Viertes Kapitel


Der Patriach von Venedig erteilte mir die niederen Weihen. – Meine Bekanntschaften: Der Senator Malipiero; Teresa Imer, die Pfarrersnichte; Signora Drio; Nannetta and Martuccia; die Cavamacchie. – Ich werde Prediger. – Mein Erlebnis mit Lucia von Paseano. – Stelldichein im dritten Stock.

Er kommt von Padua, wo er studiert hat« – so lautete die Formel, mir der ich überall vorgestellt wurde und die mir flugs die schweigende Beobachtung meiner Standes= und Altersgenossen, die Komplimente aller Familienväter und die Liebkosungen aller alten Damen eintrug; es fanden sich auch mehrere Damen, die eigentlich noch nicht alt waren, aber sich in diesem Fall zu den alten rechneten, um mich in allen Ehren küssen zu können. Der Pfarrer von San Samuele, Tosello, teilte mich seiner Kirche zu und stellte mich dem Patriarchen von Venedig, Monsignore Correro, vor, der mir die Tonsur schnitt und vier Monade später, aus besonderer Gnade, mir die vier niederen Weihen erteilte. Die freudige Genugtuung meiner Großmutter war ungeheuer. Zunähst wurden nun gute Lehrer für mich gesucht, bei denen ich meine Studien fortsetzen konnte, und Herr Baffo wählte den Abbate Schiavo, um mich reines Italienisch schreiben zu lehren, besonders aber die Sprache der Poesie, für die ich eine ausgesprochene Vorliebe hatte. Ich hatte eine vorzügliche Wohnung mit meinem Bruder Francesco zusammen, den man Theaterarchitektur studieren ließ. Meine Schwester und mein jüngster Bruder wohnten bei der guten Großmutter in dem Hause, das ihr gehörte und in welchem sie sterben wollte, weil ihr Mann darin gestorben war. Das Haus, worin ich wohnte, war das Sterbehaus meines Vaters, für das meine Mutter noch immer die Miete bezahlte; es war groß und sehr gut eingerichtet.

Den Abbate Grimani sah ich nur sehr selten, obwohl er eigentlich mein Beschützer sein sollte; dagegen gewann ich engen Anschluß an Herrn von Malipiero, dem mich der Pfarrer Tosello vorgestellt hatte. Dies war ein Senator im Alter von siebzig Jahren, der mit den Staatsgeschäften nichts mehr zu tun haben wollte und in seinem Palazzo ein glückliches Leben führte; er aß gut und hatte allabendlich eine auserlesene Gesellschaft von Damen, die alle sich ihre schönen Jahre zunutze gemacht hatten, und von geistreichen Herren, die alles wußten, was in der Stadt geschah. Er war reich und unverheiratet, hatte aber das Unglück, jedes Jahr drei- oder viermal an heftigen Gichtanfällen zu leiden, die ihm bald dieses, bald jenes Glied lähmten, sodaß er am ganzen Leibe verkrüppelt war. Nur sein Kopf, seine Lungen und sein Magen waren von diesen bösen Anfällen verschont geblieben. Er war schön und ein Feinschmecker, der leckere Bissen zu schätzen wußte; er besaß seinen Witz, große Weltkenntnis, die Beredsamkeit des Venetianers und jene Lebensklugheit, die einem Senator unfehlbar verbleiben muß, der sich erst ins Privatleben zurückgezogen hat, nachdem er vierzig Jahre lang seinen Anteil an der Leitung der Staatsgeschäfte gehabt hat; der erst dann aufgehört hat, dem schönen Geschlecht zu huldigen, nachdem er zwanzig Geliebte gehabt hat und nachdem er sich selber eingestehen mußte, daß er keinen Anspruch mehr darauf erheben konnte, einer einzigen zu gefallen. Obwohl er fast gänzlich gelähmt war, sah man ihm doch das nicht an, wenn er saß, wenn er sprach oder wenn er tafelte. Er speiste täglich nur ein einziges Mal und stets allein; denn da er keine Zähne mehr hatte und sehr langsam aß, wollte er sich nicht aus Höflichkeit gegen seine Tischgäste übereilen, andererseits aber wäre es ihm peinlich gewesen, sie seinetwegen warten zu lassen. Dieses Zartgefühl beraubte ihn des Vergnügens, an seiner Tafel angenehme Gäste zu versammeln und mißfiel in hohem Grade seinem ausgezeichneten Koch.

Als der Pfarrer mir die Ehre erwies, mich Seiner Exzellenz vorzustellen, bekämpfte ich sehr lebhaft den Grund, der ihn veranlaßte, stets allein zu essen, indem ich ihm sagte, er brauche ja doch nur Leute einzuladen, die Appetit für zwei hätten.

»Aber wo diese finden?« fragte er.

»Die Sache ist allerdings heikel,« versetzte ich; »aber Eure Exzellenz müßten Ihre Gäste ausprobieren; nachdem Sie unter ihnen die gewünschten gefunden hätten, würde es sich nur darum handeln, sie sich für Ihre Zwecke zu erhalten, ohne daß sie etwas davon merkten; denn kein gut erzogener Mensch wäre damit einverstanden, daß man in der Gesellschaft ihm nachsagte, er habe nur darum die Ehre mit Eurer Exzellenz zu speisen, weil er doppelt soviel esse als ein anderer.«

Der Senator begriff die ganze Tragweite der von mir angeführten Gründe und fagte dem Pfarrer, er möge am nächsten Tage mit mir zum Essen kommen, und als er sah, daß ich in der Praxis noch stärker war als in der Theorie, machte er mich zu seinem täglichen Tischgenossen.

Nachdem er auf alles verzichtet hatte – nur nicht auf sein Ich – gab er sich trotz seinem Alter und seiner Gicht doch noch einer Liebesneigung hin. Er liebte ein junges Mädchen, Teresa Imer, die Tochter eines Schauspielers, die in einem Nebenhause seines Palazzos wohnte, so daß er von seinem Schlafzimmer aus ihre Fenster sehen konnte. Sie war damals siebzehn Jahre alt, hübsch, eigensinnig und kokett. Sie studierte Gesang, da sie späterhin auf der Bühne aufzutreten gedachte; indem sie sich fortwährend an ihrem Fenster zeigte, hatte sie den Greis berauscht; aber sie war grausam gegen ihn. Freilich kam Teresa jeden Tag zu ihm zum Besuch, aber stets nur in Begleitung ihrer Mutter, einer alten Schauspielerin, die sich, um ihre Seele zu retten, vom Theater zurückgezogen und den sehr begreiflichen frommen Plan gefaßt hatte, die Anforderungen des Himmels mit den Werken dieser Welt zu vereinbaren. Sie führte ihre Tochter täglich in die Messe und verlangte von ihr, daß sie jede Woche einmal zur Beichte gehe; aber jeden Nachmittag ging sie mit ihr zu dem verliebten alten Herrn, dessen Wut schrecklich anzusehen war, als sie ihm einmal einen Kuß abschlug unter dem Vorwande, sie habe am Morgen das heilige Abendmahl genommen und sie könne sich nicht entschließen, denselben Gott zu beleidigen, den sie vielleicht noch in ihrem Leibe habe.

Welch ein Anblick für mich fünfzehnjährigen Jungen, den einzigen, den der alte Herr als schweigenden Zeugen zu diesen erotischen Szenen zuließ! Die elende Mutter lobte den Widerstand des jungen Mädchens und wagte sogar den Greis abzukanzeln, der seinerseits auf ihre allzu christlichen oder vielleicht ganz unchristlichen Redensarten nichts zu antworten wagte, obgleich er gewiß nur mit Mühe der Versuchung widerstand, ihr den ersten besten Gegenstand an den Kopf zu werfen. War er bei diesem Zustand ratloser Hilflosigkeit angelangt, so gewann der Zorn die Oberhand über die Begierde, und sobald die Frauenzimmer fort waren, erleichterte er sein Herz, indem er sich mit mir in philosophischen Betrachtungen erging.

Da ich doch antworten mußte, aber nicht wußte, was ich ihm sagen sollte, verfiel ich eines Tages darauf, ihm eine Heirat vorzuschlagen. Zu meinem größten Erstaunen erwiderte er mir, sie wolle ihn nicht heiraten, weil sie den Haß seiner Verwandten fürchte.

»So bieten Sie ihr eine große Summe, eine Versorgung für Lebenszeit.«

»Sie sagt, sie würde nicht um eine Krone eine Todsünde begehen.«

»Sie müssen sie mit Sturm nehmen oder sie aus dem Hause jagen, aus ihrer Gegenwart verbannen.«

»Ich kann es nicht; zum einen fehlt mir die körperliche Kraft, zum andern der moralische Mut.«

»Töten Sie sie!«

»Dazu wird es auch noch kommen, falls ich nicht vorher sterbe.«

»Eure Exzellenz sind wirklich zu beklagen!«

»Besuchst du sie zuweilen?«

»Nein; denn ich könnte mich in sie verlieben, und das würde mich unglücklich machen.«

»Du hast recht.«

Nachdem ich solche Szenen miterlebt hatte und mit solchen Gesprächen beehrt worden war, wurde ich ein Günstling des vornehmen Herrn. Er gestattete mir Zutritt zu seinen Abendgesellschaften, die, wie ich schon erwähnte, aus älteren Damen und geistreichen Herren Bestand. Er sagte mir, in diesem Kreise würde ich viel größere Weißheit lernen, als aus Gassendis Philosophie, die ich damals auf seinen Rat studierte, statt der aristotelischen, die er lächerlich fand. Er gab mir Lehren, die ich, wie er sagte, unbedingt beobachten müßte, um in dieser Gesellschaft verkehren zu können, die sich sehr wundern würden, daß er einen Jüngling von meinem Alter zuließe. Er wies mich an, nur dann zu sprechen, wenn ich auf direkte Fragen antworten müßte, und vor allen Dingen niemals meine Meinung über irgend etwas auszusprechen; denn in meinem Alter dürfe man noch keine eigene Meinung haben.

Seinen Lehren getreu und seinen Befehlen gehorsam brauchte ich nur wenige Tage, um mir seine Achtung zu erwerben und von allen Damen, die bei ihm verkehrten, als Kind vom Hause behandelt zu werden. Als unbedeutender junger Abbate mußte ich sie begleiten, wenn sie in den Sprechzimmern der Klöster ihre dort als Pensionärinnen untergebrachten Töchter oder Nichten besuchten. Unangemeldet kam ich zu jeder Stunde des Tages; man schalt mich aus, wenn ich mich mal eine Woche lang nicht hatte sehen lassen; wenn ich in die Zimmer der jungen Mädchen trat, liefen diese davon; sobald sie aber sahen, daß nur ich es war, kamen sie wieder; dieses Zutrauen fand ich reizend.

Vor dem Essen machte Herr von Malipiero sich oft das Vergnügen, mich zu fragen, was für Angenehmes oder Interessantes ich bei den Damen unserer Bekanntschaft gefunden hätte; bevor ich jedoch antworten konnte, sagte er mir, sie seien alle die Tugend selbst, und man würde einen sehr schlechten Begriff von mir bekommen, wenn ich jemals etwas erzählte, was nicht mit dem guten Ruf übereinstimmte, in dem sie ständen. Durch solche Andeutungen gab er mir die weise Lehre der Verschwiegenheit.

Bei diesem Senator machte ich die Bekanntschaft der Signora Manzoni, Frau eines öffentlichen Notars, von der ich noch werde zu sprechen haben. Diese würdige Dame flößte mir die größte Zuneigung ein und gab mir sehr vernünftige Lehren und Ratschläge; hätte ich darauf gehört und sie befolgt, so wäre mein Leben nicht so stürmisch gewesen; aber dann würde ich andererseits es heute nicht der Mühe wert finden, es zu beschreiben.

So viele schöne Bekanntschaften mit Damen der sogenannten großen Welt erweckten in mir eine Neigung durch meine Erscheinung und ein elegantes Äußeres gefallen zu wollen. Dies paßte aber meinem Pfarrer nicht, und bei dieser Gelegenheit war meine gute Großmama mit ihm einig. Eines Tages nahm er mich beiseite und sagte mir mit honigsüßen Worten, in dem Stande, den ich mir erwählt habe, müsse ich daran denken, dem lieben Gott durch mein Herz und nicht der Welt durch mein Gesicht zu gefallen. Er tadelte meine allzu sorgfältig gepflegte Frisur und den zu feinen Duft meiner Pomade. Er sagte mir, der Teufel habe mich an den Haaren gepackt, ich werde exkommuniziert, wenn ich fortfahre, sie so zu pflegen, und schließlich führte er die Worte eines Ökumenischen Konzils an: Clericus, qui nutrit comam, anathema sit. – Der Geistliche, der sein Haar pflegt, sei verdammt. Zur Antwort zitierte ich ihm das Beispiel von hundert nach Moschus duftenden Abbaten, die man keineswegs als exkommuniziert betrachte, sondern vollkommen in Ruhe lasse, obwohl sie viermal soviel Puder brauchten als ich, der ich mich nur ganz leicht einstäubte; die eine Ambrapomade verwendeten, von der die Damen ohnmächtig würden, während meine Jasminpomade mir in allen Gesellschaften, die ich besuchte, Komplimente eintrüge. Ich schloß mit den Worten: es tue mir leid, ihm nicht gehorchen zu können; wenn ich in Schmutz und Unsauberkeit hätte leben wollen, so wäre ich Kapuziner geworden und nicht Abbate.

Meine Antwort hatte ihn ohne Zweifel sehr wütend gemacht, denn drei oder vier Tage darauf überredete er meine Großmutter, ihn am Morgen, als ich noch schlief, in mein Schlafzimmer eintreten zu lassen. Der rachsüchtige oder fanatische Priester schlich sich leise an mein Bett und schnitt mit einer scharfen Schere mir unbarmherzig alle Haare des Vorderkopfes von einem Ohr zum andern ab. Mein Bruder Francesco, der im Nebenzimmer war, sah es, sagte aber nichts, freute sich vielmehr, da er selber eine Perücke trug und auf meine schönen Haare eifersüchtig war. Er ist sein ganzes Leben lang ein Neidhammel gewesen, obwohl – für mich unbegreiflich – der Neid bei ihm die Freundschaft nicht ausschloß. Sein Laster muß, wie alle die meinen, heutigestags an Altersschwäche gestorben sein.

Nach dieser Heldentat entfernte sich der Pfarrer mit ganz unschuldiger Miene. Als ich aber kurz nachher erwachte und mit meinen Händen mich von der ganzen Gräßlichkeit der unerhörten Gewalttat überzeugte, da war ich außer mir vor Zorn und Entrüstung.

Welche Rachepläne wälzte ich in meinem Herzen, als ich in einem Handspiegel sah, in was für einen Zustand der freche Priester mich versetzt hatte! Auf den Lärm, den ich schlug, lief meine Großmutter herzu, und während mein Bruder lachte, versicherte mir die gute Alte, wenn sie von den Absichten des Pfarrers nur eine Ahnung gehabt, so hätte sie sich wohl gehütet, ihn hereinzulassen. Endlich gelang es ihr, mich ein wenig zu beruhigen, indem sie mir zugab, daß der Priester die Grenzen einer erlaubten Züchtigung überschritten habe.

Entschlossen, mich zu rächen, brütete ich beim Ankleiden über hundert schwarzen Plänen. Mir dünkte, ich hätte das Recht, mich blutig zu rächen, und kein Gesetz könnte mir dafür etwas anhaben. Da die Theater geöffnet waren, ging ich in Maske aus und begab mich zum Advokaten Carrara, den ich im Haufe des Senators kennengelernt hatte. Ich fragte ihn, ob ich den Pfarrer gerichtlich belangen könnte, und er sagte mir, vor kurzer Zeit sei eine ganze Familie zugrunde gerichtet, weil einem Slavonier der Schnurrbart abgeschnitten worden, und ein Bart sei doch viel weniger als eine ganze Kopffrisur. Wenn ich dem Pfarrer einen Prozeß anhängen wollte, bei dem ihm nicht wohl sein würde, so brauchte ich nur zu befehlen. Ich erklärte mich einverstanden und bat ihn, am Abend Herrn von Malipiero zu sagen, warum ich nicht kommen könnte; denn natürlich konnte ich mich nicht eher sehen lassen, als bis meine Haare wieder gewachsen waren.

Ich ging nach Hause, um mit meinem Bruder eine Mahlzeit einzunehmen, die im Vergleich mit der Tafel des alten Senators sehr dürftig war. Die Entbehrung der seinen Kost, an die Seine Exzellenz mich gewöhnt hatte, war auch eine von den empfindlichsten Folgen, die der Racheakt des Pfarrers – der noch dazu mein Taufpate war – für mich zu bedeuten hatte. Ich weinte vor Verdruß bittere Tränen, und ich war um so verdrießlicher, da ich wohl fühlte, daß der mir angetane Schimpf etwas Komisches an sich hatte, das mich lächerlich machte; und dies entehrte mich in meinen Augen mehr als ein Verbrechen.

Ich ging früh zu Bett und ein guter zehnstündiger Schlaf erfrischte mich; ich war nicht mehr so leidenschaftlich, aber doch nicht weniger fest entschlossen, den Pfarrer gerichtlich zu verfolgen.

Ich war gerade dabei mich anzuziehen, um zu meinem Advokaten zu gehen und mir die Klageschrift zeigen lassen, da sah ich einen geschickten Friseur eintreten, den ich bei Frau Contarini kennengelernt hatte. Er sagte mir, Herr von Malipiero schicke ihn, um mich so zu frisieren, daß ich ausgehen könne, denn er wünsche mich noch am selben Tage bei sich zu Tische zu sehen. Nachdem er sich den Schaden angesehen hatte, fing er an zu lachen und sagte zu mir, ich solle ihn nur machen lassen, er werde mich so herrichten, daß ich noch eleganter wäre als zuvor und daher ausgehen könnte. Und nachdem er mein Haar en vergette geordnet hatte, fand ich mich wirklich so gut aussehend, daß ich mich für gerächt hielt.

Da ich nun nicht mehr an die Beleidigung dachte, so ging ich beim Advokaten vor und sagte ihm, er solle keine Verfolgung einleiten; dann eilte ich zu Herrn Malipiero, wo ich zufällig den Pfarrer traf, dem ich trotz meiner Freude doch unwillkürlich einen sehr wenig freundschaftlichen Blick zuwarf. Über die Geschichte wurde kein Wort gesprochen, der Senator beobachtete schweigend, und der Pfarrer entfernte sich schließlich; ohne Zweifel tat ihm sein Vorgehen sehr leid, denn jetzt verdiente ich wirklich die Exkommunikation für meine äußerst kokette Haartracht.

Als mein böser Pate fort war, nahm ich kein Blatt vor den Mund; ich erklärte Herrn von Malipiero rund heraus, ich würde mir eine andere Kirche suchen, denn ich wollte mit einem so jähzornigen und zu solchen Exzessen neigenden Menschen nichts mehr zu tun haben. Der weise, alte Herr sagte mir, ich hätte recht; das war das Mittel, um mich zu allem zu bringen, was er wünschte. Am Abend überhäufte die Gesellschaft, die die ganze Geschichte kannte, mich mit Komplimenten; man versicherte mir, ich sähe ganz entzückend hübsch aus. Ich war wie im Taumel, und meine freudige Stimmung hielt an, als seit dem Vorfall schon etwa vierzehn Tage vergangen waren und Herr von Malipiero immer noch kein Wort davon gesagt hatte, ich solle wieder in meine Kirche gehen. Nur meine Großmutter sagte mir unaufhörlich, ich müßte wieder hingehen. Aber dies war nur eine Ruhe vor dem Sturm, denn in einem Augenblick, wo ich ganz unbesorgt war, versetzte Herr von Malipiero mich in hohes Erstaunen, indem er mir sagte, es biete sich die Gelegenheit, wieder zu meiner Kirche zurückzukehren und zugleich vom Pfarrer eine glänzende Genugtuung zu erlangen.

»Ich habe«, sagte der Senator, »in meiner Eigenschaft als Präsident der Brüderschaft vom Heiligen Sakrament den Prediger zu wählen, der am vierten Sonntag dieses Monats – der dieses Jahr grade auf den zweiten Weihnachtsfeiertag fällt – die Festpredigt hält. Nun werde ich dich vorschlagen, und ich bin sicher, daß er es nicht wagen wird, dich abzulehnen. Was sagst du zu solchem Triumph? Scheint er dir nicht schön?«

Ich war über diesen Vorschlag ungeheuer überrascht, denn es war mir noch niemals in den Sinn gekommen, zu predigen, und ich hätte mich niemals für fähig gehalten, eine Predigt zu verfassen und vorzutragen. Ich sagte, er spaße gewiß; als er mir aber antwortete, er spreche in vollem Ernst, da bedurfte es nur eines Augenblicks, um mich zu überreden und mich zum Glauben zu bringen, es sei mir bestimmt, der berühmteste Prediger des Jahrhunderts zu werden, sobald ich nur auch fett genug wäre – denn von dieser Eigenschaft war ich noch weit entfernt, da ich damals sehr mager war. Ich bezweifelte nicht, daß meine Stimme und Gestikulation allen Ansprüchen genügen würden, und hinsichtlich der Abfassung der Predigt fühlte ich mich imstande, leicht ein Meisterwerk hervorzubringen.

Ich antwortete Herrn von Malipiero, ich sei bereit und es drängte mich, sofort nach Hause zu eilen, um ans Werk zu gehen; wäre ich auch kein Theologe, so beherrschte ich doch den Stoff und ich würde Überraschendes und Neues sagen.

Als ich am nächsten Tage den edlen Herrn wiedersah, teilte er mir sofort mit, der Pfarrer sei entzückt gewesen über seine Wahl und noch mehr über meine Bereitwilligkeit, den Auftrag anzunehmen; er verlange jedoch, daß ich ihm meine Festpredigt vorlege, sobald ich sie fertig hätte; denn da es sich um die höchsten theologischen Fragen handle, so könne er mir nur dann erlauben, die Kanzel zu besteigen, wenn er sicher sei, daß ich keine Ketzereien vorbringen werde. Ich erklärte mich hiermit einverstanden, und im Laufe der Woche arbeitete ich meine Predigt aus und schrieb sie ins reine. Ich besitze sie noch jetzt und muß erklären, daß ich sie noch immer ausgezeichnet finde, obgleich sie eine Jugendarbeit war.

Unbeschreiblich war die Freude meiner guten Großmutter; sie weinte vor Glück, ihr Enkelkind als Apostel zu sehen. Sie bat mich, ihr meine Predigt vorzulesen, und hörte sie an, indem sie ihren Rosenkranz abbetete; sie fand sie sehr schön. Herr von Malipiero dagegen, der beim Zuhören keinen Rosenkranz gebetet hatte, erklärte mir, die Predigt werde dem Pfarrer nicht gefallen. Ich hatte mein Thema dem Horaz entnommen:

Ploravere suis non respondere favorem
Speratum meritis.

Daß die erhoffte Gunst nicht ihren Verdiensten entspreche,
Jammerte sie.

Ich beklagte die Bosheit und Undankbarkeit des Menschengeschlechtes, wodurch es die Absicht der göttlichen Weisheit, es zu erlösen, zuschanden gemacht habe. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn ich meinen Text nicht einem Heiden entnommen hätte; im übrigen freute es ihn sehr, daß meine Predigt nicht mit lateinischen Zitaten gespickt war.

Ich begab mich zum Pfarrer, um ihm meine Arbeit vorzulesen; da ich ihn aber nicht zu Hause traf und auf ihn warten wollte, so unterhielt ich mich mit seiner Nichte Angela und verliebte mich in sie. Sie arbeitete an einem Stickrahmen und sagte mir, als ich mich zu ihr setzte, sie möchte mich gerne kennen lernen, und es würde ihr Spaß machen, wenn ich ihr die Geschichte von dem Haarschopf erzählen wollte, den ihr ehrwürdiger Onkel mir abgeschnitten hätte.

Meine Liebe zu Angela wurde für mich verhängnisvoll; denn sie wurde der Anlaß zu zwei anderen Liebschaften, die wieder zu vielen, vielen anderen führten und schließlich mich dahin brachten, den geistlichen Stand aufzugeben. Aber wir wollen gemächlich weitererzählen und nicht dem Gang der Ereignisse vorgreifen.

Als der Pfarrer nach Hause kam, fand er mich in Gesellschaft seiner mir gleichaltrigen Nichte, und das schien ihm nicht unangenehm zu sein. Ich übergab ihm meine Predigt, er las sie und sagte, sie sei eine sehr hübsche akademische Redeübung, aber für die Kanzel ganz ungeeignet. »Ich werde Ihnen«, fuhr er fort, »eine von mir verfaßte geben, die niemand kennt; Sie werden sie auswendig lernen, und ich verspreche Ihnen, zu sagen, daß sie von Ihnen verfaßt sei.«

»Ich danke Ihnen, hochwürdigster Vater, aber ich will eigenes Geisteserzeugnis geben oder gar nichts.«

»Aber in meiner Kirche werden Sie diese Predigt nicht halten!«

»Darüber müssen Sie mit Herrn von Malipiero sprechen. Untere dessen werde ich meine Arbeit zum Zensor tragen und von da zu Seiner Gnaden dem Patriarchen; und wenn man sie da ablehnt, werde ich sie drucken lassen.«

»Kommen Sie zu mir, junger Mann! Der Patriarch wird meiner Meinung beipflichten.«

Am Abend bei Herrn von Malipiero erzählte ich vor versammelter Gesellschaft meinen Streit mit dem Pfarrer. Man bat mich, meine Festpredigt vorzulesen, und ich erntete allgemeines Lob. Man lobte meine Bescheidenheit, daß ich keine Kirchenväter zitierte, die ich in meinem jugendlichen Alter noch nicht kennen durfte; besonders aber die Frauen fanden es wundervoll, daß in meiner Predigt kein anderer lateinischer Satz vorkomme als das Textwort von Horaz, der zwar ein großer Wüstling gewesen sei, aber oft sehr gute Bemerkungen gemacht habe. Eine Nichte des Patriarchen, die an diesem Abend zufällig anwesend war, versprach mir, mit ihrem Oheim zu sprechen, an den ich zu appellieren gedachte. Herr von Malipiero sagte mir jedoch, ich möchte am nächsten Tage, ehe ich etwas unternähme, mich erst mit ihm darüber besprechen. Ich gehorchte.

Als ich am nächsten Morgen bei ihm war, ließ er den Pfarrer holen, der unverzüglich erschien. Da er wußte, worum es sich handelte, begann er sofort eine lange Rede, in der ich ihn nicht unterbrach. Sobald er aber mit seinen Einwendungen fertig war, machte ich der Sache ein Ende, indem ich sagte: »Es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder genehmigt der Patriarch meine Predigt, die ich ihm von A bis Z vorlesen werde, oder er genehmigt sie nicht. Im ersteren Falle werde ich sie in der Kirche halten, ohne daß Sie irgendeine Verantwortlichkeit trifft; im anderen Falle werde ich mich fügen.«

Betroffen über meine Entschlossenheit sagte der Pfarrer: »Gehen Sie nicht hin; ich genehmige die Predigt; ich bitte Sie nur das Textwort zu ändern; denn Horaz war ein Sünder.«

»Warum zitieren Sie Seneca, Tertullian, Origenes, Boetius? Sie alle waren Ketzer und müssen Ihnen folglich viel verabscheuungswürdiger erscheinen als Horaz, der nun doch einmal kein Christ sein konnte.«

Da ich jedoch merkte, daß ich Herrn von Malipiero einen Gefallen damit tun würde, willigte ich schließlich ein, statt meines Textwortes ein anderes zu setzen, das mir der Pfarrer gab, obwohl dieses gar nicht zum Inhalt paßte. Um einen Vorwand zu haben, seine Nichte zu sehen, übergab ich ihm meine Predigt, indem ich sagte, ich würde sie am anderen Tage wieder abholen. Aus Eitelkeit sandte ich dem Doktor Gozzi eine Abschrift, aber der wackere Mann machte mich recht herzlich lachen, als er mir die Predigt zurückschickte und durch den Überbringer sagen ließ: ich müßte verrückt geworden sein; wenn man mir erlaubte, diese Rede von der Kanzel herab zu halten, so würde ich mich und meinen Lehrer entehren.

Sein Urteil focht mich nicht an, und am festgesetzten Tage hielt ich meine Festrede in der Kirche zum Heiligen Sakrament vor einer höchst erlesenen Zuhörerschaft. Ich fand allgemeinen Beifall, und jedermann glaubte mir prophezeien zu können, daß ich der erste Prediger des Jahrhunderts zu werden bestimmt sei; denn im Alter von fünfzehn Jahren hätte noch niemand seine Sache so gut gemacht wie ich.

In dem Beutel, in den man eine Gabe für den Prediger zu legen pflegt, fand der Sakristan, der ihn ausleerte, mehr als fünfzig Zechinen und eine Anzahl Liebesbriefe, woran die Frommen großes Ärgernis nahmen. Ein anonymes Briefchen, deren Verfasserin ich zu erraten glaubte, veranlagte mich zu einem Mißgriff, den ich wohl mit Stillschweigen übergehen darf. – Diese reiche Ernte in der großen Geldnot, in der ich mich befand, ließ mich allen Ernstes daran denken, Prediger zu werden, und ich teilte meinen Entschluß dem Pfarrer mit, indem ich ihn um seine Unterstützung bat. Dies verschaffte mir das Recht, ihn jeden Tag zu besuchen, und ich machte es mir zunutze, um mich mit Angela zu unterhalten, in die ich mich mit jedem Tage mehr verliebte. Aber Angela war vernünftig; es war ihr wohl recht, daß ich sie liebte, aber sie wünschte auch, daß ich aus dem geistlichen Stande austräte und sie heiratete. Hierzu konnte ich mich trotz meiner Neigung zu ihr nicht entschließen; trotzdem setzte ich meine Besuche fort in der Hoffnung, sie doch noch umzustimmen.

Eines Tages beauftragte mich der Pfarrer, der schließlich doch an meiner ersten Predigt Geschmack gefunden hatte, eine zweite für den Josefstag zu machen und sie am 19. März 1741 zu halten. Ich machte die Predigt, und der gute Pfarrer sprach nur noch mit Begeisterung davon; aber es stand geschrieben, daß ich nur ein einziges Mal in meinem Leben predigen sollte. Folgendermaßen trug sich diese grausame Geschichte zu, die leider nur zu wahr ist und die man schnöderweise auch noch komisch findet.

Jung und von mir eingenommen, wie ich war, glaubte ich, ich brauchte mir keine große Mühe zu machen, um meine Predigt auswendig zu lernen.

Ich war der Verfasser, ich hatte den Gedankengang im Kopf und es schien mir einfach unmöglich zu sein, daß ich diesen vergessen könnte. Es mochte vorkommen, daß dieser oder jener Satz mir nicht einfallen wollte, aber es stand bei mir, einen anderen gleichbedeutenden dafür einzusetzen; wie es mir niemals passierte, daß ich das rechte Wort nicht finden konnte, wenn ich in guter Gesellschaft etwas zu sagen hatte, so hielt ich es auch für unwahrscheinlich, daß ich vor einer Zuhörerschaft würde verstummen müssen, in der ich niemanden kannte, der mich hätte einschüchtern oder mir plötzlich den Faden der Gedanken hätte abschneiden können. Ich vergnügte mich also auf meine gewohnte Art und tat nichts weiter, als daß ich jeden Morgen und jeden Abend meine Predigt überlas, um sie recht fest meinem Gedächtnis einzuprägen, das mir bis dahin noch niemals Anlaß zur Klage gegeben hatte.

So kam der 19. März heran, der Tag, an dem ich nachmittags um vier Uhr die Kanzel besteigen sollte. In der Stimmung, in der ich mich befand, vermochte ich mir leider das Vergnügen nicht zu versagen, beim Grafen Monte Reale zu speisen. Er wohnte in meinem Hause und hatte den Patrizier Barozzi eingeladen, der gleich nach Ostern seine Tochter heiraten sollte.

Ich saß noch mit der ganzen schönen Gesellschaft bei Tisch, als ein Kirchendiener kam und mir sagte, man erwarte mich in der Sakristei. Mit vollem Magen und erhitztem Kopf verabschiede ich mich, laufe in die Kirche und besteige die Kanzel.

Die Einleitung sagte ich sehr gut her, dann machte ich eine Pause; kaum aber habe ich die ersten Sätze von der Ausführung meines Themas gesprochen, so weiß ich nicht mehr, was ich sage, und auch nicht mehr, was ich sagen soll. Ich will nuch mit Gewalt zum Fortfahren zwingen.

Was mich gänzlich aus der Fassung brachte, war ein verworrenes Murmeln in der ganzen unruhigen Zuhörerschaft, in der ein jeder mein Mißgeschick bemerkt hatte. Ich sah mehrere die Kirche verlassen, ich glaubte lachen zu hören, ich verlor den Kopf und die Hoffnung, mich mit Anstand aus der Klemme zu ziehen.

Es wäre mir unmöglich zu sagen, ob ich nur eine Ohnmacht heuchelte, oder ob ich wirklich ohnmächtig wurde. Ich weiß nur so viel, daß ich mich auf den Boden der Kanzel niedersinken ließ und dabei heftig mit dem Kopf gegen die Wand anschlug. Ich hätte sterben mögen.

Zwei Kirchendiener kamen herbei und trugen mich in die Sakristei; ohne einem Menschen ein Wort zu sagen, nahm ich meinen Mantel und meinen Hut, ging nach Hause und schloß mich in meinem Zimmer ein. Dort zog ich einen kurzen Rock an, wie ihn die Geistlichen auf dem Lande tragen, packte meine Sachen in ein Köfferchen und ging zu meiner Großmutter, die ich um Geld bat. Dann reiste ich nach Padua, um mein drittes Examen zu machen. Um Mitternacht kam ich dort an und nahm Nachtquartier beim guten Doktor Gozzi; von meinem unglückseligen Erlebnis ihm etwas mitzuteilen, fühlte ich mich nicht versucht.

Ich verbrachte in Padua die erforderliche Zeit, um mich auf mein Doktorat für das folgende Jahr vorzubereiten, und nach dem Osterfest kehrte ich nach Venedig zurück, wo ich mein Unglück vergessen fand; es war aber nicht mehr davon die Rede, mich predigen zu lassen, oder wenn man doch noch Versuche machte, mich dazu zu überreden, so war ich standhaft genug, an meinem Entschluß festzuhalten, diesen Beruf endgültig aufzugeben.

Am Tage vor Himmelfahrt stellte Herr Manzoni mich einer jungen Kurtisane vor, die damals in Venedig großes Aufsehen machte; man nannte sie die Cavamacchie, weil ihr Vater Fleckausmacher gewesen war. Da dieser Name sie demütigte, wollte sie nach ihrem Familiennamen Preati genannt werden – aber vergeblich: ihre Freunde begnügten sich damit, sie mit ihrem Taufnamen Giulietta zu rufen. Diese junge Person war durch einen parmesanischen Edelmann berühmt gemacht worden, den Marchese Sanvitali, der ihr als Preis ihrer Huldbezeugungen hunderttausend Dukaten bezahlt hatte. Man sprach in Venedig überall nur von der Schönheit dieses Mädchens, und es gehörte zum guten Ton, sie zu besuchen. Man schätzte sich glücklich, mit ihr sprechen zu dürfen, besonders wenn man zu ihrem engeren Verkehrskreise zugelassen wurde. Da ich im Verlauf dieser Geschichte mehrmals von ihr zu sprechen haben werde, so wird es dem Leser, denke ich, nicht unangenehm sein, etwas Näheres über sie zu hören.

Eines Tages wurde Giulietta, als sie erst vierzehn Iahre alt war, von ihrem Vater ausgeschickt, um einem venetianischen Nobile, Marco Muazzo, einen von ihm entfleckten Rock zu bringen. Der Nobile fand sie schön trotz ihrer Lumpen und ging, um sie sich näher anzusehen, zu ihrem Vater in Begleitung eines berühmten Advokaten, namens Bastiano Uccelli; dieser war noch mehr erstaunt über den romantischen und ausgelassenen Geist Giuliettas, als von ihrer Schönheit und herrlichen Gestalt eingenommen; er richtete ihr eine Wohnung ein, gab ihr einen Musiklehrer und machte sie zu seiner Geliebten. Zur Zeit der Jahresmesse führte Bastiano sie nach allen öffentlichen Orten, wo sie alle Blicke auf sich lenkte und von allen Kennern bewundert wurde. Sie machte ziemlich rasche Fortschritte im Gesang und glaubte nach sechs Monaten weit genug ausgebildet zu sein, um einen Vertrag mit einem Theaterunternehmer abschließen zu können, der sie nach Wien brachte, wo sie in einer Oper Metastasios eine Kastratenrolle spielen sollte.

Jetzt glaubte der Advokat sie aufgeben zu sollen; er trat sie einem reichen Juden ab, der sich ebenfalls bald von ihr lossagte, nachdem er ihr schöne Diamanten geschenkt hatte.

In Wien erschien Giulietta auf der Bühne, und ihre Schönheit erwarb ihr einen Beifall, den ihre recht mittelmäßigen Talente ihr niemals hätten eintragen können. Da jedoch die Menge von Anbetern, die diesem Götzenbilde opfern wollte und sich jede Woche erneuerte, ihre Heldentaten zu auffällig machte, so glaubte die erhabene Maria Theresia diesen neuen Kultus in ihrer Hauptstadt nicht dulden zu dürfen und ließ der schönen Schauspielerin bedeuten, sie habe Wien unverzüglich zu verlassen.

Graf Spada bemächtigte sich ihrer und führte sie nach Venedig zurück, von wo sie sich nach Parma begab, um in der dortigen Oper zu singen. Hier entflammte sie den Marchese Sanvitali; eines Abends jedoch fand die Marchesa sie in ihrer Loge und gab ihr infolge irgendeiner unpassenden Bemerkung eine tüchtige Ohrfeige. Infolgedessen verzichtete Giulietta auf die Bühne. Sie kam jetzt nach Venedig zurück, wo sie dank ihrer Ausweisung aus Wien nicht ermangeln konnte, ihr Glück zu machen. Diese Ausweisung war für Künstlerinnen und dergleichen Damen eine sehr beliebte Auszeichnung geworden; denn wenn man eine Sängerin oder eine Tänzerin herabsetzen wollte, sagte man von ihr, man habe sie nicht hoch genug geschätzt, um sie aus Wien auszuweisen.

Steffano Querini di Papozze wurde zunächst ihr offizieller Liebhaber; aber im Frühjahr 1740 erschien der Marchese Sanvitali von neuem auf dem Kampfplatz und schlug den anderen aus dem Felde. Wie hätte man auch diesem Marchese widerstehen können! Er begann damit, seiner Schönen hunderttausend Dukaten Kurant zum Geschenk zu machen, und damit man dies nicht als Schwachheit und tolle Verschwendung auslegte, sagte er, die Summe reiche kaum hin, Giulietta für die von seiner Frau empfangene Ohrfeige zu entschädigen. Ubrigens hat die Beleidigte niemals diese Beschimpfung eingestehen wollen, denn sie fühlte, daß solches Eingeständnis sie erniedrigt hätte; sie zog es vor, die Gabe ausschließlich der Großmut ihres Liebhabers zuzuschreiben. Sie hatte recht: eine eingestandene Ohrfeige wäre ein Makel auf ihren Reizen gewesen, und sie fand ihre Rechnung besser dabei, indem sie dieselben nach ihrem inneren Werte schätzen ließ.

Im Iahre 1741 also stellte Herr Manzoni mich dieser neuen Phryne vor, als einen jungen Abbate, der sich einen Namen zu machen begänne. Ich fand sie inmitten von sieben oder acht Kurmachern, die ihr ihren Weihrauch darbrachten. Sie saß in nachlässiger Haltung neben Querini auf einem Sofa. Ihre Erscheinung überraschte mich. Sie betrachtete mich vom Kopf bis zu den Füßen, wie wenn ich zum Verkauf dastände, und sagte mir dann im Tone einer Prinzessin, es sei ihr nicht unangenehm, meine Bekanntschaft zu machen; hierauf lud sie mich ein, Platz zu nehmen. Jetzt kam die Reihe an mich, und ich besah sie mir sorgfältig und in aller Gemächlichkeit, was ich um so besser tun konnte, da der nur kleine Salon von mindestens zwanzig Kerzen erleuchtet war.

Giulietta war achtzehn Iahre alt; ihre Haut war blendendweiß, aber der rosige Anhauch ihrer Wangen, das Purpurrot ihrer Lippen, die Schwärze und die schön gewölbte und sehr schmale Schwingung ihrer Augenbrauen schienen mir mehr das Werk der Kunst als der Natur zu sein. Ihre Zähne waren wie zwei Perlenreihen und so schön, daß man darüber vergaß, daß ihr Mund vielleicht etwas zu groß war. Sie schien immer zu lächeln; vielleicht war dies Natur, vielleicht Angewöhnung. Ihr mit einem leichten Schleier bedeckter Busen schien die Liebesgötter einzuladen; doch ich widerstand ihren Reizen. Ihre Armbänder und die Ringe, mit denen ihre Finger überladen waren, verhinderten mich nicht, ihre Hand zu groß und zu fleischig zu finden; und obgleich fie sorgfältig ihre Füße verbarg, so genügte doch ein verräterischer Pantoffel, der unter ihrem Rock hervorsah, um mir zu zeigen, daß sie im entsprechenden Verhältnis zu der Höhe ihres Wuchses standen; dieses aber ist ein unangenehmes Verhältnis, das nicht nur Chinesen und Spaniern, sondern überhaupt allen Männern von verfeinertem Geschmack mißfällt. Man verlangt von einer großen Frau, daß sie einen kleinen Fuß habe, und dieser Geschmack ist durchaus nicht neu, denn schon Herr Holofernes hatte ihn, der sonst Dame Iudith nicht so reizend gefunden haben würde: et sandalia ejus rapuerunt oculos ejus. Im großen und ganzen fand ich sie schön; aber nachdem ich alle Einzelheiten betrachtet hatte und ihre Schönheit mit den hunderttausend Dukaten verglich, die dafür bezahlt worden waren, fand ich zu meinem Erstaunen, daß ich völlig kühl blieb und nicht die geringste Versuchung fühlte, auch nur eine einzige Zechine auszugeben, um auch jene Reize sehen zu können, die ihre Kleider meinen Blicken verbargen.

Ich war kaum eine Viertelstunde da, als das Geräusch von Ruderschlägen vom Wasser her die Ankunft des verschwenderischen Marchese verkündigte. Wir standen auf, und Herr Querini verließ eilends seinen Platz, nicht ohne ein wenig dabei zu erröten. Herr von Sanvitali, schon ein älterer Herr, der größere Reisen gemacht hatte, setzte sich neben sie, aber nicht auf das Sofa; dadurch wurde die Schöne genötigt, sich umzudrehen. Nun konnte ich auch von vorne genau betrachten, was ich bis dahin nur von der Seite hatte sehen können. Nachdem ich noch vier oder fünf Besuche bei Giulietta gemacht hatte, glaubte ich mir über ihren Wert ein hinreißendes Urteil gebildet zu haben; ich sagte daher eines Abends, als man mich in der Gesellschaft des Senators Malipiero nach ihr fragte, sie könne nur Gourmands mit abgestumpften Geschmacksnerven gefallen; denn sie besitze weder die Schönheiten der einfachen Natur, noch den Geist der feinen Gesellschaft, sie habe kein besonderes Talent und keine gewandten Manieren ; es fehle ihr also alles, was Leute von gutem Ton bei einer Frau zu finden lieben. Mein Urteil gefiel der ganzen Gesellschaft, aber Herr von Malipiero sagte mir ins Ohr, Giulietta würde ganz sicherlich erfahren, was für ein Portrat ich von ihr entworfen hätte, und würde meine Feindin werden. Er hatte richtig geahnt.

Es fiel mir an Giulietta besonders auf, daß sie nur selten das Wort an mich richtete und daß sie jedesmal, wenn sie mich ansah, sich ihrer Augengläser bediente oder ihre Lider zusammenkniff, wie wenn sie mich der Ehre hätte berauben wollen, ihre unbeschreibbar schönen Augen ganz zu sehen. Diese waren wunderbar schön geschnitten, kornblumenblau und hatten eine unbegreiflich leuchtende Iris, wie die Narur sie zuweilen nur der Jugend schenkt; für gewöhnlich verschwindet dieser Glanz etwa mit dem vierzigsten Jahr, nachdem er Wunder gewirkt hat. Der große Friedrich behielt diese leuchtenden Augen bis zu seinem Tode. Die Schilderung, die ich von Giulietta bei Herrn von Malipiero entworfen hatte, wurde ihr von einem schwatzhaften Zwischenträger, dem Staatsbuchhalter Saviero Cortantini hinterbracht. Als ich eines Abends mich mit Herrn Manzoni bei ihr befand, sagte sie ihm, ein großer Kenner habe an ihr Mängel entdeckt, wonach sie trübsinnig sein sollte; sie hütete sich aber wohl, diese Mängel einzeln aufzuzählen. Ich merkte natürlich, daß sie damit einen versteckten Hieb nach mir führte, und machte mich darauf gefaßt, ihr Gericht über mich ergehen zu lassen. Hierauf ließ sie mich jedoch eine gute Stunde warten. Als schließlich das Gespräch auf ein Konzert kam, das der Schauspieler Imer gegeben und wobei seine Tochter Teresa geglänzt hatte, richtete sie das Wort an mich und fragte mich, was Herr von Malipiero mit ihr mache. Ich sagte ihr, er erziehe sie.

»Dazu ist er wohl imstande,« antwortete sie mir; »denn er hat viel Geist; ich aber möchte wohl wissen, was er aus Ihnen macht.« »Alles, was er kann.« »Man hat mir gesagt, er finde Sie ein wenig dumm.« Natürlich waren die Lacher auf ihrer Seite; ich war ein bißchen verwirrt, da ich nicht wußte, was ich antworten sollte, und nachdem ich eine Viertelstunde lang eine traurige Figur gespielt hatte, empfahl ich mich mit dem festen Entschluß, ihr Haus nicht wieder zu betreten. Als ich am nächsten Tage beim Essen meinem alten Senator diese Geschichte erzählte, lachte er recht herzlich darüber.

Den ganzen Sommer über schwärmte ich meine Angela an, die ich bei ihrer Sticklehrerin traf; aber ihre außerordentliche Zurückhaltung regte mich auf, und meine Liebe war schon eine Qual für mich geworden. Bei meinem glühenden Naturell brauchte ich eine Geliebte in der Art Bettinas, die meine Liebe zu befriedigen wußte, ohne sie auszulöschen. Da ich selber noch in gewissem Sinne rein war, brachte ich dem jungen Mädchen die größte Verehrung entgegen. Sie war in meinen Augen gewissermaßen wie das Paladium des Kekrops. Ich war noch Neuling und oft schüchtern im Verkehr mit Damen; meine Albernheit ging so weit, daß ich sogar auf deren Ehemänner eifersüchtig war.

Angela war höchst abweisend, obgleich sie keine Kokette war; meine Leidenschaft für sie verzehrte mich. Die pathetischen Reden, die ich ihr hielt, hatten mehr Wirkung auf zwei junge Schwestern, Freundinnen von ihr, als auf sie; und wären meine Blicke nicht ausschließlich von der Grausamen in Anspruch genommen gewesen, so hätte ich ohne Zweifel bemerkt, daß die beiden anderen schöner und gefühlvoller waren; aber meine geblendeten Augen sahen nur sie. Auf alle meine Zärtlichkeiten antwortete sie, sie sei bereit, meine Frau zu werden, und sie glaube, weiter dürften meine Wünsche nicht gehen; und wenn sie sich herabließ, mir zu sagen, sie leide ebensosehr wie ich, so glaubte sie mir die größte Gnade erwiesen zu haben.

In dieser Gemütsverfassung befand ich mich, als ich zu Beginn des Herbstes einen Brief von der Gräfin Monte Reale erhielt; sie bat mich, einige Zeit auf dem ihr gehörenden Landgut Paseano zu verbringen. Sie erwartete glänzende Gesellschaft und den Besuch ihrer Tochter, die in Venedig einen Nobile geheiratet hatte; diese Tochter war geistvoll und schön und hatte ein so herrliches Auge, daß dessen Schönheit sie für den Verlust des anderen Auges entschädigte.

Ich folgte ihrer Einladung und fand in Paseano Vergnügen und Fröhlichkeit; es wurde mir nicht schwer, auch meinerseits zu deren Vermehrung beizutragen, und ich vergaß für einige Zeit die Härte meiner grausamen Angela.

Man hatte mir im Erdgeschoß ein hübsches Zimmer gegeben, das nach dem Garten hinaus ging, und ich befand mich darin sehr wohl, ohne mich darum zu kümmern, wer meine Nachbarn wären. Am Morgen nach meiner Ankunft war ich noch nicht richtig wach, da entzückte meine Augen der Anblick einer reizenden Person, die mir meinen Kaffee brachte. Es war ein ganz junges Mädchen, doch hatte sie bereits die Körperformen einer Siebzehnjährigen, obwohl sie erst vierzehn Jahre zählte. Ihre Haut war weiß wie Alabaster, ihr Haar schwarz wie Ebenholz, ihr schwarzes Auge feurig und unschuldig zugleich, ihr Haar in einer reizenden Unordnung; ihre Kleidung bestand nur aus einem Hemde und einem kurzen Rock, der ein wohlgeformtes Bein und den reizendsten kleinen Fuß sehen ließ; dies alles ließ sie meinen Blicken als eine eigenartige und vollkommene Schönheit erscheinen. Ich sah sie mit der größten Teilnahme an, und ihr Auge ruhte auf mir, wie wenn wir alte Bekannte gewesen wären.

»Sind Sie mit Ihrem Bett zufrieden gewesen?« fragte sie mich.

»Sehr zufrieden. Ich bin überzeugt, es war von Ihnen zurechtgemacht worden. Wer sind Sie?«

»Ich bin die Tochter des Hausmeisters und heiße Lucia; ich habe weder Brüder noch Schwestern und bin vierzehn Jahre alt. Es freut mich, daß Sie keinen Diener haben; ich werde Ihnen aufwarten, und ich bin überzeugt, Sie werden mit mir vollkommen zufrieden sein.«

Entzückt über diesen Anfang, richte ich mich im Bette auf, und sie hilft mir meinen Schlafrock anzuziehen, wobei sie hunderterlei sagt, was ich nicht verstehe. Ebenso verlegen, wie das Mädchen unbefangen ist, fange ich an, meinen Kaffee zu trinken; ihre Schönheit, gegen die man unmöglich gleichgültig bleiben konnte, hatte mich ganz verblüfft gemacht. Sie hatte sich die Freiheit genommen, sich auf das Fußende meines Bettes zu setzen, und entschuldigte dieses Benehmen nur mit einem vielsagenden Lachen.

Ich war noch dabei, meinen Kaffee zu trinken, als Lucias Vater und Mutter eintraten. Sie rührte sich nicht von ihrem Platz und schien, indem sie ihre Eltern ansah, sich noch damit zu brüsten, daß sie auf meinem Bette saß. Die guten Leute machten ihr sanfte Vorwürfe, baten mich ihrer Tochter wegen um Entschuldigung, und Lucia ging hinaus, um ihre häuslichen Geschäfte zu erledigen.

Sobald sie draußen war, sagten ihr Vater und ihre Mutter mir tausend Höflichkeiten; dann begannen sie das Lob ihrer Tochter zu singen. »Sie ist«, sagten sie, »unser einziges Kind, ein herziges Mädchen, die Hoffnung unseres Alters. Sie liebt uns, ist gehorsam und gottesfürchtig; sie ist gesund wie ein Fisch, und wir wissen an ihr nur einen einzigen Fehler.«

»Und was für einen?«

»Sie ist zu jung.«

»Das ist ein reizender Fehler, der mit der Zeit verschwinden wird.«

Gar bald überzeugte ich mich, daß ich in diesen guten Leuten Rechtschaffenheit, Wahrheit, häusliche Tugenden und wahres Glück vor mir sah. Während ich an diesem Gedanken mein inniges Vergnügen hatte, trat Lucia wieder ein, munter wie ein Vögelchen, sauber gewaschen, völlig angezogen, das Haar auf ländliche Art geordnet und die Füße in hübschen Schuhen. Nachdem sie mir eine Verbeugung gemacht hatte, wie sie auf den Dörfern Brauch sind, gab sie ihrem Vater und ihrer Mutter zwei Küsse und setzte sich dann dem braven Mann auf den Schoß. Ich sagte ihr, sie möchte sich doch auf mein Bett setzen; aber sie antwortete mir, so große Ehre sei ihr nicht erlaubt, wenn sie angezogen sei. Die Einfachheit und Unschuld, die sich in dieser Antwort aussprach, schienen mir entzückend, und ich mußte unwillkürlich lächeln. Ich sah sie mir daraufhin an, ob sie in ihrem bescheidenen Putz hübscher aussähe als in ihrem Negligee, und mein Urteil lautete zugunsten des letzteren. Mit einem Wort, Lucia schien mir nicht nur vor Angela, sondern sogar vor Bettina bei weitem den Vorzug zu verdienen.

Als der Friseur kam, entfernten sich die einfachen braven Leute, und nachdem ich mich angekleidet hatte, begab ich mich zu der Gräfin und ihrer liebenswürdigen Tochter; der Tag verging sehr heiter, wie es ja auf dem Lande im allgemeinen der Fall ist, wenn man ausgewählte Gesellschaft hat.

Am andern Morgen klingelte ich sofort nach dem Erwachen, und Lucia erschien, einfach und natürlich wie am Tage vorher, und doch so überraschend in ihren Bemerkungen und in ihrem Benehmen.

Alles an ihr glänzte unter dem reizenden Firnis der Aufrichtigkeit und Unschuld. Ich konnte nicht begreifen, wie ein keusches, anständiges und durchaus nicht dummes Mädchen so vertraulich zu mir kommen konnte und gar nicht befürchtete, daß ich mich in sie verlieben würde. Es kann nicht anders sein, dachte ich bei mir selber, als daß sie gewissen Tändeleien keine Wichtigkeit beimißt und darum es nicht so genau nimmt. Ich beschloß, sie zu überzeugen, daß ich ihr Gerechtigkeit widerfahren lasse. Ihren Eltern gegenüber fühlte ich mich nicht schuldig, denn ich nahm an, daß sie ebensowenig Wert darauf legten wie sie selber; ebensowenig fürchtete ich, daß ich der erste wäre, der ihre schöne Unschuld beunruhigte und das gefährliche Licht der Erkenntnis in ihre Seele trüge. Ich wollte mich weder von meinem Gefühl betölpeln lassen, noch auch dagegen handeln; darum beschloß ich, mir Aufklärung zu verschaffen. Ich mache eine kühne Handbewegung; unwillkürlich weicht sie zurück und wird rot, ihre Heiterkeit verschwindet; sie dreht den Kopf zur Seite, wie wenn sie irgend etwas suchen wollte, und wartet, bis ihre Verlegenheit vorüber ist. Dieser ganze Vorgang spielte sich in weniger als einer Minute ab. Sie näherte sich nur wieder, scheinbar ein wenig beschämt, als ob ich sie hätte etwas unartig finden können, und als ob sie befürchtete, sie hätte eine Handlungsweise falsch aufgefaßt, die von meiner Seite vielleicht ganz unschuldig gemeint sein könnte oder in der guten Gesellschaft üblich wäre. Schnell hatte sie ihr natürliches Lachen wiedergefunden. Alles, was ich hier beschrieben habe, las ich in einem Augenblick in ihrer Seele, und ich beeilte mich, sie wieder sicher zu machen. Da ich sah, daß ich durch Tätlichkeiten zu viel wagte, nahm ich mir vor, am nächsten Morgen sie zum Plaudern zu bringen.

Meinem Plan gemäß ergriff ich denn auch die Gelegenheit und sagte ihr infolge einer Bemerkung, die sie machte: es sei kalt; sie werde aber die Kälte nicht spüren, wenn sie neben mir liege.

»Würde ich Ihnen nicht unbequem sein?« fragte sie.

»Nein; aber ich denke mir, wenn deine Mutter dazukäme, würde sie böse sein.«

»Sie wird sich nichts Böses dabei denken.«

»So komm! Aber, Lucia, du weißt, welcher Gefahr du dich aussetzest?«

»Gewiß; aber Sie sind vernünftig, und was mehr ist: Sie sind Abbate.«

»Komm! Aber zuvor schließe die Tür.«

»Nein, nein! denn dann würde man denken … was weiß ich …«

Schließlich legte sie sich neben mich; sie plauderte fortwährend, aber ich verstand nichts von allem, was sie sagte. Ich befand mich in einer sehr eigentümlichen Lage: da ich meinen Begierden nicht nachgeben wollte, mußte es aussehen, als sei ich über die Maßen schwerfällig.

Die Sicherheit des Mädchens – eine Sicherheit, die ganz gewiß nicht erheuchelt war – machte auf mich einen solchen Eindruck, daß ich mich geschämt haben würde, sie zu mißbrauchen. Endlich sagte sie mir, es habe fünfzehn Uhr geschlagen, und wenn der alte Graf Antonio herunterkäme und uns so fände, würde er Witze machen, worüber sie sich ärgern müßte. »Das ist ein Mensch,« sagte sie, »vor dem ich davonlaufe, sobald ich ihn sehe.« Mit diesen Worten verließ sie ihren Platz und ging.

Lange Zeit blieb ich unbeweglich liegen; ich war vor Erstaunen wie betäubt und meine Sinne befanden sich ebensosehr in Aufruhr wie meine Gedanken.

Am nächsten Morgen hieß ich sie auf meinem Bett sitzenbleiben, denn ich wollte meine Ruhe behalten; ihre Äußerungen über Verschiedenes, worauf ich die Rede brachte, überzeugten mich vollends, daß sie mit Recht von ihren ehrenwerten Eltern vergöttert wurde, und daß die Freiheit ihres Geistes und ihr zwangloses Benehmen nur von ihrer Unschuld und von der Feinheit ihrer Seele herrührten. Ihre Naivität, ihre Lebhaftigkeit, ihre Neugier und die schamhafte Röte, die ihr schönes Gesicht überzog, wenn die spaßhaften Dinge, die sie ohne jedes Arg mir sagte, mich unwillkürlich zum Lachen brachten – dies alles zeigte mir, daß sie ein Engel war, der unfehlbar dem ersten besten Wüstling, der sie verführen wollte, zum Opfer fallen müßte.

Ich fühlte mich stark genug, um so zu handeln, daß ich mir keine Vorwürfe zu machen brauchte. Der bloße Gedanke daran machte mich schaudern, und meine Selbstachtung gewährleistete Lucias Ehre ihren guten Eltern, die infolge der guten Meinung, die sie von meinem Charakter hatten, sie mir vertrauensvoll überließen. Ich wäre in meinen eigenen Augen verächtlich gewesen, hätte ich das Vertrauen täuschen können, das sie in mich setzten. Ich beschloß also, mich zu bezähmen; und da ich sicher war, stets den Sieg zu behalten, so entschloß ich mich, mich selber zu bekämpfen und in ihrer bloßen Gegenwart den Lohn meiner Anstrengungen zu finden. Ich kannte noch nicht das Wort, daß der Sieg ungewiß ist, solange der Kampf dauert.

Da ihre Unterhaltung mir gefiel, so sagte ich ihr, ohne mir etwas Besonderes dabei zu denken: sie würde mir Vergnügen machen, wenn sie morgens frühzeitiger käme; sie möchte mich sogar aufwecken, wenn ich schliefe. Und um meiner Bitte mehr Gewicht zu verleihen, fügte ich hinzu: »Je weniger ich schlafe, desto wohler befinde ich mich.« Durch dieses Mittel gelang es mir, die Dauer unserer Unterhaltung von zwei Stunden auf drei zu verlängern; trotzdem aber verging mir die Zeit mit Blitzesschnelle.

Zuweilen kam ihre Mutter, während wir plauderten; sobald die gute Frau sie auf meinem Bett sitzen sah, hatte sie mir nichts mehr zu sagen; sie bewunderte nur meine Güte, daß ich das duldete. Lucia gab ihr hundert Küsse, und die überaus gutmütige Frau bat mich, ich möchte sie doch Weisheit lehren und ihr Bildung beibringen. Wenn sie hinaus war, glaubte Lucia deshalb nicht, nunmehr freier zu sein; sie behielt unverändert immer denselben Ton bei.

Die Gesellschaft dieses Engels ließ mich die grausamsten Qualen erdulden, während sie mir gleichzeitig die süßesten Wonnen verschaffte. Oft, wenn ihre Wangen zwei Fingerbreit von meinem Mund entfernt waren, packte mich der Wunsch, sie mit Küssen zu bedecken, und mein Blut geriet in heiße Wallung, wenn ich sie sagen hörte, sie hätte wohl meine Schwester sein mögen. Aber ich besaß Zurückhaltung genug, um die geringste Berührung zu vermeiden; denn ich fühlte wohl, ein einziger Kuß wäre der Funke gewesen, der das ganze Gebäude in die Luft gesprengt hätte. Wenn sie von mir ging, war ich jedesmal ganz erstaunt, den Sieg behalten zu haben; aber stets nach neuen Lorbeeren begierig, seufzte ich schon nach dem nächsten Morgen, um den süßen und gefährlichen Kampf zu erneuern. – Kleine Begierden machen einen Jüngling kühn; große nehmen ihn ganz und gar in Anspruch und halten ihn in Schranken.

Nach zehn oder zwölf Tagen erkannte ich, daß ich entweder ein Ende machen müßte oder als Schurke an ihr handeln würde. Ich entschloß mich zu dem ersten um so leichter, da ich nicht die geringste Gewißheit hatte, daß ich im zweiten Falle Erfolg haben würde; denn wenn Lucia die Heldin spielte und sich gegen meine Angriffe verteidigte, so wäre, da die Zimmertür offen stand, vielleicht Schande und zwecklose Reue mein Lohn gewesen – und dieser Gedanke erschreckte mich. Andererseits wußte ich nicht, wie ich es anfangen sollte, um ein Ende zu machen. Ich konnte nicht mehr einer Schönheit widerstehen, die im Morgengrauen, kaum bekleidet, fröhlich in mein Zimmer hüpfte, an mein Bett kam, mich fragte, ob ich gut geschlafen hätte, zutraulich ihr Gesicht an meine Wange schmiegte und mir sozusagen die Worte auf die Lippen legte. In einem so gefährlichen Augenblick wandte ich den Kopf zur Seite; dann warf sie in ihrem unschuldigen Ton mir vor, ich hätte Furcht, während sie selber sich doch ganz sicher fühlte; ich zog die Sache ins Lächerliche und antwortete ihr, sie irrte sich, wenn sie glaubte, ich hätte vor einem Kinde Angst; darauf versetzte sie dann, der Unterschied von zwei Jahren hätte nichts zu bedeuten.

Ich fühlte mit jedem Augenblick die Glut wachsen, die mich verzehrte; schließlich konnte ich nicht mehr, und ich faßte den Entschluß, sie selber zu bitten, sie möchte nicht mehr zu mir kommen. Dieser Entschluß schien mir erhaben und von unfehlbarer Wirkung zu sein; da ich jedoch die Ausführung auf den folgenden Tag verschoben hatte, verbrachte ich eine Nacht, die ich schwer beschreiben kann. Immer sah ich Lucias Bild vor mir, und der Gedanke wollte nicht weichen, daß ich sie am nächsten Tag zum letzten Male sehen würde. Ich stellte mir vor, Lucia würde nicht nur meinem Plan beistimmen, sondern für ihr ganzes Leben einen hohen Begriff von meinem Charakter behalten.

Kaum dämmerte der Morgen, da erschien Lucia strahlend, leuchtend, das Lächeln des Glückes auf ihrem hübschen Munde, ihr schönes Haar in der entzückendsten Unordnung; mit ausgebreiteten Armen stürzt sie auf mein Bett zu; plötzlich aber bleibt sie stehen, ihr Gesicht wird traurig und unruhig, als sie mich bleich, verstört, traurig sieht.

»Was haben Sie denn?« fragte sie mich teilnahmsvoll.

»Ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können.«

»Und warum nicht?«

»Weil ich mich entschlossen habe, Ihnen einen Plan mitzuteilen – einen Plan, der für mich sehr traurig ist, mir aber Ihre volle Achtung verschaffen wird.«

»Wenn der Plan Ihnen meine Achtung verschaffen soll, muß er im Gegenteil so sein, daß er Sie heiter macht. Aber sagen Sie mir doch, Herr Abbate, warum Sie mich gestern noch geduzt haben und heute mich wie ein Fräulein behandeln? Ich will Ihnen jetzt Ihren Kaffee holen, und wenn Sie ihn getrunken haben, sollen Sie mir alles sagen; ich bin sehr neugierig, was das für ein Plan ist.«

Sie geht hinaus, kommt wieder, ich nehme meinen Kaffee; als sie mich immer noch ernst sieht, bemüht sie sich, mich aufzuheitern; es gelingt ihr, mich zum Lachen zu bringen, und sie freut sich darüber. Nachdem sie das Geschirr abgeräumt hatte, schloß sie die Tür, weil es zog; um von dem, was ich ihr zu sagen hätte, kein Wort zu verlieren, sagte sie mir naiverweise, ich möchte ihr neben mir ein Plätzchen einräumen. Ich tat, was sie wollte, denn mir war zumute, als wäre ich halbtot.

Nachdem ich ihr getreulich berichtet hatte, in welchen Zustand ihre Reize mich versetzt hätten, und nachdem ich ihr geschildert, was für Qualen ich ausgestanden hätte, um meinem lebhaften Verlangen, ihr meine Liebe zu beweisen, widerstehen zu können, erklärte ich ihr: ich könnte meine Leiden nicht mehr ertragen und müßte sie bitten, nicht mehr vor meinen Augen zu erscheinen. Die Wichtigkeit des Gegenstandes, die Wahrheit meiner Leidenschaft, mein Wunsch, daß sie in meinem Plan die erhabene Willensanstrengung einer vollkommenen Liebe sehe – dies alles machte mich ungewöhnt beredt und besonders bemühte ich mich, ihr recht lebhaft zu schildern, welche furchtbaren Folgen ein anderes Verhalten als das von mir vorgeschlagene haben könnte und wie unglücklich wir dann vielleicht sein würden.

Als am Ende meiner langen Rede Lucia meine Augen feucht von Tränen sah, entblößte sie sich, um sie mir abzutrocknen, ohne zu bedenken, daß sie dadurch zwei Halbkugeln enthüllte, deren Schönheit imstande gewesen wäre, den erfahrensten Lotsen schiffbrüchig werden zu lassen.

Nachdem wir einige Augenblicke beide geschwiegen hatten, sagte das reizende Kind mir in traurigem Ton, meine Tränen betrübten sie; sie hätte niemals geglaubt, daß ich ihretwegen welche vergießen könnte.

»Alles, was Sie mir da gesagt haben,« fuhr sie fort, »beweist mir, daß Sie mich sehr lieb haben; aber ich weiß nicht, wie Sie deshalb so in Sorgen sein können, während mir Ihre Liebe eine unendliche Wonne bereitet. Sie wollen mich aus Ihrer Gegenwart verbannen, weil Ihre Liebe Ihnen Furcht macht; aber was würden Sie denn tun, wenn Sie mich haßten? Bin ich strafbar, weil ich Ihnen gefallen habe? Wenn die Liebe, die ich Ihnen eingeflößt habe, ein Verbrechen ist, so versichere ich Ihnen, ich habe nicht die Absicht gehabt, ein solches zu begehen; somit können Sie mit gutem Gewissen mich nicht deswegen bestrafen. Eines freilich kann ich Ihnen nicht verschweigen: es freut mich, daß Sie mich lieben. Wohl läuft man Gefahr, wenn man liebt, und ich kenne diese Gefahr sehr wohl; aber wir können ihr trotzen. Ich wundere mich, daß mir dies nicht schwierig erscheint, die ich doch nur ein unwissendes Mädchen bin, während dagegen Sie, ein so gelehrter Mann, wie alle Leute sagen, solche Angst davor zu haben scheinen. Es überrascht mich, daß die Liebe, die doch keine Krankheit ist, Sie hat krank machen können, auf mich aber eine ganz entgegengesetzte Wirkung ausübt. Wäre es möglich, daß ich mich täuschte, und daß das Gefühl, das ich für Sie empfinde, etwas anderes wäre als Liebe? Sie sahen, wie lustig ich war, als ich heute morgen zu Ihnen kam; das kam davon, daß ich die ganze Nacht geträumt habe. Trotzdem habe ich sehr gut geschlafen; nur bin ich fünf- oder sechsmal aufgewacht, um mich zu vergewissern, ob mein Traum nicht Wirklichkeit wäre; denn ich träumte, ich wäre bei Ihnen; und als ich sah, daß dies nicht der Fall war, schlief ich recht bald wieder ein, weil ich gerne weiterträumen wollte, und dies gelang mir auch. Hatte ich also heute morgen nicht recht, so lustig zu sein? Mein lieber Abbate, wenn die Liebe eine Qual für Sie ist, so tut mir das leid; aber könnten Sie wirklich geboren sein, um nicht zu lieben? Ich werde alles tun, was Sie mir befehlen; nur werde ich niemals – selbst wenn Ihre Genesung davon abhinge – niemals aufhören, Sie zu lieben; denn das ist nicht möglich. Sollte es aber, damit Sie gesund werden, nötig sein, daß Sie mich nicht mehr lieben, so tun Sie, was Sie wollen; denn ich will lieber, daß Sie ohne Liebe leben, als daß Sie sterben, weil Sie zu viel lieben. Nur bitte ich Sie, denken Sie doch darüber nach, ob Sie nicht ein anderes Hilfsmittel finden können, denn das von Ihnen vorgeschlagene betrübt mich. Denken Sie darüber nach; es wäre doch möglich, daß dieses Mittel nicht das einzige wäre, und daß Sie ein weniger schmerzvolles entdecken könnten. Schlagen Sie mir eines vor, das leichter ausführbar ist, und verlassen Sie sich auf Lucia.«

Diese aufrichtige, naive und natürliche Rede lehrte mich, wie weit die Beredsamkeit der Natur der Beredsamkeit des philosophischen Geistes überlegen ist. Zum erstenmal schloß ich das himmlische Mädchen in meine Arme und sagte: »Ja, meine teure Lucia, ja, du kannst dem Leiden, das mich verzehrt, die köstlichste Linderung bringen: überlasse meinen glühenden Küssen deinen göttlichen Mund, der mir versichert, daß du mich liebst!«

So verbrachten wir eine Stunde in einem entzückenden Schweigen, das nur von den Worten unterbrochen wurde, die Lucia von Zeit zu Zeit wiederholte: »O mein Gott, ist es wahr? Träume ich nicht?« Ich ehrte indessen ihre Unschuld, und vielleicht tat ich dies nur deshalb, weil sie sich mir ganz und gar und ohne den geringsten Widerstand überlieferte. Endlich aber entwand sie sich sanft meinen Armen und sagte unruhig: »Mein Herz beginnt zu sprechen – ich muß gehen!« Und sofort stand sie auf. Nachdem sie ihre Kleider ein wenig in Ordnung gebracht hatte, setzte sie sich; einige Augenblicke nachher kam ihre Mutter hinein und beglückwünschte mich zu meinem guten Aussehen und zu meinen frischen Farben; hierauf sagte sie zu ihrer Tochter, sie solle sich ankleiden und in die Messe gehen. Eine Stunde darauf kam Lucia zurück und sagte mir, das Wunder, das sie bewirkt habe, mache sie glücklich, und sie sei ganz stolz darauf; denn meine augenscheinliche Gesundheit sei für sie ein viel sichereres Zeichen meiner Liebe als der klägliche Zustand, in dem sie mich am Morgen gefunden habe. »Wenn die Vollkommenheit deines Glückes«, fuhr sie fort, »nur von mir ahhängt – so nimm es dir; ich habe dir nichts zu verweigern.«

Sobald sie hinausgegangen war, dachte ich über meine Lage nach. Ich schwankte noch zwischen Trunkenheit und Furcht; aber es wurde mir klar, daß ich am Rande des Abgrundes stände und daß ich einer übernatürlichen Kraft bedürfen würde, um nicht hinabzustürzen.

Ich blieb in Paseano den ganzen Monat September, und die letzten elf Nächte meines Aufenthaltes verbrachte ich in ruhigem und freiem Besitz Lucias, die des Schlafes ihrer Mutter sicher war und zu mir kam, um in meinen Armen die köstlichsten Stunden zu verleben.

Meine Glut verminderte sich nicht, sondern vermehrte sich im Gegenteil durch meine Enthaltsamkeit, von der mich Lucia mit allen möglichen Mitteln abzubringen verbuchte. Sie konnte die Süße der verbotenen Frucht nur dann kosten, wenn sie sie mich ohne Rückhalt pflücken ließ, und die Wirkung der beständigen Berührung war zu stark, als daß ein junges Mädchen ihr hätte widerstehen können. Darum bot denn auch Lucia alles auf, um mir etwas vorzutäuschen; sie sagte, ich hätte bereits ihre höchste Gunst genossen. Aber ich hatte bei Bettina einen so guten Unterricht gehabt, daß ich sehr wohl wußte, woran ich war; und so kam das Ende meines Aufenthalts heran, ohne daß ich der süßen Versuchung unterlag.

Als ich von Paseano abreiste, versprach ich ihr, im nächsten Frühjahr wieder zu kommen. Unser Abschied war ebenso traurig wie zärtlich; ich ließ sie in einer Geistesverfassung zurück, die ohne Zweifel die Ursache ihres Unglücks geworden ist – ihres Unglücks, das ich mir vorzuwerfen hatte, als ich sie zwanzig Jahre später in Holland traf, und das ich mir ewig zum Vorwurf machen werde.

Kaum war ich ein paar Tage in Venedig, so hatte ich wieder meine alte Lebensweise aufgenommen und bewarb mich wieder eifrig um Angela, bei der ich es wenigstens ebensoweit zu bringen hoffte wie bei Lucia. Eine Furcht, die ich heute nicht mehr in meiner Natur finde, eine Art von panischem Schrecken vor den Folgen, die vielleicht ungünstig auf meine Zukunft hätten einwirken können, hinderten mich am Genießen. Ich weiß nicht, ob ich jemals ein vollkommen ehrenhafter Mensch gewesen bin; so viel aber weiß ich sehr gut, daß die Gefühle, die ich in meiner Jugend hegte, viel zarter waren, als diejenigen, die ich später durch das Leben gewonnen habe. Eine skeptische Philosophie vermindert zu sehr die Zahl der sogenannten Vorurteile.

Die beiden Schwestern, die zusammen mit Angela das Sticken lernten, waren ihre vertrauten Freundinnen und in alle ihre Geheimnisse eingeweiht. Als ich später ihre Bekanntschaft gemacht hatte, erfuhr ich, daß sie ihre Härte gegen mich verurteilten. Da ich sie beständig mit Angela zusammen sah und ihre vertraute Freundschaft kannte, trug ich ihnen meine Klagen vor; ganz erfüllt von dem Bilde meiner Grausamen, war ich nicht ein solcher Geck, um zu glauben, die jungen Mädchen könnten sich in mich verlieben; oft aber geschah es, daß ich zu ihnen mit dem ganzen Feuer sprach, das mich durchlohte – was ich in Gegenwart des von mir angebeteten Mädchens niemals zu tun wagte. Wahre Liebe macht immer zurückhaltend; man fürchtet, es könnte wie Übertreibung aussehen, wenn man alle Gefühle ausspricht, die eine edle Leidenschaft eingeflößt hat; der bescheidene Liebhaber sagt oft zu wenig, aus Furcht, er könnte zu viel sagen.

Der Sticklehrerin, einer alten Betschwester, die im Anfang gegen meine Neigung für Angela anscheinend gleichgültig gewesen war, wurden meine allzu häufigen Besuche endlich lästig, und sie sprach darüber mit dem Pfarrer, dem Oheim meiner Schönen. Dieser sagte mir eines Tages freundlich, ich müsse weniger oft in das Haus der Lehrerin gehen, denn mein häufiges Kommen könne übel ausgelegt werden und dem guten Ruf seiner Nichte schaden. Diese Worte trafen mich wie ein Donnerschlag; doch besaß ich genügend Selbstbeherrschung, um mir nichts merken zu lassen, was ihn hätte mißtrauisch machen können. Ich sagte ihm nur, ich würde seinen Rat befolgen.

Drei oder vier Tage später ging ich zur Sticklehrerin, wie wenn ich ihr allein einen Besuch machen wollte, und vermied es sorgfältig, mich bei den jungen Mädchen aufzuhalten; doch gelang es mir, der ältesten Schwester ein Briefchen zuzustecken, das einen anderen Brief für meine geliebte Angela enthielt. Hierin teilte ich ihr die Gründe mit, die mich genötigt hätten, meine Besuche zu unterbrechen; natürlich bat ich sie auch, sie möchte darüber nachdenken, auf welche Weise ich mir das Glück verschaffen könnte, ihr von meinen Gefühlen zu sprechen. Nannetta bat ich nur, meinen Brief ihrer Freundin zu übergeben; ich würde am übernächsten Tage zu ihnen kommen und hoffte, sie werde es möglich machen können, mir eine Antwort zu übergeben. Sie richtete meinen Auftrag ganz vortrefflich aus; denn als ich zwei Tage darauf wieder meinen Besuch machte, steckte sie mir ein Briefchen zu, ohne daß jemand etwas davon merkte. Nannettas Brief enthielt von Angela, die nicht gerne schrieb, nur ein paar Zeilen; sie sagte mir nichts weiter, als daß ich nach Möglichkeit alles machen solle, was ihre Freundin mir schriebe. Nannettens Brief, den ich – wie alle anderen Briefe, die ich im Laufe meiner Geschichte anführe – aufbewahrt habe, lautete folgendem maßen:

»Es gibt, Herr Abbate, nichts auf der Welt, was ich nicht für meine Freundin zu tun bereit wäre. Sie kommt jeden Freitag zu uns, ißt bei uns zu Abend und schläft bei uns. Ich schlage Ihnen ein Mittel vor, um mit unserer Tante, Frau Orio, bekannt zu werden. Sollte es Ihnen aber gelingen, in unserem Hause eingeführt zu werden, so mache ich Sie darauf aufmerksam, daß Sie sich ja nicht dürfen merken lassen, daß Sie an Angela Gefallen finden; denn unsere Tante würde es übel vermerken, wenn Sie in ihr Haus kämen, um dort ein junges Mädchen zu sehen, das nicht zu ihrer Familie gehört. Das Mittel, bei dessen Anwendung ich Ihnen nach besten Kräften behilflich sein werde, ist folgendes: Frau Orio stammt zwar aus adeliger Familie, aber sie ist nicht reich; deshalb wünscht sie in die Liste adeliger Witwen eingeschrieben zu werden, denen die Unterstützungen der Brüderschaft vom Heiligen Sakrament zuteil werden. Der Präsident dieser Brüderschaft ist Herr von Malipiero. Letzten Sonntag sagte Angela ihr, Sie ständen bei diesem Herrn in großer Gunst, und um seine Fürsprache zu erlangen, wäre das sicherste Mittel, daß Sie ihn darum bäten. Sie sagte ihr in übermütiger Laune, Sie wären verliebt in mich, Sie gingen nur darum so oft zu unserer Sticklehrerin, um mit mir sprechen zu können; ich würde Sie daher leicht dahinbringen können, sich für sie zu interessieren. Meine Tante antwortete: da Sie Priester seien, so sei ja nichts zu befürchten, und ich könnte Ihnen schreiben, Sie möchten doch einmal zu ihr kommen. Ich weigerte mich. Der Sachwalter Rosa, ein ganz intimer Freund unserer Tante, war bei dieser Unterhaltung zugegen; er gab mir vollkommen recht, indem er sagte, ich dürfe nicht an Sie schreiben, vielmehr müsse sie dies tun; sie müsse Sie bitten, ihr die Ehre zu erweisen, in einer für sie wichtigen Angelegenheit bei ihr vorzusprechen; wenn Sie mich wirklich liebten, so würden Sie ganz gewiß kommen. Infolgedessen hat meine Tante Ihnen den Brief geschrieben, den Sie in Ihrer Wohnung vorfinden werden. Wollen Sie Angela bei uns finden, so verschieben Sie Ihren Besuch bis Sonntag. Können Sie für meine Tante das Wohlwollen des Herrn von Malipiero erwerben, so werden Sie bei uns Kind im Hause werden. Sie werden mir aber verzeihen, wenn ich Sie schlecht behandle; denn ich habe gesagt, ich liebe Sie nicht. Sie werden gut tun, wenn Sie meiner Tante, die sechzig Jahre alt ist, den Hof machen. Herr Rosa wird darüber nicht eifersüchtig sein, und Sie werden sich dadurch im ganzen Hause beliebt machen. Ich werde Ihnen die Gelegenheit verschaffen, Angela zu sehen und unter vier Augen mit ihr zu sprechen; ich werde alles tun, um Sie von meiner Freundschaft zu überzeugen. Leben Sie wohl.«

Ich fand diesen Plan vorzüglich ausgedacht, und da ich noch am selben Abend das Briefchen der Frau Orio empfangen hatte, so folgte ich schon am nächsten Tage, einem Sonntag, ihrer Einladung. Ich wurde ausgezeichnet empfangen; die Dame bat mich, ich möchte mich für sie interessieren, und übergab mir alle Papiere, die zum guten Gelingen der Sache erforderlich sein konnten. Ich erbot mich, bereitwillig ihr zu Diensten sein, und sprach absichtlich sehr wenig mit Angela; dafür aber richtete ich zum Schein meine Galanterien an Nannetta, die mich sehr schlecht behandelte. Ich gewann mir die Freundschaft des alten Sachwalters Rosa, der mir späterhin nützlich war.

Der Erfolg von Frau Orios Bitte war für mich selber zu wichtig, als daß ich nicht dem Plan meine ganze Aufmerksamkeit hätte zuwenden sollen. Da ich den Einfluß der schönen Teresa Imer auf unseren verliebten Senator kannte und überzeugt war, der alte Herr würde glücklich sein über eine Gelegenheit, sich ihr angenehm zu erweisen, so beschloß ich, gleich am anderen Morgen zu ihr zu gehen, und ich trat in ihr Zimmer ein, ohne mich anmelden zu lassen. Ich fand sie allein mit dem Arzt Doro; dieser tat, als sei er nur von Berufs wegen bei ihr, schrieb ein Rezept, fühlte ihr den Puls und ging.

Man glaubte allgemein, der Doktor sei in Teresa verliebt; Herr von Malipiero war eifersüchtig auf ihn, hatte ihr verboten, ihn zu empfangen, und sie hatte es ihm versprochen. Teresa wußte, daß ich von allen diesen Dingen unterrichtet war; mein Erscheinen mußte ihr daher sehr unangenehm sein, denn ganz gewiß wäre es ihr unerwünscht gewesen, hätte der alte Herr erfahren, daß sie ihre ihm gegebenen Versprechungen in den Wind schlug. Mir schien daher der Augenblick äußerst günstig zu sein, um von ihr alles zu erreichen, was ich nur wünschen könnte.

Zunächst sagte ich ihr kurz und bündig, was mich zu ihr führte; ich verfehlte nicht, ihr zu versichern, daß sie auf meine Verschwiegenheit zählen könne, und daß ich außerstande sei, ihr zu schaden. Teresa dankte mir dafür und versicherte mir eifrig, es wäre ihr sehr angenehm, mir gefällig sein zu können. Nachdem sie sich die Papiere der Dame, für die ich mich interessierte, hatte geben lassen, zeigte sie mir die Zeugnisse einer anderen Dame, zu deren Gunsten zu sprechen sie bereits zugesagt habe; sie verspreche mir jedoch diese Dame der von mir beschützten aufzuopfern. Sie hielt Wort, denn schon am übernächsten Tage war ich im Besitz der Verfügung, die von Seiner Erzellenz als Vorsitzenden der Brüderschaft unterzeichnet war. Frau Orio wurde zunächst, bis sich etwas Besseres fände, für die Unterstützungen eingeschrieben, die zweimal jährlich durch das Los verteilt wurden.

Nannetta und ihre Schwester Martina waren Waisen, Schwestertöchter der Frau Orio. Das ganze Vermögen der guten Dame bestand nur aus dem Hause, worin sie wohnte und dessen erstes Stockwerk sie vermietete, und aus einem Jahrgeld, das ihr Bruder, Sekretär des Rates der Zehn, ihr ausgesetzt hatte. Sie hatte nur ihre beiden reizenden Nichten bei sich, von denen die ältere sechzehn, die jüngere fünfzehn Jahre alt war. Anstatt eines Dienstboten hatte sie nur eine alte Frau, die für einen Taler monatlich jeden Tag Wasser holte und das Haus in Ordnung brachte. Der Sachwalter Rosa war ihr einziger Freund; er war wie sie sechzig Jahre alt und wartete, um sie zu heiraten, nur auf den Augenblick, wo er Witwer sein würde.

Die beiden Schwestern schliefen zusammen im dritten Stock in einem breiten Bett, das Angela an allen Festtagen als dritte teilte.

Sobald ich im Besitz der von Frau Orio gewünschten Urkunde war, beeilte ich mich, der Sticklehrerin einen Besuch zu machen, um Nannetta ein Briefchen zuzustecken, worin ich ihr den glücklichen Erfolg meiner Bemühungen mitteilte und ihr sagte, ich würde am übernächsten Tage, einem Feiertage, ihrer Tante das Dekret meines Senators übergeben; ich vergaß nicht, sie aufs dringendste zu bitten, mir ein Stelldichein mit meiner Schönen zu ermöglichen.

Am bestimmten Tage hatte Nannetta schon auf mich gewartet; sie steckte mir geschickt ein Briefchen zu, wobei sie mir sagte, ich möchte es aus alle Fälle lesen, bevor ich das Haus verließe. Ich trat ein und sah in Frau Orios Gesellschaft Angela, den alten Sachwalter und Martina. Da es mich drängte, meinen Brief zu lesen, schlug ich den mir angebotenen Stuhl aus, übergab Frau Orio die Urkunde und erbat mir als einzigen Lohn die Erlaubnis, ihr die Hand küssen zu dürfen, da ich keine Zeit hätte und unverzüglich wieder gehen müßte.

»O, mein lieber Abbate,« sagte die Dame zu nur, »Sie werden mich umarmen, und darüber wird niemand etwas sagen können, denn ich bin ja dreißig Jahre älter als Sie!« Sie hätte, ohne sich zu irren, auch fünfundvierzig sagen können. – Ich gab ihr zwei Küsse, von denen sie ohne Zweifel befriedigt war, denn sie sagte mir, ich möchte auch ihre beiden Nichten umarmen; diese aber ergriffen die Flucht, und nur Angela hielt meiner Kühnheit stand. Hierauf lud die Witwe mich ein, Platz zu nehmen.

»Ich kann es nicht, gnädige Frau.«

»Warum denn nicht, bitte?«

»Ich habe …«

»Ich verstehe. Nannetta, zeige dem Herrn Abbate …«

»Liebe Tante, erlassen Sie nur das, bitte!«

»So geh du, Martina.«

»Liebe Tante, lassen Sie mich, mag doch meine ältere Schwester tun, was Sie ihr gesagt haben.«

»Gnädige Frau,« sage ich, »die jungen Damen hahen vollkommen recht. Ich gehe.«

»Nein, Herr Abbate, meine Nichten sind mir recht dumme Gänschen; Herr Rosa wird die Güte haben.«

Der gute Sachwalter nimmt mich freundlich bei der Hand und führt mich nach dem dritten Stock, wo er mich allein läßt. Sowie ich ungestört bin, lese ich folgendes Briefchen:

»Meine Tante wird Sie zum Abendessen bitten; nehmen Sie nicht an! Entfernen Sie sich, sobald wir uns zu Tische setzen; Martina wird Ihnen bis an die Straßentür leuchten, aber gehen Sie nicht hinaus. Sobald die Tür wieder geschlossen ist, werden alle glauben, daß Sie fort seien; dann steigen Sie leise bis zum dritten Stock hinauf und warten dort auf uns. Wir kommen, sobald Herr Rosa fortgegangen ist und unsere Tante sich zu Bett gelegt hat. Es kommt dann nur auf Angela an, Ihnen die ganze Nacht ein Stelldichein zu gewähren, von dem ich hoffe, daß es Sie sehr glücklich machen wird.«

Welche Freude! Wie dankbar war ich dem Zufall, der es veranstaltete, daß ich diesen Brief an demselben Ort las, wo ich den Gegenstand meiner Liebe erwarten sollte! Ich war sicher, mich ohne die geringste Schwierigkeit zurechtzufinden und begab mich, ganz voll von meinem Glück, wieder zu Frau Orio hinunter.

Als ich wieder im Salon war, dankte Frau Orio mir tausendmal und sagte mir, in Zukunft müsse ich mir alle Rechte eines Hausfreundes zunutze machen; hierauf verbrachten wir vier Stunden mit Lachen und Scherzen.

Als es Zeit zum Abendessen war, brachte ich so geschickte Entschuldigungen hervor, daß Frau Orio sie gelten lassen mußte. Martina nahm die Lampe, um mir hinunter zu leuchten; die Tante aber gab in dem Glauben, daß Nannetta die von mir bevorzugte sei, dieser so energischen Befehl mich zu begleiten, daß sie gehorchen mußte. Schnell läuft sie die Treppe hinunter, öffnet die Tür, schlägt sie geräufchvoll wieder zu, bläst die Lampe aus und geht wieder hinauf, mich im Dunkel lassend. Leise steige ich die Treppen hinauf bis zum dritten Stock, gehe in das Zimmer der jungen Damen, setze mich auf ein Sofa und erwarte die glückliche Schäferstunde.

So verweilte ich ungefähr eine Stunde in den süßesten Träumereien; endlich hörte ich die Haustür sich öffnen und wieder schließen, und einige Minuten später sah ich die beiden Schwestern und meine Angela eintreten. Ich zog sie an mich, und alles andere außer ihr vergessend, sprach ich mit ihr zwei volle Stunden lang. Es schlägt Mitternacht; die jungen Mädchen bedauern mich, daß ich nicht zu Abend gegessen hätte; aber ihr Mitleid erscheint mir als eine Beleidigung – ich antworte, im Schoß des Glückes könne ich mich von keinem Bedürfnis belästigt fühlen. Sie sagen mir, ich sei Gefangener; der Hausschlüssel liege unter dem Kopfkissen der Tante, die die Tür erst öffne, wenn sie zur Frühmesse gehe. Ich zeige mich erstaunt, daß sie glauben können, dies sei eine schlechte Nachricht für mich; ich sei im Gegenteil froh darüber, daß ich fünf Stunden vor mir habe und sicher bin, diese mit meinem angebeteten Mädchen zu verbringen. Eine Stunde später fängt Nannetta an zu lachen; Angela will den Grund wissen; Martina sagt ihr etwas ins Ohr und fängt dann ebenfalls an zu lachen. Ich werde neugierig und wünsche nun auch die Ursache ihrer Heiterkeit zu erfahren; endlich sagt mir Nannetta mit scheinbar trauriger Miene, sie hätten keine andere Kerze und in wenigen Augenblicken würden wir im Dunkeln sein. Diese Nachricht erfüllt mich mit Entzücken; aber ich verberge dieses und sage ihnen, es tue mir ihretwegen leid. Ich schlage ihnen vor, sie möchten sich ruhig zu Bett legen und schlafen; sie könnten sich darauf verlassen, daß ich sie achten würde. Uber diesen Vorschlag lachten sie nur.

»Was sollen wir denn im Dunkeln machen?«

»Wir werden plaudern.«

Wir waren selbviert; drei Stunden dauerte nun schon unser Gcspräch, und ich war der Held des Stückes. Die Liebe ist ein großer Dichter: ihr Stoff ist unerschöpfbar; aber wenn sie das Ziel, auf das sie es abgesehen hat, niemals herankommen sieht, wird sie müde und verstummt. Meine Angela hörte mir zu; aber da sie überhaupt wortkarg war, antwortete sie mir nur selten, und in ihren Antworten war mehr gesunder Menschenverstand als Geist. Um meine Beweisgründe zu widerlegen, warf sie mir oft nur ein Sprichwort hin – wie die alten Römer mit ihren Katapulten schossen. Sie beugte sich zurück oder stieß mit der unangenehmsten Sanftmut meine Arme und Hände zurück, so oft meine Liebe diese zu Hilfe rief. Trotz alledem sprach und gestikulierte ich immer weiter, ohne den Mut zu verlieren; aber ich war in Verzweiflung, als ich bemerkte, daß meine allzu scharfsinnigen Argumente sie nur betäubten, anstatt sie zu überzeugen; daß sie wohl ihr Herz ein wenig erschütterten, es aber nicht zu erweichen vermochten. Andererseits war ich ganz erstaunt, den Gesichtern der beiden Schwestern anzusehen, daß meine auf Angela abgeschossenen Pfeile sie getroffen hatten. Diese metaphysische Kurve erschien mir widernatürlich zu sein; es hätte ein Winkel sein müssen. Unglücklicherweise studierte ich damals Geometrie. Die Situation ergriff mich dermaßen, daß ich trotz der kalten Jahreszeit große Tropfen schwitzte. Endlich war die Kerze dem Verlöschen nahe, und Nannetta stand auf, um sie hinauszutragen.

Sobald es dunkel war, streckte ich natürlich die Arme aus, um den Gegenstand zu erfassen, nach dem meine Seele verlangte; als ich aber nichts fand, lachte ich darüber, daß Angela rechtzeitig den Augenblick benutzt hatte, um sich von mir nicht überraschen zu lassen. Eine Stunde lang sagte ich ihr, damit sie sich wieder zu mir setzte, alles mögliche Lustige und Zärtliche, was die Liebe mir einflößen konnte. Es schien mir unmöglich zu sein, daß ihr Benehmen nicht ein bloßer Scherz wäre. Endlich aber mischte die Ungeduld sich hinein, und ich rief aus: »Der Spaß dauert zu lang! Er ist unnatürlich, denn ich kann Ihnen nicht nachlaufen; es wundert mich, daß ich Sie nicht lachen höre; denn wenn Sie sich so sonderbar benehmen, kann ich nur annehmen, daß Sie sich über mich lustig machen. Also setzen Sie sich, und da ich mit Ihnen sprechen muß, ohne Sie zu sehen, so gestatten Sie mir, mit meinen Händen mich zu überzeugen, daß ich nicht mit der Luft spreche. Sie müssen fühlen, daß Sie mich beschimpfen, wenn Sie sich über mich lustig machen; und die Liebe, glaube ich, darf nicht durch Beschimpfungen auf die Probe gestellt werden.«

»Nun, beruhigen Sie sich nur! Ich höre alles und verliere kein Wort von dem, was Sie sagen; aber Sie müssen fühlen, daß ich anständigerweise in dieser Dunkelheit mich nicht neben Sie setzen kann«

»Sie verlangen also, daß ich bis Tagesanbruch hier so sitzen soll?«

»Legen Sie sich auf das Bett und schlafen Sie.«

»Ich bewundere Sie, daß Sie das für möglich halten und glauben, daß es sich mit meiner Glut verträgt. Wissen Sie was? Ich will lieber annehmen, daß wir Blindekuh spielen!«

Ich sprang auf und begann die Kreuz und Quer im Zimmer sie zu suchen, aber immer vergeblich. Wenn ich jemanden faßte, war es immer Nannetta oder Martina, die sich stets sofort zu erkennen gaben; und augenblicklich ließ ich dummer Don Quijote sie los. Aus Liebe und Vorurteil fühlte ich nicht, wie lächerlich dieser Respekt war. Die Anekdoten vom französischen König Ludwig dem Dreizehnten hatte ich noch nicht gelesen; aber ich hatte Boccaccio gelesen. Ich suchte Angela immer weiter, indem ich ihr Härte vorwarf und ihr vorstellte, sie müßte sich doch endlich einmal finden lassen; aber sie antwortete mir, es sei natürlich für sie ebenso schwierig, mich zu finden. Das Zimmer war nicht groß, und ich war wütend, daß ich sie nicht erwischen konnte.

Ich war nicht gerade müde, aber es langweilte mich; ich setzte mich hin und erzählte eine Stunde lang die Geschichte von Ruggiero, dem seine Angelica entschwand, als der verliebte Ritter in allzu großen Einfalt ihr den Zauberring gegeben hatte:

Cosi dicendo, intorno alla fortuna,
Brancolando n’andava come cieco.
O quante volte abbraccio l’aria vana
Sperando la donzella abbracciar seco!

Sprach’s. Und das Glück sucht‘ er die Kreuz und Quere,
Und schwankend tappte er gleich einem Blinden;
Wie oft umarmte er die Luft, die leere,
Und stand im Wahn, die schöne Maid zu finden!

Angela kannte Ariost nicht, aber Nannetta hatte ihn mehrere Male gelesen. Sie ergriff die Verteidigung Angelicas und sagte, schuld habe nur die Einfalt Ruggieros; wenn er vernünftig gewesen wäre, hätte er niemals der Koketten den Ring anvertrauen dürfen. Nannetta entzückte mich; aber ich war noch zu sehr Neuling, um die Betrachtungen anzustellen, die mich hätten zur Besinnung bringen müssen.

Ich hatte nur noch eine einzige Stunde vor mir, denn wir durften nicht warten, bis es Tag wurde; Frau Orio wäre lieber gestorben, als daß sie die Messe versäumt hätte. Ich brachte also diese letzte Stunde damit zu, ganz allein mit Angela zu sprechen, um sie zu überreden, ja zu überzeugen, daß sie sich zu mir setzen müßte. Meine Seele machte alle Grade der Höllenqual durch; der Leser wird sich von meinem Zustande keinen Begriff machen können, wenn er sich nicht selber im gleichen Fall befunden hat. Nachdem ich die überzeugendsten Gründe erschöpft hatte, ging ich zu Bitten über und endlich zu Tränen; als ich aber sah, daß alles unnütz war, da bemächtigte sich meiner jene edle Entrüstung, die den Zorn adelt. Ich hätte schließlich das stolze Ungeheuer, das mich fünf Stunden lang in der furchtbarsten Qual schmachten lassen konnte, schlagen mögen, wenn ich nicht im Dunkeln gewesen wäre. Ich sagte ihr alle Beleidigungen, die verschmähte Liebe einem zornigen Geist eingeben kann. Ich schmetterte sie mit sanatischen Verwünschungen zu Boden; ich schwor ihr, alle meine Liebe habe sich in Haß verwandelt, und zum Schluß sagte ich ihr, sie möchte sich vor mir in acht nehmen, denn ich würde sie ermorden, sobald sie mir vor die Augen käme. Mit der Dunkelheit hörten auch meine zornigen Reden auf. Als die ersten Strahlen der Morgensonne erschienen, klirrten der große Schlüssel und der Riegel der Haustür: Frau Orio öffnete die Tür, um wie jeden Tag in der Messe ihrer Seele die Ruhe zu schaffen, deren sie bedurfte. Da nahm ich Mantel und Hut, um zu gehen. Aber wie soll ich die Bestürzung schildern, die meine Seele erfaßte, als ich den Blick über die drei jungen Mädchen schweifen ließ und sie in Tränen zerfließen sah! Vor Scham und Verzweiflung außer mir, verspürte ich einen Augenblick Lust, mich selbst umzubringen; ich setzte mich wieder hin und warf mir meine Roheit vor, mit der ich die drei reizenden Mädchen zum Weinen gebracht hatte. Es war mir unmöglich ein Wort herauszubringen, das Gefühl erstickte mich; da kamen mir die Tränen zu Hilfe, und ich überließ mich ihnen mit Wonne. Nannetta sagte mir endlich, ihre Tante würde gleich zurückkommen; da trocknete ich meine Augen und eilte hinaus, ohne sie anzusehen und ohne ihnen ein Wort zu sagen. Ich legte mich zu Bett, konnte aber nicht Schlafen.

Mittags fragte mich Herr von Malpiero, als er mich außerordentlich verändert sah, nach der Ursache; und da ich das Bedürfnis hatte, mein Herz zu erleichtern, sagte ich ihm alles. Der weise alte Herr lachte nicht, sondern goß mir durch vernünftige Betrachtungen Balsam in die Seele. Er sah sich mit seiner grausamen Teresa in demselben Falle wie ich. Bei Tisch mußte er doch lachen, als er mich die Speisen hinunterschlingen sah. Ich hatte nicht zu Abend gegessen, er beglückwünschte mich wegen meiner gesunden Konstitution.

Da ich entschlossen war, nicht mehr zu Frau Orio zu gehen, beschädigte ich mich die nächsten Tage mit der Verteidigung eines metaphysischen Streitsatzes: ich behauptete, etwas, von dem man sich nur einen abstrakten Begriff machen könne, könne nur in der Theorie eristieren. Ich hatte recht; aber es war nicht schwer, meiner These eine Wendung zu geben, daß sie einen Anschein von Gottlosigkeit gewann, und ich wurde verurteilt, sie zu widerrufen. Einige Tage darauf begab ich mich nach Padua, wo ich zum Doctor utriusque juris promovierte.

Nach Venedig zurückgekehrt, erhielt ich einen Brief von Herrn Rosa; er bat mich namens der Frau Orio, sie zu besuchen. Da ich sicher war, Angela nicht bei ihnen zu finden, ging ich am selben Abend hin, und die beiden liebenswürdigen Schwestern verscheuchten durch ihre Fröhlichkeit die Scham, die ich empfand, nach zwei Monaten wieder vor ihnen zu erscheinen. Meine These und mein Doktorexamen mußten als Entschuldigungen bei Frau Orio gelten, die mir nichts anderes vorzuwerfen hatte, als daß ich sie nicht mehr besuchte.

Als ich fortging, übergab Nannetta mir einen Brief, der einen anderen von Angela enthielt; er lautete:

»Wenn Sie den Mut haben noch eine Nacht mit mir zu verbringen, werden Sie sich nicht zu beklagen haben; denn ich liebe Sie und wünsche aus Ihrem eigenen Munde zu erfahren, ob Sie mich noch weiterhin geliebt haben würden, wenn ich eingewilligt hätte, mich verächtlich zu machen.«

Der Brief Nannettas, die von den Mädchen die einzige war, die Geist hatte, lautete folgendermaßen:

»Da Herr Rosa sich erboten hat, Sie zu einem neuen Besuch bei uns zu veranlassen, so halte ich diesen Brief bereit, um Ihnen mitzuteilen, daß Angela über Ihren Verlust in Verzweiflung ist. Ich gebe zu, daß die Nacht, die Sie mit uns verbrachten, grausam war; aber mir scheint, Sie hätten deshalb doch nicht den Entschluß fassen dürfen, nicht mehr zu uns zu kommen; zum mindesten hätten Sie Frau Orio besuchen können. Wenn Sie Angela noch lieben, so rate ich Ihnen: riskieren Sie noch eine Nacht. Vielleicht wird sie sich rechtfertigen, und die Sache wird zu Ihrer Zufriedenheit enden. Also kommen Sie! Leben Sie wohl.«

Diese beiden Briefe erfreuten mich, denn sie eröffneten mir die angenehme Aussicht, mich an Angela durch die kälteste Verachtung rächen zu können. Am nächsten Festtage begab ich mich daher zu den Damen, mit zwei Flaschen Cyperwein und einer geräucherten Zunge in der Tasche; zu meiner großen Überraschung fand ich jedoch meine Grausame nicht anwesend. Nannetta brachte geschickt das Gespräch auf sie und sagte mir, Angela habe am Morgen in der Kirche zu ihr gesagt, sie könne erst zum Abendessen kommen. Hierauf rechnend, nahm ich Frau Orios Einladung zum Essen nicht an, sondern entfernte mich wie das erstemal, kurz bevor sie sich zu Tisch setzten, und begab mich nach dem verabredeten Ort. Ich konnte es kaum erwarten, die Rolle zu spielen, die ich mir genau überlegt hatte; denn ich war überzeugt, daß Angela, selbst wenn sie sich zu einem anderen Verhalten entschlossen hätte, mir doch nur leichte Gunstbezeigungen gewähren würde, und solche wollte ich nicht mehr; ich fühlte mich nur noch von einem heftigen Verlangen nach Rache beherrscht.

Dreiviertel Stunden später höre ich die Haustür verschließen, und bald sehe ich Nannetta und Martina vor mir erscheinen.

»Wo ist denn Angela?« fragte ich Nannetta.

»Sie muß verhindert worden sein zu kommen, ja sogar uns Mitteilung zu machen. Und doch muß sie überzeugt sein, daß Sie hier sind.«

»Sie glaubt mich angeführt zu haben; und ich war allerdings hierauf nicht gefaßt. Übrigens kennen Sie sie jetzt. Sie macht sich über mich lustig; sie triumphiert. Sie hat sich Ihrer bedient, um mich in die Falle zu locken. Und dazu kann sie sich gratulieren; denn wäre sie gekommen, so hätte ich mich über sie lustig gemacht.«

»Oh! Daran gestatten Sie mir doch zu zweifeln!«

»Zweifeln Sie nicht daran, schöne Nannetta! Sie werden davon überzeugt werden durch die angenehme Nacht, die wir ohne sie verbringen werden.«

»Das kann ich sagen, daß Sie als geistvoller Mann sich mit einem Mißgeschick abzufinden wissen; aber Sie werden sich hier ins Bett legen und wir beide schlafen auf dem Kanapee im Nebenzimmer.«

»Daran werde ich Sie nicht hindern; aber wenn Sie das täten, würden Sie mir einen sehr häßlichen Streich spielen. Übrigens werde ich mich nicht zu Bett legen.«

»Wie? Sie würden es über sich gewinnen, sieben Stunden mit uns allein zu verbringen? Ich bin überzeugt: wenn Sie nichts mehr zu sagen wissen, werden Sie einschlafen.«

»Das werden wir sehen. Einstweilen will ich mein Essen auspacken. Würden Sie so grausam sein, mich allein essen zu lassen? Haben Sie Brot?«

»Ja, und wir werden nicht grausam sein; wir werden zum zweitenmal mit Ihnen zu Abend essen.«

»In Sie hätte ich mich verlieben müssen! Sagen Sie mir, schöne Nannetta, wenn ich in Sie so verliebt wäre wie in Angela, würden Sie mich unglücklich machen wie diese?«

»Glauben Sie wirklich, daß eine solche Frage zulässig sei? Nur ein Geck kann sie stellen. Ich kann Ihnen weiter nichts sagen als: ich weiß nichts davon.«

Schnell legten sie drei Gedecke auf und brachten mit fröhlichem Lachen Brot, Parmesankäse und Wasser. Dann gingen sie ans Werk. Der Cyperwein, an den sie nicht gewöhnt waren, stieg ihnen zu Kopf, und ihre Lustigkeit wurde entzückend. Wie ich sie so sah, war ich erstaunt, daß ich ihre Vorzüge nicht früher zu würdigen gewußt hatte.

Nach unserem köstlichen kleinen Abendessen setzte ich mich zwischen die beiden, ergriff ihre Hände, die ich an die Lippen führte, und fragte sie, ob sie meine wahren Freundinnen seien und ob sie nicht die unwürdige Art und Weise mißbilligten, wie Angela mich behandelt hätte. Sie antworteten mir wie aus einem Munde, sie hätten meinetwegen Tränen vergossen.

»So gestatten Sie denn,« rief ich aus, »daß ich Ihnen die Zärtlichkeit eines Bruders entgegenbringe, und teilen Sie sie, wie wenn Sie meine Schwestern wären; geben wir uns in der Unschuld unserer Herzen Pfänder dafür und schwören wir uns ewige Treue!«

Der erste Kuß, den ich ihnen gab, war frei von verliebtem Gefühl und von jedem Wunsch, sie zu verführen; die beiden Mädchen versicherten mir einige Tage später, sie hätten meine Küsse nur erwidert, um mich zu überzeugen, daß sie meine ehrenwerten brüderlichen Gefühle teilten; aber diese unschuldigen Küsse entzündeten sehr bald in uns eine Feuersbrunst, über die wir sehr erstaunt sein mußten; denn einige Augenblicke später hielten wir inne und sahen uns ganz überrascht und mit sehr ernsten Gesichtern an. Beide Mädchen standen in ungezwungener Weise auf, und ich befand mich mit meinen Gedanken allein. Es war kein Wunder, daß diese Küsse in meiner Seele ein Feuer entzündet hatten und daß die Glut, die durch meine Adern rollte, mich plötzlich mit leidenschaftlicher Liebe zu den reizenden jungen Mädchen erfüllte. Sie waren beide hübscher als Angela, und Nannetta war ihr an Klugheit, Martina an sanftem und naivem Charakter weit überlegen. Ich war ganz überrascht, daß ich ihre vortrefflichen Eigenschaften nicht früher gewürdigt hatte; da aber die jungen Damen aus adeliger und sehr anständiger Familie waren, so durfte der Zufall, der sie in meine Arme geführt hatte, ihnen nicht verhängnisvoll werden. Ich war nicht so eitel, zu glauben, daß sie mich liebten; aber ich konnte annehmen, daß meine Küsse auf sie dieselbe Wirkung gehabt hatten, wie die ihrigen auf mich.

Indem ich hierüber nachdachte, sah ich klar und deutlich, daß ich mit List und Hilfe von Kunstgriffen, deren Tragweite sie nicht kennen konnten, im Laufe der langen Nacht, die ich mit ihnen verbringen sollte, sie leicht zu Gefälligkeiten bewegen könnte, deren Folgen möglicherweise sehr bedeutsam wären. Dieser Gedanke erfüllte mich mit Entsetzen, und ich machte es mir zum strengen Gesetz, ihre Unschuld zu schonen; daß ich die Kraft haben würde, meinem Vorsatz getreu zu bleiben, daran zweifelte ich nicht.

Als sie wieder erschienen, sah ich auf ihren Gesichtern den Ausdruck der Sicherheit und Zufriedenheit, und ich nahm schnell dieselbe Miene an, fest entschlossen, mich der Gefahr ihrer glühenden Küsse nicht mehr auszusetzen.

Wir verbrachten eine Stunde damit, von Angela zu sprechen, und ich sagte ihnen, ich fühlte mich entschlossen, sie nicht mehr zu sehen, denn ich sei überzeugt, daß sie mich nicht liebe. »Sie liebt Sie,« sagt mir die naive Martina, »dessen bin ich sicher. Aber wenn Sie nicht die Absicht haben, sie zu heiraten, so werden Sie gut tun, gänzlich mit ihr zu brechen; denn sie ist entschlossen, Ihnen nicht einmal einen einzigen Kuß zu bewilligen, solange Sie nur ihr Liebhaber sind; Sie müssen sich also entschließen, sie aufzugeben, oder Sie müssen darauf gefaßt sein, daß sie Ihnen nicht im geringsten entgegenkommen wird.«

»Sie sprechen wie ein Engel; aber wie können Sie so bestimmt wissen, daß sie mich liebt?«

»Dies weiß ich ganz bestimmt; und da wir uns geschwisterliche Freundschaft versprochen haben, so kann ich Ihnen auch sagen warum: Wenn Angela bei uns schläft, umarmt sie mich zärtlich und nennt mich ihren lieben Abbate.«

Bei diefen Worten lachte Nannetta laut auf und legte ihr die Hand auf den Mund. Aber dieses naive Geständnis regte mich so auf, daß ich große Mühe hatte, mich zu beherrschen.

Martina sagte zu Nannetta, da ich doch so sehr klug wäre, so könnte es mir unmöglich unbekannt sein, wie es unter jungen Mädchen zuginge, die zusammen schliefen.

»Natürlich«, beeile ich mich zu sagen, »sind diese kleinen Scherze jedermann bekannt, und ich glaube nicht, meine liebe Nannetta, daß Sie dieses freundschaftliche Eingeständnis Ihrer Schwester zu indiskret gefunden haben.«

»Es ist einmal geschehen; aber solche Sachen sagt man nicht. Wenn Angela es wüßte …!«

»Sie würde in Verzweiflung sein; aber Martina hat mir damit einen solchen Freundschaftsbeweis geliefert, daß ich ihr bis an mein Lebensende dankbar dafür sein werde. Ubrigens ist die Sache erledigt. Ich verabscheue Angela und werde kein Wort mehr mit ihr reden. Sie ist eine falsche Person; sie will mich nur zugrunde richten.«

»Aber wenn sie Sie liebt, hat sie nicht unrecht, daß sie von Ihnen geheiratet sein will.«

»Zugegeben; aber sie denkt nur an sich selber; denn da sie weiß, was ich leide – könnte sie wohl so handeln, wenn sie mich um meiner selbst willen liebte? Unterdessen liefert ihre Phantasie ihr die Mittel, ihre Begierden mit unserer reizenden Martina zu beschwichtigen, die so freundlich ist, bei ihr Gattenstelle zu vertreten!«

Über diese Worte lachte Nannetta noch herzlicher; ich blieb aber ernst und sprach noch eine Weile zu ihrer Schwester immer in demselben Ton, wobei ich ihrer Aufrichtigkeit das höchste Lob zollte. Zuletzt sagte ich ihr, ohne Zweifel müßte Angela in Erwiderung ihrer Gefälligkeit auch ihr als Gatte dienen; aber sie antwortete lachend, Angela sei nur Nannettens Mann, und Nannetta mußte dies zugeben.

»Aber wie nennt denn,« fragte ich von neuem, »Nannetta in ihren Liebesverzückungen ihren Mann?«

»Das weiß kein Mensch.«

»Sie lieben also einen, Nannetta?«

»Das ist wahr; aber niemand wird mein Geheimnis je erfahren.«

Diese Zurückhaltung brachte mich auf den Gedanken, daß das süße Geheimnis möglicherweise etwas mit meiner eigenen Person zu tun haben könnte und daß vielleicht Nannetta eine Nebenbuhlerin Angelas wäre. Durch unsere anziehende Unterhaltung bekam ich allmählich Lust, mit zwei so reizenden Mädchen, die zur Liebe geschaffen waren, die Nacht nicht müßig zu verbringen. »Ich bin recht glücklich,« sagte ich zu ihnen, »daß ich für Sie nur freundschaftliche Gefühle empfinde, denn sonst würde ich in großer Verlegenheit sein, wie ich mit Ihnen die Nacht verbringen wollte, ohne in Versuchung zu geraten, Ihnen Beweise meiner Zärtlichkeit zu liefern und von Ihnen solche zu empfangen; denn Sie sind alle beide entzückend hübsch und ganz danach angetan, jedem Manne den Kopf zu verdrehen, den Sie instand setzen, Sie genauer kennenzulernen.«

Während ich in ähnlichem Sinne noch weiter sprach, tat ich, als bekäme ich Lust zu schlafen. Nannetta bemerkte es zuerst und sagte mir: »Machen Sie nur keine Umstände; legen Sie sich zu Bett. Wir gehen ins andere Zimmer und schlafen auf dem Kanapee.«

»Ich würde mir selber als ein ganz erbärmlicher Mensch vorkommen, wenn ich das täte. Wir wollen weiter plaudern; meine Müdigkeit wird vorübergehen. Es tut mir nur um Ihretwegen leid. Legen Sie sich ins Bett, meine reizenden Freundinnen; ich werde ins Nebenzimmer gehen. Wenn Sie Angst vor mir haben, so schließen Sie sich ein; aber Sie würden mir unrecht tun, denn ich liebe Sie nur aus brüderlichem Herzen.«

»Das werden wir niemals tun!« rief Nannetta. »Aber lassen Sie sich überreden: schlafen Sie hier!«

»In meinen Kleidern kann ich nicht schlafen.«

»So ziehn Sie sich doch aus! Wir werden nicht hinsehen.«

»Davor habe ich keine Angst; aber ich könnte niemals einschlafen, wenn ich sähe, daß Sie um meinetwillen wachen müßten.«

»Wir werden uns ebenfalls ins Bett legen,« sagte Martina, »aber ohne uns auszuziehen.«

»Das ist ein Mißtrauen, das eine Beleidigung für meine Ehrenhaftigkeit enthält. Sagen Sie mir, Nannetta, ob Sie mich für einen ehrenhaften Menschen halten?«

»Ja, gewiß!«

»Schön; aber Sie müssen mich davon überzeugen. Legen Sie sich daher entkleidet neben mich und rechnen Sie auf mein Ehrwort, daß ich Sie nicht berühren werde. Übrigens sind Sie zwei gegen einen; was können Sie fürchten? Stände es Ihnen nicht frei, das Bett zu verlassen, sobald ich unartig werden sollte? Kurz und gut, wenn Sie nicht einwilligen, mir diesen Vertrauensbeweis zu geben, wenigstens sobald Sie mich eingeschlafen sehen, so werde ich mich nicht ins Bett legen.«

Hierauf schwieg ich und tat, als ob ich einschliefe.

Nachdem Sie sich einen Augenblick leise besprochen hatten, sagte Martina mir, ich möchte nur zu Bett gehen; sie würden mir folgen, sobald sie mich eingeschlafen sähen. Nachdem auch Nannetta dieses Versprechen mir bestätigt hatte, wandte ich ihnen den Rücken zu, kleidete mich aus und legte mich ins Bett, nachdem ich ihnen gute Nacht gewünscht hatte. Sobald ich im Bette lag, tat ich, als ob ich einschliefe; bald aber überfiel mich der Schlaf wirklich, und ich wachte erst auf, als sie sich zu mir legten. Ich legte mich auf die andere Seite, wie wenn ich wieder einschlafen wollte, und blieb ruhig liegen, bis ich annehmen konnte, daß sie eingeschlafen wären; und wenn sie noch nicht eingeschlafen waren, so konnten sie doch so tun. Sie hatten mir den Rücken zugedreht und das Licht war ausgeblasen; ich ging also aufs Geratewohl vor und wandte mich mit meinen ersten Huldigungen an die, die mir zur Rechten lag, ohne zu wissen, ob es Nannetta oder Martina war. Ich fand sie zusammen gekauert und in das Hemd eingewickelt, das sie allein anbehalten hatte. Ohne Gewalt anzuwenden und ihre Schamhaftigkeit schonend, brachte ich sie allmählich so weit, daß sie sich für besiegt erklären mußte und nichts Besseres tun konnte, als mich gewähren zu lassen und sich schlafend zu stellen. Bald wirkte auch die Natur in ihr und unterstützte mich; ich gelangte zum Ziel. Meine Anstrengungen waren von vollem Erfolge gekrönt, und es blieb mir kein Zweifel, daß ich die Erstlinge erhalten hatte, auf die wir vielleicht nur aus Vorurteil so hohen Wert legen. Entzückt, einen Genuß gekostet zu haben, den ich in vollem Umfange selber jetzt zum erstenmal kennengelernt hatte, verließ ich leise meine Schöne, um der anderen einen neuen Tribut meiner Liebesglut darzubringen. Ich fand sie unbeweglich auf den Rücken liegen, in der Stellung einer Person, die in einen tiefen, ruhigen Schlaf versunken ist. Vorsichtig mich ihr nähernd, wie wenn ich sie aufzuwecken fürchtete, begann ich zunächst ihren Sinnen zu schmeicheln, wobei ich mich überzeugte, daß sie ebenso unberührt war, wie ihre Schwester. Sobald ich aber an einer unwillkürlichen Bewegung gemerkt hatte, daß der Liebesgott die Gabe anzunehmen bereit war, begann ich das Opfer zu vollziehen. Da gab sie plötzlich dem lebhaften Gefühl nach, das sie erregte; wie wenn sie es müde wäre, noch weiter Komödie zu spielen, schloß sie mich im Augenblick der Krise eng in ihre Arme, bedeckte mich mit Küssen, erwiderte meine Ekstase mit gleichen Verzückungen, und die Liebe verschmolz unsere Seelen in gleicher Wollust.

An diesen Zeichen glaubte ich Nannetta zu erkennen; ich sagte es ihr.

»Ja, ich bin’s!« sagte sie; »und ich erkläre mich und meine Schwester für glücklich, wenn du ehrenhaft und treu bist.«

»Bis in den Tod, meine Engel! Und da alles, was wir getan haben, das Werk der Liebe ist, so sei unter uns von Angela nicht mehr die Rede!«

Ich bat sie dann aufzustehen und Kerzen anzuzünden; aber Martina sprang dienstwillig sofort aus dem Bett und ließ uns beisammen liegen. Als ich Nannetta, vom Feuer der Liebe beseelt, in meinen Armen hielt, während Martina, eine Kerze in der Hand, vor uns stand und mit ihren Blicken uns der Undankbarkeit zu bezichtigen schien, weil wir ihr nichts sagten, während sie doch zuerst sich meinen Liebkosungen ergeben und dadurch ihre Schwester ermutigt hatte, es ihr nachzutun – da fühlte ich mein ganzes Glück.

»Stehen wir auf, meine Freundinnen,« rief ich aus, »und schwören wir uns ewige Freundschaft!«

Sobald wir aufgestanden waren, machten wir uns gegenseitig Abwaschungen, über die sie herzlich lachten, und bei denen unsere Begierden sich erneuerten; dann aßen wir im Kostüm des goldenen Zeitalters, was wir von unserer Abendmahlzeit übriggelassen hatten. Nachdem wir uns hunderterlei gesagt hatten, was nur die Liebe in der Trunkenheit der Sinne verdolmetschen darf, legten wir uns wieder zu Bett, und die köstlichste Nacht verging in gegenseitigen Bezeugungen unserer Glut. Nannetta empfing den letzten Beweis meiner Zärtlichkeit; denn da Frau Orio bereits in die Messe gegangen war, mußte ich meinen Abschied beschleunigen; ich gab ihnen noch einmal die Versicherung, daß sie in meinem Herzen alle Gefühle für Angela ausgelöscht hätten. In meiner Wohnung angekommen, legte ich mich zu Bett und tat den süßesten Schlaf, bis es Zeit zum Mittagessen war.

Herr von Malipiero sah an mir ein fröhliches Gesicht und müde Augen; ich war aber verschwiegen, sagte ihm nichts und ließ ihn sich denken, was er wollte. Zwei Tage darauf machte ich einen Besuch bei Frau Orio; und da Angela nicht da war, blieb ich zum Abendessen und ging zusammen mit Herrn Rosa fort. Während meines Besuches fand Nannetta Gelegenheit, mir einen Brief und ein Päckchen zuzustecken. Das Päckchen enthielt ein Stück Wachs mit dem Abdruck eines Schlüssels, und in dem Briefe stand, ich solle den Schlüssel anfertigen lassen und mich desselben bedienen, um mit ihnen die Nacht zu verbringen, so oft ich Lust hätte. Außerdem teilte sie mir mit, daß Angela die vorige Nacht bei ihnen gewesen sei und alles Vorgefallene erraten habe; sie hätten es eingeräumt und ihr vorgeworfen, daß nur sie schuld daran gewesen sei; daraufhin hätte sie ihnen die stärksten Beleidigungen gesagt und erklärt, sie werde ihren Fuß nicht mehr in ihr Haus setzen; aber das wäre ihnen höchst gleichgültig.

Einige Tage darauf befreite uns das Glück von Angela; ihr Vater war auf mehrere Jahre nach Vicenza berufen worden, um dort in einigen Wohnungen Fresken zu malen, und er nahm sie mit. Dank ihrer Abweseneit fand ich mich im ruhigen Besitz dieser reizenden beiden Mädchen, mit denen ich jede Woche mindestens zwei Nächte verbrachte, da ich mit Hilfe des Schlüssels, den ich sofort hatte anfertigen lassen, jederzeit leichten Zugang hatte.

Wir befanden uns in den letzten Tagen des Karnevals, als Herr Manzoni mir sagte, die berühmte Giulietta wünsche mich zu sprechen; sie habe sehr bedauert, daß sie mich nicht mehr bei sich sehe. Ich war neugierig, was sie mir wohl zu sagen hätte, und ging mit ihm zu ihr. Nachdem sie mich recht höflich empfangen hatte, sagte sie, sie wisse, ich hätte in meinem Hause einen schönen Saal, und sie wünsche, daß ich ihr einen Ball gebe, dessen sämtliche Kosten sie bestreiten werde. Ich erklärte mich einverstanden. Sie übergab mir vierundzwanzig Zechinen und schickte ihre Leute zu mir, um meinen Saal und meine Zimmer mit Kronleuchtern zu versehen; ich für meinen Teil hatte mich nur um das Orchester und das Abendessen zu bekümmern.

Herr von Sanvitali war bereits abgereist, und die Regierung von Parma hatte ihn unter Kuratel gestellt. Ich habe den Kavalier zehn Jahre später in Versailles wiedergesehen; er war damals mit dem königlichen Orden dekoriert als Oberhofstallmeister der Herzogin von Parma, Ludwigs des Fünfzehnten ältester Tochter, die wie alle Prinzessinnen des Hauses Frankreichs sich niemals an den Aufenthalt in Italien gewöhnen konnte.

Mein Ball fand statt, und alles verlief sehr gut. Die Gäste gehörten sämtlich zu Giuliettas Kreis, mit Ausnahme der Frau Orio, ihrer Nichten und des Sachwalters Rosa, die sich im Nebenzimmer befanden, da ich Erlaubnis erhalten hatte, als Personen ohne Bedeutung sie einzuladen.

Während nach dem Abendessen Menuett getanzt wurde, nahm die Schöne mich beiseite und sagte mir: »Führen Sie mich auf Ihr Zimmer; mir ist etwas Lustiges eingefallen; wir werden lachen.«

Mein Zimmer lag im dritten Stock; ich führte sie hinauf. Sobald wir drinnen waren, sah ich sie den Riegel vorschieben; ich wußte nicht, was ich davon denken sollte.

»Ich wünsche,« sagte sie zu mir, »daß Sie mich mit einem Ihrer Anzüge vollständig als Abbate verkleiden; ich werde Ihnen dafür meine Kleider anziehen. In dieser Verkleidung gehen wir wieder hinunter und tanzen zusammen. Schnell, lieber Freund, zu allererst wollen wir uns die Haare zurechtmachen!«

Eines süßen Lohnes sicher und entzückt über das seltene Abenteuer, ordne ich ihr schnell ihr langes Haar rund um den Kopf; dann lasse ich mich von ihr frisieren. Sie legt mir rote Schminke und Schönheitspflästerchen auf; ich lasse alles mit mir geschehen und sage ihr, daß mir die Sache Spaß mache; hierfür bewilligt sie mir sehr liebenswürdig einen Kuß, unter der Bedingung, daß ich nicht mehr verlange. »Nur von Ihnen, schöne Giulietta«, sage ich, »hängt alles ab; ich sage Ihnen aber offen heraus: ich bete Sie an!«

Ich lege auf mein Bett ein Hemd, Bäffchen, Unterhosen, schwarze Strümpfe und einen vollständigen Anzug. Sie läßt ihren Rock fallen und zieht geschickt die Unterhosen an, die sie für gut erklärt; als es aber zum Anziehen der Hose kommt, geht das nicht so leicht: der Bund ist zu eng, und dabei ist nichts anderes zu machen, als sie hinten aufzutrennen oder erforderlichenfalls etwas aufzuschneiden. Ich übernehme es, alles in Ordnung zu bringen und setze mich auf mein Bett; sie stellt sich vor mich hin und dreht mir den Rücken zu. Ich arbeite; aber sie findet, ich wolle zuviel sehen, ich benehme mich ungeschickt und berühre sie, wo es nicht nötig sei; sie wird ungeduldig, läuft mir davon, reißt den Hosenbund entzwei und bringt die Sache in Ordnung, so gut es geht. Hierauf helfe ich ihr, Strümpfe und Schuhe anzulegen und ziehe ihr das Hemd über; als ich aber Spitzenkrause und Bäffchen zurecht mache, findet sie meine Hände zu neugierig; ihr Busen war nämlich nicht allzu gut ausgestattet. Sie sagte mir tausend Beleidigungen, nannte mich unehrenhaft; ich ließ sie ruhig reden. Ich hielt darauf, daß sie mich nicht als Dummkopf ansehen sollte; übrigens war ich der Meinung, ein Weib, für das einer hunderttausend Dukaten bezahlt hatte, wäre wohl der Mühe wert, etwas näher betrachtet zu werden. Endlich ist sie mit ihrem Anzuge fertig, und nun komme ich an die Reihe. Schnell ziehe ich meine Hose aus, obgleich sie sich dem widersetzen will; dann muß sie nur ein Hemd und einen Rock anziehen, kurz und gut: mich ankleiden. Plötzlich aber fängt sie an sich zu zieren und erzürnt sich darüber, daß ich keineswegs die sehr augenscheinliche Wirkung ihrer Reize verberge; sie weigert sich mir die Gunst zu bewilligen, die mich in einem Augenblick wieder ruhig gemacht haben würde. Ich will ihr einen Kuß geben; sie sträubt sich; ich werde ungeduldig und lasse sie wider ihren Willen den Schlußakt meiner Aufregung mit ansehen. Bei diesem Anblick fängt sie an zu schimpfen; ich beweise ihr, daß sie unrecht hat; aber vergebens. Trotz ihrem Ärger mußte sie aber doch mir behilflich sein, mich fertig anzuziehen.

Offenbar würde eine anständige Frau, die sich auf ein derartiges Abenteuer einließe, zärtliche Absichten dabei haben und würde diese nicht in dem Augenblick ableugnen, wo sie sähe, daß sie von der anderen Seite geteilt werden; aber Frauen von Giuliettas Art beherrscht ein Widerspruchsgeist, der sie zu Feindinnen ihrer selbst macht. Übrigens glaubte Giulietta selbst angeführt zu sein, als sie sah, daß ich nicht schüchtern war, und meine Leichtfertigkeit erschien ihr als ein Mangel an Respekt. Es wäre ihr wohl recht gewesen, hätte ich ihr heimlich einige geringe Gunstbezeugungen geraubt; diese hätte sie mir bewilligen können, ohne daß es weiter was auf sich gehabt hätte; aber damit hätte ich zu sehr ihrem Selbstgefühl geschmeichelt.

Als wir mit unserer Verkleidung fertig waren, gingen wir zusammen nach dem Saal hinunter, wo wiederholter Beifall uns bald in gute Laune versetzte. Alle Welt schrieb mir ein Liebesabenteuer zu, das ich nicht gehabt hatte; es war mir aber ganz recht, die Leute in ihrem Glauben zu lassen, und ich begann mit meinem falschen Abbate zu tanzen, den ich zu meinem großen Bedauern reizend fand. Giulietta behandelte mich die ganze Nacht hindurch so gut, daß ich ihr verändertes Benehmen als eine Art von Reue auffaßte und daß mir mein Verhalten gegen sie fast schon leid tun wollte; dies war eine Anwandlung von Schwäche, für die ich bestraft wurde.

Als nach dem Kontertanz alle Kavaliere sich berechtigt fühlten, sich Freiheiten gegen den verkleideten Abbate herauszunehmen, ließ ich mich ebenfalls den jungen Mädchen gegenüber gehen, die sich meinen Liebkosungen nicht entzogen, da sie durch Widerstand sich lächerlich zu machen fürchteten.

Herr Querini richtete an mich die dumme Frage, ob ich meine Hosen anbehalten hätte; und als ich ihm antwortete, ich hätte sie Giulietta geben müssen, setzte er sich traurig in eine Ecke des Saales und tanzte nicht mehr.

Da sehr bald die ganze Gesellschaft bemerkt hatte, daß ich ein Frauenhemd trug, zweifelte niemand mehr daran, daß das Opfer vollzogen wäre – mit Ausnahme von Martina und Nannetta, die sich nicht vorstellen konnten, daß ich imstande wäre, ihnen untreu zu werden. Giulietta bemerkte, daß sie eine große Unbesonnenheit begangen hatte; aber das Unglück war nun einmal geschehen, und nichts mehr dagegen zu machen.

Als wir einige Zeit darauf wieder auf mein Zimmer gegangen waren, glaubte ich sie umarmen und ihre Hand ergreifen zu können, um ihr zu beweisen, daß ich bereit sei, ihr Genugtuung zu geben; ich glaubte nämlich, sie habe ihr Benehmen bereut, und war außerdem wirklich ein bißchen in sie verliebt. Aber im selben Augenblick gab sie mir eine so starke Ohrfeige, daß ich in meiner Entrüstung beinahe den Schlag erwidert hätte. Ich entkleidete mich in aller Eile und ohne sie anzusehen; sie zog sich ebenfalls um, und wir begaben uns wieder zur Gesellschaft. Obwohl ich mich reichlich mit kaltem Wasser abgespült hatte, konnte doch jeder auf meinem Gesicht die Spur sehen, die ihre plumpe Hand hinterlassen hatte.

Bevor sie ging, nahm sie mich auf die Seite und sagte mir im festesten und bestimmtesten Ton: wenn ich Lust hätte, mich aus dem Fenster werfen zu lassen, so brauchte ich nur bei ihr zu erscheinen; sie würde mich ermorden lassen, wenn das Vorgefallene bekannt würde. Ich hütete mich wohl, ihr zu dem einen wie zu dem anderen Anlaß zu geben; aber ich konnte nicht verhindern, daß unser Hemdenaustausch bekannt wurde. Da man mich gar nicht mehr bei ihr verkehren sah, so glaubte man, sie habe Herrn Querini diese Genugtuung geben müssen. Der Leser wird sehen, wie sechs Jahre später dieses eigentümliche Mädchen sich stellen mußte, als habe sie die ganze Geschichte vergessen.

Ich verbrachte die Fastenzeit zum Teil mit meinen beiden Engeln, die mich immer mehr beglückten, zum Teil mit dem Studium der Experimentalphysik im Kloster della Salute; abends besuchte ich die im Hause des Herrn von Malipiero sich versammelnde Gesellschaft. Nach Ostern aber begab ich mich infolge einer Einladung der Gräfin von Monte Reale nach Paseano, ungeduldig meine liebe Lucia wieder zu sehen. Ich traf dort eine ganz andere Gesellschaft, als die vom vorigen Herbst gewesen war. Graf Daniele, der älteste Sohn der Familie, hatte eine Gräfin Gozzi geheiratet, und ein junger reicher Pächter, der eine Patin der alten Gräfin geheiratet hatte, war mit seiner Frau und Schwägerin zu Besuch. Das Abendessen kam mir sehr lang vor. Man hatte mich wieder in meinem alten Zimmer untergebracht, und ich sehnte mich Lucia zu sehen, die ich nicht mehr wie ein Kind zu behandeln gedachte. Da ich sie vor dem Zubettgehen nicht gesehen hatte, erwartete ich sie unfehlbar am anderen Morgen beim Erwachen zu sehen; aber wen sehe ich statt ihrer erscheinen? Eine häßliche dicke Magd. Ich frage sie nach der Familie; sie antwortet mir jedoch in ihrer Mundart, und ich verstehe nichts.

Unruhig frage ich mich, was aus Lucia geworden sein mag. Sollte man unseren vertrauten Verkehr entdeckt haben? Sollte sie etwa krank sein oder tot? Ich sage nichts, ziehe mich an und nehme mir vor, sie zu suchen. »Wenn man ihr verboten hat, mich zu besuchen,« sage ich bei mir selber, »so werde ich mich rächen; denn ich werde auf irgendeine Art ein Mittel finden mit ihr zu sprechen, und werde aus Rache mit ihr machen, was ich trotz meiner Liebe aus Ehrenhaftigkeit nicht getan habe.« Da tritt mit trauriger Miene der Hausmeister ein. Ich frage ihn, wie es seiner Frau, seiner Tochter gehe; aber bei diesem Namen kommen ihm die Tränen in die Augen.

»Ist sie tot?«

»Wollte Gott, sie wäre es!«

»Was hat sie getan?«

»Sie ist mit dem Läufer des Herrn Grafen Daniele durchgegangen, und wir wissen nicht, wo sie sein mag.«

Seine Frau kommt dazu; und durch unser Gespräch erneuert sich ihr Schmerz; sie wird ohnmächtig. Als der Hausmeister sieht, daß ich aufrichtig an ihrer Trauer Anteil nehme, sagt er mir, das Unglück habe sie erst vor acht Tagen getroffen.

»Ich kenne den Läufer,« sage ich, »er ist ein Schuft. Hat er Sie um die Hand Ihrer Tochter gebeten«?

»Nein! Denn er war sicher, daß wir sie ihm nicht gegeben haben würden.«

»Ich wundere mich über Lucia.«

»Er hat sie verführt, und erst nach ihrer Flucht haben wir die Wahrheit geahnt; sie war sehr dick geworden.«

»Sie hatten also schon seit langer Zeit miteinander verkehrt?«

»Sie hat ihn ungefähr einen Monat nach Ihrer Abreise kennengelernt. Er muß sie behext haben, denn Lucia war unschuldig wie eine Taube; das können Sie, glaube ich, mit gutem Gewissen bezeugen.«

»Und niemand weiß, wo sie sind?«

»Kein Mensch! Und Gott weiß, was der elende Kerl aus ihr machen wird!«

Ebenso betrübt wie diese braven Leute, ging ich aus und wanderte im Wald herum, um meine Traurigkeit zu verwinden. Ich verbrachte zwei Stunden in guten und schlechten Betrachtungen, die alle mit wenn anfingen. Wäre ich, wie ich es leicht hätte tun können, schon vor acht Tagen hingenommen, so hätte meine zärtliche Lucia alles mir anvertraut, und ich hätte diese Schandtat verhindert. Hätte ich es mit ihr gemacht, wie mit Nannetta und Martina, so wäre sie nicht bei meiner Abreise in einer Aufregung gewesen, die ohne Zweifel die Hauptursache ihres Fehlgriffs war. Hätte sie mich nicht vor dem Läufer gekannt, so würde ihre bis dahin reine Seele nicht auf ihn gehört haben. Voll Verzweiflung gestand ich mir selber ein, daß ich das Werkzeug des niederträchtigen Verführers war. Ich hatte für ihn gearbeitet.

El fior che sol potea pormi fra dei,
Qual fior he intatto io mia venia serbando
Per non turbar, ohimè! l’animo casto,
Ohimè il bel fior colui m’ga colto, e guasto.

Die Blume, die zu einem Gott mich machte,
Die Blume, die ich unberührt gelassen,
Um ihrer Seele Keuschheit nicht zu töten –
Er hat sie, ach! gepflückt, hat sie zertreten!

Hätte ich gewußt, wo ich sie finden könnte, ich wäre ganz gewiß auf der Stelle aufgebrochen, sie ihren Eltern zurückzuführen; aber es fehlte jedes Anzeichen, wo sie sich aufhalten könnte.

Bevor Lucias Unglück mir bekannt wurde, war ich eitel, ja sogar stolz darauf gewesen, daß ich soviel Selbstbeherrschung besessen hatte, sie unberührt zu lassen; jetzt aber schämte ich mich und bereute meine Zurückhaltung; ich nahm mir fest vor, in Zukunft in dieser Beziehung mich vernünftiger zu benehmen. Untröstlich machte mich der Gedanke, daß das unglückliche Mädchen dem Elend und vielleicht der Schande verfallen sei, daß sie mein Andenken verfluchen und mich als ersten Urheber ihres Unglücks hassen werde. Infolge dieses traurigen Ereignisses wandte ich mich einem neuen System zu, das ich dann in der Folge oft zu weit trieb.

Ich ging in den Garten zu der fröhlich lärmenden Gesellschaft, die mich so gut aufnahm und mich in so gute Laune versetzte, daß ich beim Essen die ganze Tafel erheiterte. Meine Betrübnis war so groß, daß ich nur durch tolle Lustigkeit mich über sie hinwegsetzen konnte; sonst hätte ich abreisen müssen. Einen mächtigen Antrieb gab mir das schöne Gesicht und noch mehr der für mich ganz neue Charakter der Neuvermählten. Ihre Schwester war hübscher; aber ich fing an, vor solchen noch unversehrten Mädchen Angst zu bekommen; sie machen einem zuviel Arbeit.

Die junge Ehefrau, die etwa neunzehn oder zwanzig Jahre alt war, fiel der ganzen Gesellschaft durch ihr geziertes Benehmen auf; sie war redselig, ihr Gedächtnis war mit Denksprüchen gespickt, die sie oft am falschen Orte anwandte, weil sie damit paradieren zu müssen glaubte; sie war fromm und in ihren Mann so verliebt, daß sie ihren Verdruß nicht verbergen konnte, wenn er bei Tisch seiner Schwägerin, der er gegenübersaß, den Hof machte und so tat, als sei er von deren Schönheit entzückt. So wirkte sie sehr komisch. Ihr Mann war ein Wirbelkopf, der vielleicht seine Frau sehr liebhatte, aber es für guten Ton hielt, sich gleichgültig gegen sie zu zeigen, und der aus Eitelkeit Spaß daran fand, ihr allerlei Gründe zur Eifersucht zu geben. Sie ihrerseits befürchtete für dumm gehalten zu werden, wenn sie nicht zu erkennen gäbe, daß sie alles merkte. Die gute Gesellschaft machte sie linkisch, gerade weil sie tat, als sei sie nur an einen Verkehr wie solcher gewöhnt. Wenn ich allerlei Unsinn vorbrachte, hörte sie mich aufmerksam an und lachte am unrechten Ort, weil sie nicht für beschränkt gelten wollte. Ihr eigentümliches, linkisches und geziertes Wesen machte mir Lust, sie besser kennenzulernen, und ich begann, ihr den Hof zu machen.

Meine großen und kleinen Aufmerksamkeiten, meine Gefälligkeiten, selbst meine Narrenspossen machten es bald jedem klar, daß ich Absichten auf sie hatte. Der Ehemann wurde offen vor mir gewarnt; er aber spielte den Helden und nahm die Sache von der scherzhaften Seite, wenn man ihm sagte, er solle sich vor mir in acht nehmen. Ich meinerseits spielte den Bescheidenen, manchmal aber auch den Unbekümmerten. Seiner Rolle getreu, stachelte er mich noch an, seiner Frau den Hof zu machen, die ihrerseits sehr ungeschickt die disinvolta – die Ungezwungene – herauskehrte.

Seit fünf oder sechs Tagen hatte ich ihr eifrig den Hof gemacht, als sie bei einem Spaziergang im Garten so unvorsichtig war, mir zu sagen, warum sie so unruhig sei, und daß ihr Mann unrecht habe, ihr Anlaß dazu zu geben. Ich sagte ihr im Ton der Freundschaft, es gäbe kein besseres Mittel ihn zu bessern, als scheinbar die Aufmerksamkeiten ihres Mannes für ihre Schwester gar nicht zu bemerken und sich zu stellen, als sei sie in mich verliebt; um sie recht geneigt zu machen, meinen Vorschlag zu befolgen, sagte ich ihr, mein Plan sei sehr schwer auszuführen, denn man müsse viel Geist haben, um eine Rolle zu spielen, die solche Verstellungskunst erfordere. Damit hatte ich den empfindlichen Punkt getroffen; denn sie versicherte mir, sie werde diese Rolle ausgezeichnet spielen. Trotz dieser Versicherung benahm sie sich höchst ungeschickt, denn alle bemerkten, daß der Plan von mir stammte.

Eines Tages befand ich mich allein mit ihr in einer Gartenallee, und da ich sicher war, daß uns niemand sehen konnte, so wollte ich aus der Komödie Ernst machen. Da ergriff sie das gefährliche Mittel fortzulaufen und allein zu der übrigen Gesellschaft zurückzukehren; natürlich verspottete man mich, als ich wieder erschien, als ungeschickten Jäger. Sobald ich Gelegenheit dazu fand, tadelte ich sie wegen ihres Davonlaufens und stellte ihr vor, daß sie dadurch ihrem Gatten einen großen Triumph verschafft habe. Ich lobte ihre Klugheit und tadelte ihre falsche Erziehung. Ich sagte ihr, der Ton, den ich ihr gegenüber anschlage, entspreche den Umgangsformen der guten Gesellschaft und sei ein Beweis, wie hoch ich ihre Klugheit schätze. Am elften oder zwölften Tage aber brachte sie mich mitten in meinen schönsten Redensarten außer Fassung, indem sie mir sagte, als Priester müsse ich wissen, daß außerehelicher Liebesverkehr eine Todsünde sei; Gott sehe alles, und sie wolle nicht zur Hölle verdammt werden, andererseits aber auch nicht einem Beichtvater sagen müssen, daß sie sich soweit vergessen habe, mit einem Priester zu sündigen. Ich brachte den Einwand vor, ich sei kein Priester; aber sie schmetterte mich zu Boden, indem sie mich fragte, ob etwa das von mir Beabsichtigte nicht zu den Sünden gehöre. Da ich nicht den Mut hatte, diese Frage zu verneinen, so fühlte ich, daß ich meinem Abenteuer ein Ende machen müßte.

Indem ich über die Sache nachdachte, gewann ich gleich meine Ruhe wieder; mein neues Verhalten wurde bei Tisch bemerkt, und der alte Graf, der gerne einen Scherz machte, sagte laut heraus, man sehe, daß die Sache abgemacht sei. Dies schien mir ein günstiger Umstand zu sein; ich sagte meiner hartherzigen, frommen Schönen, so werde unser Fall von der Welt aufgefaßt; aber das nützte mir nichts, und ich war mit meinem Latein zu Ende. Der Zufall kam mir besser zur Hilfe; die Intrige nahm plötzlich eine ganz andere Wendung:

Am Himmelfahrtstage machten wir alle einen Besuch bei Frau Bergalli, der berühmten Zierde des italienischen Parnasses. Als wir am selben Abend nach Paseano zurückfahren sollten, wollte meine schöne Pächtersfrau in einem viersitzigen Wagen Platz nehmen, worin schon ihr Mann und ihre Schwester saßen, während ich allein in einer hübschen zweiräderigen Kalesche mich befand. Ich schlug Lärm; das sei ein Zeichen von Mißtrauen; und die Gesellschaft stellte ihr vor, sie könne mir doch solchen Schimpf nicht antun. Sie stieg zu mir ein; ich sagte dem Kutscher, ich wolle den kürzesten Weg fahren, und er trennte sich von dem anderen Wagen und wählte den Weg durch den Wald von Cequini. Bei unserer Abfahrt war der Himmel heiter, aber es war noch keine halbe Stunde vergangen, da erhob sich ein Gewitter, wie sie im Süden häufig vorkommen: es sieht aus, als wollten die Elemente die ganze Welt auf den Kopf stellen, aber es kommt gar nichts dabei heraus: der Himmel ist bald wieder klar und die Luft ist gereinigt und erfrischt. Daher sind solche Unwetter im Grunde nur angenehm.

»O Himmel!« rief meine Pächtersfrau; »wir werden ein Gewitter kriegen.«

»Ja, und trotz dem Verdeck unserer Kalesche wird der Regen Ihr schönes Kleid verderben; das tut mir recht leid.«

»Auf das Kleid kommt es nicht an; aber ich habe Angst vor dem Donner.«

»Halten Sie sich die Ohren zu.«

»Und der Blitz?«

»Kutscher, wir wollen irgendwo einkehren.«

»Die nächsten Häuser, Herr Abbate, sind eine halbe Stunde entfernt; bevor wir dahin kommen können, wird das Gewitter vorüber sein.«

Er fuhr ruhig weiter. Blitze zucken, Donner rollen, meine Pächterin zittert an allen Gliedern. Der Regen fällt in Strömen; ich ziehe meinen Mantel aus, um uns von vorne damit zu bedecken; im selben Augenblick sind wir wie geblendet: hundert Schritte vor uns schlägt der Blitz ein, die Pferde bäumen sich, und meine arme Begleiterin fällt in Krämpfe. Sie wirft sich auf mich und umschlingt mich eng. Ich bücke mich, um den heruntergefallenen Mantel aufzuheben, mache mir die Gelegenheit zunutze und hebe ihren Rock hoch. Sie macht eine Bewegung, um ihr Kleid wieder herunterzustreifen, aber im selben Augenblick bricht ein neuer Donnerschlag los, und sie kann vor Angst kein Glied rühren. Ich suche sie mit meinem Mantel zu bedecken und ziehe sie an mich; die Bewegung des Wagens kommt mir dabei zu Hilfe, und sie sinkt in der glücklichsten Stellung über mich hin. Ich verliere keine Zeit, tue, als brächte ich meine Uhr in der Westentasche in Ordnung, und mache mich sturmfertig. Sie fühlt, daß sie mir nicht entwischen kann, wenn sie mich nicht schnell an meinem Vorhaben verhindert; sie sträubt sich; ich halte sie aber fest und sage ihr: wenn sie nicht tue, als sei sie ohnmächtig, so werde der Kutscher alles sehen, sobald er sich umdrehe. Ich gönne ihr das Vergnügen, mich einen ruchlosen Taugenichts und sonst noch allerlei zu schimpfen, und erringe den vollständigsten Sieg, den je ein Athlet davongetragen hat.

Der Regen fiel immer noch in Strömen, der sehr starke Wind blies uns gerade entgegen; sie mußte daher in ihrer Stellung bleiben, aber sie sagte mir, ich richte ihre Ehre zugrunde, denn der Kutscher könne alles sehen.

»Ich sehe ihn ja,« antworte ich; »er denkt nicht dran, sich umzudrehen; aber selbst wenn er dies täte, so schützt uns der Mantel vor seinen Blicken; seien Sie vernünftig und bleiben Sie so, wie wenn Sie ohnmächtig wären; denn loslassen tue ich Sie nicht.

Sie scheint sich in ihr Schicksal zu ergeben und fragt mich, wie ich es wagen könne, den Blitz herauszufordern.

»Der ist mit mir im Bunde!« antworte ich. Sie ist beinahe geneigt zu glauben, daß ich die Wahrheit spreche, ihre Angst verschwindet, und da sie fühlt, daß ich in Ekstase bin, fragt sie mich, ob ich nun endlich zufrieden sei. Lächelnd verneine ich diese Frage; ich müsse ihre Einwilligung bis zum Ende des Gewitters verlangen. »Willigen Sie ein, oder ich lasse den Mantel fallen!«

»Abscheulicher Mensch, der mich für mein ganzes Leben ungiücklich gemacht hat! Sind Sie jetzt zufrieden?«

»Nein.«

»Was wollen Sie denn noch?«

»Eine Sintflut von Küssen!«

»Wie bin ich unglücklich! aber – da!«

»Sagen Sie, daß Sie mir verzeihen, und geben Sie zu, daß Sie meinen Genuß geteilt haben!«

»Sie wissen es wohl; ja, ich verzeihe Ihnen.«

Jetzt gab ich ihr ihre Freiheit zurück, erwies ihr gewisse Dienste und bat sie, mir dieselbe Gefälligkeit zu gönnen. Dies tat sie mit einem Lächeln auf den Lippen.

»Sagen Sie mir, daß Sie mich lieben!« rief ich.

»Nein! Sie sind ein gottloser Mensch; Sie werden in die Hölle kommen.«

Inzwischen war das Wetter wieder schön geworden; ich brachte alles in Ordnung, küßte ihr die Hände und sagte, sie könne sich darauf verlassen der Kutscher habe nichts gesehen; ich sei überzeugt, ich habe sie von dem angstvollen Gewitter geheilt, und sie werde keinem Menschen das Geheimnis verraten, wodurch ihre Heilung bewirkt worden sei. Sie antwortete mir: zum mindesten wisse sie so viel, daß niemals eine Frau durch ein ähnliches Mittel kuriert worden sei.

»Das muß«, versetzte ich, »in tausend Jahren eine Million Male vorgekommen sein. Ich will Ihnen sogar eingestehen, daß ich darauf gerechnet habe, als ich in die Kalesche stieg; denn ich sah kein anderes Mittel, in Ihren Besitz zu gelangen. Trösten Sie sich und glauben Sie mir: es gibt keine furchtsame Frau, die im gleichen Falle hätte widerstehen können.«

»Ich glaube es, aber künftighin werde ich nur noch mit meinem Mann fahren.«

»Da täten Sie unrecht; denn Ihr Mann hätte nicht den Geist besessen, Sie so zu trösten, wie ich es getan habe.«

»Das ist auch wieder wahr. Man lernt von Ihnen eigentümliche Dinge; aber wir werden nicht mehr allein miteinander fahren.«

Unter solchen Gesprächen kamen wir, eine Stunde vor den anderen, in Paseano an. Wir stiegen aus, und meine Schöne lief spornstreichs in ihr Zimmer, während ich ich meiner Börse einen Taler für den Kutscher suchte. Ich sah, daß er lachte.

»Worüber lachst du?«

»Sie wissen es wohl!«

»Da hast du einen Dukaten; aber – halte den Mund!«

Fünftes Kapitel


Tod meiner Großmutter und die Folgen davon. – Ich verliere das Wohlwollen des Herrn von Malipiero. – Ich habe kein Haus mehr. – Die Tintoretta. – Ich werde in ein Seminar gebracht. – Ich werde fortgejagt. – Ich werde in ein Fort gesperrt.

Während des Abendessens wurde nur vom Gewitter gesprochen, und der Pächter, der die Schwachheit seiner Frau kannte, sagte mir, er sei überzeugt, daß ich nicht mehr mit ihr fahren würde.

»Ebensowenig wie ich mit ihm!« rief schnell die kleine Frau; »denn er ist ein gottloser Mensch, der durch seine schlechten Witze den Blitz herausforderte!«

Die Frau verstand es, mir so geschickt auszuweichen, daß es mir nicht gelang, auch nur einen einzigen Augenblick mit ihr allein zu sein.

Nach Venedig zurückgekehrt, fand ich meine gute Großmutter krank und mußte infolgedessen mit allen meinen bisherigen Lebensgewohnheiten brechen; denn ich liebte sie zu sehr, als daß ich sie nicht mit aller nur möglichen Sorgfalt hätte pflegen sollen. Ich wich daher keinen Augenblick von ihr, bis sie den letzten Seufzer ausgestoßen hatte. Es war ihr unmöglich, mir etwas zu hinterlassen, denn sie hatte mir bei Lebzeiten gegeben, soviel sie nur konnte. Nichtsdestoweniger hatte ihr Tod für mich solche Folgen, daß ich einen ganz anderen Lebenswandel führen mußte.

Einen Monat nach ihrem Tode erhielt ich einen Brief von meiner Mutter; sie schrieb mir, da sie keine Möglichkeit sehe, nach Venedig zurückzukehren, so habe sie beschlossen, das Haus aufzugeben, wofür sie bisher die Miete bezahlt habe; sie habe den Abbate Grimani von ihren Absichten in Kenntnis gesetzt, und ich müsse mich nach seinen Anordnungen einrichten. Er habe Auftrag bekommen, das Mobiliar zu verkaufen und mich, sowie meine Brüder und meine Schwester, in eine gute Pension zu bringen. Ich glaubte mich zu Grimani begeben zu müssen, um ihm zu versichern, daß ich mich stets seinen Anordnungen fügen würde.

Die Hausmiete war bis zum Ende des Jahres bezahlt. Da ich nun wußte, daß ich dann keine Wohnung mehr haben würde und daß alle Möbel verkauft würden, so tat ich mir in meinen Bedürfnissen keinen Zwang mehr an. Wäsche, Vorhänge, Teppiche, Porzellan hatte ich bereits verkauft; jetzt machte ich mich an Spiegel, Betten usw. Ich verhehlte mir nicht, daß man das sehr schlimm finden würde; aber ich wußte, daß alles aus dem Nachlaß meines Vaters stammte, worauf meine Mutter keinerlei Anspruch hatte. Mit meinen Brüdern mich auseinanderzusetzen, hatte ich immer noch Zeit genug.

Vier Monate später schrieb meine Mutter mir wieder. Ihr Brief war aus Warschau datiert und enthielt beigeschlossen einen anderen. Meine Mutter schrieb mir:

»Ich habe hier, mein lieber Sohn, einen gelehrten Minimitenmönch, einen Kalabreser, kennengelernt, dessen hervorragende Eigenschaften meine Gedanken auf dich lenkten, so oft er mich mit seinem Besuch beehrte. Vor einem Jahre sagte ich ihm, ich hätte einen Sohn, der in den geistlichen Stand eintreten wollte; ich hätte aber nicht die Mittel, ihm Unterhalt zu gewähren. Er antwortete mir, dieser Sohn würde der seinige werden, wenn ich es bei der Königin durchsetzen könnte, daß er zum Bischof in seiner Heimat ernannt würde. Dies ließe sich leicht machen, wenn sie die Güte haben wollte, an ihre Tochter, die Königin von Neapel, zu schreiben und ihn dieser zu empfehlen.

Voll Gottvertrauen habe ich mich Ihrer Majestät zu Füßen geworfen und habe Gnade gefunden. Die Königin hat geruht an ihre Tochter zu schreiben, und der ehrenwerte Prälat ist vom Papst zum Bischof von Martorano gewählt worden; seinem Worte getreu, wird er um die Mitte des nächsten Jahres Dich, mein Sohn, mit sich nehmen; denn, um nach Kalabrien zu gelangen, muß er über Venedig reisen. Er schreibt es Dir selber in dem beigeschlossenen Brief; antworte ihm sofort und adressiere Deinen Brief an mich; ich werde ihn an ihn weiterbefördern. Er wird Dich auf den Weg bringen, der zu den höchsten Würden der Kirche führt; stelle dir vor, welch ein Trost es für mich sein wird, wenn ich in zwanzig oder dreißig Jahren das Glück habe, Dich wenigstens als Bischof zu sehen! In der Zwischenzeit bis zu seiner Ankunft wird Abbate Grimani für Dich sorgen. Ich gebe Dir meinen Segen und bin usw.«

Der Brief des Bischofs war lateinisch geschrieben und wiederholte den Inhalt des Briefes meiner Mutter. Übrigens war er sehr salbungsvoll. Er teilt mir mit, er werde sich in Venedig nur drei Tage aufhalten.

Ich antwortete, wie es sich schickte.

Diese beiden Briefe verdrehten mir den Kopf. Ade Venedig! Mit der sicheren Aussicht auf das glänzendste Glück konnte ich es kaum erwarten, in die Laufbahn einzutreten, die mich zu diesem Ziel führen sollte, und ich wünschte mir Glück, daß ich von dem, was ich in meiner Heimat zurücklassen sollte, ohne Bedauern schied. »Die Eitelkeiten sind vorbei!« sprach ich zu mir selbst; »in Zukunft werde ich mich nur für Großes und Solides interessieren.« Herr Grimani machte mir die größten Komplimente über mein Schicksal und versicherte mir, er werde die größte Sorgfalt aufbieten, um für mich eine gute Pension zu finden, in die ich zu Neujahr eintreten könnte, um die Ankunft des Bischofs abzuwarten.

Herr von Malipiero, der in seiner Art ein Weiser war und wohl sah, daß ich in Venedig im Strome von Vergnügungen und Zerstreuungen nur eine kostbare Zeit verlor, war entzückt darüber, daß ich schon in nächster Zeit anderswo mein Glück suchen sollte, und daß ich so bereitwillig mich den Umständen fügte. Er gab mir bei dieser Gelegenheit eine Lehre, die ich niemals vergessen habe: »Die berühmte Vorschrift der Stoiker: Sequere Deum – Folge Gott! – ist vollständig durch folgende Worte wiedergegeben: Überlasse dich dem, was das Schicksal dir bietet, sofern du nicht eine starke Abneigung dagegen empfindest. Dies war der Dämon des Sokrates, saepe revocans raro impellens – oft warnend, selten ermunternd – und daher stammte der Spruch derselben Stoiker: Fata viam inveniunt – Das Schicksal weist den Weg.«

Hierin bestand die Wissenschaft des Herrn von Malipiero; denn er war gelehrt, ohne ein anderes Buch studiert zu haben als das der natürlichen Moral. Aber wie wenn es den Beweis gegolten hätte, daß nichts vollkommen ist und daß alles seine schlechte und seine gute Seite hat, so ereignete sich, obwohl ich nur seine eigenen Grundsätze befolgte, einen Monat später ein Vorfall, der mir seine Ungnade zuzog und durch den ich nichts Neues lernte.

Der Herr Senator glaubte aus gewissen Anzeichen in den Gesichtszügen junger Menschen schließen zu können, daß sie in ihrem Leben alles dem Glück würden zu verdanken haben. Sobald er dergleichen zu bemerken glaubte, zog er den Betreffenden in seine Nähe, um ihn zu unterrichten, wie man dem Glück durch ein vernünftiges Benehmen zu Hilfe kommen könne; sehr richtig sagte er, in den Händen eines Unvorsichtigen sei die Arznei ein Gift, wie das Gift in den Händen des Weisen eine Arznei sei.

Zu meiner Zeit hatte er drei Schützlinge, für die er hinsichtlich ihrer Erziehung alles tat, was in seinen Kräften stand. Dies waren außer mir Teresa Imer, die der Leser zum Teil schon kennt und späterhin noch besser kennen wird, und als dritter Schützling die Tochter des Bootsführers Gardela, die drei Jahre jünger war als ich und in ihren Zügen einen entzückenden Ausdruck von Niedlichkeit hatte. Um sie auf den Weg zu bringen, ließ der spekulative Greis sie tanzen lernen; »denn unmöglich«, sagte er, »kann der Billardball in den Beutel laufen, wenn er nicht gestoßen wird.« Dieses junge Mädchen hat später unter dem Namen Augusta in Stuttgart eine glänzende Rolle gespielt. Sie war im Jahre 1757 die anerkannte erste Geliebte des Herzogs von Württemberg. Sie war reizend. »Zum letztenmal sah ich sie in Venedig, wo sie vor zwei Jahren gestorben ist. Ihr Gatte, Michele de l’Agata, vergiftete sich kurz nach ihrem Tode. – Eines Tages, nachdem wir alle drei bei ihm gespeist hatten, ließ der Senator uns allein, um seine Siesta zu halten. Dies war so seine Gewohnheit. Ein paar Augenblicke darauf entfernte sich die kleine Gardela, da sie ihre Stunde nehmen mußte; ich befand mich daher allein mit Teresa, die ich sehr nach meinem Geschmack fand, obgleich ich ihr bis dahin niemals den Hof gemacht hatte. Wir saßen nebeneinander an einem kleinen Tisch, mit dem Rücken nach der Tür des Kabinetts, worin, wie wir glaubten, der alte Herr schlief. Infolge einer Bemerkung bekamen wir Lust, den Unterschied unserer Körperbildung festzustellen. Aber als wir gerade beim interessantesten Teil der Aufgabe waren, mußten wir unsere Arbeit unvollendet lassen, denn ich erhielt einen heftigen Stockhieb über den Rücken und gleich darauf einen zweiten, dem ohne Zweifel noch viele andere gefolgt sein würden, wenn ich nicht das Hasenpanier ergriffen hätte. Ohne Mantel und Hut lief ich Hals über Kopf davon und schloß mich zu Hause in mein Zimmer ein. Kaum war ich eine Viertelstunde zu Hause, so erhielt ich die beiden zurückgelassenen Gegenstände durch die alte Haushälterin des Senators und zugleich einen Brief, worin mir verboten wurde, den Palazzo Seiner Exzellenz jemals wieder zu betreten. Ohne einen Augenblick zu verlieren, antwortete ich ihm folgendermaßen: »Als Sie mich schlugen, waren Sie im Zorn; folglich können Sie sich nicht rühmen, mir eine Lektion gegeben zu haben, und ich will nichts gelernt haben. Ebensowenig kann ich Ihnen verzeihen; denn da müßte ich vergessen, daß Sie ein Weiser sind, und das werde ich nie vergessen.«

Der vornehme Herr hatte vielleicht recht, wenn ihm der Anblick, den wir ihm darboten, nicht gefiel; aber trotz aller seiner Vorsicht handelte er in diesem Falle sehr unvorsichtig; denn alle Dienstboten errieten die Ursache meiner Austreibung, und es dauerte nicht lange, so lachte die ganze Stadt über meine Geschichte. Wie Teresa mir einige Zeit nachher sagte, wagte er nicht, ihr Vorwürfe zu machen; natürlich hatte sie aber nicht den Mut, ihn um Gnade für mich zu bitten.

Es nahte sich der Zeitpunkt, wo ich die Wohnung meines Vaters verlassen mußte. Eines schönen Morgens sehe ich vor mir einen Mann von ungefähr vierzig Jahren in schwarzer Perücke, scharlachrotem Mantel und mit sehr sonnverbranntem Gesicht. Er überbrachte mir von Herrn Grimani einen schriftlichen Befehl, ihm alle Möbel des Hauses zu überliefern, gemäß einem Inventar, das er bei sich hatte und dessen zweite Ausfertigung sich in meinen Händen befand. Ich nahm mein Verzeichnis und zeigte ihm alle Möbel, die darauf verzeichnet standen, sofern sie nicht einen andern Weg gewandert waren, und von denen, die nicht da waren, sagte ich, ich wüßte schon, was aus ihnen geworden wäre. Der Kerl aber schlug einen Ton an, als ob er der Herr im Hause wäre, und fing an zu schreien, er wolle wissen, was ich damit gemacht hätte. Dieser Ton gefiel mir nicht. Ich antwortete ihm, ich hätte ihm keine Rechenschaft abzulegen; und da er fortfuhr laut zu schreien, so riet ich ihm, sich schleunigst zu entfernen, und zwar sagte ich dies in einem Ton, der ihm zeigen mußte, ich wüßte wohl, daß in meinem eigenen Hause ich der Herr wäre.

Ich hielt mich verpflichtet, von dem Vorgefallenen Herrn Grimani zu benachrichtigen, und begab mich daher in aller Frühe zu ihm; ich fand aber bei ihm schon meinen Kerl, der ihm alles erzählt hatte. Nach einer scharfen Kopfwäsche, die ich stillschweigend über mich ergehen lassen mußte, verlangte der Abbate von mir Rechenschaft über alles Fehlende. Ich sagte ihm, ich hätte die Sachen verkaufen müssen, um keine Schulden zu machen. Darauf hin behandelte er mich wie einen Spitzbuben, sagte mir, ich hätte nicht das Recht dazu gehabt, er wisse aber wohl, was er zu tun hätte; schließlich befahl er mir, sein Haus sofort zu verlassen.

Außer mir vor Zorn, laufe ich zu einem Juden, um ihm alles zu verkaufen, was noch übrig war; aber gerade als ich mein Haus betreten wollte, fand ich vor meiner Tür den Gerichtsboten, der mir eine Verfügung übergab. Ich las diese und fand, daß sie auf Antrag eines Antonio Razzetta erlassen war. Das war der Mann mit dem verbrannten Gesicht. Die Siegel befanden sich schon an allen Türen und ich konnte nicht einmal in mein Zimmer hinein, denn der Gerichtsvollzieher war so vorsichtig gewesen, beim Fortgehen einen Wachtposten zurückzulassen. Unverzüglich laufe ich zu Herrn Rosa und trage ihm in großen Umrissen den Fall vor. Er nimmt die Verfügung, liest sie und sagt mir: »Die Siegel werden morgen früh abgenommen werden; unterdessen werde ich Razzetta vor den Avogador zitieren lassen. Diese Nacht, mein Lieber, werden Sie bei irgendeinem Freunde schlafen müssen. Es ist ein Gewaltstreich; aber er wird Ihnen teuer dafür bezahlen. Der Mann handelt im Auftrag des Herrn Grimani.«

»Das ist seine Sache.«

Ich verbrachte die Nacht bei meinen Engeln und begab mich am anderen Morgen nach meinem Hause, wo ich die Siegel abgenommen fand. Da Razzetta nicht erschienen war, lud Herr Rosa ihn in meinem Namen vor das Kriminalgericht und beantragte, ihn in Haft zu nehmen, wenn er auch auf die zweite Vorladung nicht erschiene. Am dritten Tage schrieb Herr Grimani mir einen Brief und befahl mir, mich zu ihm zu begeben. Ich gehorchte auf der Stelle. Sobald er mich sah, fragte er mich in schroffem Ton, was ich denn eigentlich wollte?

»Mich gegen Gewalt schützen, mich unter den Schirm der Gesetze stellen und mich gegen einen Menschen verteidigen, mit dem ich niemals etwas hätte zu tun haben sollen, und der mich gezwungen hat, die Nacht an einem schlechten Orte zu verbringen.«

»An einem schlechten Ort.«

»Natürlich. Warum hat er mich willkürlich verhindert, nach Hause zu gehen?«

»Jetzt bist du ja in deinem Hause. Aber vor allen Dingen gehe zu deinem Anwalt und sage ihm, er solle das ganze Verfahren einstellen; denn Razzetta hat alles nur auf meinen Befehl gemacht. Du wolltest vielleicht den ganzen Rest der Möbel verkaufen; dagegen haben wir Vorsorge getroffen. Du hast ein Zimmer in San Giovanni Crisostomo in einem mir gehörenden Hause, dessen erstes Stockwerk von unserer Prima ballerina, der Tintoretta, eingenommen wird. Lasse deine Sachen dorthin tragen und komme täglich zum Essen zu mir. Ich habe deine Schwester in eine gute Pension gebracht und deine Brüder in eine andere; so wird nun alles in bester Ordnung sein.«

Ich ging sofort zu Herrn Rosa, um ihm über das Vorgefallene zu berichten; da er mir riet, ich solle alles tun, was Herr Grimani verlange, so erklärte ich mich einverstanden. Übrigens war der Ausgang der Sache eine Genugtuung für mich, um so mehr, da die Einladung zum Mittagtisch mich ehrte. Auch war ich sehr neugierig auf meine neue Wohnung bei der Tintoretta, denn von diesem Mädchen wurde viel gesprochen wegen eines Fürsten von Waldeck, der große Ausgaben für sie machte.

Der Bischof sollte im Laufe des Sommers eintreffen; ich brauchte also höchstens noch sechs Monate in Venedig zu warten, um in eine Laufbahn einzutreten, die mich vielleicht auf den päpstlichen Stuhl führen konnte. Ich sah alles in rosenrotem Licht, und mein Geist erhob sich strahlend in die Himmelslüfte: ich baute die wundervollsten Luftschlösser.

Um die Mittagszeit ging ich zu Herrn Grimani, wo ich neben Razzetta sitzen mußte – für mich eine unangenehme Gesellschaft; ich tat während der ganzen Mahlzeit, als sehe ich ihn nicht. Nach dem Essen begab ich mich zum letztenmal nach meinem schönen Hause in San Samuele; von dort ließ ich mit einer Gondel alle mir gehörenden Sachen nach meiner neuen Wohnung bringen.

Fräulein Tintoretta, die ich nicht persönlich kannte, über deren Lebenswandel und Charakter ich aber ganz gut Bescheid wußte, war eine mittelmäßige Tänzerin, weder schön noch häßlich, aber ein geistreiches Mädchen. Der Fürst von Waldeck gab viel Geld für sie aus, aber er hatte nichts dagegen, daß sie ihren früheren Beschützer beibehielt; dies war ein edler Venezianer aus der jetzt erloschenen Familie Lin; er war damals sechzig Jahre alt und hielt sich den ganzen Tag bei ihr auf.

Dieser vornehme Herr, der mich kannte, kam am Abend zu mir mit einem Kompliment von seiten des Fräuleins, das mir sagen ließ, sie sei entzückt, mich in ihrem Hause zu haben, und es würde ihr Vergnügen machen, wenn ich ihre Gesellschaft besuchen wollte.

Ich entschuldigte mich bei Herrn Lin, ich hätte nicht gemußt, daß ich in ihrem Hause wäre, denn Herr Grimani hätte mir nichts hiervon gesagt; sonst würde ich es mir zur Pflicht gemacht haben, ihr meine Aufwartung zu machen, bevor ich noch meine Wohnung bezogen hätte. Nach diesen Entschuldigungen folgte ich dienstwillig dem Botschafter, der mich seiner Mätresse vorstellte, und die Bekanntschaft war gemacht.

Sie empfing mich wie eine Prinzessin, zog ihren Handschuh aus, um mir die Hand zum Kuß zu reichen, und nannte meinen Namen fünf oder sechs anwesenden fremden Herren, deren Namen sie mir einen nach dem andern sagte; hierauf ließ sie mich an ihrer Seite Platz nehmen. Sie war Venezianerin, und ich fand es daher lächerlich, daß sie französisch sprach. Ich sagte ihr also, diese Sprache verstände ich nicht und bäte sie, mit mir italienisch zu sprechen. Erstaunt, daß ich nicht französisch verstände, sagte sie mir mit etwas gekränkter Miene, ich würde bei ihr eine schlechte Figur machen; denn in ihrem Hause würde fast gar keine andere Sprache gesprochen, da sie viele Ausländer empfinge. Ich versprach ihr, es zu lernen. Eine Stunde darauf kam der Fürst; sie stellte mich vor, und er war gegen mich sehr liebenswürdig. Er sprach sehr gut italienisch und war während des ganzen Karnevals über alle Maßen huldvoll zu mir. Gegen Ende des Karnevals schenkte er mir eine goldene Tabaksdose zur Belohnung für ein sehr schlechtes Sonett, das ich auf seine schöne Margherita Grizellini gemacht hatte. Dies war der Familienname der Tintoretta, die ihren Spitznamen davon hatte, daß ihr Vater Färber gewesen war.

Die Tintoretta hatte viel mehr Eigenschaften als Giulietta, um vernünftige Menschen zu fesseln. Sie liebte die Poesie, und hätte ich nicht auf meinen Bischof gewartet, so würde ich mich in sie verliebt haben; sie selber liebte einen jungen Arzt, einen ausgezeichneten Menschen, namens Righellini, der in der Blüte seiner Jahre gestorben ist und um den ich noch jetzt trauere. Zwölf Jahre später werde ich Gelegenheit halben, von ihm zu sprechen.

Gegen das Ende des Karnevals schrieb meine Mutter dem Abbate Grimani, es wäre unanständig, wenn der Bischof mich bei einer Tänzerin wohnen fände; er entschloß sich daher, mir eine anständige und würdige Unterkunft zu verschaffen. Er beriet sich darüber mit dem Pfarrer Tosello, und die beiden Herren wußten nichts Schöneres zu tun, als mich in ein Seminar zu bringen.

Dies alles wurde ohne mein Wissen verabredet, und der Pfarrer übernahm es, mir die Nachricht beizubringen und zugleich mich zu bereden, gutwillig hinzugehen. Als ich ihn aber in seinem beruhigenden Tone sprechen hörte, der mir die Pille vergolden sollte, da mußte ich unwillkürlich laut auflachen; es wird ihn gewiß gewaltig überrascht haben, als ich ihm sagte, ich sei bereit überall hinzugehen, wohin er mich zu schicken für gut befinde.

Der Einfall der beiden Herren war lächerlich; denn wie konnten sie daran denken, einen siebzehnjährigen Jüngling, und noch dazu einen Jüngling wie mich, in ein Seminar stecken zu wollen! Da ich aber keine Abneigung dagegen verspürte und wie immer meinem sokratischen Dämon folgte, die Sache außerdem mir spaßhaft vorkam, so willigte ich nicht nur ein, sondern es drängte mich sogar, recht bald da zu sein. Ich sagte Herrn Grimani, ich sei zu allem bereit, vorausgesetzt, das Razzetta sich nicht hineinmische. Dies versprach er mir; aber er hielt nicht Wort, sobald ich aus dem Seminar heraus war. Ich habe niemals entscheiden können, ob dieser Abbate Grimani gut war, weil er dumm war, oder ob seine Dummheit ein Mangel war, der seiner Güte anhaftete; aber alle seine Brüder waren von demselben Schlage. Das Glück kann einem geistvollen jungen Mann keinen böseren Streich spielen, als wenn es ihn von einem Dummkopf abhängig macht. Wenige Tage darauf ließ der Pfarrer mich Seminartracht anziehen und brachte mich nach San Cipriano auf Murano, um mich dem Rektor vorzustellen. Die Patriarchalkirche von San Cipriano wird von Somaskenmönchen bedient. Dieses ist ein Orden, den ein venezianischer Nobile, der selige Geronimo Emiliani, begründet hat. Der Rektor empfing mich sehr herzlich und liebenswürdig; aber aus der salbungsvollen Ansprache, die er an mich hielt, glaubte ich herauszuhören, daß er der Meinung war, man brächte mich ins Seminar, um mich zu bestrafen oder wenigstens um mich zu verhindern, einen anstößigen Lebenswandel fortzusetzen. Da dies mein Selbstgefühl verletzte, so beeilte ich mich ihm zu sagen: »Mein Vater, ich nehme nicht an, daß jemand die Kühnheit besitzt, mich bestrafen zu wollen.«

»Nein, nein, mein Sohn! Ich wollte nur sagen, Sie werden sich hier bei uns sehr wohl fühlen.«

Hierauf zeigte man mir in drei Sälen mindestens hundertundfünfzig Seminaristen, ferner zehn bis zwölf Schulzimmer, den Speisesaal, den Schlafsaal, die Gärten für die Freistunden; man gab sich die größte Mühe mir einzureden, ich würde an diesem Ort das glücklichste Leben finden, das ein junger Mensch sich nur wünschen könnte; ich würde bei der Ankunft des Bischofs bedauern, daß ich fort müßte. Zugleich aber redeten sie mir Mut ein, indem sie sagten, ich würde ja höchstens nur fünf oder sechs Monate dableiben. Ihre Beredsamkeit machte mich lachen.

Anfang März traf ich im Seminar ein, und ich bereitete mich darauf vor, indem ich die vorhergehende Nacht zwischen meinen beiden Freundinnen verbrachte, die ihr Bett mit reichlichen Tränen netzten: sie konnten ebensowenig wie ihre Tante und der gute Herr Rosa begreifen, daß ein junger Mann meines Schlages sich so willig fügte.

Am Tage vor meinem Eintritt ins Seminar war ich so vorsichtig gewesen, alle meine Papiere der Frau Manzoni zur Aufbewahrung zu übergeben. Es war ein dickes Paket, das ich erst fünfzehn Jahre später mir von der wackeren Dame habe zurückgeben lassen. Sie lebt noch jetzt, neunzig Jahre alt, und hat sich ihre gute Laune und ihre Gesundheit bewahrt. Sie empfing mich lachend und sagte mir, ich würde keinen Monat in meinem Seminar bleiben.

»O doch, verzeihen Sie, gnädige Frau! Denn ich gehe gerne hin, und ich werde dort auf meinen Bischof warten.«

»Sie kennen sich selber nicht, und Sie kennen auch Ihren Bischof nicht, bei dem Sie ebensowenig bleiben werden.«

Der Pfarrer begleitete mich in einer Gondel nach dem Seminar; aber bei San Michele mußte er anhalten lassen, weil ich plötzlich heftiges Erbrechen bekam; der Bruder Apotheker stellte mich mit Melissenwasser wieder her.

Dieser Schwächeanfall rührte ohne Zweifel davon her, daß ich zuviel Weihrauch auf dem Altar der Liebe verbrannt hatte. Ein Liebender, der weiß, was man empfindet, wenn man mit geliebten Wesen zusammen ist, die man zum letzten Male zu sehen fürchtet – ein solcher Liebender wird sich leicht vorstellen können, in welchem Zustande ich mich während der letzten Augenblicke befand, die ich mit meinen beiden Freundinnen verbringen zu können glaubte. Man will niemals, daß eine Opfergabe die letzte sei, und so hört man nicht eher auf zu opfern, als bis kein Weihrauch mehr vorhanden ist.

Der Pfarrer übergab mich dem Rektor, und man trug meine Sachen nach dem Schlafsaal, wohin ich mich ebenfalls begab, um Mantel und Hut abzulegen. Ich wurde trotz meiner Größe nicht der Klasse der Erwachsenen zugeteilt, weil ich noch nicht das vorgeschriebene Alter hatte. Nebenbei bemerkt trug ich damals aus Eitelkeit immer noch mein Flaumhaar, weil dieses ein unwiderleglicher Beweis meiner Jugend war; ohne Zweifel war das eine Lächerlichkeit – aber in welchem Alter hört der Mensch auf, lächerlich zu sein? Man legt leichter seine Laster ab, als seine Lächerlichkeiten. Die Tyrannei, unter der ich stand, ging nicht so weit, daß sie mich zwang, mich rasieren zu lassen; nur in diesem einzigen Punkt habe ich sie duldsam gefunden.

»In welche Klasse«, fragte mich der Rektor, »wollen Sie aufgenommen werden?«

»In die Dogmatik, ehrwürdigster Vater; ich will Kirchengeschichte lernen.«

»Ich werde Sie zum Pater Examinator führen.«

»Ich bin Doktor, Hochwürden, und ich will kein Examen bestehen.«

»Es ist notwendig, mein lieber Sohn; kommen Sie.«

Diese Notwendigkeit schien mir eine Beleidigung zu sein; ich war empört darüber; sofort aber beschloß ich mich zu rächen, indem ich sie anführte, und dieser Einfall gab mir meine gute Laune wieder. Ich antwortete so schlecht auf alle lateinischen Fragen des Examinators und machte so viele Sprachschnitzer, daß er sich genötigt sah, mich in die unterste Klasse, die Grammatik, zu schicken; so sah ich mich mit großer Befriedigung als Kameraden von zwanzig kleinen Jungen von zehn Jahren, die, sobald sie erfuhren, daß ich Doktor sei, unaufhörlich wiederholten: Accipiamus pecuniam et mittamus asinum in patriam suam! – Nehmen wir das Geld und schicken wir den Esel in seine Heimat zurück!

Die Erholungspause machte mir besonders viel Spaß; denn meine Schlafsaalkameraden, die alle mindestens in der philosophischen Klasse waren, sahen mich mit komischer Verachtung an; sie besprachen untereinander ihre erhabenen Thesen und machten sich über mich lustig, daß ich aufmerksam ihren Erörterungen zuhörte, die doch für mich ein vollkommenes Rätsel sein müßten. Ich dachte nicht daran, mich zu verraten; aber ein unausbleiblicher Zufall zwang mich, die Maske abzunehmen.

Der Somaskenmönch Vater Barbarigo vom Kloster della Salute in Venedig, bei dem ich Physikunterricht gehabt hatte, war zum Besuch beim Rektor; er sah mich, als wir aus der Messe kamen und machte mir tausend Komplimente. Die erste Frage, die er stellte, galt der Wissenschaft, mit der ich mich beschäftigte; und er glaubte, ich scherzte, als ich ihm antwortete, ich wäre in der Grammatikklasse. Der Rektor kam darüber hinzu, ich verabschiedete mich, und jeder ging in seine Klasse.

Eine Stunde später kommt der Rektor und ruft mich hinaus.

»Warum«, fragt er mich, haben Sie bei der Prüfung den Unwissenden gespielt?«

»Warum«, antwortete ich ihm, »haben Sie die Ungerechtigkeit begangen, mich einer Prüfung zu unterwerfen?«

Er machte ein etwas ernstes Gesicht, aber er brachte mich in die Dogmatikklasse, in die meine Schlafsaalgenossen mich mit großem Erstaunen eintreten sahen; am Nachmittag während der Erholungsstunde umringten sie mich alle, und jeder wollte mein Freund sein, so daß ich bald in heitere Stimmung geriet.

Unter ihnen war besonders einer, ein fünfzehnjähriger Jüngling – wenn er noch lebt, ist er jetzt Bischof – der mir durch sein schönes Gesicht und durch seine Geistesgaben auffiel. Er flößte mir eine lebhafte Freundschaft ein, und in den Erholungsstunden ging ich beständig nur mit ihm spazieren, anstatt mit den anderen Kegel zu schieben. Wir sprachen von Poesie und entzückten uns an den schönsten Oden des Horaz. Wir zogen Ariost dem Tasso vor und zollten Petrarca unsere ganze Bewunderung, wie dem Tassoni und Muratori, die ihn kritisiert hatten, unsere ganze Verachtung. In vier Tagen wurden wir so gute Freunde, daß wir aufeinander eifersüchtig waren und daß wir wie zwei richtige Liebhaber schmollten, wenn der eine den anderen verließ und mit einem Dritten ging.

Ein Laienbruder führte die Aufsicht über den Schlafsaal, und es war seine Aufgabe, die Ordnung darin aufrechtzuerhalten. Nach dem Abendessen begab die ganze Belegschaft unter Vortritt des Mönches, der Präfekt genannt wurde, sich nach dem Schlafsaal. Dort trat jeder an sein Bett, betete leise, zog sich aus und legte sich ruhig nieder. Sobald der Präfekt sah, daß alle Schüler zu Bett waren, legte auch er sich nieder. Eine große Laterne beleuchtete das Lokal, das ein Rechteck von achtzig zu zehn Schritt bildete. Die Betten waren in regelmäßigen Abständen aufgestellt, und am Kopfende jedes Bettes befand sich ein Betschemel, ein Stuhl und der Koffer des Seminaristen. An dem einen Ende des Saales befand sich die Waschvorrichtung, an dem anderen stand das Bett des Präfekten. Das Bett meines Freundes stand dem meinigen gegenüber und die Laterne befand sich gerade zwischen uns.

Es war die Hauptobliegenheit des Präfekten, aufzupassen, daß kein Schüler sich zu einem anderen ins Bett legte; denn man nahm an, daß ein solcher Besuch unmöglich unschuldig sein könne. Es galt als Kapitalverbrechen; das Bett war zum Schlafen da und nicht, um sich mit einem Kameraden zu unterhalten; es stand daher fest, daß ein Seminarist nur mit unmoralischen Absichten sich in ein anderes Bett legen konnte. Übrigens war er in seinem eigenen Bett vollkommen ungestört und eigner Herr; er konnte darin machen, was er wollte; um so schlimmer für ihn, wenn er mit dieser Freiheit Mißbrauch trieb. Man hat in Deutschland die Bemerkung gemacht, daß gerade in jenen Vereinigungsstätten junger Leute, deren Leiter sich besondere Mühe geben, die Onanie zu verhindern, das Laster besonders heftig auftritt.

Die Verfasser solcher Verordnungen waren unwissende Dummköpfe, die weder Natur noch Moral kannten. Die Natur hat Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen, und Tissot hat nur insofern recht, als feine Bemerkungen sich auf junge Leute beziehen, die ihre Freiheit mißbrauchen. Aber dieser Mißbrauch würde äußerst selten vorkommen, wenn die Direktoren klug und weise wären, und wenn sie es sich nicht einfallen ließen, ein besonderes Verbot dagegen zu erlassen; denn dann lassen die jungen Leute sich zu gefährlichen Ausschweifungen hinreißen aus bloßem Vergnügen am Ungehorsam; die Neigung dazu ist dem Menschen so natürlich, daß sie mit Adam und Eva begonnen hat.

In der Nacht des neunten oder zehnten Tages meines Aufenthaltes im Seminar fühlte ich, wie jemand sich neben mich in mein Bett legte. Er ergriff meine Hand, schüttelte sie und nannte mir seinen Namen; kaum konnte ich mir das Lachen verhalten. Es war mein Freund; er war aufgewacht, und da er die Laterne erloschen sah, war ihm die Laune gekommen, mir einen Besuch abzustatten. Einige Augenblicke später bat ich ihn zu gehen, denn ich fürchtete, der Präfekt könnte aufwachen; dann hätten wir uns in einer sehr großen Verlegenheit befunden, in der wir vielleicht irgendeines scheußlichen Verbrechens beschuldigt wurden. Im selben Augenblick, wo ich ihm diesen guten Rat gab, hörten wir Schritte; der Abbate schlüpfte aus meinem Bett; gleichzeitig aber hörte ich jemanden fallen und unmittelbar darauf den Präfekten brüllen: »Ha, Schurke! Morgen, morgen!« – Er zündete hierauf die Laterne wieder an und legte sich wieder zu Bett.

Am nächsten Morgen betrat, noch bevor die Glocke das Zeichen zum Aufstehen gab, der Rektor in Begleitung des Präfekten den Schlafsaal und sagte: »Hört mich alle an! Ihr wißt, was für eine Ungehörigkeit heute nacht vorgekommen ist. Zwei von euch müssen schuldig sein, aber ich will ihnen verzeihen, und um ihre Ehre zu schonen, verspreche ich, daß ihre Namen nicht bekannt werden sollen. Ihr alle werdet vor der Erholungspause zu mir kommen und mir beichten.«

Mit diesen Worten entfernte er sich, und wir standen auf. Nach dem Mittagessen gingen wir, seinem Befehle folgend, allesamt zu ihm und beichteten; hierauf begaben wir uns in den Garten, wo der Abbate mir erzählte, er habe das Unglück gehabt, gegen den Präfekten anzurennen, und habe sich nicht anders zu helfen gewußt, als indem er ihn umgestoßen habe; dadurch habe er die Zeit gewonnen, unerkannt sein Bett zu erreichen.

»Und jetzt», sagte ich ihm, »bist du der Verzeihung gewiß, denn du hast natürlich sehr vernünftigerweise deinen Fehltritt gebeichtet.«

»Du machst wohl Spaß!« antwortete mir mein Freund; »der gute Rektor hätte auch nicht mehr erfahren, als er jetzt weiß, selbst wenn mein Besuch bei dir sündhaft gewesen wäre.«

»Du hast also eine unvollkommene Beichte abgelegt, denn du warst auf alle Fälle des Ungehorsams schuldig.«

»Das ist möglich; aber dafür muß er sich an sich selber halten; denn er hat uns ja zur Beichte gezwungen.«

»Mein lieber Freund, was du da sagst, ist wundervoll logisch, und der hochwürdige Herr muß jetzt wissen, daß unsere Schlafsaalbelegschaft klüger ist als er.«

Die Geschichte wäre damit zu Ende gewesen, wenn ich nicht einige Nächte darauf Lust bekommen hätte, meinem Freund den schuldigen Gegenbesuch abzustatten. Gegen ein Uhr nach Mitternacht mußte ich einmal aufstehen; als ich den Präfekten schnarchen hörte, drückte ich schnell den Docht der Nachtlampe aus und legte mich zu meinem Freunde ins Bett. Er erkannte mich und freute sich ebenso wie ich über den gelungenen Streich; aber wir horchten beide aufmerksam auf das Schnarchen unseres Präfekten. Sobald er aufhörte zu schnarchen, bemerkte ich die Gefahr, stand auf und begab mich, ohne einen Augenblick zu verlieren, wieder in mein Bett; kaum aber lag ich drin, so hatte ich zwei Überraschungen für eine. Die erste bestand darin, daß an meiner Seite schon jemand lag; die zweite, daß ich den Präfekten im Hemd und mit einer Kerze in der Hand langsam durch den Saal gehen und rechts und links die Betten der Seminaristen mustern sah. Daß der Präfekt im Augenblick an einer Kapsel mit Schießpulver hatte eine Kerze anzünden können, begriff ich wohl; unbegreiflich aber war mir, was ich in meinem Bette sah! Da lag, den Rücken mir zugewandt, einer meiner Kameraden in tiefem Schlaf. Ich faßte den unüberlegten Entschluß, mich ebenfalls schlafend zu stellen. Beim zweiten oder dritten Stoß, den der Präfekt mir gab, tat ich, als wachte ich auf, und der andere wurde wirklich wach. Erstaunt, sich in meinem Bett zu sehen, entschuldigte er sich mit den Worten: »Ich habe mich geirrt; ich kam im Dunkeln von einem gewissen Ort zurück, fand Ihr Bett leer und hielt es für das meinige.«

»Das ist wohl möglich,« antwortete ich ihm, »denn ich habe ebenfalls aufstehen müssen.«

»Aber«, sagte der Präfekt, »wie kommt es denn, daß Sie sich in Ihr Bett gelegt haben, ohne ein Wort zu sagen, als Sie Ihren Platz schon besetzt fanden? Da Sie im Dunkeln waren, hätten Sie doch vermuten müssen, daß Sie sich im Bette geirrt hätten.«

»Ich konnte mich nicht täuschen; denn als ich herumtastete, berührte ich das Fußende dieses Kruzifixes, und dadurch wurde jeder Zweifel beseitigt; den Schüler aber habe ich überhaupt nicht bemerkt.«

»Das ist nicht wahrscheinlich!« erwiderte der Argus; und mit diesen Worten ging er an die Lampe heran, deren Docht er ausgedrückt fand.

»Der Docht schwimmt im Öl, meine Herren; die Lampe ist nicht von selber ausgegangen; das hat einer von Ihnen getan. Morgen werden wir das Weitere sehen.«

Mein Dummkopf von Kamerad entfernte sich und legte sich in sein Bett. Der Präfekt zündete die Lampe wieder an und ging ebenfalls wieder zu Bett. Nach diesem Auftritt, bei dem der ganze Saal wach geworden war, schlief ich ruhig wieder ein und schlummerte, bis mit dem Morgengrauen der Rektor in Begleitung seines Trabanten, des Präfekten, mit wütendem Gesicht bei uns eintrat.

Der Rektor machte zunächst eine Ortsaufnahme des Tatbestandes und hielt ein langes Verhör mit meinem Mitangeklagten ab, der natürlich als Hauptschuldiger dastand, sowie auch mit mir, der ich niemals überführt werden konnte; dann ging er hinaus, indem er befahl, wir alle sollten uns anziehn und in die Kirche gehen, um die Messe zu hören. Sobald wir fertig waren, trat er wieder ein und sagte zu uns beiden in sanftem Ton: »Sie sind überführt, in sträflichem Einverständnis mit einem anderen gewesen zu sein; denn sonst hätte die Lampe nicht ausgelöscht sein können. Ich will glauben, daß die Ursache dieser ganzen Ungehörigkeit entweder ganz unschuldig war oder doch wenigstens nur von einer großen Unbedachtsamkeit herrührte; aber es ist dadurch dem ganzen Schlafsaal ein Ärgernis gegeben worden, der Gehorsam ist verletzt und die Hausordnung gestört worden. Dies erheischt eine Sühne. Gehen Sie hinaus!«

Wir gehorchten; kaum aber befanden wir uns zwischen den beiden Türen des Schlafsaals, so ergriffen uns vier Bediente, banden uns die Hände auf dem Rücken zusammen und führten uns in den Saal zurück, wo sie uns vor dem großen Kruzifix niederknien ließen.

Sobald wir uns in dieser Stellung befanden, sagte der Rektor ihnen, sie sollten seinen Befehl ausführen, und die Trabanten versetzten einem jeden von uns sieben bis acht Hiebe mit einem Strick oder Stock, die ich, ebenso wie mein dummer Kamerad, ohne einen Klagelaut hinnahm. Sobald man mich aber losgebunden hatte, fragte ich den Rektor, ob ich auf der Stelle, am Fuße des Kruzifixes, zwei Zeilen schreiben dürfte. Er ließ mir sofort Tinte und Papier bringen, und ich schrieb folgendes nieder:

»Ich schwöre vor diesem Gott, daß ich niemals ein Wort mit dem Seminaristen gesprochen habe, den man in meinem Bett gefunden hat. Meine Unschuld erheischt daher, daß ich Protest erhebe und mich wegen dieser gemeinen Vergewaltigung an Seine Gnaden den Patriarchen wende.«

Mein Leidensgenosse unterschrieb mit mir diesen Protest; hierauf wandte ich mich an alle anwesenden Schüler, las ihnen unsere Erklärung vor und forderte sie auf, der Wahrheit gemäß zu sagen, ob jemand das Gegenteil von dem behaupten könne, was ich niedergeschrieben habe. Sofort riefen alle wie aus einem Munde, man habe uns niemals miteinander sprechen sehen, und man könne nicht wissen, wer die Lampe ausgelöscht habe. Der Rektor wurde verhöhnt und ausgepfiffen und entfernte sich, ohne ein Wort vorzubringen; trotzdem aber schickte er uns ins Karzer im fünften Stock, wo wir in zwei getrennten Zellen saßen. Eine Stunde später brachte man mir meinen Koffer, mein Bett und alle meine Sachen, und jeden Tag wurde mir mein Essen hinaufgetragen. Am vierten Tage erschien Pfarrer Tosello mit dem Befehl, mich nach Venedig zu bringen. Ich fragte ihn, ob er über meine Angelegenheit unterrichtet sei; er antwortete mir, er habe schon mit dem anderen Seminaristen gesprochen, wisse also alles und halte uns für unschuldig; der Rektor wolle aber kein Unrecht haben, und er wisse daher nicht, was dabei zu machen sei.

Ich warf meine Seminaristentracht ab und legte die Kleider an, die ich in Venedig getragen hatte. Während meine Sachen auf einen Kahn geladen wurden, stieg ich in die Gondel des Herrn Grimani, mit der der Pfarrer gekommen war, und wir fuhren ab. Unterwegs sagte der Pfarrer dem Kahnführer, er solle meine Sachen im Palazzo Grimani abladen; hierauf erklärte er mir, er habe auf Befehl des Abbate bei der Landung in Venedig mir zu sagen: Wenn ich jemals die Kühnheit besitzen sollte, mich bei ihm einzufinden, so hätten seine Bedienten Befehl, mich hinauszuwerfen.

Beim Jesuitenkloster setzte er mich an Land; ich hatte keinen Soldo und besaß absolut nichts anderes, als was ich auf dem Leibe trug.

Zum Mittagessen begab ich mich zu Frau Manzoni, die von Herzen lachte, als sie sah, daß ihre Prophezeiung in Erfüllung gegangen war. Nach dem Essen ging ich zu Herrn Rosa, um auf gesetzlichem Wege gegen die Tyrannei vorzugehen; nachdem er den Fall angehört hatte, versprach er mir, am Abend zu Frau Orio einen Antrag auf außergerichtliche Erledigung mitzubringen. Ich begab mich zu der Dame, um ihn dort zu erwarten und mich an der Überraschung zu weiden, die ich meinen reizenden beiden Freundinnen bereiten würde. Die Überraschung war wirklich sehr groß, und die Erzählung meiner Erlebnisse erstaunte sie nicht minder, als meine Anwesenheit. Herr Rosa kam und gab mir die von ihm aufgesetzte Eingabe zu lesen, die er aber wegen der Kürze der Zeit noch nicht hatte notariell beglaubigen lassen; er versprach mir jedoch, am nächsten Morgen würde er alles in Ordnung bringen.

Zum Abendessen ging ich zu meinem Bruder Francesco, der bei einem Maler namens Guardi in Pension war; die Tyrannei bedrückte ihn wie mich; aber ich versprach ihm, ihn davon zu befreien. Gegen Mitternacht suchte ich meine beiden liebenswürdigen Schwestern auf, die mich mit zärtlicher Ungeduld erwarteten; aber – ich muß es in aller Demut gestehen – der Kummer, den ich empfand, tat der Liebe Eintrag, trotz meiner vierzehntägigen Abwesenheit und Enthaltsamkeit. Mein Kummer tat ihnen leid, und sie beklagten mich von ganzem Herzen. Ich tröstete sie mit der Versicherung, das würde vorübergehen, und die verlorene Zeit ließe sich wieder einholen.

Da ich nicht wußte, wohin ich meine Schritte lenken sollte, und keinen Heller in der Tasche hatte, ging ich in die Bibliothek von San Marco, wo ich bis Mittag blieb. Dann ging ich, in der Absicht, bei Frau Manzoni zu Mittag zu essen; aber als ich aus der Tür trat, wurde ich von einem Soldaten angeredet, der mir sagte, ein Herr in einer Gondel – die er mir zeigte – wünsche mit mir zu sprechen. Ich antwortete ihm, wenn jemand mit mir zu sprechen wünsche, so brauche er nur zu kommen. Er versetzte mir jedoch in freundlichem Tone, er habe noch einen Kameraden da, um mich mit Gewalt hinzubringen; ohne Zögern ging ich nun zur Gondel. Ich hatte einen Abscheu vor Skandal und schämte mich vor der Öffentlichkeit. Ich hätte Widerstand leisten können; die Soldaten waren nicht bewaffnet, und man würde mich nicht verhaftet haben; denn auf solche Art und Weise jemanden zu verhaften, war in Venedig nicht erlaubt. Aber ich dachte nicht daran. Mein Wahlspruch: Sequere deum mischte sich hinein; auch verspürte ich kein inneres Widerstreben. Außerdem gibt es Augenblicke der Abspannung, wo der Mutige nicht mutig ist oder es nicht sein will.

Ich steige in die Gondel ein; man zieht den Vorhang zur Seite, und ich sehe meinen bösen Genius, Razzetta, und einen Offizier. Die beiden Soldaten nehmen im Vorderteil Platz; ich erkannte die Gondel des Herrn Grimani; sie stieß vom Ufer ab und schlug die Dichtung nach dem Lido ein. Da die beiden Herren mir kein Wort sagten, so beobachtete ich das tiefste Schweigen. Nach einer halben Stunde hielt die Gondel an der Nebenpforte des Forts Sant‘ Andrea, das am Eingang in das Adriatische Meer genau an der Stelle liegt, wo der Bucentoro hält, wenn am Himmelfahrtstage der Doge von Venedig sich mit dem Meere vermählt.

Die Schildwache ruft den Korporal, wir steigen aus, und der begleitende Offizier stellt mich dem Major vor, dem er gleichzeitig einen Brief übergibt. Dieser liest den Brief und befiehlt sodann seinem Adjutanten, Herrn Zeno, mich in die Wachtstube zu bringen. Eine Viertelstunde später sah ich meine Begleiter wieder abfahren, und Herr Zeno brachte mir dreieinhalb Lire, indem er mir sagte, soviel würde ich jede Woche erhalten. Es war genau die Löhnung eines gemeinen Soldaten.

Ich verspürte in mir keinen Zorn, aber ich war durchdrungen vom stärksten Unwillen. Gegen Abend ließ ich mir etwas zum Essen kaufen, um nicht vor Hunger zu sterben; hierauf streckte ich mich auf das Feldbett aus und verbrachte die ganze Nacht inmitten der Soldaten, ohne ein Auge zu schließen; denn diese Slavonier sangen unaufhörlich, aßen Knoblauch, rauchten einen schlechten Tabak, der die Luft verpestete, und tranken slavonischen Wein, der schwarz wie Tinte ist und den nur diese Leute trinken können.

Am nächsten Morgen, zu sehr früher Stunde, ließ Major Pelodoro – so hieß der Kommandant des Forts – mich zu sich kommen und sagte mir: indem er mich die Nacht in der Wachtstube habe verbringen lassen, habe er nur dem Befehl gehorcht, den er aus Venedig vom Kriegsminister, dem sogenannten »Weisen der Schrift« erhalten habe. »Jetzt, Herr Abbate,« fuhr er fort, »habe ich weiter keinen Befehl, als Sie innerhalb des Forts in Arrest zu halten und für Sie aufzukommen. Ich weise Ihnen also als Gefängnis die ganze Festung an. Sie werden ein gutes Zimmer haben und darin Ihr Bett und Ihren Koffer finden. Spazieren Sie herum, wo es Ihnen beliebt, und bedenken Sie, daß Sie mich ins Unglück stürzen würden, wenn Sie entflöhen. Es tut mir leid, daß man mir vorgeschrieben hat, Ihnen täglich nur zehn Soldi zu geben; aber wenn Sie in Venedig Freunde haben, die Ihnen Geld geben können, so schreiben Sie an diese, und verlassen Sie sich auf mich: Ihre Briefe werden sicher bestellt werden. Nun legen Sie sich zu Bett, falls Sie es nötig haben sollten.«

Man führte mich in ein Zimmer; es war schön, lag im ersten Stock und hatte zwei Fenster mit einer prachtvollen Aussicht. Ich fand mein Bett und meinen Koffer, der, wie ich mit Vergnügen sah, nicht erbrochen worden war; die Schlüssel hatte ich bei mir. Der Major war so aufmerksam gewesen, auf meinen Tisch alles zum Schreiben Notwendige legen zu lassen. Ein slavonischer Soldat kam und sagte nur höflich, er würde mich bedienen und ich möchte ihn bezahlen, sobald ich könnte; es war allgemein bekannt, daß ich nur zehn Soldi hatte. Zunächst ließ ich mir eine gute Suppe bringen und nachdem ich diese gegessen hatte, legte ich mich zu Bett und hatte einen tiefen Schlaf von neun Stunden. Bei meinem Erwachen ließ der Major mich zum Abendessen einladen; ich sah nun, daß es mir gar nicht übel gehen würde.

Ich begab mich zum wackeren Major, bei dem ich eine große Gesellschaft versammelt fand. Nachdem er mir seine Gattin vorgestellt hatte, nannte er mir alle Anwesenden. Die Gesellschaft bestand aus mehreren Personen: dem Beichtvater der Festung, dem Organisten der Kirche von San Marco, namens Paolo Vida, und seiner hübschen Frau. Sie war die Schwägerin des Majors, und ihr Mann ließ sie im Fort wohnen, weil er sehr eifersüchtig war, und die Eifersüchtigen sind in Venedig immer schlecht untergebracht. Außerdem waren noch einige andere Damen da, die nicht mehr jung waren, die ich aber reizend fand, weil sie mich liebenswürdig behandelten.

Ich war von Natur lustig, und so versetzte die angenehme Tischgesellschaft mich bald in gute Laune. Da alle den Wunsch aussprachen, Genaueres über die Gründe zu hören, die Herrn Grimani veranlaßt hätten, mich einsperren zu lassen, so erzählte ich ihnen der Wahrheit gemäß alles, was mir seit dem Tode meiner guten Großmutter begegnet war. Mein Bericht dauerte drei Stunden, und ich erzählte ohne Bitterkeit; ja ich gab sogar gewissen Dingen, die in anderer Darstellung hätten mißfallen können, eine scherzhafte Wendung. Die Gesellschaft hörte mir mit der größten Teilnahme zu, und beim Abschied versicherten alle mich ihrer Freundschaft und boten mir ihre Dienste an. Solches Glück ist mir bis zu meinem fünfzigsten Jahr immer zuteil geworden, wenn ich mich in Bedrängnis befand. Sobald ich ehrenwerte Menschen fand, die den Wunsch hatten, die Geschichte des Unglücks kennenzulernen, das mich zu Boden drückte, brauchte ich es ihnen nur zu erzählen, um ihnen Freundschaft einzuflößen und die Teilnahme zu erwecken, die ich brauchte, um sie mir günstig zu stimmen und sie mir nützlich zu machen.

Um dies zu erreichen, brauchte ich keinen weiteren Kunstgriff, als daß ich die Sache einfach und genau so, wie sie war, erzählte, und dabei auch Umstände, die mir schädlich sein konnten, nicht verschwieg. Dies ist ein Geheimnis, das nicht alle Menschen anzuwenden wissen, weil die Menschheit zum größten Teil aus Feiglingen besteht und weil man Mut haben muß, um immer wahr zu sein. Die Erfahrung hat mich gelehrt, daß die Wahrheit ein Talisman von unfehlbarem Zauber ist, vorausgesetzt, daß man sie nicht an Schelme vergeudet. Ich glaube, ein Schuldiger, der sie einem rechtlich denkenden Richter offen einzugestehen wagt, wird leichter freigesprochen als ein Unschuldiger, der Winkelzüge macht. Aber wohlverstanden: der Erzähler muß jung sein oder zum mindesten in der Blüte der Jahre stehen; denn ein alter Mensch hat die ganze Natur zum Feinde.

Der Major machte viele Witze über den Bettbesuch des Seminaristen und meinen Gegenbesuch; aber der Beichtvater und die Damen schalten ihn deshalb. Er riet mir, meine ganze Geschichte dem »Weisen der Schrift« einzureichen; er werde sie ihm übergeben, und er versicherte mir, daß der Weise mich in seinen Schutz nehmen werde. Alle Damen redeten mir zu, diesen Rat zu befolgen.

Sechstes Kapitel


Mein kurzer Aufenthalt in Fort Sant‘ Andrea. – Mein erster galanter Denkzettel. – Genußreiche Rache und schöner Alibibeweis. – Haft des Grafen Bonafede. – Meine Entlassung aus der Haft. – Ankunft des Bischofs. – Ich verlasse Venedig.

In der Festung, worin die Republik für gewöhnlich nur eine Garnison von hundert slavonischen Invaliden unterhielt, befanden sich damals zweitausend Albansen, sogenannte Cimarioten. Der Kriegsminister, in der Republik, wie ich bereits erwähnte, unter dem Titel eines Weisen der Schrift bezeichnet, hatte sie ihrer Beförderung wegen aus der Levante kommen lassen. Die Offiziere sollten imstande sein, ihre Verdienste selber geltend zu machen, um dafür ihre Belohnungen zu erhaben. Sie stammten alle aus jenem der Republik gehörigen Teile von Epirus, den man Albanien nennt. Fünfundzwanzig Jahre vorher hatten sie sich in dem letzten Kriege ausgezeichnet, den die Republik gegen die Türken führte. Sie boten mir ein neues und überraschendes Beispiel dar: ich sah achtzehn bis zwanzig alte, aber rüstige Offiziere, Gesicht und Brust, die sie in kriegerischem Stolze entblößt trugen, mit Narben bedeckt. Besonders der Oberstleutnant zeichnete sich durch seine Wunden aus, denn ihm fehlte tatsächlich ein Viertel des Kopfes. Er hatte nur ein Auge und ein Ohr, und von der Kinnlade war überhaupt nichts mehr zu sehen. Trotzdem aß und sprach er sehr gut und war von fröhlichem Humor. Bei ihm befand sich seine ganze Familie, bestehend aus zwei hübschen Mädchen, die in ihrer Landestracht besonders interessant waren, und aus sieben Söhnen, die sämtlich Soldaten waren. Er war sechs Fuß hoch, prachtvoll gewachsen, aber wegen seiner entsetzlichen Narben so häßlich von Gesicht, daß er fürchterlich anzusehen war. Trotzdem fand ich an ihm etwas so Anziehendes, daß ich ihn auf den ersten Blick liebgewann; und ich hätte mich mit ihm sehr gern unterhalten, wenn nicht sein Mund beim Sprechen einen so starken Knoblauchgeruch ausgeströmt hätte. Alle diese Albanesen hatten stets die Taschen voll davon, und eine Knoblauchzehe ist für sie ungefähr dasselbe, wie für uns ein Zuckerplätzchen. Kann man hiernach behaupten, daß dieses Kraut ein Gift sei? Die einzige medizinische Eigenschaft, die es besitzt, besteht darin, daß es den Appetit belebt, indem es einem geschwächten Magen Spannkraft gibt.

Der Oberstleutnant konnte weder lesen noch schreiben, aber er schämte sich dessen nicht; denn mit Ausnahme des Priesters und Wundarztes besaß niemand dieses Talent. Alle, Offiziere wie Soldaten, hatten die Taschen voll Gold, und mindestens die Hälfte von ihnen war verheiratet. Es befanden sich daher in der Festung fünf- oder sechshundert Frauen und ein stattlicher Nachwuchs von Kindern. Dieses für mich neue Schauspiel interessierte mich sehr. Glückliche Jugend! Ich denke an dich mit Bedauern, weil du mir oft Neues botest. Darum verabscheue ich das Alter, das mir nur immer Bekanntes bringt – allenfalls abgesehen von dem oft Unerfreulichen und Furchtbaren, was in den Zeitungen steht, aus denen ich mir damals sehr wenig machte.

In meinem Zimmer ging ich den ganzen Inhalt meines Koffers durch, legte alles zur Seite, was sich an geistlichen Kleidungsstücken darin befand, und verkaufte diese unbarmherzig an einen Juden, den ich holen ließ. Zum zweiten schickte ich an Herrn Rosa die Pfandscheine über alle von mir versetzten Sachen, mit der Bitte, alles ohne Ausnahme verkaufen zu lassen und den Überschuß mir zu schicken. Dank diesen beiden Operationen sah ich mich imstande, meinem Soldaten die elenden zehn Soldi zu überlassen, die ich täglich erhielt. Ein anderer Soldat, der früher Friseur gewesen war, nahm sich meiner Haare an, die ich nach den Vorschriften des Seminars hatte vernachlässigen müssen. Ich streifte in den Kasernen umher, um einige Zerstreuung zu suchen; die Wohnung des Majors und die des Albanesen waren meine einzigen Zufluchtsstätten, wo ich Gefühl und ein bißchen Liebe fand. Der letztere wußte bestimmt, daß sein Oberst zum Brigadegeneral ernannt werden würde, und bewarb sich daher um das Kommando des Regiments; aber es war noch ein anderer Bewerber da, und er befürchtete, daß man diesen ihm vorziehen werde. Ich hatte den Einfall, für ihn eine Eingabe zu entwerfen; sie war kurz, aber so kräftig, daß der Kriegsminister, nachdem er ihn nach dem Verfasser des Gesuchs gefragt hatte, ihm alles bewilligte, was er verlangte. Freudestrahlend kehrte der wackere Mann in die Festung zurück, preßte mich gegen seine Brust und sagte mir, sein Glück verdanke er nur mir allein; er lud mich zum Essen an seinen Familientisch, wo seine Knoblauchgerichte mir die Seele im Leibe verbrannten, und schenkte mir zwölf Bottargen Kaviar und zwei Pfund ausgezeichneten türkischen Tabak.

Die Wirkung meiner Eingabe erweckte in allen anderen Offizieren den Glauben, sie könnten nichts erreichen ohne den Beistand meiner Feder, und ich versagte dies niemandem. Darüber kam es zu Streitigkeiten, denn ich bediente gleichzeitig den Nebenbuhler eines anderen, der mich früher schon für meine Dienste bezahlt hatte. Da ich mich aber im Besitz von etwa vierzig Zechinen sah, so ließ ich sie reden; denn vor Not war ich nun geschützt. Es begegnete mir jedoch ein Ereignis, das mir sechs sehr unangenehme Wochen verschaffte.

Am zweiten April, dem bedeutungsvollen Jahrestage meines Eintrittes in diese Welt, sah ich gleich nach dem Aufstehen eine schöne Griechin bei mir eintreten. Sie sagte mir, ihr Mann sei Fähnrich und habe den größten Anspruch darauf, Leutnant zu werden; er würde es auch werden, aber sein Hauptmann sei ihm feindlich gesinnt, weil sie ihm gewisse Gefälligkeiten abgeschlagen habe, die sie nur ihrem Gatten gewähren dürfe. Sie ubergab mir seine Zeugnisse und bat mich, eine Eingabe aufzusetzen, die sie selber dem Kriegsminister überbringen würde; zum Schluß sagte sie noch, sie sei arm und könne mir meine Mühe nur mit ihrem Herzen vergelten. Ich antwortete ihr, ihr Herz dürfte nur der Preis der Liebe sein, und behandelte sie dementsprechend; ich fand keinen andern Widerstand, als wie ihn eine hübsche Frau der Form wegen stets entgegensetzt. Hierauf sagte ich ihr, sie möchte gegen Mittag zu mir kommen, dann werde das Schriftstück fertig sein. Sie kam auch und hatte nichts dagegen, mich noch ein zweitesmal zu belohnen. Endlich kam sie am Abend unter dem Vorwande, daß noch einige Verbesserungen anzubringen seien, und gab mir Gelegenheit, eine dritte Belohnung zu erhalten.

Leider gibt es keine Rosen ohne Dornen; am Morgen des dritten Tages bemerkte ich mit Entsetzen, daß eine Schlange sich unter den Blumen verborgen gehalten hatte. Durch eine sechswöchentliche Pflege und Enthaltsamkeit wurde ich vollkommen wieder hergestellt.

Als ich eines Tages meiner Griechin wieder begegnete, war ich so töricht, ihr Vorwürfe zu machen. Sie brachte mich zum Schweigen, indem sie mir lachend antwortete, sie habe mir nur gegeben, was sie selber gehabt, und ich habe unrecht getan, nicht auf meiner Hut zu sein. Der Leser kann sich kaum einen Begriff davon machen, wie mich dieses Unglück beschämte und bekümmerte; ich kam mir wie entehrt vor. Der Unfall hatte auch noch ein Erlebnis zur Folge, das dem neugierigen Leser einen Begriff geben kann, was für ein Wirbelkopf ich damals war.

Eines Morgens war die Schwägerin des Majors, Frau Vida, mit mir allein und vertraute mir in einem Augenblick süßer Selbstvergessenheit an, daß ihr Gatte sie mit seiner Eifersucht fürchterlich quäle und daß er so grausam sei, sie seit vier Jahren allein schlafen zu lassen, obgleich sie doch in der Blüte der Jahre stehe. »Gott gebe,« fuhr sie fort, »daß er von unserm Beisammensein nichts erfährt; denn dann würde ich weder aus noch ein wissen.«

Ihr Kummer schnitt mir ins Herz; ihr Vertrauen machte auch mich zutraulich; und ich beging die Tölpelei, ihr zu gestehen, in was für einen Zustand mich die grausame Griechin versetzt hätte. Ich sagte ihr, ich empfände dies um so schmerzlicher, da ich sonst glücklich gewesen wäre, ihr für die Kälte ihres eifersüchtigen Mannes Genugtuung zu verschaffen. Kaum hatte ich mit der ganzen Unschuld meines aufrichtigen Herzens diese Worte gesprochen, so stand sie auf und sagte mir in ärgerlichem und zornigem Ton, was nur eine schnöde beschimpfte, anständige Frau dem Frechen sagen kann, der sich gegen sie vergessen hat. Zerknirscht – denn ich sah sofort meinen Verstoß ein – machte ich ihr eine tiefe Verbeugung. Sie aber fuhr in demselben Tone fort und verbot mir, mich jemals wieder bei ihr sehen zu lassen; ich sei ein Geck, der gar nicht wert sei, mit einer anständigen Frau zu sprechen. Ich ging, konnte mich aber nicht enthalten, ihr noch zu sagen, daß eine anständige Frau in solchen Dingen zurückhaltender sein müsse. Indem ich über den Fall nachdachte, fand ich denn auch bald heraus, daß sie, wenn ich ihr nicht meine Schmerzen anvertraut hätte, sondern gesund gewesen wäre, sehr damit einverstanden gewesen wäre, sich von mir trösten zu lassen.

Einige Tage später hatte ich wirklich Grund, die Bekanntschaft der Griechin zu bedauern. Es war am Himmelfahrtstage, und da die Feierlichkeit mit dem Bucentoro ganz in der Nähe der Festung stattfand, so kam Herr Rosa mit der Frau Orio und ihren beiden hübschen Nichten, und ich hatte das Vergnügen, ihnen in meinen. Zimmer das Mittagessen anbieten zu können. Später war ich mit meinen Freundinnen in einer abgelegenen Kasematte ganz allein, und sie bedeckten mich mit ihren Küssen. Ich fühlte, daß sie einige Liebesbeweise von mir erwarteten; aber um ihnen nicht ein peinliches Geständnis machen zu müssen tat ich, als befürchtete ich eine Überraschung, und sie mußten sich wohl oder übel zufrieden geben.

Meiner Mutter hatte ich mit allen Einzelheiten geschrieben, was mir begegnet war, und wie der Abbate Grimani mich zu behandeln sich erlaubte; sie antwortete mir, sie habe dem Abbate geschrieben, wie es die Umstände verlangten, und sie bezweifle nicht, daß er mich würde in Freiheit setzen lassen; den Erlös der Möbel, die er durch Razzetta habe verkaufen lassen, habe Herr Grimani sich verpflichtet, als Erbteil meinem jüngsten Bruder zukommen zu lassen.

– Diese letztere Zusage war eine Betrügerei; denn über dieses Erbe wurde erst dreizehn Jahre später abgerechnet, und auch das nur zum Schein. Ich werde am gelegenen Ort von diesem unglücklichen Bruder sprechen, der vor zwanzig Jahren zu Rom im Elend gestorben ist.

Mitte juni kehrten die Cimarioten nach der Levante zurück, und es blieb in der Festung nur die gewöhnliche Besatzung. In meiner verlassenen Lage plagte mich die Langeweile dermaßen, daß ich zuweilen fürchterliche Wutanfälle bekam.

Die Hitze war sehr stark und fiel mir sehr lästig; ich mußte daher an Herrn Grimani schreiben und ihn um zwei Sommeranzüge bitten; ich bezeichnete ihm den Ort, wo sie sich befinden müßten, wenn nicht etwa Nazzetta sie verkauft hätte. Acht Tage später befand ich mich gerade beim Major, da sah ich diesen elenden Burschen eintreten und mit ihm ein Individuum, das er uns als Petrillo vorstellte, den berühmten Günstling der Kaiserin von Rußland, der von St. Petersburg komme. Statt berühmt hätte er sagen sollen niederträchtig und statt Günstling: Hanswurst.

Der Major lud sie ein, Platz zu nehmen. Razzetta nahm dem Grimanischen Gondoliere ein Paket ab und übergab es mir mit den Worten: »Da bring‘ ich dir deine Lumpen.« Ich antwortete ihm: »Der Tag wird kommen, wo ich dir deinen rigano bringe.« Bei diesen Worten wagte der Kerl seinen Stock zu erheben, aber der Major wies ihn in die Schranken, indem er ihn entrüstet fragte, ob er vielleicht Lust hätte, die Nacht in der Wachtstube zu verbringen. Petrillo, der bis dahin noch nicht gesprochen hatte, sagte nun zu mir, es tue ihm leid, mich nicht in Venedig gefunden zu haben, ich hätte ihn in gewisse Häuser führen können, wo ich jedenfalls gut Bescheid wisse.

»Wir hätten wahrscheinlich deine Frau da getroffen!« antwortete ich ihm.

»Ich verstehe mich auf Gesichter!« versetzte er, »du wirst eines Tages gehängt werden.«

Ich zitterte vor Zorn, und der Major, dem ohne Zweifel die Bemerkungen dieser Menschen ebenso ekelhaft waren wie mir, stand auf und sagte, er habe Geschäfte. Sie gingen. Beim Abschied sagte mir der Major, er wolle am nächsten Tage sich beim Kriegsminister beschweren, und Razzetta werde für seine Unverschämtheit büßen.

Mich erfüllte die tiefste Entrüstung, und ich sann nur noch darauf, wie ich mich rächen könnte.

Das Fort war gänzlich von Wasser umgehen, und keine Schildwache konnte meine Fenster sehen. Wenn also ein Boot an diese Stelle kam, so konnte es mich während der Nacht nach Venedig bringen und vor Tagesanbruch wieder mit mir beim Fort sein. Es kam nur darauf an, einen Bootführer zu finden, der für Geld riskieren wollte, im Falle der Entdeckung auf die Galeeren zu kommen. Es kamen regelmäßig mehrere Schiffer in die Festung und brachten Lebensmittel; unter dieser suchte ich mir einen aus, dessen Gesicht mir gefiel, und versprach ihm eine Zechine; er sagte mir, er wolle den nächsten Tag mir Antwort geben. Pünktlich kam er und erklärte sich bereit. Er erzählte mir, er hätte, bevor er sich mit mir einließe, erst wissen wollen, ob ich wegen wichtiger Sachen in Haft wäre; die Frau des Majors hätte ihm aber gesagt, ich wäre nur wegen jugendlicher Streiche auf der Festung. Ich könnte daher auf ihn rechnen. Wir verabredeten hierauf, er sollte sich nach Einbruch der Nacht unter meinem Fenster einfinden und in seinem Boot einen Mast haben, der so lang wäre daß ich mich daran könnte herabgleiten lassen.

Zur verabredeten Stunde ist alles bereit; ich rutsche in das Boot hinunter, und wir fahren ab. Der Himmel war bedeckt und das Wasser stand hoch. Ich stieg beim Grabmal am slavonischen Ufer aus, indem ich dem Schiffer Befehl gab, auf mich zu warten. In eine Schifferkapuze gehüllt, ging ich geraden Weges nach San Salvatore und ließ mich von einem Kaffeehauskellner zu Razzettas Tür bringen.

Uberzeugt, daß er um diese Stunde nicht zu Hause sein werde, klingelte ich und hörte die Stimme seiner Schwester, die mir sagte: Wenn ich ihn treffen wollte, müßte ich morgens kommen. Mit dieser Auskunft war ich zufrieden; ich setzte mich nun am Fuß der Brücke nieder, um zu sehen, von welcher Seite her er die Straße betrete; kurz vor Mitternacht sah ich ihn vom Platz San Paolo her kommen. Mehr brauchte ich nicht zu wiesen; ich ging zu meinem Boot zurück und gelangte ohne jede Schwierigkeit wieder ins Fort hinein; um fünf Uhr früh konnte die ganze Garnison mich an den Wällen spazierengehen sehen.

Nachdem ich alles reiflich überlegt hatte, ergriff ich folgende Maßregeln, um in aller Sicherheit meinen Haß befriedigen und mein Alibi beweisen zu können, für den Fall, daß es mir gelänge, den Schurken totzuschlagen. Denn das war meine feste Absicht.

Am Tage vor der zur Ausführung meines Vorhabens bestimmten Nacht ging ich mit dem Sohn des Adjutanten, dem jungen Aloisio Zeno, in der Festung spazieren; er war erst zwölf Jahre alt, aber er machte mir viel Spaß durch seine Verschmitztheit. Im Jahre 1771 werde ich von ihm zu sprechen haben. Beim Spaziergang sprang ich von einer Bastion herunter und tat, als hätte ich mir dabei den Fuß verstaucht. Ich ließ mich von zwei Soldaten in mein Zimmer tragen. Der Wundarzt der Festung glaubte, ich hätte mir den Fuß verrenkt, und sagte, ich müsse zu Bett liegen bleiben; hierauf umwickelte er mir den Knöchel mit Leinwandbinden, die er in Kampferspiritus getaucht hatte. Es kamen eine Menge Leute zu mir zu Besuch, und ich verlangte, daß mein Soldat geholt würde, um die Aufwartung zu besorgen und bei mir im Zimmer zu schlafen. Ich kannte ihn und wußte, daß ein einziges Glas Branntwein genügte, um ihn betrunken zu machen und in tiefen Schlaf zu versenken.

Sobald ich ihn eingeschlafen sah, schickte ich den Wundarzt fort, desgleichen auch den Beichtvater der Festung, der über meinem Zimmer wohnte. Um halb elf Uhr bestieg ich mein Boot.

In Venedig angekommen, ging ich in einen Laden, wo ich für einen Soldo einen tüchtigen Stock kaufte. Dann setzte ich mich auf die Schwelle einer Tür am Eingang der Straße vom Platz San Paolo her. Ein kleiner Kanal, der an der Straße vorbeifloß, erschien mir wie gemacht, um meinen Feind hineinzuwerfen. Heutigen Tags ist dieser Kanal nicht mehr vorhanden.

Dreiviertel vor zwölf Uhr sehe ich meinen Mann langsamen, gemessenen Schrittes herankommen. Ich breche in eiligem Lauf aus der Straße hervor, indem ich mich dicht an die Häuser halte, so daß er mir Platz machen muß. Dann versetze ich ihm einen Schlag auf den Kopf, einen zweiten auf den Arm. Der dritte, zu dem ich besonders kräftig aushole, wirft ihn ins Wasser. Er schreit und ruft meinen Namen. Im selben Augenblick sehe ich aus einem Hause zu meiner Linken einen Furlanen1 herauskommen, der eine Laterne in der Hand hält. Ein Stockhieb trifft seine Hand; er läßt die Laterne fallen und die Angst macht ihm Beine. Ich werfe meinen Stock weg, fliege wie ein Pfeil über den Platz, laufe über die Brücke und erreiche mein Boot, während von allen Seiten Leute nach dem Orte eilen, wo der Lärm ist. Ich springe ins Boot; ein starker, aber günstiger Wind schwellt das Segel, das wir sofort aufspannen, und bringt mich zum Fort zurück. Im Augenblick, wo ich durch das Fenster in mein Zimmer einsteige, schlägt es Mitternacht. Schnell ziehe ich mich aus und sobald ich im Bett liege, wecke ich mit gellendem Geschrei meinen Soldaten und sage ihm, er müsse sofort den Feldscherer holen, ich sei sterbenskrank von einem Kolikanfall.

Der Beichtvater wacht von meinem Geschrei auf, kommt herunter und findet mich in Krämpfen liegen. In der Hoffnung, durch eine Latwerge mir Erleichterung zu schaffen, läuft der wackere Mann hinaus und holt mir welche. Während er aber noch Wasser besorgt, verstecke ich die Latwerge, anstatt sie einzunehmen. Nachdem ich eine halbe Stunde lang fürchterliche Gesichter geschnitten hatte, sagte ich, ich fühlte mich nun viel besser, dankte den Anwesenden und bat sie mich allein zu lassen. Dies taten sie auch, indem sie mir eine gute Nacht wünschten.

Am nächsten Morgen stand ich wegen meiner vorgeblichen Fußverrenkung nicht auf, obwohl ich ausgezeichnet geschlafen hatte. Der Major war so freundlich mich aufzusuchen, bevor er nach Venedig fuhr. Er sagte mir, an meiner Kolik sei ohne Zweifel die Melone schuld, die ich den Tag zuvor gegessen hätte.

Um ein Uhr nachmittags kam der Major wieder. »Ich habe Ihnen«, rief er lachend, »eine gute Nachsicht mitzuteilen. Razzetta ist heute nacht kräftig verprügelt und in einen Kanal geworfen worden.«

»Hat man ihn nicht totgeschlagen?«

»Nein. Aber seien Sie froh darüber, denn es würde sonst viel schlechter für Sie stehen. Man behauptet, bestimmt zu wissen, daß Sie das Verbrechen begangen haben.«

»Mir sehr angenehm, daß man das glaubt: Das ist immerhin eine gewisse Rache für mich. Aber man wird es wohl schwerlich beweisen können.«

»Freilich nicht. Indessen hat Razzetta erklärt, er habe Sie erkannt. Dasselbe behauptet der Furlane, dem Sie, wie er sagt, mit einem Stockhieb die Hand verwundet haben, so daß er seine Laterne fallen lassen mußte. Dem Razzetta ist die Nase gebrochen, ihm fehlen drei Zähne. und er hat am rechten Arm eine Quetschwunde. Sie sind beim Avogador (dem Generalstaatsanwalt) angegeben, und Herr Grimani hat sich schriftlich beim Kriegsminister beschwert, daß er Sie in Freiheit gesetzt habe, ohne ihn, Ihren Vormund, davon zu benachrichtigen. Gerade in dem Augenblick, wo er diesen Brief las, betrat ich das Bureau, und ich versicherte Seiner Exellenz, der Verdacht sei falsch; denn als ich fortgegangen, seien Sie wegen einer Sehnenverrenkung im Bett gelegen; ferner sagte ich ihm, um zwölf Uhr nachts hätten Sie einen fürchterlichen Kolikanfall gehabt.«

»Ist Razzetta um zwölf Uhr verprügelt worden?«

»So steht es in der Anzeige. Der Kriegsminister hat sofort an Herrn Grimani geschrieben, Sie hätten das Fort nicht verlassen, sondern befänden sich noch dort, und die Beschwerdeführer könnten, wenn sie wollten, Kommissare schicken, um den Sachverhalt feststellen zu lassen. Machen Sie sich also, mein lieber Abbate, auf Verhöre gefaßt.«

»Ich bin darauf gefaßt; ich werde antworten, es tue mir leid, daß ich unschuldig sei.«

Drei Tage darauf kam ein Kommissar mit einen Schreiben des Avogador, und der Prozeß war bald zu Ende. Denn da das ganze Fort von meiner Sehnenverrenkung wußte, so schworen der Kaplan, der Feldscherer, der Soldat und noch mehrere andere, die gar nichts davon wußten: um zwölf Uhr nachts sei ich zu Bett gewesen und habe einen fürchterlichen Kolikanfall gehabt. Sobald mein Alibi beweiskräftig festgestellt worden war, verurteilte der Avogador Razzetta und den Packträger zur Bezahlung aller Kosten – unter Vorbehalt meiner Rechte.

Nachdem dieses Urteil ergangen war, riet mir der Major, eine Eingabe an den Kriegsminister zu machen und darin um meine Entlassung aus der Haft zu bitten. Mein Gesuch überbrachte der Major persönlich. Ich setzte Herrn Grimani von diesem Schritt in Kenntnis, und acht Tage darauf kündigte der Major mir an, ich sei frei und er selber werde mich dem Abbate Grimani zuführen. Wir saßen bei Tische und waren gerade sehr lustig, als er mir diese Mitteilung machte. Ich glaubte nicht daran, wollte mir aber dies nicht merken lassen und sagte, um ihm ein Kompliment zu machen, sein Haus gefalle mir besser als das Leben und Treiben in Venedig, und um ihn davon zu überzeugen, wolle ich gerne noch acht Tage bleiben, wenn er das erlaube. Mit Freudenrufen nahm man mich beim Wort. Als er mir aber zwei Stunden später seine Mitteilung bestätigte, so daß ich nicht mehr daran zweifeln konnte, da tat es mir leid, daß ich ihm dummerweise acht Tage von meiner Zeit geschenkt hatte. Ich hatte jedoch nicht den Mut, mein Wort zurückzunehmen, denn die Freudenbezeigungen, besonders seiner Frau, waren so lebhaft gewesen, daß es schändlich von mir gewesen wäre, meine Zusage zu widerrufen. Die prächtige Frau wußte, daß ich ihr alles verdankte, und es wäre ihr unangenehm gewesen, wenn ich dies nicht erraten hätte.

Zu guter Letzt passierte mir auf der Festung noch ein Abenteuer, das ich nicht verschweigen zu dürfen glaube.

Am Tage nachdem der Kriegsrninister meine Freilassung verfügt hatte, betrat ein Offizier in venetianischer Uniform das Zimmer des Majors; in seiner Begleitung befand sich ein Herr von etwa sechzig Jahren, der den Degen an der Seite trug. Der Offizier übergab einen Brief mit dem Siegel des Kriegsministeriums und entfernte sich, sobald er vom Major die schriftliche Antwort darauf erhalten hatte.

Hierauf wandte sich der Major an den alten Herrn, den er als Graf anredete: er behalte ihn auf höheren Befehl in Haft und weise ihm die ganze Festung als Gefängnis an. Der Graf wollte ihm seinen Degen geben, der Major aber wies diesen mit edlem Anstand zurück und führte den Herrn in das für ihn bestimmte Zimmer. Eine Stunde darauf brachte ein Livreebedienter ihm ein Bett und einen Koffer, und am andern Morgen kam derselbe Bediente zu mir und bat mich im Namen seines Herrn, ich möchte diesem die Ehre erweisen, bei ihm zu frühstücken. Ich folgte der Einladung, und der Graf empfing mich mit den Worten: »Herr Abbate, man sprach in Venedig soviel von der Tapferkeit, womit Sie Ihr unglaubliches Alibi bewiesen haben, daß ich dem Wunsche nicht widerstehen konnte, Ihre angenehme Bekanntschaft zu machen.«

»Aber, Herr Graf, mein Alibi war vollkommen richtig, und es bedurfte daher keiner Tapferkeit, es zu beweisen. Gestatten Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß mir ein sehr schlimmes Kompliment macht, wer daran zweifelt; denn – –«

»Reden wir nicht mehr davon und verzeihen Sie mir! Da wir aber doch nun Kameraden geworden sind, so hoffe ich, Sie gönnen mir Ihre Freundschaft. Ich denke, wir frühstücken jetzt.«

Da ich während des Frühstücks dem Grafen Auskunft über meine Lebensverhältnisse gegeben hatte, vergalt er mir dies nach dem Essen mit gleichem Vertrauen und erzählte mir: »Ich bin der Graf Bonafede. In jungen Jahren diente ich unter dem Prinzen Eugen; doch verließ ich den Militärdienst und trat als Beamter in den österreichischen Verwaltungsdienst über; infolge eines Zweikampfes ging ich später nach Bayern. Dort, in München, machte ich die Bekanntschaft einer jungen Dame von Adel, entführte sie und ging mit ihr nach Venedig, wo ich sie heiratete. Seit zwanzig Iahren lebe ich hier; ich habe sechs Kinder und bin in der ganzen Stadt bekannt. Vor acht Tagen schickte ich meinen Lakai auf die flandrische Post, um meine Briefe abzuholen; man wollte sie ihm aber nicht aushändigen, weil er kein Geld bei sich hatte, um das Porto zu bezahlen. Ich ging selber hin und erklärte, ich würde das Porto am nächsten Posttag bezahlen; vergebens; ich bekam meine Briefe nicht. Hierüber aufgebracht, begebe ich mich zum Direktor der Post, Baron Taris, und beschwere mich; er antwortet mir, man habe nur auf seinen Befehl gehandelt und meine Briefe würden mir nicht ausgehändigt werden, wenn ich nicht das Porto bezahlte. Und dies sagte er in so grobem Ton, daß ich vor Entrüstung außer mir war. Da ich in seinem Hause war, besaß ich Selbstbeherrschung genug, um an mich zu halten; aber eine Viertelstunde darauf schrieb ich ihm einen Brief und verlangte Genugtuung; ich teilte ihm mit, daß ich nur noch mit dem Degen an der Seite ausgehen und daß ich, einerlei wo ich ihn träfe, ihn zwingen würde, mir Genugtuung zu geben.

»Ich bin ihm nirgends begegnet; gestern aber wurde ich vom Inquisitionssekretär angesprochen. Er sagte mir, ich müsse die Unhöflichkeiten des Barons vergessen und mich mit dem Offizier, der bei ihm wäre, als Gefangener nach dem Fort Sant‘ Andrea begeben; er versicherte mir zugleich, er werde mich nur acht Tage in Haft lassen. – Ich werde also, Herr Abbate, das Vergnügen haben, diese Woche in Ihrer Gesellschaft zu verbringen.«

Ich antwortete ihm: seit vierundzwanzig Stunden sei ich frei; um ihm jedoch meine Dankbarkeit für das mir erzeigte Vertrauen zu beweisen, werde ich selber die Ehre haben, ihm Gesellschaft zu leisten. – Da ich mich bereits dem Major gegenüber verpflichtet hatte, so war dies eine Anstandslüge, die sich durch die Gebote der Höflichkeit entschuldigen läßt.

Als ich nachmittags mit ihm auf dem Hauptturm des Forts war, machte ich ihn auf eine Gondel mit zwei Ruderern aufmerksam, die auf das Nebentor zusteuerte. Er sah durch sein Fernrohr und sagte mir, seine Frau und Tochter kämen zu ihm zum Besuch. Wir gingen den Damen entgegen, von denen die eine wohl die Mühen einer Entführung verlohnt haben mochte; die andere, eine junge Person von vierzehn bis sechzehn Jahren erschien mir als eine Schönheit ganz eigener Art. Sie hatte schönes hellblondes Haar, schöne blaue Augen, eine Adlernase und einen schönen Mund, dessen halboffene lachende Lippen zwei Reihen blendend weißer Zähne sehen ließen. So weiß wie die Zähne wäre auch ihr Gesicht gewesen, wenn nicht ein rosiger Hauch ihre Wangen bedeckt hätte. Ihre Taille war so dünn, daß sie unnatürlich aussah, aber ihre tadellos geformte Brust glich einem Altar, auf dem der Gott der Liebe mit Wonne den süßesten Weihrauch einatmen mußte. Ihre zur Schau gestellten Schönheiten gewannen einen ganz eigenartigen Reiz durch ihre Magerkeit; ihr Anblick setzte mich in Entzücken, und ich vermochte meine unersättlichen Augen nicht von ihnen abzuwenden. Mit der Fülle, die man an dieser Brust noch vermißte, stattete meine Phantasie sie aus. Und versenkte ich endlich meine Blicke in ihre Augen, so schien deren lachender Ausdruck mir zu sagen: warte nur noch ein oder zwei Jahre, dann wirst du alles sehen, was jetzt nur deine Phantasie dir zeigt.

Sie war elegant nach der neuesten Mode gekleidet: sie trug einen großen Reifrock und die üblichen Kleider adliger junger Mädchen, die noch nicht das Alter der Reife erlangt haben; indessen war die junge Gräfin schon heiratsfähig. Niemals hatte ich so ungeniert die Brust einer jungen Dame von Adel betrachten können; mir dünkte aber, man dürfe sich wohl eine Stelle anschauen, wo alles erst noch im Entstehen begriffen sei.

Nachdem der Graf mit der Frau Gräfin zunächst einige Worte in deutscher Sprache gewechselt hatte, stellte er mich mit den schmeichelhaftesten Ausdrücken seinen Damen vor und diese sagten mir die anmutigsten Komplimente. Der Major kam hinzu und glaubte sich verpachtet, der Gräfin die Festung zu zeigen; ich machte mir sofort meinen geringeren Rang zu nutze und bot dem Fräulein meinen Arm; der Graf ging auf sein Zimmer.

Ich verstand damals Damen nur nach dem alten venetianischen Brauche zu führen, und das Fräulein fand mich ungeschickt; ich glaubte, ihr sehr vornehm aufzuwarten, indem ich ihr meine Hand unter den Arm schob, aber sie zog ihn laut auflachend zurück. Ihre Mutter drehte sich um und fragte sie, worüber sie denn lache; ich wurde sehr verlegen, als ich sie sagen hörte, ich hätte sie gekitzelt. »Sehen Sie mal,« sagte sie, »so gibt man einer jungen Dame den Arm!« Und damit schob sie ihre Hand durch meinen Arm, den ich gewiß sehr linkisch werde gehalten haben, denn es wurde mir nicht ganz leicht, so schnell meine Fassung wieder zu gewinnen. Sie mußte glauben, mit einem ganz tölpelhaften Neuling zu tun zu haben. und nahm sich wahrscheinlich vor, sich über mich lustig zu machen, Sie sagte mir, wenn ich den Arm so krumm hielte, entfernte ich ihn zu weit von meinem Leibe und dadurch würden die richtigen Verhältnisse des Umrisses gestört. Ich sagte ihr, von Umrissen verstände ich leider nichts, und fragte sie zugleich, ob auch das Zeichnen zu ihren Talenten gehörte. »Ich lerne es,« antwortete sie, »und wenn Sie uns besuchen, zeige ich Ihnen Adam und Eva vom Kavaliere Liberi, ich habe das Bild kopiert, und die Professoren haben die Kopie für schön erklärt, ohne zu wissen, daß sie von mir war.«

»Warum verbargen Sie Ihren Namen?«

»Weil die beiden Figuren zu nackt sind.«

»Nach Ihrem Adam bin ich nicht sehr neugierig, aber Ihre Eva würde ich mit Vergnügen sehen, und ich werde Ihr Geheimnis nicht verraten.«

Hierüber lachte sie wieder, und wieder drehte ihre Mutter sich um. Ich spielte den Tölpel absichtlich seit dem Augenblick, wo sie mich lehren wollte, wie man den Arm gibt, denn ich sah sofort, daß ihre falsche Auffassung von meiner Person mir nützlich werben konnte.

Da sie mich für einen Idioten hielt, glaubte sie mir sagen zu können, sie finde ihren Adam viel schöner als ihre Eva; denn sie habe nichts ausgelassen und man könne jeden Muskel unterscheiden, während an der Eva nichts zu sehen sei.

»Aber ich versichere Ihnen, gerade sie wird mich interessieren.«

»Nein, glauben Sie mir, Adam wird Ihnen besser gefallen.«

Diese Unterhaltung hatte mich sehr aufgeregt. Ich trug wegen der starken Hitze Leinwandhosen … ich fürchtete, die Mutter und der Major, die nur ein paar Schritte uns voraus waren, könnten sich umdrehen … ich ging wie aus Dornen. Um meine Verlegenheit auf den Höhepunkt zu bringen, rutschte der jungen Dame infolge eines Fehltritts der eine Hacken aus dem Schuh. Sie streckt ihren hübschen Fuß vor und bittet mich, ihr den Schuh wieder anzuziehen. Ich lasse mich auf ein Knie nieder, und sie hebt, gewiß ohne sich etwas dabei zu denken, ein wenig den Rock hoch … sie trug einen großen Reifrock und keinen Unterrock … dies genügte, um mich wie tot umsinken zu lassen. Als ich wieder aufstand, fragte sie mich, ob mir unwohl sei.

Als wir gleich daraus aus einer Kasernatte herauskamen, bat sie mich, ihre Frisur, die etwas in Unordnung geraten war, ihr wieder zu ordnen. Da sie dabei den Kopf niederbeugen mußte, konnte mein Zustand ihr nicht mehr verborgen bleiben. Um mir über die Verlegenheit hinwegzuhelfen, fragte sie mich, wer mir mein Uhrband gearbeitet hätte; ich sagte ihr, es sei ein Geschenk meiner Schwester. Sie bat mich, es ihr zu zeigen, als ich ihr aber antwortete, es sei an der Westentasche festgemacht, wollte sie dies nicht glauben; ich sagte ihr, sie könne sich selber davon überzeugen; sie streckte die Hand aus, und mit einer unwillkürlichen, aber unter den Umständen erklärlichen Bewegung wurde ich indiskret. Offenbar nahm sie mir das übel, denn sie sah, daß sie mich falsch beurteilt hatte; sie wurde schüchtern und getraute sich nicht mehr zu lachen. Wir begaben uns zu ihrer Mutter und dem Major, der uns in einer Gruft den Sarg des Marschalls von der Schulenburg zeigte. Dieser war dort einstweilen niedergesetzt, bis das Mausoleum fertig wäre. Mich peinigte die Ungewißheit, ob das Benehmen des jungen Mädchens völlig absichtslos gewesen sei, ob ich durch zu großen Rückhalt oder zu sichtbaren Ausdruck des von ihr entflammten Verlangens gefehlt und sie beleidigt hätte, ob ich also noch weiter zu gehen oder ob ich gut zu machen habe. Mir war’s, als sei ich der erste Schuldige, der ihre Tugend beunruhigt habe, und ich würde zu allem bereit gewesen sein, wenn man mir ein Mittel angegeben hätte, mein Vergehen wieder gutzumachen.

So fein war damals mein Zartgefühl; immerhin kam auch die hohe Meinung in Betracht, die ich von der durch mich beleidigten Person hatte, und in dieser hohen Meinung täuschte ich mich möglicherweise. Ich muß gestehen, die Zeit hat nach und nach dieses Zartgefühl gänzlich zerstört; trotzdem glaube ich nicht schlechter zu sein als andere, die ebenso alt sind wie ich und ebensoviel Erfahrung haben.

Wir begaben uns hierauf zum Grafen zurück, und der Rest des Tages verging ziemlich traurig. Gegen Abend fuhren die Damen wieder ab, nachdem die Mutter mir das Versprechen abgenommen hatte, sie in Venedig zu besuchen.

Das junge Fräulein, das ich beschimpft zu haben glaubte, hinterließ mir einen so starken Eindruck, daß ich sieben Tage in der größten Ungeduld verbrachte; aber ich konnte es nur deshalb nicht erwarten, sie wiederzusehen, weil ich sie um Verzeihung bitten und sie von meiner Reue überzeugen wollte.

Am anderen Tage besuchte den Grafen sein ältester Sohn. Er war häßlich, aber von edlem Anstand und sehr bescheidener Denkungsart. Fünfundzwanzig Jahre später fand ich ihn als Kadetten in der Garde des Königs von Spanien. Er hatte zwanzig Jahre als einfacher Gardist gedient, um diesen geringen Grad zu erreichen. Ich werde an Ort und Stelle von ihm sprechen; einstweilen will ich nur erwähnen, daß er in Madrid behauptete, mich niemals gekannt zu haben. Seine Eitelkeit bedurfte dieser Lüge, wegen deren er mir leid tat.

Am Morgen des achten Tages wurde der Graf aus der Festung entlassen, am Abend desselben Tages verließ auch ich sie, indem ich mit dem Major verabredete, daß wir uns in einem Kaffeehause am Markusplatz treffen wollten, um zusammen zum Abbate Grimani zu gehen. Ich verabschiedete mich von seiner Gattin, deren Andenken mir ewig teuer sein wird, und sie sagte mir: »Ich danke Ihnen, daß Sie alles so gut gemacht hatten, um Ihr Alibi zu beweisen; aber danken Sie auch mir, daß ich so gescheit war, Sie vollkommen zu durchschauen. Mein Mann hat alles erst später erfahren.«

In Venedig angelangt, ging ich zu Frau Orio, wo man mich herzlich willkommen hieß. Ich aß bei ihnen zu Abend und meine reizenden beiden Freundinnen – die es am liebsten gesehen hätten, wenn der Bischof unterwegs gestorben wäre – schenkten mir die köstlichste Gastfreundschaft.

Am nächsten Mittag ging ich mit dem Major, der sich pünktlich am verabredeten Ort eingefunden hatte, zum Abbate Grimani. Er empfing mich mit der Miene eines Schuldbewußten, der um Verzeihung bittet, und seine Dummheit machte mich ganz verlegen, als er mich bat, ich möchte doch Razzetta und dem Furlanen verzeihen; sie hätten sich geirrt. Hierauf sagte er mir, der Bischof werde in den allernächsten Tagen eintreffen; er, der Abbate, habe mir ein Zimmer anweisen lassen, und ich könne an seinem Tische speisen. Dann ging der Major mit mir zu dem geistreichen Herrn Valavero, der nicht mehr Kriegsminister war, denn sein Halbjahr war abgelaufen. Ich bezeigte ihm meinen ehrfurchtsvollen Dank, und wir unterhielten uns über allerlei gleichgültige Dinge, bis der Major aufbrach. Sobald wir allein waren, bat er mich, ihm zu gestehen, daß ich Razzetta verprügelt hätte. Ich räumte dies unumwunden ein, und er lachte recht herzlich über meine Erzählung des ganzen Hergangs. Er stellte fest, daß ich meinen Streich nicht um Mitternacht hätte ausführen können; daher müßten sich die Dummköpfe bei ihrer Anschuldigung getäuscht haben; übrigens hätte es aber für mich dessen gar nicht bedurft, um mein Alibi zu beweisen; denn da meine Sehnenverrenkung für echt galt, so hätte diese bereits genügt.

Der Leser wird wohl nicht vergessen haben, daß ich eine große Last auf dem Herzen hatte; es lag mir in der Tat sehr viel daran, diese loszuwerden. Ich mußte die Göttin aller meiner Gedanken sehen und meine Verzeihung von ihr erlangen oder zu ihren Füßen sterben.

Ohne Mühe fand ich ihr Haus; der Graf war nicht anwesend. Die gnädige Frau empfing mich auf das zuvorkommendste; aber ihr Anblick setzte mich so in Erstaunen, daß ich nicht wußte, was ich ihr sagen sollte.

Ich glaubte, ich würde einen Engel sehen, würde ihn in einem Paradiese finden – und ich sah nichts weiter als einen großen Saal, dessen Ausschmückung in vier wurmstichigen Holzstühlen und einem sehr schmutzigen Tische bestand. Es herrschte tiefe Dämmerung in dem Saal, denn die Fensterläden waren beinahe ganz geschlossen. Dies hätte geschehen sein können, um die Hitze abzuhalten; aber ich sah, daß man sie nur deshalb geschlossen hatte, um zu verbergen, daß alle Fensterscheiben zerbrochen waren. Trotz dem trüben Licht konnte ich bemerken, daß die Frau Gräfin in ein zerlumptes Kleid gehüllt, und daß ihr Hemd nichts weniger als sauber war. Als sie meine Zerstreutheit bemerkte, ließ sie mich allein, indem sie sagte, sie werde mir ihre Tochter schicken; einen Augenblick darauf trat diese mit edlem und leichtem Anstand ein und sagte mir, sie hätte mich mit Ungeduld erwartet, aber nicht zu dieser Stunde, wo sie sonst niemanden zu empfangen pflege.

Ich war um eine Antwort verlegen, denn es kam mir vor, als sei sie nicht sie selbst. In ihrem elenden Hauskleid erschien sie mir beinahe häßlich, und ich wunderte mich, wie sie im Fort einen so starken Eindruck auf mich hatte machen können. Als sie in meinen Zügen die Überraschung las, die ich empfand, erriet sie einen Teil der Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, und ich sah auf ihrem Gesicht keinen Verdruß, wohl aber einen Schmerz, der mir weh tat. Hätte sie philosophisch denken können oder hätte sie gewagt dies zu tun, so würde sie das Recht gehabt haben, in mir einen Menschen zu verachten, der sich für sie nur wegen ihrer schönen Kleider oder wegen einer falschen Vorstellung von ihrem adligen Stande oder ihrem Vermögen interessiert hatte. Aber sie versuchte es mit Aufrichtigkeit, um mir über meine Verlegenheit hinwegzuhelfen. Sie fühlte mit Bestimmtheit, daß das Gefühl zu ihren Gunsten sprechen würde, wenn es ihr gelänge, die richtige Saite anzuschlagen.

»Ich sehe, sie sind überrascht, Herr Abbate,« sagte sie; »und ich weiß recht wohl warum! Sie haben ohne Zweifel Prunk und Glanz zu finden erwartet, und Sie finden nur augenscheinliches Elend. Die Regierung gibt meinem Vater nur ein geringes Jahrgeld, und wir sind neun Menschen. Da wir jeden Feiertag zur Kirche gehen müssen, und zwar in Kleidern, wie sie unserm Stande entsprechen, so sind wir oft gezwungen, aufs Essen zu verzichten, um die Kleider auslösen zu können, die wir aus Not haben versetzen müssen. Am nächsten Tag bringen wir sie wieder ins Leihhaus. Wenn der Pfarrer uns nicht bei der Messe sähe, würde er unsere Namen aus der Liste der Almosenempfänger der Armenbrüderschaft streichen; von diesem Almosen aber leben wir.«

Welch eine Erzählung! Sie erriet, was in mir vorging. Das Gefühl hatte mich überwältigt, aber es hatte mich mehr mit Beschämung als mit Rührung erfüllt. Da ich nicht reich war und keine Liebe mehr verspürte, so wurde ich kälter als Eis und stieß einen tiefen Seufzer aus. Weil jedoch ihre Lage mir Kummer machte, so antwortete ich ihr als ehrlicher Mensch, indem ich ihr sanft zuredete und ihr meine Teilnahme bezeigte.

»Wäre ich reich,« sagte ich, »so würde ich Ihnen leicht beweisen, daß Sie Ihr Unglück keinem Fühllosen und Undankbaren anvertraut haben; aber ich bin es nicht, und da ich unmittelbar vor der Abreise stehe, so kann ich Ihnen nicht einmal mit meiner Freundschaft nützlich werden.« Hierauf nahm ich meine Zuflucht zu Gemeinplätzen und sagte ihr, ich gäbe die Hoffnung nicht auf, daß sie dank ihren Reizen ihr Glück machen würde.

»Das kann wohl sein,« antwortete sie in nachdenklichem Ton, »nur muß derjenige, auf den sie etwa Wirkung üben, wissen, daß sie untrennbar sind von meinen Gefühlen; er muß sich meinem Gefühl anpassen, und er wird mir die Gerechtigkeit widerfahren lassen, auf die ich Anspruch habe. Ich wünsche nichts weiter als eine rechtmäßige Ehe; auf Adel und Reichtum erhebe ich keinen Anspruch; was es mit dem Adel auf sich hat, das weiß ich, und den Reichtum kann ich entbehren, denn ich bin seit langer Zeit an Dürftigkeit gewöhnt, ja ich habe mich sogar, was nicht leicht zu begreifen ist, ohne das Notwendige behelfen müssen. Aber wir wollen uns meine Zeichnungen ansehen!«

»Sie sind sehr gütig, mein gnädiges Fräulein!«

An ihre Zeichnungen hatte ich ja gar nicht mehr gedacht, und ihre Eva interessierte mich nicht mehr. Ich folgte ihr.

Ich betrat eine Kammer, worin sich ein Stuhl, ein kleiner Spiegel und ein ungemachtes Bett befanden; in diesem sah man die untere Seite des umgestülpten Strohsacks; vielleicht sollte dadurch der Eindruck erweckt werden, daß Bettücher vorhanden wären. Aber besonders abstoßend wirkte auf mich ein gewisser Geruch, dessen Ursache ganz frisch war. Wäre ich noch verliebt gewesen, so hätte dieses Gegenmittel genügt, um mich augenblicklich völlig zu heilen. Ich fühlte nur noch das Bedürfnis, mich zu entfernen, und niemals wiederzukommen, und es tat mir leid, daß ich nicht eine Handvoll Dukaten auf den Tisch werfen konnte; dadurch hätte sich mein Gewissen befreit gefühlt.

Die arme junge Dame legte mir ihre Zeichnungen vor, sie schienen mir schön zu sein, und ich lobte sie, aber ich hielt mich nicht bei ihrer Eva auf und scherzte auch nicht über ihren Adam, was, wäre mein Geist anders aufgestutzt gewesen, geschehen sein würde. Aus Höflichkeit fragte ich sie leichthin, warum sie sich denn nicht ihr Talent zu nutze machte. Sie könnte doch Pastell malen lernen.

»Das möchte ich gerne,« antwortete sie, »aber eine einzige Schachtel Farben kostet zwei Zechinen.«

»Werden Sie mir verzeihen, wenn ich^s wage, Ihnen sechs anzubieten?«

»Ach, ich nehme sie dankbar an, und ich bin glücklich, diese Verpflichtung gegen Sie zu haben.«

Sie konnte ihre Tränen nicht zurückhalten und wendete sich ab, um sie mir zu verbergen. Diesen Augenblick benutzte ich, um das Geld auf den Tisch zu legen. Um ihr über ein Gefühl der Demütigung hinwegzuhelfen und gleichsam aus Höflichkeit gab ich ihr einen Kuß auf den Mund; sie sollte meine Mäßigung auf Rechnung der Achtung schreiben, die sie mir eingeflößt hatte; im übrigen stand es bei ihr, meinen Kuß als eine Zärtlichkeit aufzufassen oder nicht. Ich verabschiedete mich von ihr mit dem Versprechen, ich würde wiederkommen, um ihren Vater zu besuchen. Ich habe nicht Wort gehalten. Der Leser wird sehen, in welcher Lage ich sie zehn Jahre später wiedersah.

Mit welchen Betrachtungen verließ ich das Haus! Welch eine Lehre hatte ich empfangen! Ich verglich Wirklichkeit und Einbildung, und ich sah mich gezwungen, der Einbildung den höheren Rang zuzuweisen; denn die Wirklichkeit hängt stets von der Phantasie ab. Schon damals fühlte ich dunkel, was mir später klar und deutlich geworden ist: daß Liebe nur eine mehr oder weniger lebhafte Neugier ist, wozu noch der von der Natur in uns gelegte Trieb hinzukommt, für die Erhaltung der Art zu sorgen. Die Frau ist wie ein Buch, das immer, mag es gut oder schlecht sein, zunächst durch das Titelblatt gefallen muß. Wenn dieses nicht interessant ist, so erweckt es keine Lust zum Lesen; und diese Lust steht genau im Verhältnis zu dem erweckten Interesse. Das Titelblatt der Frau ist genau wie das eines Buches von oben bis unten zu lesen; ihre Füße, für die jeder, der meinen Geschmack teilt, sich interessiert, besitzen dieselbe Anziehungskraft wie der Druckvermerk eines Buches. Wenn die meisten Liebhaber den Füßen einer Frau nur geringe oder gar keine Aufmerksamkeit schenken, so machen auch die meisten Leser sich nichts aus der Ausgabe eines Buches. Jedenfalls haben die Frauen recht, daß sie große Sorgfalt auf ihr Gesicht, ihre Kleidung und ihre Haltung verwenden, denn dadurch können sie alle, die nicht von der Natur bei ihrer Geburt mit Blindheit begnadet worden sind, neugierig darauf machen, sie zu lesen. Wie nun Leute, die viel gelesen haben, schließlich immer neue Bücher lesen wollen, und wären es auch schlechte, so wird ein Mann, der viele Frauen und lauter schöne Frauen gekannt hat, zuletzt auch auf die häßlichen neugierig, wenn sie nur für ihn neu sind. Wenn auch sein Auge deutlich die Schminke sieht, die ihm die Wirklichkeit verhehlt, so redet ihm doch seine zu einem Laster gewordene Leidenschaft allerlei zugunsten des falschen Titelblattes ein. Vielleicht, sagt er sich, ist das Werk besser als der Titel; vielleicht ist die Wirklichkeit besser als die Schminke, die sie mir verbirgt. Er versucht nun das Buch zu überfliegen; aber dieses ist noch nicht durchgeblättert worden, und er findet Widerstand; das lebende Buch will nach Regel und Ordnung gelesen sein, und der Lesewütige wird ein Opfer der Koketterie, jenes Ungeheuers, das alle verfolgt, die aus der Liebe die Aufgabe ihres Lebens machen.

Verständiger Leser, der du diese letzten Zeilen, die Apollo selbst meiner Feder eingeflößt, gelesen hast, gestatte mir, dir etwas zu sagen: Du bist verloren, du wirst bis zu den letzten Augenblicken ein Opfer des schönen Geschlechts bleiben, wenn diese Zeilen nicht dazu beitragen, dir die Täuschung zu benehmen. Wenn meine Aufrichtigkeit für dich nichts Anstößiges hat, so mache ich dir mein Kompliment.

Gegen Abend machte ich einen Besuch bei Frau Orio, um bei dieser Gelegenheit ihren reizenden Nichten zu sagen, daß ich bei Grimani wohne und nicht gleich in den nächsten Tagen außerhalb des Hauses schlafen könne. Ich traf bei ihnen den treuen alten Rosa, der mir sagte, man spreche in der ganzen Stadt nur von meinem Alibi, und dieses könne nur dadurch so berühmt geworden sein, daß man allgemein von seiner Falschheit überzeugt sei; ich müßte daher von seiten Razzettas eine Rache gleicher Art befürchten, und ich würde gut tun, auf meiner Hut zu sein, besonders nachts. Ich fühlte, wie gut der Rat des klugen alten Herrn war, und ging infolgedessen nur noch in Begleitung aus oder ich nahm eine Gondel. Frau Manzoni lobte mich sehr; sie sagte, die Gerechtigkeit habe mich freisprechen müssen, aber die öffentliche Meinung wisse wohl, woran sie sich zu halten habe, und Razzetta könne mir nicht verziehen haben.

Drei oder vier Tage darauf meldete Grimani mir die Ankunft des Bischofs. Er wohnte bei seinen Ordensbrüdern im Minimitenkloster San Francesco di Paola. Er brachte mich selber zum Prälaten wie ein hochgeschätztes Juwel, und er tat, wie wenn nur er es zeigen könnte.

Ich sah einen schönen Mönch, der sein Bischofskreuz auf der Brust trug. Er erinnerte mich an den Vater Mancia; doch sah er kräftiger aus und weniger zurückhaltend. Er war vierunddreißig Jahre alt und war Bischof durch die Gnade Gottes, des Heiligen Stuhles und meiner Mutter. Nachdem er mir seinen Segen gegeben hatte, den ich kniend empfing, reichte er mir die Hand zum Kusse und drückte mich an seine Brust, indem er mich auf lateinisch seinen lieben Sohn nannte; auch später bediente er sich mir gegenüber nur dieser Sprache. Ich dachte, er schäme sich wahrscheinlich italienisch zu sprechen, weil er Calabreser sei; aber er befreite mich von diesem Irrtum, indem er Herrn Grimani auf italienisch anredete. Er sagte mir, er könne mich nicht von Venedig aus mit sich nehmen, ich müsse mich nach Rom begeben. Herr Grimani werde mir die nötigen Weisungen geben; in Ancona werde ich von einem seiner Freunde, dem Minimitenmönch Lazari, seine Adresse erfahren, und dieser werde mir auch das Reisegeld geben. »Sobald Sie in Rom sind,« fuhr er fort, »werden wir uns nicht mehr trennen und werden über Neapel zusammen nach Martorano reisen. Kommen Sie morgen in aller Frühe zu mir. Sobald ich die Messe gelesen habe, frühstücken wir miteinander. Übermorgen reise ich ab.«

Auf dem Heimwege hielt mir Herr Grimani eine Moralpredigt, bei deren Anhören ich zehnmal beinahe laut herausgeplatzt wäre. Unter anderem warnte er mich vor allzu eifrigem Studium; denn in der dicken Luft Calabriens könne ich durch zu große geistige Anstrengung leicht schwindsüchtig werden.

Am nächsten Tage begab ich mich schon in der Morgendämmerung zum Bischof. Nach der Messe und dem Schokoladenfrühstück nahm er mich drei Stunden ins Gebet, ich bemerkte klar und deutlich, daß ich ihm durchaus nicht gefallen hatte; aber ich meinerseits war mit ihm zufrieden. Er schien mir ein Ehrenmann zu sein; übrigens fühlte ich mich für ihn eingenommen, da ich durch ihn auf den Weg zu den hohen Würden der Kirche gebracht werden sollte, denn damals hatte ich nicht das geringste Selbstvertrauen, obwohl ich von meiner Persönlichkeit einen guten Begriff hatte.

Nach der Abreise des guten Bischofs übergab Herr Grimani mir einen von diesem zurückgelassenen Brief, den ich dem Vater Lazari im Minimitenkloster der Stadt Ancona überbringen sollte. Abbate Grimani sagte mir, er würde mich bis Ancona im Gefolge des venetianischen Gesandten befördern, dessen Abreise unmittelbar bevorstehe. Ich mußte mich also bereit halten, und da ich es eilig hatte, aus seinen Händen herauszukommen, so fand ich alle Vorbereitungen ausgezeichnet.

Sobald ich den für die Abreise des Gesandten, Cavaliere da Lezze, und seines Gefolges festgesetzten Tag erfuhr, nahm ich Abschied von allen meinen Bekannten. Meinen Bruder Francesco ließ ich in der Schule des berühmten Dekorationsmalers Ioli zurück.

Da die Peote, in der ich mich einschiffen sollte, erst mit Tagesanbruch abfuhr, so verbrachte ich die Nacht bei meinen beiden Engeln, die diesmal keine Hoffnung mehr hatten, mich wiederzusehen. Ich wußte natürlich nicht, was mir bevorstand; ich überließ mich meinem Geschick und hielt es für überflüssige Mühe an die Zukunft zu denken. So verging uns die Nacht zwischen Freude und Trauer, zwischen Wonnen und Tränen. Beim Abschied gab ich ihnen den Schlüssel zurück, den ich hatte anfertigen lassen und der mir so süße Augenblicke verschafft hatte.

Diese Liebe, meine erste, lehrte mich fast nichts Neues, das mir in der Schule der Welt hätte zugute kommen können, denn sie war vollkommen glücklich, durch keine Sorge gestört und durch keine selbstsüchtige Regung getrübt. Oft fühlten wir alle drei das Bedürfnis, unsere Seelen zur ewigen Vorsehung zu erheben, um ihr für den stets gegenwärtigen Schutz zu danken, durch den sie jeden Unfall, der unseren holden Frieden hätte stören können, von uns fern gehalten hatte.

Ich hinterließ bei Frau Manzoni alle meine Papiere und alle verbotenen Bücher, die ich besaß. Die prächtige Frau, die zwanzig Jahre älter war als ich und an das Schicksal glaubte, in dessen großem Buche sie gerne blätterte, sagte mir lachend, sie wisse bestimmt, daß sie mir alles, was ich ihr hinterlasse, spätestens im Laufe des nächsten Jahres zurückgeben werde. Ihre Weissagungen verwunderten mich und machten mir Vergnügen; und da ich große Achtung für sie hegte, so schien mir, ich müsse selber dazu helfen, daß die Prophezeiungen in Erfüllung gingen. Übrigens gab ihr diesen Blick in die Zukunft weder Aberglaube noch ein inhaltsloses Vorgefühl, das stets von der Vernunft zu verdammen ist, sondern ihre Kenntnis von der Welt und von dem Charakter derjenigen, für die sie sich interessierte. Sie lachte darüber, daß sie sich niemals irrte.

An der Piazetta schiffte ich mich ein. Herr Grimani hatte mir am Tage vorher zehn Zechinen gegeben, die nach seiner Meinung für die im Lazarett zu Ancona abzumachende Quarantainezeit genügen müßten. Sowie ich das Lazarett verlassen hatte, könne es mir unmöglich an dem nötigen Gelde fehlen. Da die Herren ihrer Sache so gewiß waren, so mußte ich wohl ihre Sicherheit teilen; in meiner Sorglosigkeit dachte ich denn auch gar nicht weiter darüber nach. Allerdings gab mir auch der Inhalt meiner Börse, von dem kein Mensch etwas wußte, eine gewisse Zuversicht: vierzig schöne Zechinen erhöhten beträchtlich meinen jungen Mut. So verließ ich denn meine Heimat mit freudigem Herzen und ohne das geringste Bedauern.

  1. Die Packträger und Dienstmänner in Venedig stammen größtenteils aus dem Friaul

Siebentes Kapitel


Unglück in Chiozza. – Der Barfüßermönch Vater Steffano. – Im Lazarett zu Ancona. – Die griechische Sklavin. – Pilgerfahrt zu Unserer lieben Frau von Loreto.– Fußwanderung nach Rom; Weiterreise nach Neapel.– Der Bischof, den ich suche, ist nicht zu finden. – das Glück verschafft mir die Mittel nach Martorano zu gelangen, von wo ich schleunigst wieder abreise, um nach Neapel zurückzukehren.

Das sogenannte große Gefolge des Gesandten schien mir sehr klein; es bestand aus einem Mailänder Haushofmeister namens Carnicelli, einem Abbate, der ihm als Sekretär diente, da er nicht schreiben konnte, einer alten Aufwartefrau, einem Koch mit einer häßlichen Frau und aus acht oder zehn Bedienten.

Mittags kamen wir in Chiozza an. Als wir ausgestiegen waren, fragte ich höflich den Mailänder, wo ich mich einquartieren solle. »Wo Sie wollen,« antwortete er; »nur müssen Sie dem Mann da bekannt machen, wo Sie wohnen, damit er Ihnen Bescheid sagen kann, sobald die Tartane2 bereit ist, in See zu stechen. Ich habe die Verpflichtung, Sie vom Augenblick unserer Abreise von hier kostenfrei nach dem Lazarett in Ancona zu befördern; bis dahin also amüsieren Sie sich!«

Der Mann da, den er mir gezeigt hatte, war der Besitzer der Tartane. Ich fragte ihn, wo ich wohnen könnte. »Bei mir,« antwortete er, »wenn es Ihnen recht ist, mit dem Herrn Koch, dessen Frau an Bord der Tartane bleibt, in einem großen Bett zu schlafen.« Ich konnte nichts Besseres tun, als dieses Anerbieten anzunehmen; ein Matrose nahm meinen Koffer auf die Schulter und führte mich zum Hause des wackeren Schiffers. Mein Koffer mußte unter das Bett geschoben werden, denn dieses Bett füllte die ganze Kammer aus. Ich lachte darüber, denn es kam mir nicht zu, den Heiklen zu spielen. Ich ging ins Wirtshaus, um zu essen, und besah mir hierauf den Ort. Chiozza ist eine Halbinsel und hat einen Seehafen, der zur Republik Venedig gehört; seine zehntausend Einwohner bestehen meistens aus Matrosen, Fischern, Kaufleuten, Zollwächtern und Steuer- oder Finanzbeamten der Republik.

Ich bemerke ein Kaffeehaus und trete ein. Kaum bin ich drinnen, da kommt ein junger Doktor der Rechte, mit dem ich in Padua studiert hatte, auf mich zu, umarmt mich und stellt mich einem Apotheker vor, dessen Apotheke gleich nebenan lag. Er sagte mir, bei ihm versammelten sich alle literarisch gebildeten Leute. Kurz darauf kam ein einäugiger großer Jakobinermönch, den ich von Venedig her kannte, namens Corsini, und begrüßte mich auf die höflichste Weise. Er sagte mir, ich käme gerade zur rechten Zeit, um dem Picknick der makkaronischen Akademiker beizuwohnen, das am nächsten Tage nach einer Sitzung der Akademie stattfinden sollte und wobei jedes Mitglied ein Gedicht eigener Mache vortrage. Er lud mich ein daran teilzunehmen und der Vereinigung die Ehre zu erweisen, daß ich ihr eines meiner Geisterzeugnisse mitteilte. Ich nahm an und wurde durch Zuruf als Mitglied aufgenommen, nachdem ich zehn Stanzen vorgelesen, die ich für diesen Anlaß gedichtet hatte. Bei Tisch machte ich eine noch bessere Figur als bei der Sitzung, denn ich aß so viel Makkaroni, daß man mich als Fürsten ausrief.

Der junge Doktor, der ebenfalls Akademiker war, stellte mich seiner Familie vor. Seine sehr wohlhabenden Eltern bezeigten mir tausend Freundlichkeiten. Er hatte eine sehr liebenswürdige Schwester; aber eine zweite, die den Nonnenschleier genommen hatte, erschien mir geradezu als ein Wunder von Schönheit. Ich hätte im Schoße dieser reizenden Familie meinen Aufenthalt in Chiozza auf sehr angenehme Art verbringen können; aber es stand geschrieben, daß ich an diesem Ort nur Kummer erleben sollte. Der junge Doktor machte mich darauf aufmerksam, daß der Jakobinermönch Corsini ein großer Taugenichts sei, den man nirgends gern sehe, und daß ich gut tun würde, den Verkehr mit ihm zu meiden. Ich dankte ihm herzlich für seinen guten Rat; aber mein Leichtsinn ließ es nicht zu, ihn mir zunutze zu machen. Von Natur nachsichtig und zu unbedacht, um mich vor Fallen zu fürchten, gab ich mich dem törichten Glauben hin, der Mönch könne mir im Gegenteil viele Annehmlichkeiten verschaffen.

Am dritten Tage kam ich denn wieder mit dem Taugenichts zusammen; er führte mich in ein schlechtes Haus, in das ich auch ohne seine Empfehlung Eingang gefunden hätte. Um zu renommieren, spielte ich den Liebenswürdigen gegen eine Unglückliche, deren Häßlichkeit allein mich schon hätte abschrecken sollen. Von da nahm er mich zum Abendessen mit sich in ein Wirtshaus, wo wir viele andere Burschen von seiner Sorte fanden. Nach dem Essen legte einer von ihnen eine Pharaobank. Man lud mich zur Teilnahme am Spiel ein. Ich ließ mich aus falscher Scham, die so oft junge Leute ins Verderben stürzt, dazu verführen. Nachdem ich vier Zechinen verloren hatte, wollte ich aufhören, aber mein ehrenwerter Freund, der Jakobiner, wußte mich zu veranlassen, noch vier Zechinen halbpart mit ihm zu riskieren. Er hielt die Bank; sie wurde gesprengt. Ich wollte nicht mehr spielen, aber Corsini tat, als gehe es ihm sehr zu Herzen, daß er an meinem Verlust schuld sei, und riet mir, selber eine Bank von zwanzig Zechinen zu legen. Die Bank flog auf. In der Hoffnung, mein Geld wieder zu gewinnen, verlor ich alles, was ich hatte. Niedergeschmettert ging ich weg; als ich mich neben dem Koch ins Bett legte, wachte er auf und sagte, ich sei ein liederlicher Mensch. »Stimmt!« war meine Antwort.

Meine Natur war durch das Wachen und durch den Kummer erschöpft; so versank ich denn in einen tiefen Schlaf. Um Mittag weckte mich der erbärmliche Hallunke Corsini und sagte mir triumphierend, es sei ein sehr reicher junger Mensch eingeladen worden, er werde mit uns zu Abend essen und müsse unbedingt verlieren; so werde ich meinen Verlust wieder wettmachen.

»Ich habe all mein Geld verloren, leihen Sie mir zwanzig Zechinen.«

»Wenn ich Geld herleihe, verliere ich ganz gewiß. Das ist ein Aberglaube von mir; aber ich habe zu oft die Erfahrung gemacht. Sehen Sie zu, daß Sie anderwärts Geld auftreiben, und kommen Sie. Adieu!«

Ich wagte nicht, meinem vernünftigen Freund etwas von meiner Lage zu sagen, daher erkundigte ich mich nach einem anständigen Pfandleiher und leerte meinen Koffer. Der ehrliche Mann machte ein Verzeichnis von meinen Sachen und gab mir dreißig Zechinen unter der Bedingung, daß alle Sachen ihm gehören sollten, wenn ich ihm nicht längstens in drei Tagen das Geld zurückgäbe. Ich muß ihn als ehrlichen Mann bezeichnen, denn er selber nötigte mich, drei Hemden, einige Strümpfe und Taschentücher zu behalten. Ich wollte ihm alles geben, da ich ein Vorgefühl hatte, daß ich alles Verlorene zurückgewinnen würde. Ein ziemlich allgemein verbreiteter Irrtum. Einige Jahre später rächte ich mich, indem ich eine Abhandlung gegen die Vorgefühle schrieb. Ich glaube, das einzige Vorgefühl, wozu der Mensch einiges Vertrauen haben darf, ist das, welches ihm Böses weissagt, denn dieses geht aus dem Verstande hervor. Das Vorgefühl, das uns Glück voraussagt, kommt aus dem Herzen, und das Herz glaubt an das närrische Glück, weil es selber närrisch ist.

Spornstreichs eilte ich zu meiner ehrenwerten Gesellschaft, die nichts mehr fürchtete, als daß ich nicht wiederkäme. Während des Abendessens verlautete kein Sterbenswörtchen von Spielen, aber man zollte meinen außerordentlichen Fähigkeiten das schwülstigste Lob und pries das hohe Glück, das in Rom meiner harre. Als nach Tisch immer noch nicht vom Spiel die Rede war, trieb mich mein böser Geist, und ich verlangte mit Nachdruck Revanche. Man antwortete mir, ich brauche ja nur eine Bank aufzulegen, sie würden alle setzen. Ich tat es, verlor alles und ging. Den Mönch bat ich, meine Wirtszeche zu bezahlen, und er versprach es mir.

Ganz verzweifelt ging ich nach meiner Wohnung, denn um mein Unglück voll zu machen, bemerkte ich unterwegs, daß ich eine zweite Griechin gefunden hatte, die weniger schön, aber ebenso heimtückisch gewesen war. Wie betäubt legte ich mich zu Bett und ich war, glaube ich, ganz gefühllos, als ich einschlief. Elf Stunden lag ich in schwerem Schlaf, und als ich aufwachte, schloß ich gleich wieder die Augen und versuchte, noch einmal einzuschlafen, denn mein Geist war niedergedrückt, und ich verabscheute das Tageslicht, dessen ich nicht mehr würdig zu sein glaubte. Ich fürchtete mich vor einem völligen Erwachen, weil ich dann hätte einen Entschluß fassen müssen; aber nicht einen Augenblick kam mir der Gedanke, nach Venedig umzukehren, was ich doch eigentlich hätte tun sollen. Auch hätte ich mich lieber umgebracht, als dem jungen Doktor meinen Zustand anzuvertrauen. Das Leben war mir zur Last; ich hatte die unbestimmte Hoffnung, ich könnte vielleicht Hungers sterben, ohne mich von der Stelle zu rühren. Ich glaube bestimmt, ich wäre nicht aufgestanden, wenn mich nicht der brave Albanese, der Schiffer der Tartane, gerüttelt und mir gesagt hätte, ich müßte an Bord gehen, das Schiff segle ab.

Der Mensch fühlt sich erleichtert, wenn er – einerlei wodurch – aus einer großen Ratlosigkeit herausgerissen wird. Mir kam es vor, als hätte mir der Schiffer das einzige genannt, was ich in meiner Not noch tun konnte. So zog ich mich in aller Eile an, band meine ganzen Habseligkeiten in ein Schnupftuch und lief nach der Anlegestelle des Schiffes. Eine Stunde später wurde der Anker gelichtet, und am Morgen lief die Tartane in den istrischen Hafen Orsara ein. Wir gingen alle an Land, um die Stadt zu besehen, die aber diesen Namen nicht verdient. Sie gehört dem Papst, da die Republik Venedig sie dem heiligen Stuhl zum Geschenk gemacht hat.

Ein junger Barfüßer, Bruder Steffano von Belluno genannt, den der Schiffer, ein großer Verehrer des heiligen Franziskus, aus Barmherzigkeit mitgenommen hatte, trat an mich heran und fragte mich, ob ich krank sei.

»Ehrwürdiger Vater, ich habe Kummer.«

»Den werden Sie verscheuchen, wenn Sie mit mir nur zu einer Anhängerin unseres Ordens zum Essen gehen.«

Seit sechsunddreißig Stunden war keine Nahrung irgendwelcher Art in meinen Magen gekommen, und da der hohe Seegang während der nächtlichen Fahrt mich sehr stark mitgenommen hatte, so war mein Magen gewiß ganz leer. Außerdem quälte meine erotische Unbequemlichkeit mich über alle Maßen; dazu kam noch das Gefühl der Erniedrigung, das auf mir lastete, – ich hatte keinen Heller in der Tasche. Ich befand mich in einem so traurigen Zustand, daß ich nicht die Kraft hatte, meinen Willen gegen irgend etwas zu setzen. In völliger Teilnahmslosigkeit folgte ich mechanisch dem Barfüßer.

Er stellte mich der Betschwester vor, indem er ihr sagte, er begleite mich nach Rom, wo ich das Ordenskleid des heiligen Franziskus nehmen werde. Solche Lüge war nur widerwärtig, und in einer anderen Lage hätte ich sie unbedingt nicht durchgehen lassen; aber in der Lage, in der ich mich befand, kam dieser Betrug mir nur komisch vor. Die gute Frau gab uns eine treffliche Mahlzeit Fische, die mit dem in jener Gegend ausgezeichneten Öl zubereitet waren. Wir tranken dazu Refosco, den ich wundervoll fand. Während wir frühstückten, kam ein freundlicher Priester, der zu mir sagte, ich dürfe nicht die Nacht auf der Tartane verbringen, sondern müsse ein gutes Bett bei ihm annehmen, und wenn wir am nächsten Tage wegen widrigen Windes nicht absegeln könnten, auch noch zu einem guten Mittagessen bei ihm bleiben. Ohne Zögern nahm ich dieses Anerbieten an. Nachdem ich reichlich gefrühstückt hatte, dankte ich aus aufrichtigem Herzen der guten frommen Frau und ging mit dem Priester fort, um die Stadt zu besehen. Abends nahm er mich mit in sein Haus und gab mir ein gutes Nachtmahl. Dieses war von seiner Haushälterin zubereitet, die sich mit uns zu Tisch setzte; sie gefiel mir. Sein Refosco war noch besser, als der der Betschwester; der Wein machte mich meine Leiden vergessen, und ich plauderte recht heiter. Er wollte mir ein von ihm verfaßtes Gedicht vorlesen, aber ich konnte nicht mehr die Augen offen halten und sagte ihm, ich würde es gerne am nächsten Tage anhören.

Ich ging zu Bett, und nach einem zehnstündigen tiefen Schlaf brachte mir die Haushälterin den Kaffee; sie hatte schon auf den Augenblick meines Erwachens gelauert. Ich fand das Mädchen reizend; leider aber war ich nicht imstande ihr zu beweisen, wie schön ich sie fand.

Da ich sehr zugunsten meines Gastfreundes eingenommen war und sein Gedicht recht aufmerksam hören wollte, so entriß ich mich meiner traurigen Stimmung und machte über seine Verse Bemerkungen, die ihn so entzückten, daß er mich viel geistreicher fand, als er erwartet hätte, und mich durchaus auch noch mit der Vorlesung seiner Idyllen beglücken wollte. Da mußte denn meine Höflichkeit gute Miene zum bösen Spiel machen. In angenehmer Weise verbrachten wir den ganzen Tag mitsammen. Die Haushälterin erwies mir die deutlichsten Aufmerksamkeiten; ich sah, daß ich ihr gefallen hatte, und indem ich diesen Gedanken angenehm fand, fühlte ich, daß sie meine Eroberung gemacht hatte, wie ich die ihre. Der Tag verging dem guten Priester blitzschnell – dank den Schönheiten, die ich an seinen Versen entdeckt hatte, die, offen gestanden, unter dem Mittelmaß waren. Mir aber kam die Zeit entsetzlich lang vor, so sehr sehnte ich mich nach den Verheißungen des Zubettegehens, die ich in den Blicken der Haushälterin las. Zwar befand ich mich sowohl körperlich wie seelisch in traurigem Zustande; aber so war ich nun einmal: ich überließ mich der Freude, während mich doch, wenn ich vernünftig gedacht hätte, alles hätte traurig stimmen müssen.

Endlich war der Augenblick da. Ich fand das liebenswürdige Mädchen bis zu einem gewissen Grade gefällig; als ich aber ihren Reizen volle Ehre erweisen zu wollen schien, setzte sie mir einigen Widerstand entgegen. Da gab ich ehrbar meine Versuche auf; wir waren beide froh, so wohlfeilen Kaufes davon gekommen zu sein, und ich ging ruhig zu Bett. Die Geschichte war jedoch noch nicht zu Ende. Denn als sie morgens mir meinen Kaffee brachte und ihre anreizende Miene mich zu einigen Liebkosungen hinriß, widerstand sie, wie sie sagte, nur weil sie fürchtete, überrascht zu werden. Der Tag verging dem Priester und mir aufs beste, und am Abend wurden zwei volle Stunden aufs köstlichste verbracht, da die Schöne keine Überraschungen mehr fürchtete. Ich hatte alle Vorsichtmaßregeln getroffen, die unter solchen Umständen möglich sind. – Am andern Tage reiste ich ab.

Während der ganzen Reise machte mir Bruder Steffano durch seine Bemerkungen Spaß; unter dem Schleier der Einfalt war Unwissenheit mit Spitzbüberei gemischt. Er zeigte mir alle Almosen, die er in Orsara erhalten hatte: Brot, Wein, Käse, Würste, Konfekt und Schokolade. Alle Taschen seiner heiligen Kutte waren voll von Lebensmitteln. »Haben Sie auch Geld?« fragte ich ihn.

»Gott bewahre! Erstens verbietet mir unser glorreicher Orden welches anzurühren; zweitens würde man mir einen oder zwei Soldi geben, wenn ich auf meinen Bettelgängen mir einfallen ließe, Geld zu nehmen. Was ich an Eßwaren bekomme, ist zehnmal soviel wert. Glauben Sie mir, San Francesco war ein sehr kluger Mann.«

Bei näherem Überlegen fand ich, daß für den Mönch Reichtum grade darin bestand, was in jenem Augenblick mich elend machte. Er lud mich ein, sein Tischgenosse zu sein, und schien ganz stolz darauf zu sein, daß ich ihm die Ehre erwies.

Die Tartane lief den Hafen von Pola an, der Veruda heißt, und wir stiegen aus. Nachdem wir ein Viertelstunde bergan gestiegen waren, kamen wir in die Stadt, und ich verwandte ein paar Stunden auf die Besichtigung der dort befindlichen römischen Altertümer. Die Stadt war ja einstmals Hauptstadt des römischen Reiches; ich fand jedoch von der früheren Größe keine Spur mehr als die Ruinen einer Arena. Wir kehrten nach Veruda zurück und gingen wieder unter Segel. Am nächsten Tage kamen wir vor Ancona an; da wir jedoch lavieren mußten, liefen wir erst am übernächsten Tag in den Hafen ein. Dieser Hafen gilt zwar für ein großartiges Denkmal Trajans, aber er wäre sehr schlecht, wenn nicht mit großen Kosten ein Damm ins Meer hinein gebaut worden wäre. Durch diesen wird er allerdings ziemlich gut. Ich machte die interessante Beobachtung, daß die nördliche Küste der Adria voll von Häfen ist, während die gegenüberliegende nur einen oder zwei hat. Offenbar zieht das Meer sich nach Osten zurück, und in drei- oder vierhundert Jahren wird Venedig mit dem Festlande verbunden sein.

In Ancona stiegen wir im alten Lazarett ab, wo man uns sagte, wir müßten eine Quarantäne von achtundzwanzig Tagen durchmachen. Venedig hatte nach einer dreimonatlichen Sperre die Besatzung von zwei Schiffen aus Messina zugelassen; und in Messina hatte kurz vorher die Pest gewütet. Ich verlangte ein Zimmer für mich und Bruder Steffano, der mir dafür ungeheuer dankbar war. Von einem Juden mietete ich ein Bett, einen Tisch und ein paar Stühle; den Mietspreis für das Ganze verpflichtete ich mich nach Beendigung der Sperrzeit zu bezahlen. Der Mönch wollte nur ein Bündel Stroh. Ich glaube, wenn er hätte ahnen können, daß ich ohne ihn vielleicht verhungert wäre, so hätte er nicht so laut jubiliert, daß er bei mir wohnen durfte. Ein Matrose, der sich Hoffnungen auf meine Freigebigkeit machte, fragte mich, wo mein Koffer sei. Da ich ihm antwortete, ich wisse nichts davon, gab er sich viele Mühe ihn zu finden. Auch der Albanese half suchen, und ich hätte beinahe laut herausgelacht, als der Schiffer zu mir kam und mich um Entschuldigung bat: er habe den Koffer vergessen, aber er wolle dafür sorgen, daß ich ihn vor Ablauf von drei Wochen erhalte.

Der Barfüßer, der mit mir vier Wochen verbringen sollte, gedachte auf meine Kosten zu leben, während im Gegenteil ihn die Vorsehung mir geschickt hatte, um für meinen Unterhalt zu sorgen. Er hatte Lebensmittel, wovon wir uns acht Tage lang nähren konnten, aber es galt auf weiter hinaus vorzusorgen.

So entwarf ich ihm denn nach dem Abendessen eine pathetische Schilderung meiner Lage; um nach Rom zu kommen, fehle mir alles; dort würde ich als Sekretär bei der Gesandtschaft eintreten. Man denke sich meine Überraschung, als ich bei der traurigen Erzählung meines Unglücks den Tölpel ein ganz fröhliches Gesicht machen sah. »Ich übernehme es, Sie bis nach Rom zu bringen; sagen Sie mir nur, ob Sie schreiben können?«

»Sie scherzen wohl?«

»Welches Wunder! Wie Sie mich hier sehen, kann ich nur meinen Namen schreiben. Allerdings kann ich das mit beiden Händen. Welchen Zweck hätte es für mich mehr zu können?«

»Ich bin erstaunt, ich glaubte, Sie seien Priester.«

»Nicht Priester! Mönch bin ich. Ich lese die Messe, muß also lesen können. San Francesco, dessen unwürdiger Sohn ich bin, konnte nicht lesen, darum hat er auch niemals eine Messe verrichtet. Nun, da Sie schreiben können, so schreiben Sie morgen an alle Personen, die ich Ihnen nennen werde, ich stehe Ihnen dafür, man wird uns so viel schicken, daß wir davon bis zum Ende der Quarantaine herrlich und in Freuden leben können.

Den ganzen nächsten Tag mußte ich damit verbringen, acht Briefe zu schreiben; denn es besteht im Franziskanerorden folgende Überlieferung: wenn ein Mönch an sieben Türen geklopft hat, ohne ein Almosen zu erhalten, so soll er mit Zuversicht bei der achten anpochen; denn hier wird es ihm nicht mißlingen. Da er schon einmal nach Rom gereist war, so kannte er in Ancona alle guten Häuser, wo San Francesco in Ehren gehalten wurde, und alle Oberen der reichen Klöster. Ich mußte an alle Adressen schreiben, die er mir nannte, und durfte keine von den Lügen auslassen, die er mir diktierte. Er nötigte mich auch, für ihn zu unterschreiben, denn wenn er selber unterzeichne, sagte er, so würde man leicht sehen, daß er nicht die Briefe geschrieben hätte, und das würde ihm schaden, »denn in unserer verderbten Zeit«, sagte er, »achtet man ja nur die Gelehrten«. Ich mußte die Briefe mit lateinischen Zitaten spicken – selbst die an Frauen gerichteten, und alle meine Einwendungen waren vergeblich. Denn, wenn ich mich widersetzte, drohte er mir, er würde mir nichts mehr zu essen geben. So entschloß ich mich denn, alles zu tun, was er wollte. An den Superior der Jesuiten ließ er mich schreiben: er wende sich nicht an die Kapuziner, weil das lauter Atheisten wären, deshalb hätte auch der heilige Franziskus sie niemals leiden können. Vergebens sagte ich ihm, zu Lebzeiten des Heiligen habe es weder Kapuziner noch Barfüßer gegeben; er sagte mir, ich sei ein Ignorant. Ich glaubte, man würde ihn als Narren behandeln und kein Mensch würde uns etwas schicken, aber ich irrte mich. Lebensmittel trafen in so großer Menge ein, daß ich ganz überrascht war. Von drei oder vier Seiten schickte man uns Wein, der für die ganze Dauer der Sperre ausreichte, um so mehr, da ich nur Wasser trank, denn ich wollte schnell wieder gesund werden. Zu essen empfingen wir täglich mehr, als sechs Personen verzehren konnten. Den Rest gaben wir unserem Aufseher, der eine zahlreiche Familie hatte. Für alle diese Gaben fühlte der Mönch sich nur dem heiligen Franziskus zur Dankbarkeit verpflichtet und durchaus nicht den guten Seelen, die ihm das Almosen spendeten.

Er übernahm es, meine Unterkleider durch den Aufseher waschen zu lassen; ich selber hätte sie diesem nicht zu geben gewagt. Er aber sagte, er riskierte nichts dabei; denn ein jeder wüßte, daß die Barfüßer keine Wäsche trügen.

Ich blieb fast den ganzen Tag im Bett; so brauchte ich mich nicht vor den Leuten sehen zu lassen, die ihm ihren Besuch abstatten zu müssen glaubten. Die anderen, die nicht kamen, sandten ihm Briefe voll von geschickten Sticheleien; ich hütete mich wohl, ihn auf diese aufmerksam zu machen. Übrigens hatte ich eine entsetzliche Mühe, ihn zu überzeugen, daß diese Briefe nicht beantwortet zu werden brauchten.

Eine zweiwöchentliche Ruhe und strenge Enthaltsamkeit brachten mich auf den Weg zu völliger Wiederherstellung. Ich spazierte nun vom Morgen bis zum Abend im Hof des Lazaretts herum, aber ich mußte diese Unterhaltung aufgeben, als ein türkischer Kaufmann aus Saloniki ankam und mit allen seinen Leuten im Erdgeschoß untergebracht wurde. Nun hatte ich nur noch das Vergnügen, den Tag auf einem Balkon zu verbringen, der auf diesen Hof hinausging. Von dem Balkon aus sah ich eine überraschend schöne griechische Sklavin, die in mir große Teilnahme erweckte. Sie saß fast den ganzen Tag auf ihrer Türschwelle und strickte oder las. Wenn sie ihre schönen Augen erhob und meinen Blicken begegnete, senkte sie bescheiden den Kopf; zuweilen stand sie sogar auf und ging langsam ins Haus hinein, wie wenn sie mir hätte sagen wollen: Ich wußte nicht, daß ich beobachtet würde. Von Gestalt war sie groß und schlank; nach ihrem Gesicht zu urteilen mußte sie noch in der zartesten Jugendblüte stehen; ihre Haut war blendend weiß, ihre Haare und Augen waren von schönem Schwarz. Sie trug griechische Kleider, und diese gaben ihrem ganzen Wesen etwas überaus Wollüstiges.

In der Langeweile eines Lazaretts und so wie Natur und Gewohnheit mich gemacht hatten – wie hätte ich wohl ein so verführerisches Wesen halbe Tage lang sehen können, ohne mich rasend zu verlieben? Ich hatte sie in lingua franca mit ihrem Herrn sprechen hören; dieser war ein schöner Greis, der sich ebenso sehr langweilte und nur zuweilen mit seiner Pfeife im Munde auf einen Augenblick herauskam, um gleich wieder ins Haus zu gehen. Gerne hätte ich dem reizenden Mädchen ein paar Worte gesagt; aber ich fürchtete, sie könnte dann fortgehen und ich würde sie nicht wiedersehen. Endlich aber konnte ich es nicht länger aushalten, und ich faßte den Entschluß, ihr zu schreiben. Um ein Mittel, ihr meinen Brief zukommen zu lassen, war ich nicht verlegen, denn ich brauchte ihn nur vom Balkon herunterfallen zu lassen. Da ich aber nicht sicher war, ob sie ihn aufheben würde, fing ich es folgendermaßen an, um nicht einen Fehlschritt zu riskieren: Ich benutzte einen Augenblick, wo sie sich allein befand, und ließ ihr ein kleines in Briefform gefaltetes Stück Papier vor die Füße fallen. Auf dieses Papier hatte ich aber wohlweislich nichts geschrieben, und einen richtigen Brief hielt ich gleichzeitig in der Hand. Als ich sie sich bücken sah, um den ersten Brief aufzuheben, ließ ich schnell den zweiten fallen; sie hob auch diesen auf und steckte alle beide in die Tasche. Einen Augenblick darauf verschwand sie. Mein Brief lautete etwa so:

»Engel des Morgenlandes, ich bete Dich an. Ich werde die ganze Nacht auf dem Balkon verbringen, denn mich beseelt der Wunsch, daß Du nur auf eine einzige Viertelstunde kommst, um durch das Loch, das sich unter meinen Füßen befindet, meine Stimme zu hören. Wir werden leise sprechen; um mich zu hören, kannst Du auf den Ballen steigen, der gerade unter dem Loche liegt.«

Ich bat meinen Wächter, mich nicht einzuschließen, wie er es sonst allnächtlich tat; er willigte ein, unter der Bedingung, daß er mich beobachten könnte; denn wenn ich mir einfallen ließe, in den Hof hinunterzuspringen, so wäre es um seinen Kopf geschehen. Er versprach mir jedoch, nicht auf den Balkon zu kommen.

Um Mitternacht sah ich sie erscheinen – grade in dem Augenblick, wo ich an ihrem Kommen verzweifelte. Ich legte mich lang auf den Fußboden, so daß mein Kopf sich über dem Loche befand, das ein unregelmäßiges Quadrat von ungefähr sechs Zoll bildete. So sah ich sie auf den Ballen steigen, und ihr Kopf war nun einen Fuß vom Balkon entfernt. Sie mußte sich mit der einen Hand an der Mauer festhalten, weil ihr Stützpunkt unsicher war. So sprachen wir nun von uns, von Liebe, Sehnsucht, Hindernissen, Unmöglichkeit und Listen. Ich sagte ihr, warum ich nicht in den Hof hinunterspringen könnte, und sie bemerkte darauf: selbst wenn ich nicht durch diesen Grund aufgehalten würde, so würde ein solches Unterfangen uns ja doch ins Unglück stürzen, da ich unmöglich wieder hinaufgelangen könnte. Außerdem wisse nur Gott allein, was der Türke mit ihr anfangen würde, wenn er uns beieinander fände. Hierauf versprach sie mir, jede Nacht hinauszukommen, um mit mir zu sprechen, und steckte die Hand durch das Loch. Unersättlich küßte ich sie immer und immer wieder; mir war. als hätte ich in meinem Leben noch nicht eine so weiche und zarte Hand berührt. Aber welche Wonne, als sie mich um die meine bat! Schnell streckte ich meinen Arm durch das Loch und sie preßte ihre Lippen auf das Ellenbogengelenk. Welch süße Diebstähle erlaubte meine Hand sich da! Aber wir mußten uns trennen; als ich wieder in mein Zimmer trat, sah ich mit Vergnügen, daß der Wächter in tiefem Schlaf in einer Ecke lag.

Ich war zufrieden, denn ich hatte alles erhalten, was ich in der unbequemen Lage nur erwarten konnte; aber ich zerbrach mir den Kopf, um ein Mittel zu finden, wie ich mir in der nächsten Nacht noch mehr Genüsse verschaffen könnte. Da sah ich, daß der weibliche Spürsinn meiner schönen Griechin findiger war als der meinige. Sie befand sich mit ihrem Herrn im Hof und sagte ihm etwas auf türkisch, wozu er beistimmend nickte, gleich darauf kamen ein Diener und der Wächter und stellten einen großen Korb mit Waren unter den Balkon. Sie traf dabei die nötigen Anordnungen und ließ, scheinbar um für den Korb besser Platz zu machen, einen von den Baumwollballen kreuzweis über die beiden anderen legen. Freudig erschauernd erriet ich sofort ihre Absicht, sie verschaffte sich auf diese Weise das Mittel sich um zwei Fuß höher zu erheben. Ich sah aber sofort, daß sie dann eine sehr unbequeme Haltung annehmen müßte; sie müßte sich zusammenkrümmen und das würde sie nicht aushalten können. Das Loch war nicht groß genug, daß sie hätte den Kopf hindurchstecken und bequem aufrecht stehen können. Es galt ein Mittel zu finden, um diese Unbequemlichkeit zu beseitigen. Ich sah keine andere Möglichkeit, als das Brett loszureißen, aber das war nicht so leicht. Trotzdem entschloß ich mich, es auf alle Fälle zu versuchen, und ging in mein Zimmer, um nur eine große Zange zu holen. Der Wächter war nicht da, ich machte mir seine Abwesenheit zunutze und es gelang mir, vorsichtig die vier großen Nägel auszureißen, mit denen das Brett befestigt war. Als ich sah, daß ich es nach Belieben entfernen konnte, legte ich die Zange wieder auf ihren Platz und erwartete in verliebter Ungeduld die Nacht.

Der Gegenstand meiner Wünsche kam pünktlich um zwölf Uhr. Als ich sah, daß es ihr Mühe machte, auf den obersten Ballen hinaufzuklettern und sich darauf festzuhalten, hob ich das Brett aus, streckte ihr den Arm entgegen, soweit ich konnte, und bot ihr auf diese Weise einen festen Halt. Sie richtete sich auf und war angenehm überrascht, Kopf und Arme durch das Loch stecken zu können. Wir verloren keine lange Zeit mit Komplimenten; doch beglückwünschten wir uns gegenseitig, gemeinsam auf die Erreichung des gleichen Zieles hingearbeitet zu haben.

Hatte ich in der vorigen Nacht mehr sie gehabt als sie mich, so war jetzt das Umgekehrte der Fall. Ihre Hand verzehrte mein ganzes Sein, ich aber konnte auf halbem Wege nicht weiter. Sie verfluchte den Verfertiger des Baumwolleballens, daß er ihn nicht einen halben Fuß dicker gemacht hätte, damit sie mir näher kommen könnte. Auch damit wären wir noch nicht zufrieden gewesen; aber sie hätte doch mehr Genuß gehabt.

Unsere Freuden, wenngleich unfruchtbar, beschäftigten uns bis zum Morgengrauen. Ich setzte sorgfältig das Brett wieder ein und legte mich dann zu Bett; ich hatte es außerordentlich nötig, frische Kräfte zu sammeln. Bevor sie ging, sagte meine reizende Griechin mir noch, daß am Morgen ihr kleiner Beiram beginne; er daure drei Tage, und wir könnten uns erst am vierten wiedersehen.

In der ersten Nacht nach dem Beiram kam sie wirklich; sie sagte mir, ohne mich könne sie nicht glücklich werden; da sie Christin sei, so könne ich sie loskaufen; ich solle nach meiner Entlassung aus dem Lazarett auf sie warten.

Diese Erklärung zwang mich zu dem Geständnis, daß ich nicht die Mittel dazu besitze. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. In der folgenden Nacht sagte sie mir, ihr Herr würde sie für zweitausend Piaster verkaufen; sie sei Jungfrau, und ich werde mit ihr zufrieden sein. Sie werde mir ein Kästchen voll von Diamanten geben, von denen ein einziger zweitausend Piaster wert sei. Wir könnten die anderen verkaufen und von dem Erlös behaglich leben, ohne jemals Armut befürchten zu müssen. Sie versicherte mir, der Türke würde das Verschwinden des Kästchens gewiß nicht bemerken, und wenn auch, so würde er eher jeden anderen in Verdacht haben als sie.

Ich war verliebt in das Mädchen, der Vorschlag beunruhigte mich. Aber am nächsten Morgen beim Erwachen schwankte ich nicht mehr. Sie kam zur gewöhnlichen Stunde und brachte das Kästchen mit, ich sagte ihr jedoch, ich könne mich nicht entschließen, Mitschuldiger an einem Diebstahl zu werden Sie seufzte und sagte mir, ich liebe sie nicht, wie sie mich liebe, aber sie sehe wohl, ich sei ein Christ.

Es war die letzte Nacht; wir sahen uns aller Wahrscheinlichkeit nach zum letztenmal. Das Feuer, das durch unsere Adern strömte, verzehrte uns. Sie schlug mir vor, sie auf den Balkon hinaufzuziehen. Welcher Liebhaber wäre vor einem so lockenden Vorschlag zurückgewichen? Ich stand auf. Wenn ich auch nicht ein neuer Milon war, so umfaßte ich sie doch unter den Armen und zog sie zu mir hinauf. Schon war ich beinahe in ihrem Besitz, da fühle ich plötzlich, daß jemand meine Schultern packt. Es ist der Wächter. Er schreit mir zu: »Was machen Sie da?« Ich lasse meine kostbare Last entgleiten. Das Mädchen läuft ins Haus. Ich stoße einen Wutschrei aus, werfe mich lang auf den Fußboden hin und rühre mich nicht, soviel mich auch der Wächter rüttelt und schüttelt.

Ich hätte den Menschen ermorden mögen. Endlich stand ich auf und ging zu Bett, ohne ihm ein Wort zu sagen. Ich legte nicht einmal das Brett wieder an seinen Platz. Am Morgen kam der Vorsteher und erklärte uns für frei. Als ich mit blutendem Herzen fortging, sah ich noch einmal die Griechin, deren Augen in Tränen schwammen.

Ich verabredete mit dem Vater Steffano, daß wir uns an der Börse treffen wollten, und ging mit dem Juden, dem ich die Möbelmiete zu bezahlen hatte, nach dem Minimenkloster, wo der Vater Lazari mir zehn Zechinen gab und die Adresse des Bischofs mitteilte. Er hatte seine Quarantäne an der toskanischen Grenze abgemacht und mußte schon nach Rom unterwegs sein. Dort sollte ich ihn finden.

Ich bezahlte den Juden und nahm darauf in einem Wirtshaus ein bescheidenes Mahl ein. Als ich von dort mich zu meinem Barfüßer begeben wollte, lief ich unglücklicherweise dem albanischen Schiffer in den Weg. Er schimpfte mich gehörig aus, daß ich ihn in dem Glauben belassen hätte, ich hätte meinen Koffer vergessen. Ich beschwichtigte ihn, indem ich ihm mein Unglück erzählte, und gab ihm eine schriftliche Bescheinigung, daß ich nichts von ihm zu beanspruchen hätte. Nachdem ich mir dann ein Paar Schuhe und einen (blauen) Mantel gekauft hatte, ging ich zu Steffano. Ich sagte ihm, ich wolle nach Loreto gehen. Dort würde ich drei Tage auf ihn warten und wir könnten dann zusammen nach Rom reisen. Er antwortete mir, er wolle nicht über Loreto wandern; es werde mir noch leid tun, die Gnade des heiligen Franziskus verschmäht zu haben. Am anderen Tage marschierte ich jedoch ab und zwar bei bester Gesundheit.

Todmüde kam ich in der heiligen Stadt an; denn ich hatte zum erstenmal in meinem Leben fünfzehn Miglien zu Fuß gemacht und unterwegs nur Wasser getrunken, weil der gekochte Wein, den man in jener Gegend trinkt, mir den Magen verbrannte. Dabei war es über alle Maßen heiß. Ich muß hier bemerken, daß ich trotz meiner Armut nicht wie ein Bettler aussah.

Als ich die Stadt betrat, sah ich einen alten Abbate von ehrwürdigstem Aussehen mir entgegenkommen. Da ich sah, daß er mich musterte, grüßte ich ihn, sobald er bei mir war, und fragte ihn, wo ich einen anständigen Gasthof finden könnte. »Ich sehe«, sagte er, »daß jemand wie Sie, der zu Fuß reist, aus Frömmigkeit hierher kommt. Kommen Sie mit.« Er kehrte um, ich folgte ihm, und er führte mich in ein stattliches Haus. Nachdem er leise ein paar Worte mit einem Mann gesprochen hatte, der mir der Hausmeister zu sein schien, ging er wieder. Zum Abschied sagte er mir mit vornehmem Anstande: »Sie werden gut bedient werden.« Ich dachte mir sofort, daß man mich für einen anderen hielt. Aber ich ließ den Dingen ihren Lauf.

Man führte mich in ein Appartement von drei Zimmern; das Schlafzimmer war mit Damast tapeziert, das Bett hatte einen Baldachin. Außerdem stand ein Schreibpult darin, das alles zum Schreiben Nötige enthielt. Ein Bedienter brachte nur einen leichten seidenen Schlafrock, ging hinaus und kam sofort mit einem anderen wieder, der Wäsche und eine große Wanne mit Wasser trug. Diese wurde vor mich hingestellt, man zog mir Schuhe und Strümpfe aus und wusch mir die Füße. Einen Augenblick darauf kam eine sehr gut gekleidete Frau mit einer Dienerin, machte mir eine tiefe Verbeugung und begann mein Bett zurechtzumachen. Gerade als ich mit dem Fußbade fertig war, ließ sich eine Glocke hören, alle knieten nieder, und ich folgte ihrem Beispiel. Es war das »Angelus«. Hierauf wurde ein Tischchen sehr sauber gedeckt, und man fragte mich, welchen Wein ich wünsche. Ich antwortete: »Chianti.« Hierauf brachte man mir die Zeitung und zwei silberne Armleuchter. Eine Stunde später wurde mir ein köstliches Abendessen, bestehend aus Fastenspeisen, aufgetragen. Vor dem Schlafengehen fragte man mich, ob ich meine Schokolade vor oder nach der Messe tränke. Ich sagte, den Grund der Frage erratend: »Vor dem Ausgehen!« und begab mich zur Ruhe.

Sobald ich im Bett lag, brachte man mir eine Nachtlampe mit einem Zifferblatt, und ich blieb allein. Ich fand mich in einem Bett liegen, wie ich es sonst nur in Frankreich gefunden habe; es war danach angetan, einen von der Schlaflosigkeit zu heilen. Aber an dieser Krankheit litt ich nicht. Ich schlief zehn Stunden.

An der Behandlung merkte ich leicht, daß ich nicht in einem Gasthof war. Aber wo war ich? Konnte ich erraten, daß ich mich in einem Hospital befand?

Nach der Schokolade erscheint ein geschniegelter und gebügelter Friseur, der vor Schwatzlust zappelt. Er errät, daß ich nicht rasiert sein will, und erbietet sich, mir mein Flaumhaar mit der Schere zu schneiden. Dadurch würde ich jünger aussehen.

»Wer hat Ihnen denn gesagt, daß ich mein Alter verbergen möchte?«

»Das ist doch ganz einfach. Wenn Monsignore nicht diese Absicht hätten, würden Sie sich schon längst haben rasieren lassen. Gräfin Marcolini ist hier. Kennen Monsignore die Dame? Ich soll sie heute mittag frisieren.«

Da er sah, daß die Gräfin Marcolini mich nicht interessierte, ging der Schwätzer zu einem anderen Thema über:

»Wohnen Monsignore zum erstenmal hier? In allen Staaten unseres Herrn ist kein so prachtvolles Hospital wie dieses.«

»Das glaube ich wohl, und ich werde Seiner Heiligkeit mein Kompliment darüber machen.«

»O, er weiß es selber sehr gut! Vor seiner Wahl hat er selbst hier gewohnt. Hätte Monsignore Caraffa Sie nicht gekannt, so würde er Sie nicht eingeführt haben.«

In solchen Dingen sind die Friseure in ganz Europa ausgezeichnet; aber man darf sie nicht ausfragen, denn dann mengen sie frech Wahrheit und Lügen durcheinander und forschen selber aus, anstatt sich ausforschen zu lassen.

Ich glaubte, Monsignore Caraffa meine Aufwartung machen zu müssen, und ließ mich zu ihm führen. Der Prälat empfing mich sehr gut, zeigte mir seine Bücherei und gab mir als Cicerone einen seiner Abbaten mit. Ich fand in ihm einen Altersgenossen und geistvollen Gesellschafter. Er zeigte mir alles. Zwanzig Jahre später wurde dieser Abbate mir in Rom nützlich; wenn er noch lebt, ist er Kanonikus bei San Giovanni in Laterano.

Am zweiten Tage nahm ich in der Santa Casa das Abendmahl; den dritten Tag verwandte ich auf die Besichtigung aller Wunderschätze des Heiligtums. Am anderen Morgen machte ich mich in aller Frühe wieder auf den Weg; ich hätte im ganzen nur drei Paoli für den Friseur ausgegeben.

Auf halbem Wege nach Macerata fand ich den Bruder Steffano wieder, der sehr langsam wanderte. Er war sehr erfreut, mich wiederzusehen, und sagte mir, er sei zwei Stunden nach mir von Ancona abmarschiert; er mache aber täglich nur drei Miglien, denn es sei ihm ganz recht, wenn er volle zwei Monate unterwegs bleibe, obgleich man sogar zu Fuß in acht Tagen nach Rom kommen könne.

»Ich will«, sagte er, »in Rom frisch und bei guter Gesundheit ankommen. Ich habe gar keine Eile, und wenn Sie Lust haben, in dieser Weise mit mir zu reisen, so wird es dem heiligen Franziskus nicht schwer fallen, uns beiden Unterhalt zu verschaffen.«

Der Kerl war ein rothaariger Bursche von dreißig Jahren, von starken Gliedern; ein richtiger Bauer, der nur Mönch geworden war, um bequem von Nichtstun zu leben. Ich antwortete ihm, ich habe Eile und könne daher nicht sein Begleiter sein.

»Ich werde heute eine doppelte Tagreise machen,« sagte er, »wenn Sie mir meinen Mantel tragen wollen; denn der drückt mich sehr.«

Ich fand die Geschichte spaßhaft, zog seinen Mantel an und ließ ihn meinen Überrock anlegen. In dieser Verkleidung sahen wir so komisch aus, daß alle Vorüberkommenden über uns lachten. Sein Mantel hätte wirklich eine volle Ladung für ein Maultier abgegeben. Es waren darin zwölf Taschen, und zwar alle voll. Dazu kam dann noch die hintere Tasche, die er il batticulo nannte; diese enthielt allein das Doppelte von dem, was in allen anderen zusammen war. Brot, Wein, frisches und gesalzenes Fleisch, Hühner, Eier, Käse, Schinken, Würste waren für mindestens vierzehn Tage vorhanden.

Als ich ihm erzählte, wie man mich in Loreto aufgenommen hatte, sagte er mir, wenn ich von Monsignore Caraffa einen Freischein für alle Hospitale bis Rom verlangt hätte, würde ich überall die gleiche Aufnahme gefunden haben. »Die Hospitäler«, fuhr er fort, »sind alle von San Francesco verflucht, weil in ihnen keine Bettelmönche aufgenommen werden; übrigens machen wir uns nichts aus ihnen, weil sie zu weit voneinander entfernt liegen. Wir ziehen die Häuser der unserem Orden ergebenen Frommen vor, die wir auf unserem Wege finden.«

»Warum suchen Sie nicht in Ihren Klöstern Unterkunft?«

»So dumm bin ich nicht. Erstens würde man mich nicht aufnehmen, denn als Flüchtling habe ich keinen schriftlichen Erlaubnisschein, und den wollen sie immer haben. Ich würde sogar in Gefahr sein, ins Gefängnis gesteckt zu werden; denn die Mönche sind ein verfluchtes Pack. Zweitens sind wir in unseren Klöstern nicht so gut aufgehoben wie bei unseren Wohltätern.«

»Wie? Sie sind Flüchtling? Warum denn?«

Er erzählte mir nun über seine Gefangenschaft und Flucht eine Geschichte voll von abgeschmackten Lügen. Dieser flüchtige Barfüßer war ein Dummkopf mit Harlekinswitz; er hielt aber seine Zuhörer für noch viel größere Dummköpfe, als er selber war. Bei all seiner Dummheit besaß er aber doch eine gewisse Verschmitztheit. Seine Religion war sehr eigenartig. Er wollte kein Frömmler sein und wurde dadurch skandalös; um seine Zuhörer zum Lachen zu bringen, erlaubte er sich die ekelhaftesten Bemerkungen. Er hatte gar kein Gefühl für das weibliche Geschlecht und für fleischliche Genüsse; aber das lag nur an seinem Mangel an Temperament. Dabei verlangte er jedoch, man solle diesen Mangel als Tugend der Enthaltsamkeit an ihm bewundern. Das ganze Gebiet des Geschlechtlichen war für ihn nur dazu da, Lachlust zu erregen. Wenn er etwas angetrunken war, richtete er an die Tischgenossen so unanständige Fragen, daß alle darüber erröteten. Der Kerl aber lachte nur dazu.

Als wir hundert Schritt vor dem Hause des Wohltäters entfernt waren, den er mit seinem Besuch beehren wollte, zog er seine schwere Kutte wieder an. Beim Eintritt gab er allen seinen Segen, und jeder küßte ihm die Hand. Da die Hausfrau ihn bat, ihnen eine Messe zu lesen, war der Mönch ihnen zu Willen uns ließ sich in die Sakristei führen; als ich ihm unbemerkt ins Ohr flüsterte: »Haben Sie denn vergessen, daß Sie schon gefrühstückt haben?« antwortete er nur grob: »Das geht Sie nichts an.«

Ich wagte ihm hierauf nichts zu erwidern; ich wohnte der Messe bei und war begreiflicherweise sehr überrascht, als ich sah, daß er das Rituell nicht kannte. Dies fand er spaßhaft, aber das eigentlich Komische der Geschichte sollte erst noch kommen. Sobald er, so gut es eben ging, seine Messe zu Ende gelesen hatte, setzte er sich in den Beichtstuhl und nahm der ganzen Familie die Beichte ab. Dabei hatte er den Einfall, der Tochter des Hauses, einem reizend hübschen Kind von zwölf oder dreizehn Jahren, die Absolution zu verweigern. Und zwar machte er das öffentlich; er schult sie aus und drohte ihr mit der Hölle. Das arme Mädchen verließ voller Scham die Kapelle und vergoß heiße Tränen; sie tat mir leid, und in meinem Zorn konnte ich mich nicht enthalten, dem Bruder Steffano laut ins Gesicht zu sagen, er sei verrückt. Ich lief ihr nach, um sie zu trösten; aber sie war schon verschwunden und war nicht zu bewegen, sich mit uns zu Tische zu setzen. Sein unglaubliches Betragen brachte mich dermaßen auf, daß ich Lust hatte, ihn durchzuprügeln. Vor allen Leuten nannte ich ihn einen Betrüger und gemeinen Ehrabschneider an dem jungen Mädchen. Ich fragte ihn, warum er ihr die Absolution verweigert habe; er schloß mir aber den Mund, indem er kaltblütig antwortete, er dürfe das Beichtsiegel nicht verraten. Ich aß nicht mit und war fest entschlossen, mich von dem Schelm zu trennen. Als wir gingen, mußte ich einen Paolo für die von ihm gelesene falsche Messe annehmen. Ich mußte das traurige Amt seines Kassierers versehen. Sobald wir auf der Landstraße waren, sagte ich ihm, ich wolle mich von ihm trennen, weil ich auf die Galeeren zu kommen fürchte, wenn ich noch weiter mit ihm gehe. Unter anderem nannte ich ihn einen unwissenden Schurken; er sagte dagegen, ich sei bloß ein Bettler. Hierauf versetzte ich ihm eine kräftige Ohrfeige, auf die er mit einem Stockhieb antwortete. Ich entwaffnete ihn aber augenblicklich, ließ ihn stehen und ging nach Macerata zu. Eine Viertelstunde darauf erbot sich ein Kutscher, der mit leerem Wagen nach Tolentino fuhr, mich für zwei Paoli bis dahin mitzunehmen. Ich nahm das an. Von dort hätte ich für sechs Paoli nach Foligno kommen können, aber aus unglückseliger Sparwut schlug ich das Anerbieten aus. Ich befand mich wohl und glaubte leicht zu Fuß noch bis Valcimara gelangen zu können. Aber ich kam dort erst nach fünfstündigen. Marsch und todmüde an. Ich war kräftig und gesund, aber ein Weg von fünf Stunden genügte, um mich völlig zu erschöpfen, weil ich in meiner Kindheit niemals eine Meile zu Fuß gemacht hatte. Man kann gar nicht genug Wert darauf legen, die Jugend an Märsche zu gewöhnen.

Am anderen Morgen stand ich ausgeruht auf und wollte meinen Weg fortsetzen. Ich will den Wirt bezahlen – da gibt’s ein neues Unglück! Man stelle sich meine traurige Lage vor: ich erinnerte mich, daß ich meine Börse mit sieben Zechinen im Wirtshaus in Tolentino hatte auf dem Tisch liegen lassen, als ich, um zu bezahlen, eine Zechine wechseln ließ. Ich war trostlos. Erst wollte ich umkehren, um sie zu verlangen; aber ich gab diesen Gedanken auf, denn ich wußte ja nicht, ob man sie würde herausgeben wollen. Leider enthielt aber diese Börse all mein Geld mit Ausnahme einiger Kupfermünzen, die ich in der Tasche hatte. Ich bezahlte meine kleine Zeche und machte mich bekümmerten Herzens auf den Weg nach Serravalle. Ich war nur noch eine Stunde von diesem Ort entfernt, als ich beim überspringen eines Grabens mir den Fuß verrenkte. Ich muß mich an den Wegrain setzen und habe den einzigen Trost, den die Religion allen Bedrängten bietet. Ich bitte Gott, er wolle jemand vorübergehen lassen, der mir helfen könne.

So saß ich seit einer halben Stunde, als ein Bauer, der mit seinem Esel vorbeikam, sich bereit erklärte, mich für einen Paolo nach Serravalle zu bringen. Um mir Geld zu sparen, führte der Bauer mich zu einem Mann mit einem Verbrechergesicht, der gegen Vorauszahlung von zwei Paoli mich aufnahm. Ich bat ihn, einen Wundarzt zu beschaffen, konnte diesen aber erst am anderen Tage haben. Ich erhielt ein elendes Abendessen und legte mich hierauf in ein grausig aussehendes Bett. Ich hoffte schlafen zu können und im Schlummer einige Erleichterung zu finden; aber gerade dies Bett hatte mein böser Genius dazu ausersehen, mich Höllenqualen leiden zu lassen. Drei Männer mit Karabinern, die wie rechte Banditen aussahen, kamen nach einiger Zeit, sprachen ein Kauderwelsch, das ich nicht verstand, und fluchten und wetterten, ohne auf mich die geringste Rücksicht zu nehmen. Nachdem sie bis Mitternacht gezecht und gesungen hatten, legten sie sich auf Stroh nieder, und mein betrunkener Wirt kam, zu meiner großen Überraschung, und wollte sich neben mich legen. Empört, daß ich mit einem solchen Geschöpf in einem Bett liegen sollte, rief ich aus, ich würde ihn nicht neben mir dulden; er aber versetzte mit gräßlichen Flüchen, die ganze Hölle solle ihn nicht abhalten, in seinem eigenen Bett zu schlafen. Ich mußte ihm Platz machen.

»Um des Himmels willen!« schrie ich; »bei wem bin ich denn.?«

»Beim ehrenwertesten Sbirren im ganzen Kirchenstaat.«

Konnte ich ahnen, daß der Bauer mich zu diesen verfluchten Feinden des ganzen Menschengeschlechtes führen würde?

Der Mensch legt sich ins Bett; bald aber zwingt mich der gemeine Halunke, ihm einen so kräftigen Stoß vor die Brust zu geben, daß ich ihn aus dem Bett hinauswerfe. Er sieht auf und erneuert schamlos seinen Angriff. Ich fühle, daß ich nur mit eigener Lebensgefahr ihn zu Boden schlagen könne, stehe auf, da er sich dem zum Glück nicht widersetzt, schleppe mich so gut es geht zu einem Stuhl und verbringe auf diesem den Rest der Nacht, vier traurige Stunden. Bei Tagesanbruch wurde der Halunke von seinen Kameraden geweckt, er stand auf, und nachdem sie wieder getrunken und gelästert hatten, nahmen sie ihre Karabiner und gingen.

Nachdem das Lumpenpack fort war, verbrachte ich noch eine traurige Stunde. Vergebens rief ich nach Hilfe. Endlich kam ein kleiner Junge hinein und holte mir für ein paar Kupfermünzen einen Wundarzt. Dieser untersuchte mich und versicherte mir, eine drei- oder viertägige Ruhe würde mich völlig wiederherstellen. Er riet mir, mich in einen Gasthof bringen zu lassen; gern nahm ich diesen guten Rat an. Ich wurde hingetragen, in ein Bett gelegt und gut behandelt; aber ich befand mich in einer so unangenehmen Lage, daß ich den Augenblick meiner Wiederherstellung fürchtete. Ich befürchtete meinen Überrock verkaufen zu müssen, um den Wirt bezahlen zu können, und dieser Gedanke war mir entsetzlich. Unwillkürlich mußte ich denken: hätte ich meine Teilnahme für das von Steffano so schlecht behandelte Mädchen zurückgedrängt, so wäre ich nicht in eine so traurige Lage geraten. Ich fand jetzt meinen Eifer übel angebracht. Wenn ich mich dem Barfüßer hätte können… Ja! Wenn, wenn, wenn, alle diese Wenn zerreißen einem Unglücklichen das Herz, sobald er anfängt zu denken. Denn nachdem er seine Gedanken von allen möglichen Seiten betrachtet hat, ist er noch ebenso unglücklich wie zuvor. Ich will jedoch gestehen, daß solche vom Unglück angeregte Betrachtungen durchaus nicht ohne Vorteil für einen jungen Menschen sind; denn dadurch gewöhnt er sich ans Denken. Und aus einem Menschen, der nicht denkt, wird niemals etwas.

Am Morgen des vierten Tages fühlte ich mich wieder marschfähig, wie der Wundarzt es mir vorausgesagt hatte. Ich entschloß mich, den braven Mann zu bitten, er möge für mich meinen Überrock verkaufen. Dies war eine nicht sehr tröstliche Notwendigkeit, denn der Herbstregen begann. Meinem Wirt war ich fünfzehn Paoli schuldig und vier dem Chirurgen. Im Augenblick wo ich ihm den schmerzlichen Auftrag geben wollte, den Rock zu verkaufen, trat Bruder Steffano ein. Er lachte aus vollem Halse und fragte mich, ob ich den Stockhieb vergessen hätte.

Ich fiel aus den Wolken!

Ich bat den Wundarzt, mich mit dem Mönch allein zu lassen, und er ging.

Ich frage den Leser: wie kann man sich des Aberglaubens erwehren, wenn man solche Erlebnisse hat? Am erstaunlichsten ist in diesem Fall, wie es gerade auf die Minute eintraf: Der Mönch erschien gerade in dem Augenblick, wo ich den Mund auftun wollte. Noch mehr war ich erstaunt über die Macht der Vorsehung, des Glücks, des Zufalles oder wie man es nennen will, mit einem Wort über das ganz notwendige Zusammentreffen verschiedener Umstände, das mir keine andere Wahl ließ als alle meine Hoffnungen nur auf diesen Mönch zu setzen, der in Chiozza in demselben Augenblick, wo meine Not begann, mein Schutzgeist geworden war.

Und was für ein Schutzgeist, dieser Steffano! Ich muß in dieser Macht des Schicksals mehr eine Strafe als eine Gunst erkennen.

Sein Erscheinen war jedoch nur angenehm, denn ich zweifelte nicht einen Augenblick daran, daß er mich aus der Verlegenheit ziehen würde. Und mochte er mir vom Himmel oder von der Hölle zugesandt worden sein – ich fühlte, daß ich nichts Besseres tun konnte, mich seinem Einfluß zu unterwerfen. Seine ihm von Schicksal zugewiesene Bestimmung war es mich nach Rom zu bringen.

Chi va piano va sano, sagte nur der Mönch, sobald wir allein waren. Er hatte fünf Tage gebraucht, um den Weg zurückzulegen, den ich in einem Tage gemacht hatte; aber er war wohlauf und hatte keinerlei Unfall gehabt. Er erzählte nur, man habe ihm, als er vorübergekommen sei, gesagt, der Abbate, der als Sekretär beim venetianischen Botschafter eintreten solle, liege krank im Gasthof, nachdem er in Valcimara bestohlen worden sei. »Ich habe Sie aufgesucht, und da Sie ja wieder ganz gesund sind, so werden wir miteinander nach Rom gehen; Ihnen zu Gefallen werde ich täglich sechs Miglien machen. Alles möge vergessen sein, und nun schnell auf nach Rom!«

»Ich kann nicht. Ich habe meine Börse verloren und soll zwanzig Paoli bezahlen.«

»Die werde ich im Namen des heiligen Franziskus besorgen.«

Eine halbe Stunde darauf kam er zurück, aber mit wem? Mit meinem niederträchtigen Sbirren! Dieser sagte mir, wenn ich ihm anvertraut hätte, wer ich wäre, würde er mich gerne ganz bei sich behalten haben. »Ich gebe Dir,« sagte er weiter, »vierzig Paoli, wenn Du Dich verpflichtest, mir die Protektion Deines Gesandten zu besorgen; aber wenn Dir das nicht gelingt, mußt Du sie mir in Rom zurückgeben. Du mußt mir also einen Schuldschein darüber schreiben.«

»Gern.«

In einer Viertelstunde war alles abgemacht; ich erhielt das Geld, bezahlte meine Schulden und marschierte mit Steffano ab.

Es war kaum erst ein Uhr Mittag, a.s der Mönch eine armselige Hütte hundert Schritte vom Wege ab bemerkte und mir sagte: »Bis Collefiorito ist noch sehr weit; wir müssen hier haltmachen und die Nacht zubringen.«

Vergebens stellte ich ihm vor, wir würden in der Hütte schlecht aufgehoben sein; er schlug alles in den Wind, und ich mußte mich seinem Willen unterwerfen. Wir fanden einen ausgemergelten, schwindsüchtigen Greis, der auf einem elenden Bette lag, zwei häßliche Weiber von dreißig bis vierzig Jahren, drei nackte Kinder, eine Kuh und einen verdammten Köter, der fortwährend bellte. Ein des Elends. Aber der Mönch war hartnäckig; anstatt ihnen ein Almosen zu geben, verlangte er im Namen des heiligen Franziskus ein Abendessen. »Ihr müßt,« sagte der Sterbende zu den Weibern, »das Huhn kochen und die Flasche aus dem Keller holen, die ich seit 20 Jahren verwahre.« Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so bekam er einen so starken Hustenanfall, daß ich glaubte, er würde vor unseren Augen sterben. Der Mönch trat an sein Bett und versprach ihm, San Francesco werde ihn wieder jung machen. Beim Anblick dieses Elends von Mitleid durchdrungen, wollte ich allein nach Collefiorito gehen und dort auf den Mönch warten, aber die Frauen widersetzten sich, und ich blieb. Nach Verlauf von vier Stunden schien das Huhn die besten Zähne herausfordern zu wollen und in der Flasche, die ich entkorkte, war Essig. Da verliere ich die Geduld, ich nehme den batticulo des Mönches her und lege ein gutes Abendessen auf den Tisch; beim Anblick unserer Eßwaren verklären sich die Gesichter der beiden Frauenzimmer.

Wir aßen alle mit gutem Appetit; dann wurden für uns zwei große Lagerstätten aus frischem Stroh zurechtgemacht, auf die wir uns im Dunkeln hinlegten, da das einzige Lichtstümpchen, das in der traurigen Behausung sich vorfand, erloschen war. Kaum liegen wir fünf Minuten auf unserem Stroh, da ruft der Mönch mir zu, ein Weib habe sich zu ihm gelegt, und im selben Augenblick umarmt mich die andere. Ich stoße sie zurück, der Mönch wehrt sich; die schamlose Vettel will nicht von mir ablassen: ich stehe auf, der Hund springt mir an die Kehle, und aus Furcht lege ich mich ruhig wieder auf mein Stroh. Die Unverschämte ließ sich durch nichts stören, mich zu Dingen aufzumuntern, zu denen ich keine Lust hatte. Der Spektakel aber, den der Mönch machte, sich die Seinige abzuwehren, ward mir so lächerlich, daß aller Zorn darüber verging. Der Narr rief laut den heiligen Franziskus um Hilfe an, weil er auf meine nicht rechnen konnte. Der Mönch schreit, flucht, schlägt um sich; der Hund bellt wie rasend, der Greis hustet; es ist ein Höllenlärm. Die Dirne bei mir sagte, sie würde wieder weggehen, wenn ich nur ein wenig gefälliger wäre. Ich dachte: sublata laterna nullum discrimen inter mulieres. – Im Dunkeln sind alle Weiber gleich. Endlich glückt es Steffano, den seine dicke Kutte schützt, sich den Liebkosungen seiner Megäre zu entziehen, dem Hunde zum Trotz steht er auf, und es gelingt ihm, seinen dicken Stock zu erwischen. Nun schlägt er nach rechts und links um sich; eins von den beiden Weibern schreit: »Au! Mein Gott!« Der Barfüßer antwortet: »Die ist hin!« Es wird wieder ruhig. Der Hund, den er ohne Zweifel totgeschlagen hatte, bellte nicht mehr; der Greis, dem er vielleicht den Garaus gemacht hatte, hustete nicht mehr; die Weiber, die vor den Liebenswürdigkeiten des Mönches Angst hatten, hielten sich still in der Ecke. Den übrigen Teil der Nacht hatten wir Ruhe.

Sobald der Morgen graut, stehe ich auf; Steffano folgt meinem Beispiel. Ich sehe mich überall um und bin im höchsten Grade erstaunt, als ich sehe, daß die Weiber verschwunden sind. Der Greis lag da, ohne ein Lebenszeichen von sich zu geben ; er hatte eine große Beule auf der Stirn. Ich zeigte sie dem Mönch und sagte ihm, vielleicht hätte er ihn totgeschlagen. »Das kann wohl sein,« antwortete er, »aber wenn ich es getan habe, so geschah es nicht mit Absicht.«

Nun holte er seinen batticulo und geriet in eine fürchterliche Wut, als er die Riesentasche ganz leer fand. Ich freute mich sehr darüber, denn ich hatte befürchtet, die Weiber wären fortgegangen, um Hilfe zu holen und uns verhaften zu lassen. Das Verschwinden unserer Eßvorräte beruhigte mich, denn nun war es sicher, daß die elenden Weiber sich nur aus dem Staube gemacht hatten, um nicht wegen des Diebstahls zur Rechenschaft gezogen zu werden. Trotzdem unterließ ich es nicht, dem Mönch in lebhaften Farben die Gefahren zu schildern, die uns drohten, und es gelang mir, ihm so viel Angst zu machen, daß er sich bereit erklärte, mit mir fortzugehen. Dicht bei dem Hause trafen wir einen Fuhrmann, der nach Foligno wollte. Ich überredete Steffano, sich mit mir diese Gelegenheit zunutze zu machen, um uns schnell zu entfernen. Während wir in Foligno frühstückten, kam ein anderer Kutscher ebenfalls mit einem leeren Wagen, der uns für eine Kleinigkeit mitnahm. So gelangten wir nach Pisignano, wo ein frommer Mann uns sehr gutes Quartier gab. Hier tat ich einen guten Schlaf, denn ich hatte jetzt keine Furcht mehr, verhaftet zu werden.

In der Frühe des nächsten Tages kamen wir nach Spoleti, wo Bruder Steffano zwei Wohltäter hatte. Da er ihnen keinen Anlaß zur Eifersucht geben wollte, begünstigte er sie beide. Wir aßen zu Mittag bei dem einen, der uns wie Fürsten bewirtete, und nahmen Abendessen und Nachtlager bei dem anderen. Dieser war ein reicher Weinhändler, Vater einer zahlreichen und reizenden Familie. Er gab uns ein köstliches Abendessen, und alles wäre sehr nett verlaufen, wenn sich nicht der Mönch, der schon heim Mittagessen ein bißchen viel des Guten genossen hatte, völlig betrunken hätte; in diesem Zustand ließ er sich einfallen, von dem anderen Wohltäter schlecht zu reden; vielleicht dachte er, er tue damit unserem Wirt einen Gefallen. Dies konnte ich nicht ertragen. Als er behauptete, jener habe gesagt, alle Weine unseres Wirtes seien verfälscht und dieser sei ein Spitzbube, da nannte ich ihn ins Gesicht einen Lügner und Schuft. Unser Wirt und seine Frau beruhigten mich, indem sie mir versicherten, sie kennten ihren Nachbarn und wüßten wohl, was sie von ihm zu halten hätten. Der Mönch schmiß mir seine Serviette an den Kopf, als ich ihm seine Lügen vorwarf. Nun nahm ihn unser Wirt sachte unter den Arm, führte ihn in ein Schlafzimmer und schloß ihn ein. Ich legte mich in einem anderen Zimmer zu Bett.

Am anderen Morgen stand ich schon in aller Frühe auf und beschloß, allein weiterzureisen. Aber inzwischen hatte der Mönch seinen Rausch ausgeschlafen; er kam zu mir und sagte, in Zukunft müßten wir in gutem Einverständnis leben und uns nicht mehr erzürnen. Ich fügte mich meinem Schicksal. Wir machten uns wieder auf den Weg. In Sorna gab uns die Wirtin des Gasthauses, eine Frau von seltener Schönheit, ein gutes Mittagessen mit ausgezeichnetem Cypernwein; diesen bringen ihr die venetianischen Kuriere in Austausch gegen vortreffliche Trüffeln, die sie ihnen dafür gibt, und die von ihnen bei ihrer Rückkehr in Venedig vorteilhaft verkauft werden. Ich konnte nicht von ihr scheiden, ohne ihr ein Stückchen von meinem Herzen zurückzulassen.

Kaum kann ich die Entrüstung schildern, die mich erfaßte, als ein paar Miglien vor Terni der niederträchtige Mönch mir ein Säckchen mit Trüffeln zeigte, das zum Dank für ihre dienstbereite Gastfreundschaft das Ungeheuer der reizenden Frau gestohlen hatte. Die gestohlenen Trüffeln waren wenigstens zwei Zechinen wert. Außer mir vor Zorn, stieß ich ihm den Sack aus der Hand und sagte ihm, ich wolle diesen auf alle Fälle der Wirtin zurückschicken. Er hatte aber den Streich keineswegs ausgeübt, um sich den Genuß einer Zurückerstattung gestohlenen Guts zu verschaffen; er warf sich auf mich, und es entspann sich zwischen uns eine regelrechte Prügelei. Der Sieg blieb jedoch nicht lange ungewiß; ich nahm ihm seinen Stock weg, warf ihn rücklings in den Graben und ging. Von Terni aus schrieb ich einen Entschuldigungsbrief an die schöne Wirtin und schickte ihr ihre Trüffeln zurück.

Von Terni ging ich zu Fuß nach Otricoli, wo ich mich nur so lange aufhielt, um in aller Muße mir die schöne antike Brücke anzusehen. Dann nahm ein Vetturino mich für vier Paoli bis Castelnuovo mit, und von dort begab ich mich um Mitternacht zu Fuß nach Rom. Am ersten September um neun Uhr morgens kam ich in der berühmten Stadt an.

Ich darf hier einen sehr eigentümlichen Umstand nicht verschweigen, der mehr als einem Leser gefallen wird, obgleich er im Grunde nur lächerlich war.

Die Luft war ruhig und der Himmel heiter. Eine Stunde hinter Castelnuovo bemerkte ich in einer Entfernung von zehn Schritten an meiner Rechten eine spannenhohe, pyramidenförmige Flamme, die etwa vier oder fünf Fuß über dem Erdboden schwebte. Diese Erscheinung fiel mir auf, denn sie schien mich zu begleiten. Ich wollte sie genauer untersuchen und suchte mich ihr zu nähern, aber sie wich mir aus und blieb immer in der gleichen Entfernung. Sie blieb stehen, sobald ich stillstand; wenn der Rand der Straße mit Bäumen eingefaßt war, verschwand die Flamme und ich sah sie nicht mehr; aber ich fand sie wieder, sobald der Wegrain wieder frei wurde. Ich versuchte auch umzukehren, aber jedesmal verschwand sie und erschien erst wieder, wenn ich von neuem meine Schritte auf Rom zulenkte. Das eigenartige Feuerzeichen verließ mich erst, als das Tageslicht die Schatten der Finsternis verscheuchte.

Welch einen Tummelplatz hätte nicht der unwissende Aberglaube gefunden, wenn ich Zeugen für das Ereignis gehabt hätte und später in Rom sich mir eine glänzende Laufbahn aufgetan hätte! Die Weltgeschichte ist voll von Kleinigkeiten, die genau so viel Wichtigkeit haben, und die Welt ist voll von Leuten, die noch immer viel auf so etwas geben, trotz der vorgeblichen Aufklärung, die der menschliche Geist durch die Wissenschaft empfängt. Ich muß aufrichtig gestehen, daß trotz meinen physikalischen Kenntnissen der Anblick des kleinen Irrlichtes mir doch recht eigentümliche Gedanken eingeflößt hat. Ich war so vorsichtig, keinem Menschen je davon zu sprechen.

Ich hatte bei meinem Eintreffen in der alten Hauptstadt der Welt nur sieben Paoli in der Tasche. Daher ließ ich mich denn auch durch nichts aufhalten: weder das schöne Eingangtor, das Pappeltor, das von der Unwissenheit pomphaft porta del popolo genannt wird, noch von dem ebenso benannten schönen Platz, noch von den Portalen der schönen Kirchen, mit einem Wort: gar nichts von allen imposanten Denkmälern der schönen Stadt machte beim ersten Sehen Eindruck auf mich. Ich ging auf dem nächsten Weg nach Monte-Magna-Napoli, wo ich – so stand es in der Adresse – meinen Bischof finden sollte. Man sagte mir, er sei vor zehn Tagen abgereist und habe Befehl hinterlassen, mich kostenfrei nach Neapel zu befördern an eine Adresse, die mir ubergeben wurde. Ein Wagen dorthin ging schon am nächsten Tage ab; ich machte mir nichts daraus, Rom zu sehen, und blieb bis zum Augenblick der Abfahrt im Bett liegen. Meine Reisegenossen waren drei ungeschliffene Lümmel; ich fuhr mit ihnen den ganzen Weg zusammen und sprach kein einziges Wort mit ihnen. Am sechsten September kam ich in Neapel an.

Kaum aus dem Wagen gestiegen, begebe ich mich nach dem auf der Adresse genannten Ort: der Bischof ist nicht da. Ich gehe sofort zu den Minimen und erfahre bei diesen, daß er nach Martorano abgereist ist. Vergebens erkundige ich mich, ob er nicht Aufträge in bezug auf mich hinterlafsen hahe. Niemand kann mir Bescheid geben. Da stehe ich nun in der Riesenstadt, wo ich keinen Menschen kenne, mit acht Carlinen in der Tasche, und weiß nicht, wo ich mein Haupt niederlegen soll. Einerlei! Mein Schicksal ruft mich nach Martorano. Dorthin werde ich gehen. Die Entfernung beträgt nur zweihundert Miglien3.

Ich finde einige Vetturini, die nach Cosenza fahren wollen. Als sie aber hören, daß ich keinen Koffer habe, wollen sie nichts von mir wissen, wenn ich nicht vorausbezahle. Ich mußte ihnen innerlich recht geben. Aber ich mußte nach Martorano. Ich entschloß mich, den Spaziergang zu Fuß zu machen und ganz frech um Essen und Nachtlager zu betteln, wie es der hochwürdigste Bruder Steffano tat. Zunächst nehme ich für den vierten Teil meines Geldes ein bescheidendes Mahl ein. Das weitere wird sich finden. Ich erfahre, daß ich über Salerno gehen muß, und schlage die Richtung nach Portici ein, wo ich nach anderthalb Stunden anlange. Schon begann sich die Müdigkeit fühlbar zu machen; ich wollte es eigentlich nicht, aber meine Beine lenkten mich zu einem Gasthaus, wo ich ein Zimmer und Abendessen verlangte. Ich werde sehr gut bedient, esse mit gutem Appetit und verbringe eine ausgezeichnete Nacht in einem guten Bett. Am andern Morgen sage ich, nachdem ich mich angezogen habe, zum Wirt, ich würde zu Mittag speisen, und gehe aus, um mir das Königliche Schloß anzusehen. Am Eingang desselben werde ich von einem orientalisch gekleideten Mann mit einnehmenden Gesichtszügen angesprochen. Er sagt mir, wenn ich den Palast besichtigen wollte, würde er mir alles zeigen; auf diese Weise sparte ich mein Geld. Ich war in der Lage, nichts abschlagen zu dürfen; so nahm ich denn sein freundliches Anerbieten dankend an.

Als ich im Laufe der Unterhaltung ihm mitteilte, ich sei Venetianer, sagte er mir, dann sei er mein Untertan, denn er sei von Zante. Ich nahm das Kompliment für das, was es wert war, und machte ihm nur eine leichte Verbeugung.

»Ich habe,« sagte er, »ausgezeichneten Muskatwein aus der Levante, den ich Ihnen billig verkaufen könnte.«

»Ich würde vielleicht welchen kaufen, aber ich bin Kenner.«

»Um so besser. Welchen ziehen Sie vor?«

»Cerigo.«

»Sie haben recht. Ich habe ausgezeichneten Cerigo. Wir werden ihn beim Mittagessen versuchen, wenn es Ihnen recht ist, daß wir miteinander speisen.«

»Recht gern.«

»Ich habe Samos und Kephalonier. Ich habe auch ein Quantum Mineralien: Vitriol, Zinnober, Antimon und hundert Zentner Quecksilber.«

»Alles hier?«

»Nein, in Neapel.«

»Ich werde auch Quecksilber kaufen.«

Es ist ganz natürlich und geschieht ohne jede Absicht einer Täuschung, wenn ein junger Mensch, der an Armut nicht gewöhnt ist und sich schämt, arm zu erscheinen, im Gespräch mit einem Reichen von seinem Vermögen, seinen Mitteln erzählt. Während wir uns unterhielten, fiel mir ein, daß das Quecksilber sich mit Blei und Wismut verbindet. Es nimmt durch die Mischung um ein Viertel zu. Ich sagte nichts davon, aber ich dachte, wenn der Grieche das Geheimnis nicht kennte, würde ich vielleicht Vorteil daraus ziehen können. Ich fühlte, daß ich geschickt vorgehen müßte und daß er sich aus meinem Geheimnis nichts machen würde, wenn ich ihm ohne weiteres vorschlüge, es mir abzukaufen. Ich mußte ihn also mit dem Wunder der Vermehrung überraschen, darüber lachen und ihn an mich herankommen lassen. Schwindelei ist ein Laster, aber ehrenhafte List kann für Klugheit des Geistes gelten. Freilich ist sie eine Tugend, die wie Spitzbüberei aussieht; aber darüber muß man sich hinwegsetzen und wer sie im Fall der Not nicht mit Anstand anzuwenden weiß, der ist ein Dummkopf.

Nachdem wir das Schloß besichtigt hatten, gingen wir nach dem Gasthof; der Grieche führte mich auf sein Zimmer und ließ dort zwei Gedecke auflegen. Im Nebenzimmer sah ich große Flaschen Muskateller und vier Flaschen Quecksilber, von denen jede zehn Pfund wog. Da ich meinen Plan im Kopf hatte, bat ich ihn um eine Flasche Quecksilber zum Marktpreis und trug sie in mein Zimmer. Der Grieche ging aus, um seine Geschäfte zu besorgen; wir würden uns zum Mittagessen wiedersehen, sagte er. Ich ging ebenfalls aus und kaufte zweieinhalb Pfund Blei und ebensoviel Wismut; mehr hatte der Drogist nicht. Ich ging ins Wirtshaus zurück, ließ mir einige große Flaschen geben und nahm meine Mischung vor.

In heiterer Laune speisen wir zu Mittag, und der Grieche ist entzückt, daß ich seinen Cerigo-Muskateller ausgezeichnet finde. Plötzlich fragt er mich lachend, warum ich ihm denn eine Flasche von seinem Quecksilber abgekauft habe. »Das können Sie in meinem Zimmer sehen!« antworte ich. Nach dem Essen kommt er mit mir und sieht sein Quecksilber auf zwei Flaschen verteilt. Ich verlange ein Gemsleder, seihe das Quecksilber durch und fülle die Flasche des Griechen. Er war ganz verblüfft, als er sah, daß ich noch eine viertel Flasche schönes Quecksilber übrig hatte, außerdem eine gleiche Menge eines gepulverten Metalls, das er nicht kannte; es war das Wismut. Über sein Erstaunen lache ich laut auf, rufe den Kellner und schicke ihn zum Drogisten, um das übriggebliebene Quecksilber zu verkaufen. Einen Augenblick darauf kam der Kellner zurück und brachte mir fünfzehn Carlinen.

Der Grieche war ganz starr vor Überraschung; er bat mich, ihm seine ganz volle Flasche zurückzugeben; sie kostete sechzig Carlinen. Lachend gab ich sie ihm, indem ich mich bedankte, daß er mich fünfzehn Carlinen habe verdienen lassen. Zugleich sagte ich ihm mit gutem Vorbedacht, am nächsten Morgen würde ich in aller Frühe nach Salerno abreisen.

»So werden wir also heute abend noch zusammen speisen«, sagte er. Am Nachmittag gingen wir in der Richtung nach dem Vesuv spazieren. Wir sprachen von Tausenderlei, aber vom Quecksilber war nicht die Rede; es kam mir jedoch vor, als mache mein Grieche ein sehr nachdenkliches Gesicht. Beim Abendessen sagte er nur lachend, ich könnte noch den nächsten Tag bleiben, um mit den übrigen drei Flaschen Quecksilber fünfundvierzig Carlinen zu verdienen. Ich antwortete ihm in vornehmem und ernstem Ton, ich hätte das nicht nötig; ich hätte die Vermehrung an der einen Flasche nur vorgenommen, um ihn durch eine angenehme Überraschung zu ergötzen.

»Aber dann müssen Sie ja reich sein?«

»Nein; denn ich arbeite an der Vermehrung des Goldes, und das kostet uns viel.«

»Sie sind also mehrere?«

»Mein Oheim und ich.«

»Was brauchen Sie Gold zu vermehren? Die Vermehrung des Quecksilbers muß Ihnen genügen. Sagen Sie nur bitte, ob das von Ihnen vermehrte sich in gleicher Weise noch weiter vermehren läßt.«

»Nein; wenn das möglich wäre, so wäre es ja eine unerschöpfliche Goldgrube.«

»Ihre Aufrichtigkeit freut mich sehr.«

Nach dem Essen bezahlte ich den Wirt und bat ihn, mir für den nächsten Morgen in aller Frühe einen zweispännigen Wagen nach Salerno zu besorgen. Ich dankte dem Griechen für seinen ausgezeichneten Muskateller, ließ mir seine Adresse in Neapel geben und sagte ihm, in vierzehn Tagen werde er mich wiedersehen, denn ich wolle auf alle Fälle ihm ein Faß von seinem Cerigo abkaufen.

Hierauf umarmten wir uns, und ich ging zu Bett; ich freute mich, mir meinen Unterhalt für den Tag verdient zu haben, und war keineswegs überrascht, daß der Grieche mir nicht den Vorschlag machte, ihm mein Geheimnis zu verkaufen; denn ich war überzeugt, daß er wegen dieser Angelegenheit die Nacht nicht würde schlafen können, und daß ich ihn am nächsten Morgen bei mir würde erscheinen sehen. Auf alle Fälle hatte ich Geld genug, um bis Torre del Greco zu kommen, und dort würde die Vorsehung sich schon meiner annehmen. Es dünkte mir unmöglich, mich wie ein Mönch bis Martorano durchzubetteln; denn so wie ich aussah, konnte ich kein Mitleid erregen. Ich konnte nur Leute interessieren, die überzeugt waren, daß ich nicht in Not sei; und das taugt nicht für richtige Bettler.

Wie ichs vorausgesehen hatte, kam der Grieche schon in der Morgendämmerung zu mir. Ich nahm ihn sehr freundlich auf und sagte ihm, wir würden miteinander Kaffee trinken.

»Gern. Aber sagen Sie, Herr Abbate – würden Sie mir nicht ihr Geheimnis verkaufen?«

»Warum nicht? Wenn wir uns in Neapel wiedertreffen …«

»Warum nicht heute?«

»Ich werde in Salerno erwartet. Außerdem kostet das Geheimnis viel Geld, und ich kenne Sie nicht.«

»Das ist kein Grund; denn ich bin hier so gut bekannt, daß ich bar bezahlen kann. Wieviel verlangen Sie?«

»Zweitausend Unzen

»Ich gebe sie Ihnen, aber unter der Bedingung, daß ich selber an den hier in meinen Händen befindlichen dreißig Pfund die Vermehrung vornehmen kann. Sie werden mir angeben, welche Bestandteile dazu nötig sind, und ich werde diese einkaufen.«

»Das ist nicht möglich; denn hier sind die Bestandteile nicht zu haben; aber in Neapel findet man sie in jeder gewünschten Menge.«

»Wenn es sich um ein Metall handelt, werden wir es in Torre del Greco finden. Wir können zusammen dorthin fahren. Können Sie mir sagen, wieviel die Vermehrung kostet?«

»Anderthalb Prozent. Aber sind Sie auch in Torre del Greco bekannt? Ich möchte nicht gerne meine Zeit verlieren.«

»Ihr Mißtrauen tut mir leid.«

Mit diesen Worten ergreift er eine Feder, schreibt einige Zeilen und übergibt mir eine Anweisung, die folgendermaßen lautet: »Bei Vorweisung zahlen Sie dem Überbringer fünfzig Unzen in Gold und stellen Sie sie auf Rechnung von Panagiotti« usw. usw.

Er sagte mir, der Bankier wohne zwei Minuten vom Gasthof, und forderte mich auf, persönlich hinzugehen. Ich ließ mich nicht lange Bitten und erhielt fünfzig Unzen. Ich kehrte nach meinem Zimmer zurück, wo er mich erwartete, und ich legte das Geld auf den Tisch, indem ich ihm sagte, wir könnten nach Torre del Greco fahren, dort einen schriftlichen Vertrag machen und dann alles in Ordnung bringen. Er hatte Pferde und Wagen und ließ sofort anspannen. Wir fuhren ab, nachdem er mich in sehr anständiger Weise aufgefordert hatte, die fünfzig Unzen in meine Tasche zu stecken.

Als wir in Torre del Greco angekommen waren, verpflichtete er sich schriftlich in aller Form, mir zweitausend Unzen zu bezahlen, sobald ich ihm gesagt hätte, mit welchen Zutaten und in welcher Weise er Quecksilber, gleich dem, das ich in Portici in seiner Gegenwart verkauft hätte, um ein Viertel vermehren könnte, ohne daß dadurch dessen Güte vermindert würde.

Er stellte mir daraufhin einen Wechsel aus, der acht Tage nach Sicht bei Herrn Gennaro de Carlo zu bezahlen war. Hierauf nannte ich ihm Blei und Wismut als die erforderlichen Bestandteile; das Blei verbindet sich seiner Natur nach mit dem Quecksilber und durch das Wismut wird es so flüssig gemacht, wie es notwendig ist, um es durch das Seihleder treiben zu können. Sofort ging mein Grieche aus, um bei irgendeinem Bekannten die Operation vorzunehmen. Ich speiste allein. Am Abend kam er mit sehr traurigem Gesicht zurück. Das hatte ich erwartet.

»Die Operation ist gemacht,« sagte er; »aber das Quecksilber ist nicht tadellos.«

»Es ist gleich dem, das ich in Portici verkauft habe; Ihre schriftliche Verpflichtung spricht klar und deutlich.«

»Aber mein Schriftstück besagt ebenfalls: ohne daß dadurch dessen Güte vermindert würde. Nun geben Sie zu, daß die Güte geringer geworden ist. Der Beweis liegt schon darin, daß es sich nicht zur weiteren Vermehrung verwenden läßt.«

»Das wußten Sie ja. Übrigens halte ich mich an die Stelle, wo von der Gleichheit der Güte die Rede ist. Wir werden einen Prozeß führen, und Sie werden verlieren. Es tut mir leid, daß dadurch das Geheimnis bekannt wird. Sie können sich Glück wünschen, mein werter Herr! Sollten Sie gewinnen, so haben Sie mir mein Geheimnis umsonst abgenommen. Ich hielt Sie nicht für fähig, mich anführen zu wollen.«

»Ich bin überhaupt nicht der Mann, Herr Abbate, irgendeinen Menschen anzuführen.«

»Kennen Sie jetzt das Geheimnis oder nicht? Würde ich es Ihnen gesagt haben, wenn wir nicht den Vertrag miteinander gehabt hätten? Neapel wird lachen, und die Advokaten werden Geld verdienen. Die ganze Geschichte ist mir bereits sehr zuwider, und es tut mir sehr leid, daß ich mich durch Ihre schönen Worte habe bereden lassen. Einstweilen haben Sie hier ihre fünfzig Unzen wieder.«

Während ich, in Todesangst, er könnte es annehmen, das Geld aus der Tasche zog, ging er hinaus, indem er mir sagte, er wolle es nicht haben. Er kam wieder herein, und wir aßen in demselben Zimmer, aber an zwei verschiedenen Tischen. Wir waren in offenem Kriegszustand; aber ich war sicher, daß wir Frieden schließen würden. Den ganzen Abend sprachen wir kein Wort mehr miteinander; aber am anderen Morgen kam er zu mir, als ich schon meine Vorbereitungen zur Abreise traf, und wollte mit mir sprechen. Ich sprach von neuem den Wunsch aus, ihm die fünfzig Unzen zurückzugeben, er antwortete mir, ich solle sie behalten, noch fünfzig dazu empfangen und ihm dafür seinen Wechsel über die zweitausend zurückgeben. Nun fingen wir an, vernünftig zu verhandeln, und nach zwei Stunden gab ich nach. Ich bekam noch fünfzig Unzen, wir aßen als gute Freunde zusammen zu Mittag und umarmten uns herzlich. Beim Abschied gab er mir für sein Lagerhaus in Neapel eine Anweisung auf ein Faß Muskateller und schenkte mir ein prachtvolles Kästchen, das zwölf Rasiermesser mit silbernen Heften aus der Fabrik von Torre del Greco enthielt. Wir trennten uns also in voller Freundschaft und waren gegenseitig vollkommen miteinander zufrieden.

In Salerno blieb ich zwei Tage, um mir Wäsche anzuschaffen und was ich sonst brauchte. Ich war gesund, hatte über hundert Zechinen in der Tasche und war stolz auf meinen Erfolg, über den ich mir meiner Meinung nach keine Vorwürfe zu machen brauchte. Denn mein geschicktes Verhalten beim Verkauf meines Geheimnisses konnte nur von einer zynischen Moral mißbilligt werden, und diese hat im alltäglichen Leben keine Geltung. Als ich mich nun unabhängig und reich sah und sicher war, vor dem Bischof anständig auftreten zu können und nicht wie ein Bettler dazustehen, da gewann ich meine ganze fröhliche Laune wieder und wünschte mir Glück, auf eigene Kosten gelernt zu haben, wie man sich vor Leuten wie Vater Corsini, vor Falschspielern und vor feilen Dirnen in acht zu nehmen hat und besonders vor jenen unverschämten Schmeichlern, die ihre auserkorenen Opfer frech ins Gesicht loben. Diese Art Gauner findet man fast überall in der Welt, sogar in der sogenannten guten Gesellschaft.

Von Salerno fuhr ich mit zwei Priestern, die in Geschäften nach Cosenza reisten, und wir machten die hundertzweiundvierzig Miglien in zweiundzwanzig Stunden. Am Tage nach meiner Ankunft in der Hauptstadt Calabriens nahm ich ein Wägelchen und fuhr nach Martorano. Während der Fahrt weidete ich meine Blicke an dem berühmten Mare Ausonium; mit Freuden sah ich mich in jenem Großgriechenland, das vor vierundzwanzig Jahrhunderten Pythagoras durch seinen Aufenthalt berühmt gemacht hatte. Mit Erstaunen aber sah ich in einem Lande, das wegen seiner Fruchtbarkeit berühmt und von der Natur verschwenderisch mit Gaben überschüttet war, nichts als jämmerliches Elend und völligen Mangel an jenem angenehmen Überflüssigen, wodurch das Leben erst erträglich wird. Dazu die Entartung der spärlichen Bevölkerung, die doch in dieser Gegend so zahlreich sein könnte und die ich nur mit Erröten als Abkömmlinge meiner eigenen Rasse anerkennen konnte. Aber so ist nun einmal die Terra di lavoro, wo Arbeit ein Gegenstand des Abscheus zu sein scheint, aber alles unglaublich billig ist, wo die unglücklichen Bewohner es als eine Erlösung von einer Last ansehen, wenn sie jemanden finden, der ihnen die Früchte abnimmt, die das Land fast ohne jede Bestellung in allzu großem Überfluß hervorbringt und für die sie nichts bekommen können, weil sie gar keine Ausfuhrwege besitzen. Ich mußte gestehen, daß die Römer nicht ungerecht gewesen waren, indem sie sie bruti statt Brutii nannten. Die guten Priester, mit denen ich reiste, lachten über meine Angst vor den Taranteln und Skorpionen; denn die durch diese Insekten hervorgerufene Krankheit erschien mir fürchterlicher als jene andere, die ich bereits kannte. Sie versicherten mir, es sei alles Fabel, was man über die Tiere erzähle; sie lachten über die Verse, die Vergil in seinen Georgica ihnen gewidmet hat, und über die anderen, die ich ihnen zitierte, um meine Furcht zu rechtfertigen.

Ich fand den Bischof Bernardo de Bernardis auf einem schlechten Stuhl vor einem armseligen Tisch sitzen, an dem er arbeitete. Ich kniete nieder, wie es Brauch ist; aber anstatt mir seinen Segen zu geben, stand er auf, nahm mich in seine Arme und drückte mich an seine Brust. Er war aufrichtig getrübt, als ich ihm sagte, daß ich in Neapel keine Auskunft gefunden hätte, um zu ihm zu gelangen und mich ihm zu Füßen zu werfen. Aber seine Betrübnis verschwand, als ich ihm sagte, ich sei keinem Menschen etwas schuldig und befinde mich wohlauf. Er ließ mich Platz nehmen, seufzte, sprach gefühlvoll von der Armut und befahl einem Diener, ein drittes Gedeck aufzulegen. Außer diesem Bedienten hatte der Bischof nur noch eine Magd in höchst kanonischem Alter und einen Priester, der nach den wenigen Worten, die er bei Tisch sagte, mir ein großer Ignorant zu sein schien. Das von Seiner Gnaden bewohnte Haus war geräumig, aber schlecht gebaut und schlecht gehalten. Es war so schlecht möbliert, daß der arme Bischof eine von den beiden Matratzen seines Bettes abtreten mußte, damit für mich in einem Zimmer neben dem seinen ein armseliges Lager bereitet werden konnte! Sein Essen entsetzte mich – um nicht mehr davon zu sagen. Da er sehr fest an der Observanz seines Ordens hielt, so gab es nur Fastenspeisen, und das Öl war abscheulich. Übrigens war Monsignore ein kluger Mann und, was mehr ist, ein Ehrenmann. Er sagte mir zu meiner großen Überraschung, sein Bistum, das keineswegs zu den kleinsten gehörte, bringe ihm jährlich nur 500 Ducati di regno und zum Unglück habe er obendrein noch 600 Ducati Schulden. Seufzend setzte er hinzu, er habe nur das einzige Glück, daß er den Klauen der Mönche entgangen sei, deren Verfolgungen ihm die letzten fünfzehn Jahre zu einem wahren Fegefeuer gemacht hätten. Alle diese vertraulichen Mitteilungen betrübten mich, denn ich sah, daß ich hier nicht das gelobte Land der Mitra gefunden hatte, und ich fühlte, daß ich dem Bischof sehr zur Last fallen mußte. Ich sah daß er selber sehr niedergeschlagen war, mir ein so trauriges Geschenk gemacht zu haben.

Ich fragte ihn, ob er gute Bücher habe, Umgang mit wissenschaftlich gebildeten Leuten und eine vornehme Gesellschaft, mit der man ein paar Stunden angenehm verbringen könne. Er lächelte und sagte mir, in seinem ganzen Sprengel sei tatsächlich niemand, der sich rühmen könnte, gut zu schreiben, noch weniger guten Geschmack oder einen Begriff von guter Literatur zu haben. Es gebe keinen einzigen richtigen Buchhändler, ja es gebe sogar niemanden, der Interesse am Zeitungslesen habe! Er versprach mir jedoch, wir wollten zusammen die Wissenschaften pflegen, sobald er die in Neapel bestellten Bücher erhalten hätte.

Das hätte ja wohl sein können; aber ohne eine gute Bücherei, ohne einen auserlesenen Verkehrskreis, ohne geistigen Wetteifer, ohne literarischen Briefwechsel – war dies das Land, wo ich im Alter von achtzehn Jahren mich fest niederlassen konnte? Als der gute Bischof sah, daß ich nachdenklich wurde, daß ich wie betäubt war von der Aussicht auf das traurige Leben, das ich bei ihm zu führen erwarten mußte, da glaubte er mich ermutigen zu müssen, indem er mir versicherte, er werde alles tun, was in seinen Kräften stehe, um mein Glück zu machen.

Am anderen Morgen hatte der Bischof in vollem Ornat Hochamt abzuhalten; hierdurch erhielt ich Gelegenheit, den ganzen Klerus zu sehen, sowie die Frauen und Männer, die den Dom füllten. Dieser Anblick brachte mich zum Entschluß, dies traurige Land zu verlassen. Ich glaubte eine Herde von stumpfsinnigem Vieh zu sehen, das sich über meine ganze äußere Erscheinung aufregte. Wie häßlich waren die Frauen! Wie stumpfsinnig und plump sahen die Männer aus! In den bischöflichen Palast zurückgekehrt, sagte ich dem guten Prälaten, ich fühlte keinen Beruf in mir, binnen wenigen Monaten in seiner traurigen Stadt als Märtyrer zu sterben. »Geben Sie mir«, fuhr ich fort, »Ihren Segen und meinen Abschied; oder besser noch: gehen Sie mit mir zusammen fort; ich verspreche Ihnen, wir werden anderswo unser Glück machen.«

Über diesen Vorschlag lachte er im Lauf des Tages noch zu wiederholten Malen. Hätte er ihn angenommen, so wäre er nicht zwei Jahre darauf in der Blüte seines Lebens gestorben. Der wackere Mann fühlte wohl, wie sehr mein Widerstreben gegen den Aufenthalt bei ihm begründet war, und er bot mich um Verzeihung, daß er den Fehler begangen habe, mich nach Martorano kommen zu lassen. Er hielt es für seine Pflicht, mich nach Venedig zurückzubefördern; da er aber kein Geld hatte und nicht wußte, daß ich welches besaß, so sagte er mir, er würde mich in Neapel an einen dortigen Bürger empfehlen, der mir sechzig Dukaten auszahlen würde; hiermit könnte ich nach meiner Vaterstadt heimreisen. Dankbar nahm ich sein Anerbieten an und holte dann schnell aus meinem Koffer das schöne Etui mit den Rasiermessern, das mir der Grieche gegeben hatte. Ich bat den Bischof, es zur Erinnerung anzunehmen. Es kostete mich sehr große Mühe, ihn zur Annahme dieses Geschenkes zu bewegen; denn es war seine sechzig Dukaten wert; um seinen Widerstand zu besiegen, mußte ich ihm schließlich drohen, ich würde dableiben, wenn er es nicht annähme.

Er gab mir einen sehr schmeichelhaften Brief an den Erzbischof von Cosenza, den er bat, mich auf seine, des Bischofs Kosten, nach Neapel zu befördern. So verließ ich Martorano sechzig Stunden nach meiner Ankunft dortselbst. Ich beklagte den zurückbleibenden Bischof, der unter Tränen mir hundertmal seinen Segen spendete.

Der Erzbischof von Cosenza, ein geistvoller und reicher Prälat, war so freundlich, mich als seinen Gast bei sich zu behalten. Bei Tisch sang ich aus überströmendem Herzen das Lob des Bischofs von Martorano; aber unbarmherzig zog ich über seinen Sprengel und über das ganze Calabrien los, und meine Bemerkungen waren so bissig, daß der Erzbischof und seine Gäste herzlich darüber lachten. Unter diesen Gästen befanden sich zwei Damen, Verwandte des hohen Herrn, die bei Tisch die Honneurs machten. Die jüngere von ihnen ärgerte sich über meine Beschreibung ihrer Heimat und erklärte mir deswegen den Krieg. Ich fand aber das rechte Mittel sie zu beruhigen, indem ich ihr sagte, Calabrien wäre ein entzückendes Land, wenn der vierte Teil seiner Bewohner ihr gliche. Vielleicht um mir das Gegenteil meiner Behauptungen zu beweisen, gab Monsignore am nächsten Tage ein glänzendes Abendessen.

Cosenza ist eine Stadt, wo ein Angehöriger der guten Gesellschaft sich wohl unterhalten kann. Denn er findet dort einen reichen Adel, hübsche Frauen und recht gebildete Leute, die ihre Erziehung in Rom oder Neapel erhalten haben. Am dritten Tage reiste ich ab; der Erzbischof gab mir einen Brief an den berühmten Genovesi mit.

Ich hatte fünf Reisegefährten, die ich nach ihrem Aussehen für Seeräuber oder gewerbsmäßige Spitzbuben hielt. Ich brauchte daher die Vorsicht, sie nicht sehen oder auch nur ahnen zu lassen, daß ich eine wohlgefüllte Börse hei mir hatte. Auch glaubte ich im Bette stets meine Kleider anbehalten zu müssen, in jenem Lande eine ausgezeichnete Vorsichtsmaßregel für einen jungen Mann.

Am 16. September 1743 kam ich in Neapel an und bestellte sofort den Brief des Bischofs von Martorano an seine Adresse. Sie lautete auf Herrn Gennaro Polo in Sant‘ Anna. Dieser Herr, der weiter keine Aufgabe hatte, als mir sechzig Reichsdukaten auszuzahlen, sagte mir, nachdem er den Brief gelesen hatte, er wünsche mich in seinem Hause zu beherbergen, damit ich seinen Sohn kennenlerne, der ebenfalls Dichter sei. Der Bischof schreibe ihm, ich sei ein ausgezeichneter Poet. Nachdem ich aus Höflichkeit einige Umstände gemacht hatte, nahm ich die Einladung an und ließ meinen Koffer nach seinem Hause bringen.

  1. Tartane ist ein Schiff, das nur Haupt- und Fockmast hat und dreieckige Segel führt.
  2. Etwa fünfzig deutsche Meilen.

Achtes Kapitel


Kurzer, aber glücklicher Aufenthalt in Neapel. – Don Antonio Casanova. – Don Lelio Caraffa. – Ich fahre in reizender Gesellschaft nach Rom und trete dort in den Dienst des Kardinals Acquavina ein. – Barbaruccia. – Lestaccio. – Frascati.

Auf die verschiedenen Fragen, die Doktor Gennaro an mich richtete, konnte ich ohne alle Verlegenheit antworten; aber sehr sonderbar, ja unangebracht fand ich die fortwährenden Ausbrüche von Gelächter, die bei jeder meiner Antworten aus seiner Brust hervorkamen. Meine mitleidsvolle Beschreibung des traurigen Calabriens und meine Schilderung der elenden Lage des Bischofs von Martorano mußten nach meiner Meinung eher zu Tränen rühren als Heiterkeit erwecken. Ich glaubte daher, er wolle mich zum besten halten und war schon nahe daran, mich zu ärgern, als er wieder ruhiger wurde und mir in herzlichem Tone sagte, ich müsse ihn entschuldigen; sein Lachen sei eine Krankheit, die anscheinend in seiner Familie heimisch sei, denn ein Oheim von ihm sei daran gestorben.

»An Lachen gestorben?« rief ich.

»Ja. Diese Krankheit, die Hippokrates nicht gekannt hat, nennt man die flati

»Wie? Dies hypochondrische Leiden, das sonst alle davon Befallenen traurig stimmt, es macht Sie heiter?«

»Ja. Ohne Zweifel kommt dies daher, daß meine flati statt auf die Rippenweiche bei mir auf die Milz wirken, die nach meinem Arzt das Organ des Lachens ist. Er hat da eine Entdeckung gemacht.«

»Keineswegs. Diese Ansicht ist schon sehr alt; es ist sogar die einzige Funktion, die wir der Milz in unserm animalischen Organismus anweisen können.«

»Nun darüber wollen wir uns bei Tische unterhalten, denn ich hoffe doch, Sie bleiben etliche Wochen hier.«

»Unmöglich. Spätestens übermorgen reise ich ab.«

»Sie haben also Geld?«

»Ich rechne auf die sechzig Dukaten, die Sie mir auszahlen sollen.«

Bei diesen Worten geht wieder das Lachen los. Da ich sichtlich in Verlegenheit gerate, sagt er: »Ich finde den Gedanken scherzhaft, daß ich Sie hier zurückhalten kann, solange ich Lust habe. Aber, Herr Abbate, haben Sie doch die Güte, meinen Sohn aufzusuchen, er macht recht hübsche Verse.«

Der vierzehnjährige Jüngling war wirklich schon ein großer Dichter. Ein Mädchen führte mich zu ihm, und ich fand in ihm einen Jüngling mit sehr angenehmen Gesichtszügen und außerordentlich liebenswürdigen Manieren. Er empfing mich sehr höflich und entschuldigte sich dann in anmutiger Weise, daß er sich für den Augenblick mir nicht ganz und gar widmen könne; er habe ein Gedicht fertig zu machen, da eine Verwandte der Herzogin von Bovino in Santa Chiara den Schleier nehmen solle; die Druckerei warte auf das Manuskript. Ich fand seine Entschuldigung sehr berechtigt und erbot mich, ihm zu helfen. Er las mir sein Gedicht vor; es war voll Begeisterung in Versen nach Art des Guidi geschrieben; ich riet ihm daher, es Ode zu nennen. Nachdem ich voll Überzeugung die wirklich schönen Stellen hervorgehoben hatte, glaubte ich ihn auch auf einige Schwächen und Mängel aufmerksam machen zu dürfen, indem ich ihm dafür andere Verse zu setzen vorschlug, die ich selber machte. Er war entzückt über meine Bemerkungen, dankte mir herzlich und fragte mich, ob ich Apollo sei. Während er die Ode abschrieb, machte ich ein Sonett auf denselben Gegenstand. Sehr erfreut darüber, ersuchte er mich, das Sonett mit meinem Namen zu unterzeichnen, und bat mich, es zusammen mit seiner Ode in die Druckerei schicken zu dürfen.

Während ich mein Gedicht verbesserte und ins reine schrieb, ging er zu seinem Vater und fragte ihn, wer ich sei. Hierüber lachte dieser, bis wir uns zu Tische setzten. Am Abend wurde für mich ein Bett im Zimmer des jungen Dichters aufgeschlagen, worüber ich wirklich erfreut war.

Die Familie des Doktors Gennaro bestand nur aus diesem Sohn, einer nicht eben hübschen Tochter, seiner Frau und zwei sehr frommen alten Schwestern. Beim Abendessen hatten wir mehrere Literaten zu Tisch, unter anderen auch den Marchese Galiani, der damals an einem Kommentar zum Vitruv arbeitete. Seinen Bruder, den Abbé Galiani4, lernte ich zwanzig Jahre später in Paris als Gesandtschaftssekretär beim Grafen Cantillana kennen.

Am nächsten Tage machte ich die Bekanntschaft des berühmten Genovesi, der bereits den Brief des Erzbischofs von Cosenza erhalten hatte. Er sprach mit mir viel über Apostolo Zeno und den Abbate Conti. Beim Essen sagte er, die geringste Sünde, die ein Priester begehen könne, sei die, an einem Tage zwei Messen zu lesen, um zwei Carlinen mehr zu verdienen; ein Weltgeistlicher dagegen, der dieselbe Sünde beginge, verdiene den Feuertod.

Am Tage darauf nahm die Nonne den Schleier und unter den zu diesem Anlaß veröffentlichten Gedichten fanden die Ode des jungen Gennaro und mein Sonett am meisten Beifall. Ein Neapolitaner, der denselben Namen trug wie ich, bekam Lust, mich kennenzulernen, und da er erfuhr, daß ich beim Doktor wohne, stattete er diesem zu seinem Namensfeste gleich am nächsten Tage nach der Feier in Santa Chiara einen Glückwunschbesuch ab.

Don Antonio Casanova nannte mir seinen Namen und fragte mich, ob meine Familie venetianischen Ursprungs sei.

»Ich bin, mein Herr,« antwortete ich ihm mit bescheidener Miene, »ein Urenkel vom Enkel des unglücklichen Marcantonio Casanova; er war Sekretär des Kardinals Pompeo Colonna und starb unter Papst Clemens dem Siebenten im Jahre 1528 zu Rom an der Pest.«

Kaum hatte ich diese Worte gesprochen, so fiel Don Antonio mir um den Hals und nannte mich seinen Vetter. Im selben Augenblick bekam die ganze Gesellschaft Angst, daß Don Gennaro vor Lachen sterben würde; denn es schien nicht möglich, daß ein Mensch ohne Lehensgefahr so furchtbar lachen könnte. Frau Gennaro machte ein sehr ärgerliches Gesicht und sagte zu meinem neuen Vetter, er hätte wohl ihrem Manne diesen Auftritt ersparen können, da ihm ja doch seine Krankheit bekannt wäre. Don Antonio ließ sich aber nicht aus der Fassung bringen und antwortete ihr, er habe nicht ahnen können, daß die Sache lächerlich sei. Ich sagte kein Wort; denn im Grunde fand ich diese Verwandtschaftserkennung sehr lächerlich. Als unser armer Lachkranker sich wieder beruhigt hatte, lud Casanova, ohne seine ernste Miene zu verändern, mich und den jungen Paolo, der mein unzertrennlicher Freund geworden war, für den nächsten Tag zum Essen ein. Sobald wir zu ihm kamen, beeilte sich mein würdiger Vetter, mir seinen Stammbaum zu zeigen, der mit einem Bruder Don Juans, Don Francisco, begann. In dem meinigen, den ich auswendig wußte, war Don Juan5, von dem ich in grader Linie abstammte, als nachgeborener Sohn bezeichnet. Es war wohl möglich, daß er von Marcantonio einen Bruder gehabt hatte. Als aber Don Antonio erfuhr, daß meine Genealogie mit dem Aragonier Don Francisco begann, der zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts lebte, daß folglich der ganze Stammbaum des erlauchten Hauses der Casanova von Saragossa auch der seinige war, da war er vor Freude außer sich: er wußte nicht, was er alles anstellen sollte, um mich zu überzeugen, daß in unseren Adern dasselbe Blut rolle.

Er schien gerne wissen zu wollen, welcher glückliche Zufall mich nach Neapel geführt habe; ich sagte ihm, ich hätte mich dem geistlichen Stande zugewandt und wollte nach Rom gehen, um dort womöglich mein Glück zu machen. Er stellte mich nun seiner Familie vor, und es schien, als bemerkte ich in den Gesichtszügen seiner Eheliebsten, meiner Base, kein sehr großes Entzücken über den neuen Verwandten. Aber seine sehr hübsche Tochter und seine noch hübschere Nichte hätten mich leicht zum Glauben an die Macht des Blutes bekehren können, so fabelhaft diese auch sein mag.

Nach dem Essen sagte Don Antonio zu mir, die Herzogin von Bovino habe den Wunsch geäußert, zu erfahren, wer der Abbate Casanova sei, der das Sonett auf ihre Verwandten gemacht habe; er werde es sich zur Ehre anrechnen, mich ihr als seinen Verwandten vorzustellen. Da wir unter vier Augen waren, so bat ich ihn, mir diesen Besuch zu erlassen, da ich nur für die Reise ausgerüstet sei und meine Börse schonen müsse, um nicht in Rom ohne Geld anzukommen. Meine Offenherzigkeit freute ihn, und meine Gründe leuchteten ihm ein, aber er sagte: »Ich bin reich, und Sie dürfen keine Bedenken haben, sondern müssen mir erlauben, Sie zu einem Schneider zu führen.« Er versicherte mir noch, kein Mensch werde jemals etwas von seinem Anerbieten erfahren, dagegen werde es ihn kränken, wenn ich ihm nicht dies Vergnügen machen wolle, das er von mir erwarte. Ich schüttelte ihm die Hand und sagte, ich wolle alles tun, was er wünsche. Wir gingen zu einem Schneider, der mir zu allen von Don Antonio bestellten Kleidern Maß nahm, und am nächsten Tage hatte ich alles, was der vornehmste Abbate für seine Toilette nötig haben kann. Don Antonio machte mir einen Besuch, blieb bei Don Gennaro zum Essen und führte hierauf mich und den jungen Paolo zur Herzogin. Die Dame behandelte mich auf neapolitanische Art und duzte mich sofort. Bei sich hatte sie ihre sehr hübsche zehn- oder zwölfjährige Tochter, die einige Jahre später Herzogin von Maddalone wurde. Die Herzogin schenkte mir eine Tabaksdose aus hellem Schildpatt mit eingelegten Goldarabesken; hierauf lud sie uns für den nächsten Tag zum Essen ein, indem sie uns sagte, daß wir nachher ins Kloster Santa Chiara gehen würden, die neue Nonne zu besuchen.

Ich trennte mich von meinem Vetter und jungen Freund und ging allein nach Panagiottis Lagerhaus, um das Faß Muskateller in Empfang zu nehmen. Der Lagerverwalter war so freundlich, es in zwei Fäßchen von gleicher Größe umfüllen zu lassen. Von diesen sandte ich eins an Don Antonio, das andere an Don Gennaro. Beim Fortgehen begegnete ich dem ehrlichen Griechen, der mich mit Vergnügen wiedersah. Mußte ich erröten, diesen braven Mann wiederzusehen, den ich getäuscht hatte? Nein; denn er fand, ich hätte mich gegen ihn sehr anständig benommen.

Als ich nach Hause kam, dankte Don Gennaro mir, ohne zu lachen, für mein kostbares Geschenk, und am nächsten Tage schenkte Don Antonio mir zum Ausgleich für den ausgezeichneten Muskateller, den ich ihm geschickt hatte, einen Stock mit goldenem Knopf, der wenigstens zwanzig Unzen wert war, und sein Schneider brachte mir einen Reiseanzug und einen blauen Überrock mit goldgestickten Knopflöchern, alles vom feinsten Tuch, so daß ich jetzt wirklich prachtvoll ausgerüstet war.

Bei der Herzogin von Bovino machte ich die Bekanntschaft des weisesten aller Neapolitaner, des erlauchten Don Lelio Caraffa, von der herzoglichen Familie Maddalone, den der König Don Carlos mit dem Namen Freund beehrte.

Im Sprechzimmer von Santa Chiara verbrachte ich zwei köstliche Stunden in belebter Unterhaltung und hielt der Neugier aller Nonnen stand, die an den Sprechgittern waren. Hätte mein Schicksal mich in Neapel festgehalten, so würde ich dort mein Glück gemacht haben. Aher obwohl ich keinen bestimmten Plan hatte, so schien es mir doch, als rufe das Geschick mich nach Rom; ich widerstand daher den dringenden Bitten meines Vetters Don Antonio, der mir in mehreren der ersten Häuser eine ehrenvolle Stellung als Erzieher des Stammhalters verschaffen wollte.

Das Diner, das Don Antonio gab, war prachtvoll, aber er war dabei nachdenklich und übelgelaunt, denn er sah wohl, daß seine Frau den neuen Vetter mit scheelen Blicken ansah. Mehr als einmal glaubte ich zu bemerken, daß sie meinen neuen Anzug musterte und hierauf ihrem Tischnachbarn etwas ins Ohr sagte. Ohne Zweifel wußte sie alles. Es gibt im Leben gewisse Lagen, mit denen ich mich niemals habe abfinden können. Wenn in der glänzendsten Gesellschaft eine einzige Person ist, die mich auffällig mustert, so verliere ich die Selbstbeherrschung. Ich werde verdrießlich, weiß nicht mehr, was ich sagen soll, und stehe wie ein Einfaltspinsel da. Dies ist ein Fehler, aber ich kann nichts dafür.

Don Lelio Caraffa ließ mir ein hohes Gehalt anbieten, wenn ich den Studiengang seines Neffen, des damals zehnjährigen Herzogs von Maddalone leiten wollte. Ich ging zu ihm, um mich zu bedanken, und bat ihn, er möchte auf andere Art mein wahrer Wohltäter werden, indem er mir einige gute Empfehlungsbriefe für Rom mitgäbe. Diese Gunst gewährte der hohe Herr mir ohne Zögern, indem er mir schon am anderen Tage zwei Briefe sandte, einen für den Kardinal Acquaviva, den anderen für den Pater Georgi.

Da ich sah, daß meine Freunde in ihrer Teilnahme für mich mir die Ehre verschaffen wollten, Ihrer Majestät der Königin die Hand zu küssen, so beeilte ich mich mit meinen Vorbereitungen zur Abreise. Denn natürlich hätte die Königin mich ausgefragt und ich hätte ihr dann sagen müssen, daß ich Martorano und den von ihr auf den dortigen Bischofssitz beförderten armen Bischof verlassen hatte. Außerdem kannte die Fürstin meine Mutter; nichts hätte sie verhindern können zu erzählen, was diese in Dresden war; dies würde Don Antonio gekränkt haben, und mein Stammbaum wäre lächerlich gewesen. Ich kannte die Macht der Vorurteile: ich wäre unrettbar blamiert gewesen. Ich glaubte daher gut zu tun, wenn ich den günstigen Augenblick benutzte und abreiste. Beim Abschied schenkte Don Antonio mir eine goldene Uhr und übergab mir einen Brief für Don Gasparo Vivaldi, der sein bester Freund sei, wie er sagte. Don Gennaro zählte mir meine sechzig Dukaten auf, und sein Sohn bat mich, ihm zu schreiben, und schwor mir ewige Freundschaft. Alle begleiteten mich bis zu meinem Wagen; ihre Tränen mischten sich mit den meinigen, und sie überhäuften mich mit Glück- und Segenswünschen.

Von meiner Landung in Chiozza bis zu meiner Ankunft in Neapel hatte das Glück es sich zur Aufgabe gemacht, mich zu verfolgen; seit meiner Ankunft in Neapel nahm es eine weniger saure Miene an, und nach meiner Rückkehr dorthin zeigte es mir nur noch ein gönnerhaft-freundliches Lächeln. Neapel ist mir immer günstig gewesen, wie der Leser noch sehen wird. Er hat gewiß noch nicht vergessen, daß ich in Portici auf dem gefährlichen Punkt war, wo mein Geist der Gemeinheit hätte anheimfallen können, und gegen Erniedrigung des Geistes gibt es keine Hilfe, denn nichts kann ihn wieder hochbringen. Wer dieser Entmutigung verfällt, ist unrettbar verloren.

Ich war nicht undankbar gegen den guten Bischof von Martorano; denn wenn er mir auch, ohne es zu wollen, Böses zugefügt hatte, so gestand ich mir doch gerne selber ein, daß sein Brief an Don Gennaro die Quelle alles Guten war, das mir seitdem widerfahren war. Ich schrieb ihm von Rom aus.

Die ganze schöne Toledostraße entlang war ich damit beschäftigt, meine Tränen zu trocknen, und erst als wir die Stadt verließen, konnte ich mich mit dem Aussehen meiner Reisegefährten beschäftigen. An meiner Seite sah ich einen Mann von vierzig bis fünfzig Iahren, von angenehmem Äußeren und munterer Miene; mir gegenüber aber fesselten zwei reizende Gesichter meine Blicke. Es waren zwei junge, hübsche Damen in sehr sauberen Kleidern und von freiem und zugleich züchtigem Anstand. Diese Entdeckung war mir sehr angenehm, aber mir war das Herz schwer und Schweigen für mich eine Notwendigkeit. Wir kamen in Aversa an, ohne ein Wort gesprochen zu haben; und da der Vetturino uns sagte, er würde hier nur so lange anhalten, um seine Maultiere zu tränken, so stiegen wir nicht aus. Von Aversa bis Capua plauderten meine Reisegenossen fast ununterbrochen; ich aber – es ist unglaublich! – tat nicht ein einziges Mal den Mund auf. Es machte mir Spaß, die neapolitanische Mundart des Herrn und die hübsche römische Aussprache der beiden Damen zu hören. Es war wirklich eine Kraftleistung von mir, fünf Stunden lang zwei reizenden Frauen gegenüberzusitzen, ohne ein einziges Wort, ein einziges Kompliment an sie zu richten.

In Capua, wo wir die Nacht zubringen sollten, stiegen wir in einem Gasthof ab. Man gab uns ein Zimmer mit zwei Betten für uns alle – in Italien etwas durchaus nicht Ungewöhnliches. Der Neapolitaner sagte zu mir: »So werde also ich die Ehre haben, mit dem Herrn Abbate in einem Bett zu schlafen.« Ich antwortete ihm, ohne eine Miene zu verziehen: es stehe bei ihm, die Wahl zu treffen und sogar es anders anzuordnen. Über diese Antwort lächelte die eine der beiden Damen, und zwar grade die, die mir am besten gefiel; ich erblickte darin ein gutes Vorzeichen.

Beim Abendessen waren wir zu fünf, denn es ist üblich, daß der Vetturino seine Fahrgäste verköstigt, falls nicht besondere Abmachungen getroffen worden sind, und dann ißt er mit ihnen zusammen. Bei unseren gleichgültigen Tischgesprächen fand ich in den Bemerkungen meiner Reisegefährten Anstand, Geist und Weltgewandtheit. Das machte mich neugierig. Ich ging nach dem Essen hinaus und fragte den Fuhrmann, wer meine Reisegefährten seien. »Der Herr«, sagte er mir, »ist Advokat, und eine von den beiden Damen ist seine Frau; ich weiß aber nicht welche.«

Bald darauf kam ich wieder ins Zimmer und ging aus Höflichkeit zuerst zu Bett, um den Damen zu ermöglichen, sich nach ihrer Bequemlichkeit zu entkleiden. Am Morgen stand ich ebenfalls zuerst auf, ging aus und kam erst wieder herein, als man mich zum Frühstück rief. Wir hatten ausgezeichneten Kaffee, den ich sehr lobte, und die Liebenswürdigste versprach mir für die ganze Dauer der Reise ebensolchen. Nach dem Frühstück kam ein Barbier; der Advokat ließ sich rasieren, und hierauf bot der Bursche auch mir seine Dienste an. Ich sagte ihm, ich brauchte ihn nicht, und er ging hinaus, indem er sagte, der Bart sei eine Unsauberkeit.

Als wir im Wagen saßen, bemerkte der Advokat, fast alle Barbiere seien unverschämt.

»Man müßte aber doch erst wissen,« sagte die Schöne, »ob der Bart eine Unsauberkeit ist oder nicht.«

»Das ist er,« antwortete der Advokat, »denn er ist ein Exkrement.«

»Das kann wohl sein,« sagte ich, »aber man sieht ihn nicht dafür an. Nennt man denn die Haare ein Exkrement? Man pflegt sie sehr sorgfältig, und doch sind sie von derselben Art wie der Bart. Man bewundert ja im Gegenteil ihre Schönheit und Länge.«

»Folglich«, bemerkte die Fragestellerin, »ist der Barbier ein Dummkopf.«

»Ja, aber noch eins!« fragte ich; »habe ich denn einen Bart?«

»Ich glaubte es«, antwortete sie.

»In diesem Fall werde ich in Rom beginnen, mich rasieren zu lassen; denn es ist das erstemal, daß ich mir diesen Vorwurf machen höre.«

»Meine liebe Frau,« sagte der Advokat, »du hättest den Mund halten müssen, denn möglicherweise geht der Herr Abbate nach Rom, um dort Kapuziner zu werden.«

Über diesen Witz mußte ich lachen; da ich ihm aber nicht das letzte Wort lassen wollte, sagte ich, er habe richtig geraten, aber die Lust sei mir vergangen, als ich die gnädige Frau gesehen habe.

»O, da tun Sie aber unrecht«, versetzte der lustige Neapolitaner; »denn meine Frau hat die Kapuziner sehr gern, und ihr zuliebe müssen Sie bei Ihrem Beruf bleiben.«

Diese scherzhaften Bemerkungen führten zu mehreren anderen; in angenehmer Weise verging uns der Tag, und am Abend entschädigte eine geistvolle Unterhaltung über alles mögliche uns für das schlechte Essen, das uns in Garigliano vorgesetzt wurde. Meine erwachende Neigung wurde immer stärker durch das liebenswürdige Benehmen der Frau, der sie galt.

Am anderen Morgen fragte mich die liebenswürdige Dame, sobald wir wieder im Wagen saßen, ob ich vor meiner Rückkehr nach Venedig einige Zeit in Rom zu verweilen gedächte. Ich antwortete ihr: »Da ich doch niemanden kenne, so fürchte ich mich zu langweilen.«

»Man hat dort die Fremden sehr gern, und ich bin überzeugt, daß es Ihnen gefallen wird.«

»Ich könnte also hoffen, daß Sie, Signora, mir erlauben würden, Ihnen den Hof zu machen?«

»Sie würden uns damit eine Ehre erweisen«, sagte der Advokat.

Ich hielt meine Blicke fest auf seine reizende Frau geheftet und sah sie erröten, tat aber so, als bemerkte ich es nicht. Wir plauderten weiter, und der Tag verstrich ebenso angenehm, wie der vorhergehende. In Terracina, wo wir haltmachten, gab man uns ein Zimmer mit drei Betten: zwei schmalen und einem breiteten in der Mitte. Natürlich schliefen die beiden Schwestern zusammen und nahmen das große Bett. Sie legten sich hinein, während der Advokat und ich, ihnen den Rücken zukehrend, noch bei Tische saßen und plauderten. Sobald die Damen zu Bett waren, legte auch der Advokat sich nieder; er wählte das Bett, worauf seine Nachtmütze lag; ich hatte das andere, das vom großen Bett nur einen Fuß weit entfernt war. Ich sah, daß die Schöne, die bereits mein Herz gefangengenommen hatte, an der mir zugewandten Seite lag, und ich glaubte ohne Eitelkeit mir vorstellen zu können, daß nicht der Zufall allein dies so gefügt hätte.

Ich löschte das Licht und ging zu Bett; im Kopfe wälzte ich einen Plan, den ich weder auszuführen noch zu verwerfen wagte. Vergebens rief ich dem Schlaf. Ein ganz schwacher Lichtschein erlaubte mir das Bett zu sehen, worin die reizende Frau lag. Davor konnte ich kein Auge schließen. Wer weiß, wozu ich mich endlich noch entschlossen hätte – denn ich kämpfte seit einer Stunde – als ich sie plötzlich sich aufrichten und leise ihr Bett verlassen sah. Sie ging um das Bett herum und legte sich in das ihres Mannes, der ohne Zweifel friedlich weiterschlief, denn ich hörte kein Geräusch mehr. Verdrießlich, angeekelt, versuchte ich mit aller Gewalt einzuschlafen, und ich wachte erst mit dem Morgenrot auf. Ich sah die schöne Nachtschwärmerin in ihrem Bett, stand auf, zog mich schnell an und ging hinaus. Alle lagen noch in tiefem Schlaf. Erst im Augenblick der Abfahrt kehrte ich nach dem Gasthof zurück, vor dem der Advokat und die beiden Damen mich bereits im Wagen sitzend erwarteten.

Meine Schöne beklagte sich sanft und liebenswürdig darüber, daß ich ihren Kaffee nicht hätte haben wollen. Ich entschuldigte mich damit, daß ich das Bedürfnis gehabt hätte, spazierenzugehen, und vermied es sorgfältig, sie nur mit einem einzigen Blick zu beehren. Ich tat, als hätte ich Zahnweh, und war verdrießlich und schweigsam. In Piperno benutzte sie eine günstige Gelegenheit, um mir unbemerkt zu sagen, meine Zahnschmerzen seien nur Verstellung. Über diesen Vorwurf freute ich mich, denn ich sah voraus, daß es zu einer Erklärung kommen würde, die trotz meinem Verdruß mir nicht unerwünscht war.

Den Nachmittag über war ich wie am Morgen düster und einsilbig, bis wir in Sermonetta ankamen, wo wir über Nacht bleiben sollten. Wir trafen schon zeitig ein und da das Wetter schön war, so sagte die Signora, sie würde gern einen kleinen Spaziergang machen, und fragte mich höflich, ob ich ihr meinen Arm geben wolle. Ich erklärte mich bereit; ohnehin hätte ja die Höflichkeit mir nicht erlaubt, ihr diesen Wunsch abzuschlagen. Ich fühlte mich unbehaglich; mein Schmollen war mir selber unbequem, obgleich ich mir nicht klar darüber war. Nur eine Aussprache konnte alles wieder in Ordnung bringen; aber ich wußte nicht, wie ich eine solche herbeiführen sollte. Ihr Mann folgte uns mit der Schwägerin, aber in ziemlich großer Entfernung. Sobald ich sah, daß wir weit genug von ihnen ab waren, erkühnte ich mich, sie zu fragen, wie sie auf den Gedanken gekommen sei, daß ich mein Zahnweh nur vorgeschützt habe.

»Ich bin offen zu Ihnen,« sagte sie; »ich merkte es an der auffälligen Veränderung Ihres Benehmens und daran, daß Sie den ganzen Tag über sorgfältig vermieden, mich ein einziges Mal anzusehen. Da das Zahnweh Sie doch nicht hindern könnte, höflich zu sein, so mußte ich es für erheuchelt halten. Übrigens weiß ich bestimmt, daß niemand von uns Ihnen hat Anlaß geben können, so plötzlich in eine andere Stimmung zu geraten.«

»Es muß aber doch ein Anlaß dagewesen sein. Gnädige Frau, Sie sind nur zur Hälfte aufrichtig.«

»Sie irren sich, Herr Abbate; ich bin es ganz. Wenn ich Ihnen einen Anlaß gegeben habe, so kenne ich ihn nicht oder darf ihn nicht kennen. Haben Sie die Güte mir zu sagen, womit ich es gegen Sie versehen habe.«

»Mit nichts. Denn ich habe nicht das Recht, irgendwelche Ansprüche zu erheben.«

»Doch! Sie haben Anrechte. Dieselben wie ich. Nämlich die Anrechte, die die gute Gesellschaft allen ihren Mitgliedern gewährleistet. Sprechen Sie und seien Sie ebenso offenherzig wie ich!«

»Den Anlaß dürfen Sie nicht kennen ; oder vielmehr, Sie müssen tun, als ob Sie ihn nicht kennen. Da haben Sie recht. Aber geben Sie auch zu, daß meine Pflicht mir verbietet, Ihnen diesen Anlaß zu nennen.«

»Das läßt sich hören. Jetzt ist alles gesagt. Aber wenn Ihre Pflicht Sie nötigt, mir den Grund Ihres Stimmungsumschlages zu verschweigen, so erfordert diese Pflicht ebenso gebieterisch, daß Sie sich nichts merken lassen. Das Zartgefühl schreibt zuweilen einem höflichen Menschen vor, gewisse Gefühle zu verbergen, wodurch er oder sonst jemand bloßgestellt werden könnte. Dadurch wird dem Geist ein Zwang auferlegt; aber das ist gut, wenn infolgedessen derjenige, der sich den Zwang auferlegt, liebenswürdiger wird.«

Diese außerordentlich logische Auseinandersetzung machte mich vor Scham erröten. Ich preßte meine Lippen auf diese schöne Hand und gab mein Unrecht zu.

»Ich würde«, rief ich aus, »Ihnen zu Füßen fallen, Sie um Verzeihung zu bitten, wenn ich dies tun könnte, ohne Sie bloßzustellen.«

»Also sprechen wir nicht mehr davon!« sagte sie. Gerührt von meiner schnellen Bekehrung, warf sie mir einen Blick zu, in welchem so volle Verzeihung lag, daß ich mein Vergehen nicht schlimmer zu machen glaubte, wenn meine Lippen ihre Hand verließen, um den schönen lachenden Mund heimzusuchen.

Ich war trunken vor Glück. Aus meiner Traurigkeit wurde Fröhlichkeit und zwar so plötzlich, daß beim Abendessen der Advokat hundert Scherze über mein Zahnweh machte und über den Spaziergang, der mich geheilt hätte.

Am nächsten Tage aßen wir in Velletci zu Mittag; von dort fuhren wir bis nach Marino, unserm Nachtquartier. Obgleich viele Truppen dort lagen, erhielten wir doch zwei Zimmerchen und ein sehr gutes Nachtessen.

Mit meiner reizenden Römerin stand ich mich aufs beste; ich hatte zwar nur ein flüchtiges Pfand von ihr erhalten, aber es war so aufrichtig, so zärtlich gewesen. Unsere Augen sagten sich während der Wagenfahrt nur wenig, aber da ich ihr gegenübersaß, so war die Sprache unserer Füße um so beredter.

Der Advokat hatte mir erzählt, er gehe wegen einer kirchlichen Angelegenheit nach Rom und werde dort bei seiner Schwiegermutter wohnen, die seine Frau gerne wiedersehen wolle, da sie in den zwei Jahren seit ihrer Verheiratung nicht zusammengewesen seien. Seine Schwester gedenke in Rom zu bleiben, da sie einen Angestellten von der Bank zum Heiligen Geist heiraten werde. Ich erhielt ihre Adresse und eine Einladung, sie zu besuchen, und ich versprach, ihnen jeden Augenblick zu widmen, den meine Geschäfte mir übriglassen würden.

Wir waren beim Nachtisch. Da sagte meine Schöne, nachdem sie meine Tabaksdose bewundert hatte, zu ihrem Mann, sie habe große Lust, eine ebensolche Dose zu besitzen.

»Ich werde dir eine kaufen, meine Liebe.«

»Kaufen Sie doch diese!« sagte ich ihm; »ich gebe sie Ihnen für zwanzig Unzen gegen eine Anweisung auf Sicht, die Sie mir ausstellen werden. Ich schulde diese Summe einem Engländer, und es wäre mir sehr angenehm, auf diese Weise meiner Verpflichtung gegen ihn nachkommen zu können.«

»Ihre Dose, Herr Abbate, ist die zwanzig Unzen wert; aber ich will sie Ihnen nur unter der Bedingung abkaufen, daß ich sofort bar bezahle. Wenn Ihnen dies recht ist, so wäre es mir äußerst lieb, die Dose im Besitz meiner Frau zu sehen, für die sie zugleich ein Erinnerungszeichen von Ihnen sein würde.«

Als seine Frau sah, daß ich auf diesen Vorschlag nicht eingehen wollte, sagte sie, ihr würde es ganz und gar nicht darauf ankommen, mir die gewünschte Anweisung auszustellen.

»Ei, siehst du denn nicht,« versetzte der Advokat, »daß dieser Engländer nur in der Einbildung des Herrn Ahbate vorhanden ist? Er würde niemals erscheinen, und wir würden die Dose für umsonst behalten. Hüte dich, meine Liebe, vor diesem Abbate! Er ist ein großer Schelm.«

»Ich glaubte nicht,« erwiderte seine Frau, indem sie mich dabei ansah, »daß es Schelme solcher Art auf der Welt gäbe!«

Ich machte ein trauriges Gesicht und sagte, ich möchte gerne so reich sein, um recht oft solche Schelmenstreiche machen zu können.

Wenn ein Mensch verliebt ist, genügt ein Nichts, um ihn in Verzweiflung zu stürzen oder auf den Gipfel der Freude zu erheben. In dem Zimmer, worin wir aßen, stand nur ein Bett, und ein zweites in einer anstoßenden Kammer ohne Tür. Die Damen wählten natürlich die Kammer, und der Advokat legte sich zuerst in das Bett, das wir miteinander teilen sollten. Sobald die Damen zu Bett waren, wünschte ich ihnen gute Nacht, warf meinem Abgott noch einen Blick zu und legte mich ebenfalls nieder. Ich hatte die Absicht, die ganze Nacht schlaflos zu verbringen. Aber man denke sich meinen Ärger, als ich beim Hinlegen ein Krachen des Bettgestells hörte, wovon ein Toter hätte aufwachen können. Ich warte indessen unbeweglich, bis mein Kamerad tief eingeschlafen ist, und als ein gewisses Geräusch mir verkündet, daß er gänzlich unter Morpheus‘ Bann sich befindet, versuche ich aus dem Bett zu Schlüpfen. Aber der Spektakel, den die kleinste Bewegung hervorruft, weckt den Advokaten auf; er fährt empor und streckt seine Hand nach mir aus. Als er fühlt, daß ich noch da bin, schläft er wieder ein. Eine halbe Stunde darauf mache ich den gleichen Versuch noch einmal; ich stoße auf dieselben Hindernisse und gebe nun alle Absichten auf.

Amor ist der größte Spitzbube unter den Göttern; der Widerspruch scheint sein Element zu sein. Aber da seine Leistung davon abhängt, daß die Wesen, die ihm glühende Verehrung zollen, befriedigt werden, so läßt grade in dem Augenblick, wo jede Hoffnung erloschen zu sein scheint, der hellsichtige kleine Blinde alles gelingen.

Am Erfolg verzweifelnd begann ich eben einzuschlafen, da erscholl plötzlich ein furchtbarer Lärm. Gewehrfeuer und gellendes Geschrei auf der Straße; Menschen stürmen treppauf, treppab; heftig wird an unsere Tür geklopft. Der Advokat fragt mich ganz ängstlich, was wohl los sein möchte. Ich spiele den Gleichgültigen, sage, ich wisse von nichts, und bitte ihn, mich schlafen zu lassen. Aber die erschreckten Damen baten uns, ihnen Licht zu verschaffen. Ich beeilte mich nicht darum; so stand der Advokat auf und lief hinaus, um Licht zu besorgen. Ich stand nach ihm auf, um die Tür zuzumachen; dabei stieß ich etwas zu stark, das Schloß schnappte ein, und ich konnte ohne den Schlüssel die Tür nicht wieder öffnen. Um sie zu beruhigen, begab ich mich zu den Damen und sagte ihnen, der Advokat würde gleich zurückkommen, und dann würden wir erfahren, was der ganze Lärm zu bedeuten hätte. Um aber nichts von der kostbaren Zeit zu verlieren, nahm ich mir so viele Freiheiten, wie ich nur konnte, wobei mich noch die Schwäche des Widerstandes ermutigte. Da ich mich aber trotz aller Vorsicht etwas zu schwer auf meine Schöne gelegt hatte, brach das Bett zusammen, und da lagen wir nun alle drei im schönsten Durcheinander. Der Advokat kommt zurück und klopft an die Tür; die Schwester steht auf; ich gebe den Bitten meiner reizenden Freundin nach, taste mich nach der Tür und sage ihm, ohne den Schlüssel könnten wir ihn nicht hereinlassen. Die beiden Schwestern stehen hinter mir, ich strecke die Hand aus; diese wird kräftig zurückgestoßen, und ich merke, daß ich an die Schwester geraten bin. So wende ich mich nach der anderen Seite und habe da mehr Erfolg. Der Gatte war wieder zurückgekehrt und ein Schlüffelbund klirrte; so mußten wir denn alle drei uns wieder zu Bett legen.

Sobald die Tür offen war, eilte der Advokat an das Bett der armen erfchrockenen Damen, um sie zu beruhigen. Aber er lachte laut auf, als er sie in ihrem zusammengebrochenen Bett vergraben sah. Er rief mir, ich solle mir das ansehen; aber ich war bescheiden und unterließ es. Hierauf erzählte er uns, der Lärm rühre davon her, daß ein deutsches Streifkorps die im Orte liegenden spanischen Truppen überfallen habe und daß diese sich fechtend zurückziehen. Eine Viertelstunde darauf war nichts mehr zu hören, und die Ruhe war vollkommen wieder hergestellt.

Nachdem er mir ein Kompliment über meine unerschütterliche Ruhe gemacht hatte, ging der Advokat wieder zu Bett und war bald eingeschlafen. Ich aber schloß absichtlich kein Auge mehr; beim ersten Morgengrauen stand ich auf, um mich ahzuwaschen und die Wäsche zu wechsln. Dies war höchst notwendig.

Zum Frühstück erschien ich wieder, und während wir den köstlichen Kaffee tranken, den Donna Lucrezia an diesem Tage, glaube ich, noch besser gemacht hatte als sonst, bemerkte ich, daß ihre Schwester mit mir schmollte. Aber welchen geringen Eindruck machte auf mich ihre kleine Verdrießlichkeit im Vergleich mit dem Entzücken, das die fröhliche Miene und der dankbare Blick meiner wundervollen Lucrezia mir durch alle Adern goß.

Wir kamen in Rom sehr zeitig an. In Torre hatten wir haltgemacht, um zu frühstücken, und da der Advokat bei fröhlicher Laune war, so schlug ich denselben Ton an, sagte ihm tausend freundliche Dinge, prophezeite ihm die Geburt eines Sohnes und nötigte scherzend seine Frau, ihm dies zu versprechen. Ich vergaß auch nicht die Schwester meiner anbetungswürdigen Lucrezia, und um sie zu meinen Gunsten umzustimmen, sagte ich ihr so viele hübsche Komplimente und bezeigte ihr eine so freundschaftliche Teilnahme, daß sie sich gezwungen sah, mir den Zusammenbruch des Bettes zu verzeihen. – Als wir uns trennten, versprach ich ihnen einen Besuch für den übernächsten Tag.

So war ich also in Rom, gut mit Kleidern, leidlich mit Geld versehen und im Besitze wertvoller Schmuckgegenstände. Ich besaß einige Erfahrung, hatte gute Empfehlungsbriefe, war vollkommen mein eigener Herr und stand in einem Alter, wo ein Mensch auf Glück rechnen kann, wenn er ein wenig Mut hat und ein Gesicht, das die Personen, mit denen er in Berührung kommt, zu seinen Gunsten einnimmt. Ich war nicht schön, aber ich hatte etwas an mir, was mehr wert ist, ein schwer zu erklärendes Etwas, das unwillkürlich Wohlwollen erregt, und ich fühlte mich zu allem fähig. Ich wußte, daß Rom die einzige Stadt ist, wo jemand, der aus dem Nichts hervorgeht, es zum Höchsten bringen kann. Dieser Gedanke spornte meinen Mut und, ich muß gestehen, ein schrankenloses Selbstbewußtsein, dem ich noch nicht mißtraute, weil ich noch keine Erfahrung hatte, erhöhte ganz beträchtlich meine Zuversicht.

Wer in der alten Hauptstadt der Welt sein Glück zu machen berufen ist, der muß ein Chamäleon sein, dessen Haut in allen Farben der ihn umgebenden Luft zu schillern vermag, er muß ein Proteus sein, der alle Gestalten anzunehmen weiß. Geschmeidig muß er sein, einschmeichelnd, falsch, undurchdringlich, oft niedrig, voll hinterlistiger Offenherzigkeit; stets muß er sich stellen, weniger zu wissen, als er wirklich weiß; er muß nur einen Ton der Stimme haben, muß geduldig sein, seine Gesichtszüge in Gewalt haben, kalt wie Eis sein, während ein anderer an seiner Stelle auflodern würde. Fehlt ihm unglücklicherweise die Religion des Herzens – was bei einem Charakter der geschilderten Art anzunehmen ist – so muß er verstandesmäßig religiös sein und muß friedfertig, wenn er ein ehrlicher Mann ist, die Kränkung ertragen, sich selber als Heuchler anerkennen zu müssen. Verabscheut er ein solches Verhalten, so muß er Rom verlassen und anderswo sein Glück zu machen suchen. Er gehe nach England. Ich weiß nicht, ob ich mich damit rühme oder mich beschuldige: von allen diesen Eigenschaften besaß ich nur jene Gefälligkeit, die alleinstehend ein Fehler ist. Im übrigen war ich nur ein interessanter Brausekopf, ein ganz gutes Rassepferd, das noch nicht oder – was schlimmer ist – schlecht zugeritten war.

Zu allererst überbrachte ich Don Lelics Brief dem Vater Georgi. Dies war ein gelehrter Mönch, der die Achtung der ganzen Stadt besaß und auf den der Papst selber große Stücke hielt, weil er die Jesuiten nicht liebte und keine Maske anlegte, um ihnen die Maske vom Gesicht zu reißen. Doch hielten die Jesuiten sich für stark genug, ihn verachten zu können.

Nachdem er mit großer Aufmerksamkeit den Brief gelesen hatte, sagte er mir, er sei bereit, mein Berater zu werden; es hänge also nur von mir ab, ihn dafür verantwortlich zu machen, daß mir kein Unheil widerfahre; denn wer sich gut betrage, habe kein Unglück zu befürchten. Er fragte mich hierauf, was ich in Rom anfangen wolle, und ich antwortete ihm, ich hoffe, daß er mir dies sagen werde.

»Das kann wohl sein, aber damit ich dazu imstande sei, besuchen Sie mich oft und verheimlichen Sie mir nichts, aber auch gar nichts von allem, was Sie angeht und was Ihnen begegnet.«

Ich sagte ihm nun, Don Lelio habe mir auch einen Brief für den Kardinal Acquaviva gegeben.

»Dazu wünsche ich Ihnen Glück; denn der ist in Rom mächtiger als der Papst.«

»Soll ich ihm den Brief sofort überbringen?«

»Nein; ich sehe ihn heute abend und werde ihn benachrichtigen. Besuchen Sie mich morgen; ich werde Ihnen sagen, wo und wann Sie den Brief bestellen müssen. Haben Sie Geld?«

»Auf mindestens ein Jahr genug für meinen Unterhalt.«

»Ausgezeichnet. Haben Sie Bekannte hier?«

»Niemand.«

»Machen Sie keine Bekanntschaften, ohne mich um Rat zu fragen; vor allen Dingen besuchen Sie keine Kaffeehäuser und Speisewirtschaften, und wenn Sie doch hingehen wollen, so hören Sie und sprechen Sie nicht. Seien Sie vorsichtig, wenn man Sie ausfragt, und wenn Sie aus Höflichkeit antworten müssen, so geschehe es ausweichend, falls es sich um etwas von Belang handelt. Sprechen Sie französisch?«

»Kein Wort.«

»Schade. Sie müssen es lernen. Haben Sie Ihre Studien gemacht?«

»Mangelhaft. Aber ich bin soweit infarinato, daß ich in Gesellschaft meinen Mann stelle.«

»Das ist ganz gut; aber seien Sie auf der Hut: Rom ist die Stadt der infarinati, die sich gegenseitig zu entlarven suchen und fortwährend sich in den Haaren liegen. Ich hoffe, wenn Sie dem Kardinal Ihren Brief überbringen, sind Sie als bescheidener Abbate gekleidet und tragen nicht diesen eleganten Anzug; denn der ist nicht dazu angetan, das Glück zu Ihren Gunsten zu beschwören. Also addio; auf morgen!«

Sehr befriedigt von dem Empfang, den ich bei dem Mönch gefunden und von dem, was er mir gesagt hatte, entfernte ich mich und begab mich nach dem Campo de‘ fiori, um den Brief meines Vetters Don Antonio an Don Gasparo Vivaldi zu bestellen. Der prächtige Mensch empfing mich in seiner Bibliothek, wo er sich mit zwei ehrwürdigen Abbaten befand. Nachdem er mich aufs liebenswürdigste begrüßt hatte, fragte er mich nach meiner Adresse und lud mich für den folgenden Tag zum Mittagessen ein. Er sprach mit höchstem Lob vom Vater Georgi, und als er mich zum Abschied bis an die Treppe geleitete, sagte er mir, er würde mir am anderen Tage die Summe übergeben, die Don Antonio ihn beauftragte, an mich auszuzahlen.

Also noch ein Geldgeschenk, das mein freigebiger Vetter mitmachte. Es ist nicht schwer zu geben, wenn man die Mittel dazu hat; aber auf die rechte Art zu geben, das ist eine Kunst, die nicht jeder versteht. Ich bewunderte an Don Antonios Vorgehen weniger noch seine Großmut als sein Zartgefühl. Ich konnte und durfte seine Gabe nicht zurückweisen.

Als ich aus dem Hause trete, laufe ich unversehens dem Bruder Steffano in die Arme. Der sonderbare Kauz war immer noch der gleiche; er bezeigte mir auf tausenderlei Art seine Freude. Im Grunde verachtete ich ihn, aber ich konnte ihm nicht böse sein; denn ich mußte in ihm das Werkzeug sehen, dessen die Vorsehung sich bedient hatte, um mich vor dem Sturz in den Abgrund zu bewahren.

Er erzählte mir, er habe vom Papst alles erlangt, was er gewünscht; dann sagte er, ich solle mich hüten, dem bewußten Sbirren zu begegnen, der mir die zwei Zechinen geliehen habe, er wisse, daß ich ihn getäuscht habe, und wolle sich rächen. Ich sagte ihm, er solle veranlassen, daß mein Schuldschein bei einem ihm bekannten Kaufmann hinterlegt werde; dort werde ich ihn einlösen. So wurde es denn auch gemacht, und damit war alles erledigt.

Abends aß ich in einem Speisehaus mit Römern und Fremden zusammen; ich beobachtete sorgsam alle Vorschriften, die mir Vater Georgi gegeben hatte. Man schimpfte gewaltig über den Papst und den Kardinal-Minister, der daran schuld sei, daß der Kirchenstaat von achtzigtausend Mann fremder Truppen, Spanier wie Deutscher, überschwemmt sei. Am meisten aber überraschte mich, daß man Fleisch aß, obgleich es Samstag war. Übrigens erlebt man in Rom während der ersten Tage Überraschungen, an die man sich sehr schnell gewöhnt. Es gibt keine katholische Stadt, wo in religiösen Dingen so wenig Zwang ausgeübt wird. Die Römer gleichen den Angestellten beim Tabaksmonopol, die soviel umsonst nehmen dürfen, wie sie wollen. Man lebt dort in der größten Freiheit, abgesehen von den Ordini santissimi, die eben so sehr zu fürchten sind, wie es in Paris die berüchtigten lettres de cachet vor der Revolution waren.

Am nächsten Tage, den 1. Oktober 1743, entschloß ich mich, mich rasieren zu lassen. Mein Flaum war Bart geworden, und ich hielt es für zeitgemäß, auf gewisse Vorrechte des Jünglingsalters zu verzichten. Ich kleidete mich vollständig auf römische Art, die meines lieben Vetters Schneider sehr gut getroffen hatte; Vater Georgi war erfreut, mich in diesem Aufzug zu sehen.

Er lud mich zunächst ein, mit ihm eine Tasse Schokolade zu trinken; hierauf sagte er mir, der Kardinal sei schon durch einen Brief von Don Lelio benachrichtigt worden, und Seine Eminenz werde mich gegen Mittag in der Villa Negroni empfangen, wo sie einen Spaziergang machen wolle. Ich erzählte ihm, ich sei bei Herrn Vivaldi zum Essen eingeladen, und er riet mir, diesen recht oft zu besuchen.

Ich begab mich nach der Villa Negroni, und sobald mich der Kardinal bemerkte, blieb er stehen, um mir meinen Brief abzunehmen, während er zwei Herren, die bei ihm waren, weitergehen ließ. Er steckte den Brief in die Tasche, ohne ihn zu lesen, sah mich zwei Minuten lang an und fragte mich dann, oh ich Neigung für politische Angelegenheiten in mir verspüre. Ich antwortete ihm, bis jetzt hätte ich nur für nichtige Dinge Interesse gehabt; ich könne ihm nur für den größten Eifer bürgen, womit ich alle Befehle Seiner Eminenz ausführen würde, wenn er mich für würdig hielte, in seine Dienste zu treten.

»Kommen Sie», sagte er, »morgen in meine Kanzlei und sprechen Sie mit dem Abbate Gama, dem ich meine Absichten mitteilen werde. Sie müssen sich bemühen, recht schnell Französisch zu lernen; die Sprache ist unentbehrlich.«

Hierauf erkundigte er sich, wie es Don Lelio gehe, reichte mir seine Hand zum Kuß und entließ mich.

Ich ging, ohne Zeit zu verlieren, zu Don Gasparo, bei dem ich in auserwählter Gesellschaft speiste. Er war unverheiratet und hatte keine andere Leidenschaft als für die Literatur. Er liebt die lateinische Poesie noch mehr als die italienische, und Horaz, den ich auswendig wußte, war sein Lieblingsdichter. Nach dem Essen gingen wir in sein Kabinett, wo er mir für Rechnung Don Antonios hundert römische Taler auszahlte und mir versicherte, ich würde ihm ein wirkliches Vergnügen bereiten, so oft ich mit ihm in seiner Bibliothek die Morgenschokolade trinken wollte.

Von Don Gasparo lenkte ich meine Schritte zur Minerva, ungeduldig, die Überraschung meiner Lucrezia und ihrer Schwester Angelica zu sehen. Ich fragte nach ihrer Mutter, Donna Cecilia Monti, und sah mit Erstaunen eine junge Witwe, die wie eine Schwester ihrer reizenden Töchter aussah. Ich brauchte nicht meinen Namen zu nennen; ich war angemeldet, und sie erwartete mich. Ihre Töchter kamen herein, und ihr Empfang bereitete mir einen angenehmen Augenblick, denn sie erkannten mich kaum wieder. Donna Lucrezia stellte mir ihre erst elf Jahre alte jüngere Schwester vor sowie ihren Bruder, einen bildhübschen Abbate von fünfzehn Jahren. Ich beobachtete sorgfältig eine Haltung, die der Mutter gefiel: ich war bescheiden, ehrfurchtsvoll und bezeigte die lebhafteste Teilnahme für alles, was ich sah. Der gute Advokat kam hinzu; er war überrascht, in mir einen ganz neuen Menschen zu sehen, aber er fühlte sich geschmeichelt, daß ich noch nicht vergessen hatte, ihn Väterchen zu nennen. Er machte allerlei scherzhafte Bemerkungen, auf die ich einging; doch achtete ich darauf, ihnen nicht jenen Anstrich von Lustigkeit zu geben, über die wir im Wagen so viel gelacht hatten. Er machte mir infolgedessen das Kompliment, den Bart, den ich mir habe abnehmen lassen, habe mein Geist und Verstand erhalten. Donna Luerezia wußte nicht, was sie von meiner veränderten Stimmung denken sollte.

Gegen Abend sah ich nach und nach fünf oder sechs weder schöne noch häßliche Damen erscheinen, und ebensoviel geistliche Herren, die mir wie Bücher vorkamen, mit deren Studium ich meinen Aufenthalt in Rom beginnen mußte. Die Herren hörten aufmerksam auf meine unbedeutendsten Bemerkungen, und ich richtete diese so ein, daß sie nach Belieben ihre Mutmaßungen darüber anstellen konnten. Donna Cecilia sagte zum Advokaten, er sei ein guter Maler, aber seine Bildnisse seien nicht ähnlich. Er antwortete, sie sehe das Porträt nur mit Maske, und ich tat, als sei ich durch die Bemerkung gekränkt. Donna Lucrezia sagte, sie finde mich völlig unverändert, und ihre Schwester bemerkte, die römische Luft gebe den Fremden ein ganz besonderes Aussehen. Dieser Ausspruch fand allgemeinen Beifall, über den Angelica vor Freude errötete. Nach vier Stunden entschlüpfte ich; der Advokat aber ging mir nach und sagte mir, seine Schwiegermutter wünsche, daß ich Freund des Hauses werde und ohne Zwang zu allen Stunden bei ihr verkehre. Ich dankte ihm herzlich und entfernte mich mit dem Wunsche, der reizenden Gesellschaft ebensosehr gefallen zu haben, wie sie mich entzückt hatte.

Am anderen Morgen stellte ich mich dem Abbate Gama vor. Er war ein Portugiese von etwa vierzig Jahren mit hübschem Gesicht, dessen Züge Aufrichtigkeit, Fröhlichkeit und Geist ausdrückten. Nach Benehmen und Sprache konnte er für einen Römer gelten. Er sagte mir mit zuckersüßen Worten, Seine Eminenz selber habe dem Haushofmeister seine Weisungen in bezug auf mich gegeben; ich würde im Palast selbst wohnen und mit den Sekretären zusammen essen. Bis ich Französisch gelernt hätte, sollte ich, ohne mir dabei Zwang anzutun, zur Ubung Auszüge aus Briefen machen, die er mir geben würde. Hierauf sagte er mir die Adresse des Sprachlehrers, mit dem er schon gesprochen hatte; es war ein römischer Advokat, namens Dalacqua, der dem spanischen Palast gerade gegenüber wohnte.

Nachdem er mir diese kurze Unterweisung gegeben und mir versichert hatte, daß ich auf seine Freundschaft rechnen könne, ließ er mich zum Haushofmeister fahren. Ich mußte in einem großen Buch meinen Namen unten auf eine Seite schreiben, auf der schon viele andere Namen standen; hierauf zählte er mir sechzig römische Taler als Gehalt für drei Monate im voraus auf. Dann rief er einen Lakai und ging mit mir nach dem dritten Stock in die für mich bestimmte sehr sauher eingerichtete Wohnung. Beim Fortgehen übergab der Bediente mir den Schlüssel und sagte mir, er werde jeden Morgen kommen, um mich zu bedienen, und der Haushofmeister begleitete mich bis an das Haustor, um mich dem Türhüter bekannt zu machen. Ich ging in meinen Gasthof und ließ mein bißchen Gepäck in den Palazzo di Spagna bringen. So fand ich mich in einem Hause untergebracht, worin ich ohne allen Zweifel ein glänzendes Glück gemacht haben würde, hätte ich nur ein Verhalten beobachten können, das zu sehr in Widerspruch mit meinem Charakter stand. Volentem ducit, nolentem trahit. – Den Willfährigen lenkt das Geschick, den Widerstrebenden reißt es mit sich fort.

Wie man sich denken kann, trieb mich das Gefühl zu allererst zu meinem Mentor, Vater Georgi, dem ich genauen Bericht erstattete. Er sagte mir, ich sei auf gutem Wege, und nachdem ich so ausgezeichnet eingeführt worden sei, könne mein Glück nur von meinem eigenen Verhalten abhängen. »Bedenken Sie eins!« sagte mir der weise Mann; »damit Ihre Führung tadellos sei, müssen Sie sich Zwang auferlegen. Das Unangenehme, das Ihnen vielleicht beschieden ist, wird von keinem Menschen als ein Unglück aufgefaßt oder einer Schicksalsfügung zugeschrieben werden. Dies sind sinnlose Worte. Ihnen allein wird man die ganze Schuld beimessen.

»Ich sehe mit Bedauern voraus, hochwürdiger Vater, daß meine Jugend und Mangel an Erfahrung mich nötigen werden, Sie oftmals zu belästigen. Ich fürchte, Ihnen schließlich unbequem zu werden, aber Sie werden mich gelehrig und gehorsam finden.«

»Mich werden Sie oft zu streng finden; aber ich sehe voraus, Sie werden mir nicht alles sagen.«

»Alles, alles ohne Ausnahme!«

»Gestatten Sie mir zu lachen. Sie sagten mir nicht, wo Sie gestern vier Stunden verbracht haben.«

»Ach, der Besuch hat nichts zu bedeuten. Ich habe die Bekanntschaft auf der Reise gemacht, und ich glaube, es ist ein ehrenwertes Haus, das ich besuchen kann, falls Sie mir nicht etwa das Gegenteil sagen.

»Gott behüte! Es ist ein sehr anständiges Haus, das von ehrenwerten Leuten besucht wird. Man ist erfreut, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Sie haben der ganzen Gesellschaft gefallen, und man hofft, Sie werden sich anschließen. Das alles habe ich heute früh erfahren. Aber Sie dürfen in diesem Hause nicht verkehren.«

»Muß ich den Verkehr Knall und Fall aufgeben?«

»Nein. Das wäre unhöflich von Ihnen. Gehen Sie ein- oder zweimal wöchentlich hin, aber seien Sie kein ständiger Gast! Sie seufzen, mein Kind!«

»Nein … auf mein Wort, ich werde Ihnen gehorchen.«

»Ich wünsche, daß Sie mir nicht nur aus Gehorsam folgen, und ich möchte nicht, daß Ihr Herz dabei leidet. Aber Sie müssen es auf alle Fälle besiegen. Erinnern Sie sich, daß die Vernunft keinen größeren Feind hat, als das Herz.«

»Dennoch lassen sich beide in Einklang bringen.«

»Man bildet sich das ein. Aber mißtrauen Sie dem animum Ihres lieben Horaz. Sie wissen es gibt keinen Ausweg: Nisi paret, imperat. – Wenn es nicht gehorcht, befiehlt es.«

»Ich weiß. Aber in jenem Hause läuft mein Herz keine Gefahr.«

»Um so besser für Sie; denn dann kann es Ihnen keine Mühe machen, sich der Besuche zu enthalten. Erinnern Sie sich, daß meine Pflicht es mit sich bringt, Ihnen zu glauben.«

»Und meine, Ihren weisen Rat anzuhören und zu befolgen. Ich werde nur von Zeit zu Zeit zu Donna Cecilia gehen.«

Den Tod im Herzen ergriff ich seine Hand, um sie zu küssen. Er aber drückte mich väterlich an seine Brust, indem er sich abwandte, um mir seine Tränen zu verbergen.

Ich speiste im Spanischen Palast zusammen mit dem Abbate Gama an einer Tafel zu zwölf Gedecken, die für ebenso viele Abbaten bestimmt waren, denn in Rom ist jedermann Abbate oder will dafür gelten. Da es nicht verboten ist, geistliche Tracht anzulegen, so trägt sie jeder, der geachtet werden will, mit Ausnahme von jenem Teil des Adels, der nicht die geistliche Laufbahn eingeschlagen hat.

Vor Kummer vermochte ich während des ganzen Essens nicht den Mund aufzutun, und dieses Schweigen wurde mir als Schlauheit ausgelegt. Nach Tisch lud Abbate Gama mich ein, mit ihm den Tag zu verbringen; ich entschuldigte mich mit dem Vorwande, daß ich Briefe zu schreiben hätte, worauf ich dann aber auch wirklich sieben Stunden hintereinander verwandte. Ich schrieb an Don Lelio, an Don Antonio, an meinen jungen Freund Paolo und an den guten Bischof von Martorano, der mir aus voller Überzeugung antwortete, er möchte wohl an meiner Stelle sein.

Da ich in Lucrezia verliebt und glücklich war, so kam es mir barbarisch vor, sie zu verlassen. Einer glücklichen Zukunft zuliebe sollte ich die Gegenwart morden und Feind meines eigenen Herzens sein. Ich empörte mich gegen diese Notwendigkeit, die mir künstlich konstruiert zu sein schien und die ich nur anerkennen konnte, wenn ich mich vor dem Richterstuhl meiner eigenen Vernunft erniedrigte. Mir schien, Vater Georgi hätte mir, als er mir jenes Haus verbot, nicht zugleich sagen dürfen, daß es ein anständiges Haus sei; mein Schmerz wäre minder groß gewesen. Den ganzen Tag und einen Teil der Nacht verbrachte ich mit solchen Betrachtungen.

Am Morgen brachte Abbate Gama mir ein großes Buch voll von Gesandtschaftsbriefen, aus denen ich zu meiner Unterhaltung Auszüge machen sollte. Ich setzte eine geschäftsmäßige Miene auf und ging aus, um meine erste französische Stunde zu nehmen. Als ich nachher durch die strada condotta ging, um einen Spaziergang zu machen, wurde ich vom Abbate Gama angerufen, der in der Tür eines Kaffeehauses stand. Ich sagte ihm ins Ohr, Minerva habe mir den Besuch der römischen Kaffeehäuser verboten. »Minerva« antwortete er mir, »befiehlt Ihnen, sich einen Begriff davon zu machen. Setzen Sie sich zu mir!«

Ich hörte einen jungen Abbate ganz laut eine wahre oder erfundene Geschichte erzählen, durch die geradezu, aber ohne Bitterkeit, die Gerechtigkeit des Heiligen Vaters angegriffen wurde. Alle lachten und stimmten bei. Ein anderer antwortete auf die Frage, warum er aus dem Dienst des Kardinals B. ausgetreten sei: es sei geschehen, weil Seine Eminenz behauptete, er brauche ihm gewisse Dienste nicht besonders zu bezahlen. Wieder lautes Gelächter! Ein dritter sagte dem Abbate Gama, wenn er nach Tisch nach der Villa Medici hinauskommen wolle, werde er ihn dort mit zwei kleinen Römerinnen finden, die mit einem quartino zufrieden seien. Dies ist eine Goldmünze im Werte von einer viertel Zechine. Noch ein anderer las ein Sonett voll Feuer und Flamme gegen die Regierung vor, und mehrere schrieben es ab. Wieder ein anderer las eine von ihm gedichtete Satire, worin die Ehre einer Familie vernichtet wurde. Plötzlich sah ich einen Abbate mit einnehmenden Gesichtszügen eintreten. Als ich seine Hüften sah, hielt ich ihn für ein verkleidetes Mädchen und sagte dies zum Abbate Gama. Dieser aber teilte mir mit, es sei ein berühmter Kastrat, namens Beppino della Mamana. Gama rief ihn heran und sagte ihm lachend, ich hätte ihn für ein Mädchen gehalten. Der Schamlose sah mich fest an und sagte, wenn ich Lust hätte, wollte er mir beweisen, daß ich recht oder daß ich unrecht hätte.

Beim Essen sprachen alle Tischgäste mit mir, und ich glaubte ihnen passende Antworten gegeben zu haben. Nach Tische lud Abbate Gama mich ein, den Kaffee auf seinem Zimmer zu trinken, und ich nahm die Einladung an. Sobald wir unter vier Augen waren, sagte er mir, alle Teilnehmer an unserem Mittagstisch seien anständige Leute; hierauf fragte er mich, ob ich glaubte, allgemein gefallen zu haben.

»Das hoffe ich.«

»Sie täuschen sich,« antwortete der Abbate; »bilden Sie sich das nur nicht ein. Sie sind so offenbar allen an Sie gerichteten Fragen ausgewichen, daß ein jeder Ihre Zurückhaltung bemerkt hat. Künftighin wird man Ihnen keine Fragen mehr stellen.«

»Das täte mir leid. Aber hätte ich denn meine Angelegenheiten an die große Glocke hängen sollen?«

»Nein; es gibt überall eine Mittelstraße.«

»Die, von der Horaz spricht. Aber diese ist oft sehr schwer zu gehen.«

»Man muß sich beliebt und zugleich geachtet machen.«

»Ich wünsche nichts Besseres.«

»Heute hatten Sie es mehr auf Achtung als auf Liehe abgesehen. Das ist gewiß recht schön und gut; aber machen Sie sich darauf gefaßt, Sie werden mit Neid und mit dessen Tochter, der Verleumdung, zu kämpfen haben. Wenn diese beiden Ungeheuer Sie nicht zu Boden drücken, so werden Sie als Sieger hervorgehen. Sie haben zum Beispiel Salicetti zerpflückt; er ist Physiker und Corse obendrein. Er muß es Ihnen übel genommen haben.«

»Konnte ich ihm zugeben, daß Gelüste der Frauen niemals den geringsten Einfluß auf die Haut des Fötus haben können? Ich weiß das Gegenteil aus Erfahrung. Sind Sie nicht auch meiner Meinung?«

»Ich bin weder Ihrer noch seiner Meinung; ich habe wohl Kinder mit sogenannten Merkmalen gesehen, aber ich kann nicht bestimmt entscheiden, ob diese Male davon herrühren, daß die Mütter vielleicht während der Schwangerschaft Gelüste gehabt haben.«

»Ich kann darauf schwören.«

»Um so besser für Sie, wenn Sie es so bestimmt wissen, und um so schlimmer für Salicetti, wenn er die Möglichkeit leugnet. Lassen Sie ihn in seinem Irrtum! Das ist besser, als wenn Sie ihm seinen Irrtum nachweisen und sich ihn dadurch zum Feinde machen.«

Am Abend ging ich zu Lucrezia. Man wußte alles und wünschte mir Glück. Sie sagte mir, ich schiene ihr traurig zu sein, und ich antwortete, ich trüge meine freie Zeit zu Grabe, denn ich wäre nicht mehr Herr darüber. Ihr Mann sagte ihr in seiner gewöhnlichen scherzenden Art, ich sei in sie verlieht; und seine Schwiegermutter riet ihm, er solle nur nicht so den Helden spielen. Ich verbrachte nur eine einzige Stunde im Kreise der reizenden Familie. Dann ging ich, von einer Feuersglut durchloht, daß ich mit meinem Atem die Luft entflammte. Zu Hause setzte ich mich an meinen Schreibtisch und brachte die ganze Nacht damit zu, eine Ode zu dichten, die ich am andern Morgen dem Advokaten schickte. Ich wußte, daß er sie seiner Frau geben würde, die für Poesie schwärmte, aber keine Ahnung davon hatte, daß diese auch meine Leidenschaft war. Die nächsten drei Tage enthielt ich mich jedes Besuches bei ihr. Ich lernte Französisch und machte Auszüge aus Gesandtschaftsbriefen.

Bei Seiner Eminenz war jeden Abend Gesellschaft, zu der sich der höchste römische Adel beiderlei Geschlechts einfand; ich ging nicht hin. Gama sagte mir, ich müsse wie er als anspruchsloser Gast hingehen. Ich tat es; niemand sprach ein Wort mit mir, da aber meine Erscheinung unbekannt war, sah mich jeder an, und jeder wollte wissen, wer ich sei. Abbate Gama fragte mich, welche von den anwesenden Damen mir als die liebenswürdigste erscheine; ich zeigte ihm die betreffende, aber es tat mir sofort leid, denn der Höfling hatte nichts Eiligeres zu tun, als zu ihr zu gehen und es ihr zu sagen. Bald darauf betrachtete sie mich durch die Lorgnette und lächelte mir zu. Es war die Marchesa G., deren Verehrer der Kardinal S. C. war.

Am Morgen des Tages, dessen Abend ich bei Donna Luerezia zu verbringen gedachte, kam der ehrenwerte Advokat in mein Zimmer. Er sagte mir, ich irrte mich sehr, wenn ich ihm durch mein Fernbleiben zu beweisen glaubte, daß ich nicht in seine Frau verliebt wäre. Dann lud er mich ein, am nächsten Donnerstag mit ihm und seiner ganzen Familie auf Testaccio einen Imbiß einzunehmen. Er versicherte mir, ich würde dort die einzige Pyramide sehen, die Rom hätte. »Meine Frau weiß Ihre Ode auswendig; sie hat sie Angelicas Bräutigam vordeklamiert, der seitdem den sehnlichen Wunsch hat, Sie kennenzulernen. Er ist ebenfalls Dichter und wird mit uns am Testaccio sein.«

Ich versprach ihm, am bestimmten Tage mit einem zweisitzigen Wagen zu ihnen zu kommen.

Zu jener Zeit waren in Rom die Donnerstage des Oktobermonats der Fröhlichkeit gewidmet. Am Abend war ich beim Advokaten; die Unterhaltung drehte sich nur um das geplante Vergnügen, und ich glaubte zu bemerken, daß Lucrezia ebensosehr darauf rechnete wie ich. Wir hatten keinen bestimmten Plan und konnten keinen haben, aber wir rechneten auf die Liebe und vertrauten stillschweigend auf deren Schutz.

Es lag mir daran, daß Vater Georgi von der geplanten Ausfahr durch niemanden früher erführe als durch mich selber, und ich ging daher zu ihm und bat in aller Form um Erlaubnis, daran teilnehmen zu dürfen. Damit er nichts dagegen einzuwenden hätte, tat ich, als ob mir die Sache völlig gleichgültig wäre. Der wackere Mönch sagte mir denn auch, ich müsse mich unbedingt beteiligen; es sei ja eine Familiengesellschaft; außerdem dürfte ich mich nicht abhalten lassen, die Umgebung von Rom kennen zu lernen und mich auf eine anständige Weise zu erlustigen.

Ich begab mich zu Donna Cecilia in einer geschlossenen zweisitzigen Kutsche, die ich von einem gewissen Roland aus Avignon mietete. Ich nenne ihn hier, weil ich in achtzehn Jahren von ihm werde zu sprechen haben und weil die Bekanntschaft mit ihm wichtige Folgen gehabt hat. Die reizende Witwe stellte mir ihren zukünftigen Schwiegersohn Don Francesco als einen großen Freund der Wissenschaften vor, der auch selber eine gediegene wissenschaftliche Bildung besitze. Ich nahm diese Mitteilung für bare Münze und behandelte ihn dementsprechend; trotzdem fand ich ihn recht schwerfällig, und sein Benehmen war nach meiner Ansicht durchaus nicht so, wie es sich für einen jungen Mann gehört hätte, der binnen kurzer Zeit eine so hübsche Person wie Angelica heiraten sollte. Aber er war ehrenhaft und reich, und das ist mehr wert als ein weltmännisches Benehmen und wissenschaftliche Bildung.

Als wir einsteigen wollten, sagte mir der Advokat, er würde mit mir in meinem Wagen fahren und die drei Damen mit Don Francesco in dem anderen. Ich antwortete ihm ohne Besinnen, er müsse mit Don Francesco fahren und Donna Cecilia müsse mir zufallen; ich wäre entehrt, wenn es anders gemacht würde. Mit diesen Worten bot ich meinen Arm der schönen Witwe, die meine Anordnung den Anstandsregeln der guten Gesellschaft entsprechend fand; ein beifälliger Blick meiner Lucrezia durchdrang mich mit dem angenehmsten Gefühl. Indessen machte die Bemerkung des Advokaten einen peinlichen Eindruck auf mich, denn sie stand in Widerspruch mit seinem früheren Benehmen und besonders mit dem, was er mir auf meinem Zimmer gesagt hatte. »Sollte er eifersüchtig geworden sein?« fragte ich mich. Dies hätte mich beinahe verdrießlich gemacht, aber die Hoffnung, ihn beim Monte Testaccio auf andere Gedanken zu bringen, zerstreute den Nebel, und ich war liebenswürdig gegen Donna Cecilia.

Über der Spazierfahrt und dem Imbiß, den der Advokat bezahlte, wurde es schnell Abend; die Kosten der Lustigkeit wurden von mir bestritten, und von meiner Liebe zu Lucrezia war nicht ein einziges Mal die Rede; alle meine Aufmerksamkeiten galten ihrer Mutter. Zu Lucrezia sagte ich nur beiläufig ein paar Worte, mit dem Advokaten sprach ich überhaupt nicht. Mir schien, dies sei das beste Mittel, ihm begreiflich zu machen, daß er einen Verstoß gegen mich begangen habe.

Im Augenblick der Abfahrt nahm der Advokat mir Donna Cecilia weg und eilte mit ihr nach dem anderen Wagen, worin Angelica und Don Francesco bereits saßen. Ich konnte kaum meine Freude darüber verbergen, aber ich bot Donna Lucrezia meinen Arm, indem ich ein Kompliment ohne Sinn und Verstand hervorstotterte. Der Advokat lachte herzlich und schien sich viel einzubilden auf den Streich, den er mir gespielt zu haben glaubte.

Wieviel hätten wir uns nicht zu sagen gehabt, ehe wir uns unserer Zärtlichkeit überließen! Aber die Augenblicke waren ja so kostbar. Wir geizten damit, denn wir wußten, daß wir nur eine halbe Stunde vor uns hatten. Wir schwammen in der Trunkenheit des Glücks, da rief plötzlich Lucrezia: »O mein Himmel! wie sind wir unglücklich!« Sie stößt mich zurück, setzt sich aufrecht, der Wagen hält, und der Diener öffnet den Schlag.

»Was ist denn los?« frage ich.

»Wir sind zu Hause.«

So oft ich mir den Vorfall in die Erinnerung zurückrufe, erscheint es mir wie ein Märchen; denn es ist doch nicht möglich, daß eine halbe Stunde zu nichts wird – und unsere Fahrt hatte wirklich weniger als einen Augenblick gedauert. Dabei waren die Pferde die miserabelsten Klepper, die man sich denken kann. Aber wir hatten Glück. Die Nacht war finster und mein Engel saß so, daß sie zuerst aussteigen mußte. So ging, dank der Langsamkeit, womit Lucrezia ausstieg, alles vortrefflich, obwohl der Advokat ebenso schnell wie der Lakei am Schlage war. Ich blieb bis Mitternacht in Donna Cecilias Hause.

Sobald ich in meinem Zimmer war, ging ich zu Bett. Aber wie hätte ich schlafen können? In mir brannte die ganze Glut der Flamme, die ich wegen der zu kurzen Entfernung vom Testaccio bis Rom nicht wieder dem Herde hatte zurückgeben können, von dem ich sie empfangen hatte. Sie verzehrte mich. Weh denen, die den Wonnen der Venus auch dann noch Wert beimessen, wenn nicht zwei liebende Herzen in vollkommener Einigkeit ihrer genießen.

Ich stand erst auf, als ich meine französische Stunde nehmen mußte. Mein Lehrer hatte eine hübsche Tochter, Barbara, die während der ersten Zeit immer beim Unterricht anwesend war und mir zuweilen sogar selber noch gewissenhafter als der Vater meine Stunde gab. Ein hübscher junger Mensch, der ebenfalls Unterricht nahm, machte ihr den Hof und wurde von ihr geliebt, wie ich leicht bemerken konnte. Der junge Mann besuchte mich öfter, und ich hatte ihn gern, besonders weil er so verschwiegen war. Denn obwohl er mir auf meine Fragen seine Liebe eingestanden hatte, brachte er geschickt das Gespräch auf ein anderes Thema, so oft ich davon anfangen wollte.

Ich ehrte also sein Geheimnis und hatte seit mehreren Tagen nicht mehr davon gesprochen. Plötzlich aber fiel mir auf, daß ich ihn weder bei mir noch beim Sprachlehrer sah und daß auch das junge Mädchen nicht mehr in meine Stunde kam. Dies machte mich neugierig zu wissen, was da vorgefallen sein möchte, obgleich mich im Grunde die Sache sehr wenig interessierte.

Eines Tages, als ich aus der Messe von San Carlo kam, sah ich den jungen Mann und sprach ihn an. Ich machte ihm Vorwürfe, daß er sich gar nicht mehr sehen ließe. Er sagte mir, ihn verzehre ein bitterer Kummer, er habe den Kopf verloren und sei der Verzweiflung nahe. Die Tränen standen ihm in den Augen; ich wollte weiter gehen, aber er hielt mich zurück. Nun sagte ich ihm, er dürfe mich nicht mehr zu seinen Freunden rechnen, wenn er mir nicht sein Herz eröffnete. Er ging mit mir in den Kreuzgang eines nahen Klosters und erzählte mir folgendes:

»Seit sechs Monaten liebe ich Barbara; seit drei Monaten hat sie mir unbestreitbare Beweise ihrer Liebe gegeben. Die Magd verriet uns, und vor fünf Tagen früh um fünf Uhr überraschte uns der Vater in einer unzweideutigen Situation. Schweigend verließ er das Zimmer, und ich glaubte, mich ihm zu Füßen werfen zu können, um seiner Verzeihung gewiß zu sein. Aber im Augenblick, wo ich vor ihm erschien, packte er mich, schleppte mich an die Haustür und verbot mir, jemals wieder sein Haus zu betreten.

»Ich kann nicht um ihre Hand anhalten, denn ich habe einen verheirateten Bruder, und mein Vater ist nicht reich; ich habe kein Einkommen, und meine Liebste hat auch nichts. Ach! Sagen Sie mir doch bitte, da ich Ihnen jetzt alles anvertraut habe: wie geht es ihr denn? Gewiß ist sie ebenso unglücklich wie ich. Ich kann ihr keinen Brief zukommen lassen, denn sie verläßt überhaupt das Haus nicht mehr; nicht einmal in die Messe geht sie. O, ich Unglücklicher! Was soll ich anfangen!«

Ich konnte ihn nur bedauern, denn als Ehrenmann durfte ich mich in diese Sache nicht einmischen. Ich sagte ihm, ich hätte sie seit fünf Tagen nicht gesehen. Und da ich nicht wußte, was ich ihm sonst noch sagen sollte, so gab ich ihm den Rat, den in derartigen Fällen alle Dummköpfe stets bei der Hand haben: er möge sie vergessen.

Wir waren inzwischen weitergegangen und befanden uns in der Nähe der Ripettabrücke. Da ich bemerkte, daß er mit stierem Blick auf die Wellen des Tibers sah, so fürchtete ich, er könne irgend etwas Verzweifeltes tun, und sagte, um ihn zu beruhigen, ich wolle mich nach seiner Freundin bei ihrem Vater erkundigen und ihm dann Bescheid geben. Dies Versprechen beruhigte ihn wirklich etwas, und er bat mich, es nicht zu vergessen.

Obgleich seit dem Ausflug nach Monte Testaccio alle meine Sinne lichterloh brannten, hatte ich seit vier Tagen meine Lucrezia nicht gesehen. Ich fürchtete die sanften Vorwürfe des Vaters Georgi und noch mehr, daß er mir vielleicht für die Folge seinen Rat entziehen könnte. Aber meine Sehnsucht war zu groß; ich suchte sie auf, sobald ich meine französische Stunde genommen hatte, und ich fand sie allein, mit trauriger und niedergeschlagener Miene. »Ach!« sagte sie, als ich bei ihr eintrat, »es ist doch nicht möglich, daß Sie nicht soviel Zeit erübrigen können, mich einmal zu besuchen ?«

»Meine zärtliche Freundin, an Zeit mangelt es mir nicht; aber so eifersüchtig bewache ich meine Liebe, daß ich lieber sterben, als sie der Welt kundgeben will. Ich habe daran gedacht, euch alle zum Mittagessen nach Frascati einzuladen. Ich werde euch einen Phaeton schicken und hoffe, daß irgendein glücklicher Zufall unserer Liebe hold sein wird.«

»Ach ja! Tun Sie das, lieber Freund. Ich bin gewiß, Ihre Einladung wird angenommen werden!«

Eine Viertelstunde später kamen die anderen nach Hause und ich lud sie ein, am nächsten Sonntag meine Gäste zu sein. Es war Sankt Ursula, der Namenstag von Lucrezias jüngster Schwester, Ich bat Donna Cecilia, auch sie und ihren Sohn mitzubringen. Mein Vorschlag wurde angenommen; ich sagte ihr, der Phaeton würde um sieben Uhr vor ihrer Tür stehen, und ich würde mit einem zweisitzigen Wagen ebenfalls um diese Stunde da sein.

Am anderen Tag ging ich wieder zu Dalacqua; als ich meine Stunde genommen hatte, sah ich beim Fortgehen Barbaruccia, die aus einem Zimmer nach einem anderen ging. Sie sah mich an und ließ ein Papier fallen. Ich glaubte es aufheben zu müssen, weil eine Magd, die die Treppe herabkam, es leicht hätte sehen und aufheben können. Es war ein Brief, der einen zweiten für ihren Liebhaber enthielt. Der an mich lautete folgendermaßen:

»Wenn Sie einen Fehler zu begehen glauben, indem Sie diesen Brief an Ihren Freund bestellen, so verbrennen Sie ihn. Haben Sie Mitleid mit einem unglücklichen Mädchen und seien Sie verschwiegen.«

Der eingelegte Brief war unverschlossen, er lautete: »Wenn Deine Liebe der meinen gleicht, so hoffst Du nicht, ohne mich glücklich leben zu können. Das einzige Mittel, uns zu sprechen oder zu schreiben, ist das, dessen ich mich zu bedienen wage. Ich bin bereit, rückhaltslos alles zu tun, was uns bis zu unserem Tode vereinigen kann. Überlege und bestimme!«

Die böse Lage des armen Mädchens tat mir in tiefster Seele leid. Trotzdem entschloß ich mich, ihr am nächsten Tage ihren Brief zurückzugeben. Ich legte ihn einem Briefchen bei, worin ich mich entschuldigte, ihr den von mir erwarteten Dienst nicht leisten zu können. Diesen Brief steckte ich in die Tasche.

Am anderen Tage ging ich wie gewöhnlich in meine Stunde; da ich aber Barbara nicht zu sehen bekam, konnte ich ihr den Brief nicht übergeben; ich dachte nun, ich könnte dies auch am nächsten Tage tun. Aber als ich nach Hause kam, trat der arme Liebhaber bei mir ein. Sein Auge flammte, seine Stimme bebte und er schilderte mir seine Verzweiflung in so bewegten Worten, daß ich irgendeine Übereilung befürchtete. Ich glaubte ihm daher den Trost, den ich ihm gewähren konnte, nicht vorenthalten zu dürfen. Er hatte von Selbstmord gesprochen, weil eine innere Stimme ihm sage, das Mädchen müsse sich vorgenommen haben, ihn zu vergessen. Nur der Brief konnte das widerlegen; und so verleitete Schwäche des Herzens mich zum ersten Fehltritt in dieser verhängnisvollen Angelegenheit.

Der arme Mensch las den Brief und las ihn wieder; er küßte ihn voll Entzücken; er weinte, fiel mir um den Hals, dankte mir, daß ich ihm das Leben gerettet hätte, und beschwor mich schließlich, eine Antwort zu befördern, weil doch seine Freundin gleichen Trostes wie er bedürftig sein müsse. Er versicherte mir, sein Brief würde mich ganz gewiß nicht bloßstellen; übrigens könnte ich ihn ja lesen.

Sein Brief war zwar sehr lang, aber er enthielt wirklich weiter nichts als Versicherungen ewiger Treue und chimärische Hoffnungen. Trotzdem hätte ich mich nicht zum Liebespostillon der jungen Leute hergeben dürfen. Ich hätte mir nur zu sagen brauchen, daß Abbate Georgi ganz gewiß nicht mit meiner Gefälligkeit einverstanden gewesen wäre.

Am folgenden Tage fand ich den alten Dalacqua krank; zu meiner Freude sah ich die Tochter an seinem Bett sitzen und glaubte daher, er werde ihr verziehen haben. Sie gab mir die Stunde, ohne das Bett ihres Vaters zu verlassen. Es gelang mir unschwer, ihr die Botschaft ihres Liebsten zuzustecken; sie steckte sie in die Tasche, aber dabei stieg ihr eine solche Glut ins Gesicht, daß sie sich leicht hätte verraten können. Als die Stunde aus war, sagte ich ihnen, am nächsten Tage würden sie mich nicht sehen. Es war der Tag der Heiligen Ursula, einer der jungfräulichen Märtyrerinnen und Königstöchter.

Abends war ich in der Gesellschaft bei Seiner Eminenz, die ich regelmäßig besuchte, obwohl nur selten irgend jemand von Bedeutung mich ansprach. Der Kardinal winkte mich zu sich heran; er sprach mit der schönen Marchesa G., welcher der Abbate Gama gesagt hatte, ich hätte sie für die hübscheste erklärt.

»Die gnädige Frau«, sagte mir der Kardinal auf französisch, »wünscht zu wissen, ob Sie in der französischen Sprache, die sie selber ausgezeichnet spricht, gute Fortschritte gemacht haben.« Ich antwortete italienisch: ich hätte viel gelernt, getraute mich aber noch nicht zu sprechen.

»Man muß wagen,« sagte die Marchesa zu mir, »aber ohne Ansprüche zu machen. So bleibt man sicher vor Kritik.«

Da ich unwillkürlich dem Wort wagen eine Auslegung gab, an die die Marchesa wahrscheinlich nicht gedacht hatte, stieg mir das Blut ins Gesicht; die schöne Dame merkte es und fing ein anderes Gespräch an. Ich entfernte mich.

Am nächsten Tage war ich um sieben Uhr bei Donna Cecilia. Vor der Türe hielten mein Phaeton und mein Zweisitzer, diesmal ein elegantes Visavis mit weichen Polstern und so vorzüglichen Federn, daß Donna Cecilia den Wagen sehr lobte. »Bei der Rückfahrt nach Rom komme ich daran!« sagte Lucrezia. Ich machte eine Verbeugung, wie wenn ich sie beim Wort nähme. So forderte sie den Verdacht heraus, um ihn zu zerstreuen! Meines Glückes sicher, überließ ich mich aller meiner natürlichen Heiterkeit. Nachdem ich ein auserlesenes Mahl bestellt hatte, gingen wir aus, um die Villa Ludovisi zu besichtigen, und da es leicht möglich war, uns zu verlaufen, so verabredeten wir, daß wir uns um ein Uhr im Gasthof treffen wollten. Die zartfühlende Witwe nahm den Arm ihres Schwiegersohnes, Angelica den ihres Bräutigams, und mein köstlicher Anteil war Lucrezia. Ursula und ihr Bruder liefen weg, um zu spielen, und in weniger als einer Viertelstunde war meine schöne Freundin allein mit mir.

»Hast du gehört«, fragte sie mich, »mit welcher Unschuldsmiene ich mir zwei Stunden süßen Alleinseins mit dir gesichert habe? Unser Wagen heißt nicht umsonst Visavis. Wie erfinderisch ist doch die Liebe!«

»Ja, meine anbetungswürdige Freundin, die Liebe hat unsere beiden Herzen verschmolzen und aus ihnen nur ein einziges gemacht. Ich bete dich an, und wenn ich lange Tage dir fern bleibe, so ertrage ich dies nur darum, weil ich mir dadurch den vollen Genuß eines einzigen Tages sichere.«

»Ich hätte es nicht für möglich gehalten; dies ist alles dein Werk; du weißt zuviel für dein Alter, mein Freund!«

»Vor einem Monat, angebetete Freundin, war ich ein unwissender Knabe. Du bist die erste Frau, die mich in die wirklichen Mysterien der Liebe eingeweiht hat. Deine Abreise, Lucrezia, wird mich unglücklich machen, denn ganz Italien kann kein anderes Weib besitzen, das dir gleich käme.«

»Wie? Ich bin deine erste Liebe? Ach, Unglücklicher, du wirst sie nie verwinden! Warum bin ich nicht dein? Auch du bist meines Herzens erste Liebe, und du wirst sicherlich seine letzte bleiben. Glücklich die Frau, die du nach mir liebst! Ich werde nicht eifersüchtig auf sie sein, aber eins macht mir Schmerz: sie wird dich nicht mit einem solchen Herzen lieben wie ich.«

Meine Augen standen voller Tränen; da ließ Lucrezia den ihren freien Lauf, und auf dem Rasen sitzend schlürften wir mit süßesten Küssen ihren Nektar ein. Wie süß sind Tränen der Liebe, wenn man im Rausche gegenseitiger Zärtlichkeit sie schlürft! Ich habe sie in ihrer ganzen Süße gekostet, diese wundervollen Zähren, und ich kann als Sachverständiger bestätigen, daß die alten Physiker recht hatten und die modernen unrecht haben.

In einem Augenblick der Ruhe sah ich sie an, wie sie in der entzückendsten Unordnung neben mir lag, und sagte ihr, wir könnten überrascht werden. »Fürchte das nicht, mein Freund! Wir stehen in der Hut unserer Schutzgeister.«

Aus unseren liebenden Blicken frische Kräfte schöpfend, ruhten wir uns aus, da sah plötzlich Lucrezia nach rechts und rief: »Sieh, mein Herz! Habe ich’s dir nicht gesagt? Ja, unsere Schutzgeister bewachen uns. Ach, wie er uns ansieht! Sein Blick sucht uns zu beruhigen. Sieh diesen kleinen Dämon! In ihm offenbart sich das tiefste Geheimnis der Natur. Bewundere ihn! Ganz gewiß ist er dein Schutzgeist oder der meinige.«

Ich glaubte, sie rede irre.

»Was sagst du, geliebtes Herz? Ich verstehe dich nicht. Was soll ich bewundern?«

»Siehst du denn nicht die schöne Schlange mit der flammenden Haut, die erhobenen Kopfes uns anzubeten scheint?«

Ich sah nun in die Richtung, nach der ihr Finger wies, und bemerkte eine Schlange mit schillernder Haut; sie war etwa eine Elle und sah uns wirklich an. Dieser Anblick machte mir kein Vergnügen, aber ich wollte nicht weniger unverzagt erscheinen als meine Schöne.

»Ist es möglich, meine angebetete Freundin,« rief ich, »daß ihr Anblick dich nicht erschreckt?«

»Ihr Anblick entzückt mich, sage ich dir; ich bin überzeugt, es ist eine Gottheit, die von der Schlange nur die Form oder vielmehr den äußeren Anschein hat.«

»Und wenn sie nun durch das Gras zischend auf dich losführe?«

»Ich würde dich noch fester gegen meinen Busen pressen und würde sie herausfordern, mir etwas Böses anzutun! In deinen Armen kennt Lucrezia keine Furcht. Sieh, da verschwindet sie! Schnell, schnell! Durch ihre Flucht kündigt sie uns an, daß irgendein Unberufener naht, und sagt uns, daß wir uns eine andere Zuflucht suchen müssen, um dort neue Wonnen zu finden. Auf!«

Kaum hatten wir uns erhoben und mit langsamen Schritten uns entfernt, da sahen wir aus einem nahen Baumgang Donna Cecilia und den Advokaten herauskommen. Wir wichen ihnen nicht aus und beeilten uns auch nicht, ihnen entgegenzugehen, sondern taten, als sei es ganz natürlich, daß wir uns begegneten. Ich fragte Donna Cecilia, ob ihre Tochter Furcht vor Schlangen habe.

»Trotz ihrer Klugheit«, antwortete mir die Witwe, »fürchtet sie den Donner so sehr, daß sie vor Angst ohnmächtig wird, und schreit auf, sobald sie die kleinste Schlange sieht. Es gibt hier Schlangen, aber sie braucht sich vor diesen nicht zu fürchten, denn sie sind nicht giftig.«

Mir standen vor Erstaunen die Haare zu Berge, denn diese Worte bewiesen mir, daß ich Zeuge eines wahren Liebeswunders gewesen war. In diesem Augenblick kamen die Kinder dazu, und in zwanglosester Weise trennten wir uns wieder.

»Sage mir, erstaunliches Wesen, entzückendes Weib: was hättest du gemacht, wenn du statt deiner schönen Schlange deinen Gatten und deine Mutter hättest kommen sehen?«

»Nichts! Weißt du denn nicht, daß in solchen feierlichen Augenblicken Liebende nur Liebende sind? Kannst du daran zweifeln, daß ich ganz und gar, mit Leib und Seele dein war?«

Diese Worte Lucrezias waren ein Gedicht; aber sie wußte es nicht. In ihren Blicken, im Ton ihrer Stimme lag lauterste Wahrheit.

»Glaubst du,« fragte ich sie, »daß jemand Verdacht auf uns hat?«

»Mein Mann hält uns nicht für verlieht, oder er mißt gewissen Kleinigkeiten, die die Tugend sich herauszunehmen pflegt, keine Bedeutung bei. Meine Mutter ist klug und errät vielleicht die Wahrheit; aber sie weiß, daß dergleichen sie nichts mehr angeht. Meine Schwester weiß natürlich alles, denn wie hätte sie das zusammengebrochene Bett vergessen können? Aber sie ist vernünftig; außerdem bedauert sie mich. Sie hat keine Ahnung, welcher Art meine Gefühle für dich sind. Ohne dich, mein süßer Freund, wäre ich wahrscheinlich durchs Leben gegangen, ohne je zu wissen, was Liebe ist. Denn was ich für meinen Gatten empfinde …. Ich bringe ihm die Gefälligkeit entgegen, zu der mich unser Verhältnis verpflichtet.«

»Und doch ist er recht glücklich, und ich beneide ihn um sein Glück. Er kann dich in seine Arme pressen, so oft er will; kein lästiger Schleier entzieht ihm auch nur einen einzigen deiner Reize.«

»Wo bist du, meine liebe Schlange? Komm schnell. Schütze mich vor den Blicken Unberufener, daß ich den Wünschen meines Angebeteten mich ergebe!«

Den ganzen Morgen sagten wir uns, daß wir uns liebten, und gaben uns wiederholte Beweise davon.

Wir hatten ein leckeres Essen, und während der Mahlzeit war ich der aufmerksamste Kavalier der liebenswürdigen Cecilia. Meine schöne Schildpattdose, die ich mit ausgezeichnetem Tabak gefüllt hatte, machte mehrere Male die Runde. Als gerade Lucrezia, die links von mir saß, sie in der Hand hatte, sagte ihr Mann zu ihr, sie könne mir ihren Ring geben und dafür die Dose behalten. Ich glaubte, der Ring sei weniger wert als die Dose, und sagte schnell, ich nähme ihn beim Wort; aber er war wertvoller. Donna Lucrezia wollte keine Vernunft annehmen; sie steckte die Dose in die Tasche, und so mußte ich denn den Ring behalten.

Beim Nachtisch wurde die Unterhaltung immer lebhafter; plötzlich bat Angelicas Bräutigam um Silentium; er wolle ein Sonett vorlesen, das er mir zu Ehren gedichtet habe. Natürlich mußte ich mich bei ihm dafür bedanken; ich nahm das Sonett, steckte es in die Tasche und versprach ihm, ich wolle eine Erwiderung darauf dichten. Dies entsprach nun nicht eigentlich seinen Wünschen; er glaubte, mir würde der Wetteifer keine Ruhe lassen, ich würde flugs Tinte und Papier verlangen und seinem verdammten Apoll Stunden widmen, die ich einem Gott zu weihen gedachte, den sein Phlegma nur dem Namen nach kannte.

Wir tranken den Kaffee, ich bezahlte den Wirt, und dann drangen wir in die Labyrinthe der Villa Aldobrandini ein.

Wie süße Erinnerungen hat mir dieser Ort hinterlassen! Mir war’s, als sähe ich meine göttliche Lucrezia zum erstenmal. Unsere Blicke glühten, unsere beiden Herzen pochten vor zärtlicher Ungeduld, und eine unbewußte Ahnung leitete uns zum einsamsten Zufluchtsort, den die Hand der Liebe geschaffen zu haben schien, um dort die Mysterien ihres Geheimdienstes zu vollziehen. Dort inmitten eines langen Baumganges und unter dichtem Laub erhob sich eine breite Rasenbank vor einem Dickicht; vor uns schweiften unsere Blicke über eine große Ebene hin; auch nicht ein Kaninchen hätte unbemerkt heranschleichen können. Wir übersahen den Baumgang nach rechts und links in einer Entfernung, daß jede Uberraschung ausgeschlossen war. Unter einer Viertelstunde konnte niemand, selbst wenn er lief, uns erreichen. Nur hier in Dur habe ich einen ähnlichen Platz gesehen. Aber der deutsche Gärtner hat das Rasenbett vergessen. Wir brauchten nicht miteinander zu sprechen; unsere Herzen verstanden sich.

Ohne ein Wort zu sagen, hatten wir, voreinander stehend, bald mit geschickten Händen alle Hindernisse beseitigt und der Natur alle Reize zurückgegeben, die durch lästige Hüllen ihr entzogen werden. Zwei volle Stunden entschwanden in den süßesten Entzückungen. Endlich sahen wir uns befriedigt und entzückt an und riefen aus einem Munde: Liebe, ich danke dir!

Langsam begahen wir uns zu unseren Wagen, unterwegs durch die zärtlichsten Bekenntnisse uns erheiternd. Meine Lucrezia sagte mir, Angelicas Bräutigam sei reich; er besitze ein schönes Haus in Tivoli und werde uns wahrscheinlich einladen, mit ihm einen Ausflug zu machen und dort die Nacht zu verbringen.

»Ich beschwöre die Liebe,« rief sie, »sie möge mir ein Mittel eingeben, diese Nacht ohne Hindernisse zu verbringen, wie ich diesen Glückstag verbracht habe.« Aber in traurigem Ton fuhr sie fort: »Leider geht der Prozeß, der meinen Mann hierher geführt hat, so gut vonstatten, daß ich eine Höllenangst habe, er erhält das Urteil zu früh!«

Auf der Rückfahrt verbrachten wir zwei Stunden in meinem Visavis. Wir forderten sozusagen die Natur heraus und verlangten von ihr mehr als sie geben konnte: bei der Ankunft in Rom mußten wir den Vorhang herablassen, bevor noch das Stück zu Ende war, in dem wir zu unserer großen Befriedigung die einzigen Mitwirkenden waren.

Etwas ermüdet kam ich nach Hause; aber ein Schlaf, wie man in diesem Alter ihn hat, gab mir meine ganze Kraft wieder, und am Morgen ging ich um die gewöhnliche Zeit in meine französische Stunde.

  1. Die köstlichen Briefe des geistreichen Abbate Galiani erschienen im Herbst 1906, zum erstenmal vollständig übersetzt von Heinrich Conrad und Margherita Conrad, herausgegeben und mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Wilhelm Weigand bei Georg Müller in München. (2 Bände, Preis M. 15.–, geb. M. 20,–).
  2. Im Anfang des 1. Kapitels nennnt Casanova diesen nachgeborenen Sohn Marcantonios: Giacomo.

Neunzehntes Kapitel


Kleine Unglücksfälle, die mich nötigten, Venedig zu verlassen. – Erlebnisse in Mailand und Manua.

Am zweiten Ostertag besuchte uns Carlo mit seiner reizenden Frau, die mir in jeder Beziehung eine andere Person schien als Cristina. Allein das rührte von ihrer gepuderten Frisur her, die nicht die Ebenholzschwärze ihrer köstlichen Haare aufwog, und von ihrer Damenkleidung, die viel weniger anziehend war, als die einer reichen Bäuerin. Das Glück stand auf ihren Gesichtern geschrieben. Carlo machte mir zarte Vorwürfe, daß ich sie nicht ein einziges Mal besucht hätte, und um mein augenscheinliches Unrecht gutzumachen, besuchte ich sie am zweiten Tage darauf mit Herrn Dandolo. Carlo sagte mir, seine Frau werde von seiner Tante vergöttert und sei die beste Freundin seiner Schwester. Sie sei sanft, gefällig, teilnahmsvoll und habe ein sehr einschmeichelndes Wesen. Das machte mir das größte Vergnügen und beinahe ein ebenso großes empfand ich, als ich sah, daß Cristina sich mit der venezianischen Mundart vollkommen vertraut zu machen begann.

Wir fanden Carlo nicht zu Hause, Cristina war mit ihren beiden Verwandten allein. Wir wurden ausgezeichnet aufgenommen und als das Gespräch darauf kam, lobte die Tante ihre Fortschritte im Schreiben und forderte sie auf, mir ihr Heft zu zeigen. Wir gingen in das benachbarte Zimmer, wo sie mir sagte, daß sie glücklich sei und daß sie jeden Tag engelhafte Eigenschaften an ihrem Gatten entdecke. Er hatte ihr ohne den geringsten Zug von Argwohn oder Mißtrauen gesagt, er wisse, daß wir zwei Tage zusammen verbracht hätten, und er habe der wohlmeinenden Person ins Gesicht gelacht, die ihm diese dienstfertige Mitteilung gemacht habe, um ihr Glück zu trüben.

Carlo hatte alle Tugenden und die edlen Eigenschaften eines ehrenwerten und ausgezeichneten Menschen. Sechsundzwanzig Jahre nach seiner Heirat mußte ich mich an seine Börse wenden, und ich fand ihn als meinen wahren Freund. Ich habe niemals sein Haus besucht, und er wußte mein Zartgefühl zu schätzen. Einige Monate vor meiner Abreise von Venedig ist er gestorben; er hinterließ seine Witwe in guten Verhältnissen und drei wohlerzogene Söhne, die alle gut angestellt waren und vielleicht noch bei ihrer Mutter leben.

Im Monat Juni ging ich nach Pabua zum Jahrmarkt und befreundete mich dort mit einem jungen Mann meines Alters, der unter dem berühmten Professor Succi Mathematik studierte. Er hieß Tognolo, aber er änderte diesen übelklingenden Namen in Fabris. Er ist derselbe, der als Graf von Fabris und Generalleutnant Josephs des Zweiten in Siebenbürgen starb, wo er für diesen Herrscher kommandierte. Dieser Mann, der sein Glück seinen Tugenden verdankte, würde vielleicht in der Dunkelheit gestorben sein, wenn er seinen Namen Tognolo beibehalten hätte, der ein ganz bäurischer Name ist. Er stammte aus Oderzo, einem großen Flecken im venezianischen Friaul. Er hatte einen Bruder, der Abbate, ein geistreicher Mann und großer Spieler war und der, da er die Welt kannte, den Namen Fabris angenommen hatte, worauf auch der andere Bruder sich so nennen mußte, um ihn nicht Lügen zu strafen. Bald darauf kaufte er ein Lehen mit einem Grafentitel, wurde venezianischer Nobile und hörte auf, ein Bauer zu sein. Wenn er seinen Namen Tognolo beibehalten hätte, so würde ihm dieser Name Schaden bereitet haben, denn er hätte ihn niemals aussprechen können, ohne sich an das zu erinnern, was man nach dem verächtlichen Vorurteil eine niedrige Herkunft nennt. Die bevorrechtigte Klasse will in strafbarem Irrtum nicht glauben, daß in einem Bauer Größe und Genie sein könnten. Die Zeit wird zweifellos kommen, wo die Gesellschaft aufgeklärter und vernünftiger sein und erkennen wird, daß in allen Ständen edle Gefühle, Ehre und Heldentum sich ebenso leicht finden können, wie in einer Klasse, deren Blut nicht immer frei von dem Makel der Mesalliance ist.

Indem der neue Graf seinen Ursprung in Vergessenheit brachte, war er übrigens zu verständig, um ihn selbst zu vergessen, und bei allen von ihm unterzeichneten Urkunden ist sein Familienname immer neben seinem angenommenen Namen gestanden. Sein Bruder bot ihm zwei Wege an, die er für sein Fortkommen in der Welt einschlagen sollte, und ließ ihm die Wahl zwischen diesen beiden. Der eine wie der andere forderte eine Ausgabe von tausend Zechinen, aber der Abbé hielt diese Summe bereit. Es handelte sich für meinen Freund um die Wahl zwischen dem Schwert des Mars und dem Vogel der Minerva. Der Abbate war überzeugt, für seinen Bruder eine Kompanie in der Armee Seiner Kaiserlichen apostolischen Majestät kaufen oder ihm einen Lehrstuhl an der Universität Padua verschaffen zu können, denn Geld macht alles. Aber mein Freund, mit einem rechtschaffenen Sinn begabt und voll edler Gefühle, wußte, daß er sowohl in dem einen wie in dem anderen Fall Kenntnisse brauchte, um auf ehrenvolle Weise seine Laufbahn zu verfolgen, und studierte, bevor er eine Entscheidung traf, mit Erfolg die mathematischen Wissenschaften. Er entschied sich für die Laufbahn der Waffen, wie Achilles, der das Schwert der Spindel vorzog. Auch bezahlte er, wie der Sohn des Peleus, mit seinem Leben; allerdings starb er weniger jung als der Besieger Hektors und nicht an einem Pfeilschuß, sondern an der Pest, die er in dem unglücklichen Land erwarb, in dem das sorglose Europa den Türken erlaubt, sie fortzupflanzen.

Das vornehme Wesen, die edlen Gefühle, die Kenntnisse und die Tugenden von Fabris würden unter dem Namen Tognolo lächerlich geworden sein, denn so groß ist die Macht des Vorurteils, besonders bei denen, die sich nur auf einen dummen Hochmut stützen können, daß ein übelklingender Name in der dümmsten aller Welten seinen Träger herabwürdigt. Ich glaube, wer einen übelklingenden Namen trägt oder einen solchen, der an unanständige oder lächerliche Gedanken anklingt, sollte ihn ändern, wenn er auf Ehren, Beachtung und auf eine glückliche Laufbahn in Kunst und Wissenschaft Anspruch macht. Vernünftigerweise sollte ihm niemand dieses Recht bestreiten können, vorausgesetzt, daß der Name, den er annimmt, niemandem sonst gehört. Das Alphabet ist allgemeines Eigentum, und jeder ist frei, sich desselben zu bedienen, um ein Wort zu bilden und sich damit zu benennen. Aber er muß den Namen selber verfaßt haben. Voltaire würde trotz seinem Genie mit seinem Namen Arouet vielleicht nicht auf die Nachwelt gekommen sein, und besonders bei einem Volke, wo Zweideutigkeit und Lächerlichkeit stets in erster Reihe stehen. Wie hätte man in einem Schriftsteller, der à rouer (zu rädern) war, einen großen Mann finden können? Und würde d´Alembert seinen hohen Glanz und seine Berühmtheit erreicht haben, wenn er sich begnügt hätte, Herr Le Rond oder der Runde zu sein? Welches Aufsehen würde Metastasio unter seinem wahren Namen Trapasso gemacht haben? Welchen Eindruck würde Melanchthon mit seinem Namen Schwarzerde hervorgerufen haben? Würde er es gewagt haben, als Moralphilosoph und als Reformator der Eucharistie und so vieler anderer heiliger Dinge zu sprechen? Und hätte Herr von Beauharnais nicht die einen zum Lachen und die anderen zum Erröten gebracht, wenn er feinen Namen Beauvit beibehalten hätte, selbst wenn der erst seiner alten Familie der Wirklichkeit dieses Namens sein Glück verdankt hätte? Würden die Bourbeur (die Kotigen) auf dem Throne eine so schöne Figur gemacht haben wie die Bourbons? Die Coraglio würden sicher den Namen wechseln, wenn sie sich in Portugal niederlassen würden. Der König Poniatowski hätte, denke ich, den Namen Augustus, den er bei seiner Thronbesteigung angenommen hatte, ablegen sollen, als er auf die Königswürde verzichtete. Nur die Coleoni von Bergamo würden in Verlegenheit sein, wenn sie ihren Namen ändern sollten, denn sie wären gleichzeitig verpflichtet, das Zeichen ihres Wappens zu ändern, da sie auf dem Schild ihrer alten Familie die Hoden führen, und müßten dadurch den Ruhm des Helden Bartolomeo, ihres Ahnherrn, zerstören!

Gegen das Ende des Herbstes stellte mich mein Freund Fabris einer Familie vor, die so recht geschaffen war, Herz und Geist zu erquicken. Sie wohnte auf dem Lande in der Gegend von Zero. Es wurde gespielt, geliebelt, und man bemüht sich, gegenseitig sich Streiche zu spielen. Diese waren manchmal sehr derb; aber die Tapferkeit erforderte, über nichts böse zu werden, über alles zu lachen, denn wer keinen Scherz verstand, galt für einen Dummkopf.

Man ließ Betten zusammenfallen, ließ Gespenster erscheinen, man gab den jungen Damen harntreibende Pillen oder Zuckerplätzchen und zuweilen solche, von denen Blähungen erzeugt wurden, die man nicht zurückhalten konnte. Diese Scherze gingen manchmal ein bißchen weit, aber so war nun einmal der Geist der Gesellschaft: es sollte durchaus gelacht werden. Ich war im Handeln wie im Dulden nicht weniger tapfer als die anderen. Aber schließlich spielte man mir einen nichtswürdigen Streich, und dieser gab mir einen anderen ein, dessen schlimme Folgen der Manie, die alle Welt ergriffen hatte, ein Ende machten.

Wir machten gewöhnlich einen Spaziergaug zu einem Pachtgut, das auf dem gewöhnlichen Wege eine halbe Meile entfernt lag. Man kürzte den Weg aber um die Hälfte ab, wenn man auf einem schmalen Brett einen tiefen und kotigen Graben überschritt, und diesen Weg schlug ich immer ein trotz der Furcht unserer Schönen, die vor Angst zitterten, obwohl ich ihnen immer vorausging und ihnen von drüben die Hand reichte. Eines schönen Tages, als ich zuerst hinübergehe, um den Damen Mut zu machen, weicht das Brett ungefähr in der Mitte plötzlich unter mir, und ich liege in dem Graben, in einem stinkenden Kot eingehüllt, der mir bis zum Kinn geht, und trotz der Wut, die ich im Grunde des Herzens spüre, muß ich nach üblichem Brauch in die allgemeine Heiterkeit einstimmen, die indessen nur einen Augenblick dauerte, denn der Streich war abscheulich, und die ganze Gesellschaft erklärte ihn dafür. Man rief Bauern herbei, die mich mit großer Mühe und in einem kläglichen Aufzug herauszogen. Ein ganz neues Modell, mit Flittern gestickt, meine Spitzen, meine Strümpfe, mit einem Wort, alles war verdorben. Dessenungeachtet lachte ich stärker als die anderen, obgleich ich innerlich daran dachte, mich so grausam wie nur möglich zu rächen. Um den Urheber dieses schlechten Streiches kennenzulernen, brauchte ich nur zu schweigen und mich ruhig und gleichgültig zu zeigen. Es war ersichtlich, daß das Brett durchgesägt worden war. Man schaffte mich nach Hause und lieh mir ein Kleid, ein Hemd, überhaupt alles, denn, da ich diesmal nur auf vierundzwanzig Stunden anwesend war, so hatte ich nichts bei mir. Am nächsten Tag begab ich mich in die Stadt, und am Abend fand ich mich wieder bei der lustigen Gesellschaft ein. Fabris, der nicht weniger erzürnt war als ich, sagte mir, der Urheber des hinterlistigen Streiches müsse wohl sein Unrecht fühlen, denn er habe sich nicht entdeckt. Eine Zechine, die ich einer Bäuerin versprach, wenn sie mir sagen könnte, von wem das Brett durchgesägt worden wäre, enthüllte mir alles. Sie sagte mir, das Brett habe ein junger Mann durchgesägt, den sie mir nannte. Ich suchte ihn auf, und das Versprechen einer zweiten Zechine, noch mehr aber meine Drohungen veranlassten ihn zu gestehen, daß er von einem Herrn Demetrio dafür bezahlt worden wäre, einem griechischen Gewürzhändler im Alter von fünfundvierzig bis fünfzig Jahren, gut und liebenswürdig, dem ich keinen anderen Streich gespielt hatte, als daß ich ihm eine zierliche kleine Zofe weggeschnappt hatte, in die er verliebt war.

Zufrieden mit meiner Entdeckung, zerbrach ich mir den Kopf, welchen Streich ich ihm wohl spielen könnte. Damit aber meine Rache vollständig wäre, mußte mein Streich stärker sein als der, den er mir gespielt hatte. Meine Erfindungskraft ließ mich im Stich und zeigte mir nichts Befriedigendes. Ein Begräbnis zog mich aus der Verlegenheit.

Mit einem Jagdmesser bewaffnet begab ich mich ganz allein, kurz nach Mitternacht, auf den Friedhof, schaufelte den Toten aus, den man an demselben Tage begraben hatte, und schnitt nicht ohne Mühe ihm den Arm bei der Schulter ab. Nachdem ich den Leichnam wieder eingescharrt hatte, kehrte ich mit dem Arm des Toten in mein Zimmer zurück. Am nächsten Tage speiste ich mit der ganzen Gesellschaft zu Abend und begab mich darauf in mein Zimmer, wie wenn ich schlafen gehen wollte. Aber bald verließ ich es wieder, mit meinem Arm bewaffnet, schlich mich in das Zimmer des Griechen ein und verbarg mich unter seinem Bett. Eine Viertelstunde später tritt mein Mann ein, kleidet sich aus, löscht sein Licht aus und legt sich nieder. Ich warte, bis er anfängt einzuschlafen. Hierauf ziehe ich vom Bettende her nach und nach die Decke herab, so daß er bis zu den Hüften entblößt liegt.

Er begann zu lachen und sagte: »Wer Sie auch seien, gehen Sie und lassen Sie mich schlafen; ich glaube an keine Geister.«

Mit diesen Worten zog er die Decke wieder an sich und suchte wieder einzuschlafen. Ich wartete fünf oder sechs Minuten und begann ihn wieder zu entblößen. Allein, als er seine Decke wieder hinaufziehen wollte, indem er mir wiederholte, daß er keine Geister fürchtete, setzte ich ihm Widerstand entgegen. Er richtete sich auf, um die Hand fassen zu können, die die Decke hielt, aber ich richtete es so ein, daß er die Totenhand fand. Im Glauben, den Mann oder die Frau, die ihn neckte, zu halten, zog er lachend an ihr, ich aber hielt den Arm während einiger Augenblicke fest. Als ich ihn plötzlich losließ, fiel der Grieche auf seine Polster zurück und sprach kein Wort.

Da mein Stück ausgespielt war, ging ich leise davon, kehrte in mein Zimmer zurück und legte mich nieder.

Ich schlief tief, als plötzlich ein lautes Hin- und Herlaufen mich zeitig am Morgen weckte. Da ich den Grund nicht begriff, erhob ich mich, und die Frau des Hauses, der ich zuerst begegnete, sagte mir, was ich getan hätte, wäre zu stark.

»Was habe ich denn getan?«

»Herr Demetrio liegt im Sterben.«

»Habe ich ihn denn getötet?«

Sie ging fort, ohne mir zu antworten. Ich kleidete mich ein wenig erschrocken an, war aber auf alle Fälle entschlossen, den Unwissenden zu spielen. Ich ging in das Zimmer des Griechen. Dort fand ich das ganze Haus, und alle blickten mich mit Entsetzen an; man machte mir die heftigsten Vorwürfe. Ich beteuerte meine Unschuld, aber jeder lachte mir ins Gesicht. Der Erzpriester und der Meßner, die man geholt hatte, und die den Arm, der noch da war, nicht eingraben wollten, sagten mir, ich hätte ein großes Verbrechen begangen.

»Ich bin erstaunt, Hochwürden,« sagte ich zu dem Erzpriester, »über das vermessene Urteil, das man sich auf meine Rechnung zu fällen erlaubt, ohne durch irgendeinen Beweis dazu berechtigt zu sein.« »Sie, nur Sie allein,« riefen alle Anwesenden einstimmig, »sind einer solchen Abscheulichkeit fähig. Sie sieht Ihnen ähnlich. Kein anderer als Sie würde es zu tun gewagt haben.«

»Ich bin verpflichtet,« sagte der Erzpriester, »ein Protokoll aufzunehmen.«

»Wie Sie wollen, es steht vollkommen in Ihrem Belieben«, sagte ich zu ihm. »Aber ich sage Ihnen im voraus, daß ich nichts fürchte. Ich gehe.«

Als ich mich bei dem Mittagmahl ruhig und gleichgültig verhielt, sagte man mir, man habe dem Griechen zur Ader gelassen und er habe die Bewegung der Augen wieder erlangt, aber noch nicht die Sprache und den Gebrauch der Glieder. Am nächsten Tage sprach er, und ich erfuhr nach meiner Abreise, daß er blöde und an Krämpfen leidend geblieben wäre. Er hat den Rest seines Lebens in diesem traurigen Zustande zugebracht. Sein Schicksal betrübte mich, aber da ich nicht die Absicht gehabt hatte, ihm so viel Übles zuzufügen, so tröstete ich mich, indem ich daran dachte, daß der Streich, den er mir gespielt hatte, mir leicht das Leben hätte kosten können.

An demselben Tage entschloß sich der Erzpriester, den Arm wieder in das Grab legen zu lassen, und reichte zugleich bei der bischöflichen Kanzlei in Treviso eine förmliche Anklage gegen mich ein.

Gelangweilt von den Vorwürfen, die man mir machte, kehrte ich nach Venedig zurück. Vierzehn Tage darauf empfing ich eine Vorladung, wegen Gotteslästerung vor Gericht zu erscheinen. Ich bat Herrn Barbaro, sich nach der Ursache der besagten Vorladung zu erkundigen, denn es war eine gefürchtete Behörde. Ich wunderte mich, daß man gegen mich verfuhr, als ob man die Gewißheit gehabt hätte, daß ich ein Grab geschändet hätte, während man doch höchstens nur den Verdacht haben konnte. Aber es betraf nicht dieses. Herr Barbaro sagte am Abend, es sei eine Frau gegen mich klagbar geworden und habe Gerechtigkeit wegen der Schändung ihrer Tochter verlangt. Sie besagte in ihrer Klage, ich habe ihre Tochter nach der Zuecca gelockt und hätte sie mit Gewalt mißbraucht; zum Beweis fügte sie bei, daß ihre Tochter infolge der schlechten Behandlung, die ich ihr zugefügt hätte, um mein Ziel zu erreichen, im Bette läge.

Es war eine von den Klagen, die oft eingereicht werden, um einem ganz Unschuldigen Ausgaben und Verlegenheiten zu bereiten. Ich war unschuldig in bezug auf die Schändung. Allein es war wahr, daß ich das Mädchen ordentlich geprügelt hatte. Ich setzte meine Verteidigung auf und bat Herrn Barbaro, sie gütigst dem Gerichtssekretär überreichen zu wollen.

»Erklärung.

Ich erkläre, daß ich an dem und dem Tage der Frau mit ihrer Tochter begegnet bin und daß ich sie mit dem Anerbieten angesprochen habe, bei einem Limonadenhändler einzutreten, um uns dort zu erfrischen. Als sich dort die Tochter meinen Liebkosungen entzog, sagte die Mutter zu mir:

»Sie ist noch unberührt und hat recht, sich nicht hinzugeben, ohne Gewinn daraus zu ziehen.«

»Wenn das wahr ist,« sagte ich zu ihr, »so gebe ich Ihnen sechs Zechinen für die Erstlinge.«

»Sie können sich davon überzeugen«, sagte die Mutter zu mir.

Nachdem ich mich durch Berührung überzeugt und erkannt hatte, daß das möglich sein könnte, sagte ich zu ihr, sie möchte sie nachmittags auf die Zuecca führen; ich würde ihr dort die sechs Zechinen geben. Nachdem mein Angebot mit Freude angenommen worden war, führte mir die Mutter ihre Tochter zu und überließ sie mir am Ende des Gartens della Croce, wo sie uns, nachdem sie die sechs Zechinen empfangen, verließ und wegging.

Als ich meine erlangten Rechte ausüben wollte, fand das Mädchen, das, wie ich glaube, durch ihre Mutter unterrichtet war, ein Mittel, mich daran zu hindern. Zuerst gefielen mir diese Manöver, allein zuletzt wurde ich ermüdet und sagte ihr ernstlich, sie sollte ein Ende machen. Sie antwortete nur sanft, es wäre nicht ihre Schuld, wenn ich nicht könnte. Gereizt und gelangweilt brachte ich sie hierauf in eine Lage, die sie in Verlegenheit brachte. Aber sie sträubte sich mit aller Stärke und versetzte mich in die Unmöglichkeit, etwas zu unternehmen.

»Warum«, sagte ich zu ihr, »sträubst du dich?«

»Weil ich es nicht so will.«

»Du willst nicht?«

»Nein«

Hierauf brachte ich meine Kleider in Ordnung, nahm, ohne den geringsten Lärm zu machen, einen Besenstiel, der dort lag, und gab ihr einen tüchtigen Denkzettel, um wenigstens etwas für meine sechs Zechinen zu haben, die ich, töricht genug, im voraus bezahlt hatte. Aber ich habe ihr weder Arme noch Beine zerbrochen, da ich Sorge dafür trug, sie nur auf ihrem Allerwertesten zu züchtigen, wo sich alle Spuren meiner Züchtigung finden müssen. Am Abend zwang ich sie, sich wieder anzukleiden, und ließ sie in ein Boot steigen, das zufällig vorüberkam und das sie sicher übersetzte. Die Mutter des Mädchens erhielt sechs Zechinen, die Tochter hat ihre abscheuliche Jungfernschaft behalten, und wenn ich schuldig bin, so bin ich es nur deshalb, weil ich ein Mädchen geschlagen habe, die schändliche Schülerin einer noch schändlicheren Mutter.«

Meine Erklärung hatte keine Wirkung, denn der Beamte kannte das Mädchen, und die Mutter lachte darüber, mich betrogen zu haben. Die Bemühungen meiner Freunde nützten nichts. Man lud mich vor, ich erschien nicht. Es sollte ein Verhaftsbefehl wider mich erlassen werden, als die Klage wegen der Leichnamsschändung bei demselben Gericht eingebracht wurde. Es wäre für mich viel weniger schlimm gewesen, wenn diese zweite Angelegenheit vor den Rat der Zehn gekommen wäre, denn vielleicht würde mich ein Gericht vor dem anderen gerettet haben.

Dieses zweite Verbrechen, das im Grunde nur lächerlich war, wurde durch die geistliche Wichtigtuerei zu einer Felonie ersten Ranges gestempelt. Ich wurde aufgefordert, binnen vierundzwanzig Stunden persönlich zu erscheinen, und ich hatte die Gewißheit, daß sofort meine Verhaftung würde verfügt werden. Herr von Bragadino war wie immer ein guter Ratgeber und sagte mir, ich sollte, um den Sturm zu beschwören, Fersengeld geben. Diesen Rat fand ich sehr weise und traf, ohne eine Minute zu verlieren, meine Vorbereitungen.

Niemals habe ich Venedig mit größerem Bedauern verlassen als dieses Mal, denn ich hatte einige sehr angenehme galante Intrigen im Gange, und das Glück begünstigte mich im Spiel. Meine Freunde versicherten mir, daß in spätestens einem Jahr meine beiden Angelegenheiten unterdrückt sein würden, denn in Venedig kommt alles in Ordnung, sobald das Publikum vergessen hat.

Ich reiste bei Eintritt der Nacht ab und schlief am nächsten Tage in Verona. Ich hielt mich dort nicht auf, denn zwei Tage darauf ging ich schon in Mailand schlafen. Ich reiste allein, gut ausgestattet, ausgezeichnet mit Juwelen versehen, zwar ohne Empfehlungsbriefe, aber mit gut gespickter Börse, erfreute mich einer glänzenden Gesundheit und war dreiundzwanzig Jahre alt.

Ich ließ mir ein vortreffliches Mittagessen auftragen, denn damit muß man in einem großen Gasthof stets beginnen. Hierauf ging ich spazieren. Nachdem ich die Kaffeehäuser und die Promenaden nur angesehen hatte, ging ich ins Theater und war hochentzückt, als ich auf der Bühne Marina als Grotesktänzerin, mit beneidenswertem Beifall begrüßt, erscheinen sah. Sie verdiente es, denn sie tanzte ausgezeichnet; sie war groß, schön, vollkommen geformt und sehr anmutig. Ich faßte den Entschluß, wieder mit ihr anzuknüpfen, wenn sie frei wäre, und ließ mich nach der Oper zu ihr führen. Sie setzte sich gerade mit einem Herrn zu Tische, aber sobald sie mich erblickte, warf sie ihre Serviette weg und eilte auf mich zu, um mich zu küssen; ich erwiderte ihre Küsse, da ich infolge ihrer Liebkosungen das anwesende Individuum für bedeutungslos hielt. Der Diener legte sofort, ohne es sich sagen zu lassen, ein drittes Gedeck auf den Tisch, und Marina bat mich, mit ihr zu Nacht zu essen. Da ich mich verletzt fühlte, daß der Herr nicht aufgestanden war, um mich zu grüßen, so fragte ich, bevor ich Marinas Einladung annahm, wer der Herr wäre, indem ich sie bat, mich vorzustellen.

»Dieser Herr«, sagte sie mir, »ist der Graf Celi aus Rom, mein Liebhaber.«

»Ich mache dir mein Kompliment«, sagte ich zu ihr.

Und mich zu dem sogenannten Grafen wendend, fuhr ich fort: »Mein Herr, nehmen Sie unsere Zärtlichkeit nicht übel; Marina ist meine Tochter.«

»Eine H… ist sie!«

»Das ist wahr,« sprach Marina, »und du kannst es ihm glauben, er ist mein Zuhälter.«

Bei diesen Worten schleuderte ihr der rohe Mensch ein Glas Wasser ins Gesicht, aber sie wich ihm aus und lief davon. Der Strolch verfolgte sie, aber ich setzte ihm die Spitze meines Degens auf die Brust und rief:

»Halt! oder du bist des Todes!«

Sofort befahl ich Marina, mir leuchten zu lassen; sie aber warf schnell ihren Mantel über, hängte sich in meinen Arm und flehte mich an, sie wegzuführen.

Der angebliche Graf lud mich darauf ein, mich allein am nächsten Tage beim Apfelkasino einzufinden, um zu hören, was er mir zu sagen hätte. »Um vier Uhr nachmittags«, antwortete ich. Ich führte Marina in meinen Gasthof, wo ich sie in einem Zimmer neben dem meinen einquartieren ließ. Hierauf setzten wir uns zu Tisch.

Als Marina mich ein wenig nachdenklich sah, sagte sie:

»Bist du erzürnt, daß ich mich vor den Wutausbrüchen dieses rohen Menschen geflüchtet habe?«

»Nein, im Gegenteil, ich weiß dir Dank; aber sage mir jetzt, was ist das für ein Kerl?«

»Es ist ein gewerbsmäßiger Spieler, der sich Graf Celi nennt. Ich habe hier seine Bekanntschaft gemacht. Er kam mir entgegen, lud mich zum Abendessen ein, machte eine Spielpartie, nahm dabei einem Engländer, den er angelockt hatte, indem er ihm sagte, ich würde dabei sein, viel Geld ab und gab mir fünfzig Guineen, mit den Worten, er habe mich an der Bank beteiligt gehabt. Kaum war er mein Liebhaber geworden, so verlangte er, daß ich gegen alle gefällig wäre, die er betrügen wollte. Schließlich hat er sich ganz bei mir einquartiert. Die Aufnahme, die ich dir bereitete, hat ihm sichtlich mißfallen. Das übrige weißt du. Hier bin ich, und ich werde hier bis zu meiner Abreise nach Mantua wohnen, wo ich als erste Tänzerin engagiert bin. Mein Diener wird mir besorgen, was ich für diese Nacht nötig habe, und morgen werde ich ihm befehlen, mir alle meine Sachen zu bringen. Ich will den Schurken nicht mehr sehen. Ich will nur dir gehören, wenn du nicht wie in Korfu gebunden bist und wenn du mich noch liebst.«

»Ja, meine teure Marina, ich liebe dich, aber wenn du mein bist, muß es ungeteilt sein.«

»O, ganz gewiß! Ich habe dreihundert Zechinen; ich werde sie dir morgen geben und mache keine andere Bedingung, als daß ich dir angehören will.«

»Ich habe kein Geld nötig, und ich will an dir nur dich selbst. Also abgemacht, morgen abend werden wir ruhiger sein.«

»Du glaubst vielleicht, daß du dich schlagen wirst? Glaub nicht daran, mein Freund, ich kenne den Menschen, er ist ein Erzfeigling.«

»Ich muß mein Wort halten.«

»Ich weiß es wohl, aber er wird das seine nicht halten, und ich bin darüber entzückt.«

Wir wechselten hierauf das Gesprächsthema und sprachen von unseren Bekanntschaften; sie erzählte mir, sie habe sich mit ihren Brüdern entzweit, ihre Schwester sei Sängerin in Genua, und schließlich Bellino-Teresa sei noch immer in Neapel, wo sie fortfahre, die Herzöge zugrunde zu richten. Sie schloß mit den Worten:

»Ich bin die einzige Unglückliche.«

»Wieso unglücklich? Du bist schön geworden, eine ausgezeichnete Tänzerin. Sei weniger freigebig mit deinen Gunstbezeigungen, und du wirst auch jemanden finden, der es übernehmen wird, dein Glück zu machen.«

»Geizig mit meinen Gunstbezeigungen? Das ist schwer. Denn, wenn ich liebe, so bin ich außer mir, aber wenn ich nicht liebe, kann ich kein freundliches Gesicht machen. Aber einerlei, mein Freund, mit dir werde ich glücklich sein.«

»Marina, ich bin nicht reich, und meine Ehre würde mir nicht gestatten …«

»Schweig, ich verstehe dich.«

»Warum hast du keine Kammerfrau statt eines Dieners?«

»Du hast recht, das würde mir ein wenig mehr Achtung verschaffen. Allein mein Diener ist so gewandt, so treu!«

»Ich errate alles, was er ist; aber das schickt sich für dich nicht.«

Am nächsten Tage speiste ich mit ihr und ließ sie dann bei ihrer Theatertoilette; nachdem ich alle meine wertvollsten Sachen in die Taschen gesteckt hatte, ließ ich einen Fiaker kommen und begab mich nach dem Apfelkasino. Ich war überzeugt, daß ich meinen Schelm kampfunfähig machen würde und schickte daher den Wagen zurück. Ich fühlte, daß ich eine Dummheit machte, mein Leben gegen einen derartigen Menschen aufs Spiel zu setzen, und daß ich ihm wohl mein Wort brechen konnte, ohne ehrlos zu werden. Aber ich hatte tatsächlich Lust, mich zu schlagen, und da mir das Recht ganz auf meiner Seite zu sein schien, so fand ich die Sache köstlich. Ein Besuch bei einer Tänzerin, ein unverschämter sogenannter vornehmer Mann, der sie in meiner Gegenwart beschimpft, sie töten will, der sie sich unter der Nase entführen läßt und der mir, statt Widerstand zu leisten, ein Stelldichein gibt. Mir schien, wenn ich es versäumt hätte, so würde ich ihm ein Recht gegeben haben, mich für einen Feigling zu halten.

Da der angebliche Graf noch nicht zum Stelldichein gekommen war, so ging ich in ein benachbartes Kaffeehaus, um ihn zu erwarten. Ich fand dort einen jungen Franzosen mit einnehmenden Gesichtszügen und sprach ihn an. Da mir seine Unterhaltung gefiel, so sagte ich ihm, sobald ein Individuum käme, das mich erwartete, erfordere meine Ehre, daß man mich allein fände, und ich bat ihn, bei dessen Annäherung zu verschwinden. Eine Viertelstunde darauf sah ich meinen Gegner kommen, aber in Begleitung eines anderen Herrn. Bei diesem Anblick sagte ich dem Franzosen, er würde mir ein Vergnügen machen, wenn er bliebe, was er wie eine Lustpartie annahm. Mein Mann trat mit seinem Begleiter ein, der eine Klinge von wenigstens vierzig Zoll trug und dessen Miene einen wahren Halsabschneider ankündigte. Ich erhob mich, indem ich mit einem trockenen Ton zu dem Schurken sagte:

»Sie haben mir gesagt, Sie würden allein kommen!«

»Mein Freund ist nicht überflüssig, da ich nur herkomme, um mit Ihnen zu sprechen.«

»Wenn ich das gewußt hätte, würde ich mich nicht hinaus bemüht haben. Aber keinen Lärm; sagen wir uns zwei Worte, wo wir von niemand gesehen werden. Folgen Sie mir.«

Ich ging mit dem Franzosen hinaus, der, da er den Ort kannte, mich an die günstigste Stelle führte, und da blieben wir stehen, um die beiden Sekundanten zu erwarten, die langsamen Schrittes und miteinander plaudernd herankamen. Sobald sie nur noch zehn Schritte entfernt waren, zog ich meinen Degen, indem ich meinem Gegner sagte, er sollte sich decken. Der Franzose zog ebenfalls und hielt seinen Degen unter dem Arm.

»Zwei gegen einen!« sagte Celi.

»Lassen Sie Ihren Freund fortgehen, und der Herr wird sich ebenfalls entfernen. Übrigens hat Ihr Freund einen Degen, und demnach sind wir zwei gegen zwei.

»Ja,« sagte der Franzose, »machen wir eine Partie carrée.«

»Ich schlage mich nicht mit einem Tänzer«, sagte der Bandit.

Bei diesen Worten nähert sich mein Sekundant, indem er zu ihm sagte, daß ein Tänzer wohl soviel wert wäre als ein Hundsfott, und dabei verabreichte er ihm einen tüchtigen Schlag mit der flachen Klinge. Ich folgte seinem Beispiele bei Celi, der mit seinem Genossen zurückwich, indem er rief, er wolle mir nur ein Wort sagen sich hierauf mit mir schlagen.

»Sprechen Sie.«

»Sie kennen mich, und ich kenne Sie nicht, sagen Sie mir, wer Sie sind.«

Statt aller Antwort begann ich mächtig auf ihn loszuhauen, und der Franzose entwickelte in derselben Weise den größten Eifer auf dem Rücken des anderen. Da jedoch unsere beiden Memmen sich so schnell als möglich davonmachten, so waren wir genötigt, unsere Klingen wieder einzustecken. Das war also das große Duell, das noch lächerlicher endete, als Marina es vorhergesagt hatte.

Mein tapferer Franzose erwartete Gesellschaft, ich verließ ihn mit der Bitte, nach dem Theater zu mir zum Essen zu kommen. Ich sagte ihm den Namen, den ich mir bei dem Torschreiber gegeben hatte, und den Gasthof, wo ich wohnte.

Ich fand bei meiner Rückkehr Marina und erzählte ihr, wie die Angelegenheit abgelaufen wäre.

»Ich werde,« sagte sie zu mir, »diese lustige Geschichte dem ganzen Theater erzählen. Das größte Vergnügen macht es mir,« fügte das reizende Mädchen hinzu, »daß dein Sekundant, wenn er wirklich Tänzer ist, nur Herr Balletti sein kann, der mit mir in Mantua tanzen soll.«

Nachdem ich meine Juwelen und meine Papiere wieder in meinen Koffer zurückgelegt hatte, begab ich mich in das Parterre der Oper, wo ich Balletti sah, der, kaum daß er mich erblickt hatte, alle Welt auf mich aufmerksam machte, indem er den Vorgang seinen Bekanntschaften erzählte. Er kam am Schluß der Oper mit mir zusammen, und ich nahm ihn mit nach Hause. Marina, die sich beeilt hatte, zurückzukehren, kam in mein Zimmer, sobald sie mich sprechen hörte, und ich genoß die Überraschung meines liebenswürdigen Franzosen, als er die Gefährtin sah, um derentwillen er sich entschließen sollte, Halbcharaktere zu tanzen, denn Marina, obwohl ausgezeichnete Tänzerin, konnte sich nicht dem Wagnis aussetzen, ernste Tänze auszuführen. Die beiden liebenswürdigen Jünger der Terpsichore, die sich niemals zusammen befunden hatten, erklärten sich bei Tische einen verliebten Krieg, der mir die Mahlzeit auf eine sehr angenehme Weise würzte. Denn da es sich um einen Genossen handelte, so nahm Marina einen Ton an, der den Umständen angepaßt und ganz verschieden von dem war, den sie anderen Männern gegenüber anschlug. Übrigens übertraf sich Marina an diesem Abend an Liebenswürdigkeit und guter Laune, denn sie hatte außerordentlichen Beifall erhalten, als man die Geschichte des vorgeblichen Grafen Celi erfahren hatte.

Es fanden nur noch zehn Vorstellungen statt und da Marina den Tag nach der letzten abreisen wollte, beschlossen wir, das gemeinschaftlich zu tun. Unterdessen bat ich Balletti – das war der italienische Name, den er angenommen hatte – für die ganze Zeit unser Tischgenosse zu sein. Ich faßte für den liebenswürdigen jungen Mann eine Freundschaft, die viel Einfluß auf meine ferneren Lebensschicksale gehabt hat, wie der Leser sehen wird. Er hatte viel Talent als Tänzer, aber das war nur die geringste seiner Eigenschaften. Er war tugendhaft, hatte eine große und edle Seele, er hatte seine Studien gemacht und die beste Erziehung empfangen, die man zu jener Zeit in Frankreich einem Mann von Stande gehen konnte.

Schon am dritten Tage bemerkte ich daß Marina ihren Kollegen zu fesseln wünschte. Da ich fühlte, wie vorteilhaft das für dieses junge Mädchen sein würde, so entschloß ich mich, ihr beizustehen. Sie hatte einen zweisitzigen Postwagen, und ich überredete sie leicht, Balletti mit sich zu nehmen, da ich aus Gründen, die ich ihr nicht anvertrauen könnte, genötigt wäre, in Mantua allein anzukommen. In der Tat wurde man, wenn man mich dort mit ihr hätte ankommen sehen, gesagt haben, ich sei in sie verliebt, und dies wollte ich nicht. Balletti war von dem Anerbieten entzückt, aber er wollte durchaus seinen Anteil an den Reisekosten zahlen, und das wollte Marina nicht zugeben. Die Gründe, die der junge Mann vorbrachte, waren sehr triftig, und ich hatte die größte Mühe, ihn zu überreden, daß er das Anerbieten seiner Kollegin annehme. Schließlich kam ich doch zum Ziel. Ich versprach ihnen, sie zum Mittag- und Abendessen zu erwarten, und reiste am festgesetzten Tage eine Stunde vor ihnen ab.

Bei guter Zeit in Cremona angekommen, wo wir schlafen sollten, ging ich aus, um einen Spaziergang zu machen und trat in ein Kaffeehaus. Ich machtest die Bekanntschaft eines französischen Offiziers, und wir gingen zusammen fort, um einen kleinen Spaiergang zu machen. Eine reizende Frau kam in einem Wagen vorüber, er näherte sich ihr, um mit ihr zu sprechen, und die Dame ließ halten. Nach ein paar kurzen Worten gesellte sich der Offizier wieder zu mir.

»Wer ist die schöne Dame?« fragte ich ihn.

»Eine reizende Frau, von der ich Ihnen eine Anekdote erzählen will, die wohl verdiente, der Nachwelt überliefert zu werden. Sie werden mich nicht der Übertreibung beschuldigen,« begann er, »denn das, was ich Ihnen erzählen will, ist stadtbekannt.

Die liebenswürdige Dame, die Sie soeben sahen, zeichnet sich noch mehr durch ihren Geist als durch ihre Schönheit aus, und hier ist eine Probe davon. Ein junger Offizier, der ihr neben anderen den Hof machte, als der Marschall von Richelieu in Genua kommandierte, schmeichelte sich, mit ihr besser zu stehen als alle anderen. Eines Tages gab er im Kaffeehaus einem seiner Kameraden den Rat, seine Zeit nicht damit zu verlieren, ihr den Hof zu machen, ›denn‹, sagte er, ›Sie können überzeugt sein, nie etwas zu erreichen‹. – ›Mein Teurer,‹ sagte ihm der andere, ›ich würde sehr viel Grund haben, Ihnen diesen Rat selbst zu erteilen, denn ich habe alles erlangt, was ein begünstigter Liebhaber nur erlangen kann.‹ – ›Ich bin überzeugt, daß Sie lügen,‹ sagte der andere zu ihm, ›und ich bitte Sie, mir zu folgen.‹ ›Nichts lieber,‹ sagte der Indiskrete. ›Aber wozu die Wahrheit von einem Duell abhängig machen und sich die Kehle abschneiden, wenn ich Ihnen die Tatsache durch sie selbst bestätigen lasset?‹ ›Ich wette fünfundzwanzig Louis auf das Gegenteil‹, versetzte der Ungläubige. – ›Ich nehme die Wette an; gehen wir.‹ – Die beiden Nebenbuhler gingen zusammen fort und begaben sich schnurstracks zu der Dame, die Sie soeben sahen, um sie erklären zu lassen, wer von den beiden die fünfundzwanzig Louis gewonnen hätte.

Sie fanden sie bei ihrer Toilette. ›Ei, meine Herren,‹ sagte sie zu ihnen, als sie sie eintreten sah, ›welcher gute Wind weht denn Sie zusammen zu dieser Stunde her?‹

›Eine Wette, gnädige Frau‹, sagte der Ungläubige. ›Und nur Sie können die Schiedsrichterin in dem Streit sein, der sie verursachte. Der Herr rühmt sich, von Ihnen alles erlangt zu haben, was eine Frau dem begünstigten Liebhaber gewähren kann. Ich habe ihn in aller Form Lügen gestraft, was zu einem Duell führen sollte, als er mir vorgeschlagen hat, es durch Sie selbst bestätigen zu lassen. Ich habe fünfundzwanzig Louis gewettet, daß Sie es nicht zugeben würden, und er hat die Wette angenommen. Gnädige Frau entscheiden Sie.‹ – ›Sie haben verloren, mein Herr,‹ sagte sie zu ihm, ›jetzt aber bitte ich Sie alle beide mich zu verlassen, und ich sage Ihnen im voraus, daß Sie es bereuen könnten, wenn Sie es wagten, sich hier wieder blicken zu lassen.‹

Die beiden unbesonnenen Menschen gingen sehr niedergeschlagen hinaus. Der Ungläubige bezahlte, aber in seinem Arger nannte er den Sieger einen Laffen, und eine Woche später tötete er ihn im Duell.

Seit dieser Zeit geht die Dame ins Kasino, besucht die Gesellschaft, aber empfängt nicht mehr zu Hause; mit ihrem Mann lebt sie recht gut.«

»Wie hat der Gatte die Sache aufgenommen?«

»Auf das beste, als Mann von Geist. Er hat gesagt, er hätte sich scheiden lassen, wenn seine Frau anders gehandelt hätte, denn dann würde niemand gezweifelt haben.«

»Dieser Gatte ist ein kluger Mann. Wenn seine Frau den unverschämten Schwätzer Lügen gestraft hätte, so hätte er natürlich die Wette gezahlt. Allein lachend hätte er seine Behauptung aufrechterhalten, und alle Welt würde ihm geglaubt haben. Indem sie ihn als Sieger erklärte, hat sie kurz abgeschnitten und ein Urteil gehemmt, das sie entehrt haben würde. Der Indiskrete hatte doppelt unrecht und mußte dafür mit seinem Leben bezahlen, aber sein Gegner war nicht weniger unzart als er, denn in derartigen Dingen gestatten sich Leute von guter Erziehung keine Wetten. Wer auf Ja wettet, ist ein Unverschämter, wer auf das Nein hält, ein Dummkopf. Mir gefällt die Geistesgegenwart der Dame.«

»Aber was halten Sie von der Sache?«

»Ich halte sie für unschuldig.«

»Ich glaube es wie Sie, und so ist die allgemeine Meinung, man behandelt sie überall viel besser als früher. Kommen Sie ins Kasino, Sie werden sich überzeugen, und ich werde Sie ihr vorstellen.« Ich lud den Offizier ein, mit uns zu speisen, und seine Gesellschaft machte den Abend sehr angenehm. Als er fort war, sah ich mit Vergnügen, daß Marina fähig war, den Anstand zu beobachten. Sie hatte ein Zimmer für sich genommen, um nicht ihren achtungswerten Genossen zu beleidigen.

In Mantua kehrte ich im Gasthof San Marco ein, und Marina, die ich verständigt hatte, daß ich sie nur selten zu sehen gedächte, bezog die Wohnung, die ihr der Unternehmer bestimmt hatte.

Nachdem ich am Nachmittag vor der Stadt spazierengegangen war, trat ich bei einem Buchhändler ein, um zu sehen, was es Neues gäbe. Ohne daß ich es bemerkte, brach die Nacht herein; man sagte mir, man wolle den Laden schließen, und ich ging. Nach einigen Schritten hielt mich eine Patrouille an, und der Offizier, der sie kommandierte, sagte mir, er müsse mich, da ich keine Laterne hätte und es zwei Uhr wäre, auf die Wache führen. Ich hatte gut einwenden, daß ich diesen Tag erst angekommen wäre, den Befehl nicht gekannt hätte, ich mußte mich fügen.

Auf der Wache angelangt, stellte mich der Offizier seinem Hauptmann vor, einem großen und schönen jungen Mann, der mich mit der fröhlichsten Miene empfing. Ich bat ihn, mich gütigst in meinen Gasthof zurückführen zu lassen, da ich der Ruhe bedürftig sei. Er antwortete mir lachend:

»Bei Gott, nein! Denn ich will, daß Sie mit mir und in guter Gesellschaft eine lustige Nacht verbringen. Geben Sie dem Herrn seinen Degen«, sagte er dem Unteroffizier, der ihn trug; dann zu mir: »Ich will Sie, mein Herr, hier nur als einen Freund, meinen Gast betrachten.«

Diese Art, Gesellschaft einzuladen, so despotisch sie im Grunde war, erschien mir angenehm, und ich bezeigte durch mein Schweigen meine Zustimmung. Er gab einem deutschen Soldaten einige Befehle, und eine Stunde darauf deckte man einen Tisch mit vier Kuverts. Nachdem zwei andere Offiziere angekommen waren, aßen wir sehr fröhlich. Beim Nachtisch vermehrte sich die Gesellschaft um zwei widerliche, schamlose Weibsbilder. Nachdem das Tischtuch abgenommen war, bedeckte man den Tisch mit einem Teppich, und einer der Offiziere schickte sich an, eine Pharaobank zu halten. Ich pointierte, um es wie die anderen zu machen, und nachdem ich einige Zechinen verloren hatte, erhob ich mich, um Luft zu schöpfen, denn wir hatten Bacchus stark zugesprochen. Die eine der beiden Unglücklichen folgte mir und band mit mir an, um mich schließlich, trotz meinem Widerwillen, auf sechs Wochen krank zu machen. Nach dieser traurigen Heldentat ging ich wieder hinein.

Ein junger, sehr liebenswürdiger Offizier, der fünfzehn oder zwanzig Zechinen verloren hatte, fluchte wie ein Grenadier, weil der Bankier sein Geld einzog und die Bank aufhob. Dieser junge Mann hatte viel Geld vor sich und behauptete, der Bankier hätte ihn verständigen müssen, daß dies die letzte Taille war.

»Mein Herr,« sagte ich höflich zu ihm, »Sie haben unrecht, denn das Pharao ist das freieste aller Spiele. Warum halten Sie nicht selbst die Bank?«

»Das würde mich langweilen, denn die Herren machen lächerlich kleine Sätze. Aber, wenn es Ihnen Spaß macht,« fügte er lachend hinzu, »halten Sie doch selbst die Bank.«

»Herr Hauptmann, wollen Sie sich mit einem Viertel beteiligen?«

Er nahm es an.

»Meine Herren,« sagte ich, »ich habe die Ehre, Ihnen mitzuteilen, daß ich nur sechs Taillen machen werde.«

Ich verlangte neue Karten und legte dreihundert Zechinen auf den Tisch. Der Hauptmann schrieb auf den Rücken einer Karte: »Gut für hundert Zechinen, O’Neilan.« Nachdem ich diese zu meinem Gold gelegt hatte, begann ich.

Ganz vergnügt sagte der junge Offizier: »Es ist möglich, daß Ihre Bank vor dem Schluß der sechsten Taille endet.«

Ich antwortete nichts und fuhr fort.

Bei der fünften Taille lag meine Bank in den letzten Zügen, mein junger Offizier triumphierte. Ich überraschte ihn ein wenig, indem ich ihm sagte, ich wäre entzückt, zu verlieren, denn seitdem er gewänne, fände ich ihn viel liebenswürdiger.

Es gibt Höflichkeiten, die der Person, an die sie gerichtet sind, Unglück bringen. Und das war hier der Fall, denn mein Kompliment verwirrte ihm den Kopf. Während der fünften Taille ließ ihn eine Sintflut von ungünstigen Karten alles, was er gewonnen hatte, verlieren, und, da er das Glück während der sechsten Taille zwingen wollte, so spielte er wie ein wahrer Tollkopf und verlor alles Geld, das er vor sich hatte.

»Mein Herr,« sagte er zu mir, »Sie haben mit Glück gespielt, ich verlange von Ihnen für morgen meine Revanche.«

»Die würde ich mit großem Vergnügen geben, mein Herr,« sagte ich zu ihm, »aber ich spiele nur, wenn ich im Arrest bin.«

»Ich zählte mein Geld; ich hatte zweihundert Zechinen gewonnen, überdies eine Schuld von fünfzig Zechinen eines Offiziers, der auf sein Wort gespielt und verloren hatte, und die O’Neilan auf seine Rechnung nahm. Ich bezahlte ihm seinen Teil, und mit Tagesanbruch ließ er mich gehen.

Bei der Rückkehr in meinen Gasthof legte ich mich nieder, und bei meinem Erwachen sah ich den Hauptmann Laurent eintreten, denselben, der auf Wort gespielt hatte. Da ich glaubte, daß er gekommen wäre, um mich zu bezahlen, so sagte ich ihm, er wäre der Schuldner des Herrn O’Neilan, aber er antwortete mir, er wäre gekommen, um mich zu bitten, ihm sechs Zechinen auf sein schriftliches Ehrenwort zu leihen, in welchem er sich verpflichtete, mir sie binnen acht Tagen zu bezahlen. Ich gab sie ihm, und da er mich gebeten hatte, niemandem etwas davon zu sagen, so sagte ich zu ihm: »Ich verspreche es Ihnen, aber vergessen Sie nicht Ihr Wort.«

Am nächsten Tage fand ich mich krank, und der Leser weiß warum. Ich hielt Diät, was in diesem Alter sehr langweilig ist, aber ich war darin standhaft, und ich befand mich wohl dabei.

Drei oder vier Tage später besuchte mich Hauptmann O’Neilan, und als ich ihm gesagt hatte, daß ich krank wäre, begann er zu lachen, was mich sehr überraschte.

»Sie waren also gesund?« sagte er zu mir.

»Ich befand mich vortrefflich.«

»Ich ärgere mich, daß Sie Ihre Gesundheit an diesem schlechten Ort verloren haben. Ich würde Sie verständigt haben, wenn ich es geahnt hätte.«

»Sie wußten es also?«

»Bei Gott, ob ich es wußte. Es ist nur eine Woche her, daß ich Ihr Vorgänger war, und ich glaube, damals war sie nicht krank.« »Ich bin also Ihnen für das Geschenk verpflichtet, daß sie mir gemacht hat.«

»Das ist möglich, aber es ist eine Kleinigkeit, denn Sie können leicht geheilt werden, wenn Ihnen das Spaß macht.«

»Und macht es Ihnen etwa keinen Spaß?«

»Meiner Treu, nein. Eine Diät würde mir zuviel Langeweile verursachen. Und warum eine solche Kleinigkeit heilen, wenn man überzeugt ist, daß es keine vierzehn Tage dauert, bis man wieder rückfällig wird. Ich habe zehnmal diese Geduld gehabt, aber ich bin dessen überdrüssig geworden, und seit zwei Iahren lasse ich die Sache gehen.«

»Ich beklage Sie, denn wie ich Sie so sehe, würde Ihnen das Glück in der Liebe nicht oft feindlich sein.«

»Ich mache mir nichts daraus. Die Sorgen, die sie kostet, sind mir eine größere Last, als die kleine Unbequemlichkeit, an die ich mich gewohnt habe.«

»Ich denke nicht wie Sie, denn das Liebesvergnügen ist geschmacklos, wenn nicht die Liebe es würzt. Finden Sie zum Beispiel, daß dieses Scheusal das Leiden wert ist, das ich gegenwärtig ertragen muß?«

»Gewiß nicht, und deswegen ärgere ich mich darüber. Wenn ich es gewußt hätte, so würde ich Ihnen eine bessere Bekanntschaft verschafft haben.

»Die beste dieser Art ist die Gesundheit nicht wert, die man nur der Liebe opfern soll.«

»Sie wollen also Frauen, die würdig find, geliebt zu werden? Wir haben hier einige solche. Bleiben Sie, und wenn Sie geheilt sind, werden Sie Eroberungen machen können.« O’Neilan war dreiundzwanzig Jahre alt. Sein Vater war als General gestorben, und die schöne Gräfin Borsati war seine Schwester. Er zeigte mir eine Gräfin Zanardi Nerli, die noch schöner war, aber ich besaß die Klugheit, keiner der Damen meine Huldigung anzubieten. Es schien mir, als ob alle Welt meinen Zustand erriete.

Ich habe niemals einen ausschweifenderen jungen Menschen gefunden. Oft habe ich die Nächte mit ihm durchschwärmt und mich über seine Verwegenheit und seinen Zynismus verwundert. Indessen war er edel, großmütig, tapfer und voll Ehrgefühl.

Wenn die jungen Offiziere damals sich so viele unmoralische Dinge, so viele Schändlichkeiten erlaubten, was gewiß nicht selten vorkam, so waren weniger sie selber daran schuld, als die Privilegien, die man sie aus Gewohnheit, Nachsicht oder Kastengeist genießen ließ. Hier ein Beispiel davon:

Eines Tages sprengte O’Neilan ein wenig angetrunken mit verhängtem Zügel durch die Stadt. Eine alte Frau, die über die Straße ging, hatte keine Zeit auszuweichen; sie brach zusammen, und ihr Kopf wurde von den Hufen des Pferdes zerschmettert. O’Neilan begab sich in Arrest, aber schon am nächsten Tage war er wieder in Freiheit, denn er brauchte nur zu sagen, es sei ein zufälliges Ereignis gewesen.

Da der Offizier, der mir den Ehrenschein über sechs Zechinen ausgestellt hatte, am Ende der Woche nicht gekommen war, so sagte ich ihm auf der Straße, ich hielte mich nicht mehr für verpflichtet, Verschwiegenheit zu bewahren.

Anstatt sich zu entschuldigen, erwiderte er nur: »Das ist mir gleichgültig.«

Da mir diese Antwort beleidigend erschien, so dachte ich daran, mir Genugtuung zu verschaffen, aber am nächsten Tage sagte mir O’Neilan, Hauptmann Laurent sei irrsinnig geworden und man habe ihn eingesperrt. Er genas in der Folge, aber seine schlechte Aufführung verursachte, daß er aus dem Korps gestoßen wurde.

O’Neilan, tapfer wie Bayards Schwert, fiel zehn Jahre später bei der Schlacht von Prag. So wie er war, mußte er als Opfer von Mars oder Venus umkommen. Er würde vielleicht noch leben, wenn er nur den Mut des Fuchses gehabt hätte, aber er hatte den des Löwen. Bei einem Soldaten ist das eine Tugend, aber bei einem Offizier ist es fast ein Fehler. Wer der Gefahr mit Kenntnis der Ursache trotzt, ist hohen Lobes würdig, wer sie aber nicht kennt, entrinnt ihr nur durch ein Wunder und ohne Verdienst. Man muß indessen die großen Krieger ehren, denn ihr unbezähmbarer Mut kann nur die Wirkung einer starken Seele, eine Art von Tugend sein, die sie über die anderen Sterblichen erhebt.

Jedesmal, wenn ich an den Prinzen Charles de Ligne denke, vergieße ich Tränen. Er war mutig wie Achilles, aber Achilles war unverwundbar. Er würde vielleicht noch leben, wenn er während der Schlacht sich hätte erinnern können, daß er sterblich wäre. Wer sind diejenigen, die ihn gekannt haben und die nicht Tränen zu seinem Gedächtnis vergossen haben? Er war schön, sanft, höflich, sehr unterrichtet, Kunstliebhaber, heiter, lustig in seinen Gesprächen, treu im Umgang und immer gleich in der Laune. Unglückselige und schreckliche Revolution! Ein Kanonenschuß hat ihn seiner Familie, seinen Freunden und dem Glück, das ihm zu lächeln schien, entrissen.

Der Prinz von Waldeck hat seine edle Unerschrockenheit auch mit einem Arme bezahlt! Man sagt, er tröste sich über diesen Verlust durch den Gedanken, daß er mit dem, der ihm bleibt, noch eine Armee kommandieren könne.

O ihr, die ihr das Leben verachtet, sagt mir, ob ihr denkt, euch durch diese Verachtung würdiger zu machen!

Die Oper begann unmittelbar nach Ostern. Ich ging alle Tage hin, denn da ich vollkommen genesen war, so nahm ich meine alte Lebensweise wieder auf. Ich freute mich, zu sehen, daß Balletti seine Freundin in ein vorteilhaftes Licht zu setzen wußte. Ich ging nicht zu ihr, aber Balletti kam fast jeden Morgen, um mit mir zu frühstücken.

Er hatte mit mir oft von einer alten Schauspielerin gesprochen die seit zwanzig Iahren das Theater verlassen hätte und die, wie sie sagte, eine Freundin meines Vaters gewesen wäre. Eines Tages bekam ich Lust, sie zu sehen und er führte mich zu ihr.

Ich sah eine abgelebte Alte, deren Putz mich ebenso erstaunte wie ihre ganze Person. Trotz ihren Runzeln war ihr Gesicht rot und weiß geschminkt, und ihre Augenbrauen von tiefster Schwärze verdankten ihre Farbe chinesischer Tusche. Sie ließ die Hälfte ihrer welken und widerlichen Brust sehen, und man konnte sich über ihr künstliches Gebiß nicht täuschen. Sie hatte eine Perücke, die sehr schlecht anklebte und einige Haare erblicken ließ, die der Verheerung der Jahre entgangen waren. Ihre zitternden Hände ließen die meinen erzittern, als sie mir sie drückte. Sie roch auf zwanzig Schritte nach Ambra, und ihr geziertes Wesen ekelte mich zugleich an und machte mich lachen. Ihr sehr gesuchter Anzug mochte zwanzig Jahre früher neueste Mode gewesen sein. Ich sah mit Schrecken die furchtbaren Spuren des abscheulichen Alters auf einem Antlitz, das, bevor es die Jahre welk machten, schön gewesen sein mußte. Am meisten aher wunderte mich die kindliche Unverschämtheit, womit dieser Ausschuß der Zeit noch seine vorgeblichen Reize zur Schau trug.

Balletti fürchtete, mein allzu sichtliches Erstaunen hätte sie verletzt, und sagte ihr, am meisten entzücke mich, daß die Zeit nicht die Macht gehabt hätte, die schöne Erdbeere, die auf ihrer Brust glänze, zum Welken zu bringen. Das war ein Mal, das einer Erdbeere glich. »Dieser Erdbeere«, sagte die Matrone zu mir mit grinsendem Lächeln, »verdanke ich meinen Namen. Ich bin noch und werde immer sein die Fragoletta.« Bei diesen Worten konnte ich mich nicht eines Bebens enthalten.

Ich hatte vor mir das unglückselige Schattenbild, das die Ursache meines Daseins war. Ich sah das Weib, das durch sein Blendwerk meinen Vater dreißig Jahre früher verführt hatte, denn ohne sie würde er nicht daran gedacht haben, das väterliche Haus zu verlassen und wahrscheinlicherweise mich niemals mit einer Venezianerin gezeugt haben. Ich habe nie die Meinung des Alten geteilt, der gesagt hat: Nemo vitam vellet si daretur scientibus. – Niemand würde etwas vom Leben wissen wollen, wenn er wüßte, was es ihm bringen wird.

Da sie mich zerstreut sah, fragte sie Balletti höflich um meinen Namen, denn er hatte mich einfach als einen Freund vorgestellt und ihr meinen Besuch nicht vorher angemeldet. Als sie hörte, daß ich mich Casanova nannte, war ihre Überraschung außerordentlich. »Ja, meine Gnädige,« sagte ich zu ihr, »ich bin der Sohn Gaetano Casanovas aus Parma.«

»Was höre ich! Was sehe ich! Ach mein Freund, ich betete Ihren Vater an. Mit Unrecht eifersüchtig, hat er mich verlassen. Sie würden sonst mein Sohn gewesen sein! Lassen Sie mich Sie umarmen wie eine zärtliche Mutter.«

Ich war darauf gefaßt, und aus Furcht, daß sie fiele, kam ich ihrer Umarmung entgegen und lieferte mich ihrer zärtlichen Erinnerung aus. Noch immer Schauspielerin, führte sie ihr Taschentuch an ihre Augen, als trocknete sie eine Träne, indem sie mir versicherte, ich dürfe nicht an ihren Worten zweifeln, obwohl sie nicht das Aussehen einer alten Frau habe.

»Der einzige Fehler Ihres teueren Vaters«, sagte sie hierauf, »war die Undankbarkeit.«

Sie wird ohne Zweifel dasselbe Urteil über den Sohn gefällt haben, da ich trotz ihrer verbindlichen Einladung nie mehr ihr Haus betrat.

Da meine Börse gut gefüllt war und Mantua mir nichts Anziehendes mehr bot, so entschied ich mich, nach Neapel zu reisen, um meine teure Teresa, Donna Lucrezia, Don Polo Vater und Sohn, Don Antonio Casanova und alle meine alten Bekanntschaften wieder zu sehen. Dieser Plan war ohne Zweifel meinem Schutzgeist nicht recht, denn er widersetzte sich seiner Ausführung. Ich würde drei Tage später abgereist sein, wenn ich nicht Lust bekommen hätte, in die Oper zu gehen.

Während der zwei Monate, die ich in Mantua verbrachte, kann ich sagen, daß ich vernünftig gelebt habe, weil ich am ersten Tage eine Torheit begangen hatte. Ich spielte nur jenes eine Mal, und glücklich. Und da mein kleines Liebespech mich nötigte, Diät zu halten, so bewahrte ich mich dadurch vielleicht vor größerem Unglück, dem ich sonst nicht entgangen sein wurde.

Zwanzigstes Kapitel


Ich gehe nach Gesena, um einen Schatz zu heben. – Ich lasse mich bei Franzka nieder. – Seine Tochter Genoveffa. – Ich gehe an mein Zauberwerk heran. – Störung durch furchtbares Gewitter. – Meine Angst. – Genoveffa bleibt unberührt. – Ich gebe das Unternehmen auf und verkaufe die Scheide an Capitani.

Gegen das Ende der Oper wurde ich von einem jungen Manne angeredet, der mir geradezu und ohne Umschweife sagte, ich hätte als Fremder ein großes Unrecht begangen, zwei Monate in Mantua zu bleiben, ohne das Naturalienkabinett seines Vaters, des Don Antonio de Capitani, Kommissärs und Präsidenten des Canons, gesehen zu haben.

»Mein Herr,« sagte ich zu ihm, »ich habe nur aus Unwissenheit gefehlt, und wenn Sie mich morgen früh in meinem Gasthof abholen wollen, so werden Sie mir morgen abend nicht mehr denselben Vorwurf machen können, und ich werde mein Unrecht gut gemacht haben.«

Der Sohn des Canonskommissärs holte mich ab, und ich fand in seinem Herrn Vater einen der schnurrigsten Sonderlinge. Die Seltenheiten seines Kabinettes bestanden in der Genealogie seiner Familie, in magischen Büchern, Heiligenreliquien, sogenannten antediluvianischen Münzen, einem Modell der Arche, nach der Natur in dem Augenblick aufgenommen, wo Noah in dem sonderbarsten aller Häfen, auf dem Berge Ararat in Armenien landete; in mehreren Denkmünzen, von denen eine von Sesostris, eine andere von Semiramis war, und schließlich in einem alten Messer von bizarrer Form, das ganz vom Rost zerfressen war. Außerdem besaß er, aber unter Verschluß, das ganze Geräte der Freimaurerei.

»Sagen Sie mir,« sagte ich zu ihm, »welcher Zusammenhang zwischen der Naturgeschichte und diesem Kabinett besteht? Denn ich sehe da nichts, was den drei Reichen angehört.

»Wie! Sie sehen nicht das antidiluvianische Reich, das des Sesostris und das der Semiramis? Sind das nicht die drei Reiche?«

Auf die Antwort hin umarmte ich ihn mit einem Ausruf der Freude, der nur Ironie war, den er aber für Bewunderung nahm; sodann entfaltete er alle Schätze seiner komischen Gelehrsamkeit, beschrieb mir alles, was er hatte, und schloß mit seinem verrosteten Messer, von dem er behauptete, es wäre jenes, womit der heilige Petrus dem Malchus das Ohr abgehauen hätte.

»Sie besitzen dieses Messer und sind nicht Millionär?«

»Und wie könnte ich dies durch die Kraft dieses Messers werden?«

»Auf zwei Arten. Zuerst, indem Sie sich in den Besitz aller Schätze setzen, die auf dem Grund und Boden der Kirche verborgen liegen.«

»Das leuchtet ein, denn der heilige Petrus hat die Schlüssel dazu.«

»Zweitens, indem Sie es dem Papst selbst verkaufen, wenn Sie die Chirographen besitzen, die die Echtheit bestätigen.«

»Sie meinen die Bescheinigungen der Vorbesitzer? Ohne diese würde ich es nicht gekauft haben. Das alles habe ich.«

»Um so besser. Ich bin überzeugt, der Papst wird, um dieses Messer zu erlangen, Ihren Sohn zum Kardinal machen. Aber Sie werden auch die Scheide dazu haben müssen.«

»Ich habe sie nicht, aber sie ist nicht nötig. Auf jeden Fall werde ich eine dazu machen lassen.«

»Das ist nicht dasselbe. Man braucht die, in welche der heilige Petrus selbst das Messer steckte, als Gott zu ihm sagte: Mitte gladium tuum in vaginam. Sie existiert, und sie ist in den Händen einer Person, die sie Ihnen billig verkaufen könnte, sofern Sie ihm nicht das Messer verkaufen wollen, denn die Scheide ohne das Messer dient ihm zu nichts, so wie Ihnen das Messer ohne die Scheide.«

»Und wieviel würde sie mir kosten?«

»Tausend Zechinen.«

»Und wieviel würde er mir für das Messer geben ?«

»Tausend Zechinen, denn das eine ist soviel wert wie das andere.«

Der Kommissär sah ganz verdutzt seinen Sohn an und sagte ihm in einem gewichtigen Ton:

»Nun! mein Sohn, hättest du jemals geglaubt, daß man mir tausend Zechinen für dieses Messer anbieten würde?«

Er öffnete hierauf eine Schublade und zog einen alten Zettel heraus, den er vor mir entfaltete. Dieser war hebräisch beschrieben und trug die Zeichnung des Messers. Ich tat, als bewunderte ich ihn, und riet ihm dringend, die Scheide zu kaufen.

»Es ist weder nötig, daß ich die Scheide kaufe, noch daß Ihr Freund das Messer kauft, denn wir können die Schätze zusammen heben.«

»Keineswegs. Die magische Vorschrift verlangt, daß der Eigentümer des Schwertes in vagina nur eine Person sei. Wenn der Papst es besäße, so könnte er durch eine magische Operation, die ich kenne, jedem christlichen König, der die Rechte der Kirche beeinträchtigen wollte, ein Ohr abhauen.«

»Das ist merkwürdig! Allein tatsächlich sagt das Evangelium, daß der heilige Petrus jemandem das Ohr abhieb.«

»Ja, einem König.«

»O, nicht einem König!«

»Einem König sage ich Ihnen. Erkundigen Sie sich, ob Malchus, Malek oder Melek nicht König heißt.«

»Und wenn ich mich entschlösse, mein Messer zu verkaufen, wer würde mir die tausend Zechinen geben?«

»Ich. Die Hälfte morgen bar und die anderen fünfhundert in einem Wechsel, zahlbar in einem Monat.«

»Das läßt sich hören. Machen Sie mir das Vergnügen, morgen bei uns eine Schüssel Makkaroni zu speisen, und wir werden unter dem Siegel des größten Geheimnisses von einer wichtigen Angelegenheit sprechen.«

Ich nahm an und ging, entschlossen, den Scherz weiter zu treiben. Am nächsten Tag war ich dort, und er sagte mir sofort, er wisse, wo ein Schatz im Kirchenstaate vergraben liege, und er habe sich entschlossen, die unerläßliche Scheide zu kaufen. Überzeugt, daß er mich nicht beim Worte nehmen würde, zog ich meine mit Gold gefüllte Börse hervor, indem ich zu ihm sagte, ich wäre bereit, den Handel abzuschließen.

»Der Schatz«, sagte er mir, »ist Millionen wert, aber gehen wir speisen. Sie werden nicht von Silbergeschirr essen, aber von Raffaelscher Mosaik.«

»Herr Kommissär, Sie sind ein prachtliebender hoher Herr. Das ist besser als versilbertes Geschirr, obwohl ein Dummkopf darin nur elendes irdenes Geschirr erblicken wird.«

Das Kompliment gefiel ihm.

»Ein wohlhabender Mann,« sagte er mir nach dem Essen, »der im Staate des Papstes wohnhaft und Herr des Landgutes ist, auf dem er mit seiner ganzen Familie lebt, ist überzeugt, in seinem Keller einen Schatz zu haben. Er hat meinern Sohn geschrieben, daß er bereit sei, alle nötigen Ausgaben zu machen, um sich in dessen Besitz zu setzen, wenn er einen Magier finden könnte, der ihm den Schatz höbe.

Der Sohn, der bei diesem Gespräch zugegen war, zog aus seiner Tasche einen Brief, aus dem er mir einige Stellen vorlas, indem er mich um Verzeihung bat, wenn er mir nicht den ganzen Brief zu lesen gäbe, da er das Geheimnis zu halten versprochen hätte. Allein, ohne daß er es bemerkte, hatte ich Cesena, den Namen des Ortes, gelesen, und das genügte mir.

»Es handelt sich also darum,« begann der Vater wieder, »mir auf Kredit die unerläßliche Scheide zu kaufen, denn ich habe für den Augenblick kein bares Geld. Sie können dreist meine Wechsel girieren und wenn Sie den Magier kennen, so können Sie sich mit ihm in den Gewinn teilen.«

»Der Magier ist schon da: ich bin es selbst. Allein, wenn Sie mir nicht zunächst meine fünfhundert Zechinen auszahlen, so werden wir nichts ausrichten.«

»Ich habe kein Geld.«

»Verkaufen Sie mir also das Messer.«

»Nein.«

»Sie haben unrecht, denn jetzt, da ich es gesehen habe, habe ich die Macht, es Ihnen wegzunehmen. Indessen bin ich ein anständiger Mensch und will Ihnen diesen Streich nicht spielen.«

»Sie sind der Herr, mir mein Messer zu entführen? Ich wünschte davon überzeugt zu werden, denn ich glaube nicht daran.«

»Sie glauben nicht daran? Sehr gut. Morgen werden Sie es nicht mehr haben. Ist es aber einmal in meiner Gewalt, so machen Sie sich keine Hoffnung, daß ich es Ihnen wiedergebe. Ein Elementargeist, der zu meinem Befehl steht, wird es mir um Mitternacht bringen, und derselbe Geist wird mir sagen, wo Ihr Schatz ist.«

»Bewirken Sie, daß er es Ihnen sagt, und ich werde überzeugt sein.«

»Man gebe mir Feder, Tinte und Papier.«

Ich machte mich daran, mein Orakel zu befragen, und ließ dieses antworten, der Schatz liege am Ufer des Rubikon.

»Das ist«, sagte ich ihnen, »ein Wildbach, der ehemals ein Fluß war.«

Sie befragten ein Nachschlagebuch und fanden, daß der Rubikon bei Cesena vorübergeht. Ich sah sie verblüfft. Da ich ihnen die Freiheit lassen wollte, falsch zu urteilen, ging ich.

Es hatte mich die Lust gepackt, nicht etwa fünfhundert Zechinen diesen armen Dummköpfen zu rauben, sondern auf ihre Kosten sie bei dem anderen Tölpel in Cesena zu beheben und mich dabei etwas auf ihre Rechnung lustig zu machen. Mich verlangte danach, die Rolle eines Magiers zu spielen. Zu diesem Behufe begab ich mich, als ich das Haus des lächerlichen Antiquars verließ, auf die öffentliche Bibliothek, wo ich mit Hilfe eines Nachschlagebuchs folgendes Stück ulkiger Gelehrsamkeit aufschrieb:

»Der Schatz liegt seit sechs Jahrhunderten siebzehn und eine halbe Klafter tief unter der Erde. Sein Wert beläuft sich auf zwei Millionen Zechinen. Sie sind in einer Kiste eingeschlossen, derselben, die Gottfried von Bouillon der Markgräfin Mathilde von Tuscien im Jahre 1081 raubte, als er dem Kaiser Heinrich dem Vierten beistehen wollte, die Schlacht gegen diese Fürstin zu gewinnen. Sie wurde von ihm selbst, an dem Ort, wo sie sich noch befindet, vergraben, bevor er zur Belagerung von Rom schritt. Da Gregor der Siebente, der ein großer Zauberer war, erfahren hatte, wo die Kiste eingegraben war, so hatte er sich entschlossen, sie persönlich zu heben, allein der Tod durchkreuzte seine Pläne. Nach dem Tode der Gräfin Mathilde im Jahre 1116 gab der Genius, der über die verborgenen Schätze gebietet, diesem sieben Hüter. In einer Vollmondsnacht wird ein gelehrter Philosoph den Schatz bis zur Oberfläche des Bodens heben können, indem er sich in dem Circulus maximus hält.«

Ich erwartete den Vater oder den Sohn bei mir zu sehen und sah sie am nächsten Tage alle beide erscheinen. Nach einigen unbedeutenden Gesprächen gab ich ihnen meine auf der Bibliothek zusammengestellte Notiz, die Geschichte von dem der Gräfin Mathilde geraubten Schatz.

Ich sagte ihnen, ich wäre entschlossen, den Schatz zu heben, und versprach ihnen den vierten Teil, vorausgesetzt, daß sie sich entschließen würden, die Scheide zu erwerben. Hierauf fügte ich die Drohung hinzu, ihnen das Messer fortzunehmen.

»Ich werde mich entschließen,« sagte der Kommissär zu mir, »sobald ich die Scheide gesehen habe.«

»Ich bin bereit, mein Herr, sie Ihnen morgen zu zeigen«, erwiderte ich ihm.

Hierauf trennten wir uns, gegenseitig miteinander sehr zufrieden. Um eine geeignete Scheide für das wunderbare Messer herzustellen, mußte ich den bizarrsten Gedanken der wunderlichsten Form anpassen. Ich hatte die Form des Messers im Kopf, und indem ich darüber nachdachte, wie ich irgend etwas Außerordentliches, aber für den Gegenstand Passendes, hervorbringen könnte, sah ich im Hof eine alte Schlappe, den Uberrest eines Reiterstiefels, und dies bestimmte meinen Entschluß. Ich nahm diese alte Sohle, ließ sie kochen und brachte darin eine Öffnung an, in die das Messer unfehlbar hineingehen mußte. Hierauf beschnitt ich sie an allen Seiten, um sie unkenntlich zu machen; ich rieb sie mit Bimsstein, Ocker und Sand, und es gelang mir, ihr eine so komische antike Form zu geben, daß ich mich des Lachens nicht enthalten konnte. Als ich sie dem Kommissär übergab und er das Messer hineingesteckt hatte, welches vollkommen paßte, war der gute Mensch ganz erstaunt. Wir speisten zusammen, und nach dem Essen beschlossen wir, sein Sohn solle mich begleiten, um mich dem Herrn des Hauses, wo der Schatz war, vorzustellen; ich sollte einen Wechsel von tausend römischen Talern aus Bologna und auf Order seines Sohnes erhalten. Aber er sollte auf meine Order nur dann übergehen, wenn ich den Schatz gehoben hätte, und das Messer in der Scheide sollte nur in meine Hände kommen, wenn ich es brauchte, um die große Beschwörung zu machen. Bis zu diesem Augenblick sollte sein Sohn es immer bei sich haben.

Nachdem ich diese Bedingungen angenommen hatte, verpflichteten wir uns schriftlich und setzten die Abreise für den zweitnächsten Tag fest. Im Augenblick unserer Abreise gab der Vater seinem Sohne den Segen und sagte mir, er sei Pfalzgraf, indem er mir das Diplom zeigte, das ihm der Papst darüber hatte ausfertigen lassen. Ich umarmte ihn, indem ich ihn Herr Graf nannte, und nahm seinen Wechselbrief.

Nachdem ich Marina, die ich als die begünstigte Geliebte des Grafen Arcorati verließ, Lebewohl gesagt und von Balletti, den ich sicher war, in Venedig vor einem Jahre wiederzusehen, Abschied genommen hatte, ging ich mit meinem Freund O’Neilen soupieren.

Am Morgen schifften wir uns ein nach Ferrara und fuhren dann über Bologna nach Cesena weiter, wo wir in der Post abstiegen. Nachdem wir in aller Frühe aufgestanden waren, machten wir einen Spaziergang zu Giorgio Franzia, einem reichen Bauern, dem Herrn des Schatzes. Er wohnte eine Viertelmeile vor der Stadt, und unsere unerwartete Ankunft überraschte ihn angenehm. Er umarmte Capitani, den er kannte, dann ließ er mich mit seiner Familie allein und ging mit meinem Gefährten hinaus, um von Geschäften zu sprechen.

Mich auf das Beobachten verlegend, forschte ich alle Familienmitglieder aus und warf meine Augen auf die älteste Tochter. Ihre jüngere Schwester war häßlich, und ihr Bruder war ein wahrer Tropf. Die Mutter schien die Herrin des Hauses zu sein, und drei oder vier Dienstboten bestellten das Hauswesen.

Die älteste Tochter nannte sich Genovessa, wie fast alle Bäuerinnen in der Gegend von Cesena. Sobald ich ihren Namen wußte, sagte ich zu ihr, sie müßte achtzehn Jahre alt sein, aher mit einer halb ernsten, halb gekränkten Miene erwiderte sie mir, da täuschte ich mich hübsch, denn sie wäre nur vierzehn Jahre alt.

»Ich bin darüber entzückt, mein liebenswürdiges Kind.«

Das heiterte ihre Miene auf.

Das Haus hatte eine gute Lage und stand auf vierhundert Schritt von allen Seiten frei da. Ich sah mit Vergnügen, daß ich gut untergebracht sein würde, aber ich bemerkte mit Verdruß eine stinkende Ausdünstung, die die Luft verpestete und die den Geistern, die ich beschwören sollte, nicht gefallen konnte.

»Frau Franzia,« sagte ich zu der Hausfrau, »woher kommt dieser schlechte Geruch?«

»Von dem Hanf, den wir eingeweicht haben.«

Da ich glaubte, daß ich nicht mehr von der Wirkung würde zu leiden haben, nachdem die Ursache entfernt wäre, so sagte ich zu ihr:

»Für welchen Betrag besitzen Sie davon, beste Frau?«

»Für vierzig Taler.«

»Hier sind sie. Der Hanf gehört mir, und ich werde Ihrem Mann sagen, daß er ihn sofort wegschaffen läßt.«

Da mich mein Begleiter gerufen hatte, ging ich hinunter. Franzia erwies mir alle Ehren, die er dem berühmtesten Zauberer schuldig zu sein glaubte, obwohl ich nicht das Aussehen eines solchen hatte.

Wir kamen überein, daß er ein Viertel des Schatzes erhalten sollte, ein anderes Viertel sollte Capitani und der Rest mir gehören. Wie man sieht, nahmen wir auf die Rechte des heiligen Petrus keine Rücksicht.

Ich sagte ihm, ich brauchte ein Zimmer mit zwei Betten für mich allein und ein Vorzimmer mit einer Badewanne. Capitani sollte mir gegenüber wohnen, und ich müßte in meinem Zimmer drei Tische, zwei kleine und einen großen, haben. Ich sagte ihm, es wäre unerläßlich, daß er mir eine jungfräuliche Näherin im Alter von vierzehn bis achtzehn Jahren besorgte. Das Mädchen müßte aber das Geheimnis treu bewahren und ebenso alle Leute des Hauses. damit die Inquisition keinen Wind davon bekäme, weil in diesem Falle alle Operationen unnütz wären.

»Ich werde«, sagte ich zu ihm, »von morgen an bei Ihnen wohnen, täglich zwei Mahlzeiten nehmen, und ich kann zu meinen Mahlzeiten nur Jeveser trinken. Zum Frühstück darf ich nur Schokolade nehmen, die ich mir selbst zubereite und mit der ich versehen bin. Wenn mein Unternehmen mißlingt, bezahle ich alle Auslagen, die Sie etwa haben sollten. Sie werden sofort den Hanf weit genug wegschaffen lassen, damit sein Geruch nicht die Geister belästigt, die ich beschwören soll; sodann werden Sie die Luft mit Schießpulver reinigen lassen. Jetzt sorgen Sie für einen vertrauenswürdigen Menschen, der morgen unsere Sachen aus dem Gasthof holt, und halten Sie hundert neue Kerzen und drei Fackeln zu meiner Verfügung bereit.«

Bei diesen Worten verließ ich Franzia und nahm mit Capitani den Weg nach Cesena. Aber ich war noch nicht hundert Schritte von ihm weg, als ich ihn hinter uns herlaufen hörte.

»Mein Herr,« sagte er zu mir, »halten Sie ein, ich bitte Sie, nehmen Sie die vierzig Taler zurück, die Sie meiner Frau für den Hanf gegeben haben.«

»Nein, mein Herr, das werde ich nicht tun, denn Sie dürfen durchaus keinen Verlust erleiden.«

»Nehmen Sie sie zurück, ich bitte Sie, denn ich kann den Hanf leicht im Laufe des Tages um vierzig Taler verkaufen.«

»Dann«, sagte ich zu ihm, »willige ich ein; ich vertraue auf Ihr Wort.«

Mein Verhalten machte auf den Mann den tiefsten Eindruck, und er betrachtete mich nur mit der größten Verehrung. Aber diese Verehrung erhöhte sich noch, als ich, trotz dem Zureden meines Begleiters, die hundert Zechinen, die er mir für meine Reisekosten aufdrängen wollte, hartnäckig anzunehmen mich weigerte. Ich entzückte ihn, als ich ihm sagte, unmittelbar vor dem Besitze eines Schatzes achte man nicht auf solche Kleinigkeiten.

Nachdem am nächsten Tage unser Gepäck uns vorausgegangen war, fanden wir uns bei dem reichen und einfältigen Franzia ausgezeichnet untergebracht.

Er setzte uns ein Mittagsmahl vor, das gut, aber zu verschwenderisch zubereitet war, und ich sagte ihm, er solle sparsamer sein und mir am Abend einfach gute Hausmannskost geben; dies geschah. Nach dem Abendessen suchte mich der Biedermann Franzia auf und sagte mir, was das junge jungfräuliche Mädchen anbeträfe, so glaubte er, die richtige in seiner Tochter Genoveffa zu besitzen; er hätte darüber seine Frau zu Rate gezogen, und ich könnte dessen gewiß fein.

»Es ist gut,« sagte ich zu ihm, »aber jetzt sagen Sie mir, welche Gründe sie haben, um zu glauben, daß Sie einen Schatz in Ihrem Hause besitzen?«

»Zuerst«, erwiderte er, »die mündliche Überlieferung vom Vater auf den Sohn seit acht Generationen; schließlich die lauten Schläge, die man während der Nacht unter der Erde hört. Überdies öffnet und schließt sich die Türe meines Kellers von selbst alle drei oder vier Minuten, was sicher ein Werk der Dämonen ist, die wir alle Nächte in der Form von pyramidenartigen Flammen auf dem Felde herumirren sehen.«

»Wenn es sich so verhält, dann ist es so sicher wie zweimal zwei vier, daß Sie im Hause einen verborgenen Schatz haben. Hüten Sie sich wohl, ein Schloß an die Türe zu legen, die sich wie von selbst öffnet und schließt, denn Sie würden ein Erdbeben hervorrufen, das aus dem ganzen Umkreis einen Abgrund bilden würde. Die Geister wollen frei sein und zerbrechen alle Hindernisse, die man ihnen entgegenstellen will.«

»Gott sei gelobt, daß ein Gelehrter, den mein Vater vor vierzig Jahren kommen ließ, uns dasselbe gesagt hat. Dieser große Mann hätte nur drei Tage mehr gebraucht, um den Schatz zu heben, als mein Vater erfuhr, daß die Inquisition sich seiner bemächtigen wollte, und ihn schnell entfliehen ließ. Sagen Sie mir bitte, weshalb die Magie nicht der Inquisition widerstehen kann?«

»Weil die Mönche eine noch größere Zahl von Teufeln zu ihrer Verfügung haben als wir. Aber ich bin überzeugt, daß Ihr Vater schon viel für diesen Gelehrten ausgegeben hatte.«

»Ungefähr zweitausend Taler.«

»Mehr, mehr!«

Ich hieß ihn mir folgen, und um etwas Magisches zu tun, tauchte ich eine Serviette in Wasser. Indem ich fürchterliche Worte ausstieß, die keiner Sprache angehörten, wusch ich ihnen allen die Augen, die Schläfen und die Brust, die Genoveffa mir vielleicht nicht ausgeliefert haben würde, wenn ich nicht mit der ihres Vaters, ihrer Mutter und ihres Bruders begonnen hätte. Ich ließ sie auf eine Brieftafche, die ich aus meiner Tasche zog, schwören, daß sie keine unreine Krankheit besäßen und schließlich mußte Genoveffa schwören, daß sie Jungfrau wäre. Da ich sie bis in das Weiße der Augen erröten sah, als sie mir diesen Eid leistete, so hatte ich die Grausamkeit, ihr zu erklären, was es wäre; schließlich aber, da ich sie neuerdings schwören lassen wollte, sagte sie mir, es wäre nicht nötig, daß sie ihren Schwur wiederholte, denn sie wüßte, was es wäre. Ich befahl hierauf ihnen allen, mir einen Kuß zu geben, und als ich dabei merkte, daß Genoveffa Knoblauch gegessen hatte, verbot ich allen, solchen zu genießen, und Giorgio versprach mir, daß man keinen mehr im Hause finden würde.

Genoveffa war keine Schönheit an Gesicht, denn sie hatte eine sonnverbrannte Hautfarbe und ihr Mund war zu groß, aber sie besaß bewunderungswürdige Zähne, und die Unterlippe stand ein wenig hervor, wie wenn sie bereit gewesen wäre, Küsse zu empfangen. Ihr Busen war gut gebaut und sehr fest, aber sie war zu blond und ihre Hände waren zu dick. Man mußte also über manche Sache hinwegsehen, übrigens war sie im ganzen ein hübscher Bissen. Meine Absicht war nicht, sie verliebt zu machen. Es genügte, sie an Gehorsam zu gewöhnen, das andere würde mit einer Bäuerin zu langweilig gewesen sein, denn in Ermangelung der Liebe ist mir eine vollständige Gefügigkeit stets als Hauptsache erschienen. Man genießt dann freilich weder Anmut noch Entzücken, aber man wird einigermaßen entschädigt durch die vollständige Herrschaft, die man ausübt.

Ich verständigte den Vater, Capitani und Genoveffa, daß sie alle in der Reihenfolge ihres Alters mit mir speisen müßten, und daß Genoveffa immer in meinem Vorzimmer schlafen würde, wohin man eine Badewanne stellen sollte, in der ich meinen Tischgenossen eine halbe Stunde, bevor er sich zu Tische setzen konnte, waschen müßte; außerdem befahl ich, daß er nüchtern zu Tische käme.

Ich verfaßte eine Liste von allen Gegenständen, die ich zu brauchen vorgab, und nachdem ich sie Franzia übergeben hatte, sagte ich zu ihm, er müsse selbst am nächsten Tage nach Cesena gehen und alles einkaufen, aber ohne zu handeln. Ich brauchte ein Stück weißer Leinwand, zwanzig bis dreißig Ellen lang, Zwirn, Scheren, Nadeln, Storar, Myrrhe, Schwefel, Olivenöl, Kampfer, ein Ries Papier, Faden, Tinte, zwölf Blätter Pergament, Pinsel und einen Olivenzweig, der groß genug wäre, um einen Stock von anderthalb Fuß Länge daraus zu machen.

Nachdem ich meine Befehle mit der ernsthaftesten Miene gegeben hatte und ohne das mindeste Bedürfnis zu lachen zu empfinden, ging ich zu Bett, ganz entzückt über meine Rolle als Magier, in der ich mich zu meinem eigenen größten Erstaunen so gewandt erblickte.

Am Morgen nach dem Aufstehen ließ ich Capitani rufen und befahl ihm, jeden Tag sich nach Cesena zu begeben, in das große Kaffeehaus zu gehen, sorgfältig auf alles zu achten, was man sich dort erzählen würde und es mir zu berichten. Franzia, meinen Befehlen gehorsam, kam gegen Mittag von der Stadt mit allen Gegenständen zurück, die ich verlangt hatte.

»Ich habe nicht gehandelt,« sagte er zu mir, »und ich bin überzeugt, die Kaufleute haben mich für einen Narren gehalten, denn ich habe wohl um ein Drittel mehr bezahlt, als die Sachen wert sind.«

»Um so schlimmer für sie, wenn sie Sie betrogen haben, aber Sie würden alles verdorben haben, wenn Sie gehandelt hätten. Schicken Sie mir Ihre Tochter und lassen Sie mich allein mit ihr.« Sobald sie gekommen war, ließ ich sie die Leinwand in sieben Stücke zerschneiden, vier von je fünf Fuß, zwei zu zwei Fuß und eines zu zwei und einem halben Fuß. Dieses letztere sollte die Kapuze des Kleides bilden, daß ich nötig hatte, um die große Beschwörung zu machen.

»Setzen Sie sich neben mein Bett,« sagte ich zu ihr, »und beginnen Sie zu nähen. Sie werden hier speisen und bis zum Abend hier bleiben. Wenn Ihr Vater kommt, werden Sie uns allein lassen, aber Sie werden zurückkommen, um sich schlafen zu legen, sobald ich ihn habe weggehen lassen.«

Sie speiste neben meinem Bett, wo die Mutter sie schweigend mit allem bediente, was ich ihr schickte, indem ich sie nur Sankt Jeveser trinken ließ. Gegen Abend, als ihr Vater gekommen war, ging sie hinaus.

Ich hatte die Geduld, den Biedermann im Bade abzuwaschen; hierauf ließ ich ihn mir mir zu Abend speisen. Er aß wie ein Werwolf, indem er mir versicherte, zum erstenmal in seinem Leben hätte er vierundzwanzig Stunden verbracht, ohne etwas zu sich zu nehmen. Betrunken vom Sankt Jeveser, legte er sich nieder und schlief einen tiefen Schlaf, bis seine Frau erschien, die mir meine Schokolade brachte. Genoveffa kam wie am Tage zuvor und nähte den ganzen Tag. Sie verschwand bei der Ankunft von Capitani, den ich wie Franzia behandelte, und am nächsten Tage war die Reihe an Genoveffa, und das war das Ziel meiner Arbeiten.

Als die Stunde gekommen war, sagte ich zu ihr:

»Gehen Sie, Genoveffa, gehen Sie, steigen Sie in das Bad und rufen Sie mich, sobald Sie darin sind, denn ich muß Sie ebenso abwaschen wie Ihren Vater und Capitani.«

Sie gehorchte, und eine Viertelstunde darauf rief sie mich. Ich nahm zahlreiche Abwaschungen nach allen Richtungen und in allen Stellungen vor, denn sie war äußerst fügsam, allein bei dieser listigen Handlungsweise litt ich in der Furcht, mich zu verraten, mehr, als ich genoß, und da meine unbescheidenen Hände alle Teile ihres Körpers berührten und sich gerne und länger an einem gewissen sehr reizbaren Ort aufhielten, so fand sich das arme Mädchen von einem Feuer durchströmt, das sie verzehrte, das sich aber durch die Aufregung selbst beschwichtigte. Ich ließ sie einen Augenblick später aus dem Bade steigen, und bevor ich sie in allen Stellungen abtrocknete, war ich nahe daran, die Magie zu vergessen, um mich der Natur hinzugeben. Allein die Natur war schneller und hatte sich schon von selbst erleichtert; so war ich imstande, den Auftritt zu beendigen, ohne den Knoten zu lösen, und indem ich sie verließ, sagte ich ihr, sie sollte sich wieder ankleiden und hierauf sofort zurückkehren.

Sie war nüchtern, und da der Hunger sie quälte, so dauerte ihre Toilette nicht lange. Sie aß mit gewaltigem Appetit, und der Sankt Jeveser, den sie wie Wasser trank, belebte ihren Teint derart, daß man seine braune Farbe nicht mehr bemerkte. Als ich nach dem Abendessen mit ihr allein geblieben war, fragte ich sie:

»Meine teure Genoveffa, hat dir das mißfallen, was ich an dir zu tun verpflichtet war.«

»Im Gegenteil, es hat mir großes Vergnügen gemacht.«

»Ich hoffe also, daß du morgen nicht böse sein wirst, nach mir in das Bad zu steigen und mich deinerseits zu waschen, wie ich es getan habe.«

»Sehr gern, aber werde ich es machen können?«

»Ich werde dich unterrichten, und in Zukunft wirst du alle Nächte in meinem Zimmer schlafen, denn ich muß mich mit eigenen Augen überzeugen, daß ich dich in der Nacht der großen Beschwörung in dem Zustand finden werde, in dem du sein sollst.«

Von Stund an nahm das junge Mädchen gegen mich eine zuversichtliche Miene an, ihre gezwungene Haltung verschwand, und sie blickte mich oft an, indem sie mir vertraulich zulächelte. Die Natur hatte gewirkt, und der Geist eines jungen Mädchens vergrößert seinen Wirkungskreis sehr stark, sobald das Vergnügen ihr Lehrer gewesen ist. Sie legte sich nieder, und da sie wohl wußte, daß sie mir nichts Neues zu zeigen hatte, hatte ihre Schamhaftigkeit nicht darunter zu leiden, daß sie sich vor mir entkleidete. Und da die Hitze die geringsten Hüllen lästig machte, so machte sie es sich ganz bequem und schlief ein. Ich machte es ebenso, aber mit einer Art Reue, mich verpflichtet zu haben, das Terrain erst in der Nacht der großen Geisterbeschwörung zu erforschen. Die Hebung des Schatzes mußte mißlingen, das wußte ich wohl, allein ich wußte auch, daß sie nicht darum mißlingen würde, weil Genoveffa sich nicht dazu eignete. Bei Tagesanbruch erhob sich das Mädchen und setzte sich an die Arbeit. Sobald sie das Kleid oder den Uberwurf beendigt hatte, ließ ich sie für mich eine Krone von Pergament mit sieben großen Zacken machen, auf die ich entsetzliche Figuren und Schriftzüge malte.

Abends, eine Stunde vor dem Essen, schickte ich mich an, in das Bad zu gehen, und Genoveffa kam herbei, sobald ich gesagt hatte, daß es Zeit zum Eintreten wäre. Sie begann mit dem größten Eifer mir dieselben Abwaschungen zu machen, wie ich ihr am Vorabend, und verfuhr dabei mit der ganzen Sanftmut und Liebenswürdigkeit, deren sie fähig war. Ich verbrachte in diesem Bad eine reizende Stunde, indem ich alles genoß, aber das Wesentliche schonte. Meine Küsse bereiteten ihr Vergnügen, sie begann mich damit zu bedecken, sobald sie sah, daß ich es ihr nicht verbot. Entzückt sie genießen zu sehen, machte ich es ihr bequem, indem ich ihr sagte, der Erfolg der großen magischen Operation hinge von dem Grade des Vergnügens ab, den sie ohne Zwang genösse. Sie machte unglaubliche Anstrengungen, um mich zu überzeugen, daß sie glücklich wäre, und ohne die Grenze überschritten zu haben, die ich mir selbst gesetzt hatte, verließen wir miteinander sehr zufrieden das Bad.

Im Augenblick, als wir uns niederlegten, sagte sie zu mir:

»Wird es der Sache schaden, wenn wir zusammen schlafen?«

»Nein, meine Teure, vorausgesetzt, daß du am Tage der großen Beschwörung Jungfrau bist, weiter ist nichts nötig.« – Bei diesen Worten warf sie sich in meine Arme, und wir verbrachten eine reizende Nacht, während welcher ich Ursache hatte, den Reichtum ihres Temperamentes und die Zurückhaltung des meinigen zu bewundern: ich wußte mich so zu mäßigen, daß ich den Eingang nicht erbrach.

Ich verbrachte einen guten Teil der folgenden Nacht mit dem Vater Franzia und Capitani, um mit meinen eigenen Augen die Erscheinungen zu sehen, von den mir der wackere Landmann erzählte. Auf dem Altan des Hofes verborgen, hörte ich deutlich unterirdische Schläge in gleichmäßigen Zwischenräumen, drei oder vier in der Minute. Das Geräusch hörte sich an, wie wenn ein riesiger Stößel in einem Messingmörser aufgestampft würde. Ich nahm meine Pistolen und stellte mich mit ihnen in die Nähe der sich bewegenden Tür, indem ich eine Blendlaterne in der Hand hielt. Ich sah die Tür sich langsam öffnen und dreißig Sekunden später sich mit Gewalt schließen. Ich öffnete und schloß sie selbst mehrmals, und da ich keinen geheimen physischen Grund bei dieser sonderbaren Erscheinung hatte entdecken können, so entschloß ich mich, selbst zu glauben, daß dabei irgendeine geschickte und verborgene Spitzbüberei im Spiele wäre, allein ich kümmerte mich nicht weiter darum, nach der Ursache zu forschen.

Wir gingen wieder hinauf und, nachdem ich mich neuerdings auf den Balkon gestellt hatte, sah ich im Hofe Schatten, die kamen und gingen. Das konnte nur die Wirkung einer feuchten und dicken Luft sein, und die pyramidenförmigen Flammen, die ich auf dem Feld irren sah, waren eine Erscheinung, die ich kannte. Ich ließ indessen meine beiden Genossen in dem Glauben, es wären Geister, die über dem Schatz wachten. Dieses Phänomen ist dem ganzen südlichen Italien eigen, wo das Feld zuweilen mit diesen Lufterscheinungen gedeckt ist, die das Volk für Teufel hält, und die leichtgläubige Unwissenheit mit dem Namen Irrgeister bezeichnet.

Leser, im folgenden wirst du sehen, wie meine magische Unternehmung endete, und wirst vielleicht ein wenig auf meine Rechnung lachen, ohne daß mich das beleidigen soll.

Am nächsten Tage mußte ich mein großes Werk vollbringen, denn sonst hätte ich, nach dem allgemein herrschenden Glauben bis zum nächsten Vollmond warten müssen. Ich mußte die Erdgeister beschwören, den Schatz bis an die Erdoberfläche emporzuheben, und zwar genau an der Stelle, wo ich meine Beschwörungen vornahm. Freilich wußte ich recht gut, daß das Zauberwerk fehlschlagen müßte, aber ich wußte auch, daß es mir nicht an Gründen fehlen würde, um Franzia und Capitani zufriedenzustellen. Auf alle Fälle mußte ich meine Zaubererrolle, die mir den allergrößten Spaß machte, gut durchführen. Ich ließ Genoveffa den ganzen Tag daran arbeiten, etwa dreißig Bogen Papier zu einem Kreise zusammenzunähen, den ich mit den seltsamsten Gestalten bemalte. Dieser Kreis, den ich Maximus nannte, hatte drei geometrische Schritte im Durchmesser. Ich hatte mir eine Art von Zepter oder Zauberstab aus dem Olivenzweig gemacht, den Franzia mir aus Cesena mitgebracht hatte. Nachdem ich mich auf diese Weise vorbereitet hatte, sagte ich zu Genoveffa, um Mitternacht, in dem Augenblick, wo ich den Zauberkreis verließe, müßte sie sich zu allem bereit halten. Dieser Befehl war ihr nicht unangenehm, denn sie brannte darauf, mir diesen Beweis ihres Gehorsams zu geben, ich meinerseits empfand das Bedürfnis, ihre Wünsche zu befriedigen, da ich mich als ihren Schuldner fühlte.

Als die Stunde gekommen war, befahl ich dem Vater, Franzia und Capitani sich auf dem Balkon aufzuhalten, einerseits um zu meinen Befehlen bereit zu sein, wenn ich sie etwa rufen sollte, andererseits um zu verhindern, daß einer von den Hausbewohnern die Vorgänge belauschen könnte. Nun legte ich selber alle weltlichen Kleider ab, zog den großen Überwurf an, der von den reinen Händen einer Jungfrau genäht worden war, ließ meine langen, dichten Haare aufgelöst herabwallen und setzte meine sonderbare Krone auf den Kopf. Den Maximus über die Schultern geworfen, in der einen Hand den Zauberstab, in der anderen das wunderwirkende Messer, so stieg ich in den Hof hinab. Dort breite ich, barbarische Wörter murmelnd, meinen Kreis aus, gehe dreimal um diesen herum und springe dann mitten in ihn hinein.

Nachdem ich zwei Minuten lang unbeweglich in hockender Stellung verharrt habe, erhebe ich mich und hefte meine Blicke auf eine große fahle Wolke, die am westlichen Himmel aufzieht, während von derselben Seite her ein mächtiger Donnerschlag erschallt. Wie erhaben wäre ich vor den blöden Augen meiner beiden Trottel dagestanden, wenn ich daran gedacht hätte, mir kurz vorher den Himmel anzusehen und die Wettererscheinung vorauszusagen!

Die Wolke breitete sich mit ungeheurer Schnelligkeit aus, und bald erschien mir das Himmelsgewölbe, wie wenn es von einem Sargtuch bedeckt wäre, woraus feurige Blitze nach allen Richtungen hervorzuckten.

Da dies alles ganz natürlich zuging, hatte ich nicht den geringsten Anlaß, überrascht zu sein. Trotzdem bekam ich etwas Angst, so daß ich den dringenden Wunsch empfand, in meinem Zimmer zu sein. Bald wuchs meine Angst, als ich unter furchtbaren Donnerschlägen einen Blitz auf den anderen folgen und rings um mich her niederfahren sah. Da erfuhr ich an mir selber, welche Wirkung eine große Furcht auf den Geist ausüben kann, denn ich bildete mir ein, daß die Blitze, die in meiner Nähe in die Erde fuhren oder unaufhörlich über meinem Kopf aufleuchteten, nur darum mir nicht den Garaus machten, weil sie nicht in meinen Zauberkreis eindringen könnten. So betete ich mein eigenes Werk an! Dieser dumme Grund hielt mich ab, den Kreis zu verlassen, obwohl ich vor Angst an allen Gliedern zitterte. Ohne diese aus feiger Furcht hervorgegangene Einbildung wäre ich nicht eine Minute länger geblieben; meine eilige Flucht hätte meinen beiden Betrogenen die Augen geöffnet, und sie würden dann gesehen haben, daß ich ganz und gar kein Zauberer, sondern ein erbärmlicher Feigling war. Der starke Wind, die widerhallenden Donnerschläge, ein durchdringender Frost und meine Angst machten, daß ich wie Espenlaub zitterte. Meine Weltanschauung, die ich über jede Anfechtung erhaben glaubte, lag in Trümmern; ich erkannte einen Gott der Rache, der bis zu diesem Augenblick gewartet hatte, um mit einem einzigen Schlage mich für alle meine Freveltaten zu bestrafen und um meinem Unglauben ein Ende zu machen, indem er mich vernichtete. Da es mir nicht möglich war, ein Glied zu rühren, so war ich überzeugt, daß selbst meine Reue zwecklos wäre, und dies vermehrte noch meine Bestürzung.

Indessen hört das Gewitter auf, ein starker Regen beginnt zu fallen, die Gefahr verschwindet, und ich fühle meinen Mut von neuem erwachen. So ist der Mensch! Oder wenigstens: so war ich damals. Der Regen strömte so reichlich, daß er die ganze Gegend überschwemmt haben würde, wenn er länger als eine Viertelstunde gedauert hätte. Mit dem Regen hörte auch der Wind auf, die Wolken hatten sich verzogen, und der Mond strahlte in seiner ganzen Schönheit an einem wunderbaren dunkelblauen Nachthimmel. Ich raffte den Zauberkreis zusammen, befahl den beiden Freunden, sie sollten zu Bett gehen, ohne ein Wort mit mir zu sprechen, und begab mich in mein Zimmer. Noch ganz mit meinen Gedanken beschäftigt, warf ich einen Blick auf Genoveffa und fand sie so hübsch, daß ich Angst bekam. Gefügig ließ ich mich abtrocknen, dann aber sagte ich in kläglichem Ton zu ihr, sie möchte sich in ihr Bett legen. Am nächsten Morgen sagte sie mir, sobald sie mich erblickte: als sie mich trotz der Hitze an allen Gliedern hätte zittern gesehen, da hätte ich ihr Angst eingeflößt.

Als ich nach einem achtstündigen Schlaf mit beruhigtem Kopf erwachte, empfand ich Abscheu vor dem Possenspiel; ich wunderte mich, daß ich bei Genoveffas Anblick gar nichts mehr fühlte. Nicht daß die willfährige Genoveffa sich geändert hätte – nein, ich war nicht mehr der gleiche. Ich befand mich in einem Zustand von Gleichgültigkeit, den ich bis dahin noch nicht gekannt hatte; die abergläubischen Gedanken, die am Abend vorher die Furcht mir eingeflößt hatte, wirkten fort, und ich glaubte zu erkennen, daß die Unschuld des jungen Mädchens vom Himmel beschützt werde, und daß ich dem furchtbarsten augenblicklichen Tode nicht entronnen wäre, wenn ich gewagt hätte, ihr die Unschuld zu rauben. Übrigens dachte ich damals in der Unvernunft meiner dreiundzwanzig Jahre, mein Entschluß habe weiter keine Bedeutung, als daß der Vater ein bißchen weniger betrogen und daß die Tochter ein bißchen weniger unglücklich sein würde – es hätte ihr denn etwa so ergehen müssen, wie der armen Lucia von Paseano.

Da nun Genoveffa in meinen Augen nur noch ein Gegenstand frommer Angst war, so entschloß ich mich, sofort abzureisen. Dieser Entschluß wurde unumstößlich durch die Befürchtung, irgendein frommer Bauer hätte mich vielleicht in meinem sogenannten Zauberkreise meinen Hokuspokus treiben sehen, die allerheiligste oder allerhöllischste Inquisition könnte von meinem frommen Eifer benachrichtigt werden und sich an meine Fersen heften, um mich in einem schönen Autodafé als Hauptperson auftreten zu lassen; und eine derartige Rolle zu spielen, daran lag mir nicht das geringste. Von dieser Möglichkeit erschreckt, ließ ich Vater Franzia und Capitani rufen und sagte ihnen, ich hätte von den sieben Erdgeistern, die den Schatz bewachten, alle möglichen Auskünfte erhalten, aber ich hätte mit ihnen ein Übereinkommen treffen müssen, die Ausgrabung des ihrer Obhut anvertrauten kostbaren Gutes noch zu verschieben. Ich sagte Franzia, ich würde alle Auskünfte, die ich die Geister mir zu geben gezwungen hätte, schriftlich hinterlassen. Ich übergab ihm auch wirklich ein ähnliches Schriftstück, wie das in der Stadtbibliothek von Mantua fabrizierte; ich sagte darin noch, der Schatz bestehe aus Diamanten, Rubinen, Smaragden und aus hunderttausend Pfund Goldstaub. Ich ließ ihn auf meine Brieftasche schwören, er solle auf mich warten, vor allem aber keinem Magier Glauben schenken, wenn er ihm nicht einen Bericht machte, der in allen Punkten mit dem ihm von mir schriftlich hinterlassenen übereinstimmte. Hierauf ließ ich die Krone und den Kreis verbrennen und übergab ihm alles übrige mit dem Befehl, es bis zu meiner Rückkehr sorgfältig aufzubewahren. Zu Capitani sagte ich, er solle sich sofort nach Cesena in den Gasthof begeben, wo wir abgestiegen wären, und dort auf den Mann warten, den Franzia schicken würde, um unsere Sachen zu bringen.

Da ich die arme Genoveffa ganz untröstlich sah, nahm ich sie beiseite und sagte ihr zärtlich, sie würde mich binnen kurzem wiedersehen. Ferner glaubte ich ihr sagen zu müssen, daß die große Beschwörung glücklich vollbracht sei, daß es daher auf ihre Jungfernschaft nicht mehr ankomme und daß sie sich verheiraten könne, sobald sie wolle oder Gelegenheit habe.

Hierauf begab ich mich sofort nach der Stadt, wo ich Capitani traf. Er wollte noch den Jahrmarkt in Lugo besuchen und dann nach Mantua zurückkehren. Der Trottel sagte mir flennend, sein Vater würde in Verzweiflung sein, wenn er ihn ohne das Messer des heiligen Petrus zurückkommen sähe.

»Ich gebe es Ihnen«, sagte ich, »samt der Scheide, wenn Sie mir dafür die tausend römischen Taler geben wollen, auf die der Wechsel lautet.«

Er fand dies Geschäft sehr vorteilhaft und willigte mit Freuden ein. Ich gab ihm seinen Wechsel zurück und ließ ihn ein Schriftstück unterzeichnen, worin er sich verpflichtete, mir meine Scheide zurückzugeben, sobald ich ihm das Geld zurückzahlte. Er wartet noch darauf.

Ich wußte mit der wunderwirkenden Scheide nichts anzufangen und hatte kein Geld nötig; aber ich hätte mich zu entehren geglaubt, wenn ich sie ihm umsonst gegeben hätte, außerdem fand ich es spaßhaft, die unwissende Leichtgläubigkeit eines Pfalzgrafen von päpstlichen Gnaden zu schröpfen. Später hätte ich ihm freilich gerne das Geld zurückerstattet, das er mir dafür gegeben hatte, aber der Zufall hat es so gefügt, daß wir uns erst sehr lange Zeit nachher wiedersahen und zudem gerade in einem Augenblick, wo die Rückerstattung mir schwierig gewesen sein würde. Ich habe also den Gewinn dieser Geldsumme nur dem Zufall zu danken gehabt, und ganz gewiß hat Capitani nie daran gedacht, sich darüber zu beklagen; denn als Besitzer des gladium cum vagina war er felsenfest überzeugt, Besitzer aller in den Staaten des Allerheiligsten Vaters vergrabenen Schätze zu sein.

Capitani reiste am nächsten Tage ab, und ich wollte mich auf den Weg nach Neapel machen; aber es kam wieder etwas dazwischen.

Zweites Kapitel


Meine Großmutter gibt mich dem Doktor Gozzi in Pension – Meine erste zärtliche Bekanntschaft.

Sobald ich mit der Slavonierin allein war, führte sie mich auf den Dachboden, wo sie mir mein Bett zeigte, das in einer Reihe mit vier anderen stand; von diesen waren drei für drei Knaben meines Alters bestimmt, die in diesem Augenblick in der Schule waren; das vierte gehörte der Magd, die den Auftrag hatte aufzupassen, daß wir uns nicht den üblichen kleinen Schülerausschweifungen hingäben. Nach diesem Besuch gingen wir wieder hinunter, und sie führte mich in den Garten; dort könnte ich bis zum Mittagessen spazierengehen, sagte sie.

Ich war weder glücklich noch unglücklich; ich sagte kein Wort. Ich empfand gar nichts, weder Furcht, noch Hoffnung, noch Neugier; ich war weder lustig noch traurig. Anstößig war mir nur das Gesicht der Hausherrin; denn obwohl ich keinen Begriff von Schönheit oder Häßlichkeit hatte, so stieß mich doch alles an ihr ab: ihr Gesicht, der Ausdruck ihrer Miene, ihr Ton und ihre Sprache. Ihre männlichen Gesichtszüge brachten mich jedesmal in Verwirrung, so oft ich sie ansah, um zu hören, was sie mir sagte. Sie war groß und breit wie ein Soldat; sie hatte eine gelbe Hautfarbe, schwarze Haare, lange dichte Augenbrauen und ihr Kinn war mit etlichen langen Barthaaren geschmückt. Um dies Bildnis zu vervollständigen, will ich noch erwähnen, daß ein häßlicher, von Runzeln durchfurchter, halbentblößter Busen ihr bis zur Hälfte ihres langen Oberkörpers herabhing; sie mochte etwa fünfzig Jahre alt sein. Die Magd war eine dicke Bäuerin, die für alle Verrichtungen angenommen war, und der sogenannte Garten war ein Viereck von dreißig zu vierzig Schritt, an dem nichts Angenehmes war außer der grünen Farbe.

Gegen Mittag sah ich meine drei Kameraden ankommen, die mir, wie wenn wir alte Bekannte gewesen wären, sehr viel erzählten; sie setzten bei mir Vorkenntnisse voraus, die ich nicht besaß. Ich antwortete ihnen nicht, aber dadurch ließen sie sich nicht aus der Fassung bringen; schließlich nötigten sie mich an ihren unschuldigen Vergnügungen mich zu beteiligen. Es handelte sich um Wettlaufen, Huckepackreiten, Kobolzschießen, und ich ließ mich in alle diese Wunder recht gerne einweihen, bis wir zum Essen gerufen wurden. Ich setzte mich zu Tisch; als ich aber einen Holzlöffel vor mir sah, stieß ich diesen zurück und verlangte mein silbernes Besteck, das ich sehr liebte, weil es ein Geschenk meiner guten Großmutter war. Die Magd antwortete mir, die Hausfrau wolle, daß wir alle gleich seien, und ich müsse mich dem Brauch fügen; dies tat ich denn auch, obwohl es mir mißfiel; ich begann wie die anderen die Suppe aus der Schüssel zu löffeln, ohne mich über die Schnelligkeit zu beklagen, womit meine Kameraden aßen, doch nicht ohne mich zu wundern, daß so etwas erlaubt sei.

Nach der sehr schlechten Suppe bekamen wir eine kleine Portion gedörrten Stockfisch, hierauf einen Apfel, und damit war das Mittagessen zu Ende; wir befanden uns in der Fastenzeit. Wir hatten keine Gläser oder Becher, sondern tranken alle aus demselben irdenen Krug ein elendes Getränk, das man Craspia nennt; es wird zubereitet, indem man entkernte Weinbeeren in Wasser kocht. Die folgenden Tage trank ich nur reines Wasser. Das Essen überraschte mich, denn ich wußte nicht, ob es mir erlaubt wäre, es schlecht zu finden.

Nach Tisch führte mich die Magd in die Schule zu einem jungen Priester, namens Doktor Gozzi; mit ihm hatte die Slavonierin verabredet, ihm monatlich vierzig Soldi zu bezahlen, das ist der elfte Teil einer Zechine.

Da ich erst schreiben lernen mußte, wurde ich zu den fünf- bis sechsjährigen Kindern gesetzt, die sich sofort über mich lustig machten.

Wieder ins Haus meiner Slavonierin zurückgekehrt, erhielt ich mein Abendessen, das natürlich noch schlechter war als die Mittagsmahlzeit. Ich war erstaunt, daß es mir nicht erlaubt war, mich darüber zu beklagen. Man legte mich in ein Bett, wo ich wegen des Ungeziefers der genugsam bekannten drei Arten kein Auge zutun konnte. Außerdem jagten die Ratten, die überall herumliefen und auf mein Bett sprangen, mir eine Angst ein, daß mir das Blut in den Adern erstarrte. In dieser Nacht empfand ich zum erstenmal, was Unglück ist, und lernte es mit Geduld ertragen.

Die Insekten, die mich verzehrten, verminderten die Angst, die ich vor den Ratten hatte; und zum Ausgleich machte mich die Angst weniger empfindlich gegen die Bisse. Meiner Seele kam dieser Widerstreit meiner Leiden zu statten. Die Magd war völlig taub gegen mein Geschrei.

Sobald der Tag zu grauen begann, verließ ich mein trauriges Lager, und nachdem ich mich bei dem Mädchen ein bißchen über alle die ausgestandenen Leiden beklagt hatte, verlangte ich von ihr ein Hemd, denn das meinige war ekelhaft anzusehen. Sie antwortete mir aber, das Hemd werde nur Sonntags gewechselt, und lachte mich aus, als ich ihr drohte, ich würde mich bei der Hausfrau beklagen.

Zum erstenmal in meinem Leben weinte ich vor Kummer und Zorn, als ich meine Kameraden mich verspotten hörte; die Unglücklichen waren in derselben Lage wie ich, aber sie waren daran gewöhnt. Damit ist alles gesagt.

Von Traurigkeit niedergeschmettert, schlief ich in der Schule den ganzen Vormittag. Einer meiner Kameraden sagte dem Doktor den Grund hierfür, aber nur in der Absicht, mich lächerlich zu machen. Der junge Priester aber, den ohne Zweifel die Vorsehung für mich ausgesucht hatte, ließ mich in sein Kabinett kommen. Nachdem er alles angehört und sich mit eigenen Augen von der Wahrheit meiner Erzählung überzeugt hatte, wurde er ganz bewegt, als er die Beulen sah, von denen meine unschuldige Haut bedeckt war. Schnell legte er seinen Mantel an, führte mich nach meiner Pension und zeigte der Unholdin, in welchem Zustand ich mich befand. Diese spielte die Erstaunte und schob alle Schuld auf die Magd. Sie mußte jedoch dem dringenden Wunsche des Priesters nachgeben, ihm mein Bett zu zeigen; da war ich denn nicht weniger erstaunt als er, als ich sah, wie schmutzig die Tücher waren, in denen ich die schreckliche Nacht verbracht hatte. Das verdammte Weib gab immer noch der Magd die Schuld und erklärte, sie werde sie aus dem Hause jagen; diese aber, die in demselben Augenblick dazukam, wollte sich den Tadel nicht gefallen lassen und sagte ihr gerade ins Gesicht, sie habe selber schuld; und indem sie gleichzeitig die Betten der anderen Knaben aufdeckte, konnten wir uns überzeugen, daß sie nicht besser dran waren als ich. Wütend gab ihre Herrin ihr sofort eine Ohrfeige; die Magd aber wollte diese nicht auf sich sitzen lassen, gab ihr eine wieder und ergriff die Flucht. Der Doktor ließ mich bei der Alten und ging, indem er ihr sagte, er würde mich nicht eher wieder in seine Schule aufnehmen, als bis ich ebenso sauber wäre wie die anderen Schüler. Ich mußte nun kräftige Schelte über mich ergehen lassen, die in die Drohung ausklang, sie würde mich aus dem Hause werfen, wenn ich ihr noch einmal eine derartige Schererei bereitete.

Das verstand ich nicht. Ich war wie ein neugeborenes Kind; ich kannte nur das Haus, in dem ich geboren und aufgewachsen war und worin Sauberkeit und ein anständiger Überfluß herrschten. Ich sah mich mißhandelt, ausgescholten, obwohl mir dünkte, ich könnte doch ganz unmöglich schuldig sein. Endlich warf die Megäre mir ein Hemd an den Kopf; eine Stunde später sah ich eine neue Magd frische Betttücher auflegen, und wir aßen zu Mittag.

Mein Lehrer ließ es sich ganz besonders angelegen sein, mich zu unterrichten. Er wies mir einen Platz an seinem eigenen Tisch an, und um ihm zu zeigen, daß ich diese Auszeichnung zu schätzen wisse, strengte ich alle meine Kräfte an, um etwas zu lernen; nach Verlauf eines Monats schrieb ich denn auch schon so gut, daß er mich zur Grammatik übergehen ließ.

Das neue Leben, das ich führte, der Hunger, den ich leiden mußte, und zweifelsohne mehr als dies alles die Luft von Padua gaben mir eine Gesundheit, von der ich früher keinen Begriff gehabt hatte. Aber grade diese gute Gesundheit machte für mich den Hunger, den ich ausstehen mußte, um so bitterer: er war geradezu unerträglich geworden. Ich wuchs sichtbar; ich hatte allnächtlich einen neunstündigen tiefen Schlaf, den niemals ein anderer Traum störte, als daß es mir vorkam, ich säße an einer reichbesetzten Tafel und wäre damit beschäftigt, meinen grimmigen Hunger zu stillen; aber jeden Morgen empfand ich dann, wie unangenehm solche schmeichlerischen Träume sind. Dieser verzehrende Hunger würde mich schließlich völlig erschöpft haben, hätte ich mich nicht entschlossen, alles was ich irgendwo an eßbaren Sachen finden könnte, mir anzueignen und zu verzehren, so oft ich nur sicher wäre, nicht dabei gesehen zu werden.

Not macht erfinderisch. Ich hatte in einem Küchenschrank etwa fünfzig geräucherte Heringe bemerkt; diese verspeiste ich nach und nach sämtlich; desgleichen alle Würste, die im Rauchfang hingen. Um dies unbemerkt tun zu können, stand ich nachts auf und schlich auf den Zehenspitzen im Hause herum. Alle frischgelegten Eier, deren ich im Hühnerhof habhaft werden konnte, schlürfte ich noch warm hinunter; sie waren für mich die köstlichste Speise. Um etwas zum Essen zu finden, machte ich sogar Beutezüge in die Küche meines Lehrers.

Die Slavonierin war in Verzweiflung, niemals einen der Diebe entdecken zu können, und warf eine Magd nach der anderen aus dem Hause. Trotz alledem war ich mager wie ein Gerippe, da sich nicht jederzeit eine Gelegenheit zum Stehlen fand.

In vier oder fünf Monaten machte ich so schnelle Fortschritte, daß der Doktor mich zum Dekurio der Schule ernannte. Ich hatte die Aufgaben meiner dreißig Mitschüler durchzusehen, ihre Fehler zu verbessern und dem Lehrer mit Lob oder Tadel Bericht zu erstatten. Meine Strenge dauerte aber nicht lange, denn die Faulpelze kamen bald hinter das Geheimnis, mich milde zu stimmen. Wenn ihr Latein von Fehlern wimmelte, gewannen sie meine Nachsicht mittels gebratener Rippchen oder Hühnchen; oft gaben sie mir sogar Geld. Dies erweckte meine Habgier oder vielmehr meine Leckerhaftigkeit; denn von nun an besteuerte ich nicht nur die Unwissenden, sondern ich wurde zum Tyrannen und weigerte mein Lob denen, die es verdienten, sobald sie sich’s einfallen ließen, den von mir beanspruchten Zoll weigern zu wollen. Meine Ungerechtigkeit wurde ihnen unerträglich, und sie verklagten mich beim Lehrer, der mich absetzte, als er mich der Erpressung überführt sah. Nach dieser Absetzung wäre es mir gewiß sehr schlecht gegangen, wenn nicht das Schicksal bald nachher meiner grausamen Leidensschule ein Ende gemacht hätte.

Der Doktor, der mich lieb hatte, nahm mich eines Tages mit in sein Kabinett und fragte mich unter vier Augen, ob ich bereit sei, die Schritte zu tun, die er mir anraten wolle, um aus der Pension der Slavonierin herauszukommen und bei ihm einzutreten. Da er mich von seinem Vorschlag entzückt fand, ließ er mich drei Briefe abschreiben, die ich an den Abbate Grimani, an meinen Freund Baffo und an meine Großmutter sandte. Da das Halbjahr zu Ende ging und meine Mutter sich damals nicht in Venedig aufhielt, war keine Zeit zu verlieren. In diesen Briefen entwarf ich eine Schilderung aller meiner Leiden und erklärte, ich würde bald sterben, wenn man mich nicht aus den Händen der Slavonierin befreite und mich meinem Schullehrer übergäbe, der bereit wäre, mich bei sich aufzunehmen, dafür jedoch monatlich zwei Zechinen beanspruchte.

Herr Grimani antwortete mir gar nicht, sondern ließ mich durch seinen Freund Ottaviani ausschelten, daß ich mich hätte verführen lassen. Herr Baffo aber ging zu meiner Großmutter, die nicht schreiben konnte, besprach die Sache mit ihr und meldete mir in einem Brief, in ein paar Tagen würde ich glücklich sein. Und wirklich kam acht Tage darauf die ausgezeichnete Frau, die mich bis an ihr Lebensende liebgehabt hat, nach Padua und zwar gerade in dem Augenblick, als ich mich zu Tisch setzen wollte, um zu Mittag zu essen. Sie trat mit der Hausfrau zusammen ins Zimmer und sobald ich sie erblickte, fiel ich ihr um den Hals und weinte strömende Tränen, in die sie sogleich auch die ihrigen mischte. Als sie dann saß und mich auf ihren Schoß genommen hatte, fühlte ich meinen Mut wieder erwachen und zählte ihr im Beisein der Slavonierin alle meine Qualen auf; nachdem ich ihr den Bettlertisch gezeigt hatte, an dem ich mich sattessen sollte, führte ich sie an mein Bett. Zum Schluß bat ich sie, sie möchte mich mit sich zum Essen nehmen, nachdem ich sechs Monate lang gehungert und geschmachtet hätte. Die Slavonierin ließ sich das nicht anfechten; sie sagte nur, mehr könnte sie für das Geld, das man ihr gäbe, nicht tun. Da hatte sie recht; aber wer zwang sie, ein Kosthaus zu halten, um die Kinder hinzumorden, die der Geiz ihr anvertraute und die doch der Nahrung bedurften?

Meine Großmutter bedeutete ihr in aller Ruhe, sie werde mich mitnehmen, und sagte ihr, sie möchte alle meine Kleider in meinen Koffer packen. Entzückt, mein silbernes Besteck wiederzusehen, ergriff ich es und steckte es schnell in die Tasche. Zum ersten Male fühlte ich die Macht der Zufriedenheit, die den, der sie empfindet, zu Verzeihung und zum Vergessen alles Ungemachs nötigt.

Meine Großmutter führte mich in die Herberge, wo sie wohnte, und wir speisten zu Mittag. Aber sie aß fast gar nichts vor Erstaunen über meine Gefräßigkeit. Unterdessen kam der Doktor Gozzi, den sie hatte benachrichtigen lassen, und seine Erscheinung stimmte sie zu seinen Gunsten. Er war ein schöner Priester von sechsundzwanzig Jahren, rundlich, bescheiden und von ehrerbietigem Wesen. In einer Viertelstunde war alles abgemacht. Die gute Großmutter zählte ihm vierundzwanzig Zechinen für Kostgeld auf ein Jahr im voraus und ließ sich Quittung darüber geben, zunächst aber behielt sie mich drei Tage bei sich, um mich als Abbate zu kleiden und mir eine Perücke machen zu lassen; denn wegen meiner Unsauberkeit mußte sie mir die Haare abschneiden lassen.

Nach Ablauf dieser drei Tage brachte sie mich selber zum Doktor, um mich dessen Mutter zu empfehlen. Diese sagte ihr sofort, sie möchte mir ein Bett schicken oder in Padua eins für mich kaufen. Der Doktor sagte ihr aber, ich würde bei ihm in seinem sehr breiten Bett schlafen; für diese Güte war ihm meine Großmutter sehr dankbar. Hierauf geleiteten wir sie zum Burchiello, mit dem sie nach Venedig zurückreisen wollte.

Die Familie des Doktors Gozzi bestand aus seiner Mutter, die großen Respekt vor ihm hatte, weil sie als einfache Bäuerin sich nicht für würdig hielt, einen Priester und gar einen Doktor zum Sohn zu haben; sie war häßlich, alt und zänkisch. Ferner aus seinem Vater, einem Schuster, der den ganzen Tag arbeitete und niemals, auch bei Tische nicht, ein Wort sprach. Gesellig wurde er nur an den Feiertagen, die er regelmäßig mit seinen Freunden in der Schenke verbrachte, aus der er um Mitternacht, den Tasso singend und so betrunken, daß er sich nicht auf den Beinen halten konnte, nach Hause kam. War er in diesem Zustand, so wollte der gute Mann durchaus nicht ins Bett, und er wurde brutal, wenn man ihn dazu zwingen wollte. Er hatte nur soviel Vernunft und Geist, wie der Wein ihm verlieh; denn wenn er nüchtern war, konnte er nicht mal die unbedeutendsten Familienangelegenheiten behandeln, und seine Frau sagte, er würde sie nie geheiratet haben, wenn man nicht zur Vorsicht ihn tüchtig hätte frühstücken lassen, ehe sie zur Kirche gingen.

Doktor Gozzi hatte auch eine dreizehnjährige Schwester, Bettina; sie war hübsch, lustig und eine große Romanleserin. Vater und Mutter zankten beständig mit ihr, weil sie sich so oft am Fenster sehen ließe, und der Doktor schalt sie wegen ihrer Lesewut. Das Mädchen gefiel mir sofort, ohne daß ich wußte warum. Sie schleuderte dann später in mein Herz die ersten Funken einer Leidenschaft, die in der Folge meine herrschende wurde.

Sechs Monate nach meinem Eintritt in das Haus hatte der Doktor keine Schüler mehr; denn alle verließen ihn, weil ich der einzige Gegenstand seiner Zuneigung geworden war. Dies brachte ihn zu dem Entschlusse, ein kleines Institut einzurichten, indem er junge Schüler in Kost nähme; aber es dauerte zwei Jahre, bis ihm dieser Plan gelang. Während dieser Zeit teilte er mir alles mit, was er wußte, und das war allerdings nicht viel, doch aber genügend, mich in alle Wissenschaften einzuführen. Er lehrte mich auch Violine spielen; eine Kunst, die ich mir später unter Umständen, von denen der Leser noch hören wird, zunutze machen mußte. Der gute Doktor, der ganz und gar kein Philosoph war, ließ mich die Logik der Peripatetiker und die Kosmographie des alten Ptolomäischen Systems lernen, über das ich mich beständig lustig machte, indem ich ihn durch Lehrsätze auf die er nie zu antworten wußte, zur Verzweiflung brachte. Übrigens waren seine Sitten untadelhaft, und in religiösen Dingen war er sehr streng, obgleich er kein Frömmler war. Da alles für ihn Glaubensartikel war, so fand er nichts schwer zu begreifen. Nach seiner Meinung hatte die Sintflut die ganze Erde bedeckt; vor dieser Katastrophe wurden die Menschen tausend Jahre alt und Gott unterhielt sich mit ihnen in Gesprächen; Noah hatte in hundert Jahren die Arche gebaut, und die Erde hing unbeweglich im Mittelpunkt des Weltalls, das Gott aus dem Nichts erschaffen hatte. Als ich ihm sagte und bewies, daß das Vorhandensein des Nichts ein Unsinn wäre, fiel er mir ins Wort und sagte, ich sei ein Dummkopf.

Er liebte ein gutes Bett, seinen Schoppen Wein und Fröhlichkeit im Familienkreise. Dagegen liebte er weder Schöngeister, noch Witzworte, noch Kritik, denn diese wird leicht zur bösen Nachrede; er lachte über die Dummheit der Leute, die sich mit Zeitunglesen abgäben; denn die Zeitungen, sagte er, lögen immer und wiederholten ewig dasselbe. Er sagte, nichts sei so lästig wie Ungewißheit, und darum verdammte er das Denken, weil aus diesem der Zweifel entspringe.

Seine Hauptleidenschaft war Predigen; dabei kam ihm nämlich Gesicht und Stimme zustatten. Seine Zuhörerschaft bestand denn auch nur aus Frauen; trotzdem war er ein geschworener Weiberfeind, und er sah niemals einer ins Gesicht, wenn er mit ihr sprechen mußte. Die fleischliche Sünde war nach seiner Meinung die allergrößte; deshalb ärgerte er sich, wenn ich ihm sagte, daß gerade diese nur die allerkleinste sein könne. Seine Predigten waren gespickt mit Zitaten aus der griechischen Literatur, die er aber ins Lateinische übersetzte. Als ich mich eines Tages erkeckte, ihm zu sagen, er müßte sie ins Italienische übersetzen, weil die Frauen Latein ebensowenig verständen wie Griechisch, da wurde er so böse, daß ich niemals wieder den Mut fand, hierüber mit ihm zu sprechen. Übrigens rühmte er mich seinen Freunden als ein Wunderkind, weil ich ganz allein, ohne andere Beihilfe als die Grammatik, die griechischen Schriftsteller lesen gelernt hatte.

In der Fastenzeit des Jahres 1736 schrieb meine Mutter dem Doktor, sie müsse bald nach Petersburg abreisen und wünsche mich vorher noch einmal zu sehen; er möge daher auf drei oder vier Tage mit mir nach Venedig kommen. Diese Einladung machte ihn nachdenklich, denn er hatte niemals Venedig gesehen und auch noch nie in guter Gesellschaft verkehrt; trotzdem wollte er aber auch nicht als Neuling erscheinen. Sobald wir unsere Reisevorbereitungen getroffen hatten, begleitete die ganze Familie uns zum Burchiello.

Meine Mutter empfing ihn mit dem edelsten Anstande; da sie aber schön war wie der Tag, so war mein armer Lehrer in großer Verlegenheit; denn er wagte ihr nicht ins Gesicht zu sehen und mußte sich doch mit ihr unterhalten. Sie merkte dies und beschloß sich gelegentlich einen Spaß mit ihm zu machen. Ich selber erregte die Aufmerksamkeit aller Bekannten und Verwandten; als sie mich früher kannten, war ich beinahe blödsinnig gewesen, darum war jeder erstaunt, daß ich in der kurzen Zeit von zwei Jahren mich so sehr herausgemacht hatte. Dem Doktor war es eine Wonne zu sehen, daß man ihm das ganze Verdienst meiner Umwandlung beimaß.

Das erste, woran meine Mutter Anstoß nahm, war meine blonde Perücke, die schreiend von meinem braunen Gesicht abstach und gar nicht zu meinen Augenbrauen und zu meinen schwarzen Augen passen wollte. Der Doktor, den sie fragte, warum er mir denn nicht meine eigenen Haare frisieren lasse, antwortete ihr: dank der Perücke könne seine Schwester mich leichter sauber halten. Über diese naive Antwort erhob sich allgemeines Gelächter, das sich verdoppelte als auf die Frage, ob seine Schwester verheiratet sei, ich das Wort ergriff und an seiner Stelle erwiderte, Bettina sei das hübscheste Mädchen im ganzen Viertel und erst vierzehn Jahre alt. Als nun meine Mutter dem Doktor sagte, sie werde seiner Schwester ein schönes Geschenk machen, doch nur unter der Bedingung, daß sie mir meine Haare frisiere, da versprach er ihr, es solle nach ihrem Willen geschehen. Meine Mutter ließ einen Perückenmacher holen, der mir eine zu meiner Gesichtsfarbe passende Perücke brachte.

Da die ganze Gesellschaft mit Ausnahme des Doktors sich jetzt an die Spieltische setzte, so suchte ich meine Brüder auf, die bei meiner Großmutter im Zimmer waren. Francesco zeigte mir Architekturzeichnungen, die ich mit Gönnermiene für leidlich erklärte; Giovanni zeigte mir nichts, und ich fand ihn sehr unbedeutend. Die anderen waren noch sehr jung.

Beim Abendessen benahm der Doktor, der neben meiner Mutter saß, sich sehr linkisch. Er würde wahrscheinlich kein Sterbenswörtchen gesagt haben, hätte nicht ein anwesender, englischer Gelehrter ihn lateinisch angesprochen; da er jedoch nichts verstanden hatte, antwortete er bescheiden, er könne nicht englisch, worüber große Heiterkeit entstand. Herr Baffo half uns aus der Verlegenheit, indem er uns sagte, daß die Engländer das Lateinische läsen und aussprächen wie ihre eigene Sprache. Hierauf bemerkte ich: darin hätten die Engländer ebenso unrecht, wie wir unrecht haben würden, wenn wir ihre Sprache nach den für das Lateinische gültigen Regeln aussprechen wollten. Der Engländer fand meine Bemerkung ausgezeichnet und schrieb sofort ein bekanntes altes Distichon nieder, das er mir zu lesen gab:

Dicite, grammatici, cur mascula nornina cunnus,
Et cur femineum mentula nomen habet?

Sagt, ihr Grammatiker, mir, warum ist ein männliches Hauptwort
Cunnus? Und sagt mir, warum weiblich die Mentula ist?

Nachdem ich es laut gelesen hatte, rief ich aus: »Das ist allerdings richtiges Latein!« – »Das wissen wir,« sagte meine Mutter, »aber du mußt es uns übersetzen.« – »Es zu übersetzen genügt nicht,« antwortete ich, »es ist eine Frage, auf die ich antworten will.« Und nachdem ich einen Augenblick nachgedacht hatte, schrieb ich folgenden Pentameter:

Disce quod a domino nomina servus habet.
Wisse, es muß nach dem Herrn immer sich richten der Knecht.

Dies war meine erste literarische Leistung; und ich kann sagen, dieser Augenblick streute in meine Seele den Samen der Begier nach literarischem Ruhm; denn das Beifallsklatschen erhob mich auf den Gipfel des Glückes. Der Engländer war höchst erstaunt; er sagte, so etwas hätte noch niemals ein elfjähriger Knabe geleistet; dann umarmte er mich mehrere Male und schenkte mir seine Uhr. Meine Mutter fragte Herrn Grimani neugierig, was denn die Verse bedeuteten; da aber der Abbate nicht mehr davon verstanden hatte als sie selber, sagte Herr Baffo es ihr leise ins Ohr. Überrascht über meine Kenntnisse stand sie auf, holte eine goldene Uhr und reichte sie meinem Lehrer. Nun wußte dieser nicht, wie er sich benehmen sollte, um ihr seine große Dankbarkeit zu bezeigen, und dadurch wurde der Auftritt sehr komisch. Um ihm alle Komplimente zu ersparen, reichte meine Mutter ihm ihre Wange; er brauchte ihr nur zwei Küsse zu geben – in guter Gesellschaft das einfachste und unbedeutendste Ding von der Welt. Aber der arme Mann stand wie auf glühenden Kohlen und war so aus der Fassung gebracht, daß er, glaube ich, lieber gestorben wäre als ihr die Küsse gegeben hätte. Gesenkten Hauptes trat er zurück, und man ließ ihn in Ruhe, bis wir zu Bett gingen.

Sobald wir in unserem Zimmer allein waren, schüttete er mir sein Herz aus. Er sagte mir, es sei schade, daß er in Padua weder das Distichon noch meine Antwort bekanntmachen könnte.

»Und warum nicht.«

»Weil es eine Schmutzerei ist.«

»Aber eine erhabene.«

»Wir wollen zu Bette gehen und nicht mehr davon reden. Deine Antwort ist wunderbar, weil du weder die Sachkenntnis haben kannst, noch auch Verse machen gelernt hast.«

Die Sachkenntnis besaß ich nun freilich doch, in der Theorie nämlich; denn ich hatte heimlich Meursius gelesen, und zwar gerade, weil er mir das verboten hatte. Aber er war mit Recht darüber erstaunt, daß ich Verse machen konnte; denn er selber, der mich die Prosodie gelehrt hatte, konnte niemals einen Vers zustande bringen.

Nemo dat quod non habet – Niemand kann geben, was er selber nicht hat – ist ein Lehrsatz, der in geistigen Dingen keine Geltung hat.

Vier Tage darauf gab mir bei unserer Abreise meine Mutter ein Paket für Bettina, und Abbate Grimani schenkte mir vier Zechinen, um mir Bücher zu kaufen. Eine Woche später reiste meine Mutter nach St. Petersburg.

Als wir wieder in Padua waren, sprach mein guter Lehrer drei oder vier Monate lang tagtäglich und bei jeder Gelegenheit immerzu von meiner Mutter. Bettina, die in dem Paket fünf Ellen schwarze Glanzseide und zwölf Paar Handschuhe gefunden hatte, faßte eine große Neigung zu mir und nahm sich mit solcher Sorgfalt meiner Haare an, daß ich nach sechs Monaten meine Perücke ablegen konnte. Jeden Tag kam sie zu mir, um mich zu kämmen, und oft geschah dies, ehe ich noch aufgestanden war; sie sagte, sie habe keine Zeit solange zu warten, bis ich aufgestanden sei. Sie wusch mir Gesicht, Hals, Brust; sie erwies mir kindliche Liebkosungen, die ich für unschuldig erachtete und die mich gegen mich selber aufbrachten, weil sie mich aufregten. Da ich drei Jahre jünger war als sie, so schien mir, sie könne sich wohl gar nichts dabei denken, wenn sie mich liebkoste, und es ärgerte mich, daß ich mir etwas dabei dachte. Wenn sie auf meinem Bette sitzend mir sagte, ich nähme zu, und sich mit Händen davon überzeugte, so regte sie mich sehr heftig auf; ich ließ sie aber ruhig gewähren, weil ich befürchtete, sie könnte meine Erregung bemerken. Und wenn sie mir sagte, ich hätte eine zarte Haut, und mich dabei kitzelte, mußte ich mich zurückbeugen; dann ärgerte ich mich über mich selber, daß ich’s nicht wagte, es mit ihr ebenso zu machen, zugleich aber freute ich mich, daß sie nicht merkte, wie große Lust ich dazu hatte. Wenn ich angezogen war, gab sie mir die süßesten Küsse und nannte mich ihr liebes Kind; so große Lust ich aber auch hatte, ihr Beispiel zu befolgen, so wagte ich es doch noch nicht. Als dann jedoch später Bettina sich über meine Schüchternheit lustig machte, faßte ich Mut und gab ihr ihre Küsse noch kräftiger zurück; doch hörte ich stets auf, sobald ich die Lust verspürte weiter zu gehen. Ich drehte den Kopf zur Seite, als ob ich irgend etwas suchte, und sie entfernte sich. Sobald sie zur Tür hinaus war, war ich in Verzweiflung darüber, daß ich nicht meinem Naturtrieb gefolgt war. Ich war erstaunt, daß Bettina, ohne sich aufzuregen, alles mit mir machen konnte, wozu sie Lust hatte, während es mich die größte Mühe kostete, nicht weiter zu gehen, und ich nahm mir jedesmal vor, von nun an solle es anders werden.

Zu Anfang des Herbstes bekam der Doktor drei neue Pfleglinge; einer von diesen, der fünfzehn Jahre alt war, schien mir in weniger als einem Monat mit Bettina auf sehr gutem Fuß zu stehen. Diese Wahrnehmung erweckte in mir ein Gefühl, wovon ich bis dahin keinen Begriff gehabt hatte und dessen Wesen ich auch erst mehrere Jahre später mir klarmachte. Es war weder Eifersucht, noch Entrüstung, sondern eine edle Verachtung, die ich nicht glaubte unterdrücken zu dürfen, denn Cordiam war unwissend, ungeschliffen, geistlos, unerzogen, der Sohn eines gewöhnlichen Bauern und in keiner Weise imstande, einen Vergleich mit mir auszuhalten; denn er hatte vor mir weiter nichts voraus, als daß er schon in mannbarem Alter war; er schien mir nicht danach angetan, mir vorgezogen zu werden; mein erwachendes Selbstgefühl sagte mir, daß ich besser sei als er. Ein Gefühl von Stolz mit Verachtung gemischt erhob sich in mir gegen Bettina, die ich liebte, ohne es zu wissen. Sie merkte es an der Art und Weise, wie ich ihre Liebkosungen aufnahm, wenn sie mich in meinem Bett frisierte: ich stieß ihre Hand zurück und antwortete nicht mehr auf ihre Küsse. Eines Tages fragte sie mich, warum ich denn gegen sie so sei; es ärgerte sie, daß ich keinen Grund angeben wollte, und sie sagte mir mit einer Miene, wie wenn ich ihr leid täte: ich sei eifersüchtig auf Cordiani. Dieser Vorwurf erschien mir als eine erniedrigende Verleumdung; ich antwortete ihr: meiner Meinung nach sei Cordiani ihrer würdig, wie sie seiner. Sie ging lächelnd hinaus; aber indem sie nachdachte, wie sie sich rächen könnte, fand sie, daß dies nur geschehen könnte, indem sie mich eifersüchtig machte. Diesen Zweck konnte sie freilich nicht erreichen, ohne mich verliebt zu machen. Das fing sie folgendermaßen an:

Eines Morgens kam sie an mein Bett und brachte mir ein paar weiße Strümpfe, die sie für mich gestrickt hatte. Nachdem sie mein Haar in Ordnung gebracht hatte, sagte sie, sie müsse mir die Strümpfe selber anpassen, um zu sehen, was daran verkehrt sei, und um sich bei den anderen, die sie mir noch machen wollte, danach zu richten. Der Doktor war ausgegangen, um seine Messe zu lesen. Während sie mir die Strümpfe anzog, sagte sie, meine Beine seien unsauber, und ohne mich erst um Erlaubnis zu fragen, fing sie sofort an sie zu waschen. Ich hätte mich geschämt, ihr irgendwelche Scham zu zeigen; darum ließ ich sie gewähren, zumal da ich nicht voraussah, was noch kommen sollte. Auf meinem Bett sitzend, trieb Bettina ihren Reinlichkeitseifer zu weit, und ihre Neugier verursachte mir solche Wollust, daß diese nicht eher aufhörte, als bis sie nicht weiter gehen konnte. Nachdem ich wieder ruhig geworden war, fühlte ich mich als den schuldigen Teil und hielt mich für verpflichtet, sie um Verzeihung zu bitten. Dies hatte sie nicht erwartet; sie dachte einen Augenblick nach und sagte mir dann in gütigem Ton, sie selber habe schuld, aber es solle nicht wieder vorkommen. Hierauf ging sie und überließ mich meinen Gedanken.

Diese waren bitter! Ich bildete mir ein, ich hätte sie entehrt, hätte das Vertrauen ihrer Familie getäuscht, die heiligen Gesetze der Gastfreundschaft verletzt, mit einem Wort: ich hätte ein furchtbares Verbrechen begangen, das ich nur dadurch wieder gutmachen könnte, daß ich sie heiratete – das heißt, wenn Bettina sich überhaupt entschließen könnte, einen ihrer unwürdigen schamlosen Menschen zum Gatten zu nehmen.

Diesen Betrachtungen folgte eine düstre Traurigkeit; die von zu Tag schlimmer wurde, da Bettina überhaupt nicht mehr zu mir ans Bett kam. Während der ersten acht Tage erschien die Zurückhaltung des Mädchens mir vernünftig, und meine Traurigkeit hätte bald den Charakter einer idealen Liebe angenommen, wenn nicht ihr Verhalten Cordiani gegenüber in meine Seele das Gift der Eifersucht geträufelt hätte, obgleich ich nicht im entferntesten daran dachte, sie könne etwa mit ihm dieselbe Sünde begangen haben wie mit mir.

Aus gewissen Gründen nahm ich an, Bettina hätte damals wohl gewußt, was sie tat, und käme nur deshalb nicht wieder, weil sie es jetzt bereute. Dies schmeichelte meiner Eitelkeit; denn nun nahm ich an, sie sei in mich verliebt. In diesen falschen Ideen befangen, entschloß ich mich, sie brieflich zu ermutigen.

Ich entwarf ein Briefchen; es war nur kurz, genügte aber, um sie zu beruhigen, falls sie sich schuldig fühlte oder falls sie mir etwa andere Gefühle zutraute, als ihr Selbstbewußtsein sie verlangen mußte. Mein Brief schien mir ein Meisterwerk zu sein und mehr als hinreichend, um zu bewirken, daß sie mich anbetete und mir den Vorzug vor Cordiani gäbe, der nach meiner Meinung kaum der Mensch war, sie nur einen Augenblick in der Wahl zwischen ihm und mir schwanken zu lassen. Eine halbe Stunde nach Empfang des Briefes antwortete sie mir mündlich, sie würde am nächsten Morgen wieder wie früher in mein Zimmer kommen. Aber ich erwartete sie vergeblich. Ich war empört darüber; wie groß aber war nicht mein Erstaunen, als sie bei Tisch mich fragte, ob ich mich nicht von ihr als Mädchen verkleiden lassen wollte, um den Ball zu besuchen, den einer unserer Nachbarn, der Arzt Olivo, fünf oder sechs Tage später zu geben gedachte. Da alle Anwesenden diesen Vorschlag vortrefflich fanden, so willigte ich ein. Ich erblickte hierin eine günstige Gelegenheit, eine Aussprache zu haben, uns gegenseitig zu rechtfertigen und wieder vertraute Freunde zu werden, ohne daß wir eine Uberraschung infolge fleischlicher Schwachheit befürchten müßten. Aber nun kam etwas dazwischen, und es entwickelte sich eine richtige Tragikomödie.

Ein alter, wohlhabender Pate des Doktor, der auf dem Lande wohnte, glaubte nämlich nach langer Krankheit dem Ende nahe zu sein und schickte ihm einen Wagen mit der Bitte, er und sein Vater möchten unverzüglich zu ihm kommen, damit sie bei seinem Tode zugegen wären und seine Seele Gott empföhlen. Der alte Schuster leerte zunächst eine Flasche, zog dann seinen Sonntagsrock an und machte sich mit seinem Sohne auf den Weg.

Diese Gelegenheit schien mir günstig, und ich gedachte, sie auszunützen, zumal da es für meine Ungeduld bis zum Ballabend noch viel zu lange hin war. Es gelang mir Bettina zu sagen, ich würde die Tür meines Zimmers nach dem Korridor zu offen lassen und ich erwartete sie, sobald alle anderen zu Bett wären. Sie antwortete, sie werde bestimmt kommen. Sie schlief im Erdgeschoß in einer Kammer, die nur durch eine einfache Scheidewand von der Schlafkammer ihres Vaters getrennt war. Der Doktor war verreist; ich schlief also allein im großen Zimmer. Die drei Pensionäre hatten einen Saal, der für sich lag; ich hatte also kein Hindernis zu befürchten und ich war entzückt, daß endlich der ersehnte Augenblick da war.

Kaum war ich in meinem Zimmer, so schob ich den Riegel vor und öffnete die nach dem Korridor führende Tür, so daß Bettina sie nur aufzustoßen brauchte, um eintreten zu können. Dann löschte ich mein Licht, zog mich aber nicht aus.

Wenn man in einem Roman derartige Situationen beschrieben findet, scheinen sie einem übertrieben. Aber das ist nicht der Fall, und Ariostos Beschreibung von Ruggiero, wie er auf Alcina wartet, ist ein schönes Bildnis nach der Natur.

Ich wartete bis Mitternacht, ohne mich zu beunruhigen. Als ich aber die zweite, die dritte, die vierte Morgenstunde verstreichen sah, ohne daß Bettina erschien, da erhitzte sich mein Blut, und ich wurde wütend. Der Schnee fiel in dicken Flocken, aber ich litt noch mehr von meinem Zorn als von der Kälte. Eine Stunde vor Tagesanbruch konnte ich meine Ungeduld nicht mehr bemeistern; ich entschloß mich, ohne Schuhe hinunterzugehen, um den Hund nicht aufzuwecken, und mich unten auf die Treppe zu setzen, die nur vier Schritt von Bettinas Tür entfernt war. Wäre Bettina nicht in ihrer Kammer gewesen, so hätte diese Tür offen sein müssen. Ich ging auf die Tür zu und fand sie geschlossen; und da sie nur von innen verschließbar war, so dachte ich mir, Bettina müsse eingeschlafen sein. Ich wollte anklopfen, tat es aber nicht, weil ich fürchtete, der Hund könnte aufwachen. Von dieser Tür bis zu Bettinas Kammertür waren noch zehn bis zwölf Schritt. Von Kummer erdrückt und nicht wissend, wozu ich mich entschließen sollte, setzte ich mich auf die unterste Treppenstufe; kurz vor Tagesanbruch aber war ich so niedergeschlagen, so erstarrt und vor Kälte schlotternd, daß ich mich entschloß, wieder in mein Zimmer zu gehen; ich fürchtete auch, die Magd könnte mich auf der Treppe finden und denken, ich wäre verrückt geworden. Ich stand auf; im selben Augenblick hörte ich ein Geräusch in Bettinas Zimmer. Nun war ich sicher, daß sie kommen würde, die Hoffnung gab mir neue Kräfte, ich eilte auf die Tür zu, sie öffnete sich. Aber statt daß Bettina herauskommt, sehe ich Cordiani, der mir einen so furchtbaren Fußtritt vor den Bauch gibt, daß ich weit zur Tür hinausfliege und draußen im Schnee liege. Ohne sich bei mir aufzuhalten, läuft Cordiam weg und schließt sich in den Saal ein, den er gemeinsam mit seinen Kameraden, den beiden Feltrini, bewohnt.

Schnell springe ich auf, um mich sofort an Bettina zu rächen, die in diesem Augenblick nichts vor meiner Wut hätte retten können. Ich finde ihre Tür verschlossen und versuche sie mit einem kräftigen Fußtritt zu sprengen. Der Hund fängt an zu bellen, und ich laufe schnell die Treppe hinauf in mein Zimmer, wo ich mich einschließe und zu Bett gehe, um Leib und Secle wieder warm zu bekommen; denn ich war mehr als tot.

Betrogen, erniedrigt, mißhandelt, ein Gegenstand der Verachtung für einen glücklichen, triumphierenden Cordiani, so verbrachte ich drei Stunden damit, den schwärzesten Racheplänen nachzuhängen. Sie alle beide zu vergiften, schien mir in diesem furchtbaren und unglücklichen Augenblick sehr milde zu sein. Diesen Plan ließ ich fallen und ging zu einem anderen über, der ebenso unbesonnen wie niederträchtig war: ich wollte sofort mich aufmachen, um ihrem Bruder alles zu hinterbringen. Ich war erst zwölf Jahre alt, mein Geist hatte noch nicht gelernt, kalten Blutes heroische Rachepläne zu überlegen, die ihren Ursprung nur in falschem Ehrgefühl hatten. Ich war noch ein Neuling in Dingen dieser Art.

In solcher Stimmung befand ich mich, als ich plötzlich vor meiner Tür die heisere Stimme von Bettinas Mutter hörte; sie bat mich schnell herunterzukommen, ihre Tochter liege im Sterben. Es hätte mich geärgert, wäre sie gestorben, ehe ich mich an ihr gerächt; schnell sprang ich aus dem Bett und ging hinunter. Ich sah sie auf dem Bett ihres Vaters in fürchterlichen Krämpfen liegen; alle Hausgenossen standen um sie herum. Ihr halbnackter Leib bog sich; sie drehte sich nach links und rechts, schlug wild mit Händen und Füßen um sich, und vereitelte durch ihre heftigen Stöße alle Bemühungen sie festzuhalten.

Noch ganz voll von den Ereignissen der Nacht, wußte ich bei diesem Anblick nicht, was ich dazu sagen sollte. Ich kannte weder die Natur noch die Listen der Menschen, und ich war erstaunt, mich hier als kühlen Zuschauer zu sehen und beim Anblick von zwei Menschen, von denen ich den einen zu töten, dem anderen die Ehre zu nehmen gedachte, meine Selbstbeherrschung bewahren zu können. Nach einer Stunde schlief Bettina ein. In diesem Augenblick kamen gleichzeitig eine Hebamme und der Arzt Olivo an. Die Frau sagte, Bettinas Krämpfe würden durch ein hysterisches Leiden verursacht, der Doktor behauptete das Gegenteil und verordnete Ruhe und kalte Bäder. Ich sagte dazu kein Wort, aber ich lachte im stillen über beide, denn ich wußte oder glaubte zu wissen, daß des Mädchens Krankheit nur von ihren nächtlichen Arbeiten herrührte oder auch vielleicht von ihrer Angst wegen meines Zusammentreffens mit Cordiani. Wie dem auch sein mochte, ich entschloß mich, meine Rache bis zur Ankunft ihres Bruders zu verschieben, obwohl ich die Krankheit Bettinas keineswegs für erheuchelt hielt; denn es schien mir unmöglich zu sein, daß sie soviel Kraft hätte.

Um in mein Zimmer zu gelangen, mußte ich durch Bettinas Zimmer gehen; auf ihrem Bett lag ihre Tasche und bei diesem Anblick bekam ich Lust, sie zu untersuchen. Ich fand darin ein Briefchen, und da ich Cordianis Schrift erkannte, nahm ich es mit, um es auf meinem Zimmer in aller Ruhe zu lesen. Erstaunt war ich über die Unvorsichtigkeit des Mädchens, denn ihre Mutter konnte den Brief finden, und da sie nicht lesen konnte, würde sie ihn ihrem Sohn, dem Doktor, gegeben haben. Ich dachte, sie müsse den Kopf verloren haben, aber man stelle sich meine Empfindungen vor als ich folgende Worte las:

»Da Ihr Vater verreist ist, brauchen Sie nicht wie sonst Ihre Tür offen zu lassen. Sofort nach Tisch werde ich mich in Ihre Kammer begeben; dort werden Sie mich finden.«

Zuerst war ich ganz starr vor Staunen; dann dachte ich über die Sache nach und mußte lachen, als ich sah, wie gründlich ich angeführt worden war; ich glaubte mich von meiner Liebe geheilt. Cordiani schien mir entschuldbar, Bettina verächtlich. Ich wünschte mir Glück, eine ausgezeichnete Lehre für mein ganzes Leben erhalten zu haben. Ich ging sogar so weit, zu finden, daß Bettina recht gehabt, mir, der ich noch ein Kind war, den fünfzehnjährigen Cordiani vorzuziehen. Obwohl ich aber geneigt war zu vergeben und zu vergessen, lag mir doch Cordianis Fußtritt schwer auf der Seele; den vergab ich ihm nicht.

Als wir Mittags in der Küche, wo wir der Kälte wegen aßen, bei Tisch saßen, ertönte plötzlich von neuem Bettinas Geschrei. Alle liefen zu ihr; nur ich blieb ruhig sitzen und aß zu Ende; hierauf ging ich wieder an meine Arbeit.

Als ich abends zum Essen herunterkam, sah ich in der Küche Bettinas Bett neben dem ihrer Mutter; aber ich kümmerte mich nicht darum, ebensowenig wie um den Lärm, der die ganze Nacht anhielt, und um die allgemeine Aufregung, als sie am nächsten Morgen wieder Krämpfe bekam.

Am Abend kamen der Doktor und sein Vater zurück. Cordiani, meine Rache fürchtend, kam zu mir und fragte mich, was ich zu tun gedächte. Als er mich aber, das offene Messer in der Hand, auf sich zukommen sah, lief er eilends davon. Daran, dem Doktor die ärgerliche Geschichte zu erzählen, hatte ich gar nicht wieder gedacht; ein Plan dieser Art konnte in meinem Geist nur in einer augenblicklichen zornigen Aufwallung auftauchen.

Am anderen Morgen unterbrach die Mutter uns während der Lehrstunde, um nach vielen Umschweifen dem Doktor zu sagen, sie glaube herausgebracht zu haben, was es mit der Krankheit ihrer Tochter auf sich habe. Diese sei von einer Hexe bezaubert, und sie kenne diese Hexe.

»Das kann ja sein, liebe Mutter, aber man darf sich in solchen Sachen nicht täuschen. Wer ist die Hexe?«

»Unsere alte Magd; ich habe mich eben davon überzeugt.«

»Wieso denn?«

»Ich habe meine Zimmertür mit zwei kreuzweis gelegten Besen versperrt; wer hinein wollte, mußte das Kreuz zerstören. Als aber die Magd sie sah, ist sie umgekehrt und durch die andere Tür hineingegangen. Es ist doch klar: wenn sie keine Hexe wäre, hätte sie das Besenkreuz fortgeräumt.«

»Das ist gar nicht so klar, liebe Mutter. Laßt doch mal die Frau hereinkommen.«

»Warum«, fragte der Abbate die Magd, sobald sie erschien, »bist du heute morgen nicht durch die gewöhnliche Tür ins Zimmer gekommen?«

»Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen.«

»Hast du nicht vor der Tür das Andreaskreuz gesehen?«

»Was ist das für’n Kreuz?«

»Es nützt dir nichts, daß du die Dumme spielst!« rief die Mutter.

»Wo hast du vorigen Donnerstag geschlafen?«

»Bei meiner Nichte. Sie hat ein Kind gekriegt.«

»Das ist nicht wahr. Zum Sabbat bist du gewesen, denn du bist ’ne Hexe, und du hast meine Tochter behext!«

Entrüstet spuckt das arme Weib ihr ins Gesicht; die Mutter ergreift in ihrer Wut einen Stock, um sie durchzuprügeln; der Abbate will seine Mutter zurückhalten, aber er muß der Magd nacheilen, die schon die Treppe hinunterläuft und schreit und flucht, um die Nachbarschaft zu alarmieren. Er holt sie ein, und es gelingt ihm endlich, sie zu beschwichtigen, indem er ihr ein bißchen Geld gibt.

Nach diesem ebenso komischen wie ärgerlichen Auftritt legte der Abbate seinen priesterlichen Ornat an, um seine Schwester zu beschwören und festzustellen, ob sie wirklich den Teufel im Leibe hätte.

Die Neuheit all dieser Mysterien erregte meine ganze Aufmerksamkeit; die ganze Gesellschaft schien mir verrückt oder blödsinnig dumm zu sein; denn ich mußte lachen, wenn ich mir bloß vorstellte, daß in Bettinas Leib Teufel sein sollten. Als wir an ihr Bett traten, schien sie keine Luft kriegen zu können, und von den Beschwörungen ihres Bruders wurde es mit ihrer Atemnot nicht besser. Darüber kam der Doktor Olivo zu; er fragte den Doktor, ob er dabei sein dürfte. Dieser antwortete: ja; wenn er den Glauben hätte. Olivo antwortete, sein Glaube beschränke sich auf die Wunder des Evangeliums, und entfernte sich.

Als kurz darauf der Doktor wieder auf sein Zimmer gegangen war und ich mich mit Bettina allein befand, flüsterte ich ihr ins Ohr: »Fassen Sie Mut; werden Sie gesund und verlassen Sie sich auf meine Verschwiegenheit.« Sie drehte den Kopf nach der anderen Seite, ohne mir zu antworten; aber der ganze Tag verging ohne Krämpfe. Ich glaubte sie geheilt zu haben; den nächsten Tag jedoch stieg das Fieber ihr ins Gehirn, und sie sprach in ihrem Delirium griechische und lateinische Worte ohne Zusammenhang. Nun zweifelte man nicht mehr, daß sie wirklich vom Teufel besessen sei. Die Mutter ging aus und kam nach einer Stunde mit dem berühmtesten Teufelsaustreiber von Padua zurück. Dies war ein sehr häßlicher Kapuziner, genannt Bruder Prospero da Bovolenta.

Sobald Bettina den Teufelsbeschwörer erblickte, sagte sie ihm laut lachend die fürchterlichsten Beleidigungen; darüber freuten sich alle Anwesenden, denn nur der Teufel konnte so frech sein, einen Kapuziner dermaßen zu behandeln. Dieser aber, als er sich Dummkopf, Eindringling, Stinkbock schimpfen hörte, schlug mit einem großen Kruzifix auf Bettina los; er sagte aber, er schlage den Teufel. Er hörte erst auf, als er sah, daß sie den Nachttopf ergriffen hatte und ihm diesen an den Kopf werfen wollte.

»Wenn der, der dich mit Worten verletzt hat,« so rief sie, »der Teufel ist, so schlage ihn mit deinen Worten, du Esel! Aber wenn ich es bin, so merke dir, du Flegel, daß du mich zu respektieren hast. Mach, daß du fort kommst.«

Ich fah den Doktor Gozzi rot werden. Der Kapuziner aber blieb unentwegt, in seiner Glaubensrüstung vom Kopf zum Fuß gepanzert; er las einen furchtbaren Bannfluch herunter und forderte zum Schluß den bösen Geist auf, ihm seinen Namen zu sagen.

»Ich heiße Bettina.«

»Nein! Denn das ist der Name eines getauften Mädchens!«

»Du glaubst also, ein Teufel müsse einen männlichen Namen haben? Erfahre, du unwissender Kapuziner, ein Teufel ist ein Engel, der kein Geschlecht haben kann. Da du aber glaubst, daß der, der aus meinem Munde zu dir spricht, ein Teufel fei, so versprich mir die Wahrheit zu antworten, und ich verspreche dir, mich deinen Beschwörungen zu fügen.«

»Ja, ich verspreche es dir.«

»Sage mir also: Glaubst du gelehrter zu sein als ich?«

»Nein, aber ich halte mich für stärker namens der allerheiligsten Dreieinigkeit und kraft meiner geheiligten Priesterwürde.«

»Wenn du stärker bist, so verhindere mich doch, dir die Wahrheit über dich zu sagen: du bist eitel auf deinen Bart; du kämmst ihn täglich zehnmal, und es würde dir nicht einfallen, die Hälfte davon abzuschneiden, wenn du mich dadurch aus diesem Leibe austreiben könntest. Schneide ihn ab, und ich schwöre dir, ich werde ausfahren.«

»Vater der Lüge, ich werde deine Strafen verdoppeln!«

»Tu’s nur!«

Bei diesen Worten brach Bettina in ein solches Gelächter aus, daß ich unwillkürlich ebenfalls lachen mußte. Darauf wandte der Kapuziner sich zum Doktor und sagte ihm, ich hätte keinen Glauben und müsse hinausgehen. Dies tat ich, indem ich ihm sagte, er habe richtig geraten. Ich war noch nicht draußen, als der Mönch, der Bettinen seine Hand zum Kusse reichte, das Vergnügen hatte, sie darauf spucken zu sehen.

Unbegreifliches, talentvolles Mädchen! Sie führte den Kapuziner ab, und kein Mensch wunderte sich darüber, denn alle ihre Antworten wurden dem Teufel zugeschrieben. Ich begriff nicht, was sie damit beabsichtigen konnte.

Der Kapuziner speiste mit uns und brachte während des Essens eine Masse Dummheiten vor. Nach der Mahlzeit ging er wieder in Bettinas Kammer, um ihr seinen Segen zu geben; aber sobald sie ihn erblickte, nahm sie ein großes Glas mit einem schwarzen Mischmasch, den der Apotheker ihr geschickt hatte, und warf es ihm an den Kopf. Cordiani, der dicht neben ihm stand, bekam ein gutes Teil davon ab, was nur ungeheuer viel Vergnügen machte. Bettina hatte recht, daß sie sich die Gelegenheit zu nutze machte, denn alles wurde dem armen Teufel auf Rechnung geschrieben. Jedenfalls wenig befriedigt, sagte Vater Prospero beim Abschied zum Doktor, das Mädchen sei ohne Zweifel besessen, aber er müsse einen anderen Teufelsbanner suchen, denn ihm habe Gott nicht die Gnade erweisen wollen, sie von dem bösen Geist zu befreien.

Als er fort war, verbrachte Bettina sechs Stunden vollkommen ruhig und überraschte uns alle, als sie am Abend kam und sich mit uns zu Tisch setzte; sie versicherte ihren Eltern, sie befinde sich wohl, und sprach mit ihrem Bruder. Hierauf wandte sie sich an mich und sagte, der Ball solle morgen stattfinden, und sie werde in der Frühe zu mir kommen und mich als Mädchen frisieren. Ich dankte ihr und erwiderte, sie sei sehr krank gewesen und müsse sich schonen. Bald ging sie zu Bett; wir aber blieben noch bei Tische sitzen und sprachen von nichts anderem, als von ihr.

Als ich wieder auf meinem Zimmer war und mich zu Bett legen wollte, fand ich in meiner Nachtmütze einen Zettel mit folgenden Worten:

»Entweder kommen Sie als Mädchen verkleidet mit mir auf den Ball oder Sie sollen etwas sehen, worüber Sie weinen werden.«

Ich wartete, bis der Doktor eingeschlafen war, und schrieb dann meine Antwort an sie nieder:

»Ich werde nicht auf den Ball gehen, denn ich bin fest entschlossen, jede Gelegenheit zu vermeiden, wobei ich mit Ihnen allein sein könnte. Sie drohen mir, ich solle etwas Furchtbares sehen; ich traue Ihnen wohl zu, daß Sie Ihr Wort halten werden; aber ich bitte Sie: schonen Sie meines Herzens, denn ich liebe Sie, wie wenn Sie meine Schwester wären. Ich habe Ihnen verziehen, liebe Bettina, und ich will alles vergessen. Anbei ein Brief, den Sie gewiß mit Freuden wieder in Ihren Händen sehen werden. Sie sehen, welcher Gefahr Sie sich ausgesetzt haben, indem Sie ihn in Ihrer Tasche auf dem Bett liegen ließen. Daß ich ihn Ihnen zurückgebe, muß Sie von meiner Freundschaft überzeugen.«

Drittes Kapitel


Bettina wird für wahnsinnig gehalten. – Vater Mancia – Die Pocken – Meine Abreise von Padua

Bettina mußte in Verzweiflung sein, da sie nicht wußte, in welche Hände ihr Brief gefallen sein konnte; indem ich sie aus ihrer Unruhe erlöste, gab ich ihr also einen sehr hohen Freundschaftsbeweis.

Aber mein Edelmut, der sie von einer bitteren Sorge befreite, mußte ihr eine neue, ebenso bittere bereiten: sie wußte jetzt, daß ich Herr über ihr Geheimnis war. Cordianis Brief war ganz unzweideutig; er lieferte den Augenschein, daß sie ihn allnächtlich empfing, und damit wurde das Märchen hinfällig, das sie vielleicht sich zurechtgelegt hatte, um mich auf eine falsche Spur zu lenken. Ich fühlte dies, und da ich sie gerne nach Möglichkeit beruhigen wollte, ging ich am Morgen an ihr Bett und übergab ihr den Brief und meine Antwort.

Die Klugheit des Mädchens hatte ihr meine Achtung gewonnen, ich konnte sie nicht mehr verachten. Ich sah in ihr nur noch ein Geschöpf, das durch sein Temperament verführt worden war. Sie war mannstoll, und man konnte sie darum nur beklagen, soweit die Folgen in Betracht kamen. Da ich die ganze Sache jetzt im richtigen Licht zu sehen glaubte, hatte ich mich als vernünftiger Junge und nicht als gekränkter Liebhaber damit abgefunden. Sie hatte zu erröten, nicht ich. Ich hatte nur noch einen Wunsch, nämlich den, herauszubringen, ob die beiden Feltrini, Cordianis Freunde, ebenfalls Anteil an ihren Huldbeweisen gehabt hätten.

Bettina trug den ganzen Tag eine sehr lustige Stimmung zur Schau. Am Abend kleidete sie sich an, um auf den Ball zu gehen; plötzlich aber nötigte ein wirkliches oder erheucheltes Unwohlsein sie, sich zu Bett zu legen; das ganze Haus geriet darob in Aufregung. Ich, der ich von allem Bescheid wußte, machte mich auf neue und noch traurigere Auftritte gefaßt; denn ich hatte ein Übergewicht über sie gewonnen, das ihrer Eitelkeit unerträglich war. Ich muß jedoch hier bekennen, daß ich trotz dieser ausgezeichneten Schule, die ich schon vor meinen Jünglingsjahren durchmachte und die mir zur Agide für die Zukunft hätte dienen sollen, mein ganzes Leben lang von den Frauen genasführt worden bin. Vor zwölf Jahren würde ich in Wien, hätte mich nicht mein Schutzengel davor bewahrt, ein junges Brauseköpfchen geheiratet haben, in das ich mich verliebt hatte. Jetzt, da ich zweiundsiebzig Jahre alt bin, glaube ich mich vor derartigen Tollheiten sicher; aber leider ist gerade das mein Kummer.

Am andern Morgen war die ganze Familie untröstlich; denn der Teufel, von dem Bettina besessen war, hatte sich ihrer Vernunft bemächtigt. Der Doktor sagte mir, sie müsse doch wohl besessen sein, denn allem Anschein nach hätte sie als Wahnsinnige den Vater Prospero nicht so schlecht behandeln können. Er entschloß sich, sie dem Vater Mancia anzuvertrauen.

Dies war ein als Teufelsbeschwörer berühmter Jacobiner (also vom Dominikanerorden), der im Rufe stand, daß seine Kraft noch niemals bei einem behexten Mädchen versagt hätte.

Es war Sonntag. Bettina hatte gut gegessen und war den ganzen Tag verrückt gewesen. Gegen Mitternacht kam ihr Vater nach Hause, nach seiner Gewohnheit den Tasso singend und so betrunken, daß er nicht mehr grade stehen konnte. Er trat an Bettinas Bett, umarmte sie zärtlich und sagte: »Du bist nicht verrückt, mein Kind.«

Sie antwortete ihm: »Du bist nicht betrunken.«

»Du bist besessen, mein liebes Kind.«

»Ja, Vater; und Ihr seid der einzige, der mich heilen kann.«

»Gut; ich bin dazu bereit.«

Hierauf beginnt unser Schuster wie ein Theologe zu sprechen, er redet über die Kraft des Glaubens und des Vatersegens. Er wirft seinen Mantel ab, nimmt ein Kruzifix in die eine Hand, legt die andere seiner Tochter auf den Kopf und beginnt so komisch mit dem Teufel zu reden, daß sogar seine dumme, sonst immer traurige und zänkische Frau vor Lachen sich den Bauch halten muß. Die einzigen, die nicht lachten, waren die beiden Handelnden, und grade ihr Ernst machte die Szene noch spaßhafter. Ich bewunderte Bettina, die sonst überaus lachlustig war und doch jetzt die Selbstüberwindung besaß, ganz ruhig zu bleiben. Doktor Gozzi lachte auch, wünschte aber doch, daß die Posse ein Ende nehme, denn ihm schien, der Unsinn, den sein Vater redete, wäre zugleich eine Verhöhnung der heiligen Teufelsbeschwörung. Der Teufelsbanner wurde wohl schließlich müde; er ging zu Bett, indem er sagte, er sei gewiß, daß der Teufel seine Tochter die ganze Nacht in Ruhe lassen würde.

Am andern Tage kam in dem Augenblick, wo wir vom Tisch aufstanden, Pater Mancia. Der Doktor und die ganze Familie führten ihn ans Bett der Kranken. Ich hatte so viel zu tun, den Mönch anzuschauen, daß ich gewissermaßen ganz außer mir war. Hier sein Porträt:

Von Wuchs war er groß und majestätisch, sein Alter mochte etwa dreißig Jahre sein, er hatte blonde Haare und blaue Augen. Seine Gesichtszüge glichen denen des Apollo von Belvedere, nur fehlten die Merkzeichen des Siegesbewußtseins und der Anmaßung. Seine Haut war blendend weiß, und er war daher sehr blaß; aber diese Blässe schien nur dazu da zu sein, um das Korallenrot seiner Lippen zu heben, die, wenn sie sich öffneten, zwei Perlenreihen sehen ließen. Er war weder mager noch fett, und die Traurigkeit seiner Miene erhöhte noch deren Sanftheit. Er ging langsam, sein Gesichtsausdruck war schüchtern, was darauf schließen ließ, daß er bescheidenen Geistes sei.

Als wir eintraten, schlief Bettina oder tat wenigstens so. Vater Mancia nahm zunächst einen Weihwedel und besprengte sie mit Wasser. Sie öffnete die Augen, sah den Mönch an und schloß sie sofort wieder; bald aber schlug sie sie wieder auf, sah ihn etwas genauer an, legte sich auf den Rücken, ließ ihre Arme herabsinken, neigte lieblich das Köpfchen zur Seite und überließ sich einem Schlummer, der allem Anschein nach überaus süß war.

Der Teufelsbeschwörer zog aus der Tasche Ritual und Stola, die er sich um den Hals hing; hierauf legte er der Schlafenden eine Reliquie auf die Brust und bat uns mit der Miene eines Heiligen, wir möchten alle niederknien, um Gott zu bitten, daß er ihm offenbare, ob die Kranke besessen oder von einer natürlichen Krankheit befallen sei. In dieser Stellung ließ er uns eine halbe Stunde verharren, wobei er ununterbrochen mit leiser Stimme las. Bettina rührte sich nicht.

Schließlich wurde er, glaube ich, müde, diese Rolle zu spielen; er bat den Doktor, ihn unter vier Augen anzuhören. Sie traten in die Kammer, aus der sie eine Viertelstunde später wieder zum Vorschein kamen, als die Tolle ein lautes Gelächter ausstieß. Sobald sie sie eintreten sah, drehte sie ihnen den Rücken zu. Vater Mancia lächelte, tauchte den Wedel zu wiederholten Malen in den Weihwasserkessel, besprengte uns alle reichlich mit dem heiligen Naß und ging.

Der Doktor sagte uns, er werde am nächsten Tage wiederkommen und habe sich anheischig gemacht, sie in drei Stunden zu erlösen, wenn sie besessen sei; wenn sie aber wahnsinnig sei, so könne er nichts versprechen. Die Mutter rief, sie sei gewiß, daß er Bettina erlösen werde, und sie danke Gott für die Gnade, vor ihrem Tode einen Heiligen gesehen zu haben.

Am nächsten Tage war Bettinas Verrücktheit wirklich prachtvoll. Sie hielt die verrücktesten Reden, wie kein Dichter sie je ersinnen könnte, und hörte damit auch nicht auf, als der schöne Teufelsbanner hereinkam; er gönnte sich den Genuß eine Viertelstunde lang, dann legte er seinen vollen Ornat an und bat uns hinauszugehen. Wir gehorchten augenblicklich, und die Tür blieb offen. Aber was sollte das besagen? Wer hätte die Kühnheit besessen, hineinzugehend?

Drei volle Stunden lang hörten wir keinen Ton. Totenstille! Um zwölf Ubr rief der Mönch, und wir traten ein. Bettina lag traurig und ganz ruhig da, während der Mönch seine Sachen zusammenpackte. Als er ging, sagte er, er habe Hoffnung, und bat den Doktor, ihm Nachricht zukommen zu lassen. Bettina speiste zu Mittag in ihrem Bett, aß abends mit uns am Tisch und war am nächsten Tage ganz vernünftig. Da geschah aber etwas, was mich in meinem Glauben bestärkte, daß sie weder wahnsinnig noch besessen sei.

Es war am Tage vor Mariä Reinigung (Lichtmeß). Der Doktor ließ uns gewöhnlich in der Pfarrkirche das Abendmahl nehmen; zur Beichte aber führte er uns in die Augustinerkirche, wo der Gottesdienst von den Jacobinern von Padua abgehalten wird. Bei Tisch sagte er uns, wir sollten uns darauf einrichten, am anderen Tage hinzugehen. Da sagte seine Mutter: »Ihr solltet alle beim Vater Mancia zur Beichte gehen, damit ihr von diesem heiligen Mann eurer Sünden ledig gesprochen werdet; ich gedenke auch zu ihm zu gehen.« – Cordiani und die beiden Feltrini erklärten sich bereit; mir aber mißfiel der Vorschlag. Ich sagte zwar nichts, aber ich war fest entschlossen, die Ausführung desselben zu verhindern.

Ich glaubte an das Beichtsiegel und war nicht imstande, ein falsches Bekenntnis abzulegen; da ich aber wußte, daß es mir freistand, mir meinen Beichtiger zu wählen, so wäre ich sicherlich niemals so naiv gewesen, dem Pater Mancia zu sagen, was zwischen mir und einem Mädchen vorgefallen wäre; denn er hätte mühelos erraten müssen, daß dieses Mädchen nur Bettina sein konnte. Übrigens war ich sicher, daß Cordiani ihm alles sagen würde, und dies ärgerte mich gewaltig.

Am anderen Morgen in aller Frühe brachte Bettina mir einen Halskragen und übergab mir einen Brief, worin es hieß:

»Hassen Sie mein Leben, aber schonen Sie meine Ehre und gönnen Sie mir das bißchen Frieden, wonach ich mich sehne. Niemand von Euch darf morgen beim Vater Mancia beichten. Sie sind der einzige, der die bestehende Absicht zum Scheitern bringen kann, und ich brauche Ihnen das Mittel dazu nicht erst anzudeuten. Ich werde sehen, ob es wahr ist, daß Sie Freundschaft für mich hegen!«

Das arme Mädchen tat mir unbeschreiblich leid, als ich dieses Briefchen las. Trotzdem antwortete ich ihr folgendes:

»Ich begreife, daß trotz der Unverletzbarkeit des Beichtsiegels das Vorhaben Ihrer Mutter Sie beunruhigen muß; aber ich begreife nicht, warum Sie, um dies Vorhaben zu vereiteln, sich an mich wenden und nicht lieber an Cordiani, der es laut und offen gebilligt hat. Ich kann Ihnen weiter nichts versprechen, als daß ich nicht mitmachen werde; aber auf Ihren Liebhaber habe ich keinen Einfluß; mit dem müssen Sie selber sprechen.«

Hierauf übergab sie mir folgende Erwiderung:

»Ich habe seit der verhängnisvollen Nacht, die mich unglücklich gemacht hat, mit Cordiani kein Wort mehr gesprochen. Ich werde auch niemals mehr mit ihm sprechen, selbst wenn ich um diesen Preis das verlorene Glück wiederfände. Nur Ihnen allein will ich Leben und Ehre zu verdanken haben.«

Das Mädchen schien mir erstaunlicher als alle Heldinnen, die in den von mir gelesenen Romanen mir als Wunder hingestellt worden waren! Mir kam es vor, als würde ich von ihr mit einer Frechheit sondergleichen gefoppt. Ich glaubte, sie wollte mich von neuem in ihre Ketten schmieden, und obgleich ich mir daraus nichts machte, beschloß ich doch, die edle Handlung zu vollbringen, die sie von mir erwartete und deren sie nur mich allein für fähig hielt. Sie fühlte sich ihres Erfolges sicher. Aber in welcher Schule hatte sie das Menschenherz kennengelernt? Durch Romanlesen! Es gibt vielleicht etliche, deren Lesen viele junge Leute zugrunde richtet; aber ganz gewiß lernen sie durch das Lesen guter Romane angenehme Manieren und gesellige Tugenden.

Ich entschloß mich also, dem Mädchen die Gefälligkeit zu erweisen, die sie von mir erwartete, und benutzte beim Schlafengehen einen günstigen Augenblick, um dem Doktor zu sagen, mein Gewissen nötige mich zu der Bitte, von mir nicht zu verlangen, daß ich dem Vater Mancia beichte; ich möchte aber in dieser Beziehung nicht anders handeln als meine Kameraden. Der Doktor antwortete mir freundlich, er begreife meine Gründe und werde uns in die Kirche des heiligen Antonius führen; zum Zeichen der Dankbarkeit küßte ich ihm die Hand.

Da also am nächsten Tage alles nach Bettinas Wünschen ging, sah ich sie mit dem Ausdruck der Zufriedenheit auf ihren Zügen sich zu Tisch setzen.

Am Nachmittag mußte ich mich wegen einer Verletzung am Fuß zu Bett legen; der Doktor hatte seine Zöglinge in die Kirche begleitet; so war also Bettina allein. Sie benutzte den Augenblick, suchte mich in meinem Zimmer auf und setzte sich auf mein Bett. Ich hatte erwartet, daß sie kommen würde, und da ich nun sah, daß der Augenblick einer mir nicht unerwünschten großen Aussprache endlich da war, so empfing ich ihren Besuch mit Vergnügen.

Zuvörderst sagte sie mir, ich wäre hoffentlich nicht böse, daß sie die Gelegenheit ergriffe, mit mir zu sprechen.

»Nein,« antwortete ich, »denn Sie verschaffen mir dadurch die Gelegenheit, Ihnen zu sagen, daß die Gefühle, die ich für Sie hege, rein freundschaftliche sind; Sie können also sicher sein, daß Sie in Zukunft keinerlei Beunruhigung von mir zu befürchten haben. Machen Sie also, Bettina, was Sie wollen; denn um anders zu handeln, müßte ich verliebt in Sie sein, und ich bin es nicht mehr. Sie haben in einem Augenblick die schöne Leidenschaft, die Sie mir eingeflößt hatten, im Keim erstickt. Als ich nach der von Cordiani erlittenen Mißhandlung wieder in meinem Zimmer war, habe ich Sie zuerst gehaßt; bald aber verwandelte der Haß sich in Verachtung, und als ich allmählich ruhig wurde, entwickelte sich aus der Verachtung eine vollkommene Gleichgültigkeit; auch diese Gleichgültigkeit entschwand, als ich sah, wessen Ihr Geist fähig ist. Ich bin Ihr Freund geworden, ich verzeihe Ihnen Ihre Schwächen, und nachdem ich mich gewöhnt habe, Sie so zu sehen wie Sie sind, habe ich von Ihrer Klugheit die beste Meinung bekommen. Ich bin selber von ihr angeführt worden, aber das macht nichts; Ihre Klugheit ist nun einmal da, sie ist überraschend, göttlich; ich liebe sie, ich bewundere sie, und mich dünkt, ich bin Ihnen schuldig, Ihre Klugheit zu ehren, indem ich Ihnen selber die reinste Freundschaft weihe. Vergelten Sie mir diese: seien Sie wahr, aufrichtig und machen Sie keine Umschweife. Genug jetzt der Narrenpossen! Denn Sie haben bei mir bereits erreicht, was Sie nur erwarten konnten. Schon der Gedanke an Liebe widerstrebt mir; denn ich kann nur lieben, wenn ich sicher bin, daß ich allein geliebt werde. Mögen Sie dies dumme Zartgefühl meiner Jugend zuschreiben; es ist einmal so und kann nicht anders sein. Sie haben mir geschrieben, Sie sprächen nicht mehr mit Cordiani. Wenn ich an diesem Bruch schuld bin, so tut mir das leid, und Ihre Ehre verlangt, glaube ich, daß Sie sich wieder versöhnen; in Zukunft werde ich mich hüten, ihm auch nur im geringsten im Wege zu stehen. Und bedenken Sie noch eins: wenn Sie ihn durch dieselben Verführungskünste in sich verliebt gemacht haben, die Sie gegen mich anwandten, so haben Sie doppelt unrecht, denn wenn er Sie liebt, so haben Sie ihn vielleicht unglücklich gemacht.«

»Alles was Sie mir da sagen,« versetzte Bettina, »beruht auf einer falschen Idee und auf falschem Anschein. Ich liebe Cordiani nicht und habe ihn niemals geliebt. Im Gegenteil, ich habe ihn gehaßt und hasse ihn noch jetzt, weil er meinen Haß verdient, und ich hoffe Sie davon zu überzeugen, obwohl der Augenschein gegen mich ist. Den gemeinen Vorwurf, daß ich Sie oder ihn verführt hätte, bitte ich mir zu ersparen. Bedenken auch Sie: wenn nicht Sie mich verführt hätten, so hätte ich mich wohl gehütet, mit Ihnen zu machen, was ich aus Gründen, die Sie nicht kennen, aber von mir erfahren werden, tief bereue. Der Fehler, den ich beging, ist nur deshalb schwer, weil ich nicht voraussah, wie sehr er mir bei einem undankbaren Knaben, der die Welt noch nicht kennt, schaden würde!«

Bettina weinte. Was sie mir gesagt hatte, klang glaubhaft und war schmeichelhaft für mich; aber ich hatte zu viel gesehen. Außerdem wußte ich ja, wie klug sie war, und so lag mir der Gedanke nahe, daß sie mich wieder hinters Licht führen wollte; denn was konnte ich anders annehmen, als daß sie nur aus beleidigter Eitelkeit so handelte, die meinen Sieg als eine unerträgliche Demütigung empfand? Ich blieb daher unerschütterlich und antwortete ihr: ich glaubte ihr alles, was sie mir über den Zustand ihres Herzens vor jener kleinen Tändelei, dem Ausgangspunkt meiner Verliebtheit, gesagt hätte, und sie könnte daher sicher sein, daß ich ihr künftighin niemals mehr den Vorwurf machen würde, mich verführt zu haben. »Aber,« fuhr ich fort, »geben Sie zu, daß Ihr Feuer nur vorübergehend so heftig war und daß es nur eines leisen Hauches bedurft hat, es auszulöschen. Es verdient Lob, daß Ihre Tugend nur einen einzigen Augenblick sich verwirrt und sofort ihre Herrschaft über Ihre Sinne zurückgewonnen hat. Sie, die mich zärtlich liebten, wurden augenblicklich unempfindlich gegen meine Qualen, so deutlich ich auch Ihnen diese zu erkennen gab. Nun möchte ich nur noch wissen, wie Sie auf diese Tugend soviel Wert legen konnten, während sie doch allnächtlich an Cordiani Schiffbruch litt?«

Bettina sah mich mit Siegesgewißheit an und sagte: »Jetzt habe ich Sie da, wo ich Sie haben wollte. Jetzt sollen Sie endlich erfahren, was ich Ihnen niemals sagen konnte; denn das Stelldichein, zu dem Sie nicht kommen wollten, gab ich Ihnen nur, um Ihnen die Wahrheit zu sagen:

Cordiani machte mir acht Tage nach seiner Ankunft bei uns eine Liebeserklärung. Er bat mich um meine Einwilligung, durch seinen Vater um meine Hand anhalten zu lassen, sobald er seine Studien beendigt hätte. Ich antwortete, ich kannte ihn noch nicht genug, hätte auch selber keinen Willen in dieser Sache und bäte ihn, nicht mehr davon zu sprechen. Er tat, als hätte er sich dabei beruhigt, bald darauf jedoch bemerkte ich, daß dies nicht der Fall war; denn als er mich eines Tages bat, ich möchte doch zuweilen in sein Zimmer kommen und ihn frisieren, und ich ihm erwiderte, ich hätte keine Zeit dazu, da sagte er, Sie wären glücklicher als er. Dieser Vorwurf war mir lächerlich, denn im Hause wußte ja ein jeder, daß ich Sie zu bedienen hatte.

Vierzehn Tage nach dieser Weigerung verbrachte ich mit Ihnen ein Stündchen in einem Getändel, das Sie natürlich auf Gedanken brachte, die Sie bis dahin nicht gehabt hatten. Ich selber war vollkommen zufrieden; ich liebte Sie, und da ich mich nur natürlichen Begierden überlassen hatte, so genoß ich, ohne daß ein Gewissensbiß mich hätte beunruhigen können. Ich sehnte mich danach, am nächsten Tage wieder mit Ihnen beisammen zu sein, aber am selben Tage nach dem Abendessen nahm mein Unglück seinen Anfang. Cordiani steckte mir diesen Brief und diesen Zettel zu, die ich seitdem in einer Mauerritze versteckt gehalten habe, um sie Ihnen bei passender Gelegenheit zeigen zu können.«

Mit diesen Worten übergab Bettina mir Brief und Zettel; der letztere lautete folgendermaßen: »Entweder empfangen Sie mich heute abend in Ihrer Kammer, indem Sie die Hoftür offen lassen, oder sehen Sie morgen zu, wie Sie mit dem Doktor fertig werden, dem ich den in Abschrift beiliegenden Brief übergeben werde.«

Der Brief war der Bericht eines niederträchtigen, wütenden Angebers und hätte wirklich sehr unangenehme Folgen haben können. Er zeigte dem Doktor an, daß seine Schwester die Vormittage mit mir in sträflichem Verkehr verbrächte, während er selber die Messe läse, und versprach ihm hierüber Aufklärungen zu geben, die jeden Zweifel beseitigen würden.

»Nachdem ich, wie die Umstände es erforderten, reiflich nachgedacht hatte,« fuhr Bettina fort, »entschloß ich mich, das Scheusal anzuhören; aber zu allem entschlossen, steckte ich meines Vaters Stilet in die Tasche und erwartete ihn an der halboffenen Tür; denn ich wollte ihn nicht hineinlassen, weil meine Kammer von der meines Vaters nur durch eine einsame Scheidewand getrennt ist und das leiseste Geräusch ihn hätte aufwecken können. Auf meine erste Frage, wie er zu der Verleumdung käme, die in dem meinem Bruder zugedachten Briefe stände, antwortete Cordiani, es wäre keine Verleumdung, denn er hätte unsere ganze Morgenunterhaltung durch ein senkrecht über Ihrem Bett befindliches Loch mit angesehen. Dieses Loch hätte er selber vom Dachboden aus in die Decke gebohrt und er begäbe sich an diesen Beobachtungsposten, sobald er merkte, daß ich zu Ihnen ginge. Zum Schluß sagte er nur, er würde meinem Bruder und meiner Mutter alles entdecken, wenn ich mich weigerte, ihm dieselben Gunstbezeigungen zu erweisen wie Ihnen. Nachdem ich ihm in meinem gerechten Zorn die stärksten Beleidigungen gesagt, ihn einen feigen Spion und Verleumder genannt hatte – denn er konnte nur Kindereien gesehen haben – erklärte ich ihm zum Schluß feierlich: er hoffe vergeblich, durch Drohungen von mir ebenfalls solche Gefälligkeiten zu erreichen. Nun bat er mich tausendmal um Verzeihung und stellte mir vor, daß doch nur meine Strenge ihn zu dem Schritt getrieben hätte; von selber würde er niemals daran gedacht haben, nur seine Leidenschaft, die ihn unglücklich mache, sei schuld daran. Er gab zu, daß sein Brief vielleicht verleumderisch sei und daß er sich hinterlistig benommen habe; er versicherte mir, er werde niemals zu Gewaltmitteln greifen, um von mir Huldbeweise zu erhalten, die er nur der Beständigkeit seiner Liebe verdanken wolle. Hierauf glaubte ich ihm erwidern zu müssen, daß es mir vielleicht später möglich sein werde, ihn zu lieben; ebenso versprach ich ihm, ich würde niemals mehr an Ihr Bett kommen, wenn der Doktor nicht zu Hause wäre. Hierdurch gelang es mir, ihn los zu werden; er ging ganz zufrieden weg und wagte nicht mal um einen Kuß zu bitten; ich versprach ihm nur, wir könnten vielleicht ab und zu mal am selben Ort miteinander plaudern.

Sobald er fort war, ging ich zu Bett; ich war in Verzweiflung, daß ich Sie nun nicht mehr besuchen konnte, wenn mein Bruder nicht zu Hause war, und daß ich mit Rücksicht auf die möglichen Folgen Ihnen nicht einmal den Grund angeben konnte. So verstrichen drei Wochen, und ich kann Ihnen nicht sagen, was ich gelitten habe. Denn natürlich drängten Sie mich und ich mußte doch immer wieder mein Wort brechen. Ich fürchtete mich sogar vor dem Augenblick, wo ich mit Ihnen allein sein würde, denn ich wußte, daß ich meinem Drange nicht würde widerstehen können, Ihnen die Ursache meines so ganz anderen Benehmens zu entdecken. Dazu kam noch, daß ich jede Woche mindestens einmal an die Korridortür kommen mußte, um mit dem Hallunken zu sprechen und seine Ungeduld durch meine Worte zu beschwichtigen.

Endlich konnte ich die Qual nicht mehr ertragen, und da ich mich zugleich auch von Ihnen bedroht sah, faßte ich den Entschluß, der Sache ein Ende zu machen. Um Ihnen die ganze Intrigue zu entdecken und mit Ihrer Hilfe zu nichte zu machen, schlug ich Ihnen vor, mich als Mädchen verkleidet auf den Ball zu begleiten, obgleich ich sehr gut wußte, daß Cordiani sich darüber ärgern würde; mein Entschluß stand fest! Sie wissen, wie meine Absicht zuschanden wurde. Die unvermutete Reise meines Vaters und meines Bruders gab euch beiden den gleichen Gedanken ein; aber ich hatte Cordianis Brief noch nicht erhalten, als ich Ihnen versprach, zu Ihnen zu kommen. Cordiani verlangte ja kein Beisammensein, sondern teilte mir nur mit, daß er mich in meiner Kammer erwartete; leider hatte ich keine Zeit ihm zu sagen, daß ich aus gewissen Gründen ihm meine Kammer verbiete, und ebensowenig konnte ich Ihnen Bescheid sagen, daß ich erst nach Mitternacht zu Ihnen kommen könnte – wie ich’s nämlich zu tun gedachte; denn ich glaubte bestimmt, ich würde den Unglücksmenschen nach einem Stündchen auf sein Zimmer schicken können. In dieser Berechnung hatte ich mich aber getäuscht, denn Cordiani hatte einen ganzen Plan ausgedacht, und ich mußte diesen von A bis Z anhören. Seine Klagen und übertriebenen Schilderungen seines Unglücks wollten gar kein Ende nehmen. Er jammerte, ich wolle den von ihm ersonnenen Plan nicht unterstützen, mit dem ich doch einverstanden sein müßte, wenn ich ihn wirklich liebte. Dieser Plan lief darauf hinaus, daß ich während der Karwoche mit ihm nach Ferrara fliehen sollte, wo ein Oheim von ihm uns aufgenommen und seinen Vater leicht zur Vernunft gebracht hätte; dann würden wir für unser ganzes Leben glücklich sein. Über meinen Einwendungen, seinen Antworten und umständlichen Erklärungen über die Beseitigung der Hindernisse verging die ganze Nacht. Mir blutete das Herz bei dem Gedanken an Sie, aber ich habe mir keinen Vorwurf zu machen, und es ist nichts vorgefallen, was mich Ihrer Achtung unwert machen könnte. Sie können sie mir nur dann versagen, wenn Sie glauben, daß meine ganze Erzählung ein Märchen ist; Sie würden sich täuschen und wären ungerecht. Hätte ich mich zu Opfern entschließen können, die nur die Liebe bringen darf, so wäre der Schurke höchstens eine Stunde bei mir geblieben; aber lieber hätte ich sterben wollen, als zu einem so furchtbaren Mittel greifen. Konnte ich ahnen, daß Sie in Wind und Schnee draußen standen? Sie und ich, wir waren beide zu beklagen, aber ich mehr als Sie. Es stand alles in den Sternen geschrieben, damit ich meinen Verstand verlieren sollte; denn ich besitze diesen nur noch zeitweise, und meine Krämpfe können jeden Augenblick wiederkehren. Man behauptete, ich sei behext und der Teufel sei in mich gefahren. Von alledem weiß ich nichts; aber wenn es wahr sein sollte, dann wäre ich die unglücklichste Person auf der ganzen Welt.«

Bettina schwieg und ließ ihren Tränen, Schluchzern und Seufzern freien Lauf. Ich war tief bewegt; obwohl ich fühlte, daß alles, was sie mir gesagt hatte, wahr sein konnte, so schien es doch nicht glaubhaft:

Forse era ver, ma non pero credibile
A chi del senso suo fosse signore.

Es konnte wahr sein, glaubhaft war es nicht
Für einen Menschen, der bei Sinnen war.

Aber sie weinte, und an der Echtheit ihrer Tränen konnte ich nicht zweifeln. Trotzdem schrieb ich diese Tränen nur auf Rechnung ihrer verletzten Eitelkeit; denn, um von meiner Ansicht abzugehen, mußte ich überzeugt sein, und Überzeugung gewinnt man nicht durch Wahrscheinlichkeit, sondern durch Augenschein. Ich konnte weder an Cordianis Mäßigung glauben noch an Bettinas Geduld noch an eine einfache Unterhaltung, die sieben Stunden gedauert haben sollte. Gleichwohl empfand ich ein gewisses Vergnügen daran, das falsche Geld, das sie mir aufgezählt hatte, für bare Münze zu nehmen.

Nachdem sie ihre Tränen getrocknet hatte, versenkte Bettina ihre schönen Augen in die meinen, in denen sie die deutlichen Zeichen ihres Sieges zu erkennen glaubte; aber ich überraschte sie, indem ich auf einen Punkt zu sprechen kam, den sie listigerweise bei ihrer Verteidigungsrede unbeachtet gelassen hatte. – Die Rhetorik verwendet die Geheimnisse der Natur gerade so, wie die Maler, die ihr nur nachahmen wollen. Grade das allerschönste, was sie geben, ist nicht echt.

Dieses junge Mädchen, das keine verfeinerte Bildung genossen hatte, aber von Natur außerordentlich klug war, wollte den Vorteil nicht außer acht lassen, für rein und ohne Falsch zu gelten; sie wußte, wie sehr ihr das zustatten kommen mußte, und darum rechnete sie darauf. Aber sie hatte mir bereits einen zu hohen Begriff von ihrer Gewandtheit gegeben.

»Ei, meine liebe Bettina,« sagte ich zu ihr, »Ihre Erzählung hat mich gerührt, aber wie kann ich denn Ihre Krämpfe und die Wahnsinnssymptome für natürlich halten, die Sie bei den Teufelsbeschwörungen gar so sehr grade immer im rechten Augenblick hervorbrachten, obgleich Sie sehr vernünftigerweise sagten, daß Sie in dieser Hinsicht selber Ihre Zweifel hätten?«

Sie sah mich fest an und schwieg mehrere Minuten. Dann schlug sie die Augen nieder und fing wieder an zu weinen, indem sie nur von Zeit zu Zeit sagte: »O, ich Arme! o, ich Unglückliche!« Die Situation wurde mir allmählich sehr peinlich, und ich fragte sie, was ich für sie tun könnte. Sie antwortete mir traurig: wenn mein Herz es mir nicht sagte, so wüßte ich nicht, was sie von mir verlangen könnte. »Ich glaubte«, fügte sie hinzu, »meine verlorenen Anrechte auf Ihr Herz wiedergewinnen zu können; aber ich sehe, Sie machen sich nichts mehr aus mir. Mißhandeln Sie mich nur immerzu! Nehmen Sie für erheuchelt die Qualen, die ich wirklich ausstehe, an denen Sie schuld sind, die Sie immer noch größer machen! Zu spät werden Sie dies bereuen, und in Ihrer Reue werden Sie nicht glücklich sein!«

Sie tat, als wollte sie gehen; aber ich bekam Angst, sie könnte sich etwas antun; darum rief ich sie zurück und sagte ihr, es gäbe für sie nur ein einziges Mittel, meine zärtliche Liebe zurückzugewinnen: sie müsse einen ganzen Monat frei von Krämpfen sein, und es dürfe nicht wieder vorkommen, daß der schöne Pater Mancia geholt werden müsse.

»Dies alles«, sagte sie mir, »hängt nicht von mir ab, aber was wollen Sie damit sagen, daß Sie den Jakobinermönch schön nennen? Nehmen Sie etwa an … ?« – »O nein, o nein! Ich nehme gar nichts an! Denn um etwas anzunehmen, müßte ich eifersüchtig sein; aber ich muß Ihnen sagen: der Vorzug, den Ihre Teufel den Beschwörungen des schönen Mönches vor jenen des häßlichen Kapuziners geben, führt leicht zu Glossen, die nicht zu Ihrer Ehre ausfallen. Übrigens machen Sie, was Sie wollen.«

Hierauf ging sie, und eine Viertelstunde darauf kamen alle nach Hause. Nach dem Abendessen sagte mir die Magd, ohne daß ich sie fragte, Bettina habe sich mit einem sehr starken Fieberschauer niedergelegt, nachdem sie ihr Bett in der Küche neben dem ihrer Mutter habe aufstellen lassen. Das Fieber konnte echt sein; aber ich zweifelte daran. Ich war überzeugt, sie würde niemals sich entschließen gesund zu sein; denn sie hätte mir dadurch ein zu starkes Argument geliefert, um die angebliche Unschuld ihres Verkehrs mit Cordiani ebenfalls für erlogen zu halten. Ich sah es daher ebenfalls nur als eine List an, daß sie ihr Bett neben dem ihrer Mutter hatte aufstellen lassen.

Am andern Tage kam der Arzt Olivo und fand sie in heftigem Fieber; er sagte dem Doktor, das Fieber werde sie wahrscheinlich sehr aufgeregt machen, und sie werde tolle Reden führen; daran werde aber kein Teufel schuld sein, sondern eben das Fieber. Wirklich delirierte Bettina den ganzen Tag, der Doktor aber verließ sich auf den Ausspruch des Arztes und schickte nicht nach dem Jakobiner, soviel seine Mutter auch redete. Das Fieber dauerte fort und wurde immer stärker, und am vierten Tage brachen die Pocken aus. Cordiani und die beiden Feltrini, die die Krankheit noch nicht gehabt hatten, wurden sofort aus dem Hause geschafft; mit mir war es anders, und ich blieb daher allein zurück.

Das arme Mädchen war dermaßen von den Pestheulen bedeckt, daß am sechsten Tage an ihrem ganzen Leibe kein Stückchen Haut mehr zu sehen war. Ihre Augen waren ganz zugeschwollen, und man gab die Hoffnung auf, sie am Leben zu erhalten, als man bemerkte, daß Mund und Schlund so voll von Beulen waren, daß nur noch ein paar Tropfen Honig in die Speiseröhre eingeflößt werden konnten. Abgesehen vom Atmen lag sie völlig bewegungslos da. Ihre Mutter wich nicht von ihrem Bett, und man fand mich bewunderungswürdig, als ich mir meinen Tisch und meine Schulbücher an dieses Bett bringen ließ. Das arme Kind sah fürchterlich aus: ihr Kopf hatte um ein Drittel an Umfang zugenommen, von ihrer Nase war nichts mehr zu sehen, und man befürchtete, sie würde auf alle Fälle ihre Augen verlieren, selbst wenn sie mit dem Leben davonkäme. Am unangenehmsten war mir der Geruch ihrer Ausdünstung, aber standhaft ertrug ich auch diesen.

Am neunten Tage kam der Gemeindepfarrer, erteilte ihr die Absolution und versah sie mit der heiligen Ölung; dann sagte er, er lasse sie in Gottes Hand. Bei dieser an sich so traurigen Szene mußte ich über die Reden der Mutter und des Doktors lachen. Die gute Frau wollte wissen, ob der Teufel, von dem sie besessen wäre, sie jetzt noch zu Tollheiten antreiben könnte, und was aus dem Teufel würde, wenn Bettina stürbe. Denn sie hielt ihn, so sagte sie, nicht für so dumm, daß er in einem so ekelerregenden Körper bleiben würde; vor allem aber wünschte sie zu wissen, ob der Teufel sich der Seele ihrer armen Tochter bemächtigen könnte. Der Doktor gab als ubiquistischer Theologe auf alle diese Fragen Antworten, in denen keine Spur von gesundem Menschenverstand war, so daß dadurch die Verlegenheit der armen Mutter nur noch größer wurde.

Am zehnten und elften Tage stand es mit Bettina anscheinend so schlecht, daß wir jeden Augenblick erwarteten, sie zu verlieren. Die Krankheit war auf ihrem Höhepunkt; die Arme verbreitete einen so furchtbaren Geruch, daß niemand es mehr bei ihr aushalten konnte. Nur ich ging nicht von ihrer Seite, denn ihr Zustand machte mich untröstlich. Das menschliche Herz ist ein Abgrund; denn – sollte man es glauben? – in diesem entseuchen Zustand flößte Bettina mir die ganze Zärtlichkeit ein, die ich nach ihrer Heilung ihr bewies.

Am dreizehnten Tage hörte das Fieber auf, und Bettina wurde von einem unerträglichen Jucken gequält, das sich durch keine Arznei so wirksam hätte lindern lassen wie durch die Worte, die ich jeden Augenblick wiederholte: »Bettina! Denken Sie dran, daß Sie jetzt gesund werden, aber wenn Sie’s wagen, sich zu kratzen, so bleiben Sie so häßlich, daß kein Mensch Sie mehr liebhaben wird.«

Welcher Arzt aus der ganzen Welt weiß ein stärkeres Verhinderungsmittel gegen das Jucken für ein junges Mädchen, welches weiß, daß es schön gewesen ist und sich in Gefahr sieht, durch eigene Schuld häßlich zu werden, wenn es sich kratzt?

Endlich öffnete sie zum erstenmal wieder ihre schönen Augen; man legte sie in ein frisches Bett und trug sie in ihre Kammer; doch mußte sie noch bis Ostern das Bett hüten. Sie impfte mir einige Pocken ein, von denen drei auf meinem Gesicht unverwischbare Spuren zurückgelassen haben. Aber sie machten mir Ehre bei Bettina, denn sie waren ein Zeichen meiner treuen Pflege, und sie erkannte jetzt an, daß ich ihre ausschließliche Zärtlichkeit verdiene. Darum liebte sie mich von nun an ohne jede Verstellung, und ich liebte sie ebenso zärtlich, ohne jedoch eine Blume zu pflücken, die das Schicksal im Bunde mit dem Vorurteil für die Ehe aufbewahrte. Aber für was für eine jämmerliche Ehe! Zwei Jahre später heiratete Bettina einen Schuster, namens Pigozzo, einen gemeinen Schuft, der sie arm und unglücklich machte, so daß ihr Bruder, der Doktor, sie von ihm fortnehmen und für sie sorgen mußte. Als der gute Doktor fünfzehn Jahre darauf zum Erzpriester der Kirche von San Giorgio di Piano gewählt wurde, nahm er sie mit. Dort traf ich, als ich vor achtzehn Jahren ihn besuchte, Bettina als alte und todkranke Frau. Sie verschied vor meinen Augen im Iahre 1776, vierundzwanzig Stunden nach meiner Ankunft in ihrem Hause. Ich werde von diesem Todesfall noch sprechen, wenn ich so weit bin.

Etwa um diese Zeit kam meine Mutter von St. Petersburg zurück, wo die Kaiserin Anna Iwanowna die italienische Komödie nicht unterhaltend genug fand. Die ganze Truppe war wieder in Italien, und meine Mutter hatte die Reise in Gesellschaft des Harlekins Carlino Bertinazzi gemacht, der 1783 in Paris starb. Kaum in Padua eingetroffen, ließ sie dem Doktor Gozzi ihre Ankunft melden, und dieser eilte mit mir in das Gasthaus, wo sie wohnte. Wir aßen zusammen, und beim Abschied schenkte sie dem Dortor einen schönen Pelz und gab mir für Bettina ein schönes Luchsfell. Sechs Monate später ließ sie mich nach Venedig kommen, um mich vor ihrer Abreise nach Dresden noch einmal zu sehen. Sie war auf Lebenszeit für das Theater des Kurfürsten von Sachsen und Königs von Polen, August des Dritten, engagiert. Sie nahm meinen damals achtjährigen Bruder Giovanni mit, der bei der Abreise wie ein Verzweifelter weinte, weswegen ich ihn für einen großen Dummkopf hielt, denn bei dieser Abreise war wirklich nichts Tragisches. Er ist der einzige von unserer Familie, der sein Glück ganz und gar meiner Mutter zu verdanken hatte, obwohl er nicht ihr Liebling war.

Hierauf verbrachte ich noch ein Jahr in Padua, um die Rechte zu studieren; im Alter von sechzehn Iahren wurde ich Doktor; mein Thema im bürgerlichen Recht lautete: De Testamentes. – Die Testamente; im kanonischen Recht: Utrum Hebraei possint construere novas synagogas. – Dürfen die Juden neue Synagogen bauen? Mein Beruf war das Studium und die Ausübung der Heilkunst, denn zu diesem Beruf fühlte ich eine starke Hinneigung. Aber es wurde nicht auf mich gehört, man verlangte von mir, daß ich mich dem Studium der Gesetze widmete, gegen die ich innerlich eine unüberwindliche Abneigung hatte. Man behauptete, ich könnte mein Glück nur machen, wenn ich Advokat würde – und was noch schlimmer war: geistlicher Advokat. Wäre man vernünftig gewesen, so hätte man mich meiner Neigung folgen lassen, und ich wäre Arzt geworden, hätte also einen Beruf ergriffen, wo man mit Scharlatanerie noch mehr ausrichten kann als im Advokatenstande. Ich bin weder Advokat noch Arzt geworden, und anders konnte es auch nicht kommen. Freilich ist dies der Grund, warum ich niemals etwas von Advokaten wissen wollte, wenn ich Ansprüche vor Gericht zu vertreten hatte, und ebensowenig je einen Arzt rief, wenn ich krank war. Das Rechtswesen richtet viele Familien zugrunde und verhilft nur wenigen zu dem ihrigen; und durch die Ärzte kommen viel mehr Menschen um, als mit ihrer Hilfe gesund werden. Dies scheint mir dafür zu sprechen, daß die Welt viel weniger unglücklich sein würde, wenn es weder diese noch jene gäbe.

Da ich die Universität, den Bo, besuchte, um die Vorlesungen der Professoren zu hören, so mußte ich allein ausgehen. Dies war für mich eine Überraschung, denn bis dahin hatte ich mich niemals als einen freien Menschen betrachtet. Da ich nun die Freiheit, in deren Besitz ich mich glaubte, voll und ganz genießen wollte, so machte ich bald unter den berühmtesten Studenten die allerschlechtesten Bekanntschaften. Denn die berühmtesten müssen natürlich gerade die schlechten Subjekte sein: Wüstlinge, Spieler, Hurer, Trunkenbolde, Prasser, Verführer ehrbarer Mädchen, Raufbolde, Lügner – mit einem Wort lauter Menschen, die nicht imstande sind, auch nur das geringste Gefühl von Tugend zu hegen. Als Kamerad solcher Leute lernte ich jetzt die Welt kennen, indem ich sie im großen Buche der Erfahrung studierte.

Die Theorie der Moral und ihre Nützlichkeit für das menschliche Leben ist vergleichbar dem Vorteil, den es gewährt, wenn man sich das Inhaltsverzeichnis eines Buches ansieht, bevor man es liest; wenn man damit fertig ist, so hat man nur einen Begriff von dem Stoff, den man finden wird. Eine solche Schule der Moral bieten uns die Predigten, Lehren und Erzählungen unserer Erzieher. Wir hören alles aufmerksam an; sobald aber die Gelegenheit sich bietet, von den uns gegebenen Ratschlägen Gebrauch zu machen, bekommen wir Lust, zu sehen, ob es auch wirklich so kommen wird, wie man uns prophezeit hat. Wir überlassen uns diesem Gelüste und müssen es mit Reue büßen. Eine kleine Entschädigung ist es für uns, daß wir in solchen Augenblicken uns weise fühlen und uns berechtigt dünken, andere zu belehren; aber die von uns Belehrten machen es auch nicht besser und nicht schlimmer, als wir selber es gemacht haben; und so kommt es, daß die Welt immer auf demselben Punkt stehen bleibt oder gar noch schlimmer wird.

Als mir Doktor Gozzi Erlaubnis gab, allein auszugehen, offenbarten sich mir mehrere Wahrheiten, die ich bis dahin nicht nur nicht gekannt, sondern nicht einmal geahnt hatte. Kaum tauchte ich in der Studentenschaft auf, so machten sich die flottesten Bursche an mich heran, um zu sehen, wes Geistes Kind ich sei. Als sie in mir einen ganz krassen Fuchs entdeckten, übernahmen sie meine Erziehung, indem sie mich auf alle möglichen Leime kriechen ließen. Zu allererst verleiteten sie mich zum Spiel, und nachdem sie mir all mein bißchen Geld abgewonnen hatten, veranlagten sie mich, auf Wort zu spielen, und lehrten mich faule Schiebungen machen, um sie bezahlen zu können; da lernte ich aber auch gleich kennen, was Sorgen sind! Diese derben Denkzettel hatten aber auch ihr Gutes für mich; den ich lernte dadurch mich vor schamlosen Speichelleckern zu hüten und mich in keiner Weise auf die Anerbietungen von Schmeichlern zu verlassen. Endlich lernte ich mit Händelsuchern auskommen, deren Gesellschaft man unter allen Umständen meiden muß, wenn man nicht jeden Augenblick am Rande des Abgrundes schweben will. In die Netze gewerbsmäßiger Buhlerinnen fiel ich nicht, weil ich keine sah, die so hübsch war wie Bettina; leider wußte ich mich aber nicht ebensogut vor der Ruhmsucht zu hüten, die einem über Lebensgefahren sich hinwegsetzenden Mut entspringt.

Zu jener Zeit hatten die Studenten von Padua große Sonderrechte. Es waren Mißbräuche, die durch Verjährung gesetzlich geworden waren, wie dies ja fast von allen Sonderrechten – nicht zu verwechseln mit vernünftigen Vorrechten – gilt. Es ist eine Tatsache, daß die Studenten zur Aufrechterhaltung ihrer Sonderrechte oftmals Verbrechen begingen. Die Schuldigen wurden nicht nach der Strenge des Gesetzes bestraft, weil die Staatsräson nicht duldete, durch Strenge den Zufluß der Schüler zu mindern, die aus ganz Europa der berühmten Universität zuströmten. Die venezianische Regierung befolgte den Grundsatz, berühmte Professoren mit hohen Gehältern anzustellen und die Studenten, die die Lehrsäle füllten, in der größten Ungebundenheit walten zu lassen. Die Studenten hatten nur einen einzigen über sich, den sogenannten Sindaco. Dies war ein ausländischer Edelmann, der ein Verzeichnis der Studierenden zu führen hatte und dem Staate gegenüber für deren Verhalten aufkam. Er war verpflichtet, sie der Gerechtigkeit zu überliefern, wenn sie die Gesetze übertraten, und die Studenten unterwarfen sich seinen Urteilssprüchen, weil er sie unfehlbar verteidigte, wenn sie nur einen Schein Rechtens für sich hatten.

Die Studenten wollten zum Beispiel nicht dulden, daß die Zollbeamten ihren Koffer durchsuchten, und die gewöhnlichen Sbirren würden niemals gewagt haben, einen zu verhaften. Sie trugen verbotene Waffen, so viel es ihnen beliebte; betrogen ungestraft alle Mädchen, die nicht von den Angehörigen vor ihren Nachstellungen bewahrt wurden; störten oft die nächtliche Ruhe durch frechen Lärm – kurz, es war eine zügellose Jugend, die an nichts anderes dachte, als ihren Launen nachzugehen und ohne Rücksicht auf ihren Nächsten zu jubeln und zu tollen. Es begab sich, daß ein Sbirre in ein Kaffeehaus eintrat, wo zwei Studenten saßen. Einer von diesen wies ihn hinaus; der Sbirre weigerte sich zu gehen, und der Student feuerte einen Pistolenschuß auf ihn ab, traf ihn aber nicht. Der Sbirre schoß wieder; er hatte besser gezielt und verwundete seinen Angreifer; dann ergriff er die Flucht. Sofort versammelten die Studenten sich im Bo, bildeten Banden und rannten durch die ganze Stadt, um Sbirren totzuschlagen und dadurch die erlittene Schmach zu sühnen; aber bei einem dieser Zusammenstöße blieben zwei Studenten tot auf dem Platze. Nun versammelten alle Burschen sich in corpore und schwuren, die Waffen nicht eher niederzulegen, als bis in Padua keine Sbirren mehr wären. Die Regierung mischte sich ein, und der Sindaco erbot sich, die Studenten zur Niederlegung der Waffen zu bewegen, falls ihnen Genugtuung werde; denn die Sbirren seien im Unrecht. Der Häscher, der den Studenten im Kaffeehause verwundet hatte, wurde gehängt, und damit war der Friede wiederhergestellt.

Während der acht Tage, die diese Unruhen dauerten, ließ ich mich vom Strom mit fortreißen, soviel auch der Doktor zu reden hatte; denn da die Studenten truppweise durch die Stadt patrouillierten, wollte ich nicht weniger tapfer erscheinen als die übrigen. Mit Pistolen und Stutzen bewaffnet, durcheilte ich mit meinen Kameraden die Straßen, um den Feind aufzusuchen. Ich war, wie ich mich noch jetzt erinnere, sehr ärgerlich, daß meine Abteilung nicht einem einzigen Sbirren begegnete. Als der Krieg vorbei war, machte der Doktor sich über mich lustig, aber Bettina bewunderte meinen Mut.

Dieser ganz neue Lebenswandel kostete Geld; und da ich nicht weniger reich erscheinen wollte, als meine neuen Freunde, ließ ich mich zu Ausgaben verleiten, die ich nicht erschwingen konnte. Ich verkaufte oder versetzte alles, was ich hatte, und machte Schulden, die ich nicht bezahlen konnte. Dies waren meine ersten Sorgen; und Sorgen dieser Art sind die bittersten, die ein Jüngling haben kann. Da ich nicht mehr aus noch ein wußte, schrieb ich an meine gute Großmutter um Hilfe; anstatt mir aber Geld zu schicken, kam sie, am 1. Oktober 1739, selber nach Padua und nahm mich mit sich nach Venedig, nachdem sie dem Doktor und Bettina für die Sorgfalt, die sie mir hatten angedeihen lassen, herzlich gedankt hatte.

Beim Abschied schenkte mir der Doktor unter strömenden Tränen das Liebste, was er besaß: eine Reliquie von ich weiß nicht mehr welchem Heiligen. Ich würde sie vielleicht noch jetzt besitzen, wäre sie nicht in Gold gefaßt gewesen. Ein Wunder hat sie gewirkt; denn sie bewahrte mich in einem dringenden Augenblick vor Not.

Seitdem wohnte ich jedesmal, wenn ich nach Padua kam, um meine juristischen Studien zu vollenden, bei dem guten Doktor. Aber icb hatte jedesmal den Kummer, in Bettinas Nähe den Lümmel zu sehen, der sie heiraten sollte und für den sie mir nicht erschaffen schien. Ich ärgerte mich, daß ein Zartgefühl, das ich mir recht bald abgewöhnte, mich veranlaßt hatte, einem solchen Kerl eine Blume zu überlassen, die ich selbst hätte pflücken können.

Erstes Kapitel


Nachrichten aus meiner Familie – Meine Kindheit

Don Jacob Casanova, geboren zu Saragossa, der Hauptstadt von Aragonien, natürlicher Sohn Don Franciscos, entführte im Jahre 1428 Donna Anna Palafor aus dem Kloster; dies geschah einen Tag, nachdem sie ihr Gelübde abgelegt hatte. Er war Geheimschreiber des Königs Alfonso. Er floh mit ihr nach Rom, wo Anna ein Jahr im Gefängnis zubringen mußte; nach Verlauf dieser Zeit entband Papst Martin der Dritte sie von ihrem Gelübde und gab ihrer Ehe seinen Segen auf Empfehlung des Don Juan Casanova, Haushofmeisters des Allerheiligsten Palastes und Oheims des Don Jacob. Die aus dieser Ehe hervorgegangenen Kinder starben sämtlich in zartem Alter mit Ausnahme Don Juans, der im Jahre 1475 Donna Eleonora Albini heiratete und von ihr einen Sohn, Namens Marco Antonio, hatte.

Im Jahre 1481 tötete Don Juan einen Offizier des Königs von Neapel und mußte deshalb Rom verlassen; er floh mit seiner Frau und seinem Sohn nach Como; später verließ er diese Stadt wieder, um sein Glück in der Ferne zu suchen, und starb im Jahre 1493 als Reisegefährte von Christof Columbus.

Marco Antonio wurde ein guter Dichter im Martialschen Stil; er war Sekretär des Kardinals Pompeo Colonna. Die Satire gegen Giulio de Medici, die wir in seinen gesammelten Dichtungen lesen, zwang ihn zur Flucht nach Rom; er kehrte nach Como zurück und heiratete hier Abondia Rezzonica.

Als Giulio de‘ Medici Papst Clemens der Siebente geworden war, verzieh er ihm und ließ ihn mit seiner Frau nach Rom kommen. Kurz nach der Einnahme und Plünderung der Stadt durch die Kaiserlichen im Jahre 1526 starb Marco Antonio an der Pest; sonst wäre er im Elend gestorben, denn die Soldaten Karls des Fünften hatten ihm alles genommen, was er besaß. Pietro Valeriano spricht von ihm ausführlich in seinem Buch De infelicitate literatorum.

Drei Monate nach seinem Tode brachte seine Witwe einen Sohn zur Welt, Giacomo Casanova; er starb in sehr hohem Alter in Frankreich als Oberst in dem Heere, das von Farnese gegen König Heinrich von Navarra, später Heinrich der Vierte von Frankreich, befehligt wurde. Giacomo hatte in Parma einen Sohn hinterlassen, der sich mit Teresa Conti vermählte. Aus dieser Ehe entsprang ein Sohn, Giacomo, der im Jahre 1680 Anna Roli heiratete. Giacomo hatte zwei Söhne, Giambattista und Gaetano Giuseppe Giacomo. Der Ältere verließ Parma 1712 und ist verschollen, der Jüngere trennte sich als Neunzehnjähriger im Jahre 1715 ebenfalls von seiner Familie.

Diese dürftigen Nachrichten fand ich in einem Notizbuch meines Vaters. Das folgende habe ich aus dem Munde meiner Mutter erfahren.

Gaetano Giuseppe Giacomo verließ sein elterliches Haus, bezaubert von den Reizen einer Schauspielerin, der sogenannten Fragoletta, die die Rollen der munteren Liebhaberin spielte. Ebenso verliebt wie mittellos, entschloß er sich, seinen Lebensunterhalt sich mit Hilfe seiner persönlichen Vorzüge zu verdienen. Er wurde Tänzer und fünf Jahre später Schauspieler, als welcher er sich noch mehr durch seinen tadellosen Charakter als durch sein Talent auszeichnete.

Vielleicht weil er ihrer überdrüssig, vielleicht weil er eifersüchtig war – genug, er verließ die Fragoletta und wurde in Venedig Mitglied einer Schauspielertruppe, die im Theater San Samuele spielte. Gegenüber dem Zimmer, worin er hauste, wohnte ein Schuhmacher, Namens Geronimo Farusi, mit seiner Frau Marzia und ihrer einzigen Tochter Zanetta, einer vollkommenen Schönheit von sechzehn Jahren. Der junge Schauspieler verliebte sich in das Mädchen; er wußte ihre Zärtlichkeit zu erwecken und überredete sie dazu, sich von ihm entführen zu lassen. Dies war das einzige Mittel in ihren Besitz zu gelangen: dem Schauspieler würde Marzia niemals ihr Kind gegeben haben, noch weniger Geronimo; denn in ihren Augen war ein Komödiant eine höchst verabscheuenswerte Person. Die jungen Liebenden versahen sich mit den nötigen Papieren und begaben sich in Begleitung von zwei Zeugen zum Patriarchen von Venedig, der ihrer Ehe seinen Segen erteilte. Zanettas Mutter Marzia jammerte und fluchte über dies Unglück, und der Vater starb vor Gram. Dieser Ehe entstamme ich; neun Monate nach der Hochzeit, am 2. April 1725, wurde ich geboren.

Im nächsten Jahre übergab mich meine Mutter der Pflege Marzias, die ihr verziehen hatte, als sie erfuhr, daß mein Vater ihr versprochen habe, sie niemals zum Auftreten auf der Bühne zu zwingen. Dieses Versprechen geben alle Schauspieler, wenn sie ein Mädchen aus bürgerlichen Familien heiraten; das Versprechen wird aber niemals gehalten, weil ihre Frauen selber sich wohl hüten, auf Einhaltung ihres Wortes zu dringen. Übrigens war es für meine Mutter ein großes Glück, daß sie gelernt hatte, Komödie zu spielen; denn sie würde sonst, als sie neun Jahre darauf als Witwe mit sechs Kindern dastand, nicht die Mittel gehabt haben, ihre Kinder aufzuziehen.

Ich war also ein Jahr alt, als mein Vater mich in Venedig zurückließ, um ein Engagement in London anzunehmen. In dieser großen Stadt betrat meine Mutter zum erstenmale die Bühne, und hier brachte sie im Jahre 1727 meinen Bruder Francesco zur Welt, der jetzt als berühmter Schlachtenmaler in Wien lebt, wo er seit 1783 seinem Beruf obliegt.

Gegen Ende des Jahres 1728 kehrte meine Mutter mit ihrem Gatten nach Venedig zurück, und da sie nun einmal Schauspielerin war, so blieb sie es auch.

Im Jahre 1730 gebar sie meinen Bruder Giovanni, der Ende 1795 als Direktor der kurfürstlichen Malerakademie in Dresden gestorben ist. In den nächsten drei Jahren wurde sie dann noch Mutter von zwei Töchtern, von denen die eine als kleines Kind starb, die andere als verheiratete Frau noch jetzt, 1798, in Dresden lebt. Endlich hatte ich einen nachgeborenen Bruder, der Priester wurde und vor fünfzehn Jahren in Rom gestorben ist.

Doch kommen wir jetzt zum Beginn meiner Existenz als denkendes Wesen.

Das Organ des Gedächtnisses entwickelte sich bei mir Anfang August 1733; ich war also damals acht Jahre und vier Monate alt. Ich habe nicht die geringste Erinnerung an Ereignisse, die vor dieser Zeit liegen. Meine erste Erinnerung betrifft folgendes:

Ich stand in der Ecke eines Zimmers gegen die Wand gebeugt; meinen Kopf hielt ich in den Händen und blickte unverwandt auf das Blut, das mir in Strömen aus der Nase floß und auf die Erde rieselte.

Meine Großmutter Marzia, deren Liebling ich war, kam zu mir heran, wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser, ließ mich, ohne daß im Hause jemand etwas davon merkte, mit sich in eine Gondel steigen und führte mich nach der sehr volkreichen Insel Murano, die nur eine halbe Meile von Venedig liegt.

Hier stiegen wir aus und gingen in eine Spelunke, wo wir ein altes Weib fanden, das mit einem schwarzen Kater in den Armen auf einem schmutzigen Bett saß und noch fünf oder sechs Katzen um sich hatte. Es war eine Hexe. Die beiden alten Frauen hatten ein langes Gespräch miteinander, das wahrscheinlich mich betraf. Zum Schluß dieser Zwiesprach, die in Friauler Mundart abgehalten wurde, bekam die alte Hexe von meiner Großmutter einen Silberdukaten. Sie öffnete eine Kiste, nahm mich auf die Arme, legte mich hinein und schloß den Deckel, indem sie mir sagte, ich solle keine Angst haben. Diese Bemerkung wäre nun gerade genug gewesen, um mir Angst zu machen, wenn ich überhaupt irgendwelche Denkkraft besessen hätte; aber ich war ganz betäubt. Ich lag ruhig in einer Ecke zusammengekauert, hielt mir das Taschentuch unter die Nase, weil ich immer noch blutete, und kümmerte mich übrigens nicht im geringsten um den Lärm, den ich draußen machen hörte. Ich hörte abwechselnd lachen, weinen, singen, schreien und an die Kiste klopfen; mir war das alles gleichgültig. Endlich holen sie mich aus der Kiste hervor, mein Blut ist gestillt. Das sonderbare Weib macht mir hundert Liebkosungen, entkleidet mich, legt mich auf das Bett, verbrennt Kräuter, fängt den Rauch davon mit einem Tuch auf, wickelt mich in dieses ein, macht Beschwörungen, wickelt mich darauf wieder aus und gibt mir fünf sehr angenehm schmeckende Zuckerplätzchen. Gleich darauf reibt sie mir Schläfen und Nacken mit einer lieblich duftenden Salbe ein und dann kleidet sie mich wieder an. Sie sagte mir, meine Blutungen würden ganz allmählich aufhören; nur dürfte ich niemandem erzählen, was sie gemacht hätte, um mich zu heilen; sie drohte mir, ich würde all mein Blut verlieren und sterben, wenn ich es wagte, zu irgendeinem Menschen von ihren Geheimnissen zu sprechen. Nachdem sie mir dies alles eingeprägt hatte, sagte sie noch, eine reizende Dame würde mir nächste Nacht einen Besuch machen und von dieser würde mein Glück abhängen, wenn ich nur soviel Willenskraft hätte, niemandem von diesem Besuch zu erzählen. Hierauf nahmen wir Abschied und kehrten nach Hause zurück.

Kaum lag ich im Bett, so schlief ich ein, ohne wieder an den schönen Besuch zu denken, der mir bevorstand; aber als ich einige Stunden später auswachte, sah ich – oder glaubte wenigstens sie zu sehen – eine blendend schöne Frau, die aus dem Kamin kam. Sie war im Reifrock, trug ein prachtvolles Kleid und hatte auf dem Kopf eine mit Edelsteinen besetzte Krone, von der – wie es mir vorkam – Funken sprühten. Sie kam langsamen Schrittes mit majestätischer und sanfter Miene auf mein Bett zu und setzte sich auf dieses; dann zog sie aus ihrer Tasche kleine Büchschen, die sie über meinen Kopf ausleerte, wobei sie Worte flüsterte. Nachdem sie mir eine lange Ansprache gebalten hatte, von der ich nichts verstand, küßte sie mich und verschwand auf demselben Wege, auf dem sie gekommen war. Hierauf schlief ich wieder ein.

Am anderen Morgen kam meine Großmutter mich ankleiden; kaum an mein Bett antreten, sagte sie, ich müsse unbedingt schweigen; ich sei des Todes, wenn ich über das von mir in der Nacht Gesehene zu sprechen wage. Diese Rede aus dem Munde der einzigen Frau, die auf mich einen unbeschränkten Einfluß hatte und die mich gewöhnt hatte, allen ihren Befehlen blindlings zu gehorchen, bewirkte, daß ich mich der Erscheinung wieder erinnerte und daß ich sie unter Siegel im geheimsten Winkel meines eben erwachenden Gedächtnisses aufbewahrte. Übrigens fühlte ich mich gar nicht versucht, das Begebnis irgendeinem Menschen zu erzählen; zunächst weil ich nicht wußte, was man überhaupt daran interessant finden könnte, dann aber auch weil ich niemand kannte, an den ich mich mit meiner Erzählung hätte wenden können; denn da meine Krankheit mich trübsinnig und nicht im geringsten unterhaltend machte, so bedauerten mich alle Leute und ließen mich in Ruhe; man glaubte, ich würde nicht lange leben, und meine Eltern sprachen niemals ein Wort mit mir.

Nach der Reise nach Murano und dem nächtlichen Besuch der Fee blutete ich zwar noch, aber die Blutungen wurden von Tag zu Tag geringer und allmählich entwickelte sich mein Gedächtnis. In weniger als einem Monat lernte ich lesen.

Ohne Zweifel wäre es lächerlich, meine Heilung diesem tollen Zauber zuzuschreiben; ich glaube aber auch, daß man unrecht hätte, wollte man rundweg leugnen, daß er vielleicht dazu beigetragen. Die Erscheinung der schönen Königin habe ich immer für einen Traum gehalten – wenn es nicht etwa ein zu meinem Besten veranstalteter Mummenschanz war; die Heilmittel für die schwersten Krankheiten sind ja nicht immer in Apotheken zu finden. Tagtäglich tut irgendein Phänomen uns unsere Unwissenheit dar, und ich glaube, dies ist der Grund, warum wir so selten einen Gelehrten finden, dessen Geist von jedem Aberglauben frei ist. Ganz gewiß hat es auf dieser Welt niemals Hexen und Hexenmeister gegeben; aber ebenso unleugbar haben zu allen Zeiten Leute an Betrüger geglaubt, die das Talent besaßen, als Zauberer aufzutreten: Somnio nocturnos lemures portentaque Thessalia vides. – Im Traum siehst du Nachtgespenster und thessalische Ungeheuer.

Manches, was zunächst nur in der Phantasie vorhanden ist, wird allmählich zur Tatsache; folglich ist es wohl möglich, daß diese oder jene Wirkung, die man nur dem Glauben zuschreibt, kein eigentliches Wunder ist, obgleich sie denen, die dem Glauben eine schrankenlose Macht zuschreiben, als ein wirkliches Wunder erscheint. –

Das zweite mir widerfahrene Ereignis, dessen ich mich erinnere, passierte mir drei Monate nach der Reise nach Murano und sechs Wochen vor dem Tode meines Vaters. Ich teile es dem Leser nur mit, um ihm einen Begriff zu geben, in welcher Weise sich mein Charakter entwickelte.

Eines Tages, um die Mitte des Novembers, befand ich mich zusammen mit meinem um zwei Jahre jüngeren Bruder Francesco im Zimmer meines Vaters und sah ihm aufmerksam bei seinen optischen Arbeiten zu.

Ein großes Stück Kristall, rund und in Facetten geschliffen, fesselte meine Aufmerksamkeit. Ich nahm es in die Hand, hielt es vor meine Augen und war wie bezaubert, als ich alle Gegenstände vervielfältigt sah. Sofort bekam ich Lust, mir diesen Kristall anzueignen, und da ich mich unbeachtet sah, so benutzte ich den Augenblick, ihn in die Tasche zu stecken. Gleich darauf stand mein Vater auf, um den Kristall zu benutzen; da er ihn nicht fand, sagte er zu uns, einer von uns beiden müßte ihn genommen haben. Mein Bruder versicherte ihm, er habe ihn nicht angerührt, und hierauf sagte ich trotz dem Bewußtsein meiner Schuld ihm dasselbe. Mein Vater war aber seiner Sache sicher und drohte uns, er würde unsere Taschen durchsuchen, und wer gelogen hätte, würde Prügel bekommen. Ich tat, als suchte ich den Kristall in allen Zunmerecken, und hierbei gelang es mir in einem günstigen Augenblick, das Ding geschickt meinem Bruder in die Rocktasche gleiten zu lassen. Dies tat mir sofort leid, denn ich hätte ja tun können, als hätte ich den Kristall irgendwo gefunden; aber die Schlechtigkeit war nun einmal begangen. Mein Vater wurde schließlich ungeduldig, als wir nichts fanden; er durchsuchte uns, entdeckte die verhängnisvolle Kugel in der Tasche des Unschuldigen und gab ihm die verheißene Tracht Prügel. Drei oder vier Jahre später war ich so dumm, mich meinem Bruder gegenüber dieses Streiches zu rühmen; er verzieh ihn mir niemals und versäumte keine Gelegenheit, sich dafür zu rächen.

Als ich in einer Generalbeichte mich dieser Sünde mit allen Nebenumständen anklagte, erhielt ich eine Belehrung, die mir Spaß machte. Mein Beichtvater, ein Jesuit, sagte mir, da ich Giacomo heiße, so hätte ich mit dieser Tat der Bedeutung meines Namens entsprechend gehandelt. Denn im Hebräischen bedeutet Jakob Verdränger. Deshalb gab Gott dem Patriarchen für seinen alten Namen den neuen Israel, das heißt: Der Sehende. Er hatte seinen Bruder Esau hintergangen.

Sechs Wochen nach diesem Vorfall bekam mein Vater im Innern des Kopfes ein Geschwür, das ihn binnen acht Tagen ins Grab brachte. Der Arzt Zambelli gab dem Kranken zunächst verstopfende Heilmittel und glaubte dann diese Dummheit mit der Verabreichung von Bibergeil wieder gutzumachen. Mein Vater starb infolgedessen an Krämpfen. Eine Minute nach seinem Tode barst das Geschwür und floß durchs Ohr ab; es entfernte sich, nachdem es ihn getötet hatte, wie wenn es nun nichts mehr bei ihm zu tun hätte.

Mein Vater schied im blühendsten Alter aus dem Leben; er zählte nur 36 Jahre. In sein Grab folgte ihm das Bedauern des Publikums, besonders des Adels, der in ihm einen Mann achtete, der sich durch seine Lebensführung wie durch seine Kenntnisse in der Mechanik über seinen Stand erhob.

Zwei Tage vor seinen Tode fühlte mein Vater sein Ende nahen; er ließ seine Frau und uns alle an sein Bett kommen und bat die edlen Herren Grimani, unsere Beschützer zu werden.

Nachdem er uns seinen Segen gegeben hatte, verlangte er von meiner in Tränen zerfließenden Mutter, daß sie ihm schwöre, keins von seinen Kindern für die Bühne zu erziehen, die er selber niemals würde betreten haben, wenn ihn nicht eine unglückliche Leidenschaft dazu gezwungen hätte. Sie tat den Schwur, und die drei Patrizier bürgten für dessen Unverletzlichkeit. Die Umstände halfen ihr, dieses Versprechen halten zu können.

Da meine Mutter damals im sechsten Monat schwanger war, wurde sie bis nach Ostern vom Auftreten befreit. Schön und jung wie sie war, schlug sie alle Heiratsanträge aus; auf die Vorsehung vertrauend, hoffte sie selber imstande zu sein, uns großzuziehen.

Zunächst glaubte sie sich mit mir beschäftigen zu sollen; nicht so sehr aus besonderer Vorliebe für mich als wegen meiner Krankheit, die mich in einen solchen Zustand versetzte, daß man nicht mehr wußte, was man mit mir anfangen sollte. Ich war sehr schwach, hatte keinen Appetit, war zu keiner Anstrengung fähig und sah aus wie ein Blödsinniger. Die Arzte stritten sich um die Ursache meines Leidens. Er verliert, sagten sie, wöchentlich zwei Pfund Blut, während er doch im ganzen nur sechzehn bis achtzehn haben kann. Woher kann also eine so überreichliche Abgabe von Blut kommen? Der eine sagte, mein ganzer Speisesaft verwandle sich in Blut, der andere behauptete, die von mir eingeatmete Luft müsse bei jedem Atemzuge die Menge des in meinen Lungen vorhandenen Blutes vermehren und darum hielte ich fortwährend den Mund offen. Dies wurde mir sechs Jahre später von Herrn Baffo, einem vertrauten Freunde meines seligen Vaters, erzählt.

Baffo konsultierte schließlich in Padua den berühmten Arzt Macopo, der ihm seine Meinung schriftlich mitteilte. In diesem Gutachten, das ich aufbewahrt habe, heißt es, unser Blut sei eine dehnbare Flüssigkeit, die an Dicke, niemals aber an Menge sich vermindern oder vermehren könne; meine Blutungen könnten nur davon herrühren, daß die Blutmenge zu dick sei. Sie mache sich auf natürlichem Wege Luft, um den Umlauf zu erleichtern. Er sagte, ich würde bereits gestorben sein, wenn nicht die Natur, die leben will, sich selber geholfen hätte. Er kam zu dem Schluß: da die Ursache dieser Dicke nur in der von mir eingeatmeten Luft gesucht werden könne, so müsse man mir Luftveränderung verschaffen oder sich darauf gefaßt machen, mich zu verlieren. Nach seiner Meinung war ferner an dem dummen Ausdruck, den meine Züge trugen, ebenfalls nur die Dicke meines Blutes schuld.

Dieser Herr Baffo, ein erhabener Geist und ein Poet, der sich nur in Gedichten der schlüpfrigsten Art versuchte, in dieser aber groß und einzig war – Baffo also veranlaßte, daß meine Familie sich entschloß, mich nach Padua in Pension zu geben; folglich verdanke ich ihm mein Leben. Er ist zwanzig Jahre später gestorben, der letzte seiner alten patrizischen Familie; aber seine Gedichte, sind sie gleich schmutzig, werden seinen Namen niemals untergehen lassen. Die venezianischen Staatsinquisitoren werden aus einer gewissen Pietät zu seinem Ruhme beigetragen haben; denn indem sie seine in Abschriften umlaufenden Werke verfolgten, machten sie sie kostbar; sie hätten wissen müssen, daß spreta exolescunt – was nicht beachtet wird, fällt der Vergessenheit anheim.

Sobald der Orakelspruch des Professors Macopo als zutreffend erachtet war, übernahm es Herr Abbate Grimani, mit Hilfe eines in Padua wohnenden ihm bekannten Chemikers, für mich eine gute Pension zu finden. Er hieß Ottaviani und war zugleich auch Antiquar. In ein paar Tagen war die Pension gefunden und an meinem neunten Geburtstag, den 2. April 1734 brachte man mich in einem Burchiello auf dem Brentakanal nach Padua. Der Burchiello kann für ein kleines schwimmendes Haus gelten. Es befindet sich darauf ein Saal mit einem Kabinett am oberen und unteren Ende, und für die Dienerschaft ist Unterkunft am Bug und am Stern des Fahrzeugs vorhanden; die Form des Saales ist ein Rechteck; er ist mit Glasfenstern und Holzläden versehen, und darüber befindet sich noch ein Sitzdeck. Die Dauer der Reise beträgt acht Stunden. Abbate Grimani, Herr Baffo und meine Mutter begleiteten mich; ich schlief mit meiner Mutter im Saal und die beiden Freunde verbrachten die Nacht in einem der beiden Kabinette. Mit Tagesanbruch stand meine Mutter auf und öffnete ein Fenster gegenüber dem Bett; die Strahlen der aufgehenden Sonne trafen mein Gesicht, so daß ich die Augen aufschlug. Das Bett war so niedrig, daß ich das Land nicht sehen konnte; ich sah durch das Fenster nur die Wipfel der Bäume, die den Fluß umsäumen. Die Barke bewegte sich, aber so gleichmäßig und ruhig, daß ich davon nichts merkte; es überraschte mich daher aufs höchste, daß ein Baum nach dem anderen meinen Blicken entschwand. »O, liebe Mutter!« rief ich, »was ist denn das? Die Bäume laufen ja!« Im selben Augenblick traten die beiden Herren ein und fragten mich, als sie mein verdutztes Gesicht sahen, woran ich denn dächte. »Woher kommt es,« wiederholte ich, »daß die Bäume laufen?«

Sie lachten; meine Mutter aber stieß einen Seufzer aus und sagte ganz traurig: »Das Schiff bewegt sich, und nicht die Bäume. Zieh dich an!« Ich begriff, dank meiner erwachenden, sich immer mehr entwickelnden und noch gar nicht voreingenommenen Vernunft sofort den Grund der Erscheinung. »Dann ist es also möglich,« sagte ich zu meiner Mutter, »daß auch die Sonne sich nicht bewegt, und daß im Gegenteil unsere Erde von Westen nach Osten rollt.« Meine gute Mutter entsetzte sich über diesen Unsinn, Herr Grimani beklagte meine Dummheit, und ich stand da ganz verdutzt, traurig und dem Weinen nahe. Herr Baffo schenkte mir neues Leben! Er schloß mich in seine Arme, küßte mich zärtlich und sagte: »Du hast recht, mein Kind; die Sonne bewegt sich nicht, sei getrost! Brauche immer deine Vernunft und laß die Leute lachen!«

Meine Mutter fragte ihn überrascht, ob er toll wäre, daß er nur solche Ratschläge gäbe; der Philosoph antwortete ihr gar nicht, sondern fuhr fort, mir in Umrissen eine Erklärung zu geben, wie sie meiner einfachen und reinen Vernunft angemessen war. Es war das erstemal in meinem Leben, daß ich eine wirkliche Freude kostete! Wäre Herr Baffo nicht gewesen, so hätte dieser Augenblick genügt, meine Erkenntnis zu erniedrigen; denn die Feigheit der Leichtgläubigkeit würde sich hineingeschlichen haben. Ganz bestimmt hätte die Unwissenheit der beiden anderen die Schärfe meiner Denkfähigkeit abgestumpft. Ob ich es in dieser Fähigkeit sehr weit gebracht habe, weiß ich nicht, das aber weiß ich, daß ich ihr allein alles Glück verdanke, dessen ich genieße, wenn ich mich mit mir allein befinde.

Wir kamen bei guter Zeit in Padua an und gingen zu Ottaviani, dessen Frau mich mit Liebkosungen überhäufte. Ich sah in ihrem Hause fünf oder sechs Kinder, unter ihnen ein achtjähriges Mädchen, namens Maria, und ein anderes siebenjähriges, namens Rosa, hübsch wie ein Engel. Zehn Jahre später wurde Maria die Frau des Maklers Colonda, und einige Jahre darauf wurde Rosa an den Patrizier Pietro Marcello verheiratet, dem sie einen Sohn und zwei Töchter schenkte; von diesen wurde die eine die Gattin des Herrn Pietro Mocenigo; die andere heiratete einen Nobile aus der Familie Carraro; doch wurde diese Ehe später für nichtig erklärt. Ich werde von allen diesen Personen zu sprechen haben, darum erwähne ich sie hier.

Ottaviani führte uns sofort nach dem Hause, wo ich in Kost gegeben werden sollte. Es lag nur fünfzig Schritt von dem seinigen entfernt, in Santa Maria da Banzo, Gemeinde San Michele, und gehörte einer alten Slavonierin, die den ersten Stock an Signora Mida, die Frau eines slavonischen Obersten, vermietet hatte. Man öffnete vor ihr mein Köfferchen und gab ihr ein Verzeichnis des gesamten Inhalts; hierauf zählte man ihr sechs Zechinen auf, womit Kost und Wohnung für mich auf ein halbes Jahr bezahlt waren. Für diese geringe Summe sollte sie mich beköstigen, meine Wäsche sauber halten und mir Schulunterricht geben lassen. Man ließ sie reden, es sei nicht genug; man umarmte mich, befahl mir, immer ihren Befehlen recht artig nachzukommen, und ließ mich in dem Hause. So entledigte man sich meiner.