IV.

Mondschein.

Draußen war die Nacht klar und in den heiligen Räumen war es ganz dunkel. Als er behutsam und leise die allzu geräuschvolle Thür geschlossen hatte, fühlte er sich von einem Schauder erfüllt und gleichsam von der Kälte des Steines umgeben. Er wagte es nicht die Augen in die Höhe zu heben. Dieses finstere Schweigen erschreckte ihn; das Dunkel war wie mit etwas Unbekanntem bevölkert. Er legte die Hand an die Stirne, wie ein Mann, der nicht erwachen will, aus Angst sich lebendig wiederzufinden. Endlich schaute er auf.

Im vollen Lichte des Mondes erschien die Göttin auf einem rosarothen Steinpostamente mit umhängenden Kleinodien beladen. Sie war nackt und geschlechtlich, den Farben der Frau gemäß leicht gefärbt; sie hielt in der einen Hand ihren Spiegel, dessen Griff ein Priapusglied war; die andere Hand schmückte ihre Schönheit mit einem Halsband aus sieben Reihen Perlen. Eine Perle, größer als die anderen, silberschimmernd und von länglicher Form, glänzte zwischen den beiden Brüsten, wie eine nächtliche Mondsichel zwischen zwei runden Wolken. Und es waren echte, heilige Perlen, geboren aus einem Wassertropfen, der in der Muschelschale der Anadyomene gerollt hatte.

Demetrios verlor sich in eine unaussprechliche Anbetung. Er glaubte wahrhaftig, daß Aphrodite selbst vor ihm stehe. Er erkannte sein Werk nicht wieder, so tief war der Abgrund zwischen dem, was es früher war und dem was es seither geworden. Er streckte die Arme vorwärts und murmelte die geheimnißvollen Worte, durch welche man in phrygischen Feierlichkeiten die Göttin anbetet.

Übernatürlich, leuchtend, unantastbar, nackt und rein schwankte die Erscheinung leicht zuckend auf dem Steine. Er heftete die Augen auf sie und fürchtete schon, daß bei der Liebkosung seines Blickes diese schwache Hallucination sich in der Luft verflüchtigen könnte. Sehr leise rückte er vor, berührte mit dem Finger die rosigen Zehen, als wollte er sich des Vorhandenseins der Statue versichern, und da er nicht im Stande war einzuhalten, so sehr zog sie ihn an, stieg er aufrecht stehend neben sie und legte, ihr in die Augen schauend, die Hände auf die weißen Schultern.

Er zitterte, er wurde schwach, er begann vor Freude zu lachen. Seine Hände irrten auf den nackten Armen herum, preßten die kalte und harte Taille, tasteten die Beine entlang, liebkoseten die Wölbung des Bauches. Mit seiner ganzen Kraft streckte er sich an dieser Unsterblichkeit empor. Er beschaute sein Bild im Spiegel, hob das Perlenhalsband, nahm es herunter, ließ es im Mondscheine blitzen, und hängte es ihr ängstlich wieder um. Er küßte die zurückgebeugte Hand, den runden Hals, den wogenden Busen, den halbgeöffneten Mund des Marmors. Dann trat er bis zum Rande des Postaments zurück und sich an den göttlichen Armen festhaltend, betrachtete er zärtlich den anbetungswürdigen, vorgebeugten Kopf.

Die Haare waren auf orientalische Art angeordnet und verdeckten leicht die Stirne. Die halbgeschlossenen Augen verlängerten sich in einem Lächeln. Die Lippen blieben geöffnet, wie in einem Kusse vergehend.

Stillschweigend ordnete er die sieben Perlenreihen auf der blendenden Brust und stieg zu Boden, um das Idol aus größerer Entfernung zu sehen.

Dann kam es ihm vor, als erwache er. Er erinnerte sich, weßhalb er hierher gekommen war, was er gewollt und beinahe vollbracht hatte: eine gräßliche That. Er fühlte, daß er bis zu den Schläfen erröthete.

Die Erinnerung an Chrysis zog an seinem Gedächtniß vorüber wie eine plumpe Erscheinung. Er zählte Alles, was in der Schönheit der Hetäre zweifelhaft blieb, auf: die dicken Lippen, die schwellenden Haare, den weichen Gang. Wie die Hände waren; hatte er vergessen; aber er stellte sich dieselben breit vor, um dem Bilde, das er von sich wies, einen widerwärtigen Zug hinzuzufügen. Sein Gemüthszustand wurde demjenigen eines Mannes ähnlich, der bei Tagesanbruch von seiner einzigen Maitresse im Bette einer niedrigen Dirne ertappt wird, und der sich selbst nicht erklären kann, wie er sich am Tage zuvor habe verführen lassen. Er konnte weder eine Entschuldigung, noch einen ernsten Grund finden. Es war klar, daß er während eines Tages eine Art vorübergehender Tollheit erduldet hatte, eine physische Störung, eine Krankheit. Er fühlte sich geheilt, aber von seiner Verblendung noch ganz trunken.

Um vollständig zu sich zu kommen, lehnte er sich an die Wand des Tempels, und blieb lange vor der Statue stehen. Das Mondlicht schien immer noch durch die viereckige Öffnung des Daches hernieder; Aphrodite strahlte, und, da die Augen im Schatten waren, suchte er ihre Blicke …

So ging die ganze Nacht vorüber. Dann kam der Tag und die Statue nahm nach einander die vorige Blässe der Morgendämmerung und den goldenen Schein der Sonne an.

Demetrios hatte keine Gedanken mehr. Der Elfenbeinkamm und der Silberspiegel, die er in seinem Kleide trug, waren seiner Erinnerung entschwunden. Er gab sich sanft der heiteren Betrachtung hin.

Draußen im Garten gab es einen Lärm von Vogelgezwitscher, von Rauschen, Pfeifen und Singen. Man hörte Stimmen von Frauen, die am Fuße der Mauer redeten und lachten. Die Bewegung des Morgens stieg aus der erwachten Erde herauf. Demetrios empfand nur glückselige Gefühle.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel und der Schatten des Daches war weitergerückt, als er ein undeutliches Geräusch von leichten Schritten von den äußeren Stufen her vernahm.

Wahrscheinlich wollte man der Göttin ein Opfer darbringen; ein Zug junger Frauen, welche kamen, um Gelübde zu erfüllen oder solche für den ersten Tag der aphrodisischen Feste vor der Statue der Göttin abzulegen.

Demetrios wollte fliehen.

Das heilige Postament war rückwärts auf eine Art zu öffnen, welche die Priester allein und der Bildhauer kannten. Hier verbarg sich der Hierophant, um einem jungen Mädchen, dessen Stimme hell und laut war, die wunderbaren Reden, welche am dritten Festtage aus der Statue kamen, zu dictiren. Von da aus konnte man die Gärten erreichen. Demetrios drang hinein und blieb vor den mit Bronze beschlagenen Oeffnungen stehen, welche durch den tiefen Stein gingen.

Schwer öffneten sich die beiden goldenen Thüren. Dann trat der Festzug ein.

V.

Die Einladung.

Gegen die Mitte der Nacht wurde Chrysis durch ein dreimaliges Klopfen an die Thür geweckt.

Sie hatte den ganzen Tag zwischen den beiden Epheserinen geschlafen, und ohne die Unordnung ihres Bettes hätte man sie für drei nebeneinander liegende Schwestern halten können. Rhodis lag an die Galilaeerin gepreßt, deren schweißbedeckter Schenkel auf ihr lastete. Myrtocleia schlief auf dem Bauche liegend, die Augen auf dem Arm, mit nacktem Rücken.

Behutsam machte sich Chrysis los, sie that drei Schritte auf dem Bette, stieg herunter und öffnete halb die Thür.

Man hörte Stimmen im Hausflur.

»Wer ist da, Djala? wer ist da?« fragte sie.

– Es ist Naukrates, der mit Dir sprechen will. Ich sage ihm, daß Du nicht frei bist.

– Doch, doch! welche Dummheit! gewiß bin ich frei! Tritt ein, Naukrates. Ich bin in meinem Gemache.

Und sie legte sich wieder auf das Bett.

Naukrates blieb eine Weile auf der Schwelle stehen, als ob er fürchtete zudringlich zu sein. Die beiden Musikspielerinen öffneten ihre schlaftrunkenen Augen und konnten sich ihren Träumen nicht entreißen.

»Setze Dich,« sagte Chrysis. »Zwischen uns ist jede Ziererei unnöthig. Ich weiß, daß Du nicht meinethalben kommst. Was willst Du von mir?«

Naukrates war ein bekannter Philosoph, der seit mehr als zwanzig Jahren Bacchis‘ Geliebter war und der sie nicht betrog, mehr aus Gleichgültigkeit, denn aus Treue. Sein graues Haar war kurz geschnitten, sein Bart spitz nach der Art des Demosthenes und sein Schnurbart erreichte nur den Saum der Lippen. Er trug ein großes, weißes Kleid aus einfach gestreifter Wolle.

»Ich komme um Dich einzuladen, sagte er. Bacchis giebt morgen ein Mahl, welchem ein Fest folgen soll. Mit Dir werden wir unser sieben sein. Komme sicher.

– Ein Fest? Aus welchem Anlasse?

– Sie befreit ihre schönste Sklavin Aphrodisia. Es werden Tänzerinen und Flötenspielerinen kommen. Ich glaube, Deine beiden Freundinen sind bestellt, und bin erstaunt, sie jetzt hier zu sehen. Es ist augenblicklich Probe bei Bacchis.

– Oh! es ist wahr, rief Rhodis aus, wir dachten nicht mehr daran. Auf, Myrto, wir haben uns sehr verspätet!

Doch Chrysis that Einsprache.

»Nein! noch nicht! wie böse Du bist, mir meine Frauen wegzunehmen. Wenn ich das vermuthet hätte, so hätte ich Dich nicht empfangen. Siehe, sie sind schon bereit.«

– Unsere Kleidung ist sehr einfach, sagte das Kind. Und wir sind nicht schön genug, um uns lange bei dem Ankleiden aufzuhalten.

– Werde ich Euch wenigstens im Tempel sehen?

– Ja. Morgen früh tragen wir Tauben dahin. Ich nehme eine Drachme aus Deiner Börse, Chrysis. Wir wären sonst nicht im Stande sie zu kaufen. Also auf morgen.

Und sie eilten von dannen. Naukrates schaute einige Zeit auf die Thür, die sie hinter sich geschlossen hatten; dann kreuzte er die Arme und sagte mit leiser Stimme, indem er sich zu Chrysis wandte:

»Recht so. Du führst Dich gut auf!«

– Wieso?

– Eine genügt Dir nicht mehr. Jetzt mußt Du deren zwei haben. Du suchst sie schon auf der Straße. Das ist ein schönes Beispiel. Aber, wenn es so zugeht, was wird dann uns Männern übrig bleiben? Ihr alle habt Freundinen und wenn ihr aus ihren ermüdenden Armen kommt, gebt ihr uns von eurer Leidenschaft nur noch so viel als Jene übrig ließen. Glaubst Du, daß das lange so dauern kann? Wenn das so fort geht, werden wir gezwungen sein Knaben aufzusuchen…

– Ah! das nicht, rief Chrysis aus. Das werde ich nie zugeben! Ich weiß es wohl, man macht diesen Vergleich. Es hat aber keinen Sinn; und ich bin erstaunt, daß Du, der Du den Beruf eines Denkers hast, nicht begreifst, daß dieser Vergleich unsinnig ist.

– Und welchen Unterschied findest Du da?

– Es handelt sich nicht um einen Unterschied. Es besteht zwischen den beiden Sachen gar keine Beziehung; das ist klar.

– Ich sage nicht, daß Du irrst. Ich will Deine Gründe kennen.

– Oh! Das ist in zwei Worten gesagt; höre gut zu. Das Weib ist für die Liebe ein vollkommenes Instrument. Vom Kopfe bis zu den Füßen ist sie einzig und wunderbar für die Liebe geschaffen. Sie allein versteht es zu lieben. Sie allein versteht es geliebt zu werden. Folglich: wenn ein verliebtes Paar aus zwei Frauen besteht, so ist es vollkommen; wenn nur eine dabei ist, so ist es um die Hälfte weniger gut; wenn gar keine dabei ist, so ist es ganz einfach blöd. Ich habe gesprochen.

– Du bist hart für Plato, meine Tochter.

– Ebenso wenig wie die Götter sind die großen Männer unter allen Umständen groß. Pallas versteht nichts vom Handel, Sophokles konnte nicht malen, Plato verstand nicht zu lieben. Jene Philosophen, Dichter, Redner, welche sich auf ihn berufen, taugen nicht mehr als er, und so bewunderungswürdig sie auch in ihrer Kunst sein mögen, in der Liebe sind sie Ignoranten. Glaube es mir, Naukrates, ich fühle, daß ich Recht habe.

Der Philosoph machte eine Bewegung.

»Du bist ein wenig unehrerbietig, sagte er; aber ich glaube keineswegs, daß Du Unrecht habest. Meine Entrüstung ist keine wirkliche. Es liegt etwas Reizendes in der Verbindung zweier jungen Frauen, unter der Bedingung, daß sie beide weiblich bleiben, ihre langen Haare behalten und ihre Brüste entblößen wollen und sich nicht mit nachgeahmten Werkzeugen ausrüsten, wie wenn sie, in ihrer Inkonsequenz das plumpe Geschlecht, das sie so hübsch verachten, beneiden würden. Ja, ihr Verhältniß ist merkwürdig, weil ihre Liebkosungen rein oberflächlich sind, und ihre Sinnenlust um so raffinirter. Sie umschlingen sich nicht, sie berühren sich nur leicht, um die höchste Freude zu genießen. Ihre Brautnacht ist nicht blutig. Es sind Jungfrauen, Chrysis. Sie kennen die brutale That nicht; darin sind sie der Knabenliebe überlegen. Die menschliche Liebe unterscheidet sich von der blöden Brunst der Thiere nur durch zwei göttliche Funktionen: durch die Liebkosung und den Kuß. Und es sind die einzigen, welche die Weiber, von denen wir hier sprechen, kennen. Sie haben sie sogar vervollkommnet.«

– Auf das Höchste, sagte Chrysis. Aber was wirfst Du mir dann vor?

– Ich werfe Dir vor, daß ihr schon hunderttausend seid in eurer Art. Es gibt schon eine große Zahl von Frauen, welche ein vollkommenes Vergnügen nur mit ihrem eigenen Geschlechte haben. Bald werdet ihr uns nicht empfangen wollen, selbst nicht als Nothbehelf. Aus Eifersucht schelte ich Dich.

Hier fand Naukrates, daß das Gespräch lange genug gedauert hatte und stand einfach auf.

»Ich kann Bacchis sagen, daß sie auf Dich zählen darf?« sagte er.

– Ich werde kommen, antwortete Chrysis.

Der Philosoph küßte ihre Kniee und ging langsam hinaus.

— — — — —

Chrysis faltete die Hände und begann laut zu sprechen, obwohl sie allein war.

»Bacchis … Bacchis … er kommt aus ihrem Hause und weiß nichts! … Ist der Spiegel denn immer noch dort? … Demetrios hat mich vergessen … Wenn er am ersten Tage geschwankt hat, bin ich verloren, dann wird er Nichts thun… Aber es ist möglich, daß doch Alles geschehen ist! Bacchis hat andere Spiegel, deren sie sich öfter bedient. Wahrscheinlich weiß sie noch nicht … Götter! Ihr Götter! Gibt es kein Mittel Nachrichten zu erhalten? und vielleicht … Ah! Djala! Djala!«

Die Sklavin trat ein.

»Gieb mir mein Knöchelspiel«, sagte Chrysis. »Ich will würfeln.«

Und sie warf die vier Knöchel in die Höhe …

»Oh! … Oh! Djala, schau her! Der Wurf der Aphrodite!«

Man nannte so einen ziemlich seltenen Wurf, durch welchen jedes Knöchel eine andere Seite zeigte. Es gab genau fünfunddreißig Fälle gegen einen, daß diese Zusammenstellung sich nicht bilde. Es war der beste Wurf des Spieles.

Djala bemerkte kalt:

»Was hattest Du gewünscht?«

– Es ist wahr, sagte Chrysis enttäuscht. Ich hatte vergessen einen Wunsch zu fassen. Ich habe wohl an Etwas gedacht, aber ich habe Nichts gesagt. Zählt es dennoch?

– Ich glaube nicht; Du mußt von Neuem beginnen.

Ein zweites Mal warf Chrysis die Knöchel.

»Jetzt ist es der Wurf des Midas. Was denkst Du davon?

– Man weiß nicht, es kann gut sein und kann schlecht sein. Es ist ein Wurf, der sich durch den folgenden erklärt. Beginne mit einem einzigen Würfel von Neuem.

Zum dritten Mal befragte Chrysis das Spiel; aber als das Knöchel zurückgefallen war, sagte sie bestürzt:

»Da … der Wurf von Chios!«

Und sie begann zu schluchzen.

Djala sagte nichts, sie selbst war unruhig. Chrysis weinte auf dem Bette, die Haare um den Kopf verstreut. Endlich drehte sie sich in einem Zornanfalle zurück.

»Warum hast Du mich von Neuem beginnen heißen? Ich bin sicher, daß der erste Wurf gegolten hat.

– Wenn Du einen Wunsch hattest, ja. Wenn nicht, nicht. Du allein weißt es, sagte Djala.

– Übrigens beweisen die Knöchel nichts. Es ist ein griechisches Spiel. Ich glaube nicht daran. Ich will etwas Anderes versuchen.

Sie trocknete ihre Thränen und ging durch das Gemach. Sie nahm von einem Tischchen eine Schachtel mit weißen Spielmarken, zählte deren zweiundzwanzig ab und grub mit einer Perlenspange nach einander die zweiundzwanzig Buchstaben des hebräischen Alphabets hinein. Es waren die Arkana (Geheimmittel) der Kabbala, welche sie in Galilaea gelernt hatte.

»Dazu habe ich Vertrauen. Das täuscht nicht, sagte sie. Hebe den Zipfel Deines Kleides auf, er wird mir als Sack dienen.«

Sie warf die zweiundzwanzig Spielmarken in die Tunika der Sklavin und wiederholte in Gedanken:

»Werde ich das Halsband der Aphrodite tragen? Werde ich das Halsband der Aphrodite tragen? Werde ich das Halsband der Aphrodite tragen?«

Sie zog das zehnte Arkanum, welches genau besagen wollte:

»Ja.«

VI.

Die Rose der Chrysis.

Es war ein Festzug in allen Farben: weiß, blau, gelb, rosig und grün.

Dreißig Hetären kamen heran, Blumenkörbe, schneeweiße Tauben mit rothen Füßen, leichte hellblaue Schleier und kostbaren Schmuck tragend.

Ein alter, weißbärtiger Priester, bis über den Kopf in einen steifen, rauhen Stoff gehüllt, schritt an der Spitze des Zuges und führte die Reihe der andächtig Gebeugten zum steinernen Altar.

Sie sangen und ihr Gesang zog sich wie das Meer in die Länge, seufzte wie der Südwind, keuchte wie ein verliebter Mund. Die zwei Ersten trugen Harfen, welche sie mit ihrer flachen linken Hand stützten, daß sie wie dünne Holzsicheln sich vorwärts neigten.

*

Eine der beiden trat vor und sprach:

»Tryphaera, oh geliebte Kypris, bietet Dir diesen blauen Schleier an, den sie selbst gesponnen hat, auf daß Du fortfahren mögest, ihr hold zu sein.«

*

Eine Andere:

»Mousarion legt zu Deinen Füßen, oh Göttin mit dem schönen Kranze, diesen Levkojenkranz und diesen Strauß von Narzissen nieder. Sie hat sie im Gelage getragen und Deinen Namen in der Trunkenheit ihres Duftes angerufen. Oh Siegreiche, nimm diese Liebesbeute an.«

*

Wieder eine Andere:

»Dir, oh goldene Kytherea, weiht Timo dieses Spiralen-Armband. Mögest Du die Rache um die Brust deren, die Du kennst, winden, wie sich diese Silberschlangen um ihre nackten Arme gewunden haben.«

*

Myrtocleia und Rhodis traten, sich bei der Hand haltend, vor.

»Hier sind zwei Tauben aus Smyrna. Ihre Flügel sind weiß wie Liebkosungen, ihre Füße roth wie Küsse. Oh, zweifache Göttin aus Anathont, nimm sie aus unseren vereinten Händen an, wenn es wahr ist, daß der weichliche Adonis Dir nicht immer genügt und daß eine noch süßere Umschlingung manchmal Deinen Schlaf verzögert.«

*

Dann kam eine ganz junge Hetäre:

»Aphrodite Peribasia, empfange meine Jungferschaft mit diesem mit Blut befleckten Kleide. Ich bin Pannychis von Pharos; seit der letzten Nacht habe ich mich Dir geweiht.«

*

Eine Andere:

»Dorothea beschwört Dich, oh mildthätige Epistrophia, aus ihrem Geiste das Verlangen, das Eros hineingelegt hat, zu entfernen, oder endlich für sie die Augen dessen zu entflammen, der sich noch immer weigert. Sie bietet Dir diesen Myrthenzweig an, weil es Dein Lieblingsbaum ist.«

*

Eine Andere:

»Auf Deinen Altar, oh Paphia, legt Callistion, sechzig Drachmen Silber nieder; es ist der Rest von vier Minen, die sie von Cleomenes erhalten hat. Gieb ihr einen noch freigebigeren Geliebten, wenn Dir die Spende willkommen.«

— — — — —

Vor dem Götterbilde stand nur noch ein erröthendes Kind, das sich zuletzt aufgestellt hatte. Sie hielt nur einen kleinen Krokuskranz in der Hand und wegen dieser geringen Gabe verachtete sie der Priester.

Sie sprach:

»Ich bin nicht reich genug, um Dir Silberstücke zu geben, oh herrliche Olympierin. Übrigens, was könnte ich Dir geben, das Du nicht schon hattest? Hier sind gelbe und grüne Blumen, die ich für Deine Füße in einen Kranz geflochten habe. Und nun …«

Sie löste die zwei Schnallen ihres Kleides und als der Stoff zur Erde gefallen war, blieb sie nackt da stehen.

»… Hier bin ich ganz Dein, geliebte Göttin. Ich möchte in Deine Gärten eintreten und als Hetäre des Tempels sterben. Ich schwöre nur die Liebe zu verlangen, ich schwöre nur die Liebe zu lieben und ich entsage der Welt und gebe mich Dir hin.«

— — — — —

Nun bedeckte der Priester sie mit Wohlgerüchen und hüllte ihre Nacktheit in den von Tryphaera gewirkten Schleier. Durch die Gartenthür verliehen sie zusammen den Tempel.

Der Festzug schien beendet zu sein, und die anderen Hetären waren im Begriffe umzukehren, als man eine letzte Frau verspätet auf der Schwelle erscheinen sah.

Diese hatte nichts in der Hand und man konnte glauben, daß auch sie nur ihre Schönheit anbieten wollte. Ihre Haare schienen zwei Goldmassen zu sein, zwei tiefe, schattige Wogen, unter welchen die Ohren verschwanden und die in Windungen auf dem Nacken lagen. Die Nase war fein und die ausdrucksvollen Nasenlöcher zuckten manchmal über einem vollen, bemalten Munde mit abgerundeten und beweglichen Ecken. Die weiche Linie ihres Körpers wiegte sich bei jedem Schritte und wurde durch das Schaukeln der Hüften und die Schwingungen der freien Brüste unter der biegsamen Taille belebt.

Ihre Augen waren außerordentlich, blau aber dunkel und glänzend zugleich, schillernd wie Mondsteine, halbgeschlossen unter den liegenden Augenwimpern.

Diese Augen blickten wie die Sirenen singen …

Der Priester wandte sich zu ihr und harrte ihrer Worte.

Sie sagte:

*

»Chrysis, oh Chryseia, fleht Dich an. Nimm die geringen Gaben an, die sie Dir zu Füßen legt. Höre, erhöre, liebe und tröste die, welche nach Deinem Beispiele lebt, und zur Heiligung Deines Namens.«

*

Sie hielt ihre mit Ringen geschmückten Hände vor und beugte sich mit festgeschlossenen Beinen.

Der Gesang begann von Neuem. Das Gemurmel der Harfen stieg mit dem Dampfe des Weihrauchs empor, den der Priester in einer zitternden Räucherpfanne angezündet hatte.

Langsam richtete sie sich auf und überreichte einen Bronze-Spiegel, der an ihrem Gürtel hing.

*

»Dir, sagte sie, Astarte der Nacht, die Du Hände und Lippen mengst, und deren Sinnbild der Spur des Rehes in der bleichen Erde Syriens gleicht, Dir weiht Chrysis ihren Spiegel. Er hat die Ringe der Augenlider gesehen, den Glanz der Augen nach der Liebe, die durch den Schweiß des Kampfes an die Schläfen geklebten Haare, oh Kämpferin mit den gierigen Händen, welche Körper und Lippen menget.«

*

Der Priester legte den Spiegel zu Füßen der Statue nieder. Chrysis zog aus ihrem goldenen Haarknoten einen langen Kamm aus rothem Kupfer, dem geweihten Metall der Göttin.

*

»Dir, Anadyomene, sagte sie, die Du aus der blutigen Morgenröthe und aus dem schäumigen Lächeln des Meeres geboren wurdest. Dir, perlentriefende Nacktheit, die ihr nasses Haar mit grünen Algen zusammen band. Dir weiht Chrysis ihren Kamm. Er hat in ihrem, durch Deine Bewegungen zerstreuten Haare gesteckt, oh wüthende, keuchende Adonierin, die Du die Krümmung der Lenden höhlst und die steifen Kniee zusammenziehst.«

*

Sie gab dem Greise den Kamm und neigte den Kopf nach rechts, um ihr Smaragd-Halsband loszumachen.

*

»Dir, sagte sie. Dir oh Hetäre, die Du die Röthe der schamhaften Jungfrauen zerstreust und das unkeusche Lachen räthst. Dir, der zu Liebe wir die strömende Liebe unseres Schoßes feilbieten, Dir weiht Chrysis ihr Halsband. Es wurde ihr von einem Manne, dessen Namen sie nicht kennt, als Entlohnung gegeben und jeder Smaragdstein ist ein Kuß, in dem Du einen Augenblick gelebt hast.«

— — — — —

Sie beugte sich zum letzten Male und noch länger, legte das Halsband in die Hand des Priesters und machte einen Schritt, um sich zu entfernen.

Der Priester hielt sie zurück.

»Was verlangst Du von der Göttin für Dein kostbares Geschenk?«

»Ich verlange nichts.«

Dann ging sie den Zug entlang, stahl eine Rose aus einem Korbe und nahm sie, während sie hinausging, in den Mund.

Alle Frauen folgten, eine nach der anderen. Die Thüre des nunmehr leeren Tempels wurde geschlossen.

— — — — —

Demetrios blieb allein im Bronzesockel der Statue verborgen.

Er hatte keine Bewegung, kein Wort dieser ganzen Szene verloren und, als Alles zu Ende war, verharrte er lange, ohne sich zu rühren, von Neuem gequält, leidenschaftlich erregt, unschlüssig.

Er glaubte sich von seiner gestrigen Tollheit völlig geheilt und er hatte nicht gedacht, daß ihn fortan Etwas zum zweiten Male in den glühenden Schatten dieser Unbekannten schleudern könnte.

Aber er hatte ohne sie gerechnet.

Frauen! oh ihr Frauen! wenn ihr geliebt werden wollt, zeigt euch, kommt zurück, seiet da! Die Erregung, die er beim Eintritt der Hetäre gefühlt hatte, war so vollständig und so gewaltig, daß nicht mehr daran zu denken war, sie durch eine Willens-Anstrengung zu bekämpfen. Demetrios war gebunden, wie ein Barbarer-Sklave an einen Triumphwagen. Es wäre ein Wahn gewesen entrinnen zu wollen. Ohne es zu wissen und in ganz natürlicher Weise hatte sie ihn in Besitz genommen.

Er hatte sie schon aus einer großen Entfernung kommen sehen, denn sie trug denselben gelben Stoff, den sie am Strande getragen hatte. Sie ging langsamen Schrittes, sich weich in den Hüften wiegend. Sie war gerade auf ihn zugekommen, als ob sie seine Gegenwart hinter dem Steine errathen hätte.

Vom ersten Augenblicke an begriff er, daß er ihr wieder zu Füßen fiel. Als sie den Bronzespiegel aus ihrem Gürtel zog, betrachtete sie sich, bevor sie ihn dem Priester gab, einige Augenblicke darin, und der Glanz ihrer Augen wurde verblüffend. Als sie, um ihren kupfernen Kamm zu nehmen, die Hand auf den Kopf legte und dabei nach der Bewegung der Charitinen, ihren gebogenen Arm emporhob, entwickelte sich unter dem Stoffe die ganze schöne Linie ihres Körpers, und die Sonne beleuchtete in der Achselhöhle einen Thau glänzenden und kleintröpfigen Schweißes. Und als sie endlich, um ihr Halsband aus schweren Smaragdsteinen loszumachen, die gefältelte Seide, welche ihre Brust verhüllte, bis zu dem süßen, schattigen Zwischenraume, wo man nur einen Blumenstrauß verbergen kann, entfernte, fühlte sich Demetrios von einem solchen Wahnsinn ergriffen, die Lippen an jene Stelle zu pressen und das ganze Kleid herunter zu reißen … Doch schon begann Chrysis zu sprechen.

Sie sprach und jedes ihrer Worte war für ihn ein Leid. Mit Vergnügen schien sie bei der Prostitution dieses Gefäßes der Schönheit, das sie war, zu verweilen, weiß wie die Statue selbst und voll des Goldes, das von ihrem Haare rieselte. Sie sprach von ihrer dem Zeitvertreib der Vorbeigehenden geöffneten Thür, von der Betrachtung ihres den Unwürdigen preisgegebenen Körpers, von der feilen Müdigkeit ihrer Augen, von ihren für eine Nacht vermietheten Lippen, von ihrem Haar, das sie brutalen Händen anvertraute, von ihrer der rohen Plackerei ausgesetzten göttlichen Schönheit.

Die außerordentliche Leichtigkeit, mit welcher man ihr nahen konnte, neigte Demetrios noch mehr zu ihr, entschlossen wie er war, sie für sich allein zu gewinnen, und die Thür hinter sich zu schließen. So sehr ist es wahr, daß eine Frau nur dann voll und ganz bezaubernd ist, wenn man Ursache hat ihrethalben eifersüchtig zu sein.

Als Chrysis nun zur Stadt zurückkehrte, nachdem sie der Göttin ihr grünes Halsband im Tausch für das erhoffte gegeben hatte, – nahm sie einen menschlichen Willen in ihrem Munde mit, wie die kleine gestohlene Rose, an deren Stengel sie nagte.

Demetrios wartete, bis er im Raume allein war, dann trat er aus seinem Versteck hervor.

Zögernd blickte er auf die Statue, eines inneren Kampfes gewärtig. Aber da es ihm nicht möglich war, nach so kurzer Zwischenzeit eine sehr starke Gemüthsbewegung zu erneuern, ward er merkwürdig ruhig, frei von vorzeitigen Gewissensbissen.

Sorglos stieg er die Stufen zu dem Standbilds hinan, nahm von dem gebeugten Nacken das Halsband aus den wahren Perlen Anadyomenes und ließ es in sein Gewand gleiten.

VII.

Das Märchen von der verzauberten Leier.

Er ging sehr schnell, in der Hoffnung, Chrysis noch auf dem Wege zur Stadt einzuholen, denn er fürchtete, wenn er länger wartete, wieder in Entmuthigung und Willenlosigkeit zu verfallen.

Der Weg war von der Hitze so blendend weiß, daß Demetrios, wie bei der Mittagssonne, die Augen schloß. So ging er ohne vor sich hinzuschauen, weiter und er war im Begriff vier schwarze Sklavinen anzurennen, welche an der Spitze eines neuen Zuges daherschritten, als eine leise, singende Stimme sich vernehmen ließ:

»Vielgeliebter! wie bin ich froh!«

Er hob den Kopf: es war die Königin Berenike, die auf ihre Ellenbogen gestützt in ihrer Sanfte lag.

Sie befahl:

»Haltet an, Träger!« und streckte dem Geliebten die Arme entgegen.

Demetrios war sehr verdrossen, aber er konnte nicht nein sagen und so stieg er mürrisch in die Sänfte.

Da schleppte sich die Königin Berenike, toll vor Freude, auf den Händen bis in den Hintergrund und wälzte sich mitten in den Kissen herum, wie eine Katze, die spielen will.

Denn diese Sänfte war ein Gemach und vierundzwanzig Sklaven trugen dieselbe. Zwölf Weiber hätten sich auf dem dicken, blauen Teppich, der mit Kissen und Stoffen bedeckt war, darin bergen können; und die Sänfte war so hoch, daß man die Decke selbst mit einem Fächer nicht hätte erreichen können. Sie war länger als breit, nach vorn und auf drei Seiten von drei gelben, sehr leichten Vorhängen, welche in hellem Lichte strahlten, geschlossen. Der Hintergrund war aus Zedernholz, mit einem langen Schleier aus orangegelber Seide überzogen. Ganz oben, auf dieser glänzenden Wand, dehnte der goldene Sperber Aegyptens seine steifen Flügel aus; weiter unten, aus Elfenbein und Silber geschnitzt, öffnete sich das antike Symbol der Astarte über einer brennenden Lampe, die in unfaßbaren Lichtreflexen mit dem Tageslichte kämpfte. Unterhalb der Lampe lag die Königin Berenike zwischen zwei persischen Sklavinen, welche mit zwei weißen Büscheln von Pfauenfedern ihr Kühle zufächelten.

Sie zog mit den Augen den jungen Bildhauer an ihre Seite und wiederholte:

»Vielgeliebter, ich bin froh.«

Sie legte ihm die Hand an die Wange:

»Ich suchte Dich, Vielgeliebter. Wo warst Du? Seit vorgestern habe ich Dich nicht gesehen. Wenn ich Dich nicht getroffen hätte, wäre ich jetzt vor Kummer gestorben. Allein in dieser großen Sänfte langweilte ich mich so sehr. Als ich über die Hermesbrücke kam, warf ich all meinen Schmuck in’s Wasser, um Wellenkreise zu sehen. Du siehst, ich habe nichts mehr, weder Ringe noch Halsbänder. Ich sehe aus wie ein kleines armes Mädchen, das Dir zu Füßen liegt.«

Sie wandte sich ihm zu und küßte ihn auf den Mund. Die beiden Fächerträgerinen kauerten etwas weiterhin nieder und als die Königin Berenike anfing leise zu sprechen, drückten sie die Finger an die Ohren, um so zu thun, als ob sie nichts hörten.

Aber Demetnos antwortete nicht, hörte kaum zu und blieb in seine Gedanken versunken. Er sah von der jungen Königin nur das rothe Lächeln des Mundes und das schwarze Kissen ihrer Haare, die sie immer sehr lose kämmte, um ihren müden Kopf darauf zu betten.

Sie sagte:

»Vielgeliebter, ich habe in der Nacht geweint. Mein Bett war kalt. Wenn ich erwachte, streckte ich meine nackten Arme nach den beiden Seiten meines Körpers aus und nirgends fühlte ich Dich, und meine Hand konnte Deine Hand, die ich heute küsse, nicht finden. Ich wartete des Morgens auf Dich und seit dem Vollmonde bist Du nicht gekommen. Ich habe Sklaven in alle Viertel der Stadt geschickt und habe sie eigenhändig getödtet, als sie ohne Dich zurückkamen. Wo warst Du? Warst Du im Tempel? Du warst nicht im Garten mit diesen fremden Frauen? Nein, ich sehe es an Deinen Augen, daß Du nicht geliebt hast. Und was thatest Du dann, immer ferne von mir? Warst Du vor der Statue? Ja, ich bin dessen sicher. Du warst dort. Du liebst sie jetzt mehr, denn mich. Sie sieht mir ganz ähnlich, sie hat meine Augen, meinen Mund, meinen Busen; Sie ist es, die Du aufsuchst. Ich bin eine arme Verlassene. Du langweilst Dich mit mir, ich merke es wohl. Du denkst an Deine Werke von Marmor und an Deine häßlichen Statuen, als ob ich nicht schöner wäre als sie alle, und wenigstens lebendig, verliebt und gut, bereit zu Allem, was Du annehmen willst, auf Alles verzichtend, was Du verweigerst. Aber Du willst nichts. Du wolltest nicht König, Du wolltest nicht Gott sein, in Deinem eigenen Tempel angebetet. Du willst mich fast nicht mehr lieben.«

Sie zog die Füße unter ihren Körper ein und stützte sich auf die Hand.

»Ich würde Alles thun, um Dich im Palaste zu sehen, Vielgeliebter! Wenn Du mich dort nicht mehr suchst, sage mir, wer Dich anzieht: sie wird meine Freundin sein. Die … die Frauen meines Hofes … sind schön. Ich habe deren zwölf, die seit ihrer Geburt in den Frauengemächern behütet werden, und die noch nicht wissen, daß es Männer giebt … Sie alle sollen Deine Geliebten sein, wenn Du mich, nach ihnen, besuchen willst … Ich habe andere bei mir, die mehr Liebhaber gehabt haben, als die geweihten Hetären, und welche in der Liebe vielerfahren sind. Sage nur ein Wort, ich habe auch tausend fremde Sklavinen: Diejenigen, welche Du haben willst, sollen befreit werden. Ich werde sie in gelbe Seide, in Gold und Silber kleiden.«

»Aber nein, Du bist der schönste und der kälteste der Männer. Du liebst Niemanden, Du läßt Dich lieben. Du leihst Dich aus Barmherzigkeit Denen, welche Deine Augen in Liebe entflammen. Du erlaubst, daß ich meine Freude an Dir finde, so wie eine Kuh sich melken läßt, indem sie in eine andere Richtung schaut. Du bist voll Herablassung. Ach! Ihr Götter! ach! ihr Götter! Ich werde Dich endlich entbehren können, junger Geck, den die ganze Stadt anbetet und den Keine zum Weinen bringt. Ich habe nicht blos Frauen in meinem Palaste, ich habe kräftige Aethiopier, die Brüste von Erz haben und von Muskeln schwellende Arme. In ihren Umschlingungen werde ich schnell Deine Mädchenbeine und Deinen hübschen Bart vergessen. Der Anblick ihrer Leidenschaft wird für mich den Reiz der Neuheit haben und ich werde mich in ihren Armen von der Liebe erholen. Aber an dem Tage, wo ich sicher sein werde, daß Dein abwesender Blick mich nicht mehr betrübt, und daß ich Deinen Mund ersetzen kann, lasse ich Dich von der Hohe der Hermesbrücke hinunter stoßen, um meinen Halsbändern und Ringen Gesellschaft zu leisten, wie einen zu lange getragenen Schmuck. Ach! Königin sein!«

Sie richtete sich auf und schien zu warten. Allein Demetrios blieb kaltblütig und rührte sich nicht mehr, als wenn er Nichts gehört hätte. Wüthend begann sie von Neuem:

»Du hast nicht verstanden?«

Er lehnte sich nachlässig hin und sagte mit sehr ruhiger Stimme:

»Mir ist ein Märchen eingefallen:«

— — — — —

»Einst, bevor Thrazien von den Vorfahren Deines Vaters erobert worden, war es von wilden Thieren und einigen scheuen Menschen bewohnt.

Die Thiere waren sehr schön; es waren Löwen, so roth wie die Sonne, Tiger, gestreift wie der Abend, und Bären so schwarz wie die Nacht.

Die Menschen jenes Landes waren klein und plattnasig, mit alten, enthaarten Fellen bekleidet, mit plumpen Lanzen und unschönen Pfeilbogen bewaffnet. Sie schlossen sich in Berghöhlen ein, hinter ungeheueren Felsblöcken, die sie mit vieler Mühe hinwegrollten. Ihr Leben verbrachten sie mit der Jagd. In den Wäldern gab es viel Blut.

Das Land war so traurig, daß die Götter es mieden. Wenn bei Morgengrauen Artemis den Olymp verließ, führte ihr Weg sie niemals nach Norden. Die Schlachten, welche dort geschlagen wurden, kümmerten Ares nicht. Die Abwesenheit der Flöten und Zithern hielt Apoll fern. Die dreifache Hekate allein glänzte dort wie ein Medusengesicht über einer versteinerten Landschaft.

Doch einst kam ein Mann dorthin wohnen, der von einer glücklicheren Rasse war und der nicht, wie die Wilden der Berge, mit Fellen bekleidet einherging.

Er trug ein langes, weißes Gewand, das er ein wenig hinter sich nachschleppte. Er liebte es Nachts in den Lichtungen, im Mondscheine umherzuirren, ein kleines Schildkrötenschild mit zwei Auerochsenhörnern, zwischen welchen drei silberne Saiten befestigt waren, in der Hand haltend.

Wenn seine Finger die Saiten berührten, ging eine süße Musik davon aus, viel milder als das Rieseln der Quelle, oder die Stimme des Windes in den Bäumen, oder die Bewegung der Haferähren. Als er zum ersten Male spielte, erwachten drei schlafende Tiger, so wunderbar bezaubert, daß sie ihm kein Leid anthaten, im Gegentheil so nahe als möglich an ihn herantraten und sich, als er zu spielen aufhörte, zurückzogen. Den nächsten Tag waren es noch viel mehr Tiger und Wölfe und Hyänen und Schlangen, welche sich auf ihren Schwänzen in die Höhe reckten.

So daß nach kurzer Zeit die Thiere von selbst kamen, um sein Spiel zu erbitten. Es geschah ihm oft, daß ein Bär allein zu ihm kam und mit drei wunderbaren Akkorden zufrieden wieder weiter ging. Für seine Gefälligkeiten brachten ihm die wilden Thiere seine Nahrung und beschützten ihn gegen die Menschen.

Aber er wurde dieses herrlichen Lebens überdrüssig. Er wurde seines Genies und der Freude, die er den Thieren verursachte, so sicher, daß er sich nicht mehr Mühe gab gut zu spielen. Wenn nur er es war, waren die Thiere immer zufrieden. Bald weigerte er sich ihnen selbst diese Befriedigung zu bieten und aus Lässigkeit hörte er überhaupt auf zu spielen. Der ganze Wald trauerte, aber die Fleischstücke und die saftigen Früchte fehlten deßhalb nicht an der Schwelle des Musikers. Man fuhr fort ihn zu nähren und liebte ihn um so mehr. Das Herz der Thiere ist nun einmal so geschaffen.

Doch eines Tages stand er an seine offene Thüre gelehnt und betrachtete die Sonne, die hinter den unbeweglichen Bäumen unterging. Da kam eine Löwin in der Nähe vorüber. Er machte eine Bewegung um sich zurückzuziehen, als ob er unliebsame Bitten fürchtete. Die Löwin schritt einfach vorbei und kümmerte sich nicht um ihn.

Da fragte er verwundert: »Warum bittest Du mich nicht zu spielen?« Sie antwortete, daß ihr nichts daran liege. Er sagte ihr »Kennst Du mich denn nicht?« und sie antwortete: »Du bist Orpheus.« Da begann er von Neuem: »Und Du willst mich nicht hören?« Sie wiederholte: »Ich will nicht.« – »Oh!« rief er aus, »oh! wie beklagenswerth bin ich! Gerade für Dich hätte ich spielen wollen. Du bist viel schöner als die Anderen und sicher verstehst Du viel mehr davon. Wenn Du mir nur eine Stunde lang zuhörst, werde ich Dir Alles bieten was Du wünschest!« Sie antwortete: »Ich verlange von Dir, daß Du den Menschen der Ebene ihr frisches Fleisch stiehlst. Ich verlange von Dir, daß Du den Ersten, den Du antriffst, tödtest. Ich verlange von Dir, daß Du die Thiere, die sie Deinen Göttern geopfert haben, nimmst, und sie mir zu Füßen legst.« Er dankte ihr, daß sie nicht mehr verlangte und that, was sie von ihm gefordert.

Eine Stunde lang spielte er vor ihr, dann zerbrach er seine Leier und lebte als ob er todt wäre.«

— — — — —

Die Königin seufzte:

»Ich verstehe die Allegorien nie. Erkläre mir. Vielgeliebter, was es heißen soll?«

Er erhob sich.

»Ich erzähle Dir das nicht, damit Du verstehest. Ich habe Dir ein Märchen erzählt, um Dich ein wenig zu beruhigen. Jetzt ist es spät. Lebe wohl, Berenike.«

Sie begann zu weinen.

»Ich war dessen sicher! ich war dessen sicher!«

Er legte sie wie ein Kind auf ihr Bett von weichen Stoffen, drückte einen lächelnden Kuß auf ihre unglücklichen Augen und stieg ruhig von der großen Sänfte herab.

I.

Die Ankunft.

Bacchis war seit mehr als fünfundzwanzig Jahren Hetäre. Was besagen will, daß sie dem vierziger Jahre nahe war und daß ihre Schönheit mehrmals den Charakter geändert hatte.

Ihre Mutter, welche lange Jahre hindurch die Leiterin ihres Hauses und die Rathgeberin ihres Lebens gewesen, hatte ihr Grundsätze der Lebensführung und der Sparsamkeit beigebracht, die sie in ihrer Jugend sorgfältig beobachtet hatte und die ihr nach und nach ein beträchtliches Vermögen eingebracht hatten; und im Alter, wo die Pracht des Bettes die Frische des Körpers ersetzt, konnte sie dieses Vermögen verbrauchen ohne zu rechnen.

So hatte sie, statt auf dem Markte erwachsene Sklaven für schweres Geld zu erkaufen, eine Ausgabe, welche Andere für nöthig hielten und welche die jungen Hetären um Hab und Gut brachte – zehn Jahre hindurch mit einer einzigen Negerin das Auslangen gefunden und für die Zukunft gesorgt, indem sie dieselbe jedes Jahr schwängern ließ, um sich unentgeltlich eine zahlreiche Dienerschaft, die später einen Reichthum bilden würde, zu verschaffen.

Da sie den Vater mit Sorgfalt gewählt hatte, waren sieben sehr schöne Mulattinen von ihrer Sklavin geboren worden und auch drei Knaben, die sie hatte tödten lassen, weil eine männliche Dienerschaft den eifersüchtigen Liebhabern unnöthigen Verdacht einflößt. Sie hatte die sieben Töchter nach den sieben Planeten benannt und ihnen ihre verschiedenen Beschäftigungen, so viel wie möglich, nach dem Namen, den sie trugen, gewählt. Heliope war die Sklavin des Tages, Selene die Sklavin der Nacht, Aretias hütete die Thür, Aphrodisia beschäftigte sich mit dem Bette, Hermione besorgte die Einkäufe und Kronomagire die Küche. Endlich führte Diomede, die Verwalterin, die Rechnungen und hatte auch die Verantwortung.

Aphrodisia war die Lieblingssklavin, die hübscheste und die am meisten geliebte. Auf das Verlangen der Männer, die sich in sie verliebten, theilte sie oft das Bett ihrer Herrin. Auch wurde sie aller groben Arbeiten enthoben, um zarte Arme und feine Hände zu behalten. Dank einer ausnahmsweisen Gunst war ihr Haar nicht bedeckt, so daß man sie oft für ein freies Weib hielt und an jenem Abend sollte sie um den ungeheuren Preis von fünfunddreißig Minen frei werden.

Die sieben Sklavinen der Bacchis, sämmtlich von hoher Gestalt und wunderbar abgerichtet, waren für sie ein solcher Gegenstand des Stolzes, daß sie niemals ausging, ohne dieselben in ihrem Gefolge zu haben, auf die Gefahr hin das Haus leer zu lassen. Dieser Unvorsichtigkeit hatte es Demetrios verdankt, so leicht in ihr Haus eindringen zu können; aber sie kannte ihr Unglück noch nicht, als sie das Fest gab, zu welchem Chrysis eingeladen war.

— — — — —

An jenem Abende kam Chrysis als die Erste an.

Sie trug ein grünes Kleid, das mit großen Rosenbüscheln, die auf den Brüsten voll erblühten, durchwirkt war.

Aretias öffnete ihr die Thür, ohne daß sie zu klopfen brauchte und nach dem griechischen Brauche führte sie sie in ein kleines, abgelegenes Gemach, löste ihr die rothen Schuhe und wusch ihr sanft die nackten Füße. Dann hob sie ihr das Kleid in die Höhe oder entfernte es, je nach dem Orte, und begoß sie mit Wohlgerüchen, wo es nothwendig war; denn man ersparte den Gästen alle Mühen, selbst diejenige vor dem Essen Toilette zu machen. Dann bot sie ihr einen Kamm und Nadeln, um ihre Haartracht in Ordnung zu bringen, so wie fette und trockene Schminken für ihre Lippen und Wangen.

Als Chrysis bereit war, fragte sie die Sklavin:

»Welches sind die Schatten

So nannte man die Gäste, außer einem, welcher der Geladene war. Derjenige, zu dessen Ehren das Fest gegeben wurde, konnte, wen er wollte, mit sich bringen und die »Schatten« hatten für weiter nichts zu sorgen, als ihr Bettkissen mitzubringen und sich gut zu betragen.

Auf Chrysis Frage antwortete Aretias:

»Naukrates hat Philodemus mit seiner Geliebten Faustina, die er aus Italien mitgebracht hat, gebeten. Er hat auch Phrasilas und Timon und Deine Freundin Seso von Knidos gebeten.«

In demselben Augenblick trat Seso ein.

»Chrysis!«

– Meine Liebste!

Die beiden Frauen umarmten sich und bezeugten laut ihre Freude über den glücklichen Zufall, der sie zusammenführte.

»Ich fürchtete mich verspätet zu haben, sagte Seso. Dieser arme Archytas hat mich aufgehalten …«

– Wie so, immer noch er?

– Es ist immer dieselbe Geschichte. Wenn ich außer dem Hause esse, bildet er sich ein, daß die ganze Welt mir über den Leib kommen will. Da will er sich im Voraus rächen und das dauert eine Ewigkeit! Ach! meine Liebe! Wenn er mich besser kennen würde! Ich habe keine Lust meine Geliebten zu betrügen. Ich habe vollauf genug an ihnen.

– Und das Kind? man merkt noch nichts?

– Hoffentlich! ich bin erst im dritten Monat. Er wächst, der elende Kleine! Aber er stört mich noch nicht. In sechs Wochen mache ich mich ans Tanzen; hoffentlich wird es ihm sehr unbehaglich werden, so daß er schnell von dannen geht.

– Du hast Recht, sagte Chrysis. Laß Dir die Taille nicht entstellen. Ich habe gestern Philimation, unsere frühere kleine Freundin gesehen, die seit drei Jahren mit einem Kornhändler in Boubastes lebt. Weißt Du, was sie mir zuerst gesagt hat? »Ach, wenn Du meine Brüste sehen würdest!« und sie hatte Thränen in den Augen. Ich sagte ihr, daß sie noch immer hübsch sei, aber sie wiederholte: »Wenn Du meine Brüste sehen würdest! Ach! Ach! wenn Du meine Brüste sehen würdest«, und sie weinte wie eine Byblis. Da habe ich nun gesehen, daß sie fast Lust hatte mir sie zu zeigen und ich habe sie darum gebeten. Ach, meine Liebe! zwei leere Säcke. Und Du weißt, wie schön sie sie hatte. Man sah die Spitzen nicht, so weiß waren sie. Richte die Deinigen nicht zu Grunde, meine Seso. Lasse sie jugendlich und straff wie sie sind. Die beiden Brüste einer Hetäre sind kostbarer, als ihr Halsband.

Während sie so sprachen, kleideten sich die beiden Frauen an. Sie traten zusammen in die Festhalle ein, wo Bacchis stehend wartete, die Taille durch Apodesmen festgehalten und den Hals mit Goldbändern beladen, die sich bis zum Kinn aufstaffelten.

»Ach! ihr lieben Schönen, welch‘ guten Einfall hat Naukrates gehabt euch heute Abend hier zu vereinigen!«

– Wir preisen uns glücklich, daß es bei Dir geschieht, antwortete Chrysis, als habe sie die Anspielung nicht verstanden. Und um gleich eine Bosheit zu sagen, fügte sie hinzu.

»Wie geht es dem Doryklos?«

Es war ein junger, sehr reicher Liebhaber, welcher Bacchis kürzlich verlassen hatte, um eine Sizilianerin zu heirathen.

»Ich … ich habe ihn weggeschickt,« antwortete Bacchis frech.

– Ist es möglich?

– Ja; man sagt, daß er aus Ärger darüber heirathen will. Aber ich erwarte ihn am Tage nach der Hochzeit. Er ist wahnsinnig in mich verliebt.

Als sie »Wie geht es dem Doryklos?« gefragt, hatte Chrysis gedacht: »Wo ist Dein Spiegel?« Aber Bacchis‘ Augen schauten ihr nicht in’s Gesicht und man konnte darin nur eine unbestimmte und sinnlose Verwirrung lesen. Übrigens hatte Chrysis noch Zeit, diese Frage aufzuhellen und trotz ihrer Ungeduld vermochte sie es über sich, eine passendere Gelegenheit abzuwarten.

Sie war im Begriffe die Unterhaltung fortzusetzen, als sie durch die Ankunft van Philodemus, Faustina und Naukrates, welche Bacchis zu neuen Höflichkeiten zwang, davon abgehalten wurde. Man bewunderte die gestickten Kleider des Dichters und das durchsichtige Gewand seiner römischen Geliebten. Dieses junge Mädchen, das die alexandrinischen Sitten wenig kannte, glaubte sich so zu hellenisiren, und wußte nicht, daß ein solches Kostüm bei einem Feste, wo bezahlte Tänzerinen ähnlich entkleidet erscheinen sollten, nicht passend war. Bacchis zeigte nicht, daß sie diesen Irrthum bemerkte und sie fand höfliche Worte, um Faustina für ihr schweres blaues Haar, das mit glänzenden Wohlgerüchen überschüttet war, Komplimente zu machen. Sie trug dasselbe mit einer Goldnadel befestigt auf dem Nacken hoch, um Myrrhenflecke auf ihren leichten Seidenstoffen zu verhüten.

Man war im Begriffe sich zu Tische zu setzen, als der siebente Gast eintrat: es war Timon, ein junger Mann, bei dem die Abwesenheit von Grundsätzen eine natürliche Gabe war, der aber in den Lehren der Philosophen seiner Zeit einige höhere Gründe gefunden hatte, die seinen Charakter gut hießen.

»Ich habe Jemanden mitgebracht,« sagte er lachend.

– Wen? fragte Bacchis.

– Eine gewisse Demo, die aus Mendes ist.

– Demo! Aber wo denkst Du hin, mein Freund?

Es ist eine Straßendirne. Man kann sie für eine Dattel haben.

– Nun gut! Ich bestehe nicht darauf, sagte der junge Mann. Ich habe soeben auf der Kanopischen Straße ihre Bekanntschaft gemacht. Sie hat mich gebeten sie zum Essen mitzunehmen. Da hab‘ ich sie zu Dir geführt. Wenn Du nicht willst …

– Dieser Timon ist unglaublich! erklärte Bacchis.

Und sie rief eine Sklavin:

»Heliope, sage Deiner Schwester, daß sie ein Weib vor der Thür finden wird. Sie soll es mit Stockschlägen davonjagen. Geh!«

Sie drehte sich um, mit dem Blick Jemanden suchend.

– Ist Phrasilas nicht angekommmen?

II.

Das Mahl.

Bei diesen Worten trat ein kleiner, schmächtiger Mann, mit grauer Stirne, grauen Augen und grauem Bärtchen mit kleinen Schritten vor und sagte lächelnd:

»Ich war da.«

Phrasilas war ein angesehener Polygraph, von dem man nicht genau hätte sagen können, ob er Philosoph, Grammatiker, Historiker oder Mytholog war, denn er ging an die ernstesten Studien mit einem schüchternen Eifer und einer flatterhaften Neugierde. Er wagte es nicht eine Abhandlung zu schreiben und war nicht im Stande ein Drama aufzubauen. Sein Styl hatte etwas Heuchlerisches, Zaghaftes und Eitles. Für die Denker war er ein Dichter, für die Dichter ein Weiser, für die Gesellschaft ein großer Mann.

»Nun! gehen wir zu Tische!« sagte Bacchis und sie streckte sich mit ihrem Geliebten auf dem Bette aus, welches zu Häupten der Festtafel stand. Zu ihrer Rechten lagen Philodemus und Faustina mit Phrasilas. Zur Linken des Naukrates: Seso, dann Chrysis und der junge Timon. Jeder der Gäste legte sich quer gegen den Tisch, auf ein Seidenkissen gestützt und den Kopf mit Blumen umwunden. Eine Sklavin brachte die Kränze von rothen Rosen und blauen Lotusblumen. Dann begann das Festmahl.

Timon fühlte, daß sein toller Streich unter den Frauen einige Kälte hervorgerufen hatte. Deßhalb begann er auch nicht sogleich mit ihnen zu sprechen, sondern sagte, sich an Philodemus wendend, mit dem größten Ernste:

»Man behauptet, daß Du ein sehr ergebener Freund des Cicero seiest. Was hältst Du von ihm, Philodemus? Ist es ein erleuchteter Philosoph oder ein einfacher Kompilator, ohne Unterscheidungsgabe und ohne Geschmack? Denn ich habe beide Meinungen vertheidigen hören.«

– Gerade weil ich sein Freund bin, kann ich Dir nicht antworten, sagte Philodemus. Ich kenne ihn zu gut: also kenne ich ihn schlecht. Befrage Phrasilas. Da er ihn wenig gelesen hat, wird er ihn ohne Irrthum beurtheilen.

– Nun, was denkt Phrasilas von ihm?

– Es ist ein bewunderungswürdiger Schriftsteller, sagte der kleine Mann.

– Was willst Du damit sagen?

– Ich meine es in dem Sinne, Timan, daß alle Schriftsteller etwas Bewunderungswürdiges haben, wie alle Landschaften und alle Seelen. Ich könnte selbst der ödesten Ebene den Anblick des Meeres nicht vorziehen. So könnte ich eine Abhandlung des Cicero eine Ode Pindar’s und einen Brief von Chrysis, selbst wenn ich den Styl unserer vortrefflichen Freundin kennen würde, nicht nach der Reihenfolge meiner Sympathien ordnen. Wenn ich ein Buch wieder zuschlage, bin ich zufrieden, die Erinnerung an eine Zeile, die mich zum Denken angeregt hat, mitzunehmen. Bis jetzt enthielten alle, die ich aufgeschlagen habe, diese Zeile. Aber kein einziges hat mir eine zweite gebracht. Vielleicht hat Jeder von uns nur eine einzige Sache in seinem Leben zu sagen, und diejenigen, welche versucht haben länger zu sprechen, waren große Ehrgeizige. Wie viel mehr bedaure ich das Schweigen jener Millionen Seelen, welche nicht geredet haben.

– Ich bin nicht Deiner Meinung, sagte Naukrates, ohne die Augen zu erheben. Die Welt ist erschaffen worden, damit drei Wahrheiten gesagt werden und zu unserem Unglück ist ihre Gewißheit schon fünf Jahrhunderte vor diesem Abend bewiesen worden. Heraklit hat die Welt begriffen, Parmenides hat die Seele enthüllt, Pythagoras hat Gott ermessen: wir haben nichts zu thun als zu schweigen. Ich finde die Kichererbse sehr gewagt.

Mit dem Griffe ihres Fächers schlug Seso leise auf den Tisch.

»Timon,« sagte sie, »mein Freund.«

– Was giebt’s?

– Warum stellst Du Fragen, die keinerlei Interesse haben, weder für mich, die ich nicht lateinisch kann, noch für Dich, der Du es vergessen willst? Glaubst Du Faustina mit Deiner fremdländischen Gelehrsamkeit zu blenden? Armer Freund, mich wirst Du mit Deinen Worten nicht täuschen. Ich habe Deine große Seele gestern unter meiner Decke entkleidet und ich weiß, Timon, welcher Art die Kichererbse ist, um die sie sich kümmert.

– Glaubst Du? sagte einfach der Jüngling. Doch Phrasilas begann mit ironischer und süßlicher Stimme ein zweites Kapitel.

»Seso, wenn wir wieder das Vergnügen haben werden Dich Timon beurtheilen zu hören, sei es um ihm, wie er es verdient, Beifall zu spenden, sei es um ihn zu tadeln, was wir nicht könnten, erinnere Dich, daß es ein Unsichtbarer ist, dessen Seele eine eigentümliche ist. An sich hat sie kein Dasein, oder man kann sie wenigstens nicht kennen, aber sie spiegelt diejenigen wieder, die sich darin betrachten, und verändert ihr Aussehen, wenn sie die Stelle wechselt. Diese Nacht sah sie Dir ganz ähnlich und ich wundere mich nicht, daß sie Dir gefallen hat. Im Augenblick hat sie das Bild des Pilodemus angenommen: deßhalb hast Du soeben gesagt, daß sie sich Lügen straft. Nun braucht sie sich nicht zu verneinen, weil sie sich nicht bejahte. Du siehst, meine Liebe, daß man sich vor unbedachten Urtheilen hüten soll.«

Timon warf auf Phrasilas einen zornigen Blick, doch er verschob seine Antwort.

»Wie dem auch sei, begann Seso von Neuem, wir sind hier vier Hetären vereint, und wir bestehen darauf das Gespräch zu leiten, damit wir nicht rothwangigen Kindern gleichen, die den Mund nur aufthun, um Milch zu trinken. Faustina, beginne, da Du die neu Angekommene bist.«

– Sehr richtig, sagte Naukrates. Wähle für uns, Faustina. Wovon sollen wir sprechen?

Die junge Römerin drehte den Kopf, hob die Augen empor, erröthete und mit einer Wellenbewegung ihres ganzen Körpers seufzte sie:

»Von der Liebe.«

– Sehr hübscher Gegenstand! sagte Seso, eine Anwandlung zu Lachen unterdrückend.

Aber Niemand nahm das Wort.

— — — — —

Der Tisch war mit Kränzen, Gräsern, Bechern und Kannen bedeckt. Sklavinen brachten in geflochtenen Körben Brode herbei, die so leicht waren, wie Schnee. Auf bemalten irdernen Platten sah man fette Aale mit Gewürzen bestreut, wachsfarbige Alphesten und geweihte Kallichtys.

Es wurden auch Stutzköpfe aufgetragen, ein purpurner Fisch, von dem es hieß, er sei aus demselben Schaume wie Aphrodite geboren, Ochsenfische, Bebradonen, mit Dintenfischen belegte Meerbarben, bunte Drachenköpfe. Um sie brennend heiß essen zu können, bot man in ihren kleinen Pfannen Spitzmäuler, Wespen und warme Seepolypen, deren Arme zart waren; endlich den Bauch eines weißen Zitterfisches, so rund wie der Bauch eines schönen Weibes.

Das war der erste Gang, wo die Gäste bissenweise die guten Stücke eines jeden Fisches wählten, den Rest den Sklaven überlassend.

»Die Liebe,« begann Phrasilas, »ist ein Wort, das keinen Sinn hat, oder auch jeden Sinn, denn es bezeichnet abwechselnd zwei unvereinbare Gefühle, die Sinneslust und die Leidenschaft. Ich weiß nicht, in welchem Sinne Faustina davon sprechen will.«

– Ich will, unterbrach Chrysis, die Wollust für meinen Theil und die Leidenschaft bei meinen Liebhabern. Du mußt von beiden sprechen, oder Du wirst nur halb mein Interesse zu erregen wissen.

– Die Liebe, murmelte Philodemus, ist weder die Wollust, noch die Leidenschaft. Die Liebe ist etwas ganz Anderes.

– Oh! Gnade! rief Timon, halten wir heute Abend ausnahmsweise ein Gastmahl ohne Philosophie. Wir wissen, Phrasilas, daß Du, mit einer sanften Beredsamkeit und einer honigsüßen Überzeugungskraft, die Überlegenheit des vielfachen Vergnügens über die ausschließliche Leidenschaft, verteidigen kannst. Wir wissen auch, daß, nachdem Du während einer Stunde über einen so kühnen Gegenstand gesprochen haben wirst, Du bereit sein würdest, während der darauffolgenden Stunde mit derselben sanften Beredsamkeit und derselben honigsüßen Überzeugungskraft die Gegengründe Deines Widersprechers zu verfechten. Ich leugne nicht …

– Erlaube … sagte Phrasilas.

– Ich leugne nicht den Reiz dieses kleinen Spieles, fuhr Timon fort, noch den Geist, den Du daran wendest. Ich zweifle nur an seiner Schwierigkeit und deßhalb an seinem Interesse. Das » Gastmahl«, das Du ehemals im Laufe einer weniger ernsten Erzählung veröffentlicht hast und auch die Gedanken, die Du neulich einer mythischen Person, die Deinem Ideale gleicht, geliehen hast, haben unter der Regierung von Ptolemäus Auletes neu und selten geschienen; aber wir leben seit drei Jahren unter der jungen Königin Berenike, und ich weiß nicht, durch welche Wendung die Denkmethode, welche Du dem berühmten, harmonisch lächelnden Exegeten entlehnt hast, plötzlich um hundert Jahre unter Deiner Feder gealtert hat, wie die Mode der geschlossenen Aermel und der gelbgefärbten Haare. Trefflicher Meister, es thut mir leid; denn wenn es Deinen Erzählungen ein wenig an Feuer gebricht, wenn Deine Erfahrung in Bezug auf das Frauenherz nicht so groß ist, daß man darüber unruhig werden könnte, so bist Du zum Ersatze dafür mit einem komischen Geiste begabt und ich bin Dir dankbar, daß Du mich zum Lächeln gebracht hast.

– Timon! rief Bacchis entrüstet.

Phrasilas unterbrach sie mit einer Handbewegung:

»Laß gut sein, meine Liebe. Im Gegensatze zu den meisten anderen Menschen behalte ich von den Urtheilen, die mir zu Theil werden, nur die Lobworte, die man mir spendet. Timon hat mir dieselben gegeben; Andere werden mich wegen anderer Eigenschaften loben. Es ist nicht möglich unter einer allgemeinen Zustimmung zu leben, und die Verschiedenheit der Gefühle, welche ich erwecke, ist für mich ein reizendes Blumenbeet, wo ich die Rosen riechen will, ohne die Wolfsmilch auszureißen.«

Chrysis machte eine Lippenbewegung, welche klar zeigte, wie wenig sie von diesem Manne hielt, der so geschickt den Diskussionen ein Ende machte. Sie wandte sich zu Timon, der ihr Bettnachbar war, und fragte, ihm die Hand auf den Hals legend:

»Was ist der Zweck des Lebens?«

Das war die Frage, die sie stellte, wenn sie nicht wußte, was sie einem Philosophen sagen sollte; aber diesmal legte sie eine solche Zärtlichkeit in ihre Stimme, daß Timon eine Liebeserklärung zu hören wähnte.

Er antwortete jedoch mit einer gewissen Ruhe:

»Jedem das seine, meine Chrysis. Es giebt für das Dasein der Wesen keinen universalen Zweck. Was mich betrifft, so bin ich der Sohn eines Bankiers, dessen Kundschaft alle großen Hetären Aegyptens umfaßt, und da mein Vater durch scharfsinnige Mittel ein großes Vermögen gesammelt hat, gebe ich dasselbe edelmüthig den Opfern seiner Geschäfte zurück, indem ich, so oft es mir die Kräfte, die mir die Götter verliehen haben, gestatten, mit ihnen schlafe. Meine Lebenskraft, sagte ich mir, ist nur eine einzige Aufgabe im Leben zu erfüllen fähig. Das ist diejenige, die ich wähle, da sie die Anforderungen der seltensten Tugend mit den entgegengesetzten Befriedigungen vereinbart, die ein anderes Ideal weniger gut ertragen würde.«

Während er so sprach, hatte er sein rechtes Bein unter Chrysis‘ Beine, die auf der Seite lag, geschoben und er versuchte die geschlossenen Kniee der Hetäre zu trennen, als ob er an diesem Abend seinem Leben ein bestimmtes Ziel hätte geben wollen. Aber Chrysis ließ ihn nicht gewähren.

Es gab einige Augenblicke des Schweigens, dann nahm Seso wieder das Wort.

»Timon, es ist sehr schlecht von Dir, daß Du das einzige ernste Gespräch, dessen Gegenstand uns berühren kann, gleich bei Beginn unterbrichst. Laß wenigstens Naukrates sprechen, wenn Du so schlimm geartet bist.«

– Was soll ich von der Liebe sagen? antwortete der Geladene. Es ist ein Name, den man dem Schmerze giebt, um die Leidenden zu trösten. Es giebt nur zwei Arten unglücklich zu sein: entweder das wünschen, was man nicht hat, oder das besitzen, was man gewünscht hat. Die Liebe beginnt mit der ersten Art und mit der zweiten geht sie im schlimmsten Falle ihrem Ende zu, das heißt: sobald sie ihren Zweck erreicht. Die Götter mögen uns davor behüten zu lieben!

– Aber durch Überrumpelung besitzen, sagte Philodemus lächelnd, ist das nicht die wahre Liebe?

– Welche Seltenheit!

– Ach nein, – nicht wenn man darauf achtet. Höre dies, Naukrates; nicht begehren, und sich so einrichten, daß sich die Gelegenheit dazu biete; nicht lieben, aber aus der Ferne einige sorgfältig ausgewählte Personen gern haben, bei denen man vorausfühlt, daß man nach und nach Neigung für sie fassen könnte, wenn der Zufall und die Umstände sie Einem zuführen würden, niemals ein Weib mit den Vorzügen schmücken, welche man ihr wünscht, noch mit den Schönheiten, die sie verbirgt, aber das Abgeschmackte vermuthen, um sich ob des Vorzüglichen zu verwundern: ist das nicht der beste Rath, den ein Weiser den Liebenden geben könnte? Jene allein haben glücklich gelebt, die in ihrem so kostbaren Leben sich manchmal die unschätzbare Reinheit einiger unvorhergesehener Genüsse aufgespart haben.

— — — — —

Der zweite Gang neigte seinem Ende zu. Man hatte Fasanen aufgetischt, Attages, eine herrliche blaue und rothe Porphyris, einen Schwan, mit seinem ganzen Gefieder, den man vierundzwanzig Stunden gekocht hatte, um ihm die Flügel nicht zu verbrennen. Man sah auf gebogenen Platten Phlexiden und Pelikane, einen weißen Pfau, welcher achtzehn gespickte und gebratene Spermologen auszubrüten schien, kurzum: genug Speisen, um hundert Leute mit den Überbleibseln, nachdem die besten Stücke ausgewählt worden, zu sättigen. Aber das Alles war nichts im Vergleich zu dem letzten Gange.

Dieses Meisterwerk (seit langer Zeit hatte man in Alexandrien nichts Ähnliches gesehen) war ein junges Schwein, dessen eine Hälfte gebraten und dessen andere Hälfte in Brühe gekocht worden war. Es war unmöglich zu erkennen, wie es getödtet worden war und wie man ihm die Bauchhöhle mit Allem was sie enthielt, gefüllt hatte. Das Thier war in der That mit fetten Wachteln, mit Hühnerbäuchen, mit Lerchen, mit gehacktem Fleisch und schmackhaften Saucen gefüllt worden, ohne daß man sich hätte erklären können, wie dies Alles in das unversehrte Thier hineingekommen war.

Es gab nur einen Schrei der Bewunderung, und Faustina war entschlossen das Recept zu verlangen. Phrasilas gab lächelnd metaphorische Sentenzen zum Besten, Philodemus improvisirte ein Distichon, wo das Wort »choiros« in seinen zwei Bedeutungen angewendet wurde, worüber Seso, die schon betrunken war, dermaßen lachte, daß ihr die Thränen rannen; doch als Bacchis den Befehl gegeben hatte, jedem Gaste in sieben Becher sieben seltene Weine gleichzeitig einzugießen, entartete das Gespräch vollends.

Timon wandte sich zu Bacchis:

»Warum warst Du so hart gegen das arme Mädchen, das ich mitbringen wollte? Es war doch eine Kollegin. An Deiner Stelle hielte ich eine arme Hetäre mehr in Ehren, als eine reiche Matrone.«

– Du bist von Sinnen, sagte Bacchis, ohne darauf einzugehen.

– Ja, ich habe oft bemerkt, daß man diejenigen, die ausnahmsweise schlagende Wahrheiten auszusprechen wagen, für verrückt hält. In Paradoxen ist alle Welt einig.

– Nun, mein Freund, frage Deine Nachbaren.

Welcher Mann von guter Herkunft würde ein Mädchen ohne Schmuck zur Geliebten nehmen?

– Ich habe es gethan, sagte Philodemus einfach.

Und die Frauen mißachteten ihn.

»Im vorigen Jahre, fuhr er fort, am Ende des Frühlings, als mir das Exil Cicero’s Ursache schien, für meine eigene Sicherheit zu fürchten, machte ich eine kleine Reise. Ich zog mich nach den Alpen zurück, in einen reizenden Ort, Orobia genannt, am Ufer des kleinen Sees Clisius. Es war ein einfaches Dorf, wo es keine zweihundert Frauen gab, und eine derselben war Hetäre geworden, um die Tugend der Anderen zu schützen. Man erkannte ihr Haus an einem Blumenstrauß, der an der Thür hing, sie selbst aber unterschied sich nicht von ihren Schwestern und Basen. Sie wußte nicht, daß es Schminken, Wohlgerüche und Schönheitsmittel gebe, durchsichtige Schleier und Haarbrenneisen. Sie wußte ihre Schönheit nicht zu pflegen und enthaarte sich mit Pechharz, wie man in einem Hofe aus weißem Marmor das Unkraut ausrauft. Man erbebte, wenn man bedachte, daß sie ohne Schuhe ging, so daß man ihre nackten Füße nicht küssen konnte, wie Faustinas Füße, die weicher sind als Hände. Und doch fand ich an ihr so viel Reize, daß ich neben ihrem braunen Körper einen ganzen Monat hindurch Rom, Tyrus und das glückliche Alexandrien vergaß.«

Naukrates machte eine zustimmende Bewegung, und sagte, nachdem er getrunken hatte:

»Das große Ereigniß der Liebe ist der Augenblick, wo sich die Nacktheit enthüllt. Die Hetären sollten es wissen und uns Überraschungen bereiten. Doch es scheint, daß sie sich im Gegentheil die größte Mühe geben, uns zu enttäuschen. Giebt es etwas Unangenehmeres als ein wallendes Haar, wo man die Spuren des heißen Eisens sieht? Nichts ist peinlicher, als bemalte Wangen, deren Schminke beim Kusse abfärbt; nichts ist jämmerlicher, als ein geschwärztes Auge, wo sich die Kohle nach der Quere verwischt. Ich könnte allenfalls noch begreifen, daß sich ehrliche Frauen dieser Täuschungsmittel bedienen; jede Frau liebt es sich mit einem Kreise verliebter Männer zu umgeben, und diese Frauen setzen sich wenigstens den Zudringlichkeiten nicht aus, die ihre natürliche Gestalt enthüllen würden. Aber daß Hetären, die das Bett als Zweck und Erwerbsmittel haben, nicht fürchten, sich dort weniger schön zu zeigen, als auf der Straße, das begreife ich nicht.«

– Du verstehst nichts davon, Naukrates, sagte Chrysis lächelnd. Ich weiß, daß man nicht einen Geliebten von zwanzig festhalten kann; aber man verführt nicht einen Mann von fünfhundert, und bevor man im Bette gefällt, muß man auf der Straße gefallen. Niemand würde uns vorbeigehen sehen, wenn wir weder Roth noch Schwarz auflegten. Die kleine Bäuerin, von der Philodemus sprach, hatte keine Mühe ihn anzuziehen, da sie allein in ihrem Dorfe war; es giebt hier fünfzehntausend Hetären; das ist eine ganz andere Concurrenz.

– Weißt Du nicht, daß die reine Schönheit keiner Ausschmückung bedarf und sich selbst genügt?

– Ja. Nun laß eine reine Schönheit, wie Du sagst, und Gnathene, die alt und häßlich ist, sich gemeinschaftlich bewerben. Setze die Erste mit durchlöchertem Kleide auf die letzten Stufen des Theaters und die Zweite in gestirntem Gewande, auf die von ihren Sklavinen ihr vorbehaltenen Plätze und schreibe beim Herausgehen ihre Preise auf: man wird der reinen Schönheit acht Obolen geben, und Gnathene zwei Minen.

– Die Männer sind dumm, schloß Seso.

– Nein, bloß träge. Sie geben sich nicht die Mühe ihre Geliebte zu wählen. Die geliebtesten sind die verlogensten.

– Doch wenn ich, begann Phrasilas, wenn ich einerseits gern leben würde …

Und er verfocht mit großer Annehmlichkeit zwei ganz interesselose Thesen.

— — — — —

Eine hinter der anderen erschienen zwölf Tänzerinen, die zwei ersten spielten die Flöte, die letzte das Tamburin, die anderen schlugen die Klapper. Sie befestigten ihre Schuhbänder, berieben mit weißem Harze ihre kleinen Sandalen und warteten mit ausgestreckten Armen auf den Beginn der Musik … Eine Note, zwei Noten … eine lydische Tonleiter … und nach einem leichten Rhythmus setzten die zwölf Mädchen sich in Schwung.

Ihr Tanz war lüstern, weich und anscheinend ohne Ordnung, obgleich alle Figuren im Voraus geregelt worden waren. Sie bewegten sich in einem kleinen Räume und mengten sich untereinander wie die Fluthen. Bald gesellten sie sich paarweise und ohne ihren Tanz zu unterbrechen, lösten sie ihre Gürtel und ließen ihre rosarothen Gewänder fallen. Ein Geruch von nackten Frauen verbreitete sich um die Männer, den Duft der Blumen und den Geruch der zerlegten Braten deckend. Sie warfen sich mit hastigen Bewegungen zurück, der Bauch war gespannt, die Arme vorgestreckt. Dann reckten sie sich wieder, mit hohlem Kreuze und mit den Warzen ihrer geschüttelten Brüste berührten sich ihre Körper im Vorbeigehen. Timons Hand wurde von einem vorbeihuschenden warmen Schenkel angenehm gestreift.

»Was denkt unser Freund davon?« sagte Phrasilas, mit seiner dünnen Stimme.

– Ich fühle mich vollkommen glücklich, antwortete Timon. Ich habe nie so klar wie heute Abend die höchste Aufgabe des Weibes verstanden.

– Und welche ist es?

– Sich zu prostituiren, mit oder ohne Kunst.

– Das ist eine Meinung.

– Phrasilas, noch ein Mal, wir wissen, daß man nichts beweisen kann; ja noch mehr, wir wissen, daß nichts existirt und daß selbst dies nicht sicher ist. Nur so nebenbei gesagt und um Deine ehrwürdige Manie zu befriedigen, erlaube ich mir eine zugleich strittige und abgedroschene These, wie es alle sind, aufzustellen, aber interessant für mich, der sie behauptet, und auch für die Mehrzahl der Männer, die sie leugnen. In Bezug auf das Denken ist die Originalität noch mehr chimärisches Ideal als die Gewißheit. Du weißt das.

– Gieb mir Wein von Lesbos, sagte Seso zur Sklavin, er ist stärker als der andere.

– Ich behaupte, begann Timon von Neuem, daß die verheirathete Frau, indem sie sich einem Manne widmet, der sie betrügt, indem sie sich Anderen entzieht (oder sich nur selten Ehebrüche gestattet, was dasselbe ist), Kinder zur Welt bringt, welche sie vor der Geburt verunstalten und nachher ganz in Beschlag nehmen, – ich behaupte, daß eine ehrbare Frau, indem sie so lebt, ihr Leben nutzlos hinbringt, und daß die Jungfrau am Tage ihrer Heirath einen schlimmen Handel eingeht.

– Sie glaubt einer Pflicht zu gehorchen, sagte Naukrates ohne Überzeugung.

– Einer Pflicht? und gegen wen? Hat sie nicht die Freiheit selbst eine Sache zu regeln, die sie allein angeht? Sie ist ein Weib, und als Weib ist sie gewöhnlich geistigen Freuden gegenüber sehr wenig empfänglich: und nicht genug, daß sie der Hälfte der menschlichen Freuden fremd bleibt, versagt sie sich durch die Ehe die andere Seite der Wollust! So kann sich denn ein junges Mädchen im Alter, wo es ganz Leidenschaft ist, sagen: »Ich werde meinen Mann kennen, und zehn Geliebte, höchstens zwölf«, und glauben, daß sie sterben werde, ohne etwas vermißt zu haben? Für mich werden dreitausend Weiber an dem Tage, wo ich die Erde verlassen werde, nicht genug sein.

– Du bist ehrgeizig, sagte Chrysis.

– Aber mit welchem Weihrauch, mit welchen goldenen Versen, rief der sanfte Philodemus aus, müssen mir nicht auf alle Zeiten die mildthätigen Hetären preisen! Ihnen haben wir es zu danken, wenn wir den verwickelten Vorsichtsmaßnahmen, den Eifersüchteleien, den Listen, dem Herzklopfen des Ehebruches entgehen. Sie sind es, die uns das Warten im Regen, die schwankenden Leitern, die geheimen Thüren, die unterbrochenen Randez-vous, die unterschlagenen Briefe und die falsch verstandenen Zeichen ersparen. Oh angebetete Häupter, wie liebe ich euch! Bei euch hat man keine Belagerung zu unternehmen; um einige Geldstücke gebt ihr uns zum Überflüsse, was Andere uns nach drei Wochen harter Weigerung nur unvollkommen und wie eine Gnade gewähren. Für eure erleuchteten Seelen ist die Liebe kein Opfer, es ist eine gleichmäßige Gunst, welche zwei Liebende austauschen; auch dienen die Summen, welche man euch anvertraut, nicht dazu, eure unschätzbaren Zärtlichkeiten zu vergüten, sondern sie bezahlen knapp den mannigfachen und reizenden Luxus, für welchen ihr in eurer äußersten Gefälligkeit Sorge traget und mit welchem ihr jeden Abend unsere anspruchsvolle Wollust einschläfert. Da ihr zahllos seid, finden wir immer unter euch den Traum unseres Lebens und die Laune unseres Abends, Tag für Tag andere Weiber, mit Haaren und Augen in allen Farben, mit Lippen nach jedem Geschmack. Es giebt in der Welt keine Liebe, so rein sie auch sei, die ihr nicht erheucheln könntet, keine so widerwärtige, daß ihr sie nicht zu gewähren wagtet. Für die von der Natur vernachlässigten Männer seid ihr milde, für die betrübten trostreich, allen gastfreundlich und schön! Deßhalb sage ich es euch, Chrysis, Bacchis, Seso, Faustina, es ist ein gerechtes Gesetz der Götter, das den Hetären das ewige Verlangen der Liebhaber zuurtheilt.«

Die Tänzerinen tanzten nicht mehr.

Eine junge Luftspringerin, welche mit Dolchen spielte und zwischen gezückten Schwertern auf den Händen ging, war soeben eingetreten.

Da die Aufmerksamkeit der Gäste ganz auf das gefährliche Spiel des Kindes gerichtet war, betrachtete Timon Chrysis und legte sich, allmälig der Länge nach hinter ihr hin, bis er sie mit den Füßen und dem Munde berühren konnte.

»Nein, sagte Chrysis mit leiser Stimme; nein, mein Freund.«

Aber er hatte den Arm durch den weiten Schlitz, ihres Rockes gesteckt und streichelte zärtlich die schöne, feine und heiße Haut der Hetäre.

»Halt‘ ein,« flehte sie. »Sie werden uns entdecken. Bacchis wird grollen.«

Ein Blick genügte dem jungen Manne, um sich zu überzeugen, daß man ihm nicht zusah. Er erdreistete sich bis zu einer Liebkosung, nach welcher die Weiber selten widerstehen, wenn sie erst erlaubt haben so weit zu gehen. Und um durch ein entscheidendes Argument die letzten Bedenken der Scham zu beschwichtigen, legte er dann seine Börse in die Hand, die zufällig offen war.

Chrysis wehrte sich nicht mehr.

Die junge Luftspringerin führte indeß ihre feinen und gefährlichen Kunststücke weiter. Sie ging auf den Händen, mit umgestülptem Rocke, die Füße vor dem Kopf hängend, zwischen scharf geschliffenen und spitzigen Schwertern. Die Anstrengung ihrer gefährlichen Stellung und vielleicht auch die Angst vor den Wunden trieben unter ihre Wangen ein warmes, dunkles Blut, das den Glanz ihrer offenen Augen nach erhöhte. Ihre Taille biegte und reckte sich, ihre Beine zitterten zuweilen. Ein angstvolles Athmen belebte ihre nackte Brust.

»Genug,« sagte Chrysis mit strenger Stimme; »Du hast mich entnervt, weiter nichts. Laß mich, laß mich.«

Und im Augenblick, wo die beiden Epheserinen aufstanden, um der Gewohnheit gemäß die Fabel der Hermaphroditen zu spielen, ließ sie sich vom Bette gleiten und ging aufgeregt hinaus.

III.

Rhacotis.

Kaum hatte Chrysis die Thür geschlossen, als sie ihre Hand auf das entflammte Centrum ihrer Gier drückte, wie man einen schmerzhaften Punkt preßt, um stehende Empfindungen zu lindern. Dann lehnte sie sich mit der Schulter an eine Säule und rang leise schreiend die Hände.

Wird sie denn nie Etwas erfahren?

Je mehr die Stunden vergingen, desto deutlicher sah sie die Unwahrscheinlichkeit ihres Erfolges. Plötzlich nach dem Spiegel verlangen: das war ein sehr gewagtes Mittel die Wahrheit zu erfahren. Im Falle derselbe gestohlen worden, würde sie allen Verdacht auf sich lenken und sich ins Verderben stürzen. Andererseits war es ihr nicht mehr möglich da zu bleiben, ohne zu sprechen; aus Ungeduld hatte sie den Saal verlassen.

Timon’s Ungeschicklichkeiten hatten ihre stumme Wuth zu einer bebenden Überreiztheit gesteigert, die sie zwang ihren Körper an die kühle, glatte Säule zu lehnen.

Sie sah einen Nervenanfall voraus und bekam Angst.

Sie rief die Sklavin Aretias herbei.

»Bewahre mir meinen Schmuck auf; ich gehe hinaus.«

Und sie stieg die sieben Treppenstufen hinunter.

Die Nacht war warm. Kein Luftzug trocknete auf ihrer Stirne die schweren Schweißtropfen. Die Enttäuschung, die sie deßhalb fühlte, vergrößerte ihr Unbehagen und machte sie wanken.

Sie ging die Straße entlang.

Bacchis Haus war am äußersten Ende von Brouchion gelegen, an der Grenze der Altstadt Rhacotis, einer ungeheueren Spelunke voll mit Matrosen und Aegypterinen. Die Fischer, welche wahrend der glühenden Hitze des Tages in den vor Anker liegenden Fahrzeugen schliefen, kamen dahin, um bis zum Morgen ihre Nacht da zuzubringen, den Dirnen und den Weinverkäufern ihren Erwerb des vorigen Tages zurücklassend.

Chrysis lenkte in die Gäßchen dieser alexandrinischen Suburra ein, die voll Stimmen, Bewegung und barbarischer Musik war. Sie schaute verstohlen durch die offenen Thüren, in die vom Dampfe der Lampen stinkenden Säle, wo sich nackte Paare begatteten. An Straßenecken, auf niederen, vor den Häusern nebeneinander gereihten Gerüsten, gab es Strohmatten, die unter ihrer doppelten Menschenlast knarrten und sich bewegten. Chrysis ging unruhig weiter. Ein Weib, das ohne Liebhaber war, forderte sie auf. Ein Greis griff ihr an den Busen. Eine Mutter bot ihr ihre Tochter an. Ein Bauer, der sie angaffte, küßte sie auf den Nacken. Sie floh in einer Art erröthender Furcht.

Diese fremde Stadt, mitten in der griechischen, war für Chrysis voll Nacht und Gefahr. Sie kannte schlecht dies sonderbare Labyrinth, den Wirrwarr von Straßen, das Geheimniß gewisser Häuser. Wenn sie sich von Zeit zu Zeit hieher wagte, folgte sie immer demselben directen Wege, nach einer kleinen rothen Thüre und dort vergaß sie ihre alltäglichen Geliebten in der unermüdlichen Umarmung eines jungen Eseltreibers mit sehnigen Muskeln, den sie das Vergnügen hatte ihrerseits zu bezahlen.

Aber an jenem Abend merkte sie, ohne nur den Kopf zu wenden, daß doppelte Schritte ihr folgen.

Sie beschleunigte ihren Gang. Der doppelte Schritt wurde gleichfalls beschleunigt. Sie begann zu laufen, man lief hinter ihr her; dann lenkte sie wie toll in ein anderes Gäßchen, dann in ein anderes in entgegengesetzter Richtung, dann in eine lange Straße, die in eine unbekannte Gegend führte.

So floh sie mit trockenem Gaumen und geschwollenen Schläfen, nur von Bacchis‘ Wein aufrecht gehalten, ganz bleich und verwirrt.

Endlich verschloß ihr eine Mauer den Weg: sie befand sich in einer Sackgasse. Schnell wollte sie umkehren; allein, zwei Matrosen mit braunen Händen versperrten ihr den engen Durchgang.

»Wohin gehst Du, Goldpfeilchen?« sagte der Eine lachend.

– Laßt mich hindurch.

– Was? Du bist verirrt, mein Kind, Du kennst Rhacotis nicht, wie? Wir wollen Dir die Stadt zeigen.

Und damit faßten sie beide beim Gürtel. Sie schrie, sträubte sich, theilte Faustschläge aus, aber der zweite Matrose nahm ihre beiden Hände gleichzeitig in seine Linke und sagte einfach:

»Verhalte Dich ruhig. Du weißt, daß man hier die Griechen nicht liebt; Niemand wird Dir zu Hilfe kommen.«

– Ich bin keine Griechin!

– Du lügst, Deine Haut ist weiß und Deine Nase gerade. Laß uns gewähren, wenn Du den Stock fürchtest.

Chrysis schaute den Sprecher an und warf sich ihm plötzlich an den Hals.

» Dich liebe ich, Dir werde ich folgen,« sagte sie.

– Du wirst uns beiden folgen. Mein Freund wird seinen Theil daran haben. Geh mit uns; Du wirst Dich nicht langweilen.

Wohin wollten sie Chrysis führen? Sie wußte nichts davon, aber der zweite Matrose gefiel ihr wegen seiner Rauheit, wegen seines brutalen Kopfes. Sie betrachtete ihn mit dem unablässigen Blicke, den junge Hündinen vor dem Fleische haben. Sie beugte ihren Körper nach seiner Seite, um ihn im Gehen zu berühren.

Schnellen Schrittes durchzogen sie seltsame Viertel ohne Leben und ohne Licht. Chrysis begriff nicht, wie sie in diesem nächtlichen Labyrinth, wo sie nicht allein hätte hinauskommen können, den Weg fanden, so seltsam verworren waren die Gäßchen. Die geschlossenen Thüren, die leeren Fenster, die unbeweglichen Schatten erschreckten sie. Ueber ihr, zwischen den eng beisammen stehenden Häusern, zog sich ein schmaler Streifen des bleichen, vom Mondscheine überflutheten Himmels hin.

Endlich kehrten sie in das Leben zurück. An einer Straßenecke erschienen plötzlich acht, zehn, zwölf Lichter. Es waren beleuchtete Thüren, wo junge nabatenische Frauen zwischen zwei rothen Lampen kauerten, die von unten ihre goldbehaubten Köpfe beleuchteten.

Aus der Ferne hörten sie zuerst das Gemurmel wachsen, dann ein Getöse von Karren und von hingeworfenen Ballen, von Eselstritten und von menschlichen Stimmen. Es war der Platz von Rhacotis, wo, während Alexandrien schlief, sich der eintägige Vorrath für die Nahrung von neunmalhunderttausend Menschen anhäufte.

Sie gingen die Häuser des Platzes entlang, zwischen grünen Haufen von Gemüse, Lotoswurzeln, glänzenden Bohnen, Olivenkörben. Von einem violetten Haufen nahm Chrysis eine Hand voll Brombeeren und aß sie, ohne sich aufzuhalten. Endlich blieben sie vor einer niederen Thür stehen und die Matrosen stiegen mit Derjenigen, für welche man die wahren Perlen der Anadyomene gestohlen hatte, hinunter.

Da war ein ungeheurer Saal. Fünfhundert Männer aus dem Volke tranken da, den Tag erwartend, Tassen gelben Bieres, aßen Feigen, Linsen, Sesamkuchen und Olyrabrod. Mitten unter ihnen wimmelte ein Wirrwarr kreischender Weiber, ein ganzes Feld schwarzer Haare und bunter Blumen in einer glühenden Atmosphäre. Es waren arme Mädchen ohne Obdach, welche Allen gehörten. Sie kamen dorthin, um nach den Überresten zu betteln, mit nackten Füßen, nackten Brüsten, nothdürftig mit rothen oder blauen Lappen auf dem Bauche bedeckt; die meisten trugen auf dem linken Arme ein in Lumpen gehülltes Kind. Auch da gab es Tänzerinen, sechs Aegypterinen auf einem Gerüste, mit einem Orchester von drei Musikanten, von denen die beiden Ersten mit Stäben auf Felltrommeln schlugen, während der Dritte ein großes Sistrum aus tönendem Erze schüttelte.

»Oh! Myxarkuchen!« sagte Chrysis vergnügt.

Und sie kaufte von einer kleinen Händlerin für zwei Kupfermünzen.

Aber plötzlich wurde ihr übel, so sehr war der Geruch dieser Spelunke unerträglich; die Matrosen trugen sie in ihren Armen weg.

In der frischen Luft erholte sie sich.

»Wo gehen wir hin?« flehte sie. »Machen wir rasch, ich kann nicht weiter. Ich widersetze mich nicht, ihr seht es, ich bin gut. Aber findet so rasch als möglich ein Lager, sonst falle ich auf die Straße hin.«

IV.

Baccanal bei Bacchis.

Als sie sich wieder bei Bacchis‘ Thür befand, war sie von dem angenehmen Gefühl durchdrungen, welches die Rast im Begehren und die Ruhe des Fleisches verschaffen. Ihre Stirne war erleichtert. Ihr Mund war milder geworden. Ein von Zeit zu Zeit wiederkehrender Schmerz irrte noch um die Höhlung ihrer Lenden. Sie stieg die Treppe hinauf und schritt über die Schwelle.

Seitdem Chrysis den Saal verlassen, hatte sich das Gelage wie eine Flamme entwickelt.

Andere Freunde waren gekommen, für welche die zwölf nackten Tänzerinen ein leichter Raub geworden. Vierzig zerpflückte Kränze bedeckten den Boden mit Blumen. Ein Schlauch mit Wein aus Syrakus war in einer Ecke ausgegossen, ein goldener Fluß, der bald den Tisch erreichte.

Philodemus neben Faustina, deren Kleid er zerriß, sagte ihr singend Verse her, die er über sie gedichtet hatte.

»Oh Füße, sagte er, oh weiche Schenkel, tiefe Lenden, runde Kruppe, gespaltene Feige, Hüften, Schultern, Brüste, beweglicher Nacken, oh ihr, die ihr mich wahnsinnig macht, warme Hände, geschickte Bewegungen, flinke Zunge! Du bist eine Römerin, Du bist braun und Du singst die Verse der Sappho nicht; aber auch Perseus war der Geliebte der Indierin Andromeda. Philodemus A. P. V. 132«

Doch Seso, auf dem Tische, inmitten der durcheinander geworfenen Früchte auf dem Bauche liegend, war von den Dünsten des aegyptischen Weines vollkommen benebelt und tauchte die Warze ihrer rechten Brust in ein Sorbet mit Schnee, wobei sie fortwährend mit einer komischen Rührung wiederholte:

»Trink‘, mein Kleiner. Du bist durstig. Trink‘, mein Kleiner. Trinke. Trinke. Trinke!«

Aphrodisia, die nach Sklavin war, triumphirte in einem Männerkreise und feierte ihre letzte Nacht der Knechtschaft durch unmäßige Ausschweifungen. Um der Tradition aller alexandrinischen Orgien zu gehorchen, hatte sie sich zuerst drei Männern zugleich hingegeben; aber ihre Aufgabe war damit nicht zu Ende und bis Tagesanbruch sollte sie, nach dem Gesetze der Sklavinen, die Hetären werden, durch einen unausgesetzten Eifer beweisen, daß sie ihrer neuen Würde gewachsen war.

Hinter einer Säule stehend stritten Naukrates und Phrasilas höflich über den respektiven Werth von Arkesilas und Karneades.

Am anderen Ende des Saales schützte Myrtocleia Rhodis gegen einen allzu zudringlichen Gast.

Als sie Chrysis eintreten sahen, liefen die beiden Ephesierinen ihr entgegen.

»Gehen wir weg, meine Chryse. Theano bleibt; aber wir gehen.«

– Ich bleibe auch, sagte die Hetäre.

Und sie legte sich mit dem Rücken auf ein großes, mit Rosen bestreutes Bett.

Ein Geräusch von Stimmen und von geworfenen Geldstücken zog die Aufmerksamkeit an: es war Theano, die um ihre Schwester zu parodiren, inmitten des Lachens und Schreiens, auf den Gedanken gekommen war, aus Spott die Fabel der Danaë zu spielen, indem sie, jedes Mal wenn ein Goldstück sie durchdrang, eine milde Wollust heuchelte. Die herausfordernde Gottlosigkeit des liegenden Kindes ergötzte die Gäste, denn die Zeit war vorüber, wo der Blitz die Spötter des Unsterblichen ausrottete. Aber das Spiel entartete, wie es zu fürchten war. Ein Ungeschickter verletzte die arme Kleine, die laut zu weinen anfing.

Um sie zu trösten, mußte man eine neue Belustigung erfinden. Zwei Tänzerinen schoben in die Mitte des Saales ein großes Gefäß aus vergoldetem Silber, das bis zum Rande mit Wein gefüllt war. Jemand ergriff Theano an den Beinen und ließ sie den Kopf zu unterst, davon trinken, während sie von unwiderstehlichen Lachkrämpfen geschüttelt wurde.

Dieser Einfall hatte solchen Erfolg, daß Alle näher traten und, als die Flötenspielerin wieder auf ihre Beine kam, und man ihr durch Kongestion entflammtes Gesichtchen, das von Wein rieselte, sah, kam eine so allgemeine Freude zum Ausbruch, daß Bacchis zu Selene sagte:

»Einen Spiegel! einen Spiegel! damit sie sich selbst so besehen kann!«

Die Sklavin brachte einen Spiegel aus Bronze.

»Nein, nicht diesen. Den Spiegel von Rhodopis! Der Spaß ist ihn werth.«

Mit einem Ruck war Chrysis aufgestanden.

Das Blut stieg ihr in die Wangen, um dieselben gleich wieder zu verlassen und sie verharrte ganz bleich, mit stürmisch pochendem Herzen, die Augen auf die Thür geheftet, durch welche die Sklavin hinausgegangen war.

Dieser Augenblick sollte ihr ganzes Leben entscheiden. Die letzte Hoffnung, die ihr geblieben, war im Begriffe vereitelt zu werden oder sich zu verwirklichen.

Um sie her tobte das Fest weiter. Ein, man wußte nicht woher geworfener Iriskranz fiel ihr auf den Mund und ließ auf ihren Lippen den herben Geschmack des Blüthenstaubes zurück. Ein Mann goß ihr ein Fläschchen Wohlgerüche auf die Haare, es entleerte sich zu schnell und benetzte ihre Schultern. Ein voller Becher, in welchen ein Granatapfel geworfen worden, bespritzte ihr seidenes Gewand und die Nässe drang ihr bis auf die Haut. Sie trug stolz allen Schmutz des Gelages.

Die Sklavin, die hinausgegangen war, kam nicht wieder zurück.

Chrysis blieb bleich wie ein Stein und regte sich nicht mehr, als eine Bildsäule. Die rhythmische und einförmige Klage einer in der Nähe im Liebeskrampfe liegenden Frau maß ihr einzig die Zeit. Es schien ihr, als ob dieses Weib schon seit dem vorigen Tage wimmerte. Sie hätte Etwas zerknittern, sich die Finger zerbrechen, schreien mögen.

Endlich kam Selene mit leeren Händen zurück.

»Und der Spiegel?« fragte Bacchis.

– Er ist … er ist nicht mehr da … er ist … er ist … gestohlen, stotterte die Magd.

Bacchis stieß einen so gellenden Schrei aus, daß Alle schwiegen, eine schauerliche Stille unterbrach plötzlich den Tumult.

Aus allen Winkeln des großen Saales näherten sich Männer und Frauen: es blieb nur noch ein kleiner, leerer Raum, wo Bacchis verstört vor der am Boden liegenden Sklavin stand.

»Du sagst! … Du sagst! …« heulte sie.

Und da Selene nicht antwortete, ergriff sie sie heftig am Halse:

»Du hast ihn gestohlen, nicht wahr? Du bist es? So antworte doch! Ich werde Dich mit Peitschenhieben zum Reden bringen, elende Hündin!«

Da geschah etwas Schreckliches. Das von der Todesangst gepeinigte Kind, erschreckt durch die unmittelbarste Gefahr, die es je gekannt, stieß die Worte hervor:

»Es ist Aphrodisia! Nicht ich! Ich habe ihn nicht gestohlen.«

– Deine Schwester!

– Ja, ja! sagten die Mulattinen, Aphrodisia hat ihn genommen!

Und sie schleppten ihre Schwester, die soeben in Ohnmacht gefallen war, zu Bacchis hin.

Aphrodite

 

Selbst die Ruinen der Griechenwelt
lehren uns, wie in unserer modernen
Welt das Leben uns erträglich gemacht
werden könnte.

Richard Wagner.

 

Der gelehrte Prodicos von Kéos, welcher um das Ende des V. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung blühte, ist der Autor der berühmten Lehrfabel »Herkules auf dem Scheidewege zwischen der Tugend und der Wollust«, welche der heilige Basilius den christlichen Betrachtungen empfahl. Wir wissen, daß Herkules die Tugend wählte, was ihm gestattete, eine gewisse Anzahl großer Verbrechen gegen die Hirschkühe, die Amazonen, die goldenen Äpfel und die Riesen zu begehen.

Hätte Prodicos sich damit begnügt, dann hätte er wohl nur eine Fabel von einem ziemlich leichten Symbolismus geschrieben; allein er war ein gutmüthiger Philosoph und seine Sammlung von Erzählungen »Die Horen«, in drei Abschnitte eingetheilt, stellte die moralischen Wahrheiten unter den verschiedenen Formen dar, welche sie je nach den drei Lebensaltern annehmen. Den kleinen Kindern stellte er die sittenstrenge Wahl des Herkules als Beispiel hin; den jungen Leuten erzählte er die wollüstige Wahl des Paris; den reifen Männern sagte er – wie ich mir vorstellen kann – ungefähr Folgendes:

– Als Ulysses eines Tages am Fuße des delphischen Gebirges jagte, traf er auf seinem Wege zwei Jungfrauen, die sich an der Hand hielten. Die Eine hatte Veilchenhaare, durchsichtige Augen und Lippen von einem ernsten Ausdruck; sie sagte ihm: »Ich bin Arètê«. Die Andere hatte schwache Augenlider, schmale Hände und zarte Brüstchen. Sie sagte: »Ich bin Triphê«. Und Beide fügten hinzu: »Wähle zwischen uns«. Doch der schlaue Ulysses antwortete klug und weise: »Wie könnte ich wählen? Ihr seid unzertrennlich. Die Augen, welche die Eine ohne die Andere von Euch gesehen, haben nur einen hohlen Schatten gesehen. Gleichwie die wahre Tugend sich der ewigen Freuden nicht beraubt, welche die Wollust ihr bietet, würde auch die Weichlichkeit ohne eine gewisse Seelengröße wenig taugen. Ich werde Euch beiden folgen. Zeiget mir den Weg«. Kaum hatte er geendet, als die beiden Erscheinungen ineinanderflossen. Ulysses erkannte, daß er mit der großen Göttin Aphrodite gesprochen. Die Frau, welche den ersten Platz in dem vorliegenden Roman einnimmt, ist eine Courtisane des Alterthums. Zur Beruhigung des Lesers will ich sogleich hinzufügen: sie wird sich nicht bekehren.

Sie wird weder von einem Mönch, nach von einem Propheten, noch von einem Gott geliebt werden. In der Litteratur unserer Tage ist sie eine Originalität.

Sie wird sich als Buhlerin zeigen mit dem Freimuth, dem Eifer und auch mit dem Stolze jedes menschlichen Wesens, welches einen Beruf hat und in der Gesellschaft einen frei gewählten Platz einnimmt. Sie wird den Ehrgeiz haben, sich bis zum höchsten Punkte erheben zu wollen. Sie wird gar nicht auf den Gedanken kommen, daß ihr Leben einer Entschuldigung oder einer Verheimlichung bedürfe. Dies soll erklärt werden.

Die modernen Schriftsteller, die sich an ein Publikum gewendet haben, welches weniger voreingenommen ist als die jungen Mädchen und die jungen Normalschüler, haben sich bis zum heutigen Tage einer mühseligen List bedient, deren Heuchelei mir mißfällt. Sie sagen: »Ich habe die Wollust so geschildert wie sie ist, um die Tugend umso höher zu stellen.« Ich verschmähe es rundweg, an der Spitze eines Romans, dessen Handlung sich in Alexandrien abspielt, mich eines solchen Anachronismus zu bedienen.

Die Liebe mit allen ihren Folgen war für die Griechen das tugendhafteste Gefühl, am fruchtbarsten an großen Thaten. Sie verbanden mit ihr niemals jene Ideen von Unzüchtigkeit und Unbescheidenheit, welche die jüdische Überlieferung mit der christlichen Lehre unter uns gebracht hat. Herodot (I, 10) sagt uns ganz einfach: »Bei einigen barbarischen Völkern ist es eine Schande nackt zu erscheinen.« Wenn die Griechen oder die Lateiner einen Mann beschimpfen wollten, welcher mit Freudendirnen Umgang hatte, nannten sie ihn »Maechus«, was Ehebrecher heißt. Wenn ein Mann und eine Frau, die durch kein anderes Band mit einander verknüpft waren, sich vereinigten, – und selbst wenn es öffentlich geschah und ohne Rücksicht auf ihre Jugend – so ließ man sie ungestört, als Leute, die ja Niemandem schadeten.

Wie man sieht, darf das Leben der Alten nicht nach jenen moralischen Ideen beurtheilt werden, die uns heutzutage aus Genf übermittelt werden.

Ich habe dieses Buch mit jener Einfachheit geschrieben, mit welcher ein Athener ähnliche Begebenheiten erzählt haben würde. Ich wünsche, daß man es in dem nämlichen Geiste lese.

Wollte man die alten Griechen nach den heute angenommenen Ideen beurtheilen, dann dürfte man keine einzige genaue Übersetzung ihrer größten Schriftsteller einem Schüler in die Hände geben. Wenn Herr Mounet-Sully seine Oedipus-Rolle ohne Streichungen spielen sollte, würde die Polizei die Aufführung untersagen. Hätte Herr Leconte de Lisle seine Theokrit-Übersetzung nicht vorsichtigerweise gesäubert, sie wäre am Tage des Erscheinens mit Beschlag belegt worden. Man hält Aristophanes für eine Ausnahme, allein wir besitzen bedeutende Bruchstücke von 1440 Komödien, geschrieben von 132 anderen griechischen Dichtern, deren einige, wie z. B. Alexis, Philetairos, Strattis, Euboulos, Cratinos uns wunderbare Verse hinterlassen haben, und noch hat Niemand es gewagt, diese ebenso herrliche wie unzüchtige Sammlung zu übersetzen.

Um die griechischen Sitten zu vertheidigen, zitirt man immer einige Philosophen, welche die geschlechtlichen Freuden tadelten. Allein, das heißt die Dinge verwirren. Diese wenigen Philosophen verpönten alle sinnlichen Ausschreitungen im Allgemeinen und machten keinen Unterschied zwischen den Ausschweifungen des Bettes und jenen der Tafel. Einer, der heute in einem Pariser Restaurant straflos ein Diner zu sechs Louis für sich allein bestellt, würde von ihnen ebenso strafbar befunden worden sein, wie ein Anderer, der auf offener Straße ein allzu intimes Rendezvous geben und für diese Handlung durch die in Geltung stehenden Gesetze zu einem Jahr Gefängniß verurtheilt werden würde. Übrigens wurden diese sittenstrengen Philosophen in der alten Welt als kranke und gefährliche Narren betrachtet, auf allen Schaubühnen verhöhnt, in den Straßen geprügelt; die Tyrannen zogen sie als Spaßmacher an ihren Hof, die Bürger verbannten sie, wenn sie sie nicht der Todesstrafe werth erachteten.

Es ist demnach eine bewußte und willkürliche Täuschung, wenn die modernen Erzieher, von der Renaissance angefangen bis auf den heutigen Tag, vorgeben, aus der antiken Moral die Eingebungen für ihre engbrüstigen Tugenden zu schöpfen. Wenn diese Moral groß war und in der That verdient, als Vorbild genommen und befolgt zu werden, so ist es deshalb, weil keine andere es besser verstanden hat, Recht und Unrecht nach dem Kriterium der Schönheit zu unterscheiden und das Recht zu verkünden, welches der Mensch besitzt, sein Glück innerhalb jener Schranken zu suchen, welche das gleiche Recht seiner Nebenmenschen ihm setzt und zu erklären, daß es unter dem Himmel nichts Heiligeres gibt als die physische Liebe und nichts Schöneres, als der menschliche Körper.

Das war die Moral jenes Volkes, welches die Akropolis erbaut hat; und wenn ich hinzufüge, daß diese Moral diejenige aller großen Geister geblieben, so wird dies nur ein Gemeinplatz sein, so sehr ist es erwiesen, daß die überlegenen Geister von Künstlern, Schriftstellern, Heerführern und Staatsmännern die erhabene Duldsamkeit dieser Moral niemals unerlaubt gefunden haben. Aristoteles beginnt sein Leben damit, daß er sein väterliches Erbtheil mit Buhlerinen vergeudet; Sapho gibt einem eigenen Laster den Namen; Caesar ist der »kahle Ehebrecher«; – Racine ist den Theaterdamen nicht abhold und Napoleon übt nichts weniger als die Enthaltsamkeit. Die Romane Mirabeau’s, die griechischen Verse Chénier’s, die Korrespondenz Diderot’s und die Schriften Montesquieu’s kommen an Kühnheit dem Werke eines Catullus gleich. Und Buffon, dieser sittenstrengste und frömmste aller französischen Autoren – durch welche Maxime hat er die Liebes-Intriguen angerathen? »Liebe! Warum bist du das Glück aller Wesen und das Unglück des Menschen? – Weil von dieser Leidenschaft die physische Seite allein gut ist, die moralische aber nichts taugt.«

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Woher kommt das? und wie ist es zu erklären, daß trotz dem Umsturz der Ideen des Alterthums die große Sinnlichkeit der Griechen gleichsam ein Strahl auf den erleuchtetesten Stirnen geblieben ist?

Weil die Sinnlichkeit die mysteriöse aber nothwendige und schöpferische Bedingung der geistigen Entwicklung ist. Jene, welche die Forderungen des Fleisches nicht bis an ihre Grenze empfunden haben, sei es um sie zu lieben, sei es um ihnen zu fluchen, sind schon dadurch unfähig, die Forderungen des Geistes in ihrer vollen Ausdehnung zu begreifen. Gleichwie die Schönheit der Seele das ganze Antlitz erhellt, so vermag die Männlichkeit des Körpers allein das Gehirn zu befruchten; der schmählichste Schimpf, welchen Delacroix Männern zufügen konnte und welchen er thatsächlich den Verhöhnern eines Rubens und den Verleumdern eines Ingres zurief, war das furchtbare Wort: »Eunuchen!«

Ja noch mehr: es scheint, daß das Genie der Völker, wie dasjenige der Individuen, vor Allem sinnlich ist. Alle Städte, welche die Welt beherrscht haben, Babylon, Alexandrien, Athen, Rom, Venedig, Paris waren vermöge eines allgemeinen Gesetzes je ausschweifender desto mächtiger, gleichsam als wäre ihre Zügellosigkeit zu ihrem Glanze nothwendig gewesen. Jene Städte, wo der Gesetzgeber eine künstliche, engbrüstige und unfruchtbare Tugend einzuführen sich bemühte, sahen sich vom ersten Tage angefangen zu vollständigem Tode verurteilt. So war es mit Sparta, welches inmitten des wunderbarsten Aufschwunges des menschlichen Geistes, zwischen Corinth und Alexandrien, zwischen Syrakus und Milet uns keinen Dichter, keinen Maler, keinen Philosophen, keinen Geschichtsschreiber, keinen Gelehrten zurückgelassen, kaum den volksthümlichen Ruhm eines sonderbaren Helden, der sich mit dreihundert Männern in einem Gebirgspaß tödten ließ, ohne auch nur den Erfolg des Sieges für sich zu haben. Und darum können wir noch nach zweitausend Jahren die Nichtigkeit der spartanischen Tugend ermessend, nach der Ermahnung Renan’s »den Boden verfluchen, wo diese Beherrscherin düsterer Irrthümer gestanden, und sie beschimpfen, weil sie nicht mehr ist.«

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Werden wir jemals die Tage von Ephesus und Kyrene wiederkehren sehen? Ach, die moderne Welt geht in einer Überschwemmung des Häßlichen unter. Die Zivilisationen ziehen sich nach dem Norden zurück, in Nebel, Frost und Koth. Welche Nacht! Ein schwarz gekleidetes Volk treibt sich in den schmutzigen Straßen herum. Woran denkt es? Man weiß es nicht mehr. Aber unsere fünfundzwanzig Jahre frösteln in der Verbannung unter Greisen.

So möge denn wenigstens Jenen, die stets bedauern werden jene entzückte Jugend der Erde, die wir das antike Leben nennen, nicht gekannt zu haben, so möge ihnen wenigstens gestattet werden, kraft einer fruchtbaren Illusion jene Zeit von Neuem zu durchleben, wo die menschliche Nacktheit – die vollkommenste Form, die uns zu kennen und zu fassen gegönnt ist, da wir sie nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen glauben – sich unter den Zügen einer geheiligten Buhlerin enthüllen durfte, in Gegenwart von zwanzigtausend Pilgern, welche die Gestade von Eleusis bedeckten; jene Zeit, wo die sinnlichste Liebe, die göttliche Liebe, aus der wir geboren werden, ohne Schmutz, ohne Schande, ohne Sünde war; es möge ihnen gestattet sein, achtzehn barbarische, heuchlerische und häßliche Jahrhunderte zu vergessen, vom Sumpfe zur Quelle, zur ursprünglichen Schönheit zurückzukehren, den großen Tempel beim Klange der bezauberten Flöten wieder zu erbauen und den Heiligthümern des wahren Glaubens mit Begeisterung ihre Herzen zu weihen, die für immer der unsterblichen Aphrodite gehören.

Pierre Louÿs.

I.

Chrysis

Der Länge nach auf der Brust dahingestreckt, mit vorgebeugten Ellenbogen und gespreizten Beinen, die Wange auf die Hand stützend, lag sie da und stach mit einer langen goldenen Nadel kleine, regelmäßig gestellte Löcher in ein Kopfkissen aus grüner Leinwand.

Seitdem sie – zwei Stunden nach des Tages Mitte – erwacht war, ganz erschöpft von dem allzu langen Schlafen, war sie allein auf dem zerwühlten Bette liegen geblieben, nur auf einer Seite durch die reiche Fülle ihrer Haare bedeckt.

Dieses Haar war glänzend und tief, weich wie das Fell eines Raubthiers, länger als Vogelschwingen, geschmeidig, unzählbar, belebt, voll Wärme. Es bedeckte den halben Rücken, breitete sich unter dem nackten Bauche aus und glänzte wieder bei den Knieen in schweren, rundlichen Locken. Das junge Weib war eingehüllt in dieses kostbare Vließ, dessen goldener Glanz fast metallisch war, weßhalb sie von den Hetären Alexandriens den Namen Chrysis (die Goldige) erhalten hatte.

Es waren nicht die glatten Haare der Syrierinen des Hofes, noch die gefärbten Haare der Asiatinen, noch auch die braunen und schwarzen Haare der Töchter Aegyptens. Es waren diejenigen einer arischen Rasse, der Galiläerinen, die jenseits der Sandwüste wohnten.

Chrysis. Sie liebte diesen Namen. Junge Leute, welche sie besuchten, nannten sie Chryse, wie Aphrodite, in den Versen, welche sie, früh morgens, mit Rosen umkränzt, an ihre Thür schrieben. Sie glaubte nicht an Aphrodite, aber sie sah sich gern mit der Göttin verglichen, und ging manchmal in den Tempel, um ihr, wie einer Freundin, Wohlgerüche und blaue Schleier zu schenken.

Sie war an den Ufern des Sees Genezareth geboren, im Lande der Sonne und des Schattens, wo der Oleander duftete. Ihre Mutter ging des Abends auf die Straße von Jeruschalaim und wartete auf die Reisenden und Kaufleute und gab sich ihnen auf dem Grase hin, inmitten der nächtlich-stillen Landschaft. Sie war eine in Galilaea wohlgelittene Frau. Die Priester wandten sich nicht ab von ihrer Pforte, denn sie war mildthätig und fromm; sie bezahlte stets die Opferlämmer und die Gnade des Herrn ruhte auf ihrem Hause. Als sie aber schwanger ward und ihre Schwangerschaft Aergerniß erregte (weil sie keinen Gatten hatte), sagte ein Mann, der im Rufe eines Wahrsagers stand, daß sie eine Tochter gebären würde, welche dereinst »den Reichthum und den Glauben eines Volkes« um ihren Hals tragen werde. Sie verstand nicht recht wie dies geschehen könnte, aber sie nannte ihr Kind Sarah, was hebräisch Fürstin heißt. Und dies brachte die Lästerzungen zum Schweigen.

Chrysis war dies stets verborgen geblieben, da der Wahrsager ihre Mutter gewarnt hatte, wie gefährlich es sei den Leuten die Prophezeiungen zu enthüllen, welche sich auf sie bezogen. Sie wußte nichts von ihrer Zukunft, weßhalb sie oft daran dachte. An ihre Kindheit erinnerte sie sich wenig und sie sprach auch nicht gern davon. Die einzige klare Empfindung, die sie davon behalten hatte, war die Furcht und die Langeweile, welche ihr Tag für Tag die ängstliche Beaufsichtigung ihrer Mutter verursachte. Es war ihr keine Freiheit gegönnt, und wenn die Stunde gekommen war, auf die Straße hinaus zu gehen, sperrte ihre Mutter sie für lange Stunden allein in ihre Kammer. Sie erinnerte sich auch des runden Fensters, von wo aus sie die Gewässer des Sees, die blauenden Felder, den durchsichtigen Himmel mit der klaren Luft des Landes Galilaea sah. Das Haus war von rosigem Flachs und von Tamarisken umgeben. Da und dort reckten Kapernstauden ihre grünen Köpfchen aus dem verschwimmenden Nebel der Wiesen empor. Die kleinen Mädchen badeten in einem klaren Bache und suchten rothe Muscheln unter blühenden Lorbeersträuchern; und Blumen blühten auf dem Wasser, Blumen auf den Wiesen und große Lilien auf den Bergen.

Sie war zwölf Jahre alt, als sie ihrer Mutter davonlief, um einer Schaar junger Reiter zu folgen, welche nach Tyrus zogen, um dort Elfenbein zu verkaufen. Bei einer Zisterne war sie ihnen begegnet. Sie schmückten langgeschwänzte Pferde mit farbigen Troddeln. Chrysis erinnerte sich wohl, wie sie, bleich vor Freude, von den Reitern auf ihren Rossen entführt wurde, wie sie sich dann ein zweites Mal in der Nacht aufhielten, eine Nacht, die so hell war, daß man keinen einzigen Stern sehen konnte.

Auch der Einzug in Tyrus war ihr im Gedächtniß geblieben: sie ritt voran auf dem Korbe eines Lastpferdes, sich mit den Fäusten an der Mähne festhaltend. Stolz ließ sie ihre nackten Beine hängen, um den Frauen der Stadt zu zeigen, daß ihre Waden mit Blut befleckt waren. Doch am selben Abend ging es weiter nach Aegypten und Chrysis folgte den Elfenbeinhändlern bis zum Markte Alexandriens.

Und dort hatten sie das Mädchen, zwei Monate später, in einem weißen Säulenhäuschen zurückgelassen, mit ihrem ehernen Spiegel, Teppichen und neuen Kissen, bedient von einer schönen indischen Sklavin, welche es verstand Hetären zu kämmen. Andere Männer waren am Tage ihres Abzuges gekommen und wieder andere am nächsten Tage.

Da sie im äußersten Osten der Stadt wohnte, wo die jungen Griechen des Brouchion-Stadttheiles zu erscheinen verschmähten, kannte sie lange, ebenso wie ihre Mutter, nur Reisende und Kaufleute. Ihre vorübergehenden Liebhaber sah sie niemals wieder. Sie verstand es, ihnen zu gefallen und sie schnell wieder zu verlassen, bevor sie anfing sie zu lieben. Und doch hatte sie unendliche Leidenschaften entflammt. Man hatte Führer von Karavanen gesehen, welche zu Spottpreisen ihre Waaren verschleuderten, um sich dort aufzuhalten wo sie weilte und in wenigen Nächten ihr Hab und Gut zu vergeuden. Mit dem Vermögen dieser Männer hatte sie sich Schmuck, Bettkissen, seltene Wohlgerüche, blumengestickte Gewänder und vier Sklavinen gekauft.

Sie hatte allmälig viele fremde Sprachen erlernt und sie kannte Märchen aus allen Ländern. Assyrer hatten ihr von der Liebe zwischen Duzi und Ischtar erzählt. Phoenizier von derjenigen zwischen Aschthoreth und Adoni. Griechische Mädchen aus den Inseln hatten ihr die Legende von Iphis erzählt und sie in sonderbaren Liebkosungen unterwiesen, Liebkosungen, welche sie zuerst verwundert und dann in solchem Maße bezaubert hatten, daß sie dieselben nicht mehr einen ganzen Tag hindurch entbehren konnte. Sie kannte auch die Liebesweise Atalantés und wie, nach ihrem Beispiele noch jungfräuliche Flötenspielerinen die stärksten Männer schwächen konnten. Endlich hatte ihre indische Sklavin ihr geduldig, während sieben Jahre, die verwickelte und wollüstige Kunst der Courtisanen von Palibothra, bis in die letzten Einzelheiten gelehrt.

Denn die Liebe ist eine Kunst wie die Musik. Sie verursacht Gemüthsbewegungen gleicher Art, ebenso zart und vibrirend, manchmal vielleicht sogar intensiver; und Chrysis, die alle Rhythmen und alle Feinheiten derselben kannte, hielt sich mit Recht für eine größere Künstlerin als Plango selbst, welche doch Tonkünstlerin des Tempels war.

Sieben Jahre hindurch lebte sie so, ohne ein glücklicheres oder vergnügteres Dasein zu träumen, als das ihrige. Kurze Zeit jedoch vor ihrem zwanzigsten Jahre, als aus dem jungen Mädchen ein Weib wurde und sie unter ihren Brüsten die erste dünne Falte der nahen Reife sah, bekam sie mit einem Male ehrgeizige Pläne.

Und eines Morgens, als sie, zwei Stunden nach des Tages Mitte erwachte, ganz erschöpft von dem allzu langen Schlafe, legte sie sich auf die Brust, quer über das Bett, spreizte die Beine, stützte die Wange auf die Hand und stach, mit einer goldenen Nadel, kleine, regelmäßig gestellte Löcher in ein Kopfkissen aus grüner Leinwand.

Sie war tief in ihre Gedanken versunken.

Zuerst stach sie vier kleine Punkte, welche ein Viereck bildeten, und einen Punkt in der Mitte. Dann vier weitere Punkte, um ein größeres Viereck zu zeichnen. Dann versuchte sie einen Kreis auszuführen. Aber es war ein bischen schwierig. Nun stach sie die Punkte aufs Geradewohl und begann zu rufen:

»Djala! Djala!«

Djala war ihre indische Sklavin, welche Djalantaschtschandratschapala hieß, was »Beweglich-wie-das-Bild-des-Mondes-auf-dem-Wasser« bedeutet. Chrysis war zu träge, um den Namen ganz auszusprechen.

Die Sklavin trat ein und blieb bei der Thür stehen, ohne sie ganz zu schließen.

– Djala, wer ist gestern gekommen?

– Weißt Du es denn nicht?

– Nein, ich habe ihn nicht angeschaut. War er schön? Ich glaube, ich habe die ganze Zeit geschlafen; ich war so müde. Ich erinnere mich an gar nichts mehr. Um wie viel Uhr ist er weggegangen? Früh am Morgen?

– Bei Sonnenaufgang, er hat gesagt…

– Was hat er zurückgelassen? Ist es viel? Nein, sage es mir nicht. Es ist mir gleichgültig. Was hat er gesagt? Und seitdem er fort, ist Niemand gekommen? Wird er wiederkehren? Gib mir meine Armspangen!

Die Sklavin brachte ein Kästchen, aber Chrysis warf keinen Blick darauf. Die Arme so hoch als nur möglich emporhebend sagte sie:

– Ach Djala! Ach, Djala! … Ich verlange nach außerordentlichen Abenteuern.

– Alles ist außerordentlich oder Nichts, sagte Djala. Die Tage gleichen einander.

– Ach nein. Früher war es nicht so. In allen Ländern der Welt sind die Götter zur Erde herabgestiegen und haben sterbliche Weiber geliebt. Ach, auf welchen Betten muß man sie erwarten, in welchen Wäldern muß man sie suchen. Jene, die etwas mehr als Männer sind? Welche Gebete muß man hersagen, damit sie nahen, Diejenigen, die mich etwas lehren oder Alles vergessen lassen würden? Und wenn die Götter nicht mehr herniedersteigen wollen, wenn sie todt oder zu alt sind, Djala, werde ich auch sterben, ohne einen Mann gesehen zu haben, der tragische Erlebnisse in mein Dasein bringen würde?

Sie drehte sich um und legte sich auf den Rücken, wobei sie verzweifelt die Hände rang.

– Wenn Jemand mich anbetete, würde es mir eine so große Freude machen, ihn leiden zu lassen, bis er stürbe. Diejenigen, welche zu mir kommen, sind es nicht werth beweint zu werden. Und dann ist es ja auch meine Schuld: ich selbst rufe sie, wie könnten sie mich lieben?

– Welches Armband legst Du heute an?

– Alle. Aber laß mich. Ich brauche Niemanden. Bleibe auf der Schwelle des Hauses, und wenn Jemand kommt, sage ihm, ich sei mit meinem Geliebten, einem schwarzen Sklaven, den ich bezahle … Geh!

– Willst Du nicht ausgehen?

– Doch. Ich werde allein ausgehen. Ich werde mich allein ankleiden. Ich werde nicht nach Hause kommen. Geh! geh!

Sie ließ ein Bein auf den Teppich gleiten und streckte sich, bis sie aufgerichtet war. Djala war leise hinausgegangen.

Sie ging sehr langsam durch das Zimmer, die Hände auf dem Nacken gefaltet, ganz von der Wollust durchdrungen ihre nackten Füße auf die kalten Steinplatten zu setzen, wo der Schweiß erstarrte. Dann stieg sie in ihr Bad.

Für sie war es ein Genuß, ihren Körper durch das Wasser hindurch zu betrachten. Wie eine große Muschelschale, die offen auf einem Felsen klebt, kam sie sich vor. Ihre Haut wurde glatt und vollkommen; die Linien ihrer Beine dehnten sich in einem blauen Lichte aus; ihre ganze Gestalt war biegsamer; sie erkannte ihre Hände nicht wieder. Die Leichtigkeit ihres Körpers war so groß, daß sie sich auf zwei Fingern in die Höhe heben konnte. So hielt sie sich eine Weile auf dem Wasser, um dann leicht auf den Marmor zurückzufallen, wobei das Wasser ihr Kinn berührte. Mit dem neckischen Kitzel eines Kusses drang das Wasser in ihre Ohren.

Zur Badezeit begann bei Chrysis die Selbstanbetung. Alle Theile ihres Körpers wurden, einer nach dem anderen, der Gegenstand einer zarten Bewunderung oder einer Liebkosung. Mit ihren Haaren und ihren Brüsten gab sie sich tausend reizenden Spielen hin. Manchmal gewährte sie sogar ihren beständigen Begierden eine wirksamere Dienstfertigkeit und keine Ruhestätte schien ihr für die berechnete Langsamkeit dieser delicaten Befriedigung besser geeignet.

Der Tag neigte sich zu Ende; Chrysis richtete sich in ihrem Becken empor, stieg aus dem Wasser und schritt der Thüre zu. Die Spuren ihrer Schritte glänzten auf den Fliesen. Schwankend, gleichsam erschöpft, öffnete sie die Thür, und blieb da stehen, den Arm nach der Klinke ausgestreckt; dann, als Djala sie gesehen, trat sie bis zu ihrem Bette zurück und sagte zu ihrer Sklavin:

– Trockne mich ab!

Die Malabareserin nahm einen großen Schwamm zur Hand und führte ihn durch Chrysis feines Goldhaar, das ganz vom Wasser getränkt war, welches nach hinten abtropfte. Sie trocknete die Haare, streute sie auseinander, bewegte sie langsam und weich; dann tauchte sie den Schwamm in einen Oelkrug, bestrich damit ihre Herrin bis zum Halse und rieb sie endlich mit einem groben Stoffe, der ihre geschmeidige Haut röthete.

Chrysis versenkte sich fröstelnd in die Kühle eines Marmorsitzes und murmelte:

– Kämme mich.

Im horizontal einfallenden Abendlichte glänzte das noch feuchte und schwere Haar wie ein von der Sonne beleuchteter Regenguß. Die Sklavin ergriff es mit vollen Händen und rang es aus. Sie drehte es um sich selbst, als sei es eine dicke Metallschlange, die von Goldnadeln wie von Pfeilen durchstochen war. Dann wand sie grüne Bändchen dreimal gekreuzt um das Haar, um dessen Glanz durch die Seide noch zu erhöhen. Chrysis hielt einen blanken Metallspiegel in einiger Entfernung vor sich hin. Zerstreut betrachtete sie die dunkeln Hände der Sklavin, wie sie sich in der Ueppigkeit der Haare bewegten, hie und da die Büsche abrundend, die ungeberdigen Locken verbergend, das Haar in Formen modellierend, wie man eine Thonmasse bearbeitet. Als Alles vollendet war, kniete Djala vor ihrer Herrin hin und rasierte ihren schwellenden Schamberg glatt, damit das Mädchen in den Augen ihrer Geliebten die volle Reinheit und Glätte einer Statue habe.

Chrysis wurde ernster und sagte mit leiser Stimme:

– Schminke mich.

Eine kleine Büchse aus rosarothem Holze, welche von der Insel Discorides kam, enthielt Schminken in allen Farben. Mit einem Pinsel aus Kameelhaar nahm die Sklavin ein wenig von einer schwarzen Masse und bestrich damit die schönen, lang gebogenen Augenwimpern, um die blaue Farbe der Augen hervorzuheben. Durch zwei feste Striche bekamen diese Augen eine längere und weichere Gestalt; ein bläuliches Pulver verdunkelte die Augenlider; zwei zinoberrothe Flecken verschärften die Winkel, wo sich die Thränen zuerst zeigen. Um die Schminke festzuhalten, mußten Gesicht und Brust mit einer frischen Wachssalbe bestrichen werden; mit dem weichen Flaum einer Feder, welchen sie in Bleiweiß tauchte, malte Djala weiße Striche die Arme entlang und auf dem Halse; mit einem in Carmin getauchten Pinsel wurden der Mund und die Spitzen der Brüste roth gefärbt; ihre Finger, welche auf den Wangen eine leichte Wolke rothen Pulvers verbreitet hatten, markierten auf den Seiten die drei tiefen Falten der Taille und am Hintertheile zwei bewegliche Grübchen; endlich färbte sie mit einem geschminktem Lederballen die Ellbogen und die zehn Fingernägel. Die Toilette war beendet.

Dann lächelte Chrysis und sagte zur Indierin:

– Singe mir etwas.

Zurückgebeugt saß sie in ihrem Marmorsessel. Ihre Nadeln standen wie Goldstrahlen hinter ihrem Kopfe. Ihre Hände waren an die Brust gedrückt und breiteten zwischen den Schultern das rothe Halsband ihrer bemalten Nägel aus; ihre weißen Füße standen eng nebeneinander auf der Steinplatte.

Djala, die an der Wand zusammengekauert saß, erinnerte sich an die Liebesgesänge Indiens:

– Chrysis …

Sie sang mit eintöniger Stimme.

– Chrysis, Deine Haare sind wie ein Bienenschwarm, der an einem Baume hängt. Der Südwind durchdringt sie mit dem Thau der Liebeskämpfe und mit dem feuchten Wohlgeruch der Nachtblumen.

Das Mädchen antwortete mit noch milderer und langsamerer Stimme:

– Meine Haare sind wie ein unendlicher Fluß in der Ebene, wo die flammende Abendsonne dahinfließt.

Sie sangen abwechselnd, die Eine nach der Andern.

*

– Deine Augen sind wie die blauen Wasserlilien ohne Stengel, unbeweglich auf den Teichen.

– Meine Augen sind im Schatten meiner Augenwimpern, wie tiefe Seen unter dunklen Zweigen.

*

– Deine Lippen sind zwei zarte Blumen, auf welche das Blut einer Hirschkuh gefallen ist.

– Meine Lippen sind die Ränder einer brennenden Wunde.

*

– Deine Zunge ist der blutige Dolch, der deinen Mund gespaltet hat.

– Meine Zunge ist mit Edelsteinen besetzt. Vom Widerscheine meiner Lippen ist sie roth.

*

– Deine Arme sind gerundet wie zwei Elfenbeinzähne und deine Achselhöhlen wie zwei Mündchen.

– Meine Arme sind langgestreckt, wie zwei Lilienstengel, woran meine Finger schimmern, gleich fünf Blumenblättern.

*

– Deine Schenkel sind die Rüssel zweier weißen Elephanten und sie tragen Füße gleich zwei rothen Blumen.

– Meine Füße sind zwei Seerosenblätter auf dem Wasser, meine Schenkel sind zwei geschwellte Seerosenknospen.

*

– Deine Brüste sind zwei silberne Schilder, deren Spitzen in Blut getaucht wurden.

– Meine Brüste sind der Mond und der Widerschein des Mondes im Wasser.

*

– Dein Nabel ist ein tiefer Brunnen in einer Wüste voll rosigen Sandes, und dein Unterleib ein junges Zicklein im Schoße der Mutter.

– Mein Nabel ist eine runde Perle auf einer umgestürzten Schale und mein Schoß ist die helle Sichel Phöbes, die durch den Wald schimmert.

*

Es entstand eine Stille. – Die Sklavin hob die Hände empor und verbeugte sich.

Die Hetäre fuhr fort:

»SIE ist wie eine Purpurblume, voll Honig und Wohlgerüche.

»Sie ist wie die Hydra des Meeres, lebendig und weich, offen des Nachts.

»Sie ist die feuchte Grotte, die stets warme Lagerstätte, das Obdach, wo der Mann ausruht auf seinem Gang zum Tode.«

Die niedergebeugte Sklavin murmelte ganz leise:

»Sie ist furchtbar. Es ist das Gesicht der Medusa.«

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Chrysis setzte ihren Fuß auf den Nacken der Sklavin und sagte zitternd:

»Djala…«

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Nach und nach war die Nacht herangebrochen; aber der Mond war so hell, daß sich das Gemach mit blauem Lichte füllte.

Chrysis saß nackt da und betrachtete ihren Leib, wo die Lichtreflexe unbeweglich standen und die Schatten tiefschwarz herabfielen.

Plötzlich stand sie auf:

»Djala, an was denken wir? Es ist Nacht und ich bin noch nicht ausgegangen. Ich werde auf dem Heptastadion Auf dem sieben Stadien langen Kai. nur noch schlafende Matrosen finden. Sage mir, Djala, bin ich schön?

»Sage mir Djala, bin ich diese Nacht schöner als je? Ich bin die schönste aller Frauen Alexandriens, Du weißt es? Nicht wahr, er wird mir folgen wie ein Hund, derjenige, der jetzt vor dem schiefen Blick meiner Augen vorbei gehen wird? Nicht wahr, ich werde aus ihm machen können, was mir gefällt, einen Sklaven, wenn dies meine Laune ist? und ich kann von dem ersten Besten den ergebensten Gehorsam erwarten? Kleide mich an, Djala.«

Um ihre Arme wanden sich zwei Silberschlangen. An ihre Füße wurden Sandalen geheftet, welche um ihre braunen Beine mit gekreuzten Lederriemen gebunden waren. Sie schnallte um ihren Bauch einen Jungferngürtel, welcher von der Höhe der Hüfte, der hohlen Linie der Leisten entlang, herunterfiel; in ihre Ohren heftete sie runde Reife, an ihre Finger steckte sie Ringe und Siegel; um ihren Hals legte sie drei Halsketten von goldenen Phallos Männliches Zeugungsglied, welche in Paphos durch Hierodulen ziselirt worden waren.

Sie betrachtete sich einige Zeit, wie sie so nackt da stand, inmitten ihres Schmuckes; dann zog sie aus einem Koffer – wo es zusammengefaltet lag – ein großes Stück durchsichtiger gelber Leinwand, sie drehte es herum und wickelte sich hinein, daß es bis zum Boden reichte. Diagonale Falten durchfurchten den kleinen Theil ihres Körpers, den man durch das leichte Gewebe hindurch sah; einer ihrer Ellenbogen trat unter der eng anhaftenden Tunika hervor, und der andere Arm, den sie nackt gelassen hatte, hielt die lange Schleppe in die Höhe, damit sie nicht im Staub geschleift werde.

Sie nahm ihren Federfächer zur Hand und trat nachläßig hinaus.

Auf der Thürschwelle stehend, die Hand an die weiße Wand gelehnt, sah Djala allein der sich entfernenden Hetäre nach.

Langsam schritt diese vorwärts, den Häusern entlang, in der öden Straße, die das Mondlicht beleuchtete. Ein kleiner, beweglicher Schatten zitterte hinter ihren Schritten.

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