Scherben bedeuten Glück

Seida liebte ihren Mann nicht, sie hatte ihr Herz ganz ihrem Freunde geschenkt. Doch dieser blieb schon allzulange von ihr fern und dies nur, weil ihre Liebe im ganzen Umkreis bekannt war und das Gerede darüber zu deutlich wurde.

Auch ihr Freund litt unter dieser Trennung und wurde fast krank vor Sehnsucht. Eines Tages hielt es ihn nicht mehr zu Hause und in der Verborgenheit. Er eilte zu seinem Freunde und sprach ihn an: »O Freund, das Bild Seidas schwebt immer vor mir, ich bin nicht mehr Herr meiner Sinne! Komm, laß dein Studium und begleite mich zu Seida, zur Heißgeliebten meines Herzens!«

Der Freund sagte ihm die Begleitung zu und versicherte ihn seiner Treue, seiner Bereitschaft für jeden Dienst in dieser Sache.

Am frühen Morgen saßen sie schon auf ihren Pferden und nach zwei Tagreisen kamen sie zu dem Orte, wo Seida wohnte. Der junge Liebhaber sprang aus dem Sattel und sprach zu seinem Freunde: »Suche in der Umgebung gastfreundliche Leute, bei denen ich übernachten könnte. Verrate ihnen aber nicht mein Vorhaben. Trachte, nachdem du dies erledigt hast, der Dienerin Seidas zu begegnen und sage ihr, sie möchte ihre Herrin um eine Zusammenkunft mit mir bitten.« Die Dienerin wurde noch genau beschrieben, so daß der diensteifrige Freund sie nicht verkennen konnte. Der Freund machte sich auf die Suche, fand auch wirklich die Dienerin und erklärte ihr nun den ganzen Sachverhalt. Die Dienerin prägte sich alles gut ein und berichtete ihrer Herrin.

Seida war über diese Botschaft sehr glücklich, sie küßte ihre Dienerin und trug ihr folgende Antwort auf: »Eile zu dem, der dich geschickt hat, und sage ihm, das Stelldichein soll schon heute Nacht sein, bei dem und dem Baume und zu der bestimmten Stunde.« Der Freund wieder eilte zu dem Verliebten und überbrachte ihm die Botschaft.

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Zur festgesetzten Stunde waren die beiden Freunde bei dem Baum. Es dauerte nicht lange und Seida stand verschleiert neben ihnen. Kaum hatte der Liebende sie an ihrer Stimme erkannt, die ihm einen süßen Gruß zuflüsterte, so nahm er sie auch gleich in seine Arme und küßte sie mit der ersten Glut des Wiedersehens. »Geliebte, ich ertrug die Zeit nicht ohne dich! Nun mußt du mir auch die ganze Nacht gehören. Aber wie es anstellen, ohne daß dein Gatte etwas merkt?«

»Oh, bei Allah, wenn es dir Freude macht, wird’s nicht an Mitteln fehlen.«

»Sage es, damit wir nicht zögern, es auszuführen!«

»Wenn dein Freund dir treu ergeben ist und es ihm nicht an Geistesgegenwart mangelt, so weiß ich ein Mittel.«

»Du kannst ihm vertrauen, wie ich es tue, und er wird auch so leicht nicht den Kopf verlieren.«

Seida ging nun voraus zu einer abgelegenen Stelle. Hier streifte sie mit flinken Händen ihr Kleid ab und reichte es dem Freunde ihres Liebsten. Ehe alle begriffen, hatten die beiden ihr Kleid gewechselt. Dem so verkleideten Freund gab sie folgende Weisungen: »Geh‘ nun in mein Haus und schlafe dort an meinem Platze. Wenn das erste Drittel der Nacht vorüber ist, wird mein Mann zu dir kommen und von dir den Topf verlangen, in den man die Kamele melkt. Daraufhin überreiche ihm nicht das Gefäß, sondern halte es in deiner Hand, bis er es dir abnimmt. Dann entfernt er sich und kommt bald mit dem gefüllten Topf zurück. Wenn er dir sagt: nimm den Topf, so nimm ihn nicht eher, als bis er dies ein zweites Mal gesagt hat. Er wird dir dann auch helfen, den Topf auf die Erde zu stellen. Steht er auf der Erde und hat mein Mann die Stube verlassen, so trinke ein Drittel davon und stelle ihn wieder auf seinen Platz.«

Der Freund ging fort und prägte sich die Reihenfolge des zu Geschehenden ein. Es schien, als sollte alles schön nach dieser Reihenfolge gehen. Als aber der Mann zum zweiten Male sagte, da ist der Topf, griff der Verkleidete wohl nach ihm, ließ ihn aber gleich wieder los. Dem Manne aber, der sich auf die zugreifende Hilfe verlassen hatte, entglitt der Topf und der lag nun in tausend Scherben zerbrochen auf dem Boden. Der Mann, der nun glaubte, mit seinem Weib zu sprechen, zeterte laut: »Wo hast du denn deinen Verstand gelassen?« Die Reihenfolge war nun empfindlich gestört. Der erboste Mann nahm einen Stock und schlug damit so lange auf sein vermeintliches Weib, bis er zerbrach. Mit einem anderen Stock bekam er noch fünfzig auf den Rücken, bis ihm sein Fleisch dort ganz mürbe vorkam. Es wäre so weitergegangen, aber auf das Geschrei des Mannes kamen die Mutter und die Schwester Seidas herbeigeeilt und entrissen dem Wütenden das besinnungslose Opfer. Sie hatten ihn in einem anderen Gemach in ein bequemes Bett gelegt. Die Mutter saß nun lange an seinem Bettrand und sprach so eindringlich auf ihn ein, daß er meinte, er könne nun nicht länger schweigen und müsse laut aufweinen. Sie tröstete ihn und sprach: »Habe Vertrauen zu Allah und gehorche in allen Stücken deinem Gatten. Er kann jetzt freilich nicht zu dir kommen, denn er ist zu erbost über dein Betragen. Doch will ich dir deine Schwester als Trösterin schicken.«

Mit diesen Worten verließ sie das Gemach. Wirklich schickte sie die Schwester, die auch gleich ins Bett schlüpfte und über Trostworte und Weinen nicht gewahr wurde, wer neben ihr lag. Im langsamen und vorsichtigen Näherrücken merkte er, von welcher Schönheit diese Schwester war, und daß sie alle Vollkommenheiten in sich barg, gleich dem Monde in der Nacht seiner Fülle. Zitternd legte er seine Hand auf ihre Lippen, um sie am Sprechen zu hindern, und flüsterte ihr nun ganz leise ins Ohr: »Erschrick nicht, ich bin nicht die, für die du mich hältst. Deine Schwester ist bei ihrem Geliebten. Ich habe die Gefahren auf mich genommen, um ihr diesen Dienst erweisen zu können. Gib du mir nun die Huld deines Schutzes. Wenn du Verrat üben willst, so stößt du deine Schwester in die gemeine Schande. Ich habe meinen Entschluß, doch alles Elend würdest du zu tragen haben.« Das junge Kind fühlte einen Schauer über sich wehen und sie glaubte, sie stünde in einem Traum. In ihrem eingeschüchterten Herzen bedachte sie die Folgen, die aus der Aufführung ihrer Schwester entstehen könnten. Dann aber bekam ihr kindlicher Übermut die Oberhand, sie fing leise an zu kichern und überließ sich langsam diesem Freunde ihres Hauses, der solcher Aufopferung fähig war. Der Rest der Nacht war Küssen, Umarmungen und selige Freude … Der glückliche Freund ließ seinen von Stockhieben mißhandelten Körper allmählich die Schmerzen vergessen, genoß Umarmungen und süße Liebe bis zum Morgengrauen.

Dann eilte er, seine Gefährten zu treffen. Als Seida sich erkundigte, ob auch alles nach ihrer Weisung abgelaufen sei, antwortete ihr der Freund: »Du hast eine kluge und einsichtige Schwester, frage diese. Sie wird nicht mehr wissen als wir alle nach solch einer Nacht. Wir haben sie verbracht wie du und dein Geliebter und auch uns stieg der Morgen zu rasch auf.«

Sie tauschten die Kleider wieder aus und standen da, wie sie gekommen waren. Erst in seinem männlichen Kleid fand der Freund all die Worte, mit denen er der erstaunten Seida die süßen Einzelheiten seines Erlebnisses schildern konnte.

Die Schelmin

Es lebte einmal ein vornehmer Mann, der hielt sein Weib streng eingeschlossen und ließ sie keinen Mann sehen. Doch die Frau hatte einem Diener den Auftrag gegeben, in ihrem Gemach einen unterirdischen Gang zu graben, und so kam sie zu ihrem Liebhaber, der ein Silberschmied war. In der Folge hatte nun der Gatte Verdacht geschöpft und machte seiner Frau Vorwürfe. Doch seine Frau sagte: »Bei meinem Leben! Nie habe ich solches getan. Sprecht nicht so unüberlegte Dinge!«

Aber heimlich sprach sie bei ihrer nächsten Zusammenkunft zu dem Silberschmied: »Stell‘ dich wie ein Wahnsinniger. Zerrauf‘ dir das Haar und rede Unsinniges! Und die Leute, die du im Bazar triffst, nimm in die Arme und tu so, als ob du sie forttragen wolltest!«

Sagte andern Tages die Frau zu ihrem Gatten: »Mein Leben lang hab ich noch nicht den Marktplatz gesehen. Komm, laß uns dahingehen!«

Und so gingen sie auf den Markt. Hier aber rannte der Silberschmied wie toll auf die Frau zu, nahm sie in seine Arme und legte sie dann auf die Erde. Das Weib schrie nach ihrem Manne: »Wie, duldest du, daß mich ein Mann in seine Arme nimmt?«

Der Gatte erwiderte: »Es ist ein Narr.«

Als des Abends vor dem Gebet der Gatte wieder seinen Verdacht äußerte, kniete die Frau hin, berührte mit dem Kopfe den Boden und sagte: »Bei meinein Leben, ich habe nichts Böses getan! Bloß dieser Narr hat mich in den Armen gehalten.«

So rettete die Schlaue ihr Leben. Der verwirrte Mann schwieg, als er den Schwur gehört hatte.

Solche Schelminnen sind die Frauen.

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Die Prinzessin

Die in Schönheit strahlende Prinzessin öffnete ihren Mund und begann zu erzählen:

O ihr Jünglinge, meine Freunde, wisset, daß ich die Tochter eines Königs bin! Als einziges Kind meines Vaters verschwendete er an mich all seine Zärtlichkeit, die aber für mein Gefolge harte Strenge hieß. Auf meinen Wunsch ließ er im Park einen Palast bauen. In meinen Diensten standen Eunuchen und eine Leibwache. Meine Jugend war ungetrübt, ich wurde verwöhnt, jeder meiner kindlichen Wünsche fand Erfüllung. So führte ich ein heiteres, ungetrübtes Dasein bis zu dem Augenblicke, wo mir der Einfall kam, das öffentliche Bad aufzusuchen. In einer vergoldeten Sänfte, von vier Maultieren getragen und umgeben von meinem Gefolge, machte ich mich auf den Weg dahin. Als wir unterwegs an dem Bazar vorbei mußten, betrachtete ich mit Vergnügen das allgemeine Treiben. An einer Kreuzung gewahrte ich plötzlich in der Gasse der Tuchmacher einen Jüngling, dessen Schönheit die Umgebung erhellte. Kaum traf ihn mein Blick, als ich auch schon der Liebe verfiel. Meine heitere Ruhe war verjagt; schon als man mich, beim Bade angelangt, aus der Sänfte hob, war mein Gesicht von Tränen entstellt. Ich erfand für meine erstaunte Begleitung tausend Vorwände, die meinen Zustand verständlich machen sollten. Endlich drang ich darauf, daß man umkehrte, aber nun ließ ich meine Sänfte nicht mehr von Maultieren tragen, sondern von Sklaven. Diese bekamen noch von mir den Befehl, recht vorsichtig und langsam zu gehen. Für die anderen sollte das Schaukeln der Sänfte der Grund meiner Verstörung sein.

Nun konnte ich ganz aus der Nähe mich an ihm satt sehen. Er war ein noch recht junger Bursche mit flaumigem Bart, schwarzen Locken, die metallisch glänzten. »Niemand, niemand,« so sagte ich mir, »weiß, wie mir zu Mute ist!« Zu Hause angelangt, übermannte mich die Verwirrung, ich war unfähig, meinen Zustand zu verbergen. Meine schweren Seufzer weckten die Besorgnisse meiner Amme.

Als wir wieder einmal allein waren, faßte meine Amme Mut und fragte: »O, mein Liebling, vertraue dich mir an! Seit dem Tage, wo wir nach dem Bade gingen, ist dein Sinn so düster. Du öffnest mir nicht dein Herz, sagst mir nichts über die Ursache deiner Tränen. Beichte mir doch, ich werde in meiner Liebe zu dir sicher ein Mittel finden, das deinen Kummer heilt. Bemühe dich nicht, mir ein Geheimnis vorzuenthalten. Was du mir verschweigst, errate ich doch!«

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Ich erschrak: sie weiß alles. »O, Amme, an jenem Tage sah ich an einer Straßenkreuzung des Bazars einen jungen Tuchweber, dessen Schönheit mein Herz verwandelt hat. Alle meine Anstrengungen, die Heiterkeit meiner Mädchenzeit wieder zu gewinnen, versagen.«

Meine Worte brachten die Amme aus der Fassung, sie kreischte förmlich: »Welche Reden führst du da! Gib acht, daß du nicht mit deinem Geständnis uns alle ins Verderben stürzest! Sobald dein Vater von diesem Vorfall Wind bekommt, wird er uns alle hart bestrafen! Der erste Blick bei so unerfahrenen Menschen, wie ihr es seid, hat gar nichts zu bedeuten. Vergiß nie, daß er nur ein Tuchweber ist, du hingegen aber eine Prinzessin. Gib dich nicht solchen Gefühlen hin, du entheiligst damit nur deine Scham. Wenn tausend Liebhaber dir nahen, welcher unter ihnen wäre würdig, von dir geliebt zu werden!«

Auch nach diesem Tadel, der voll ehrlicher Erregung war, mußte ich unter Schluchzen bekennen: daß meinem aufgeregten Herzen nicht zu helfen sei; daß sie nur ein Mittel zu ersinnen habe, das mich beruhigen könne; fände sie es nicht, so werde der Schmerz mich töten. Stürbe ich nicht daran, daß er nicht in meiner Nähe sei, so gäbe es nichts, meine Ungeduld zu beenden, als mich selbst zu töten. Einer plötzlichen Regung folgend, gab ich ihr mein kostbares Armband. Besser als alle Beweise, die ich hätte vorbringen können, wirkte dies Geschenk.

»Gut, gut, beruhige dich nur, fasse dich, ich werde gleich einen geeigneten Boten finden!« Sie sprang auf und begab sich nun selbst zu dem jungen Tuchweber, weihte ihn ein und gab ihm noch Weisungen auf den Weg.

Der junge Mann befolgte die ihm gegebenen Instruktionen, erhaschte den richtigen Augenblick, in dem er unbemerkt die Parkmauer erklettern konnte und versteckte sich sodann bis zum Anbruch der Nacht. Meine Amme, die mit mir alles anordnete, schickte die Diener schlafen und erst als sie sich an den Türen horchend von der Tiefe der Ruhe überzeugt hatte, holte sie den Jüngling aus seinem Versteck hervor.

Als dieser mein Zimmer betrat, glaubte ich den Mond mit seinen silbernen Strahlen aufgehen zu sehen. Beglückt von seinem Anblick zog ich ihn an mich und bedeckte, aller Scham ledig, sein Antlitz mit Küssen. Ich war allein mit ihm. Es schien mir unwürdig, jede Haltung zu verlieren. Um mich nicht ganz zu vergessen, bot ich ihm Speisen an. Ich nahm einen Apfel, schälte ihn, brach ein Stück ab und spießte es am Ende eines Messers auf. Entzückt von meiner Schönheit und der Anmut meiner Gebärde, überschüttete er mich mit den Versicherungen seiner Ergebenheit: »Wir lieben einander, niemand kann uns je etwas anhaben. Wir wollen niemals voneinander scheiden!«

Nach diesen einfachen Worten überfiel mich der Wunsch nach Zärtlichkeiten von neuem. Und wie in einer Liebkosung führte ich ihm selbst an der Spitze des Messers den Apfel zum Mund. Während ich dies tat, wollte es ein tückischer Zufall, daß mein junger Freund gerade in diesem Augenblick nießen mußte. Er stolperte förmlich in mein scharfes Messer, und dies mit solcher Gewalt, daß seine Gurgel bald durchschnitten war. Das kam für mich ganz rasch und unvermittelt. Erst als er mit einem gurgelnden Seufzer seine Seele entließ, begriff ich. Bei diesem Anblick schrie ich vor Angst auf, zerfleischte mein Gesicht. Meine Amme, aufgeschreckt von dem Lärm, eilte herbei, und als sie die Szene überblickte, jammerte sie: »0 Prinzessin, was hast du da getan!«

Nur stammelnd konnte ich ihr sagen, wie unvermutet uns da das Mißgeschick ereilt hatte. Der blutende Leichnam war so schauerlich anzusehen, die Furcht meiner Amme vor einer strengen Bestrafung durch meinen Vater so groß, daß sie erbleichend hinsank und starb. Ein Gallengefäß war ihr geplatzt. Oh, nun hatte ich zehnfachen Schmerz zu ertragen! Wo Liebe blühen sollte, herrschte jetzt Verzweiflung. Was tun?! Ich entschloß mich, den Kadaver des Jünglings in ein Zimmer zu zerren, von dem ich wußte, daß es nie betreten wurde. Dort versperrte ich vorsichtig die Tür und nahm den Schlüssel an mich. Die Leiche der Amme, die ich nicht von der Stelle gerückt hatte, bot einen so erschütternden Anblick, daß meine Verzweiflung offen ausbrach. Aus meiner Ohnmacht erwachte ich erst, als der Morgen herankam.

Das Gesinde hegte die Meinung, daß der Tod der Amme wie aus heiterem Himmel gekommen war. Man hatte sie hinausgetragen, bestattet, aber der Körper des jungen Mannes, den ich getötet hatte, lag noch immer verborgen. Nach einigen Tagen verbreitete sich der Geruch des verwesenden Kadavers auch in meine Gemächer und ich wußte nicht mehr, wo ich mich aufhalten sollte. Zudem zitterte ich, daß es jemand wagen könnte, nach der Ursache zu fragen. Dann wäre der Zusammenhang aufgerollt worden und ich hätte die ganze Strenge meines Vaters auf mich geladen. In steter Angst lebte ich dahin, in wachsender Ratlosigkeit.

Mein Vater hatte einen schwarzen Sklaven gekauft, der als sehr wohlerzogen galt und der auch bald nur zu seinen Diensten stand. Der Neger versäumte nicht, mich seiner demütigen Ehrerbietung zu versichern. Mein Gefolge liebte es, mit ihm zu lachen und zu plaudern. Eines Tages kam der Neger, als niemand bei mir war. Da ich keinen Rat mehr wußte, wie ich mir helfen sollte, wandte ich mich an ihn und erzählte ihm die Geschichte meines Unglücks.

»0 Frau der Frauen, wisse, daß man sich in der Stadt zusammenrottete, um diesen jungen Mann zu suchen, und daß man schon hundert Leute, die man verdächtigte, auf die Folter spannte! Nun zeigt es sich, daß du ihn ermordet hast. Wenn du es verstehst, dich mit mir gut zu verhalten, so will ich dir helfen und den Leichnam verscharren. Wenn nicht, so werde ich nicht zögern, deinem Vater alles zu verraten!«

Vergeblich warf ich mich ihm zu Füßen, umklammerte flehend seine Knie, bot ihm Geld und Gold. Er nahm alles an, aber am Ende der Rechnung überfiel er mich und raubte mir die Jungfräulichkeit. Noch in der Nacht des gleichen Tages holte er den Leichnam des jungen Mannes und begrub ihn heimlich. Jeden Tag zwang er mich, seinen Wünschen willens zu sein. Den Grimm meines Vaters fürchtend, schloß ich die Lippen, und in dieser Haltung einer Erstarrten, Verstummten beschlief mich dieses Tier. Wo war ein Tod, der mich erlösen konnte?

Eines Abends sammelte sich die Leibwache zu einem Gelage. Jeder nahm seine Geliebte mit, und, um in dem Neger ein Opfer zu haben, das man verspotten könne, lud man auch ihn ein. »Du darfst mit uns halten, nur mußt du dir die Dame deines Herzens mitbringen!«

»Tut nicht so groß! Ihr alle, die ihr euch versammelt habt, seid nichts als Knechte meiner Geliebten!«

Aufgebracht ob dieser Worte, warf man ihm tausend Beleidigungen an den Kopf, er aber soff immer ungebärdiger. Endlich schlich er sich von dem Gelage weg in mein Gemach. Und an meinem Kopfkissen zerrend, zischte es an mein Ohr: »Auf, auf, erhebe dich, sonst werde ich deinen Vater herbeibitten müssen!«

Fürchtend, daß er, berauscht wie er war, seine Drohung ausführen könnte, folgte ich ihm gehorsam. Ich hatte mir aber heimlich ein Betäubungsmittel zugesteckt. Nun nahm ich kühn inmitten der Trunkenen Platz. Ich machte ihnen den Mundschenk, und jedesmal, wenn ich von einem zum andern gehen mußte, goß ich zum Wein das Schlafmittel. Ich ermunterte die Trinker.

Man hatte vorerst seinen Augen nicht getraut, starrte mich an wie eine Erscheinung und sank erst allmählich wieder, getrieben von meiner frechen Art der Anfeuerung, in den Zustand besinnungslosen Rausches. Einen Augenblick solch allgemeiner Auflösung machte ich mir zu Nutze, warf mich auf den Neger, entriß ihm sein Türkenschwert und hieb ihm seinen Kopf ab, mir wohl überlegend, daß ich hier mit dem Verräter beginnen mußte. Dreißig Personen beförderte ich so ins Jenseits, bevor noch die Morgensonne aufging. Wie gewöhnlich lag ich in meiner Schlafstätte, als man die Kadaver wegtrug. Niemand erriet den Urheber dieses Blutbades. Von dem Neger war ich befreit. Ich trauerte nur dem Verlust meiner Jungfräulichkeit nach. Als einige Zeit vergangen war, kam ein Prinz, hielt um meine Hand an und bekam die väterliche Einwilligung. Damals hatte ich eine Dienerin von so seltener Schönheit, daß ich mich nie von ihr trennen konnte. Als die Nacht kam, in der man mich meinem Gatten anvertrauen wollte, zog ich meiner Dienerin das Brautkleid an. Und als mein Gatte sich mir näherte und die Einleitungen immer deutlicher wurden, entschlüpfte ich, mit der Ausrede, mich reinigen zu müssen. Er möge nur einen Augenblick Geduld haben. Ich löschte die Lampe aus und verständigte meine Dienerin. »Eile in die süße Umarmung meines Gatten. Nachdem er dir deine Jungfernschaft geraubt haben wird, erst dann werde ich kommen und das Licht wieder anzünden. Er ist betrunken und wird nichts merken.«

Bevor die Dienerin ging, behelligte sie mich noch mit der Frage, wieso ich eigentlich meine Jungfernschaft verloren hatte. »Durch einen unglücklichen Zufall – Sturz von einer Leiter.« Es schien, als genügte ihr diese Erklärung und sie eilte nun, um das Glück der Umarmung nicht zu verzögern. Ich folgte ihr ganz leise und wartete, aufrecht stehend, am Fußende des Bettes den Augenblick ab …

Es seufzte einer in den Armen des anderen, ich aber blieb ruhig, bis ich meiner Sache gewiß war. Als mein Gatte fest eingeschlafen war, kitzelte ich meine Dienerin am Fuße, zum Zeichen, daß es nun Zeit sei.

»Was willst du von mir?«

»Erhebe dich, damit ich deinen Platz einnehmen kann!«

Aber anstatt zu gehorchen: »Geh, Schamlose, sei still, sonst werde ich meinen Liebsten aufwecken, und er wird dich, statt zu kosen, verprügeln!«

Was tun? Nur der rascheste und kühnste Einfall konnte mir helfen. Ich schlich aus meinem Brautgemach, ging ins Freie, blickte um mich und bemerkte, dem Palaste angebaut, eine Hütte, die ich voll mit ausgetrocknetem dicken Rebholz wußte. Ich setzte den Schuppen in Brand und als die Flammen hoch aufschlugen, schrie ich laut und es eilten gleich von allen Seiten Leute herbei. Ich suchte rasch das Zimmer auf, weckte meinen Gatten, der sogleich nach dem Balkon stürzte. Bald waren beide auf der Terrasse und blickten von hier aus auf das nahe Feuer. Ich trat hinter beide, drängte meine Dienerin an die Rampe und warf sie dann mit einem leichten Stoß in die Flammen. Hernach zerriß ich mir meine Kleider und benahm mich, als wäre ich nun durch diesen Unglücksfall in Verzweiflung geraten. Man beeilte sich jetzt, den Brand zu löschen, damit der Palast nicht in Gefahr komme.

Es gelang auch, die Gefahr abzuwenden. Mein Gemahl konnte mich bald in das Gemach zurückführen und seine Zärtlichkeiten waren nun viel kühner, jetzt, wo er mich über einen Schaden zu trösten hatte.

Um meine Lieblingsdienerin zu ersetzen, brachte man mir am nächsten Morgen eine neue schöne Sklavin.

Endlich hatte ich alle Gefahren besiegt und lebe nun seit sieben Jahren in einer glücklichen Ehe, die mir sieben Kinder brachte.

»Wie auch immer das Vertrauen sei, das dir jemand einzuflößen versteht, verrate ihm nicht die Geheimnisse deines Herzens. Mache niemanden zum Mitwisser deiner Taten, wenn du wirklich den Schutz der Götter genießen willst. Befolge diese Mahnung, sonst wirst du dich bald in nutzlosen Klagen erschöpfen!«

Die Frau des Kaufmanns

In einer gewissen Stadt war ein reicher Kaufmann, der eine hübsche und lüsterne Frau hatte. Einstmals reiste dieser Kaufmann nach einem andern Land, um da einen Handel zu besorgen. Während seiner Abwesenheit besuchte die Frau fremde Gesellschaften und Männer und sang da und tanzte und trieb die Liebe mit vielen, denn in ihr brannte das Feuer mächtig. Nachdem der Kaufmann einige Zeit in der Fremde gewesen, kam er wieder heim in seine Stadt, und da es Nacht war, konnte er nicht in sein Heim kommen. Also nahm er eine Wohnung an einem andern Ort und nachdem er eine Kupplerin hatte rufen lassen, sprach er zu ihr: »Bring‘ mir doch für diese Nacht ein hübsches gefälliges Weib, mit dem ich mir die Zeit vertreiben kann!«

Es fügte sich, daß die Kupplerin zu der Frau des Kaufmannes ging und sagte: »Ein reicher Mann ist aus Balsora gekommen und möchte ein Frauenzimmer für die Nacht; steht auf und geht zu ihm.«

Die Frau putzte sich mit Juwelen und schönen Stoffen, ging zu ihm und erkannte ihren Mann. Sogleich fing sie an zu schreien: »0 ihr Nachbarn, hört meine Beschwerde! Sechs Jahre sind verflossen, seitdem dieser mein Gatte in die Fremde ging; ich habe jeden Tag und jede Nacht auf ihn gewartet; nun ist er zurückgekommen und hat an diesem Ort Wohnung genommen, ohne an mich zu denken. Und hat nach einem Weibe verlangt für seine Lust. Man hat mich aber davon benachrichtigt, und ich bin gekommen. Wollt ihr in dieser Sache mir Recht verschaffen, so ist es gut, sonst will ich zum Kadi gehen und mich von meinem Manne scheiden lassen.«

Die Nachbarn liefen zusammen und stifteten Frieden zwischen dem Kaufmann und seiner Frau.

Der befreite Jüngling

Ein Teuerungsjahr machte die Stadt Koûfa neuerdings zu einer Unglücksstätte. Die Bevölkerung der Stadt hungerte; wer Getreide besaß, konnte für ein Weniges davon alles eintauschen. In Koûfa lebte nun eine Frau, die sich seit jeher mit dem Getreidehandel beschäftigte. Eines Tages kam ein junger Mann zu ihr, um Getreide einzukaufen. Schon als er an der Schwelle ihres Hauses stand und sie ihn vom Fenster aus beobachten konnte, überfiel sie ein Verlangen nach ihm. Als er eintrat, zögerte sie auch nicht lange mit ihrem Antrag und sagte: »Komm‘, junger Mann, mit mir ins Bett, du sollst dafür eine Kamellast Getreide bekommen!«

»Nein, lieber lasse ich mich vom Henker schlagen, als daß ich mit dir unter eine Decke krieche!«

Aber die reiche Frau war mächtig genug, auf ihren Wünschen zu bestehen. »Komm nur in mein Bett, es ist noch immer warm darin. Tust du aber zimperlich und sträubst dich, so werde ich laut schreien, daß die Leute sich hier sammeln: dieser Jüngling hat mich verführen wollen! Man wird es mir glauben, denn meine Nachbarn schätzen meinen Reichtum.«

Der Jüngling, der nun nicht ein und aus wußte, sagte hierauf zu der Frau: »Was soll ich nun tun? Wenn ich dir willfahre, so schlägt mich der Henker – tue ich es nicht, so schlagen mich die Leute und ich komme in einen üblen Ruf!«

Er war völlig ratlos und wußte nicht, was er in dieser Situation unternehmen sollte. Da ging er in eines der Nebenzimmer, wohin ihm auch die Frau folgte. Und laut vor sich herdenkend, sagte er: »Ich werde mir meine Mannbarkeit abschneiden, dann habe ich sie mir vom Halse geschafft.«

»Fange doch gleich an!«

»Ja, aber nicht vor dir, ich gehe in das nächste Zimmer!«

Als der Jüngling ansetzte, um sich seiner Männlichkeit zu berauben, spaltete sich plötzlich die Mauer vor ihm und gab ihm einen freien Ausweg. Draußen standen auch schon zehn Kamele, deren jedes eine Last Getreide trug. An dieser Gabe erkannte er die Macht seines Gottes und den Sinn seines Ausspruches:

Wer Gott fürchtet, dem verschafft er einen Ausweg.

Liebestod

Der edle König Giaffar bevorzugte unter seinen Frauen die schlanke Thîr, das heißt Pfeil, und die dunkeläugige Aph, das heißt Nacht. Er hatte viele Siege erfochten und fruchtbare Gegenden seinem Reiche einverleibt. Er wurde das Vorbild eines reichen und glücklichen Königs. Wie alle aus seinem Geschlecht, war auch er der Jagd leidenschaftlich ergeben. Als er wieder einmal im Walde jagte, zielte er in seinem Übermut auf ein Gazellenpaar, das sich eben der Liebe erfreute. Der Pfeil, den er von der gestrafften Sehne abfliegen ließ, traf auch wirklich den Gazellenleib, der nun im Todeskrampf zuckte.

Giaffar aber hatte einen Pari getroffen, einen Geist, der sich in dieser Gestalt vergnügte. Röchelnd fluchte er dem erschrockenen König: »Weil du es wagtest zu töten, indes ich ganz der Lust hingegeben war, so sollst du, Übermütiger, in der Umarmung deiner Gattin sterben!«

Der Fluch bedrückte den König und er wagte nicht, eine Frau zu berühren. Seine beiden Lieblingsfrauen waren darüber sehr betrübt und sie wußten nicht, wie sie sich die Zurückhaltung ihres Freundes erklären sollten. Als er wieder in das Frauenhaus kam, um mit seinen Freundinnen zu plaudern, führte ihn Thîr in eines der Nebengemächer, dessen Behaglichkeit und Einrichtung der König früher oft gerühmt hatte. Hier wollte sie ihm das Geheimnis seiner Zurückhaltung abschmeicheln. Berauscht von der Anmut des Mädchens und den Erinnerungen, die ihn befielen, schwand sein Glauben an den Fluch und er eilte, mit ganzer Kraft das Glück der Umarmungen zu genießen.

Als Thîr diese Umkehr im Gemüte ihres Freundes sah, jubelte ihr Herz, sie öffnete sich ihm und küßte seine Lippen mit der Glut der aufgesparten Küsse. Eine Weile noch herzte sie – einen Toten, dessen hinsinkende Schwere sie für eine Ohnmacht hielt, welche den lang Entwöhnten bei diesem ersten Ansturm wohl ergreifen mußte. Es war aber der Fluch, der den König erreicht hatte, eben als er sich anschickte, ihn zu vergessen.

Der Sieg

Ein Mann hatte ein junges, außerordentlich schönes Mädchen geheiratet. Am Abend der Hochzeit und in dem Augenblicke, da der Mann sich anschickte, die Ehe zu vollziehen, packte das Weib ein toller Schrecken, so daß es in den benachbarten Garten flüchtete.

Ein Weiser, der ihr Schreien gehört hatte, trat zu ihr und fragte:

»Was geschieht dir?«

Alsbald erzählte das Mädchen in einem Atem, wie ihr Mann sie mit schrecklicher Hitze angegangen habe, um sie unterzukriegen.

»Wie bin ich doch unglücklich!« stöhnte sie. »Nie hat man meiner so gering geachtet … In seinem verliebten Eifer hat mein Mann ganz vergessen, daß ich einer berühmten Familie angehöre, in welcher sich tapfere Krieger befinden.«

Ich muß erwähnen, daß unser Weiser schon seit langem sein Auge auf das Mädchen geworfen hatte. Er versäumte nicht, die Gelegenheit zu packen, um über seinen Rivalen zu siegen, und er sagte:

»Dein Mann hat sich in der Tat abscheulich benommen. Du tatest gut, ihm zu entfliehen, denn die Flucht war der Schande vorzuziehen, daß du in dem Kampfe unterliegest. Wenn deine Familie niederer Art wäre, würde ich dir raten, auf das Schlachtfeld zurückzukehren und deine Niederlage hinzunehmen. Aber deine Familie ist berühmt und du kannst nicht unterliegen, ohne daß solche Schande auch über die großen Krieger komme, von denen du sprachst.«

Währenddem war der Gatte, der seine Ruhe wiedergefunden hatte, herbeigeeilt in höchstem Zorn. Der Weise schlich davon.

Andern Tages, zu der süßen Stunde, wo diejenigen, die einen Garten ihr eigen nennen, sich unter ihrem Lieblingsbaum niederlassen, legte sich die junge Frau auf den Rasen ihres Gartens hin. Die Abwesenheit des Gatten nützend, streckte der Weise den Kopf durch ein Gebüsch und sprach zu der lässig ruhenden Schönen:

»Was ist den Kriegern deiner Familie zu melden? Deine Niederlage?«

»Mein Sieg!« rief die junge Frau. »Aber warum hast du mich nicht darauf aufmerksam gemacht, daß mein Gatte nichts dabei finden würde, mich über ihm zu lassen?«

»Gerade das dir zu sagen, bin ich hergekommen, und dir zu zeigen, wie du dich dabei anstellen mußt …«

»Großen Dank!« sagte die junge Frau, »und möge der Herr dich beschützen.«

Da kam der Gatte, der heimlich aufgepaßt hatte, hinzu und versetzte dem Weisen eine gute Tracht Prügel.

Tod und Leben

Der persische König Feridun sah seine zärtliche und tugendhafte Gemahlin, die schöne Irandate, in seinen Armen verscheiden. Es schien ihm unmöglich, ihren Tod überleben zu können. Drei Tage und drei Nächte hatte er schon, ohne Speise und Schlaf, ohne andere Gesellschaft als seine Verzweiflung, verlebt. Da drang ein indischer Philosoph, der sein Vertrauen besaß, plötzlich in seinen einsamen Aufenthalt und sagte: »König aller Könige, verschmähe nicht, mir einen Augenblick Gehör zu schenken. Meine Absicht ist nicht, deinen Schmerz mit leidigen Trostgründen noch mehr zu reizen, ich komme vielmehr, dir die baldige Rückkehr des Gutes, welches du für verloren achtest, anzukündigen. Ja, in kurzem wird die Königin selbst die Tränen dir abtrocknen, welche du ihr nachweinst: sie wird aufs neue leben zu deinem und unserm Glück … Du erstaunst, aber wisse, ich habe in den Schriften unserer alten Weisen ein Mittel entdeckt, die liebenswürdige Irandate wieder ins Leben zurückzurufen. Es ist ein zuverlässiges Mittel und es scheint ebenso einfach als leicht zu sein. Wir brauchen nur drei wahrhaft glückliche Menschen zu finden und ihre Namen auf Irandates Grabstein zu schreiben. Die Kraft dieser drei Worte wird dir deine erlauchte Gemahlin und den Untertanen ihre Königin und Mutter zurückgeben!«

»Oh,« rief Feridun, »ich will leben, um diese wunderbare Probe abzuwarten. Suche dir selbst die drei Glücklichen, weiser Kulai, deren du bedarfst. Wenn sie mir Irandate wiedergeben, dann bin ich glücklicher, als sie alle zusammen sein können.«

Sogleich ließ Feridun verkünden, wer wahrhaft glücklich sei, hätte sich bei dem Propheten Kulai zu melden, diesem auf seine Fragen Rede und Antwort zu geben, auch ihm den richtiggeschriebenen Namen einzuhändigen; von der schleunigsten Befolgung dieses Befehles hänge nach der Fügung des Himmels Feriduns Leben und Irandates Wiedererweckung ab.

Der Befehl war kaum auf dem großen Platze von Esteckar kundgemacht, so erschien ein junger Mensch, fast atemlos, bei dem indischen Philosophen und sagte trotzig: »Ich heiße Kobad – hier ist mein Name richtig geschrieben – wecke die Königin auf!« Nachdem er wieder etwas mehr zu Odem gekommen war, setzte er hinzu: »Aber tue es womöglich heute noch, denn ich sage dir wohlmeinend, es ist keine Zeit zu verlieren!«

»Warum bist du denn so eilig?« fragte der Philosoph.

»Ich bete die reizende, göttliche Menulen an. Sie ist das vollkommenste Geschöpf, so der Himmel für die Erde schuf, aber darf ich eine Art von Gotteslästerung begehen und bekennen, daß eben diese göttliche Menulen nicht ganz frei von den Launen ist, die man ihrem Geschlecht vorwirft? Gestern verbannte sie mich auf die grausamste Art; heute hat sie mich wieder rufen lassen und ich bin der Glücklichste aller Sterblichen. Wer weiß, ob ich es morgen …«

»Ich verstehe dich,« unterbrach ihn Kulai, »du bist der Glücklichste aller Sterblichen, so lange dich die göttliche Menulen liebt, und sie liebt dich und gibt dich auf, nach den Launen des Wetters. Eine sonderbare Glückseligkeit! Ich für meine Person wollte lieber ein Wechselfieber haben; da sind doch die Anfälle regelmäßig und man weiß, woran man sich zu halten hat. Freimütig gestanden, lieber Kobad, nimm deinen Namen zurück, er taugt nicht zur Wiederbelebung der Königin.«

Einige Tage nachher kam ein Paar Liebender. Sie wurden besser aufgenommen. Zalzer und Balkis hegten seit länger als vier Jahren die gegründetste Hochachtung und die vernünftigste und zärtlichste Liebe für einander. Diese Liebe, der sich beständig neue Hindernisse in den Weg stellten, hatte endlich alle Schwierigkeiten besiegt. Sie kamen soeben vom Altar, wo sie sich für immer miteinander verbunden hatten. Die Schilderung ihres Glückes war so lebhaft und so rührend, daß der Philosoph davon bezaubert zu sein schien. Inzwischen machte er ihnen doch bemerklich, es sei ratsam, ihre noch so frische Glückseligkeit etwas auf die Probe zu stellen. »Die Probe soll weder lang noch kurz sein. Genießt acht Tage hindurch das Vergnügen euch zu sehen und zu besitzen, wohl verstanden: ununterbrochen ohne Zerstreuung, ganz von Menschen und ihrer Gesellschaft abgesondert. Ihr seid euch ja einander genug: zwei recht verliebten Herzen ist die ganze Welt gleichgültig.« Dieser Rat bezauberte die beiden. Sie eilten, alle die Süßigkeiten eines achttägigen Zusammenseins zu genießen. Wie entzückend verfloß der erste Tag! Der zweite war es minder, am dritten langweilten, am vierten zankten und schon am fünften trennten sie sich.

Nach dem jungen Ehepaare ließen zwei Männer, die nach ihrem ziemlich traurigen Aussehen nicht viel versprachen, den Philosophen um einen Augenblick Gehör bitten. Es waren Brüder, der ältere von ihnen nahm das Wort. »Wir sind,« sagte er, »ohne Geburt, ohne Freunde und in der kleinen Stadt, in der wir leben, kaum unseren Nachbarn bekannt, mit einem Wort, wir sind gar nicht glücklich, aber, sofern es dem König beliebt, würden wir es bald und noch mehr sein, als man zur Wiederbelebung der Königin braucht. Es kommt nur darauf an, meinen Bruder zum Vogt in einer nur kleinen Stadt zu ernennen und mir, dessen Neigungen minder hochfliegend und vernünftiger sind, ein kleines Geschenk von zwanzigtausend Goldstücken auszahlen zu lassen.«

»Euer beiderseitiges Verlangen,« antwortete Kulai, »ist sehr tauglich, ich will herzlich gerne mit dem König darüber sprechen. Er wird euch solche Kleinigkeiten nicht abschlagen, nur erlaubt mir eine einzige Bedingung hinzuzusetzen. Es ist vor allem notwendig, daß du mir einen Mann, der zwanzigtausend Goldstücke, meinetwegen auch hunderttausend im Vermögen besitzt – und daß du wieder mir einen Vogt einer kleinen oder auch großen Stadt aufführst, welche beide mit ihrem Schicksal vollkommen zufrieden sind; alsdann soll euch willfahrt werden, denn anstatt dreier Glücklicher, die wir suchten, haben wir hernach vier.«

Die beiden Brüder übernahmen freudig den Auftrag und versprachen, jeder mit einem Kameraden bald wieder zu erscheinen. Aber sie kamen nicht wieder. Sie fanden, wie man sagt, lauter Reiche, die noch reicher, und Stadtvögte, die Vögte über Provinzen werden wollten.

Auf solche Art schaffte sich Kulai eine Menge Träumer vom Halse, die sich durchaus versprachen, recht glücklich zu werden, im Falle sie ein Landgut oder eine Stelle oder einen Titel erhalten könnten. Nach so vielen eitlen und eigennützigen Seelen kam endlich von den Grenzen Persiens ein Mann, der nichts verlangte und auch nichts wünschte. »Ich,« sagte der glückliche Sterbliche, »liebe nichts als das Vergnügen, aber ich liebe es weislich. Um es desto mehr zu genießen, gebe ich ihm Mannigfaltigkeit; ich mäßige es, ja, ich beraube mich desselben sogar bisweilen. Ich bin noch jung, meine Gesundheit ist trefflich, mein Vermögen ansehnlich, hiezu kommt noch, daß ich von einem sanften und fröhlichen Humor bin, daß ich Freunde besitze, die mir nicht zur Last fallen, daß ich eine reizende Geliebte habe, die ich weder zu viel noch zu wenig liebe. Urteile nun selbst, ob ich bei dem allen mich nicht für glücklich zu schätzen Ursache habe?«

»Du hast allerdings Ursache. Ich gestehe dir aufrichtig, an deiner Stelle würde ich den Tod sehr fürchten.«

»Er ist mir sicherlich auch nicht ganz gleichgültig, doch die Güter des Lebens wären zu gering geachtet, fürchtete man nicht, sie zu verlieren.«

»Sehr richtig – aber sind sie denn wahrhafte Güter? Gewähren sie ganz reichen Genuß, sobald diese Furcht ihren Besitz vergällt?!«

»Ich denke an den Tod so wenig wie möglich.«

»In diesem Falle tust du noch besser, gar nicht daran zu denken oder, was nicht schwer sein dürfte, ein Mittel gegen den Tod ausfindig zu machen, alsdann kann ich deinen Namen auf das Grab der Königin schreiben.«

Der Mann der Vergnügungen drehte sich um und versuchte, nicht mehr an den Tod zu denken. Aber selbst dieser Versuch enthielt den Gedanken an den Tod. Er gab sich den Orgien der Liebe hin, um diesen zu verscheuchen, doch die Melancholie des Todes überfiel ihn, so oft er neben sich ein Weib liegen hatte.

Kulai sann nun mit Ernst darauf, seinem tragischen Lustspiele, bei dem er ein Vierteljahr eine ziemlich ermüdende Rolle gespielt hatte, ein Ende zu machen. Er suchte den König auf, dessen Schmerz ihn unterdessen viel umgänglicher machte, so daß sich der Philosoph nicht scheute, ihm den geringen Erfolg seiner Nachforschungen zu entdecken. »Aber,« sagte der Monarch, »was mühen wir uns nach all dem noch mit weiterem Suchen und Fragen! Setze auf das Grab der Königin die Namen deiner zwei Kollegen und den deinigen voraus. Wie stünde es sonst mit dem so reinen Glück, zu welchem der Philosoph durch seine Weisheit zu gelangen trachtet?«

»Ach Monarch! Die Philosophen sind Menschen, sie täuschen sich oft und lügen bisweilen. Was mich anbelangt, so gebe ich mir nun schon seit dreißig Jahren alle Mühe, weise und glücklich zu werden, und doch bin ich leider weder das eine noch das andere.«

»Also, lieber Kulai, wäre niemand glücklich?«

»Weil ich es denn einmal gestehen muß: es ist so. Kein Sterblicher kann es auf dieser Erde werden. Die Heldin, die du beweinst, lernte frühzeitig diese traurige und heilsame Wahrheit einsehen. Sie unterwarf sich mutig den Ratschlüssen des Himmels und verdient sich unstreitig ein besonderes Leben. O König aller Könige, ahme deine erhabene Königin nach und höre endlich einmal auf, über ihr glücklicheres Los zu trauern!«

Feridun wußte, als er alles wohl überlegt hatte, dem Philosophen für seine List und ihren Zweck Dank. Er gab den Plan auf, die Königin wieder aufzuwecken, und tröstete sich, wie man sich gewöhnlich zu trösten pflegt. Zeit, Zerstreuung und neues Ungemach ließen ihn das vorige vergessen.

0031

Die Ungetreue

In der Stadt Danavardan lebte ein Kaufmann, der eine sehr schöne Tochter hatte. Eines Tages kam ein Kaufmann aus einer Stadt, die in der Nachbarschaft lag, nach Danavardan. Er sah das schöne Mädchen, verliebte sich allsogleich in sie, und als er um sie warb, bekam er sie zur Ehefrau. Nach der Hochzeit nahm er sie in seine Heimatstadt mit und er ließ sie, weil er gleich verreisen mußte, in der Obhut seines Vaters zurück.

Als die junge Frau die Freuden der Liebe gekostet hatte, wollte sie nicht gerne darauf verzichten und benutzte die erste Gelegenheit während der Abwesenheit ihres Gatten, sich mit einem Brahmanen in ein zärtliches Verhältnis einzulassen. Nachdem der Gatte seine Geschäfte erledigt hatte, kehrte er heim. Mit den kostbaren Geschenken, die er mitgebracht hat, hoffte er, seine Frau darüber zu trösten, daß er sie nach den kaum begriffenen Genüssen der Liebe in der ersten Nacht der Ehe verlassen mußte. Die junge Frau nahm die Geschenke scheinbar mit großer Freude an, und der Gatte zögerte nun nicht, alles nachzuholen, was nach der ersten Nacht der Ehe versäumt worden war. Als er ermüdet eingeschlafen war, stieg die junge Frau mit ganz leisen Füßen aus dem Bett. Sie rief ihre Amme – ihre Vertraute – und sandte sie zu dem Brahmanen, ihrem heimlichen Geliebten, mit der Botschaft, daß er sie hinter ihrem Hause erwarten möge.

Die Amme führte diesen Auftrag aus, holte den Brahmanen und postierte ihn, wie verabredet war, an der Mauer hinter ihrem Hause. Hernach verständigte sie ihre Herrin, daß der Geliebte nun auf sie warte.

Als die Stadtwache vorbeikam, bemerkte sie an der Mauer den ausspähenden Mann. Aus seinem Benehmen, und weil es schon tiefe Nacht war, glaubten sie an nichts anderes als an einen Räuber und schossen einen Pfeil auf ihn ab. Der Pfeil traf gerade in dem Augenblick, als die Kaufmannsfrau um die Ecke bog und den Geliebten anrief. Da er bewegungslos und aufrecht an die Mauer gelehnt stand, ohne auch nur eines ihres Liebesworte zu beantworten, so glaubte sie, daß der Groll seine Lippen schloß. Um ihn zu versöhnen, überschüttete sie sein Antlitz mit Küssen, bestürmte seine Lippen und glitt bei ihrem heftigen Bemühen mit ihrer Nase gerade in dem Augenblick zwischen seine Zähne, als er diese im unerbittlichen Todeskampf aneinanderpreßte. Das Röcheln eines Sterbenden wurde von den Schmerzensschreien der Frau übertönt. Der Brahmane war von dem Pfeil tödlich getroffen worden und hatte in seinem Todeskampf seiner Geliebten die Nase abgebissen.

Als die Kaufmannsfrau an ihrem blutenden Antlitz die schreckliche Verstümmelung gewahr wurde, wußte sie im ersten Augenblick nicht, wie sie ihrem Gatten die Tatsache dieses Unglückes, ohne selbst in irgend einen Verdacht zu kommen, erklären sollte. Alsbald kehrte sie in das Schlafgemach zurück und entnahm der Tasche ihres Gatten den Beutelschneider und beschmierte ihn mit dem Blute, das aus ihrem Antlitz floß.

Der Vater der Kaufmannsfrau führte Klage vor dem Richter und verlangte Bestrafung für dieses Verbrechen.

Als dem König dieser sonderbare Vorfall zu Ohren kam, ließ er den beschuldigten Gatten zu sich rufen. Er fragte ihn, welche Gründe er wohl angeben könne, die ein so scheußliches Verbrechen erklären. Der Gatte antwortete dem König: »Während ich an der Seite meiner Gattin schlief, schrie diese plötzlich laut auf. Das ist alles, was ich von diesem Vorfall weiß.«

Nun ließ der König die Frau des Kaufmanns kommen und stellte mit ihr ein Verhör an.

»Ich weiß um kein Vergehen gegen meinen Gatten, das ein solches Betragen rechtfertigen könnte.«

Der König, empört über die Tat des Kaufmanns, sprach zu der Versammlung: »Was immer auch ihre Schuld gewesen sein möge, nichts rechtfertigt die rohe Verstümmelung eines so schönen Weibes.«

Der König überwies den Kaufmann den Händen der Henker. Ehe diese aber den Befehl ihres Herrn ausführen konnten, bat die Stadtwache um die Gnade, vor den König gebracht werden zu dürfen. Der Anführer der Wache warf sich vor den Thron nieder und erstattete folgenden Bericht:

»O weiser König! Als wir heute Nacht wie gewöhnlich unseren Gang durch die Stadt machten, beobachteten wir einen Mann, welcher, an der Mauer hinter dem Hause des Kaufmanns postiert, spähend um sich blickte. Die späte Stunde und das sonderbare Benehmen bestärkte in uns den Verdacht, daß wir einen Räuber entdeckt hätten. Wir sandten rasch entschlossen einen Pfeil nach ihm, der ihn auch tödlich traf. In diesem Augenblick kam des Kaufmanns Weib und rief ihn an. Als sie bemerkte, daß er unbeweglich blieb, sprach sie ihn folgendermaßen an: Seid ihr mir böse, weil ich so spät komme? Und sie umarmte und küßte ihn leidenschaftlich, als ob sie ihn versöhnen wollte. Plötzlich hörten wir einen gellenden Aufschrei und die Frau lief wimmernd in ihr Haus zurück. Nicht lange danach hörten wir aus dem Fenster des Kaufmannshauses, wie die Frau über ihren Gatten mit Schelten und Schimpfen herfiel. Wir gingen nun an die Stelle zurück, wo das Unglück geschehen war, um den Leichnam zu untersuchen. Zum Beweise, daß ich die Wahrheit gesprochen, bringe ich dir die abgebissene Nase der Kaufmannsfrau, welche wir in des Räubers Mund gefunden haben.«

Dem König kam diese Lösung ganz unerwartet. Er gab Auftrag, den unschuldigen Kaufmann freizulassen, das junge Weib aber gebunden den Flammen zu übergeben.

0149

Die befrage Wahrheit

In dem Staate Machriq regierte der weise König Nauroûz, so genannt nach dem Feste der Tagundnachtgleiche. Dieser König hatte unter seinem Gesinde einen Mann, der über seinen Kreis hinaus ob seiner Wahrheitsliebe bekannt und geachtet war. Als der König von dieser seiner Eigenschaft erfuhr, ernannte er ihn zum Oberstallmeister. Gleich hatte er auch seine Neider, die natürlich, gemäß dem höheren Rang, in ihren Mitteln, Fallen zu stellen, viel tückischer sein konnten. So war es besonders ein Höfling des Königs, der es auf ihn abgesehen hatte. Dieser Höfling bekannte auch offen seine Absicht, es darauf anzulegen, den wahrheitsliebenden Oberstallmeister in eine Lüge zu verstricken, und ihn soweit zu bringen, daß er eine Unwahrheit sage. Der Höfling hatte eine hübsche und verwegene Tochter, die ihm bei diesem Werke behilflich sein sollte. Eines Nachts nun stand dieses Mädchen länger als sonst vor dem Spiegel, schmückte und putzte sich, bis sie vollkommen dem Bilde einer Verführerin glich. So gerüstet betrat sie die Stube des Oberstallmeisters. Der war sehr erstaunt, einen so schönen Gast bei sich zu haben, und da er sie nicht kannte, glaubte er an einen Irrtum. Sie aber grüßte ihn, nannte ihn bei seinem Namen, und er bat sie nun, ganz in seine Stube eintreten zu wollen. Sie nahm auch gleich neben ihm Platz und begann ihren Angriff. Zuerst war der junge Mann ganz verdutzt, aber das Mädchen sah darüber hinweg, es wurde immer deutlicher, berührte ihn erst und umschlang ihn dann ganz. Dem jungen Manne schwanden die Sinne, doch das Mädchen machte, knapp vor der letzten Erfüllung, halt. Ihr war es im Augenblick genug zu wissen, daß sie den jungen Mann nun in ihre Gewalt bekomme. »Lache mich nicht aus, aber ich habe Verlangen nach einem köstlich zubereiteten Gericht aus Pferdefleisch. Laß uns doch eines der fetten Pferde des Königs schlachten, wir wollen davon essen.«

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Der junge Mann bekam Furcht. »Was wird der König dazu sagen?«

»Was fürchtest du dich! Falls der König nach dem Pferde fragen sollte, so kannst du sagen, es sei krank geworden und du mußtest es schlachten. Vertraut dir der König nicht vollends?«

Das Mädchen bat mit so anmutiger Gebärde, daß der Oberstallmeister nicht widerstehen konnte. Er wollte schon einen Knecht herbeirufen, damit dieser den Auftrag zu schlachten übernehme. Das Mädchen aber kam ihm zuvor und sagte: »Wenn du schon schlachten willst, so schlachte wenigstens den Rappen des Königs!« Bei diesem Ansinnen erschrak der Stallmeister und rief: »Gerade dieses Tier ist dem König ans Herz gewachsen, er liebt es und ich soll es schlachten!« Das Mädchen warf sich ihm an den Hals, bat und beschwor ihn und als alles nichts helfen wollte, verlegte sie sich auf das Mittel zu trotzen. »Wenn du dies Pferd nicht schlachtest, dann will ich niemals mehr etwas von dir wissen!« Diese Drohung nahm dem Stallmeister die letzte Besinnung. Er ließ den Rappen vor den Augen des Mädchens schlachten. Sie briet selber das Herz und aß es. Hernach ging sie wieder in seine Stube und verweilte dort längere Zeit.

In der Klarheit des Morgens übersah der Oberstallmeister erst, was er da angerichtet hatte. Seine Achtung vor der Wahrheit war so groß, sein Gewissen so peinlich, daß er die Gewohnheit angenommen hatte, bei schwierigen Fällen laut mit sich zu verhandeln, damit nicht auch nur der Schein einer Lüge hindurchschlüpfen könne. Nach dieser Methode disputierte er auch jetzt. »Wenn nun wirklich heute der König zu mir sprechen wollte: Bring mir den Rappen, ich will auf ihm ausreiten! – was dann? Sage ich ihm eine Lüge, so bringt diese nichts Gutes; sage ich ihm die Wahrheit, so gefällt diese ihm sicherlich nicht. Dann gibt er Befehl, mich zu töten! Freilich ist es besser, ich sterbe, weil ich die Wahrheit gesagt habe, als ich verdanke mein Leben einer Lüge!«

Um nun noch besser die Stimme seines Gewissens zu hören, ging er in ein anderes Zimmer, legte seine Mütze auf eine erhöhte Stelle und sagte: »Das soll nun der König sein!« Dann ging er aus dem Zimmer und kam wieder herein. Nach seiner Gewohnheit grüßte er den König und erwiderte selbst diesen Gruß. Dann sprach er, als wäre er der König: »Wohlan, sattle mir meinen Rappen, ich will auf ihm heute zur Jagd ausreiten.«

Er selbst erwiderte darauf: »O König, diese Nacht hat der Rappe sein Futter nicht gefressen; als es Mitternacht war, fiel er um und starb. Ich wußte kein Mittel, das ihm noch hätte helfen können.«

Weiter sprach er, als wäre er der König: »Heda, was willst du mir da einreden. Gestern war der Rappe noch ganz gesund, und heute soll gerade er gestorben sein! Gestehe lieber, du hast ihn geschlachtet! Du willst es leugnen – erschlagt den frechen Lügner!« Diese Rede behagte dem Oberstallmeister gar nicht. Er sprach zu sich, indem er der Mütze den Rücken kehrte: »Diesmal will ich die Wahrheit sagen!«

Wieder ging er hinaus, kam von neuem herein, grüßte und erwiderte selbst den Gruß. Darauf sprach er, als ob er der König wäre: »Geh und sattle mir den Rappen, ich will heute auf ihm spazierenreiten.«

Er erwiderte: »O König, heute Nacht ist mir etwas Besonderes begegnet: ich saß in meinem Zimmer, da trat plötzlich ein so hübsches und gutgekleidetes Mädchen zu mir herein, daß der Mond neben ihr verblassen mußte. Sie kam, setzte sich an meine Seite, warf sich an meinen Hals und verlangte schließlich das Herz des königlichen Rappens. Ich sprach: ich will dir ein anderes schlachten. Das Mädchen bestand aber auf dem Rappen. O König, ich kann dir nur die Wahrheit gestehen. Was war mir da der Rappe; hätte das Mädchen mein Leben verlangt, ich hätte es ihr willig gegeben. Wisse denn, ich habe ihr diese Nacht den Rappen geschlachtet. Zögere nicht, hier ist mein Kopf und dort dein Schwert!«

Diese Rede tat dem Gewissen des Stallmeisters wohl. Er sprach, als wäre er der König: »Du hast die Wahrheit gesagt; wäre ich an deiner Stelle gewesen, ich würde auch manche Dummheit begangen haben. Dafür aber, daß du die Wahrheit gesprochen hast, bekommst du ein Ehrenkleid!«

Bei dieser Rede blieb der Stallmeister und er lernte sie auswendig. Während er nachdachte, kamen auch schon Abgesandte des Königs, um ihn vor diesen zu bringen. Und wirklich sprach ihn der König an: »Bring mir den Rappen, ich will heute auf ihm spazierenreiten.«

Der Oberstallmeister murmelte rasch ein Gebet vor sich hin und sprach dann: »O König, diese Nacht hatte ich eine besondere Begegnung: ich saß in meinem Zimmer, plötzlich stand ein so hübsches und wohlgekleidetes Mädchen vor mir, daß der Glanz des Mondes vor dieser Schönheit hätte erblassen müssen. Dieses Mädchen setzte sich an meine Seite, schmiegte sich an mich und verlangte von mir das Herz des königlichen Rappens. Ich sprach: ich will ein anderes Pferd schlachten. Aber sie bestand auf dem Rappen. Wie ich sie auch beschwor und meine Treue zum König anführte – sie bestand darauf. Gerade das Fleisch des Rappens will ich verspeisen. Ihr Bitten und Beschwören war mit so viel Anmut ausgesprochen, daß, hätte sie mein Leben verlangt, ich nicht gezögert hätte, es ihr zu geben. Ich verlor meinen klaren Kopf; das Herz des Mädchens zu betrüben war ich nicht imstande. So ließ ich mich von dem Mädchen berücken, um mir ihre Zuneigung und ihr Wohlwollen zu erhalten. Ich schlachtete den Rappen, das Mädchen briet dessen Herz und aß es. O König, schlage den Kopf des Sünders ab, dort ist dein Schwert.«

Diese Rede gefiel dem König und es kam so, wie es sich der Stallmeister vorgespielt hatte: er bekam ein Ehrenkleid. Das Mädchen des Höflings bekam der Oberstallmeister von seinem König zur Frau.

Der Aufrichtigkeit und Wahrheitsliebe hatte es der Oberstallmeister zu verdanken, daß er auch weiterhin in der Gunst und Gnade des Königs stand. Aus dieser Zeit rührt das Sprichwort her: Wenn du niemanden findest, der dir raten kann, so lege deine Mütze vor dich hin und frage diese um Rat.