie betrübt ich im Herzen bin, obwohl ich es verberge.«

»Betrübt?«

»Ich fürchte an einem schwierigen Auftrag zu scheitern, den mir der Kardinal heute morgen gegeben hat. Ich muß verbergen, wie wenig Zutrauen ich zu mir selbst habe, damit das Zutrauen, das Seine Eminenz mir gütigst bezeigt, sich nicht vermindert.«

»Wenn mein Rat Ihnen irgendwie nützen kann, so verfügen Sie über mich. Übrigens tun Sie gut, wenn Sie sich heiter und ruhig zeigen. Handelt es sich um einen Auftrag hier in Rom?«

»Nein; um eine Reise, die ich in acht oder zehn Tagen antreten muß.«

»Nach welcher Richtung?«

»Nach Westen.«

»Ich bin nicht neugierig.«

Ich ging allein nach dem Garten der Villa Borghese, wo ich zwei Stunden in düsterer Verzweiflung verbrachte. Ich liebte Rom, ich hatte mich bereits auf der breiten Straße zum Glück gesehen, und nun auf einmal sah ich mich in den Abgrund gestürzt, wußte nicht wohin und war in meinen schönsten Hoffnungen getäuscht. Ich prüfte mein Verhalten, ich beurteilte mich selber mit aller Strenge, ich konnte keine andere Schuld an mir finden als eine zu weit gehende Gefälligkeit; aber ich sah jetzt, wie sehr der wackere Abbate Georgi recht gehabt hatte. Ich hätte mich nichts nur nicht in die Geschichten des Liebespaares einmischen dürfen, sondern ich hätte sofort einen anderen Sprachlehrer nehmen müssen, sobald ich davon erfuhr. Aber wenn der Kranke tot ist, ruft man den Arzt. Übrigens war ich ja so jung und wußte noch uichts von Unglück und noch weniger von der Bosheit der Welt; da konnte ich allerdings kaum schon jene Vorsicht haben, die man allein durch Lebenserfahrung erwirbt.

Wohin sollte ich gehen? Diese Frage schien mir unlösbar. Ich dachte die ganze Nacht und den ganzen Vormittag darüber nach, aber vergeblich. Wenn ich nicht in Rom sein konnte, war mir alles gleichgültig.

Am Abend hatte ich keine Lust zum Essen und zog mich auf mein Zimmer zurück; Abbate Gama suchte mich auf und meldete mir, der Kardinal lasse mir sagen, ich möge für den anderen Tag keine Einladung zum Mittagessen annehmen, denn er habe mit mir zu sprechen.

Wie er befohlen, suchte ich ihn in der Villa Negroni auf; er ging mit seinem Sekretär spazieren, der sich aber entfernte, sobald er mich bemerkte. Sobald ich mich mit ihm allein sah, erzählte ich ihm mit allen Einzelheiten das ganze Drama der beiden Liebenden. Hierauf schilderte ich ihm in den lebhaftesten Farben meine große Trauer über die Notwendigkeit, mich von ihm zu trennen. »Ich habe mich um all mein Glück gebracht, denn ich fühle, daß ich es nur im Dienste Eurer Eminenz machen kann.« So betete ich ihm fast eine Stunde lang unter strömenden Tränen meine Litanei her; aber es gelang mir nicht, seinen Entschluß zu erschüttern. Gütig, aber dringend redete er mir zu, ich möchte ihm sagen, nach welchem Orte Europas ich gehen wolle, und in Ärger und Verzweiflung sagte ich schließlich: »Nach Konstantinopel.«

»Nach Konstantinopel?« sagte er, zwei Schritte zurücktretend.

»Jawohl, Monsignore; nach Konstantinopel!« wiederholte ich, meine Tränen trocknend.

Der Prälat war ein geistvoller Mann, aber Spanier durch und durch; er schwieg einige Augenblicke und sagte dann mit einem Lächeln: »Ich danke Ihnen, daß Sie mir nicht Ispahan genannt haben; denn da hätten Sie mich wirklich in Verlegenheit gebracht. Wann wollen Sie abreisen?«

»Heute in acht Tagen, wie Eure Eminenz befehlen.«

»Wollen Sie in Neapel oder in Venedig zu Schiff gehen?«

»In Venedig.«

»Ich werde Ihnen einen Paß ausfertigen lassen, durch den Sie besonders empfohlen werden sollen; denn Sie finden in der Romagna zwei Heere in Winterquartieren. Mich dünkt, Sie können überall erzählen, daß ich Sie nach Konstantinopel schicke; denn kein Mensch wird Ihnen glauben.« Über diese diplomatische List hätte ich beinahe gelacht. Er sagte mir, ich würde bei ihm speisen, ließ mich stehen und ging wieder zu seinem Sekretär.

Als ich wieder zu Hause war, dachte ich über die von mir getroffene Wahl nach und fragte zu mir selber: Entweder bin ich verrückt, oder ich gehorche der Macht eines geheimen Schutzgeistes, der an jenem Ort mein Schicksal für mich bereit hält. Das einzige, was ich noch begriff, war, daß der Kardinal ohne Widerspruch zugestimmt hatte. Ohne Zweifel, sagte ich mir, sollte ich nicht glauben, daß er sich über seine Kräfte gerühmt hätte, als er mir sagte, er habe Freunde überall. An wen kann er mich wohl in Konstantinopel empfehlen? Und was werde ich dort anfangen? Gewiß, davon weiß ich nichts, aber nach Konstantinopel muß ich gehen!

Ich speiste mit Seiner Eminenz unter vier Augen. Der Kardinal behandelte mich vor seinen Leuten mit ganz besonderer Güte, und ich tat, als ob ich sehr zufrieden sei; denn meine Eitelkeit war stärker als mein Kummer und verbot mir, die Zuschauer ahnen zu lassen, daß ich in Ungnade gefallen sein könnte. Übrigens war mein größter Kummer, daß ich die Marchesa verlassen mußte, in die ich verliebt war, und von der ich noch nichts Wesentliches erlangt hatte.

Zwei Tage später gab der Kardinal mir einen Paß nach Venedig und einen versiegelten Brief, der an Osman Bonneval, Pascha von Karamanien in Konstantinopel überschrieben war. Ich konnte niemandem etwas darüber sagen; aber da Seine Eminenz mir das nicht verboten hatte, so zeigte ich die Adresse des Briefes allen meinen Bekannten.

Der venezianische Botschafter, Cavaliere da Lezze, gab mir einen Brief an einen sehr liebenswürdigen reichen Türken, der sein Freund gewesen war. Don Gasparo und Abbate Georgi baten mich, ihnen zu schreihen. Abbate Gama aber sagte mir lachend mit aller Bestimmtheit, er wisse, daß ich nicht nach Konstantinopel gehe.

Ich machte einen Abschiedsbesuch bei Donna Cecilia, die kurz vorher einen Brief von Lucrezia erhalten hatte; sie schrieb ihr, sie werde bald das Glück haben, Mutter zu sein. Auch von Angelica und Don Francesco verabschiedete ich mich; sie waren seit kurzem verheiratet und hatten mich nicht zu ihrer Hochzeit eingeladen.

Der Papst, der mich nicht in Verwunderung setzte, als er von seinen Bekanntschaften in Konstantinopel sprach und von Bonneval, den er genau kannte, an den er mir sogar Grüße und die Bestellung auftrug, er bedauere, ihm seinen Segen nicht schicken zu können, gab ihn mir um so kräftiger, zugleich einen Rosenkranz von Achat und Gold, etwa zwölf Zechinen wert.

Als ich zum Kardinal Acquaviva ging, um seine letzten Befehle einzuholen, übergab er mir eine Börse mit hundert spanischen Unzen oder Goldquadrupeln, soviel wie siebenhundert Zechinen. Ich selber hatte dreihundert, das machte zusammen tausend. Zweihundert behielt ich; für den Rest nahm ich einen Wechsel über sechszehnhundert römische Taler auf einen Ragusaner, Giovanni Buchetti, der ein Haus in Ancona hatte. Hierauf nahm ich einen Platz in einer Berline, worin eine Dame nach Loretto fuhr, um ein Gelübde zu erfüllen, das sie während der Krankheit ihrer Tochter getan hatte. Diese Tochter reiste mit ihr. Da sie häßlich war, so hatte ich eine ziemlich langweilige Reise.

  1. Hat Ihnen Frascati gut gefallen? – Aber die Gesellschaft, in der Sie waren, war noch schöner, und recht galant war Ihr Visavis.