Einleitung

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Eine Legende läßt die Geburt der persischen Lyrik – Wort, Rhythmus und Reim – aus dem Echo entstehen, das zum Anlaß die Worte der Liebe hat, welche der König Behram Gor seiner Geliebten Dil Aram und diese ihm auf die Lippen flüstert in der Umarmung. Singt die afghanische Lyrik die tolle Freude des Besitzes der Geliebten, sehnt sich die arabische nach der fernen Geliebten, so ist es der Charakter der persischen Liebeslyrik, zu verweilen, zu kontemplieren, in Ruhe zu genießen, sich zu wiegen. Das »Italienisch des Orients« hat man das süßklingende, sonore Persisch genannt, dessen Gedicht eine anmutig träumende Karesse ist. Es vermeidet, Gegensätzliches aufzurufen, so sehr, daß der Gegensatz sogar dem persischen Theater fehlt: es ist ganz lyrisch und bar jeden dramatischen Interesses. Nur auf solchem kontemplativen Boden konnte die mystische Dichtung der Sufis möglich werden. Die Gefahr aber solchen Verhaltens hat die persische Lyrik nicht vermeiden können: sie wurde konventionell und weist nach dem 14. Jahrhundert keine Namen mehr auf, nachdem sie Firdusi, Omar den Teppichweber, Amic, Ferid-ud-din Attar, Saâdi, Hafis und Djami in den Tempel ihres unvergänglichen Ruhmes gestellt hat.

Nach diesen großen Lyrikern begann die Zeit der Geschichtenerzähler – wie auch in den europäischen Literaturen, der provenzalischen, italienischen, deutschen, auf das große Zeitalter der Heldengesänge und Troubadours die noch währende Zeit des Romanes, der Novelle, des Schwankes folgt, des kunstlos Geplauschten für eine hörlustige und anekdotensüchtige Menge.

Gelehrte Arbeit hat sich bemüht, jedem Sprachstamme sein ihm eigenes Gut an Erzähltem, Fabuliertem zuzuschreiben: Es ist aber auf jedes Sprachvolk nur wenig Originales gekommen, verglichen mit der Fülle des Gemeinsamen, das aus einem Borne geschöpft ist, den die einen in Indien, die andern wo anders feststellen zu können glauben. Aber es liegt wohl nahe, jedem Sprachvolke die eigene Findung des auf der Straße des Lebens Liegenden so zuzutrauen, wie es den Inhalt dieser Geschichtchen bildet, von denen manche später aus ihrem anonymen Dasein in das benamte einer künstlerischen Fassung und in den Ruhm treten, wie wir es bei zahlreichen deutschen Schwänken, mehr noch bei den italienischen Novellieri erleben. Das auf der Gasse Liegende: es sind die ins Tragische oder lieber noch ins Komische sich pointierenden Wechselfälle des Liebeslebens. Die Figuren sind zu Typen gesteigert: Der schlaue junge Verführer, der oder die übertölpelte Alte, welche sich mehr zutrauen, als ihnen Natur noch erlaubt, das betörte junge Weibchen, das dafür bestrafte oder das lachende Weibchen.

Es entspricht nur der außerordentlich hohen Gefühlsspannung, wie sie sich im Lyrischen der persischen Dichtung äußert, daß ihr in der Prosaerzählung die Reversseite drastisch nebengesetzt wird: Das Unzulängliche, das Versagende, das Lächerliche, das Komische. Und wird dort ein Platonismus des Gefühls übersteigert, so hier ein Realismus der Sinne. Doch immer nur zu heiteren, zu komischen Effekten: die Zuhörer sollen lachen, nicht grinsen. Das Obszöne in allen seinen Schattierungen liegt dem Erzähler so fern wie seinen Zuhörern. Der Erzähler zwinkert nicht mit den Augen. Er sagt nichts, was er nicht sagte. Es gibt keine Zweideutigkeit. Dafür ist ihm die Sache selbst, die Liebe, zu seriös, zu heilig – und gerade deshalb erzählt er das, was Toren oder Spitzbuben diesem Heiligen antun und erzählt es als komische Glosse, wie zu einem pathetischen Text.

Die Sitten und Bräuche der Liebe, die in diesen Geschichten zum Niederschlag kommen, sind in ihren mann-weiblichen Bestimmungen von denen des Europäers nicht wesentlich verschieden. Bemerkbar ist dazu nur dieses, daß die orientalische Geliebte zwölf Jahre zählt. Und daß sie darum nicht jene sentimentalische Überbelastung besitzen kann, die ihre europäische Schwester im Guten wie im Schlimmen darum auszeichnet, weil sie meist, wenn überhaupt, die Liebe des Mannes um einige Jahre zu spät kennen lernt, oft um viele Jahre zu spät, und dann auch oft nicht die Liebe, sondern irgendwelche Reste davon, welche sich der freier lebende europäische Jüngling dafür gerade noch gerettet hat.

Was die Texte selber anlangt, bildeten getreue englische, französische und italienische Übertragungen die Vorlagen. Bis auf die leicht erkennbaren drei kurzen Lehr-Erzählungen Saâdis ist das hier Wiedergegebene ohne eigentliche Verfassernamen. Es ist Weitererzähltes seit Jahrhunderten, zuweilen Niedergeschriebenes, nicht eigentlich Verfaßtes.

Franz Blei

Die Vergeltung

In Persien gab es einen Vornehmen, der viel Geld und ein großes Gut besaß. Bei ihm übernachtete einmal ein Kaufmann, der aus der Fremde kam. Für den Abend ließ der Vornehme ein prächtiges Essen auftragen. Sie setzten sich beide an den Tisch und aßen. Als der Kaufmann nach einem dunklen Winkel des Raumes blickte, bemerkte er dort eine wunderschöne Frau, die mit einem Hund aus einer Schüssel aß. Als der Kaufmann dies sah, war er sehr erstaunt und befragte seinen Gastgeber: »Was hat das zu bedeuten?«

Da wurde der Vornehme sehr traurig und meinte, er werde kaum die Worte finden, die ihn darüber aufklären könnten. Aber der Kaufmann bat, und so entschloß sich denn der Vornehme und erzählte:

»Die du so erniedrigt hier siehst, war meine Frau. Ich liebte sie mehr als mein Leben; all mein Geld und Gut stand ihr zur Verfügung. Ich besaß einen Negersklaven, mit dem sie mich betrog. Um nun ganz nach ihrem Wunsch leben zu können, ungehindert, beschlossen sie, mich beiseitezuschaffen.

Eines Tages sprach sie mich an: »Du bist so traurig und ich möchte mit dir allein sein. Nur mit dir!« Sie führte mich an einen einsamen Ort, wo sie ein Zelt hatte aufschlagen lassen. Plötzlich sprang aus dem Busch der Neger und dies war auch für meine Frau das Zeichen, nun mit ihm gemeinsam über mich herzufallen. Sie versuchten, mich zu ermorden. Da sprang dieses mein Hündchen, das mir wohl nachgefolgt war, von hinten auf den Schwarzen und verbiß sich in seine Waden. Dadurch bekam ich freie Hand und griff nach meiner Frau. Da sie mir entschlüpfte, erschlug ich den Sklaven. Als ich über sie Gericht halten wollte, fiel sie mir zu Füßen und erfaßte flehend meine Hand. Ich wollte nicht Vollzieher einer Tat sein, die zu tun nur Gott allein zustand. Zur Vergeltung ihrer Treulosigkeit muß sie nun mit diesem Hündchen essen, das mir damals zu Hilfe kam.«

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Der Traum des Pagen

Ein König hatte eine Tochter von ganz seltener Schönheit. Die Langweile des Dahinlebens war so unerträglich, daß sich das arme Kind in einen Pagen ihres Vaters verliebte. Diese Liebe in ihr wurde nun so eigensinnig, daß sie stets seufzen mußte, daß sie weder aß, noch trank, noch schlief. Das nahm sie so her, daß sie für eine Prinzessin zu blaß wurde. Die Amme wurde bei diesem Verhalten ihres Zöglings ungeduldig und fragte sie endlich geradezu: »Was ist mit dir geschehen? Bist du krank oder hast du einen Kummer? Sei offen zu mir, denn ich bin die einzige, die dir helfen kann.«

Da gestand sie ihre Liebe zu dem Pagen. Die Amme mußte lachen, sie streichelte zärtlich das kleine eingeschüchterte Mädchen, das es nicht gewagt hatte, ihre Liebe zu gestehen. »Mein Gott, wenn es nichts weiter ist! Warum hast du mir das nicht gleich gesagt? Du hättest dir viel Schmerz erspart und wärst früher zu manchen Freuden gekommen!« Im Nu hatte die Amme ein Zimmer der Prinzessin in ein Liebesnest verwandelt. Zur Mittagszeit ging die Amme in das Haus des Pagen. Als sie kam, lag er gerade auf einem Sofa und schlief. Diesen Augenblick benützte nun die Amme und hielt ihm ein betäubendes Mittel unter die Nase. Dann trug sie den Bewußtlosen über geheime Gänge zu dem Gemach der Prinzessin. Dort legte sie ihn auf ein Polster nieder, brachte etwas scharfen Essig herbei und hielt ihm das unter die Nase. Der Page mußte nießen, und als er sich dabei aufrecht setzte, bemerkte er sich auf seidenen Polstern und Tüchern gelagert, war aber noch mehr erstaunt, als er neben sich ein Wesen sah, das seiner Prinzessin aufs Haar glich.

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Um nun ganz an ein wunderbares Ereignis glauben zu können, verliebte er sich in das junge Mädchen. Noch völlig benommen, sprach er: »Bin ich vielleicht gestorben und inmitten des Paradieses?«

»Genieße die Frucht und frage nicht nach dem Garten!«

Er zögerte noch, aber die Liebkosungen waren so zärtlich und nahmen bald so zu, daß er in ihnen wie in einem Meer versank. So ging es die Nacht bis zum Morgen. Erst der Schlaf, so friedlich eines neben dem anderen, gab das Bild völliger Unschuld.

Die tatkräftige Amme ließ sich aber von dem Bild nicht rühren, sie hielt das betäubende Mittel neuerlich unter die Nase des Pagen und trug ihn über geheime Gänge wieder dorthin, wo sie ihn gefunden hatte. Alsbald erwachte der Page und sah, daß er auf seinem eigenen Kissen lag und weder in der Kemenate war, noch die Prinzessin vor sich hatte. Er rieb sich die Augen und sprach: »Ach, ich habe wohl geträumt!«

Nur die Prinzessin war sicher, daß sie – nicht geträumt hatte, denn ihr Unbehagen war einem süßen Kräftegefühl ihres Körpers gewichen.

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Die unbesiegbare Prinzessin

Es lebte einmal, so erzählt man, eine Prinzessin von wundervoller Schönheit und solcher Geschicklichkeit zu Pferde und in der Führung der Waffen, daß kein Mann ihrer Zeit mit ihr darin verglichen werden konnte. Viele Fürsten hatten schon um sie geworben und bekamen immer zur Antwort, daß sie sich im Felde ihr zum Kampfe stellen müßten. Denn solches war ihr Wille: »Der wird mein Gemahl sein, der mich im Zweikampf besiegt. Besiege aber ich ihn, so nehme ich ihm Waffen, Pferde und Rüstung und lasse ihm meinen Namen mit einem glühenden Eisen in die Stirne brennen.« Diese harten Bedingungen hielten manche doch nicht zurück, die von weither kamen, aber die Prinzessin besiegte sie alle, nahm ihnen die Waffen und zeichnete sie selber mit dem Eisen auf die rauchende Stirne.

Da hörte der Sohn des persischen Königs von ihr und schickte sich an, die weite Reise zu machen und nahm große Reichtümer mit. Er kam in die Stadt, in der der Vater der Prinzessin regierte, brachte seine Schätze an einen sicheren Ort und stellte sich am nächsten Tage dem Könige mit kostbaren Geschenken vor. Der empfing ihn sehr gütig und versicherte ihm, wie glücklich er wäre, wenn er siegte. Daraufhin bereitete sich der Prinz zum Kampfe gegen die schöne Prinzessin und bat um die Angabe der Stunde. Die Prinzessin war einverstanden und bestimmte die Zeit. Sofort verbreitete sich die Kunde durch die ganze Stadt und zur festgesetzten Zeit war eine große Menge dort versammelt, wo der Kampf vor sich gehen sollte.

Die Prinzessin erschien vom Kopf bis zu den Füßen gewappnet und trug einen Gürtel und eine Maske. Gleich darauf erschien der Prinz in einer schönen Rüstung. Sie grüßten einander auf kriegerische Weise und begannen den Kampf. Er dauerte lange und war heftig. Kraft und Geschick taten ihr Werk, und die Prinzessin erkannte bald, daß sie den Vorsichtigsten der Vorsichtigen zum Gegner hatte, denn noch nie hatte sie eine solche Ausdauer gefunden. Der Prinz war ihr wirklich überlegen und sie befürchtete ihre Niederlage. Da nahm sie ihre Zuflucht zur Schlauheit und tat ihre Maske vom Gesicht. Sobald der Prinz ihr wundervolles Antlitz sah, war er von dessen Reizen so geblendet, daß er seiner Kraft vergaß und nicht mehr an den Kampf dachte.

Die Prinzessin bemerkte den Eindruck, den sie auf den Prinzen machte, nutzte den Augenblick, rannte ihn mit dem Speer an und hob ihn aus dem Sattel. Und wie der Blitz stellte sie ihm ihren Fuß auf die Brust.

Der Prinz aber hörte nicht auf, sie zu bewundern und achtete gar nicht auf das, was ihm geschah. Die Prinzessin nahm ihm Pferd und Waffen und Rüstung, aber ihm das Zeichen auf die Stirn zu brennen, dazu konnte sie sich nicht entschließen. Sie hieß ihn einfach das Kampffeld verlassen. Da erst kamen ihm seine Sinne wieder und er erkannte, was er verloren hatte. Vor Kummer konnte er weder essen noch trinken, so sehr war ihm die Liebe zur Prinzessin ins Herz gedrungen. Er verabschiedete sein Gefolge und schrieb seinem Vater, daß er nicht eher heimkehren wolle, er hätte denn sein Ziel erreicht. Und wenn er es nicht erreichen sollte, so sei er entschlossen zu sterben. Dieser Brief machte den Vater ganz verzweifelt und er nahm sich vor, seinem Sohn zu Hilfe zu kommen, ein Heer auszurüsten, um die Prinzessin zu entführen. Seine Berater rieten ihm davon ab, und so übergab er Gott das Schicksal seines Sohnes. Der Prinz aber dachte sich einen Plan aus. Er legte Bauernkleider an, stellte sich dann dem Obergärtner der Königin vor und sagte, er wäre ein vorzüglicher Gärtner, der sich besonders auf Rosen und Tulpen verstünde. Der Obergärtner nahm ihn in Dienst und bald hatte der Prinz erfahren, daß die Prinzessin oft des Abends mit den Frauen ihres Gefolges die Kühle ihrer Gärten aufsuchte.

Der Prinz verstand wirklich viel von der Gartenkunst, und da er so geschickt war, gewann er das Vertrauen seines Vorgesetzten, der ihm hundert Sklaven unterstellte, die dem neuen Gärtner vollen Gehorsam zu leisten hatten.

Ein paar Tage darauf kam eine Menge Sklavinnen in den Garten, die Teppiche und kostbare Gefäße trugen. Als der Prinz sie nach der Ursache aller ihrer Vorbereitungen fragte, erfuhr er, daß am Abend die Prinzessin in den Garten kommen würde, um sich zu zerstreuen. Sofort eilte der Prinz an den Ort, wo er seine Schätze und Kostbarkeiten vergraben hatte, brachte einige Kassetten mit herrlichen Steinen und befahl seinen Sklaven, sich zurückzuziehen.

Er selber versteckte sich in einer Laube. Bald darauf erschien die Prinzessin inmitten ihres Gefolges wie der Mond unter den Sternen. Erst liefen die Frauen lachend und scherzend durch den Garten und kamen so an die Stelle, wo sich der Prinz versteckt hielt. Er hatte alle seine edlen Steine ausgebreitet und saß bescheiden daneben. Die Frauen fragten ihn erstaunt, was er da täte. Er antwortete, daß er ein Gärtner des Palastes wäre und daß er beim Graben diesen Schatz entdeckt habe. Darauf trat die Prinzessin, die ihn in der gewöhnlichen Kleidung nicht erkannte, näher und bewunderte verständnisvoll die Steine. Sie fragte ihn, was er denn könne, und er erwiderte, daß er stark und geschickt im Zweikampf wäre, und wenn eine der Damen mit ihm kämpfen wolle, so gebe er den Schatz um einen Kuß. Die Prinzessin, die gerne scherzte, lachte laut und bezeichnete eine der weniger schönen unter ihren Begleiterinnen und sagte: »Ich gebe dir diese da als Gegnerin.«

Die Prinzessin hatte alle ihre Frauen zum Zweikampf abgerichtet. Nachdem nun die beiden Gegner die hinderlichsten Kleidungsstücke abgelegt hatten, kämpften sie miteinander und der Prinz bezwang die Dame und gab ihr sofort einen Kuß auf die Wange. Die Besiegte stand beschämt und seufzend auf und sagte ihren Freundinnen Dinge ins Ohr, daß diese erröteten und lachen mußten. Darauf bezeichnete die Prinzessin eine andere Schöne und sagte zu dem falschen Gärtner: »Kämpfe nun mit dieser.« »Gerne, gnädige Frau,« entgegnete er, »aber diesmal muß der Einsatz ein Kuß auf den Mund sein.«

Die Dame willigte ein, wurde besiegt und bekam den Kuß, der so lange dauerte, daß die Prinzessin ihm Einhalt befehlen mußte. Mit zitternden Lippen und bebendem Busen trat die Besiegte zu ihren Gefährtinnen, und der Gärtner war nicht minder erregt als sie. Da befahl die Prinzessin einer dritten, noch schöneren Dame, sich zum Kampf zu bereiten. Diesmal war die Bedingung ein Kuß auf den Busen. Wiederum siegte der Prinz. Und er konnte sich vor Erregung nicht mehr beherrschen und riß sich alle Kleider vom Leibe, die ihn hinderten, als sich nun die Prinzessin selber zum Kampfe stellte.

»Und was ist der Einsatz?« fragte der Prinz. »Mein Leben gegen das deine!« schrie die Prinzessin auf.

Nach einem harten Kampf ließ der Prinz die Prinzessin nach rückwärts gleiten und fiel auf sie nieder und drückte seinen Mund auf den ihren. Nun hatte die Prinzessin ihren Gegner aus dem Turnier erkannt und, ohne sich auch nur leise zu wehren, empfing sie die brennende Liebe ihres Besiegers, in derselben Stellung, in die sie hingestürzt waren.

Als sie sich zitternd vor Scham, Liebe und Freude erhoben hatte, sprach sie zum Prinzen: »Ich will meine Niederlage nicht öffentlich bekennen. Du hast gesiegt und ich gehöre dir. Entführe mich noch heute Nacht zu dir, denn ich liebe dich.«

Der Prinz warf sich vor ihr nieder und küßte ihre Füße. In derselben Nacht bestiegen sie schnelle Pferde und eilten nach Persien, wo sie glücklich ankamen. Dem Vater der Prinzessin sandten sie sofort Nachricht und luden ihn zur Hochzeit, welche die beiden zu einem glücklichen Paar vereinte.

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Das Weib auf dem Elefanten

Einstmals sah ein Mann von ungefähr in der Einöde einen Elefanten mit einer Sänfte auf dem Rücken. Voller Angst kletterte er auf einen Baum. Der Zufall wollte es aber, daß der Elefant unter denselben Baum kam, die Sänfte von seinem Rücken schüttelte und dann weitertrabte, um zu grasen. Plötzlich entdeckte der Mann ein schönes Weib in der Sänfte, stieg eilends vom Baum herunter und war festen Sinnes, sie in Liebe zu umarmen.

Da er aber auch ihr wohlgefällig war, fing sie solche Worte mit ihm zu reden an, die auf dies Ziel hindeuteten. Und beide überließen sich alsbald süßen Tändeleien. Als sie zu Ende gekommen waren, zog die Frau einen Strick aus ihrem Gewande, der war voller Knoten, denen sie nun noch einen hinzufügte. Der Mann begehrte zu wissen, was das für ein Strick sei und wie es zugehe, daß er so viele Knoten habe und um welches Zweckes willen sie all diesen noch einen neuen Knoten hinzufüge?

Sprach das Weib aber:

»Mein Gatte ist ein Zauberer, der sich in einen Elefanten verwandelt hat, und läuft mit mir auf dem Rücken durch Einöden und Wüsten, um sich vor meinen Listen zu behüten. Und trotzdem er mich also scharf bewacht, hatte ich bislang doch schon hundert Männer in Liebe umfangen, deren Andenken ich mir dadurch bewahre, daß ich Knoten in diesen Strick knüpfe. Und heute ist um dieser Liebkosung willen die Zahl der Knoten bis auf hundertundeinen angewachsen!«

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Der Papagei

In Persien hatte ein Kaufmann eine sehr schöne Frau, die ihren Gatten mit einem jungen Manne betrog. Der Kaufmann besaß einen Papagei, den er sehr liebte, weil er die menschliche Sprache verstand und er oft mit ihm die Zeit lustig verplaudern konnte. Eines Tages hielt ihn sein Geschäft die ganze Nacht vom Hause fern. Diese Gelegenheit benutzte die Kaufmannsfrau, um ihren Geliebten zu sich zu bestellen. Dieser ließ es sich im ehelichen Bette gar wohl sein, und die Zärtlichkeiten der Liebenden hatten sich noch nicht erschöpft, als die ersten Vogelstimmen den Anbruch des Morgens verkündeten. Zur rechten Zeit verabschiedete sich der junge Mann. Der Kaufmann kehrte mit heiterem Gemüt zurück, denn er hatte sein Geschäft gut erledigt. Da sprach ihn der Papagei an: »Die vergangene Nacht war in deinem Ehebette ein anderer Mann, der aber dasselbe tat, was du sonst mit deiner Frau zu tun pflegst!«

Als der Kaufmann dies von dem Papagei hörte, wurde er sehr aufgebracht und schalt mit seiner Frau. Sie aber erhob ein Klage- und Wehgeschrei und beteuerte: »Gott bewahre! Der Papagei ist ein Verleumder, er lügt!« Mit tausend Ränken und Kniffen verstand sie es, den Kaufmann von ihrer Unschuld zu überzeugen. Der Papagei wurde von ihr als grober Lügner hingestellt, sich selbst aber pries sie als wahrhaft und treu.

Nun hielt wieder einmal ein Geschäft den Gatten vom Hause ab. Die Frau ließ sogleich ihren Geliebten kommen und sie wiederholten die Liebesspiele, die ihnen schon einmal soviel Vergnügen bereitet hatten. Die Ehebrecherin fand Gelegenheit, ihrem Geliebten von dem Verrat des Papageis zu berichten. Dieser entsetzte sich bei dem Gedanken, daß sie nun beide der öffentlichen Schande preisgegeben werden könnten. Sie aber beruhigte ihn: »Meine List wird doch mit einem Papagei fertig werden, wenn er auch noch so gut zu reden versteht.« Alsdann ließ sie ihre Sklavinnen ein Haarsieb, einen irdenen Topf, ein wenig Wasser und eine Ochsenhaut herbeibringen. Die Haut legte sie über den Bauer des Papageis, auf welche die eine Sklavin von Zeit zu Zeit mit einem Stock einschlug, während eine andere in dem irdenen Topfe eine Flamme anfachte, den Bauer öffnete, die Flamme leuchten und aufflackern ließ und bald darauf den Bauer wieder schloß. Eine Dritte endlich mußte durch das Haarsieb den Papagei mit Wasser besprengen. Nachdem der arme Vogel auf diese Weise bearbeitet worden war, ließ sich die Frau weiter nicht mehr abhalten, die Zeit bis zum Morgen noch redlich auszunützen. Zur rechten Zeit ging der junge Mann fort, und der Gatte kehrte wieder nach Hause zurück.

Der Papagei erstattete abermals Bericht und sagte: »Auch diese vergangene Nacht hat deine Gattin bis zum Morgen den jungen Mann bei sich liegen gehabt. Aber ich konnte die beiden nicht beobachten, weil es geregnet, geblitzt und gedonnert hatte und ich meinen Kopf bei diesem Unwetter unter meinen Flügeln stecken lassen mußte.«

Triumphierend wandte sich die Gattin an ihren Mann: »Nun glaubst du mir doch, daß der Papagei lügt. Heute Nacht haben die Sterne geleuchtet, es hat weder geregnet, noch geblitzt, noch gedonnert.« Der Kaufmann mußte ihr Recht geben.

»Siehst du nun ein, daß dein Papagei sich Lügen erfindet?«

Durch diese List gelang es der verschmitzten Kaufmannsfrau, ihren Gatten von ihrer gänzlichen Unschuld zu überzeugen. Der Vogel kränkte sich sehr, daß er das Vertrauen seines Herrn verloren hatte. Er mußte fortan sehen und hören, wie der Kaufmann betrogen wurde, und schwieg dazu, weil er einsehen mußte, daß gegen die List einer Frau nicht aufzukommen ist.

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Die Feuerprobe

Sudabeh saß tief verschleiert auf der Höhe ihres Thrones. Um sie standen an die hundert Mädchen verschiedenen Alters, angefangen vom Kind bis zur reifen Jungfrau. Der Duft der Jugend, Anmut und Lieblichkeit erfüllte den weiten Saal mit dem Atem des Paradieses.

Gleich an der Pforte verneigte sich Sijawusch vor seiner Königin.

Auf einen Wink Sudabehs stiegen die Töne eines Lautenspieles auf, und ein Reigen führte die Schönen an Sijawusch vorüber. Mit Segenswünschen wurde er begrüßt und hundert Herzen schlugen rascher bei dem Anblick des schönen Fürsten. Als sich hinter dem letzten Mädchen der Vorhang schloß, sprang Sudabeh jäh vom Throne auf und warf sich Sijawusch in die Arme.

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»Oh, keiner von diesen galt deine Lust!« rief sie zitternd vor Erregung und ließ die Schleier von ihrem Antlitz fallen. »Was sollen dir die Sterne, wenn dir der goldene Mond lacht! Schwöre mir zu, daß ich, sobald dein Vater gestorben ist, die erste im Frauenhaus bleiben soll, dann will ich dir den Himmel erschließen.«

Sijawusch glühte unter den begehrenden Küssen dieser schönen Frau. »O schweige, schweige – du sollst geliebt und geehrt werden, aber als meine Mutter! Gib mir deine junge Tochter zur Braut. Ich will ihr die Treue halten, bis sie zum Weibe herangereift ist!«

»Sijawusch!« – wie die Androhung eines Fluches rief diesen Namen Sudabeh. Zitternd wandte sich der Angerufene ab und verließ, fast flüchtend, das Frauenhaus. Sudabeh sank in die Knie und eine Ohnmacht ließ sie niederfallen. Als Kawus ins Frauenhaus kam, empfing Sudabeh ihren Gatten mit stolzer Würde.

»Dein edler Sohn ließ alle an sich vorbeigehen. Nur meinem Töchterlein hat sich sein Herz erschlossen und er will warten, bis sie zum Weibe herangereift ist.«

Diese Nachricht erfreute den Schah, er ließ reiche Schätze im Frauenhaus abladen, damit seine Gattin Sudabeh die Tochter würdig beschenken könne, wenn diese Sijawusch heirate.

Kaum hatte sich Kawus von der Königin verabschiedet, so ward auch gleich von dieser Hirbad zu Sijawusch gesandt. Sie ließ den Prinzen im Namen des Herrschers nach dem Frauenhaus rufen. Sijawusch kam und wurde von dem Kämmerer in ein hell erleuchtetes Gemach geführt. Bis an die Decke lagen da Kostbarkeiten gehäuft, Gold, Edelgestein, Perlen, Geschmeide. Wie geblendet stand Sijawusch vor dem Schatz. Da öffnete sich lautlos ein Vorhang, und als Sijawusch aufblickte, stand Sudabeh in Atemnähe neben ihm.

»Sijawusch,« sprach sie ihm ganz leise ins Ohr, »der Schatz gehört dir, aber noch mehr, oh, vieles, vieles mehr – wenn du dich mir gibst, wie ich mich dir geben will!«

Schaudernd beugte sich Sijawusch zurück. Sie aber folgte dieser Bewegung nach. »Sprich doch, sprich doch, weiche mir nicht aus.« Und nun flehte sie, ganz ihrer Glut verfallen. »Erbarme dich meiner jungen Liebe zu dir. Oh, ich kann es dir nicht verbergen. Nimm mich, hilf mir!«

Sijawusch bedeckte sein Antlitz mit den Händen und floh aus dem Gemach. Totenbleich sank Sudabeh neben dem Schatz zu Boden. Und als sie erwachte, gab sie sich der Wollust des Schmerzes hin, zerfetzte ihre Kleider, und in die nun aufschimmernden Blößen schlug sie besinnungslos mit ihren Nägeln. Da huschte Hirbad herein. »Der König kommt!« flüsterte er und verschwand, dem Schatz ausweichend, hinter einem anderen Vorhang.

Sudabeh richtete sich auf. »Rache!« sprach sie, und, ganz ihre Haltung gewinnend, rief sie: »Wohin du auch fliehst, du fliehst in dein Verderben, Sijawusch!«

Als Kai Kawus das Gemach betrat, wankte die Königin ihm entgegen und klagte an: »Sieh mich an, dies, dies hat dein stolzer Sohn an mir getan. Die blutige Spur, die über meine Brüste läuft, die riß dein Sohn, als er gierig nach mir griff. Dies Kleid riß er in Fetzen, um meinen nackten Körper fühlen zu können. Mein Diadem fiel zu Boden. Er tat dies, er, der alle Mädchen an sich vorbeigehen ließ, weil er in seinem Wahnwitz die Mutter begehrt, mich! Oh, ich bin entehrt – räche mich, du, mein Gemahl und Herr!«

Gefaßt stand Kawus, er konnte, trotz dieser anklagenden Worte, den Mut seines adeligen Sohnes nicht vergessen, und er gebot sich Vorsicht. Die Listen der Frauen sind tückisch. Er ließ Sijawusch rufen.

»Gestehe!« sprach er ernst den Eintretenden an, »du hast Sudabeh überfallen, doch liegt die Schuld an mir – ich sandte dich ins Frauenhaus.«

»Du irrst! Ich ließ die Königin unberührt.«

»Er lügt! Als ich ihm den Brautschatz zeigte, da riß er mich in seine starken Arme, immer kräftiger schlang er sie um mich, ich meinte zu ersticken. So, in meiner hilflosen Haltung, überfiel er mich mit Küssen. Und je mehr ich mich wehrte, desto heftiger wurde er, zerrte an meinem Kleide und wühlte mit bösen Fingern in meinem Haar.«

»Genug!« rief der König. »Reich mir deine Hand, Sijawusch! Sie duftet nicht nach Amber und nach Rosen. Du hast gelogen, Sudabeh!« Der König schritt mit seinem Sohne an der Hand bis an die Pforte.

»Bleib!« schrie die Königin auf, »wisse, sein Überfall gelang ihm, er hat mich geschändet. Nun wird er mich töten, wie er das Kind getötet hat, das ich von dir, o König, am Herzen trage.«

Der König blieb gebannt an der Schwelle stehen. »Räche mich, vernichte den Frevler!«

Rasch verließ der König das Frauenhaus und zog den Sohn mit sich.

»Verloren! Um Liebe und Rache gebracht von einem kalten Jüngling und einem liebenden Greis. Ich werde sie beide zu betrügen wissen. Der Zauber soll mir seifen. Nicht die guten, nur die bösen Geister.«

Vor kurzem war eine Landfahrerin von Sudabeh als Dienerin in den Palast aufgenommen worden. Gerührt von der Geschichte ihres Elends, hatte die Königin die Bettelnde beschenkt. Sie sei aus vornehmem Geschlecht und der Verführung eines Treulosen erlegen. Nun schleppe sie die Schande mit sich, und es seien nur noch Wochen, dann werde diese auch offenbar werden.

Sudabeh ging zu der Landfahrerin, nahm sie in ihr Schlafzimmer und verschloß hinter ihr den Eingang.

»Schwöre mir zu, daß du ein Geheimnis bewahrst, was immer auch kommen mag. Tust du es, so will ich deinen Ruf behüten und dich auch reich beschenken.«

»Oh, wenn du dies imstande bist! Keine Gewalt ist so groß, als daß sie mir das Geheimnis entreißen könnte.«

»Du mußt es beschwören! Schwöre!« Als die Klagende dies tat, raffte die Königin Gold und Geschmeide zusammen und ließ es in deren Schürze fallen. Keinen Augenblick zögerte die Königin nun, ihren Plan auszuführen. Die Dienerin bekam von Sudabeh ein giftiges Tränklein und durfte nicht aus dem Schlafgemach. Als der Morgen kam, gebar die Dienerin in dem Bett der Königin zwei tote Wechselbälge. Als die erschöpfte Mutter in ein Nebengemach geführt war, begann die Königin ihr Wehgeschrei. Auf einer silbernen Schüssel lagen schon vorbereitet die beiden Leichen. Die Bewohner des Frauenhauses liefen auf das Geschrei zusammen. »Seht her, das hab‘ ich zur Welt gebracht!«
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Das Geschrei der Frauen erscholl im ganzen Umkreis des Palastes. Auch der König vernahm es und eilte in den Frauenpalast.

»Blick‘ her und versuche noch zu zweifeln!« schrie ihm die Königin entgegen. »Sieh‘, was der Schrecken des Überfalls aus deinen Kindern gemacht hat. Die Teufelsbrut mit den Zeichen der Hölle – hier liegen sie, verendet!« Bei diesen Worten hielt sie die Schüssel, wie vom Ekel geschüttelt, weit von sich, schrie und weinte dabei.

Entsetzt wich der König zurück. Sollte er an seinem Sohne zweifeln!

Der König eilte in den Palast zurück und gebot die Weisen seines Reiches zu sich. Ihnen bekannte er die Ratlosigkeit seines Herzens, das beiden, seinem edlen Sohne und seiner Gattin, ergeben sei. Wen von beiden müsse er verdammen?

Die Priester sammelten sich, ihr Opfer zu besehen; die Magier suchten in den ältesten Büchern; die Sterndeuter forschten am nächtlichen Himmel: alle waren so redlich bemüht, dem König mit göttlichem Rat beizustehen. Nach zwei Wochen kamen die Weisen, um ihr Ergebnis zu künden. Die Sterndeuter sagten aus, daß die toten Kinder weder vom König, noch von seiner Gattin stammen konnten, denn die Gestirne sagten nichts aus von einer Vermehrung des Kajanidengeschlechtes. Die Magier wieder fanden Spuren, die auf einen Gifttrank hinwiesen, die Priester Zeichen, die auf eine Fremde deuteten, welche die Mutter dieser zwei Ausgeburten wäre.

Der König handelte nach diesen Weisungen. Das Frauenhaus wurde durchsucht und die Landstreicherin vor den Thron gebracht. Doch, wie man es auch anstellte, ein Geständnis war aus dem Weibe nicht herauszuholen. Auch der glühenden Zange des Henkers widerstand sie.

Sudabeh nannte die Weisen Feiglinge, die Sijawusch und seinen unüberwindlichen Beschützer Rustan fürchten. Täglich weinte sie ihrem Gatten vor, die Entehrung und den Schmerz einer geschändeten Mutter, welche zwei tote Kinder gebar. Sie bestand auf strengem Gericht oder – Gottesurteil. Die tückische Schöne wußte, daß die schwere Probe nicht der Kläger, sondern der Angeklagte zu bestehen hat.

Das Leiden seines geliebten Weibes machte den König wieder unsicher. Neuerlich wurden die Weisen zum Rat versammelt und um die endgültige Probe befragt. Die Alten nannten die Feuerprobe als einzigen Weg.

Sijawusch willigte ein, diesen Weg zu gehen.

Vor dem Stadttore wurden zwei mächtige Holzstöße aufgerichtet. Zwischen ihnen wurde nur so viel Platz gelassen, daß ein Reiter hindurch konnte. Am Tage des Gerichts sammelten sich um die Opferstätte die Großen des Reiches und das Volk stand im weiten Bogen um die beider Scheiterhaufen. Bei dem Stand der Sonne im Mittag wurden die Stöße von dem Oberpriester mit einem Span aus dem heiligen Feuer entzündet. Rasch gossen zweihundert Knechte Öl auf das Holz und fachten die Glut zu loderndem Feuer an. Es qualmten dunkle Wolken gegen den Himmel und bald stiegen auch haushohe Flammen empor.

Die schwarzen Locken von einem goldenen Helm bedeckt, in einem wehenden schneeweißen Mantel kam Sijawusch auf seinem Streitroß. Feierlich und mit offenem Blick begrüßte er den König und die um ihn versammelten Weisen. Kawus bangte um das Leben seines edlen Sohnes. »Ach,« rief er vom Schmerz gepeinigt, »das schlimmste Getier bringt nicht so viel Leid in die Welt, als es ein schönes Weib vermag!«

»Bange nicht, Vater!« rief Sijawusch, »der Herr ist gerecht!« Dann riß er sein Pferd um und hielt knapp vor dem Eingang der brennenden Gasse. Dort hob er die Hände gegen die Flamme und sprach das Gebet vor der Feuerprobe. Als er dieses beendet hatte, gab er seinem Pferde die Sporen und verschwand in den lodernden Flammen.

Sudabeh beobachtete vom Dach ihres Hauses aus das Schauspiel des Feuers. »Er reitet in den Tod und ich bin gerächt!« schrie sie triumphierend. Als die Menge noch kreischte und wehklagte, durchschnitten einzelne helle Jubelrufe die dunkle Wolke des Geschreis und versanken endlich in einem allgemeinen Jubel. Sijawusch hatte das Feuer durchritten. Das Element des Feuers war gerechter als eine Frau. Hätte er durch blühende Blumen reiten müssen, so hätte Tau ihn benetzt, aber das läuternde Feuer ließ den Reinen unberührt. Der Prinz sprang aus dem Sattel und küßte vor seinem Vater die Erde. Beglückt hieß ihn der König aufstehen und schloß ihn in seine Arme. Festliche Scharen wallfahrten zum Palast, wo Mahl, Gelage und Scherz den Tag beendeten, der die Unschuld des Prinzen vor Gott und der Welt erwiesen hatte.

Nachdem das Fest verklungen war, ließ der König seine Gattin vor sein Angesicht rufen.

»Du konntest nur lügen, erkenne deine schamlose Verwegenheit! Bereust du es nicht, den Reinen bis an die Pforte des Todes gelockt zu haben?«

»Wie konnte er sterben?!« höhnte grell lachend Sudabeh. »Der Schützling Rustans ist zauberkundig genug, um vor dem Feuer nicht zu bangen! Der Böse ist schützend über den Seinen!«

»Elende!« schrie der König voll Zorn, »soll dich der Henker ergreifen, dich, deren Haß auch die göttliche Flamme nicht anerkennt?«

»Tod, Tod, ihr, die den Reinen noch zu beflecken wagt!« Die aufgebrachte Menge schrie es und drängte den Henker zum Throne hin. Der König winkte jetzt dem Henker und befahl ihm: »Wende ihr Antlitz im Genick und hänge sie am Ende der Gasse auf. Sie sei so eine Warnung für alle Frevler, die lügen!«

Ehe noch der Henker nach der Königin griff, gebot Sijawusch halt. »Vater, schenke mir das Leben der Verblendeten!«

»Alles, so du es wünschest!« antwortete der König erfreut.

Sudabeh war vor der Hand des Henkers zurückgebebt, nun stützte sie sich zitternd auf den Arm des Prinzen, der sie bis zum Tore des Frauenhauses geleitete.

Kai Kawus‘ Herz schlug freudig, denn dieser Tag schenkte ihm wieder Sohn und Gattin.