14. Kapitel
Literatur und Kunst
Die römische Literatur beruht auf ganz eigentümlichen, in dieser Art kaum bei einer anderen Nation wiederkehrenden Anregungen. Um sie richtig zu würdigen, ist es notwendig, zuvörderst den Volksunterricht und die Volksbelustigungen dieser Zeit ins Auge zu fassen.
Alle geistige Bildung geht aus von der Sprache; und es gilt dies vor allem für Rom. In einer Gemeinde, wo die Rede und die Urkunde so viel bedeutete, wo der Bürger in einem Alter, in welchem man nach heutigen Begriffen noch Knabe ist, bereits ein Vermögen zu unbeschränkter Verwaltung überkam und in den Fall kommen konnte, vor der versammelten Gemeinde Standreden halten zu müssen, hat man nicht bloß auf den freien und feinen Gebrauch der Muttersprache von jeher großen Wert gelegt, sondern auch früh sich bemüht, denselben in den Knabenjahren sich anzueignen. Auch die griechische Sprache war bereits in der hannibalischen Zeit in Italien allgemein verbreitet. In den höheren Kreisen war die Kunde der allgemein vermittelnden Sprache der alten Zivilisation längst häufig gewesen und jetzt, bei dem durch die veränderte Weltstellung ungeheuer gesteigerten römischen Verkehr mit Ausländern und im Auslande, dem Kaufmann wie dem Staatsmann wo nicht notwendig, doch vermutlich schon sehr wesentlich. Durch die italische Sklaven- und Freigelassenschaft aber, die zu einem sehr großen Teil aus geborenen Griechen oder Halbgriechen bestand, drang griechische Sprache und griechisches Wissen bis zu einem gewissen Grade ein auch in die unteren Schichten namentlich der hauptstädtischen Bevölkerung. Aus den Lustspielen dieser Zeit kann man sich überzeugen, daß eben der nicht vornehmen hauptstädtischen Menge ein Latein mundgerecht war, welches zum rechten Verständnis das Griechische so notwendig voraussetzt wie Sternes Englisch und Wielands Deutsch das Französische87
Unter dem Einfluß dieser Verhältnisse entwickelte sich der römische Unterricht. Es ist ein Vorurteil, daß in der allgemeinen Verbreitung der elementaren Kenntnisse das Altertum hinter unserer Zeit wesentlich zurückgestanden habe. Auch unter den niederen Klassen und den Sklaven wurde viel gelesen, geschrieben und gerechnet; bei dem Wirtschaftersklaven zum Beispiel setzt Cato nach Magos Vorgang die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben voraus. Der Elementarunterricht sowie der Unterricht im Griechischen müssen lange vor dieser Zeit in sehr ausgedehntem Umfang in Rom erteilt worden sein. Dieser Epoche aber gehören die Anfänge eines Unterrichts an, der statt einer bloß äußerlichen Abrichtung eine wirkliche Geistesbildung bezweckt. Bisher hatte in Rom die Kenntnis des Griechischen im bürgerlichen und geselligen Leben so wenig einen Vorzug gegeben, wie etwa heutzutage in einem Dorfe der deutschen Schweiz die Kenntnis des Französischen ihn gibt; und die ältesten Schreiber griechischer Chroniken mochten unter den übrigen Senatoren stehen wie in den holsteinischen Marschen der Bauer, welcher studiert hat und des Abends, wenn er vom Pfluge nach Hause kommt, den Virgilius vom Schranke nimmt. Wer mit seinem Griechisch mehr vorstellen wollte, galt als schlechter Patriot und als Geck; und gewiß konnte noch in Catos Zeit auch wer schlecht oder gar nicht griechisch sprach, ein vornehmer Mann sein und Senator oder Konsul werden. Aber es ward doch schon anders. Der innerliche Zersetzungsprozeß der italischen Nationalität war bereits, namentlich in der Aristokratie, weit genug gediehen, um das Surrogat der Nationalität, die allgemein humane Bildung, auch für Italien unvermeidlich zu machen; und auch der Drang nach einer gesteigerten Zivilisation regte bereits sich mächtig. Diesem kam der griechische Sprachunterricht gleichsam von selber entgegen. Von jeher ward dabei die klassische Literatur, namentlich die ‚Ilias‘ und mehr noch die ‚Odyssee‘ zu Grunde gelegt; die überschwenglichen Schätze hellenischer Kunst und Wissenschaft lagen damit bereits ausgebreitet vor den Augen der Italiker da. Ohne eigentlich äußerliche Umwandlung des Unterrichts ergab es sich von selbst, daß aus dem empirischen Sprach- ein höherer Literaturunterricht wurde, daß die an die Literatur sich knüpfende allgemeine Bildung den Schülern in gesteigertem Maß überliefert, daß die erlangte Kunde von diesen benutzt ward, um einzudringen in die den Geist der Zeit beherrschende griechische Literatur, die Euripideischen Tragödien und die Lustspiele Menanders.
In ähnlicher Weise gewann auch der lateinische Unterricht ein größeres Schwergewicht. Man fing an, in der höheren Gesellschaft Roms das Bedürfnis zu empfinden, die Muttersprache wo nicht mit der griechischen zu vertauschen, doch wenigstens zu veredeln und dem veränderten Kulturstand anzuschmiegen; und auch hierfür sah man in jeder Beziehung sich angewiesen auf die Griechen. Die ökonomische Gliederung der römischen Wirtschaft legte, wie jedes andere geringe und um Lohn geleistete Geschäft, so auch den Elementarunterricht in der Muttersprache vorwiegend in die Hände von Sklaven, Freigelassenen oder Fremden, das heißt vorwiegend von Griechen oder Halbgriechen95; es hatte dies um so weniger Schwierigkeit, als das lateinische Alphabet dem griechischen fast gleich, die beiden Sprachen nahe und auffällig verwandt waren. Aber dies war das wenigste; weit tiefer griff die formelle Bedeutung des griechischen Unterrichts in den lateinischen ein. Wer da weiß, wie unsäglich schwer es ist, für die höhere geistige Bildung der Jugend geeignete Stoffe und geeignete Formen zu finden und wie noch viel schwieriger man von den einmal gefundenen Stoffen und Formen sich losmacht, wird es begreifen, daß man dem Bedürfnis eines gesteigerten lateinischen Unterrichts nicht anders zu genügen wußte, als indem man diejenige Lösung dieses Problems, welche der griechische Sprach- und Literaturunterricht darstellte, auf den Unterricht im Lateinischen einfach übertrug – geht doch heutzutage in der Übertragung der Unterrichtsmethode von den toten auf die lebenden Sprachen ein ganz ähnlicher Prozeß unter unseren Augen vor.
Aber leider fehlte es zu einer solchen Übertragung eben am Besten. Lateinisch lesen und schreiben konnte man freilich an den Zwölf Tafeln lernen; aber eine lateinische Bildung setzte eine Literatur voraus und eine solche war in Rom nicht vorhanden.
Hierzu kam ein Zweites. Die Ausdehnung der römischen Volkslustbarkeit ist früher dargestellt worden. Längst spielte bei denselben die Bühne eine bedeutende Rolle; die Wagenrennen waren wohl bei allen die eigentliche Hauptbelustigung, fanden aber doch durchgängig nur einmal, am Schlußtage statt, während die ersten Tage wesentlich dem Bühnenspiel anheimfielen. Allein lange Zeit bestanden diese Bühnenvorstellungen hauptsächlich in Tänzen und Gaukelspiel; die improvisierten Lieder, die bei denselben auch vorgetragen wurden, waren ohne Dialog und ohne Handlung. Jetzt erst sah man für sie sich nach einem wirklichen Schauspiel um. Die römischen Volksfestlichkeiten standen durchaus unter der Herrschaft der Griechen, die ihr Talent des Zeitvertreibs und Tageverderbes von selber den Römern zu Pläsiermeistern bestellte. Keine Volksbelustigung aber war in Griechenland beliebter und keine mannigfaltiger als das Theater; dasselbe mußte bald die Blicke der römischen Festgeber und ihres Hilfspersonals auf sich ziehen. Wohl lag nun in dem älteren römischen Bühnenlied ein dramatischer, der Entwicklung vielleicht fähiger Keim; allein daraus das Drama herauszubilden, forderte vom Dichter wie vom Publikum eine Genialität im Geben und Empfangen, wie sie bei den Römern überhaupt nicht und am wenigsten in dieser Zeit zu finden war; und wäre sie zu finden gewesen, so würde die Hastigkeit der mit dem Amüsement der Menge betrauten Leute schwerlich der edlen Frucht Ruhe und Weile zur Zeitigung gegönnt haben. Auch hier war ein äußerliches Bedürfnis vorhanden, dem die Nation nicht zu genügen vermochte; man wünschte sich ein Theater und es mangelten die Stücke.
Auf diesen Elementen beruht die römische Literatur; und ihre Mangelhaftigkeit war damit von vornherein und notwendig gegeben. Alle wirkliche Kunst beruht auf der individuellen Freiheit und dem fröhlichen Lebensgenuß, und die Keime zu einer solchen hatten in Italien nicht gefehlt; allein indem die römische Entwicklung die Freiheit und Fröhlichkeit durch das Gemeingefühl und das Pflichtbewußtsein ersetzte, ward die Kunst von ihr erdrückt und mußte statt sich zu entwickelt. verkümmern. Der Höhepunkt der römischen Entwicklung ist die literaturlose Zeit. Erst als die römische Nationalität sich aufzulösen und die hellenisch-kosmopolitischen Tendenzen sich geltend zu machen anfingen, stellte im Gefolge derselben die Literatur in Rom sich ein; und darum steht sie von Haus aus und mit zwingender innerlicher Nötigung auf griechischem Boden und in schroffem Gegensatz gegen den spezifisch römischen Nationalsinn. Vor allem die römische Poesie ging. zunächst gar nicht aus dem innerlichen Dichtertriebe hervor, sondern aus den äußerlichen Anforderungen der Schule, welche lateinische Lehrbücher, und der Bühne, die lateinische Schauspiele brauchte. Beide Institutionen aber, die Schule wie die Bühne, waren durch und durch antirömisch und revolutionär. Der gaffende Theatermüßiggang war dem Philisterernst wie dem Tätigkeitssinn der Römer alten Schlags ein Greuel; und wenn es der tiefste und großartigste Gedanke in dem römischen Gemeinwesen war, daß es innerhalb der römischen Bürgerschaft keinen Herrn und keinen Knecht, keinen Millionär und keinen Bettler geben, vor allem aber der gleiche Glaube und die gleiche Bildung alle Römer umfassen sollte, so war die Schule und die notwendig exklusive Schulbildung noch bei weitem gefährlicher, ja für das Gleichheitsgefühl geradezu zerstörend. Schule und Theater wurden die wirksamsten Hebel des neuen Geistes der Zeit und nur um so mehr, weil sie lateinisch redeten. Man konnte vielleicht griechisch sprechen und schreiben, ohne darum aufzuhören, ein Römer zu sein; hier aber gewöhnte man sich, mit römischen Worten zu reden, während das ganze innere Sein und Leben griechisch ward. Es ist nicht eine der erfreulichsten Tatsachen in diesem glänzenden Saeculum des römischen Konservativismus, aber wohl eine der merkwürdigsten und geschichtlich belehrendsten, wie während desselben in dem gesamten nicht unmittelbar politischen geistigen Gebiet der Hellenismus Wurzel geschlagen und wie der Maître de Plaisir des großen Publikums und der Kinderlehrer im engen Bunde miteinander eine römische Literatur erschaffen haben.
Gleich in dem ältesten römischen Schriftsteller erscheint die spätere Entwicklung gleichsam in der Nuß. Der Grieche Andronikos (vor 482 bis nach 547 272-207), später als römischer Bürger Lucius96 Livius Andronicus genannt, kam in frühem Alter im Jahre 482 (272) unter den anderen tarentinischen Gefangenen nach Rom in den Besitz des Siegers von Sena, Marcus Livius Salinator (Konsul 535, 547 219, 207). Sein Sklavengewerbe war teils die Schauspielerei und Textschreiberei, teils der Unterricht in der lateinischen und griechischen Sprache, welchen er sowohl den Kindern seines Herrn als auch anderen Knaben vermögender Männer in und außer dem Hause erteilte; er zeichnete sich dabei so aus, daß sein Herr ihn freigab, und selbst die Behörde, die sich seiner nicht selten bedient, zum Beispiel nach der glücklichen Wendung des Hannibalischen Krieges 547 (207) ihm die Verfertigung des Dankliedes übertragen hatte, aus Rücksicht für ihn der Poeten- und Schauspielerzunft einen Platz für ihren gemeinsamen Gottesdienst im Minervatempel auf dem Aventin einräumte. Seine Schriftstellerei ging hervor aus seinem zwiefachen Gewerbe. Als Schulmeister übersetzte er die Odyssee ins Lateinische, um den lateinischen Text ebenso bei seinem lateinischen wie den griechischen bei seinem griechischen Unterricht zu Grunde zu legen; und es hat dieses älteste römische Schulbuch seinen Platz im Unterricht durch Jahrhunderte behauptet. Als Schauspieler schrieb er nicht bloß wie jeder andere sich die Texte selbst, sondern er machte sie auch als Bücher bekannt, das heißt, er las sie öffentlich vor und verbreitete sie durch Abschriften. Was aber noch wichtiger war, er setzte an die Stelle des alten wesentlich lyrischen Bühnengedichts das griechische Drama. Es war im Jahre 514 (240), ein Jahr nach dem Ende des Ersten Punischen Krieges, daß das erste Schauspiel auf der römischen Bühne aufgeführt ward. Diese Schöpfung eines Epos, einer Tragödie, einer Komödie in römischer Sprache und von einem Mann, der mehr Römer als Grieche war, war geschichtlich ein Ereignis; von einem künstlerischen Wert der Arbeiten kann nicht die Rede sein. Sie verzichten auf jeden Anspruch an Originalität; als Übersetzungen aber betrachtet, sind sie von einer Barbarei, die nur um so empfindlicher ist, als diese Poesie nicht naiv ihre eigene Einfalt vorträgt, sondern die hohe Kunstbildung des Nachbarvolkes schulmeisterhaft nachstammelt. Die starken Abweichungen vom Original sind nicht aus der Freiheit, sondern aus der Roheit der Nachdichtung hervorgegangen; die Behandlung ist bald platt, bald schwülstig, die Sprache hart und verzwickt97
Indes diese Vorstufe der literarischen Entwicklung ward bald überschritten. Die Livischen Epen und Dramen galten den Späteren, und ohne Zweifel mit gutem Recht, gleich den dädalischen Statuen von bewegungs- und ausdrucksloser Starrheit mehr als Kuriositäten denn als Kunstwerke. In der folgenden Generation aber baute auf den einmal festgestellten Grundlagen eine lyrische, epische und dramatische Kunst sich auf; und auch geschichtlich ist es von hoher Wichtigkeit, dieser poetischen Entwicklung zu folgen.
Sowohl dem Umfang der Produktion nach wie in der Wirkung auf das Publikum stand an der Spitze der poetischen Entwicklung das Drama. Ein stehendes Theater mit festem Eintrittsgeld gab es im Altertum nicht; in Griechenland wie in Rom trat das Schauspiel nur als Bestandteil der jährlich wiederkehrenden oder auch außerordentlichen bürgerlichen Lustbarkeiten auf. Zu den Maßregeln, wodurch die Regierung der mit Recht besorglich erscheinenden Ausdehnung der Volksfeste entgegenwirkte oder entgegenzuwirken sich einbildete, gehörte es mit, daß sie die Errichtung eines steinernen Theatergebäudes nicht zugab107. Statt dessen wurde für jedes Fest ein Brettergerüst mit einer Bühne für die Akteure (proscaenium, pulpitum) und einem dekorierten Hintergrund (scaena) aufgeschlagen und im Halbzirkel vor derselben der Zuschauerplatz (cavea) abgesteckt, welcher ohne Stufen und Sitze bloß abgeschrägt ward, so daß die Zuschauer, soweit sie nicht Sessel sich mitbringen ließen, kauerten, lagen oder standen108. Die Frauen mögen früh abgesondert und auf die obersten und schlechtesten Plätze beschränkt worden sein; sonst waren gesetzlich die Plätze nicht geschieden, bis man seit dem Jahre 560 (194), wie schon gesagt ward, den Senatoren die untersten und besten Plätze reservierte.
Das Publikum war nichts weniger als vornehm. Allerdings zogen die besseren Stände sich nicht von den allgemeinen Volkslustbarkeiten zurück; die Väter der Stadt scheinen sogar anstandshalber verpflichtet gewesen zu sein, sich bei denselben zu zeigen. Aber wie es im Wesen eines Bürgerfestes liegt, wurden zwar Sklaven und wohl auch Ausländer ausgeschlossen, aber jedem Bürger mit Frau und Kindern der Zutritt unentgeltlich verstattet109, und es kann darum die Zuschauerschaft nicht viel anders gewesen sein, als wie man sie heutzutage bei öffentlichen Feuerwerken und Gratisvorstellungen sieht. Natürlich ging es denn auch nicht allzu ordentlich her: Kinder schrien, Frauen schwatzten und kreischten, hier und da machte eine Dirne Anstalt, sich auf die Bühne zu drängen; die Gerichtsdiener hatten an diesen Festtagen nichts weniger als Feiertag und Gelegenheit genug hier einen Mantel abzupfänden und da mit der Rute zu wirken.
Durch die Einführung des griechischen Dramas steigerten sich wohl die Anforderungen an das Bühnenpersonal und es scheint an fähigen Leuten kein Oberfluß gewesen zu sein – ein Stück des Naevius mußte einmal in Ermangelung von Schauspielern durch Dilettanten aufgeführt werden. Allein. in der Stellung des Künstlers änderte sich dadurch nichts; der Poet oder, wie er in dieser Zeit genannt ward, der „Schreiber“, der Schauspieler und der Komponist gehörten nach wie vor nicht bloß zu der an sich gering geachteten Klasse der Lohnarbeiter, sondern wurden auch vor wie nach in der öffentlichen Meinung auf die markierteste Weise zurückgesetzt und polizeilich mißhandelt (l, 475). Natürlich hielten sich alle reputierlichen Leute von diesem Gewerbe fern – der Direktor der Truppe (dominus gregis, factionis, auch choragus), in der Regel zugleich der Hauptschauspieler, war meist ein Freigelassener, ihre Glieder in der Regel seine Sklaven; die Komponisten, die uns genannt werden, sind sämtlich Unfreie. Der Lohn war nicht bloß gering – ein Bühnendichterhonorar von 8000 Sesterzen (600 Taler) wird kurz nach dem Ende dieser Periode als ein ungewöhnlich hohes bezeichnet –, sondern ward überdies von den festgebenden Beamten nur gezahlt, wenn das Stück nicht durchfiel. Mit der Bezahlung war alles abgetan: von Dichterkonkurrenz und Ehrenpreisen, wie sie in Attika vorkamen, war in Rom noch nicht die Rede – man scheint daselbst in dieser Zeit, wie bei uns, nur geklatscht oder ausgepfiffen, auch an jedem Tage nur ein einziges Stück zur Aufführung gebracht zu haben110
In der Bühnenwelt ward das Trauerspiel bei weitem durch die Komödie überwogen; die Stirnen der Zuschauer runzelten sich, wenn statt des gehofften Lustspiels ein Trauerspiel begann. So ist es gekommen, daß diese Zeit wohl eigene Komödiendichter, wie Plautus und Caecilius, aufweist, eigene Tragödiendichter aber nicht begegnen, und daß unter den dem Namen nach uns bekannten Dramen dieser Epoche auf ein Trauerspiel drei Lustspiele kommen. Natürlich griffen die römischen I.ustspieldichter oder vielmehr Übersetzer zunächst nach den Stücken, welche die hellenische Schaubühne der Zeit beherrschten; und damit fanden sie sich ausschließlich112 gebannt in den Kreis der neueren attischen Komödie und zunächst ihrer namhaftesten Dichter Philemon von Soioi in Kilikien (394? – 492 360 – 262) und Menandros von Athen (412-462 342-292). Dieses Lustspiel ist nicht bloß für die römische Literatur-, sondern selbst für die ganze Volksentwicklung so wichtig geworden, daß auch die Geschichte Ursache hat, dabei zu verweilen.
Die Stücke sind von ermüdender Einförmigkeit. Fast ohne Ausnahme drehen sie sich darum, einem jungen Menschen auf Kosten entweder seines Vaters oder auch des Bordellhalters zum Besitze eines Liebchens von unzweifelhafter Anmut und sehr zweifelhafter Sittlichkeit zu verhelfen. Der Weg zum Liebesglück geht regelmäßig durch irgendeine Geldprellerei, und der verschmitzte Bediente, der die benötigte Summe und die erforderliche Schwindelei liefert, während der Liebhaber über seine Liebes- und Geldnot jammert, ist das eigentliche Triebrad des Stückes. Es ist kein Mangel an obligaten Betrachtungen über Freude und Leid der Liebe, an tränenreichen Abschiedsszenen, an Liebhabern, die vor Herzenspein sich ein Leides anzutun drohen; die Liebe oder vielmehr die Verliebtheit war, wie die alten Kunstrichter sagen, der eigentliche Lebenshauch der Menandrischen Poesie. Den Schluß macht die wenigstens bei Menander unvermeidliche Hochzeit; wobei noch zu mehrerer Erbauung und Befriedigung der Zuschauer die Tugend des Mädchens sich herauszustellen pflegt als wenn nicht ganz, doch so gut wie unbeschädigt und das Mädchen selbst als die abhanden gekommene Tochter eines reichen Mannes, demnach als eine in jeder Hinsicht gute Partie. Neben diesen liebes- finden sich auch Rührstücke; wie denn zum Beispiel unter den Plautinischen Komödien der ‚Strick‘ sich um Schiffbruch und Asylrecht bewegt, das ‚Dreitalerstück‘ und ‚Die Gefangenen‘ gar keine Mädchenintrige enthalten, sondern die edelmütige Aufopferung des Freundes für den Freund, des Sklaven für den Herrn schildern. Personen und Situationen wiederholen sich dabei wie auf einer Tapete bis ins einzelne herab, wie man denn gar nicht herauskommt aus den Apartes ungesehener Horcher, aus dem Anpochen an die Haustüren, aus den mit irgendeinem Gewerbe durch die Straßen fegenden Sklaven; die stehenden Masken, deren es eine gewisse feste Zahl, zum Beispiel acht Greisen-, sieben Bedientenmasken gab, aus denen, in der Regel wenigstens, der Dichter nur auszuwählen hatte, begünstigten weiter die schablonenartige Behandlung. Eine solche Komödie mußte wohl das lyrische Element in der älteren, den Chor, wegwerfen und sich von Haus aus auf Gespräch und höchstens Rezitation beschränken – mangelte ihr doch nicht bloß das politische Element, sondern überhaupt jede wahre Leidenschaft und jede poetische Hebung. Auf eine großartige und eigentlich poetische Wirkung legten es die Stücke auch verständigerweise gar nicht an; ihr Reiz bestand zunächst in der Verstandesbeschäftigung durch den Stoff sowohl, wobei die neuere Komödie sich von der älteren ebenso sehr durch die größere innerliche Leere wie durch die größere äußerliche Verschlungenheit der Fabel unterschied, als besonders durch die Ausführung im Detail, wobei namentlich die fein zugespitzte Konversation der Triumph des Dichters und das Entzücken des Publikums war. Verwirrungen und Verwechslungen, womit sich ein Hinübergreifen in den tollen, oft zügellosen Schwank sehr gut verträgt – wie denn zum Beispiel die Casina mit dem Abzug der beiden Bräutigame und des als Braut aufgeputzten Soldaten echt falstaffisch schließt –, Scherze, Schnurren und Rätsel, welche ja auch an der attischen Tafel dieser Zeit in Ermangelung eines wirklichen Gesprächs die stehenden Unterhaltungstoffe hergaben, füllen zum guten Teil diese Komödien aus. Die Dichter derselben schrieben nicht wie Eupolis und Aristophanes für eine große Nation, sondern vielmehr für eine gebildete und, wie andere geistreiche und in tatenloser Geistreichigkeit verkommende Zirkel, in Rebusraten und Scharadenspiel aufgehende Gesellschaft. Sie geben darum auch kein Bild ihrer Zeit – von der großen geschichtlichen und geistigen Bewegung derselben ist in diesen Komödien nichts zu spüren, und man muß erst daran erinnert werden, daß Philemon und Menander wirklich Zeitgenossen von Alexander und Aristoteles gewesen sind –, aber wohl ein ebenso elegantes wie treues Bild der gebildeten attischen Gesellschaft, aus deren Kreisen die Komödie auch niemals heraustritt. Noch in dem getrübten lateinischen Abbild, aus dem wir sie hauptsächlich kennen, ist die Anmut des Originals nicht völlig verwischt und namentlich in den Stücken, die dem talentvollsten unter diesen Dichtern, dem Menander, nachgebildet sind, das Leben, das der Dichter leben sah und selber lebte, nicht so sehr in seinen Verirrungen und Verzerrungen, als in seiner liebenswürdigen Alltäglichkeit artig widergespiegelt. Die freundlichen häuslichen Verhältnisse zwischen Vater und Tochter, Mann und Frau, Herrn und Diener, mit ihren Liebschaften und sonstigen kleinen Krisen sind so allgemeingültig abkonterfeit, daß sie noch heute ihre Wirkung nicht verfehlen; der Bedientenschmaus zum Beispiel, womit der ‚Stichus‘ schließt, ist in der Beschränktheit seiner Verhältnisse und der Eintracht der beiden Liebhaber und des einen Schätzchens in seiner Art von unübertrefflicher Zierlichkeit. Von großer Wirkung sind die eleganten Grisetten, die gesalbt und geschmückt, mit modischem Haarputz und im bunten goldgestickten Schleppgewande erscheinen oder besser noch auf der Bühne Toilette machen. In ihrem Gefolge stellen die Gelegenheitsmacherinnen sich ein, bald von der gemeinsten Sorte, wie deren eine im ‚Curculio‘ auftritt, bald Duennen gleich Goethes alter Barbara, wie die Scapha in der Wunderkomödie; auch an hilfreichen Brüdern und Kumpanen ist kein Mangel. Sehr reichlich und mannigfaltig besetzt sind die alten Rollen; es erscheinen umeinander der strenge und geizige, der zärtliche und weichmütige, der nachsichtige gelegenheitsmachende Papa, der verliebte Greis, der alte bequeme Junggesell, die eifersüchtige bejahrte Hausehre mit ihrer alten, gegen den Herrn mit der Frau haltenden Magd; wogegen die Jünglingsrollen zurücktreten und weder der erste Liebhaber noch der hie und da begegnende tugendhafte Mustersohn viel bedeuten wollen. Die Bedientenwelt: der verschmitzte Kammerdiener, der strenge Hausmeister, der alte wackere Erzieher, der knoblauchduftende Ackerknecht, das impertinente Jüngelchen – leitet schon hinüber zu den sehr zahlreichen Gewerberollen. Eine stehende Figur darunter ist der Spaßmacher (parasitus), welcher für die Erlaubnis, an der Tafel des Reichen mitzuschmausen, die Gäste mit Schnurren und Scharaden zu belustigen, auch nach Umständen sich die Scherben an den Kopf werfen zu lassen hat – es war dies damals in Athen ein förmliches Gewerbe, und sicher ist es auch keine poetische Fiktion, wenn ein solcher Schmarotzer auftritt, aus seinen Witz- und Anekdotenbüchern sich eigens präparierend. Beliebte Rollen sind ferner der Koch, der nicht bloß mit unerhörten Saucen zu renommieren versteht, sondern auch wie ein gelernter Dieb zu stipitzen; der freche, zu jedem Laster sich mit Vergnügen bekennende Bordellwirt, wovon der Ballio im ‚Lügenbold‘ ein Musterexemplar ist; der militärische Bramarbas, in dem die Landsknechtwirtschaft der Diadochenzeit sehr bestimmt anklingt; der gewerbsmäßige Industrieritter oder der Sykophant, der schuftige Wechsler, der feierlich alberne Arzt, der Priester, Schiffer, Fischer und dergleichen mehr. Dazu kommen endlich die eigentlichen Charakterrollen, wie der Abergläubige Menanders, der Geizige in der Plautinischen Topfkomödie. Die nationalhellenische Poesie hat auch in dieser ihrer letzten Schöpfung ihre unverwüstliche plastische Kraft noch bewährt; aber die Seelenmalerei ist hier doch schon mehr äußerlich kopiert als innerlich nachempfunden und um so mehr, je mehr die Aufgabe sich den wahrhaft poetischen nähert – es ist bezeichnend, daß in den eben angeführten Charakterrollen die psychologische Wahrheit großenteils durch die abstrakte Begriffsentwicklung vertreten wird, der Geizige hier die Nagelschnitze sammelt und die vergossene Träne als verschwendetes Wasser beklagt. Indes dieser Mangel an tiefer Charakteristik und überhaupt die ganze poetische und sittliche Hohlheit dieser neueren Komödie fällt weniger den Lustspieldichtern zur Last als der gesamten Nation. Das spezifische Griechentum war im Verscheiden; Vaterland, Volksglaube, Häuslichkeit, alles edle Tun und Sinnen war gewichen, Poesie, Historie und Philosophie innerlich erschöpft und dem Athener nichts übrig geblieben, als die Schule, der Fischmarkt und das Bordell – es ist kein Wunder und kaum ein Tadel, wenn die Poesie, die die menschliche Existenz zu verklären bestimmt ist, aus einem solchen Leben nichts weiter machen konnte, als was das Menandrische Lustspiel uns darstellt. Sehr merkwürdig ist dabei, wie die Poesie dieser Zeit, wo immer sie dem zerrütteten attischen Leben einigermaßen den Rücken zu wenden vermochte, ohne doch in. schulmäßige Nachdichtung zu verfallen, sofort sich am Ideal stärkt und erfrischt. In dem einzigen Überrest des parodisch-heroischen Lustspiels dieser Zeit, in Plautus‘ ‚Amphitryon‘ weht durchaus eine reinere und poetischere Luft als in allen übrigen Trümmern der gleichzeitigen Schaubühne; die gutmütigen, leise ironisch gehaltenen Götter, die edlen Gestalten aus der Heroenwelt, die possierlich feigen Sklaven machen zueinander den wundervollsten Gegensatz und nach dem drolligen Verlauf der Handlung die Geburt des Göttersohnes unter Donner und Blitz eine beinahe großartige Schlußwirkung. Diese Aufgabe der Mythenironisierung war aber auch verhältnismäßig unschuldig und poetisch, verglichen mit der des gewöhnlichen das attische Leben der Zeit schildernden Lustspiels. Eine besondere Anklage darf vom geschichtlich-sittlichen Standpunkt aus gegen die Poeten keineswegs erhoben und dem einzelnen Dichter kein individueller Vorwurf daraus gemacht werden, daß er im Niveau seiner Epoche steht; die Komödie war nicht Ursache, sondern Wirkung der in dem Volksleben waltenden Verdorbenheit. Aber wohl ist es, namentlich um den Einfluß dieser Lustspiele auf das römische Volksleben richtig zu beurteilen, notwendig, auf den Abgrund hinzuweisen, der unter all jener Feinheit und Zierlichkeit sich auftut. Die Flegeleien und Zoten, welche zwar Menander einigermaßen vermied, an denen aber bei den anderen Poeten kein Mangel ist, sind das wenigste; weit schlimmer ist die grauenvolle Lebensöde, deren einzige Oasen die Verliebtheit und der Rausch sind, die fürchterliche Prosa, worin was einigermaßen wie Enthusiasmus aussieht allein bei den Gaunern zu finden ist, denen der eigene Schwindel den Kopf verdreht hat und die das Prellergewerbe mit einer gewissen Begeisterung treiben, und vor allem jene unsittliche Sittlichkeit, mit welcher namentlich die menandrischen Stücke staffiert sind. Das Laster wird abgestraft, die Tugend belohnt und etwaige Peccadillos durch Bekehrung bei oder nach der Hochzeit zugedeckt. Es gibt Stücke, wie die Plautinische ‚Dreitalerkomödie‘ und mehrere Terenzische, in denen allen Personen bis auf die Sklaven hinab eine Portion Tugendhaftigkeit beigemischt ist; alle wimmeln von ehrlichen Leuten, die für sich betrügen lassen, von Mädchentugend womöglich, von gleich begünstigten und Kompagnie machenden Liebhabern; moralische Gemeinplätze und wohl gedrechselte Sittensprüche sind gemein wie die Brombeeren. In einem versöhnenden Finale, wie das in ‚Die beiden Bacchis‘ ist, wo die prellenden Söhne und die geprellten Väter zu guter Letzt alle miteinander ins Bordell kneipen gehen, steckt eine völlig Kotzebuesche Sittenfäulnis.
Auf diesen Grundlagen und aus diesen Elementen erwuchs das römische Lustspiel. Originalität ward bei demselben nicht bloß durch ästhetische, sondern wahrscheinlich zunächst durch polizeiliche Unfreiheit ausgeschlossen. Unter der beträchtlichen Masse der lateinischen Lustspiele dieser Gattung, die uns bekannt sind, findet sich nicht ein einziges, das sich nicht als Nachbildung eines bestimmten griechischen ankündigte; es gehört zum vollständigen Titel, daß der Name des griechischen Stückes und Verfassers mit genannt wird, und wenn, wie das wohl vorkam, über die „Neuheit“ eines Stückes gestritten ward, so handelte es sich darum, ob dasselbe schon früher übersetzt worden sei. Die Komödie spielt nicht etwa bloß häufig im Ausland, sondern es ist eine zwingende Notwendigkeit und die ganze Kunstgattung (fabula palliata) danach benannt, daß der Schauplatz außerhalb Roms, gewöhnlich in Athen ist und daß die handelnden Personen Griechen oder doch Nichtrömer sind. Selbst im einzelnen wird, besonders in denjenigen Dingen, worin auch der ungebildete Römer den Gegensatz bestimmt empfand, das ausländische Kostüm streng durchgeführt. So wird der Name Roms und der Römer vermieden und wo ihrer gedacht wird, heißen sie auf gut griechisch „Ausländer“ (barbari); ebenso erscheint unter den unzählige Male vorkommenden Geld- und Münzbezeichnungen auch nicht ein einziges Mal die römische Münze. Man macht sich von so großen und so gewandten Talenten, wie Naevius und Plautus waren, eine seltsame Vorstellung, wenn man dergleichen auf ihre freie Wahl zurückführt; diese krasse und sonderbare Exterritorialität der römischen Komödie war ohne Zweifel durch ganz andere als ästhetische Rücksichten bedingt. Die Verlegung solcher gesellschaftlicher Verhältnisse, wie sie die neuattische Komödie durchgängig zeichnet, nach dem Rom der hannibalischen Epoche würde geradezu ein Attentat auf dessen bürgerliche Ordnung und Sitte gewesen sein. Da aber die Schauspiele in dieser Zeit regelmäßig von den Ädilen und Prätoren gegeben wurden, die gänzlich vom Senat abhingen, und selbst die außerordentlichen Festlichkeiten, zum Beispiel die Leichenspiele, nicht ohne Regierungserlaubnis stattfanden, und da ferner die römische Polizei überall nicht und am wenigsten mit den Komödianten Umstände zu machen gewohnt war, so ergibt es sich von selbst, weshalb diese Komödie, selbst nachdem sie unter die römischen Volkslustbarkeiten aufgenommen war, doch noch keinen Römer auf die Bühne bringen durfte und gleichsam in das Ausland verbannt blieb.
Noch viel entschiedener ward den Bearbeitern das Recht, einen Lebenden lobend oder tadelnd zu nennen, sowie jede verfängliche Anspielung auf die Zeitverhältnisse untersagt. In dem ganzen plautinischen und nachplautinischen Komödienrepertoire ist, soweit wir es kennen, nicht zu einer einzigen Injurienklage Stoff. Ebenso begegnet uns von den bei dem lebhaften Munizipalsinn der Italiker besonders bedenklichen Invektiven gegen Gemeinden – wenn von einigen ganz unschuldigen Scherzen abgesehen wird – kaum eine andere Spur als der bezeichnende Hohn auf die unglücklichen Capuaner und Atellaner und merkwürdigerweise verschiedene Spottreden über die Hoffart wie über das schlechte Latein der Praenestiner113. Überhaupt findet sich in den Plautinischen Stücken von Beziehungen auf die Ereignisse und Verhältnisse der Gegenwart nichts als Glückwünsche für die Kriegführung114
Doch bin ich nicht närrisch, mich zu kümmern um den Staat,
Da die Obrigkeit da ist, die sich hat zu kümmern drum?
und im ganzen genommen ist kaum ein politisch zahmeres Lustspiel zu denken, als das römische des sechsten Jahrhunderts gewesen ist117. Eine merkwürdige Ausnahme macht allein der älteste namhafte römische Lustspieldichter Gnaeus Naevius. Wenn er auch nicht gerade römische Originallustspiele schrieb, so sind doch noch die wenigen Trümmer, die wir von ihm besitzen, voll von Beziehungen auf römische Zustände und Personen. Er nahm es unter anderm sich heraus, nicht bloß einen gewissen Maler Theodotos mit Namen zu verhöhnen, sondern selbst an den Sieger von Zama folgende Verse zu richten, deren Aristophanes sich nicht hätte schämen dürfen:
Jenen selbst, der große Dinge ruhmvoll oft zu Ende führte,
Dessen Taten lebendig leben, der bei den Völkern allen allein gilt,
Den hat nach Haus der eigene Vater von dem Liebchen geholt im Hemde.
Wie in den Worten:
Heute wollen freie Worte reden wir am Freiheitsfest,
so mag er öfter polizeiwidrig angesetzt und bedenkliche Fragen getan haben, wie zum Beispiel:
Wie ward ein so gewaltiger Staat nur so geschwind euch ruiniert?
worauf denn mit einem politischen Sündenregister geantwortet ward, zum Beispiel:
Es taten neue Redner sich, einfältige junge Menschen auf.
Allein die römische Polizei war nicht gemeint, gleich der attischen die Bühneninvektiven und politischen Diatriben zu privilegieren oder auch nur zu dulden. Naevius ward wegen solcher und ähnlicher Ausfälle in den Block geschlossen und mußte sitzen, bis er in anderen Komödien öffentlich Buße und Abbitte getan hatte. Ihn trieben diese Händel, wie es scheint, aus. der Heimat; seine Nachfolger aber ließen durch sein Beispiel sich warnen – einer derselben deutet sehr verständlich an, daß er ganz und gar nicht Lust habe, gleich dem Kollegen Naevius der unfreiwilligen Maulsperre zu unterliegen. So ward es durchgesetzt, was in seiner Art nicht viel weniger einzig ist als die Besiegung Hannibals, daß in einer Epoche der fieberhaftesten Volksaufregung eine volkstümliche Schaubühne von der vollständigsten politischen Farblosigkeit entstand.
Aber innerhalb dieser von Sitte und Polizei eng und peinlich gezogenen Schranken ging der Poesie der Atem aus. Nicht mit Unrecht mochte Naevius die Lage des Dichters unter dem Szepter der Lagiden und Seleukiden, verglichen mit derjenigen in dem freien Rom, beneidenswert nennen118
Die Verwüstung, welche die römischen Bearbeiter durch die Rücksicht auf ihr Publikum in den Originalen anzurichten genötigt waren, drängte sie unvermeidlich in eine Weise des Zusammenstreichens und Durcheinanderwerfens hinein, mit der keine künstlerische Komposition sich vertrug. Es war gewöhnlich, nicht bloß ganze Rollen des Originals herauszuwerfen, sondern auch dafür andere aus anderen Lustspielen desselben oder auch eines anderen Dichters wieder einzustücken; was freilich bei der äußerlich rationellen Komposition der Originale und ihren stehenden Figuren und Motiven nicht völlig so arg war, wie es scheint. Es gestatteten ferner wenigstens in der älteren Zeit sich die Dichter hinsichtlich der Komposition die seltsamsten Lizenzen. Die Handlung des sonst so vortrefflichen ‚Stichus‘ (aufgeführt 554 200) besteht darin, daß zwei Schwestern, welche der Vater veranlassen möchte, sich von ihren abwesenden Ehemännern zu scheiden, die Penelopen spielen, bis die Männer mit reichem Kaufmannsgewinn und als Präsent für den Schwiegervater mit einem hübschen Mädchen wieder nach Hause kommen. In der ‚Casina‘, die bei dem Publikum ganz besonders Glück machte, kommt die Braut, von der das Stück heißt und um die es sich dreht, gar nicht zum Vorschein, und die Auflösung wird ganz naiv als „später drinnen vor sich gehend“ vom Epilog erzählt. Überhaupt wird sehr oft die Verwicklung über das Knie gebrochen, ein angesponnener Faden fallengelassen und was dergleichen Zeichen einer unfertigen Kunst mehr sind. Die Ursache hiervon ist wahrscheinlich weit weniger in der Ungeschicklichkeit der römischen Bearbeiter zu suchen als in der Gleichgültigkeit des römischen Publikums gegen die ästhetischen Gesetze. Allmählich indes bildete sich der Geschmack. In den späteren Stücken hat Plautus offenbar mehr Sorgfalt auf die Komposition gewendet und ‚Die Gefangenen‘ zum Beispiel, der ‚Lügenbold‘, ‚Die beiden Bacchis‘ sind in ihrer Art meisterhaft geführt; seinem Nachfolger Caecilius, von dem wir keine Stücke mehr besitzen, wird es nachgerühmt, daß er sich vorzugsweise durch die kunstmäßigere Behandlung des Sujets auszeichnete.
In der Behandlung des einzelnen führen das Bestreben des Poeten, seinen römischen Zuhörern die Dinge möglichst vor die Augen zu bringen, und die Vorschrift der Polizei, die Stücke ausländisch zu halten, die wunderlichsten Kontraste herbei. Die römischen Götter, die sakralen, militärischen, juristischen Ausdrücke der Römer, nehmen sich seltsam aus in der griechischen Welt; bunt durcheinander gehen die römischen Ädilen und Dreiherren mit den Agoranomen und Demarchen; in Ätolien oder Epidamnos spielende Stücke schicken den Zuschauer ohne Bedenken nach dem Velabrum und dem Kapitol. Schon eine solche klecksartige Aufsetzung der römischen Lokaltöne auf den griechischen Grund ist eine Barbarisierung; aber diese in ihrer naiven Art oft sehr spaßhaften Interpolationen sind weit erträglicher als die durchgängige Umstimmung der Stücke ins Rohe, welche bei der keineswegs attischen Bildung des Publikums den Bearbeitern notwendig schien. Freilich mochten schon von den neuattischen Poeten manche in der Rüpelhaftigkeit keiner Nachhilfe bedürfen; Stücke wie die Plautinische ‚Eselskomödie‘ werden ihre unübertreffliche Plattheit und Gemeinheit nicht erst dem Übersetzer verdanken. Aber es walten doch in den römischen Komödien die rohen Motive in einer Weise vor, daß die Übersetzer hierin entweder interpoliert oder mindestens sehr einseitig kompiliert haben müssen. In der unendlichen Prügelfülle und der stets über dem Rücken der Sklaven schwebenden Peitsche erkennt man deutlich das catonische Hausregiment, sowie die catonische Opposition gegen die Frauen in dem nimmer endenden Heruntermachen der Weiber. Unter den Späßen eigener Erfindung, mit welchen die römischen Bearbeiter die elegante attische Konversation zu würzen für gut befunden haben, finden sich manche von einer kaum glaublichen Gedankenlosigkeit und Roheit121
Was dagegen die metrische Behandlung anlangt, so macht im ganzen der geschmeidige und klingende Vers den Bearbeitern alle Ehre. Wenn die jambischen Trimeter, die in den Originalen vorherrschten und ihrem mäßigen Konversationston allein angemessen waren, in der lateinischen Bearbeitung sehr häufig durch jambische oder trochäische Tetrameter ersetzt worden sind, so wird auch hiervon die Ursache weniger in der Ungeschicklichkeit der Bearbeiter zu suchen sein, die den Trimeter gar wohl zu handhaben wußten, als in dem ungebildeten Geschmack des römischen Publikums, dem der prächtige Vollklang der Langverse auch da gefiel, wo er nicht hingehörte.
Endlich trägt auch die Inszenierung der Stücke den gleichen Stempel der Gleichgültigkeit der Direktion wie des Publikums gegen die ästhetischen Anforderungen. Die griechische Schaubühne, welche schon wegen des Umfangs des Theaters und des Spielens bei Tage auf ein eigentliches Gebärdenspiel verzichtete, die Frauenrollen mit Männern besetzte und einer künstlichen Verstärkung der Stimme des Schauspielers notwendig bedurfte, ruhte in szenischer wie in akustischer Hinsicht durchaus auf dem Gebrauch der Gesichts- und Schallmasken. Diese waren auch in Rom wohlbekannt; bei den Dilettantenaufführungen erschienen die Spieler ohne Ausnahme maskiert. Dennoch wurden den Schauspielern, welche die griechischen Lustspiele in Rom aufführen sollten, die dafür notwendigen, freilich ohne Zweifel viel künstlicheren Masken nicht gegeben; was denn, von allem andern abgesehen, in Verbindung mit der mangelhaften akustischen Einrichtung der Bühne125 den Schauspieler nicht bloß nötigte seine Stimme über die Gebühr anzustrengen, sondern schon den Livius zu dem höchst unkünstlerischen, aber unvermeidlichen Ausweg zwang, die Gesangstücke durch einen außerhalb des Spielerpersonals stehenden Sänger vortragen und von dem Schauspieler, in dessen Rolle sie fielen, nur durch stummes Spiel darstellen zu lassen. Ebensowenig fanden die römischen Festgeber ihre Rechnung dabei, sich für Dekorationen und Maschinerie in wesentliche Kosten zu setzen. Auch die attische Bühne stellte regelmäßig eine Straße mit Häusern im Hintergrunde vor und hatte keine wandelbaren Dekorationen; allein man besaß doch außer anderem mannigfaltigen Apparat namentlich eine Vorrichtung, um eine kleinere, das Innere eines Hauses vorstellende Bühne auf die Hauptszene hinauszuschieben. Das römische Theater aber ward damit nicht versehen, und man kann es darum dem Poeten kaum zum Vorwurf machen, wenn alles, sogar das Wochenbett auf der Straße abgehalten wird.
So war das römische Lustspiel des sechsten Jahrhunderts beschaffen. Die Art und Weise, wie man die griechischen Schauspiele nach Rom übertrug, gewährt von dem verschiedenartigen Kulturstand ein geschichtlich unschätzbares Bild; in ästhetischer wie in sittlicher Hinsicht aber stand das Original nicht hoch und das Nachbild noch tiefer. Die Welt bettelhaften Gesindels, wie sehr auch die römischen Bearbeiter sie unter der Wohltat des Inventars antraten, erschien doch in Rom verschlagen und fremdartig, die feine Charakteristik gleichsam weggeworfen; die Komödie stand nicht mehr auf dem Boden der Wirklichkeit, sondern die Personen und Situationen schienen wie ein Kartenspiel, willkürlich und gleichgültig gemischt; im Original ein Lebens-, ward sie in der Bearbeitung ein Zerrbild. Bei einer Direktion, die imstande war, einen griechischen Agon mit Flötenspiel, Tänzerchören, Tragöden und Athleten anzukündigen und schließlich denselben in eine Prügelei zu verwandeln, vor einem Publikum, welches, wie noch spätere Dichter klagen, in Masse aus dem Schauspiel weglief, wenn es Faustkämpfer oder Seiltänzer oder gar Fechter zu sehen gab, mußten Dichter, wie die römischen waren, Lohnarbeiter von gesellschaftlich niedriger Stellung, wohl selbst wider die eigene bessere Einsicht und den eigenen besseren Geschmack sich der herrschenden Frivolität und Roheit mehr oder minder fügen. Es ist alles Mögliche, daß nichtsdestoweniger einzelne lebende und frische Talente unter ihnen aufstanden, die das Fremdländische und Gemachte in der Poesie wenigstens zurückzudrängen und in den einmal gewiesenen Bahnen zu erfreulichen und selbst bedeutenden Schöpfungen zu gelangen vermochten. An ihrer Spitze steht Gnaeus Naevius, der erste Römer, der es verdient, ein Dichter zu heißen und, soweit die über ihn erhaltenen Berichte und die geringen Bruchstücke seiner Werke uns ein Urteil gestatten, allem Anschein nach eines der merkwürdigsten und bedeutendsten Talente in der römischen Literatur überhaupt. Er war des Andronicus jüngerer Zeitgenosse – seine poetische Tätigkeit begann bedeutend vor und endigte wahrscheinlich erst nach dem Hannibalischen Kriege – und im allgemeinen von ihm abhängig; auch er war, wie das in gemachten Literaturen zu sein pflegt, in allen von seinem Vorgänger aufgebrachten Kunstgattungen, im Epos, im Trauer- und Lustspiel, zugleich tätig und schloß auch im Metrischen sich eng an ihn an. Nichtsdestoweniger trennt die Dichter wie die Dichtungen eine ungeheure Kluft. Naevius war kein Freigelassener, kein Schulmeister und kein Schauspieler, sondern ein zwar nicht vornehmer, aber unbescholtener Bürger, wahrscheinlich einer der latinischen Gemeinden Kampaniens, und Soldat im Ersten Punischen Kriege126. Recht im Gegensatz zu Livius ist Naevius‘ Sprache bequem und klar, frei von aller Steifheit und von aller Affektion und scheint selbst im Trauerspiel dem Pathos gleichsam absichtlich aus dem Wege zu gehen; die Verse, trotz des nicht seltenen Hiatus und mancher anderen, späterhin beseitigten Lizenzen, fließen leicht und schön127
Wenn Göttern um den Menschen – Totentrauer ziemte,
Den Dichter Naevius klagten – göttliche Camenen;
Dieweil, seit er hinunter – zu den Schatten abschied,
Verschollen ist in Rom der – Ruhm der römischen Rede.
Und solcher Männer- und Dichterstolz ziemte wohl dem Manne, der die Kämpfe gegen Hamilkar und gegen Hannibal teils miterlebte, teils selber mitfocht, und der für die tief bewegte und in gewaltigem Freudenjubel gehobene Zeit nicht gerade den poetisch höchsten, aber wohl einen tüchtigen, gewandten und volkstümlichen dichterischen Ausdruck fand. Es ist schon erzählt worden, in welche Händel mit den Behörden er darüber geriet und wie er, vermutlich dadurch von Rom vertrieben, sein Leben in Utica beschloß. Auch hier ging das individuelle Leben über dem gemeinen Besten, das Schöne über dem Nützlichen zugrunde.
In der äußeren Stellung wie in der Auffassung seines Dichterberufs scheint ihm sein jüngerer Zeitgenosse, Titus Maccius Plautus (500? – 570 254-184). weit nachgestanden zu haben. Gebürtig aus dem kleinen, ursprünglich umbrischen, aber damals, vielleicht schon latinisierten Städtchen Sassina, lebte er in Rom als Schauspieler und, nachdem er den damit gemachten Gewinn in kaufmännischen Spekulationen wieder eingebüßt hatte, als Theaterdichter von der Bearbeitung griechischer Lustspiele, ohne in einem anderen Fache der Literatur tätig zu sein und wahrscheinlich ohne Anspruch auf eigentliches Schriftstellertum zu machen. Solcher handwerksmäßigen Komödienbearbeiter scheint es in Rom damals eine ziemliche Zahl gegeben zu haben; allein ihre Namen sind, zumal da sie wohl durchgängig ihre Stücke nicht publizierten132, so gut wie verschollen, und was von diesem Repertoire sich erhielt, ging späterhin auf den Namen des populärsten unter ihnen, des Plautus. Die Literatoren des folgenden Jahrhunderts zählten bis hundertunddreißig solcher „plautinischer Stücke“, von denen indes auf jeden Fall ein großer Teil nur von Plautus durchgesehen oder ihm ganz fremd war; der Kern derselben ist noch vorhanden. Ein gegründetes Urteil über die poetische Eigentümlichkeit des Bearbeiters zu fällen, ist dennoch sehr schwer, wo nicht unmöglich, da die Originale uns nicht erhalten sind. Daß die Bearbeitung ohne Auswahl gute wie schlechte Stücke übertrug, daß sie der Polizei wie dem Publikum gegenüber untertänig und untergeordnet dastand, daß sie gegen die ästhetischen Anforderungen sich ebenso gleichgültig verhielt wie ihr Publikum und diesem zuliebe die Originale ins Possenhafte und Gemeine umstimmte, sind Vorwürfe, die mehr gegen die ganze Übersetzungsfabrik als gegen den einzelnen Bearbeiter sich richten. Dagegen darf als dem Plautus eigentümlich gelten die meisterliche Behandlung der Sprache und der mannigfachen Rhythmen, ein seltenes Geschick, die Situation bühnengerecht zu gestalten und zu nutzen, der fast immer gewandte und oft vortreffliche Dialog und vor allen Dingen eine derbe und frische Lustigkeit, die in glücklichen Späßen, in einem reichen Schimpfwörterlexikon, in launigen Wortbildungen, in drastischen, oft mimischen Schilderungen und Situationen unwiderstehlich komisch wirkt – Vorzüge, in denen man den gewesenen Schauspieler zu erkennen meint. Ohne Zweifel hat der Bearbeiter auch hierin mehr das Gelungene der Originale festgehalten als selbständig geschaffen – was in den Stücken sicher auf den Übersetzer zurückgeführt werden kann, ist milde gesagt mittelmäßig; allein es wird dadurch begreiflich, warum Plautus der eigentliche römische Volkspoet und der rechte Mittelpunkt der römischen Bühne geworden und geblieben, ja noch nach dem Untergang der römischen Welt das Theater mehrfach auf ihn zurückgekommen ist.
Noch weit weniger vermögen wir zu einem eigenen Urteil über den dritten und letzten – denn Ennius schrieb wohl Komödien, aber durchaus ohne Erfolg – namhaften Lustspieldichter dieser Epoche, Statius Caecilius, zu gelangen. Der Lebensstellung und dem Gewerbe nach stand er mit Plautus gleich. Geboren im Keltenland in der Gegend von Mediolanum kam er unter den insubrischen Kriegsgefangenen nach Rom und lebte dort als Sklave, später als Freigelassener von der Bearbeitung griechischer Komödien für das Theater bis zu seinem wahrscheinlich frühen Tode (586 168). Daß seine Sprache nicht rein war, ist bei seiner Herkunft begreiflich; dagegen bemühte er sich, wie schon gesagt ward, um strengere Komposition. Bei den Zeitgenossen fanden seine Stücke nur schwer Eingang, und auch das spätere Publikum ließ gegen Plautus und Terenz den Caecilius fallen; wenn dennoch die Kritiker der eigentlichen Literaturzeit Roms, der varronischen und augustinischen Epoche, unter den römischen Bearbeitern griechischer Lustspiele dem Caecilius die erste Stelle eingeräumt haben, so scheint dies darauf zu beruhen, daß die kunstrichterliche Mittelmäßigkeit gern der geistesverwandten poetischen vor dem einseitig Vortrefflichen den Vorzug gibt. Wahrscheinlich hat jene Kunstkritik den Caecilius nur deshalb unter ihre Flügel genommen, weil et regelrechter als Plautus und kräftiger als Terenz war; wobei er immer noch recht wohl weit geringer als beide gewesen sein kann.
Wenn also der Literarhistoriker bei aller Anerkennung des sehr achtbaren Talents der römischen Lustspieldichter doch in ihrem reinen Übersetzungsrepertoire weder eine künstlerisch bedeutende noch eine künstlerisch reine Leistung erkennen kann, so muß das geschichtlich-sittliche Urteil über dasselbe notwendig noch bei weitem härter ausfallen. Das griechische Lustspiel, das demselben zu Grunde liegt, war sittlich insofern gleichgültig, als es eben nur im Niveau der Korruption seines Publikums stand; die römische Schaubühne aber war in dieser zwischen der alten Strenge und der neuen Verderbnis schwankenden Epoche die hohe Schule zugleich des Hellenismus und des Lasters. Dieses attisch-römische Lustspiel mit seiner in der Frechheit wie in der Sentimentalität gleich unsittlichen, den Namen der Liebe usurpierenden Leibes- und Seelenprostitution, mit seiner widerlichen und widernatürlichen Edelmütigkeit, mit seiner durchgängigen Verherrlichung des Kneipenlebens, mit seiner Mischung von Bauernroheit und ausländischem Raffinement, war eine fortlaufende Predigt römisch-hellenischer Demoralisation und ward auch als solche empfunden. Ein Zeugnis bewahrt der Epilog der Plautinischen ‚Gefangenen‘:
Dieses Lustspiel, da ihr schautet, ist anständig ganz und gar:
Nicht wird darin ausgegriffen, Liebeshändel hat es nicht,
Keine Kinderunterschiebung, keine Geldabschwindelung;
Nicht kauft drin der Sohn sein Mädchen ohne des Vaters Willen frei.
Selten nur ersinnt ein Dichter solcherlei Komödien,
Die die Guten besser machen. Wenn drum euch dies Stück gefiel,
Wenn wir Spieler euch gefallen, laßt uns dies das Zeichen sein:
Wer auf Anstand hält, der klatsche nun zum Lohn uns unserm Spiel.
Man sieht hier, wie die Partei der sittlichen Reform über das griechische Lustspiel geurteilt hat; und es kann hinzugesetzt werden, daß auch in jenen weißen Raben, den moralischen Lustspielen, die Moralität von derjenigen Art ist, die nur dazu taugt, die Unschuld gewisser zu betören. Wer kann es bezweifeln, daß diese Schauspiele der Korruption praktischen Vorschub getan haben? Als König Alexander an einem Lustspiel dieser Art, das der Verfasser ihm vorlas, keinen Geschmack fand, entschuldigte sich der Dichter, daß das nicht an ihm sondern an dem Könige liege; um ein solches Stück zu genießen, müsse man gewohnt sein, Kneipgelage abzuhalten und eines Mädchens wegen Schläge auszuteilen und zu empfangen. Der Mann kannte sein Handwerk; wenn also die römische Bürgerschaft allmählich an diesen griechischen Komödien Geschmack fand, so sieht man, um weichen Preis es geschah. Es gereicht der römischen Regierung zum Vorwurf, nicht, daß sie für diese Poesie so wenig tat, sondern daß sie dieselbe überhaupt duldete. Das Laster ist zwar auch ohne Kanzel mächtig; aber damit ist es noch nicht entschuldigt, demselben eine Kanzel zu errichten. Es war mehr eine Ausrede als eine ernstliche Verteidigung, daß man das hellenisierende Lustspiel von der unmittelbaren Berührung der Personen und Institutionen Roms fernhielt. Vielmehr hätte die Komödie wahrscheinlich sittlich weniger geschadet, wenn man sie freier hätte walten, den Beruf des Poeten sich veredeln und eine einigermaßen selbständige römische Poesie sich entwickeln lassen; denn die Poesie ist auch eine sittliche Macht, und wenn sie tiefe Wunden schlägt, so vermag sie auch viel zu heilen. Wie es war, geschah auch auf diesem Gebiet von der Regierung zu wenig und zu viel; die politische Halbheit und die moralische Heuchelei ihrer Bühnenpolizei hat zu der furchtbar raschen Auflösung der römischen Nation das Ihrige beigetragen.
Wenn indes die Regierung dem römischen Lustspieldichter nicht gestattete, die Zustände seiner Vaterstadt darzustellen und seine Mitbürger auf die Bühne zu bringen, so war doch dadurch die Entstehung eines lateinischen Nationallustspiels nicht unbedingt abgeschnitten; denn die römische Bürgerschaft war in dieser Zeit noch nicht mit der latinischen Nation zusammengefallen, und es stand dem Dichter frei, seine Stücke wie in Athen und Massalia, ebenso auch in den italischen Städten latinischen Rechts spielen zu lassen. In der Tat entstand auf diesem Wege das lateinische Originallustspiel (fabula togata133
Der hauptstädtischen Bühne gehört dieses Lustspiel ebenso an wie das griechische; immer aber mag in demselben etwas von der landschaftlichen Opposition gegen das großstädtische Wesen und Unwesen geherrscht haben, wie sie gleichzeitig bei Cato und späterhin bei Varro hervortritt. Wie in der deutschen Komödie, die in ganz ähnlicher Weise von der französischen ausgegangen war wie die römische von der attischen, sehr bald die französische Lisette durch das Frauenzimmerchen Franziska abgelöst ward, so trat, wenn nicht mit gleicher poetischer Gewalt, doch in derselben Richtung und vielleicht mit ähnlichem Erfolg, in Rom neben das hellenisierende das latinische Nationallustspiel.
Wie das griechische Lustspiel kam auch das griechische Trauerspiel im Laufe dieser Epoche nach Rom. Dasselbe war ein wertvollerer und in gewisser Hinsicht auch ein leichterer Erwerb als die Komödie. Die Grundlage des Trauerspiels, das griechische, namentlich das Homerische Epos, war den Römern nicht fremd und bereits mit ihrer eigenen Stammsage verflochten; und überhaupt ward der empfängliche Fremde weit leichter heimisch in der idealen Welt der heroischen Mythen als auf dem Fischmarkt von Athen. Dennoch hat auch das Trauerspiel, nur minder schroff und minder gemein, die antinationale und hellenisierende Weise gefördert; wobei es von der entscheidendsten Wichtigkeit war, daß die griechische tragische Bühne dieser Zeit vorwiegend von Euripides (274, 348 480, 406) beherrscht ward. Diesen merkwürdigen Mann und seine noch viel merkwürdigere Wirkung auf Mit- und Nachwelt erschöpfend darzustellen, ist dieses Ortes nicht; aber die geistige Bewegung der späteren griechischen und der griechisch-römischen Epoche ward so sehr durch ihn bestimmt, daß es unerläßlich ist, sein Wesen wenigstens in den Grundzügen zu skizzieren. Euripides gehört zu denjenigen Dichtern, welche die Poesie zwar auf eine höhere Stufe heben, aber in diesem Fortschritt bei weitem mehr das richtige Gefühl dessen, was sein sollte, als die Macht offenbaren, dies poetisch zu erschaffen. Das tiefe Wort, welches sittlich wie poetisch die Summe aller Tragik zieht, daß Handeln Leiden ist, gilt freilich auch für die antike Tragödie; den handelnden Menschen stellt sie dar, aber eigentliche Individualisierung ist ihr fremd. Die unübertroffene Großheit, womit der Kampf des Menschen und des Schicksals bei Aeschylos sich vollzieht, beruht wesentlich darauf, daß jede der ringenden Mächte nur im ganzen aufgefaßt wird; das wesenhafte Menschliche ist im ‚Prometheus‘ und ‚Agamemnon‘ nur leicht angehaucht von dichterischer Individualisierung. Sophokles faßt wohl die Menschennatur in ihrer allgemeinen Bedingtheit, den König, den Greis, die Schwester; aber den Mikrokosmos des Menschen in seiner Allseitigkeit, den Charakter bringt keine einzelne seiner Gestalten zu Anschauung. Es ist hier ein hohes Ziel erreicht, aber nicht das höchste; die Schilderung des Menschen in seiner Ganzheit und die Verflechtung dieser einzelnen, in sich fertigen Gestalten zu einer höheren poetischen Totalität ist eine Steigerung und darum sind, gegen Shakespeare gehalten, Aeschylos und Sophokles unvollkommene Entwicklungsstufen. Allein wie Euripides es unternimmt, den Menschen darzustellen wie er ist, liegt darin mehr ein logischer und in gewissem Sinn ein geschichtlicher als ein dichterischer Fortschritt. Er hat die antike Tragödie zu zerstören, nicht die moderne zu erschaffen vermocht. Überall blieb er auf halbem Wege stehen. Die Masken, durch welche die Äußerung des Seelenlebens gleichsam aus dem Besonderen ins Allgemeine übersetzt wird, sind für die typische Tragödie des Altertums ebenso notwendig wie mit dem Charaktertrauerspiel unverträglich; Euripides aber behielt sie bei. Mit bewundernswert feinem Gefühl hatte die ältere Tragödie das dramatische Element, das frei walten zu lassen sie nicht vermochte, niemals rein dargestellt, sondern es stets durch die epischen Stoffe aus der Übermenschenwelt der Götter und Heroen und durch die lyrischen Chöre gewissermaßen gebunden. Man fühlt es, daß Euripides an diesen Ketten riß: er ging mit seinen Stoffen wenigstens bis in die halb historische Zeit hinab und seine Chorlieder traten so zurück, daß man bei späteren Aufführungen sie häufig und wohl kaum zum Nachteil der Stücke wegließ – aber doch hat er weder seine Gestalten völlig auf den Boden der Wirklichkeit gestellt noch den Chor ganz beiseite geworfen. Durchaus und nach allen Seiten hin ist er der volle Ausdruck einer Zeit einerseits der großartigsten geschichtlichen und philosophischen Bewegung, anderseits der Trübung des Urquells aller Poesie, der reinen und schlichten Volkstümlichkeit. Wenn die ehrfürchtige Frömmigkeit der älteren Tragiker deren Stücke gleichsam mit einem Abglanz des Himmels überströmt, wenn die Abgeschlossenheit des engen Horizontes der älteren Hellenen auch über den Hörer ihre befriedende Macht übt, so erscheint die Euripideische Welt in dem fahlen Schimmer der Spekulation so entgöttlicht wie durchgeistigt, und trübe Leidenschaften zucken wie die Blitze durch die grauen Wolken hin. Der alte, tiefe innerliche Schicksalsglaube ist verschwunden; das Fatum regiert als äußerlich despotische Macht, und knirschend tragen die Knechte ihre Fesseln. Derjenige Unglaube, welcher der verzweifelnde Glaube ist, redet aus diesem Dichter mit dämonischer Gewalt. Notwendigerweise gelangt also der Dichter niemals zu einer ihn selber überwältigenden plastischen Konzeption und niemals zu einer wahrhaft poetischen Wirkung im ganzen; weshalb er auch sich gegen die Komposition seiner Trauerspiele gewissermaßen gleichgültig verhalten, ja hierin nicht selten geradezu gesudelt und seinen Stücken weder in einer Handlung noch in einer Persönlichkeit einen Mittelpunkt gegeben hat – die liederliche Manier, den Knoten durch den Prolog zu schürzen und durch eine Göttererscheinung oder eine ähnliche Plumpheit zu lösen, hat recht eigentlich Euripides aufgebracht. Alle Wirkung liegt bei ihm im Detail, und mit allerdings großer Kunst ist hierin von allen Seiten alles aufgeboten, um den unersetzlichen Mangel poetischer Totalität zu verdecken. Euripides ist Meister in den sogenannten Effekten, welche in der Regel sinnlich sentimental gefärbt sind und oft noch durch einen besonderen Hautgout, zum Beispiel durch Verwehung von Liebesstoffen mit Mord oder Inzest, die Sinnlichkeit stacheln. Die Schilderungen der willig sterbenden Polyxena, der vor geheimem Liebesgram vergehenden Phädra, vor allem die prachtvolle der mystisch verzückten Bakchen sind in ihrer Art von der größten Schönheit; aber sie sind weder künstlerisch noch sittlich rein und Aristophanes‘ Vorwurf, daß der Dichter keine Penelope zu schildern vermöge, vollkommen begründet. Verwandter Art ist das Hineinziehen des gemeinen Mitleids in die Euripideische Tragödie. Wenn seine verkümmerten Heroen, wie der Menelaos in der ‚Helena‘, die Andromache, die Elektra als arme Bäuerin, der kranke und ruinierte Kaufmann Telephos, widerwärtig oder lächerlich und in der Regel beides zugleich sind, so machen dagegen diejenigen Stücke, die mehr in der Atmosphäre der gemeinen Wirklichkeit sich halten und aus dem Trauerspiel in das rührende Familienstück und beinahe schon in die sentimentale Komödie übergehen, wie die ‚Iphigenie in Aulis‘, der ‚Ion‘, die ‚Alkestis‘ vielleicht unter all seinen zahlreichen Werken die erfreulichste Wirkung. Ebenso oft, aber mit geringerem Glück versucht der Dichter das Verstandesinteresse ins Spiel zu bringen. Dahin gehört die verwickelte Handlung, welche darauf berechnet ist, nicht wie die ältere Tragödie das Gemüt zu bewegen, sondern vielmehr die Neugierde zu spannen; dahin der dialektisch zugespitzte, für uns Nichtathener oft geradezu unerträgliche Dialog; dahin die Sentenzen, die wie die Blumen im Ziergarten durch die Euripideischen Stücke ausgestreut sind; dahin vor allem die Euripideische Psychologie, die keineswegs auf unmittelbar menschlicher Nachempfindung, sondern auf rationeller Erwägung beruht. Seine Medeia ist insofern allerdings nach dem Leben geschildert, als sie vor ihrer Abfahrt gehörig mit Reisegeld versehen wird; von dem Seelenkampf zwischen Mutterliebe und Eifersucht wird der unbefangene Leser nicht viel bei Euripides finden. Vor allem aber ist in den Euripideischen Tragödien die poetische Wirkung ersetzt durch die tendenziöse. Ohne eigentlich unmittelbar in die Tagesfragen einzutreten und durchaus mehr die sozialen als die politischen Fragen ins Auge fassend, trifft doch Euripides in seinen innerlichen Konsequenzen zusammen mit dem gleichzeitigen politischen und philosophischen Radikalismus und ist der erste und oberste Apostel der neuen, die alte attische Volkstümlichkeit auflösenden kosmopolitischen Humanität. Hierauf beruht wie die Opposition, auf die der ungöttliche und unattische Dichter bei seinen Zeitgenossen stieß, so auch der wunderbare Enthusiasmus, mit welchem die jüngere Generation und das Ausland dem Dichter der Rührung und der Liebe, der Sentenz und der Tendenz, der Philosophie und der Humanität sich hingab. Das griechische Trauerspiel schritt mit Euripides über sich selber hinaus und brach also zusammen; aber des weltbürgerlichen Dichters Erfolg ward dadurch nur gefördert, da gleichzeitig auch die Nation über sich hinausschritt und gleichfalls zusammenbrach. Die Aristophanische Kritik mochte sittlich wie poetisch vollkommen das Richtige treffen; aber die Dichtung wirkt nun einmal geschichtlich nicht in dem Maße ihres absoluten Wertes, sondern in dem Maße, wie sie den Geist der Zeit vorzufühlen vermag, und in dieser Hinsicht ist Euripides unübertroffen. So ist es denn gekommen, daß Alexander ihn fleißig las, daß Aristoteles den Begriff des tragischen Dichters im Hinblick auf ihn entwickelte, daß die jüngste dichtende wie bildende Kunst in Attika aus ihm gleichsam hervorging, das neuattische Lustspiel nichts tat, als den Euripides ins Komische übertragen, und die in den späteren Vasenbildern uns entgegentretende Malerschule ihre Stoffe nicht mehr den alten Epen, sondern der Euripideischen Tragödie entnahm, daß endlich, je mehr das alte Hellas dem neuen Hellenismus wich, des Dichters Ruhm und Einfluß mehr und mehr stieg und das Griechentum im Auslande, in Ägypten wie in Rom, unmittelbar oder mittelbar wesentlich durch Euripides bestimmt ward.
Der Euripideische Hellenismus ist durch die verschiedenartigsten Kanäle nach Rom geflossen und mag daselbst wohl rascher und tiefer mittelbar gewirkt haben als geradezu in der Form der Übersetzung. Die tragische Schaubühne ist in Rom nicht gerade später eröffnet worden als die komische; allein sowohl die bei weitem größeren Kosten der tragischen Inszenierung, worauf doch, wenigstens während des Hannibalischen Krieges, ohne Zweifel Rücksicht genommen worden ist, als auch die Beschaffenheit des Publikums hielten die Entwicklung der Tragödie zurück. In den Plautinischen Lustspielen wird auf Tragödien nicht gerade oft hingedeutet, und die meisten Anführungen der Art mögen aus den Originalen herübergenommen sein. Der erste und einzig erfolgreiche Tragödiendichter dieser Zeit war des Naevius und Plautus jüngerer Zeitgenosse Quintus Ennius (515-585 239-169), dessen Stücke schon von den gleichzeitigen Lustspieldichtern parodiert und von den Späteren bis in die Kaiserzeit hinein geschaut und deklamiert wurden.
Uns ist die tragische Schaubühne der Römer weit weniger bekannt als die komische; im ganzen genommen wiederholen dieselben Erscheinungen, die bei dieser wahrgenommen wurden, sich auch bei jener. Das Repertoire ging gleichfalls wesentlich aus Übersetzungen griechischer Stücke hervor. Die Stoffe werden mit Vorliebe der Belagerung von Troja und den unmittelbar damit zusammenhängenden Sagen entnommen, offenbar weil dieser Mythenkreis allein dem römischen Publikum durch den Schulunterricht geläufig war; daneben überwiegen die sinnlich-grausamen Motive, der Mutter- oder Kindermord in den ‚Eumeniden‘, im ‚Alkmaeon‘, im ‚Kresphontes‘, in der ‚Melanippe‘, in der ‚Medeia‘, die Jungfrauenopfer in der ‚Polyxena‘, den ‚Erechthiden‘, der ‚Andromeda‘, der ‚Iphigeneia‘ – man kann nicht umhin, sich dabei zu erinnern, daß das Publikum dieser Tragödien Fechterspielen zuzuschauen gewohnt war. Frauen- und Geisterrollen scheinen den tiefsten Eindruck gemacht zu haben. Die bemerkenswerteste Abweichung der römischen Bearbeitung von dem Original betrifft außer dem Wegfall der Masken den Chor. Der römischen, zunächst wohl für das komische chorlose Spiel eingerichteten Bühne mangelte der besondere Tanzplatz (orchestra) mit dem Altar in der Mitte, auf dem der griechische Chor sich bewegte, oder vielmehr es diente derselbe bei den Römern als eine Art Parkett; danach muß wenigstens der kunstvoll gegliederte und mit der Musik und der Deklamation verschlungene Chortanz in Rom weggefallen sein, und wenn der Chor auch blieb, so hatte er doch wenig zu bedeuten. Im einzelnen fehlte es natürlich an Vertauschungen der Maße, an Verkürzungen und Verunstaltungen nicht; in der lateinischen Bearbeitung der Euripideischen ‚Iphigeneia‘ zum Beispiel ist, sei es nach dem Muster einer anderen Tragödie, sei es nach eigener Erfindung des Bearbeiters, aus dem Frauen- ein Soldatenchor gemacht. Gute Übersetzungen in unserem Sinn können die lateinischen Tragödien des sechsten Jahrhunderts freilich nicht genannt werden135
Είθ‘ ώφελ‘ Αργούς διασπάσθαι σκάφος Κόλχων ες αίαν κυανέας Συπληγάδας |
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Μήδ‘ τέν νάπαισι Πηλίου πεσείν ποτε Τμηθείσα πεύκη, μηδ‘ ερετμώσαι χέρας |
Utinam ne in nemore Pelio securibus Caesa accidisset abiegna ad terram trabes, |
Neve inde navis inchoandae exordium Coepisset, quae nunc nominatur nomine |
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Ανδρών αρίστων, οι τό πάγχρυσον θέρος | Argo, quia Argivi in ea dilecti viri Vecti petebant pellem inauratam arietis |
Πελία μετήλθον. Ου γάρ άν δέσποιν εμήΜηδεία πύργους γής έπλευσα Ιωλκίας | Colchis, imperio regis Peliae, per dolum. Nam nunquam era errans mea domo efferret pedem |
Έρωτι θυμόν εκπλαγείσ‘ Ιάσονος. | Medea, animo aegra, amore saevo saucia. |
Nie durch die schwarzen Symplegaden hätte hin Fliegen gesollt ins Kolcherland der Argo Schiff, |
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Noch stürzen in des Pelion Waldesschlucht jemals | O wär‘ im Pelionhaine von den Beilen nie |
Gefällt die Fichte, noch berudern sie die Hand | Gehaun zur Erde hingestürzt der Tannenstamm Und hätte damit der Angriff angefangen nie Zum Beginn des Schiffes, das man jetzt mit Namen nennt |
Der Tapfern, die das goldne Vließ dem Pelias | Argo weil drin fuhr Argos auserlesne Schar, |
Von Kolchi nach Gebot des Königs Pelias | |
Zu holen gingen! Nicht die Herrin wäre mir | Mit List zu holen übergüldetes Widdervließ! |
Medeia zu des Iolkerlandes Türmen dann | Vors Haus dann irr den Fuß mir Herrin setzte nie, |
Von Iasons Liebe sinnbetört hinweggeschifft. | Medea, krank im Herzen, wund von Liebespein. |
Die geschichtliche Stellung und Wirkung des griechischen Trauerspiels in Rom ist derjenigen der griechischen Komödie vollständig gleichartig; und wenn, wie das der Unterschied der Dichtgattungen mit sich bringt, in dem Trauerspiel die hellenistische Richtung geistiger und reinlicher auftritt, so trug dagegen die tragische Bühne dieser Zeit und ihr hauptsächlicher Vertreter Ennius noch weit entschiedener die antinationale und mit Bewußtsein propagandistische Tendenz zur Schau. Ennius, schwerlich der bedeutendste, aber sicher der einflußreichste Dichter des sechsten Jahrhunderts, war kein geborener Latiner, sondern von Haus aus ein Halbgrieche; messapischer Abkunft und hellenischer Bildung, siedelte er in seinem fünfunddreißigsten Jahre nach Rom über und lebte dort, anfangs als Insasse, seit 570 (184) als Bürger in beschränkten Verhältnissen, teils von dem Unterricht im Lateinischen und Griechischen, teils von dem Ertrag seiner Stücke, teils von den Verehrungen derjenigen römischen Großen, welche, wie Publius Scipio, Titus Flaminius, Marcus Fulvius Nobilior, geneigt waren, den modernen Hellenismus zu fördern und dem Poeten zu lohnen, der ihr eigenes und ihrer Ahnen Lob sang, und auch wohl einzelne von ihnen, gewissermaßen als im voraus für die zu verrichtenden Großtaten bestellter Hofpoet, ins Feldlager begleitete. Das Klientennaturell, das für einen solchen Beruf erforderlich war, hat er selbst zierlich geschildert137
Himmelsgötter freilich gibt es, sagt‘ ich sonst und sag‘ ich noch;
Doch sie kümmern keinesweges, mein‘ ich, sich um der Menschen Los,
Sonst ging’s gut den Guten, schlecht den Bösen; doch dem ist nicht so.
wundert man sich fast, daß sie die römische Bühnenzensur passierten. Daß Ennius in einem eigenen Lehrgedicht dieselbe Irreligiosität wissenschaftlich predigte, ward schon bemerkt; und offenbar ist es ihm mit dieser Aufklärung Herzenssache gewesen. Dazu stimmt vollkommen die hier und da hervortretende radikal gefärbte politische Opposition143
Heil Dichter Ennius! welcher du den Sterblichen
Das Feuerlied kredenzest aus der tiefen Brust.
Der geistreiche Mann war eben sich bewußt, mit vollen Segeln zu fahren; das griechische Trauerspiel ward und blieb fortan ein Besitztum der launischen Nation.
Einsamere Wege und mit minder günstigem Winde steuerte ein kühnerer Schiffer nach einem höheren Ziel. Naevius bearbeitete nicht bloß gleich Ennius, wenngleich mit weit geringerem Erfolg, griechische Trauerspiele für die römische Bühne, sondern er versuchte auch ein ernstes Nationalschauspiel (fabula praetextata) selbständig zu schaffen. Äußerliche Hindernisse standen hier nicht im Weg; er brachte Stoffe sowohl aus der römischen Sage als aus der gleichzeitigen Landesgeschichte auf die Bühne seiner Heimat. Derart sind seine ‚Erziehung des Romulus und Remus‘ oder der ‚Wolf‘, worin der König Amulius von Alba auftrat, und sein ‚Clastidium‘, worin der Sieg des Marcellus über die Kelten 532 (222) gefeiert ward. Nach seinem Vorgang hat auch Ennius in der ‚Ambrakia‘ die Belagerung der Stadt durch seinen Gönner Nobilior 565 (189; 2, 273) nach eigener Anschauung geschildert. Die Zahl dieser Nationalschauspiele blieb indes gering und die Gattung verschwand rasch wieder vom Theater; die dürftige Sage und die farblose Geschichte Roms vermochten mit dem hellenischen Sagenkreis nicht auf die Dauer zu konkurrieren. Über den dichterischen Gehalt der Stücke haben wir kein Urteil mehr; aber wenn die poetische Intention im ganzen in Anschlag kommen darf, so gibt es in der römischen Literatur wenige Griffe von solcher Genialität, wie die Schöpfung eines römischen Nationalschauspiels war. Nur die griechischen Tragödien der ältesten, den Göttern noch sich näher fühlenden Zeit, nur Dichter wie Phrynichos und Aeschylos hatten den Mut gehabt, die von ihnen miterlebten und mitverrichteten Großtaten neben denen der Sagenzeit auf die Bühne zu bringen; und wenn irgendwo es uns lebendig entgegentritt, was die Punischen Kriege waren und wie sie wirkten; so ist es hier, wo ein Dichter, der wie Aeschylos die Schlachten, die er sang, selber geschlagen, die Könige und Konsuln Roms auf diejenige Bühne führte, auf der man bis dahin einzig Götter und Heroen zu sehen gewohnt war.
Auch die Lesepoesie beginnt in dieser Epoche in Rom; schon Livius bürgerte die Sitte, welche bei den Alten die heutige Publikation vertrat, die Vorlesung neuer Werke durch den Verfasser, auch in Rom wenigstens insofern ein, als er dieselben in seiner Schule vortrug. Da die Dichtkunst hier nicht oder doch nicht geradezu nach Brot ging, ward dieser Zweig derselben nicht so wie die Bühnendichtung von der Ungunst der öffentlichen Meinung betroffen; gegen das Ende dieser Epoche sind auch schon der eine oder der andere vornehme Römer in dieser Art als Dichter öffentlich aufgetreten157. Vorwiegend indes ward die rezitative Poesie kultiviert von denselben Dichtern, die mit der szenischen sich abgaben, und überhaupt hat jene neben der Bühnendichtung eine untergeordnete Rolle gespielt, wie es denn auch ein eigentliches dichterisches Lesepublikum in dieser Zeit nur noch in sehr beschränktem Maße in Rom gegeben haben kann. Vor allem schwach vertreten war die lyrische, didaktische, epigrammatische Poesie. Die religiösen Festkantaten, von denen die Jahrbücher dieser Zeit allerdings bereits den Verfasser namhaft zu machen der Mühe wert halten, sowie die monumentalen Tempel- und Grabinschriften, für welche das saturnische Maß das stehende blieb, gehörten kaum der eigentlichen Literatur an. Soweit überhaupt in dieser die kleinere Poesie erscheint, tritt sie in der Regel und schon bei Naevius unter dem Namen der Satura auf – eine Bezeichnung, die ursprünglich dem alten, seit Livius durch das griechische Drama von der Bühne verdrängten handlungslosen Bühnengedicht zukam, nun aber in der rezitativen Poesie einigermaßen unseren „vermischten Gedichten“ entspricht und gleich diesen nicht eigentlich eine positive Kunstgattung und Kunstweise anzeigt, sondern nur Gedichte nicht epischer und nicht dramatischer Art von beliebigem, meist subjektivem Stoff und beliebiger Form. Außer Catos später noch zu erwähnendem ‚Gedicht von den Sitten‘, welches vermutlich, anknüpfend an die älteren Anfänge volkstümlich didaktischer Poesie, in saturnischen Versen geschrieben war, gehören hierher besonders die kleineren Gedichte des Ennius, welche der auf diesem Gebiet sehr fruchtbare Dichter teils in seiner Saturensammlung, teils abgesondert veröffentlichte: kürzere erzählende Poesien aus der vaterländischen Sagen- oder gleichzeitigen Geschichte, Bearbeitungen des religiösen Romans des Euhemeros, der auf den Namen des Epicharmos laufenden naturphilosophischen Poesien, der Gastronomie des Archestratos von Gela, eines Poeten der höheren Kochkunst; ferner einen Dialog zwischen dem Leben und dem Tode, Äsopische Fabeln, eine Sammlung von Sittensprüchen, parodische und epigrammatische Kleinigkeiten – geringe Sachen, aber bezeichnend wie für die Mannigfaltigkeit so auch für die didaktisch-neologische Tendenz des Dichters, der auf diesem Gebiete, wohin die Zensur nicht reichte, sich offenbar am freiesten gehen ließ.
Größere dichterische wie geschichtliche Bedeutung nehmen die Versuche in Anspruch, die Landeschronik metrisch zu behandeln. Wieder war es Naevius, der dichterisch formte, was sowohl von der Sagen- als von der gleichzeitigen Geschichte einer zusammenhängenden Erzählung fähig war und namentlich den Ersten Punischen Krieg einfach und klar, so schlecht und recht, wie die Dinge waren, ohne irgend etwas als unpoetisch zu verschmähen und ohne irgendwie, namentlich in der Schilderung der geschichtlichen Zeit, auf poetische Hebung oder gar Verzierungen auszugehen, durchaus in der gegenwärtigen Zeit berichtend, in dem halb prosaischen saturnischen Nationalversmaß heruntererzählte158
Eben dieselbe Aufgabe wie Naevius stellte sich auch Ennius; aber die Gleichheit des Gegenstandes läßt den politischen und poetischen Gegensatz des nationalen und des antinationalen Dichters nur um so greller hervortreten. Naevius suchte für den neuen Stoff eine neue Form; Ennius fügte oder zwängte denselben in die Formen des hellenischen Epos. Der Hexameter ersetzt den saturnischen Vers, die aufgeschmückte, nach plastischer Anschaulichkeit ringende Homeridenmanier die schlichte Geschichtserzählung. Wo es irgend angeht, wird geradezu Homer übertragen, wie zum Beispiel die Bestattung der bei Herakleia Gefallenen nach dem Muster der Bestattung des Patroklos geschildert wird und in der Kappe des mit den Istriern fechtenden Kriegstribuns Marcus Livius Stolo kein anderer steckt als der Homerische Aias – nicht einmal die Homerische Anrufung der Muse wird dem Leser erlassen. Die epische Maschinerie ist vollständig im Gange; nach der Schlacht von Cannae zum Beispiel verzeiht Juno in vollem Götterrat den Römern und verheißt ihnen Jupiter nach erlangter ehefräulicher Einwilligung den endlichen Sieg über die Karthager. Auch die neologische und hellenistische Tendenz ihres Verfassers verleugnen die ‚Jahrbücher‘ keineswegs. Schon die bloß dekorative Verwendung der Götterwelt trägt diesen Stempel. In dem merkwürdigen Traumgesicht, womit das Gedicht sich einführt, wird auf gut pythagoreisch berichtet, daß die jetzt im Quintus Ennius wohnhafte Seele vor diesem in Horneros und noch früher in einem Pfau seßhaft gewesen sei, und alsdann auf gut naturphilosophisch das Wesen der Dinge und das Verhältnis des Körpers zum Geiste auseinandergesetzt. Selbst die Wahl des Stoffes dient den gleichen Zwecken – haben doch die hellenischen Literaten aller Zeiten eine vorzüglich geeignete Handhabe für ihre griechisch-kosmopolitischen Tendenzen eben in der Zurechtmachung der römischen Geschichte gefunden. Ennius betont es, daß man die Römer
Griechen ja immer genannt und Graier sie pflege zu heißen.
Der poetische Wert der vielgefeierten Jahrbücher ist nach den früheren Bemerkungen über die Vorzüge und Mängel des Dichters im allgemeinen leicht abzumessen. Daß durch den Aufschwung, den die große Zeit der Punischen Kriege dem italischen Volksgefühl gab, auch dieser lebhaft mitempfindende Poet sich gehoben fühlte und er nicht bloß die Homerische Einfachheit oft glücklich traf, sondern auch noch öfter die römische Feierlichkeit und Ehrenhaftigkeit aus seinen Zeilen ergreifend widerhallt, ist ebenso natürlich wie die Mangelhaftigkeit der epischen Komposition, die notwendig sehr lose und gleichgültig gewesen sein muß, wenn es dem Dichter möglich war, einem sonst verschollenen Helden und Patron zuliebe ein eigenes Buch nachträglich einzufügen. Im ganzen aber waren die ‚Jahrbücher‘ ohne Frage Ennius‘ verfehltestes Werk. Der Plan, eine ‚Ilias‘ zu machen, kritisiert sich selbst. Ennius ist es gewesen, welcher mit diesem Gedicht zum erstenmal jenen Wechselbalg von Epos und Geschichte in die Literatur eingeführt hat, der von da an bis auf den heutigen Tag als Gespenst, das weder zu leben noch zu sterben vermag, in ihr umgeht. Einen Erfolg aber hat das Gedicht allerdings gehabt. Ennius gab sich mit noch größerer Unbefangenheit für den römischen Homer als Klopstock für den deutschen, und ward von den Zeitgenossen und mehr noch von der Nachwelt dafür genommen. Die Ehrfurcht vor dem Vater der römischen Poesie erbte fort von Geschlecht zu Geschlecht: den Ennius, sagt noch der feine Quintilian, wollen wir verehren wie einen altersgrauen heiligen Hain, dessen mächtige tausendjährige Eichen mehr ehrwürdig als schön sind; und wer darüber sich wundern sollte, der möge an verwandte Erscheinungen, an den Erfolg der Äneide, der Henriade, der Messiade sich erinnern. Eine mächtige poetische Entwicklung der Nation freilich würde jene beinahe komische offizielle Parallelisierung der Homerischen ‚Ilias‘ und der Ennianischen ‚Jahrbücher‘ so gut abgeschüttelt haben wie wir die Sappho-Karschin und den Pindar-Willamov; aber eine solche hat in Rom nicht stattgefunden. Bei dem stofflichen Interesse des Gedichts besonders für die aristokratischen Kreise und dem großen Formtalent des Dichters blieben die ‚Jahrbücher‘ das älteste römische Originalgedicht, welches den späteren gebildeten Generationen lesenswert und lesbar erschien; und so ist es wunderlicherweise gekommen, daß in diesem durchaus antinationalen Epos eines halbgriechischen Literaten die spätere Zeit das rechte römische Mustergedicht verehrt hat.
Nicht viel später als die römische Poesie, aber in sehr verschiedener Weise entstand in Rom eine prosaische Literatur. Es fielen bei dieser sowohl die künstlichen Förderungen hinweg, wodurch die Schule und die Bühne vor der Zeit eine römische Poesie großzogen, als auch die künstliche Hemmung, worauf namentlich die römische Komödie in der strengen und beschränkten Bühnenzensur traf. Es war ferner diese schriftstellerische Tätigkeit nicht durch den dem „Bänkelsänger“ anhaftenden Makel von vornherein bei der guten Gesellschaft in den Bann getan. Darum ist denn auch die prosaische Schriftstellerei zwar bei weitem weniger ausgedehnt und weniger rege als die gleichzeitige poetische, aber weit naturgemäßer entwickelt; und wenn die Poesie fast völlig in den Händen der geringen Leute ist und kein einziger vornehmer Römer unter den gefeierten Dichtern dieser Zeit erscheint, so ist umgekehrt unter den Prosaikern dieser Epoche kaum ein nicht senatorischer Norne und sind es durchaus die Kreise der höchsten Aristokratie, gewesene Konsuln und Zensoren, die Fabier, die Gracchen, die Scipionen, von denen diese Literatur ausgeht. Daß die konservative und nationale Tendenz sich besser mit dieser Prosaschriftstellerei vertrug als mit der Poesie, liegt in der Sache; doch hat auch hier, und namentlich in dem wichtigsten Zweige dieser Literatur, in der Geschichtschreibung, die hellenistische Richtung auf Stoff und Form mächtig, ja übermächtig eingewirkt.
Bis in die Zeit des Hannibalischen Krieges gab es in Rom eine Geschichtschreibung nicht; denn die Anzeichnungen des Stadtbuchs gehörten zu den Akten, nicht zu der Literatur, und verzichteten von Haus aus auf jede Entwicklung des Zusammenhanges der Dinge. Es ist bezeichnend für die Eigentümlichkeit des römischen Wesens, daß trotz der weit über die Grenzen Italiens ausgedehnten Macht der römischen Gemeinde und trotz der stetigen Berührung der vornehmen römischen Gesellschaft mit den literarisch so fruchtbaren Griechen dennoch nicht vor der Mitte des sechsten Jahrhunderts das Bedürfnis sich regte, die Taten und Geschicke der römischen Bürgerschaft auf schriftstellerischem Wege zur Kunde der Mit- und Nachwelt zu bringen. Als nun aber dies Bedürfnis endlich empfunden ward, fehlte es für die römische Geschichte an fertigen schriftstellerischem Formen und an einem fertigen Lesepublikum; und großes Talent und längere Zeit waren erforderlich, um beide zu erschaffen. Zunächst wurden daher diese Schwierigkeiten gewissermaßen umgangen dadurch, daß man die Landesgeschichte entweder in der Muttersprache, aber in Versen, oder in Prosa, aber griechisch schrieb. Von den metrischen Chroniken des Naevius (geschrieben um 550? 204) und Ennius (geschrieben um 581 173) ist schon die Rede gewesen; sie gehören zugleich zu der ältesten historischen Literatur der Römer, ja die des Naevius darf als das überhaupt älteste römische Geschichtswerk angesehen werden. Ungefähr gleichzeitig entstanden die griechischen Geschichtsbücher des Quintus Fabius Pictor168
Alle diese Werke waren freilich nicht im Sinne der Griechen170, wohl aber im Gegensatz zu der rein notizenhaften Fassung des Stadtbuchs pragmatische Geschichten von zusammenhängender Erzählung und mehr oder minder geordneter Darstellung. Sie umfaßten, soviel wir sehen sämtlich, die Landesgeschichte von der Erbauung Roms bis auf die Zeit des Schreibers, obwohl dem Titel nach das Werk des Naevius nur den ersten Krieg mit Karthago, das Catos nur die Ursprungsgeschichten betraf; danach zerfielen sie von selbst in die drei Abschnitte der Sagenzeit, der Vor- und der Zeitgeschichte. Bei der Sagenzeit war für die Entstehungsgeschichte der Stadt Rom, die überall mit großer Ausführlichkeit dargestellt ward, die eigentümliche Schwierigkeit zu überwinden, daß davon, wie früher ausgeführt ward, zwei völlig unvereinbare Fassungen vorlagen: die nationale, welche wenigstens in den Hauptumrissen wahrscheinlich schon im Stadtbuch schriftlich fixiert war, und die griechische des Timaeos, die diesen römischen Chronikschreibern nicht unbekannt geblieben sein kann. Jene sollte Rom an Alba, diese Rom an Troia anknüpfen; dort ward es also von dem albanischen Königssohn Romulus, hier von dem troischen Fürsten Aeneas erbaut. Der gegenwärtigen Epoche, wahrscheinlich entweder dem Naevius oder dem Pictor, gehört die Verklitterung der beiden Märchen an. Der albanische Königssohn Romulus bleibt der Gründer Roms, aber wird zugleich Aeneas Tochtersohn; Aeneas gründet Rom nicht, bringt aber dafür die römischen Penaten nach Italien und erbaut diesen zum Sitze Lavinium, sein Sohn Ascanius die Mutterstadt von Rom und die alte Metropole Latiums, das Lange Alba. Das alles war recht übel und ungeschickt erfunden. Daß die ursprünglichen Penaten Roms nicht, wie man bisher geglaubt, in ihrem Tempel am römischen Markte, sondern in dem zu Lavinium aufbewahrt seien, mußte dem Römer ein Greuel sein, und die griechische Dichtung kam noch schlimmer weg, indem die Götter erst dem Enkel verliehen, was sie dem Ahn zugeschieden hatten. Indes die Redaktion genügte ihrem Zweck: ohne geradezu den nationalen Ursprung Roms zu verleugnen, trug sie doch auch der hellenisierenden Tendenz Rechnung und legalisierte einigermaßen das in dieser Zeit bereits stark im Schwunge gehende Kokettieren mit dem Aeneadentum; und so wurde dies die stereotype und bald die offizielle Ursprungsgeschichte der mächtigen Gemeinde.
Von der Ursprungsfabel abgesehen, hatten im übrigen die griechischen Historiographen sich um die römische Gemeinde wenig oder gar nicht gekümmert, so daß die weitere Darstellung der Landesgeschichte vorwiegend aus einheimischen Quellen geflossen sein muß, ohne daß in der uns zugekommenen dürftigen Kunde mit Bestimmtheit auseinander träte, welcherlei Überlieferungen außer dem Stadtbuch den ältesten Chronisten zu Gebote gestanden und was sie etwa von dem Ihrigen hinzugetan haben. Die aus Herodot eingelegten Anekdoten171 sind diesen ältesten Annalisten wohl noch fremd gewesen und eine unmittelbare Entlehnung griechischen Stoffes in diesem Abschnitt nicht nachweisbar. Um so bemerkenswerter ist die überall, selbst bei dem Griechenfeind Cato, mit großer Bestimmtheit hervortretende Tendenz, nicht bloß Rom an Hellas anzuknüpfen, sondern Italiker und Griechen als ein ursprünglich gleiches Volk darzustellen – hierher gehören die aus Griechenland eingewanderten Uritaliker oder Aboriginer sowie die nach Italien wandernden Urgriechen oder Pelasger.
Die landläufige Erzählung führte in einem, wenn auch schwach und lose geknüpften Faden, doch einigermaßen zusammenhängend durch die Königszeit bis hinab auf die Einsetzung der Republik; hier aber versiegte die Sage ganz, und es war nicht bloß schwierig, sondern wohl geradezu unmöglich, aus den Beamtenverzeichnissen und den ihnen angehängten dürftigen Vermerken eine irgendwie zusammenhängende und lesbare Erzählung zu gestalten. Am meisten empfanden dies die Dichter. Naevius scheint deshalb von der Königszeit sogleich auf den Krieg um Sizilien übergegangen zu sein; Ennius, der im dritten seiner achtzehn Bücher noch die Königszeit, im sechsten schon den Krieg mit Pyrrhos beschrieb, kann die ersten zwei Jahrhunderte der Republik höchstens in den allgemeinsten Umrissen behandelt haben. Wie die griechisch schreibenden Annalisten sich geholfen haben, wissen wir nicht. Einen eigentümlichen Weg schlug Cato ein. Auch er verspürte keine Lust, wie er selber sagt, „zu berichten, was auf der Tafel im Hause des Oberpriesters steht: wie oft der Weizen teuer gewesen und wann Mond und Sonne sich verfinstert hätten“; und so bestimmte er denn das zweite und dritte Buch seines Geschichtswerkes für die Berichte über die Entstehung der übrigen italischen Gemeinden und deren Eintritt in die römische Eidgenossenschaft. Er machte sich also los aus den Fesseln der Chronik, welche Jahr für Jahr nach Voranstellung der jedesmaligen Beamten die Ereignisse berichtet; namentlich hierher wird die Angabe gehören, daß Catos Geschichtswerk die Vorgänge „abschnittsweise“ erzählte. Diese in einem römischen Werke auffallende Berücksichtigung der übrigen italischen Gemeinden griff teils in die oppositionelle Stellung des Verfassers ein, welcher gegen das hauptstädtische Treiben sich durchaus auf das munizipale Italien stützte, teils gewährte sie einen gewissen Ersatz für die mangelnde Geschichte Roms von der Vertreibung des Königs Tarquinius bis auf den Pyrrhischen Krieg, indem sie deren wesentliches Ergebnis, die Einigung Italiens unter Rom, in ihrer Art gleichfalls darstellte.
Dagegen die Zeitgeschichte wurde wiederum zusammenhängend und eingehend behandelt: nach eigener Kunde schilderten Naevius den ersten, Fabius den zweiten Krieg mit Karthago; Ennius widmete wenigstens dreizehn von den achtzehn Büchern seiner Chronik der Epoche von Pyrrhos bis auf den Istrischen Krieg; Cato erzählte im vierten und fünften Buche seines Geschichtswerkes die Kriege vom Ersten Punischen bis auf den mit Perseus und in den beiden letzten, wahrscheinlich anders und ausführlicher angelegten die Ereignisse aus den letzten zwanzig Lebensjahren des Verfassers. Für den Pyrrhischen Krieg mag Ennius den Timaeos oder andere griechische Quellen benutzt haben; im ganzen aber beruhten die Berichte teils auf eigener Wahrnehmung oder Mitteilungen von Augenzeugen, teils einer auf dem andern.
Gleichzeitig mit der historischen und gewissermaßen als ein Anhang dazu begann die Rede- und Briefliteratur, welche ebenfalls Cato eröffnet – denn aus der früheren Zeit besaß man nichts als einige, meistenteils wohl erst in späterer Zeit aus den Familienarchiven an das Licht gezogene Leichenreden, wie zum Beispiel diejenige, die der alte Quintus Fabius, der Gegner Hannibals, als Greis seinem im besten Mannesalter verstorbenen Sohn gehalten hatte. Cato dagegen zeichnete von den unzähligen Reden, die er während seiner langen und tätigen öffentlichen Laufbahn gehalten, die geschichtlich wichtigen in seinem Alter auf, gewissermaßen als politische Memoiren, und machte sie teils in seinem Geschichtswerk, teils, wie es scheint, als selbständige Nachträge dazu, bekannt. Auch eine Briefsammlung hat es von ihm schon gegeben.
Mit der nichtrömischen Geschichte befaßte man sich wohl insoweit, als eine gewisse Kenntnis derselben dem gebildeten Römer nicht mangeln durfte; schon von dem alten Fabius heißt es, daß ihm nicht bloß die römischen, sondern auch die auswärtigen Kriege geläufig gewesen, und daß Cato den Thukydides und die griechischen Historiker überhaupt fleißig las, ist bestimmt bezeugt. Allein wenn man von der Anekdoten- und Spruchsammlung absieht, welche Cato als Früchte dieser Lektüre für sich zusammenstellte, ist von einer schriftstellerischen Tätigkeit auf diesem Gebiet nichts wahrzunehmen.
Daß durch diese beginnende historische Literatur insgesamt eine harmlose Unkritik durchgeht, versteht sich von selbst; weder Schriftsteller noch Leser nahmen an inneren oder äußeren Widersprüchen leicht Anstoß. König Tarquinius der Zweite, obwohl bei dem Tode seines Vaters schon erwachsen und neununddreißig Jahre nach demselben zur Regierung gelangend, besteigt nichtsdestoweniger noch als Jüngling den Thron. Pythagoras, der etwa ein Menschenalter vor Vertreibung der Könige nach Italien kam, gilt den römischen Historikern darum nicht minder als Freund des weisen Numa. Die im Jahre 262 (492) der Stadt nach Syrakus geschickten Staatsboten verhandeln dort mit dem älteren Dionysios, der sechsundachtzig Jahre nachher (348 406) den Thron bestieg. Vornehmlich tritt diese naive Akrisie hervor in der Behandlung der römischen Chronologie. Da nach der – wahrscheinlich in ihren Grundzügen schon in der vorigen Epoche festgestellten – römischen Zeitrechnung die Gründung Roms 240 Jahre vor die Einweihung des Kapitolinischen Tempels, 360 Jahre vor den gallischen Brand und das letztere, auch in griechischen Geschichtswerken erwähnte Ereignis nach diesen in das Jahr des athenischen Archonten Pyrgion 388 v. Chr. (Ol. 98, 1) fiel, so stellt sich hiernach die Erbauung Roms auf Ol. 8, 1. Dieses war, nach der damals bereits als kanonisch geltenden Eratosthenischen Zeitrechnung, das Jahr nach Troias Fall 436; nichtsdestoweniger blieb in der gemeinen Erzählung der Gründer Roms der Tochtersohn des troischen Aeneas. Cato, der als guter Finanzmann hier nachrechnete, machte freilich in diesem Fall auf den Widerspruch aufmerksam; eine Aushilfe aber scheint auch er nicht vorgeschlagen zu haben – das später zu diesem Zweck eingeschobene Verzeichnis der albanischen Könige rührt sicher nicht von ihm her.
Dieselbe Unkritik, wie sie hier obwaltet, beherrschte bis zu einem gewissen Grade auch die Darstellung der historischen Zeit. Die Berichte trugen sicher ohne Ausnahme diejenige starke Parteifärbung, wegen welcher der fabische über die Anfänge des zweiten Krieges mit Karthago von Polybios mit der ihm eigenen kühlen Bitterkeit durchgezogen wird. Das Mißtrauen indes ist hier besser am Platz als der Vorwurf. Es ist einigermaßen lächerlich, von den römischen Zeitgenossen Hannibals ein gerechtes Urteil über ihre Gegner zu verlangen; eine bewußte Entstellung der Tatsachen aber, soweit der naive Patriotismus nicht von selber eine solche einschließt, ist den Vätern der römischen Geschichte doch nicht nachgewiesen worden.
Auch von wissenschaftlicher Bildung und selbst von dahin einschlagender Schriftstellerei gehören die Anfänge in diese Epoche. Der bisherige Unterricht hatte sich wesentlich auf Lesen und Schreiben und auf die Kenntnis des Landrechts beschränkt172. Allmählich aber ging den Römern in der innigen Berührung mit den Griechen der Begriff einer allgemeineren Bildung auf und regte sich das Bestreben, nicht gerade diese griechische Bildung unmittelbar nach Rom zu verpflanzen, aber doch nach ihr die römische einigermaßen zu modifizieren.
Vor allen Dingen fing die Kenntnis der Muttersprache an sich zur lateinischen Grammatik auszubilden; die griechische Sprachwissenschaft übertrug sich auf das verwandte italische Idiom. Die grammatische Tätigkeit begann ungefähr gleichzeitig mit der römischen Schriftstellerei. Schon um 520 (234) scheint ein Schreiblehrer Spurius Carvilius das lateinische Alphabet reguliert und dem außerhalb desselben stehenden Buchstaben g (I, 487) den Platz des entbehrlich gewordenen z gegeben zu haben, welchen derselbe noch in den heutigen okzidentalischen Alphabeten behauptet. An der Feststellung der Rechtschreibung werden die römischen Schulmeister fortwährend gearbeitet haben; und auch die lateinischen Musen haben ihre schulmeisterliche Hippokrene nie verleugnet und zu allen Zeiten neben der Poesie sich der Orthographie beflissen. Namentlich Ennius hat, auch hierin Klopstock gleich, nicht bloß das anklingende Etymologienspiel schon ganz in alexandrinischer Art geübt173, sondern auch für die bis dahin übliche einfache Bezeichnung der Doppelkonsonanten die genauere griechische Doppelschreibung eingeführt. Von Naevius und Plautus freilich ist nichts dergleichen bekannt – die volksmäßigen Poeten werden gegen Rechtschreibung und Etymologie auch in Rom sich so gleichgültig verhalten haben, wie Dichter es pflegen.
Rhetorik und Philosophie blieben den Römern dieser Zeit noch fern. Die Rede stand bei ihnen zu entschieden im Mittelpunkt des öffentlichen Lebens, als daß der fremde Schulmeister ihr hätte beikommen können; der echte Redner Cato goß über das alberne Isokrateische „ewig reden lernen und niemals reden können“ die ganze Schale seines zornigen Spottes aus. Die griechische Philosophie, obwohl sie durch Vermittlung der lehrhaften und vor allem der tragischen Poesie einen gewissen Einfluß auf die Römer gewann, wurde doch mit einer aus bäurischer Ignoranz und ahnungsvollem Instinkt gemischten Apprehension betrachtet. Cato nannte den Sokrates unverblümt einen Schwätzer und einen als Frevler an dem Glauben und den Gesetzen seiner Heimat mit Recht hingerichteten Revolutionär; und wie selbst die der Philosophie geneigten Römer von ihr dachten, mögen wohl die Worte des Ennius aussprechen:
Philosophieren will ich, doch kurz und nicht die ganze Philosophie;
Gut ist’s von ihr nippen, aber sich in sie versenken schlimm.
Dennoch dürfen die poetische Sittenlehre und die Anweisung zur Redekunst, die sich unter den Catonischen Schriften befanden, angesehen werden als die römische Quintessenz oder, wenn man lieber will, das römische Caput mortuum der griechischen Philosophie und Rhetorik. Die nächsten Quellen Catos waren für das Sittengedicht neben der selbstverständlichen Anpreisung der einfachen Vätersitte vermutlich die Pythagoreischen Moralschriften, für das Rednerbuch die Thukydideischen und besonders die Demosthenischen Reden, welche alle Cato eifrig studierte. Von dem Geiste dieser Handbücher kann man ungefähr sich eine Vorstellung machen nach der goldenen, von den Nachfahren öfter angeführten als befolgten Regel für den Redner, „an die Sache zu denken und daraus die Worte sich ergeben zu lassen“174.
Ähnliche allgemein propädeutische Handbücher verfaßte Cato auch für die Heilkunst, die Kriegswissenschaft, die Landwirtschaft und die Rechtswissenschaft, welche Disziplinen alle ebenfalls mehr oder minder unter griechischem Einfluß standen. Wenn nicht die Physik und Mathematik, so fanden doch die damit zusammenhängenden Nützlichkeitswissenschaften bis zu einem gewissen Grade Eingang in Rom. Am meisten gilt dies von der Medizin. Nachdem im Jahre 535 (219) der erste griechische Arzt, der Peloponnesier Archagathos in Rom sich niedergelassen und dort durch seine chirurgischen Operationen solches Ansehen erworben hatte, daß ihm von Staats wegen ein Lokal angewiesen und das römische Bürgerrecht geschenkt ward, strömten seine Kollegen scharenweise nach Italien. Cato freilich machte nicht bloß die fremden Heilkünstler mit einem Eifer herunter, der einer besseren Sache würdig war, sondern versuchte auch, durch sein aus eigener Erfahrung und daneben wohl auch aus der medizinischen Literatur der Griechen zusammengestelltes medizinisches Hilfsbüchlein die gute alte Sitte wieder emporzubringen, wo der Hausvater zugleich der Hausarzt war. Die Ärzte und das Publikum kümmerten wie billig sich wenig um dieses eigensinnige Gekeife; doch blieb das Gewerbe, eines der einträglichsten, die es in Rom gab, Monopol der Ausländer, und Jahrhunderte lang hat es in Rom nur griechische Ärzte gegeben.
Von der barbarischen Gleichgültigkeit, womit man bisher in Rom die Zeitmessung behandelt hatte, kam man wenigstens einigermaßen zurück. Mit der Aufstellung der ersten Sonnenuhr auf dem römischen Markt im Jahre 491 (263) fing die griechische Stunde (ώρα, hora) auch bei den Römern an gebraucht zu werden; freilich begegnete es dabei, daß man in Rom eine für das um vier Grade südlicher liegende Katane gearbeitete Sonnenuhr aufstellte und ein Jahrhundert lang sich danach richtete. Gegen Ende dieser Epoche erscheinen einzelne vornehme Männer, die sich für mathematische Dinge interessierten. Manius Acilius Glabrio (Konsul 563 191) versuchte der Kalenderverwirrung durch ein Gesetz zu steuern, das dem Pontifikalkollegium gestattete, nach Ermessen Schaltmonate einzulegen und wegzulassen; wenn dies seinen Zweck verfehlte, ja übel ärger machte, so lag die Ursache davon wohl weniger in dem Unverstand als in der Gewissenlosigkeit der römischen Theologen. Auch der griechisch gebildete Marcus Fulvius Nobilior (Konsul 565 189) gab sich Mühe wenigstens um allgemeine Kundmachung des römischen Kalenders. Gaius Sulpicius Gallus (Konsul 588 166), der nicht bloß die Mondfinsternis von 586 (168) vorhergesagt, sondern auch ausgerechnet hatte, wie weit es von der Erde bis zum Monde sei und der selbst als astronomischer Schriftsteller aufgetreten zu sein scheint, wurde deshalb von seinen Zeitgenossen als ein Wunder des Fleißes und des Scharfsinnes angestaunt.
Daß für die Landwirtschaft und die Kriegskunst zunächst die ererbte und die eigene Erfahrung maßgebend war, versteht sich von selbst und spricht auch in derjenigen der zwei Catonischen Anleitungen zur Landwirtschaft, die auf unsere Zeit gekommen ist, sehr bestimmt sich aus. Dennoch fielen auch auf diesen untergeordneten eben wie in den höheren geistigen Gebieten die Resultate der griechischen und der lateinischen, ja selbst der phönikischen Kultur zusammen und kann schon darum die einschlagende ausländische Literatur nicht ganz unberücksichtigt geblieben sein.
Dagegen gilt dasselbe nur in untergeordnetem Grade von der Rechtswissenschaft. Die Tätigkeit der Rechtsgelehrten dieser Zeit ging noch wesentlich auf in der Bescheidung der anfragenden Parteien und in der Belehrung der jüngeren Zuhörer; doch bildete in dieser mündlichen Unterweisung schon sich ein traditioneller Regelstamm und auch schriftstellerische Tätigkeit mangelt nicht ganz. Wichtiger als Catos kürzer Abriß wurde für die Rechtswissenschaft das von Sextus Aelius Paetus, genannt der „Schlaue“ (catus), welcher der erste praktische Jurist seiner Zeit war und infolge dieser seiner gemeinnützigen Tätigkeit zum Konsulat (556 198) und zur Zensur (560 194) emporstieg, veröffentlichte sogenannte „dreiteilige Buch“, das heißt eine Arbeit über die Zwölf Tafeln, welche zu jedem Satze derselben eine Erläuterung, hauptsächlich wohl der veralteten und unverständlichen Ausdrücke, und das entsprechende Klagformular hinzufügte. Wenn dabei in jener Glossierung der Einfluß der griechischen grammatischen Studien unleugbar hervortritt, so knüpfte die Klagformulierung vielmehr an die ältere Sammlung des Appius und die ganze volkstümliche und prozessualische Rechtsentwicklung an.
Im allgemeinen tritt der Wissenschaftsbestand dieser Epoche mit großer Bestimmtheit hervor in der Gesamtheit jener von Cato für seinen Sohn aufgesetzten Handbücher, die als eine Art Enzyklopädie in kurzen Sätzen darlegen sollten, was ein „tüchtiger Mann“ (vir bonus) als Redner, Arzt, Landwirt, Kriegsmann und Rechtskundiger sein müsse. Ein Unterschied zwischen propädeutischen und Fachwissenschaften wurde noch nicht gemacht, sondern was von der Wissenschaft überhaupt notwendig und nützlich erschien, von jedem rechten Römer gefordert. Ausgeschlossen ist dabei teils die lateinische Grammatik, die also damals noch nicht diejenige formale Entwicklung gehabt haben kann, welche der eigentliche wissenschaftliche Sprachunterricht voraussetzt, teils die Musik und der ganze Kreis der mathematischen und physischen Wissenschaften. Durchaus sollte in der Wissenschaft das unmittelbar Praktische, aber auch nichts als dies und dieses möglichst kurz und schlicht zusammengefaßt werden. Die griechische Literatur wurde dabei wohl benutzt, aber nur um aus der Masse von Spreu und Wust einzelne brauchbare Erfahrungssätze zu gewinnen – „die griechischen Bücher muß man einsehen, aber nicht durchstudieren“, lautet einer von Catos Weidsprüchen. So entstanden jene häuslichen Not- und Hilfsbücher, die freilich mit der griechischen Spitzfindigkeit und Unklarheit auch den griechischen Scharf- und Tiefsinn austrieben, aber eben dadurch für die Stellung der Römer zu den griechischen Wissenschaften für alle Zeiten maßgebend geworden sind.
So zog denn mit der Weltherrschaft zugleich Poesie und Literatur in Rom ein, oder, mit einem Dichter der ciceronischen Zeit zu reden:
Als wir Hannibal bezwungen, nahte mit beschwingtem Schritt
Der Quiriten hartem Volke sich die Mus‘ im Kriegsgewand.
Auch in den sabellisch und etruskisch redenden Landschaften wird es gleichzeitig an geistiger Bewegung nicht gemangelt haben. Wenn Trauerspiele in etruskischer Sprache erwähnt werden, wenn Tongefäße mit oskischen Inschriften Bekanntschaft ihrer Verfertiger mit der griechischen Komödie verraten, so drängt die Frage sich auf, ob nicht gleichzeitig mit Naevius und Cato auch am Arnus und Volturnus eine gleich der römischen hellenisierende Literatur in der Bildung begriffen gewesen ist. Indes jede Kunde darüber ist verschollen, und die Geschichte kann hier nur die Lücke bezeichnen.
Die römische Literatur, über die allein uns ein Urteil noch verstattet ist, wie problematisch ihr absoluter Wert dem Ästhetiker erscheinen mag, bleibt dennoch für denjenigen, der die Geschichte Roms erkennen will, von einzigem Wert als das Spiegelbild des inneren Geisteslebens Italiens in dem waffenklirrenden und zukunftsvollen sechsten Jahrhundert, in welchem die italische Entwicklung abschloß und das Land anfing einzutreten in die allgemeinere der antiken Zivilisation. Auch in ihr herrscht diejenige Zwiespältigkeit, die überall in dieser Epoche das Gesamtleben der Nation durchdringt und die Übergangszeit charakterisiert. Über die Mangelhaftigkeit der hellenistisch-römischen Literatur kann kein unbefangenes und durch den ehrwürdigen Rost zweier Jahrtausende unbeirrtes Auge sich täuschen. Die römische Literatur steht neben der griechischen wie die deutsche Orangerie neben dem sizilischen Orangenwald; man kann an beiden sich erfreuen, aber nebeneinander sie auch nur zu denken, geht nicht an. Womöglich noch entschiedener als von der römischen Schriftstellerei in der fremden Sprache gilt dies von derjenigen in der Muttersprache der Latiner; zu einem sehr großen Teil ist dieselbe gar nicht das Werk von Römern, sondern von Fremdlingen, von Halbgriechen, Kelten, bald auch Afrikanern, die das Latein sich erst äußerlich angeeignet hatten – unter denen, die in dieser Zeit als Dichter vor das Publikum traten, ist nicht bloß, wie gesagt, nicht ein nachweislich vornehmer Mann, sondern auch keiner, dessen Heimat erweislich das eigentliche Latium wäre. Selbst die Benennung des Dichters ist ausländisch; schon Ennius nennt sich mit Nachdruck einen Poeten175
Dennoch würde ein solches Urteil, wenn nicht ungerecht, doch nur sehr einseitig gerecht sein. Vor allen Dingen ist wohl zu bedenken, daß diese gemachte Literatur in einer Nation emporkam, die nicht bloß keine volkstümliche Dichtkunst besaß, sondern auch nie mehr zu einer solchen gelangen konnte. In dem Altertum, welchem die moderne Poesie des Individuums fremd ist, fällt die schöpferisch poetische Tätigkeit wesentlich in die unbegreifliche Zeit des Werdebangens und der Werdelust der Nation; unbeschadet der Größe der griechischen Epiker und Tragiker darf man es aussprechen, daß ihr Dichten wesentlich bestand in der Redaktion der uralten Erzählungen von menschlichen Göttern und göttlichen Menschen. Diese Grundlage der antiken Poesie mangelte in Latium gänzlich; wo die Götterwelt gestaltlos und die Sage nichtig blieb, konnten auch die goldenen Äpfel der Poesie freiwillig nicht gedeihen. Hierzu kommt ein Zweites und Wichtigeres. Die innerliche geistige Entwicklung wie die äußerliche staatliche Entfaltung Italiens waren gleichmäßig auf einem Punkte angelangt, wo es nicht länger möglich war, die auf dem Ausschluß aller höheren und individuellen Geistesbildung beruhende römische Nationalität festzuhalten und den Hellenismus von sich abzuwehren. Zunächst auf dieser allerdings revolutionären und denationalisierenden, aber für die notwendige geistige Ausgleichung der Nationen unerläßlichen Propaganda des Hellenismus in Italien beruht die geschichtliche und selbst die dichterische Berechtigung der römisch-hellenistischen Literatur. Es ist aus ihrer Werkstatt nicht ein einziges neues und echtes Kunstwerk hervorgegangen, aber sie hat den geistigen Horizont von Hellas über Italien erstreckt. Schon rein äußerlich betrachtet setzt die griechische Poesie bei dem Hörer eine gewisse Summe positiver Kenntnisse voraus. Die völlige Abgeschlossenheit in sich, die zu den wesentlichsten Eigentümlichkeiten zum Beispiel des Shakespeareschen Dramas gehört, ist der antiken Dichtung fremd; wem der griechische Sagenkreis nicht bekannt ist, der wird für jede Rhapsodie wie für jede Tragödie den Hintergrund und oft selbst das gemeine Verständnis vermissen. Wenn dem römischen Publikum dieser Zeit, wie das die Plautinischen Lustspiele zeigen, die Homerischen Gedichte und die Heraklessagen einigermaßen geläufig und von den übrigen Mythen wenigstens die allgemeingültigen bekannt waren178, so wird diese Kunde neben der Schule zunächst durch die Bühne ins Publikum gedrungen und damit zum Verständnis der hellenischen Dichtung wenigstens ein Anfang gemacht sein. Aber weit tiefer noch wirkte, worauf schon die geistreichsten Literatoren des Altertums mit Recht den Ton gelegt haben, die Einbürgerung griechischer Dichtersprache und griechischer Maße in Latium. Wenn „das besiegte Griechenland den rauhen Sieger durch die Kunst überwand“, so geschah dies zunächst dadurch, daß dem ungefügen lateinischen Idiom eine gebildete und gehobene Dichtersprache abgewonnen ward, daß anstatt der eintönigen und gehackten Saturnier der Senar floß und der Hexameter rauschte, daß die gewaltigen Tetrameter, die jubelnden Anapäste, die kunstvoll verschlungenen lyrischen Rhythmen das lateinische Ohr in der Muttersprache trafen. Die Dichtersprache ist der Schlüssel zu der idealen Welt der Poesie, das Dichtmaß der Schlüssel zu der poetischen Empfindung; wem das beredte Beiwort stumm und das lebendige Gleichnis tot ist, wem die Takte der Daktylen und Jamben nicht innerlich erklingen, für den haben Homer und Sophokles umsonst gedichtet. Man sage nicht, daß das poetische und rhythmische Gefühl sich von selber verstehen. Die idealen Empfindungen sind freilich von der Natur in die Menschenbrust gepflanzt, aber um zu keimen brauchen sie günstigen Sonnenscheins; und vor allem in der poetisch wenig angeregten latinischen Nation bedurften sie auch äußerlicher Pflege. Man sage auch nicht, daß bei der weitverbreiteten Kenntnis der griechischen Sprache deren Literatur für das empfängliche römische Publikum ausgereicht hätte. Der geheimnisvolle Zauber, den die Sprache über den Menschen ausübt und von dem Dichtersprache und Rhythmus nur Steigerungen sind, hängt nicht jeder zufällig angelernten, sondern einzig der Muttersprache an. Von diesem Gesichtspunkt aus wird man die hellenistische Literatur und namentlich die Poesie der Römer dieser Zeit gerechter beurteilen. Wenn ihr Bestreben darauf hinausging, den Euripideischen Radikalismus nach Rom zu verpflanzen, die Götter entweder in verstorbene Menschen oder in gedachte Begriffe aufzulösen, überhaupt dem denationalisierten Hellas ein denationalisiertes Latium an die Seite zu setzen und alle rein und scharf entwickelten Volkstümlichkeiten in den problematischen Begriff der allgemeinen Zivilisation aufzulösen, so steht diese Tendenz erfreulich oder widerwärtig zu finden in eines jeden Belieben, in niemandes aber, ihre historische Notwendigkeit zu bezweifeln. Von diesem Gesichtspunkte aus läßt selbst die Mangelhaftigkeit der römischen Poesie zwar nimmermehr sich verleugnen, aber sich erklären und damit gewissermaßen sich rechtfertigen. Wohl geht durch sie hindurch ein Mißverhältnis zwischen dem geringfügigen und oft verhunzten Inhalt und der verhältnismäßig vollendeten Form, aber die eigentliche Bedeutung dieser Poesie war auch eben formeller und vor allen Dingen sprachlicher und metrischer Art. Es war nicht schön, daß die Poesie in Rom vorwiegend in den Händen von Schulmeistern und Ausländern und vorwiegend Übersetzung oder Nachdichtung war; aber wenn die Poesie zunächst nur eine Brücke von Latium nach Hellas schlagen sollte, so waren Livius und Ennius allerdings berufen zum poetischen Pontifikat in Rom und die Übersetzungsliteratur das einfachste Mittel zum Ziele. Es war noch weniger schön, daß die römische Poesie sich mit Vorliebe auf die verschliffensten und geringhaltigsten Originale warf; aber in diesem Sinne war es zweckgemäß. Niemand wird die Euripideische Poesie der Homerischen an die Seite stellen wollen; aber geschichtlich betrachtet sind Euripides und Menander völlig ebenso die Bibel des kosmopolitischen Hellenismus wie die ‚Ilias‘ und die ‚Odyssee‘ diejenige des volkstümlichen Hellenentums, und insofern hatten die Vertreter dieser Richtung guten Grund, ihr Publikum vor allem in diesen Literaturkreis einzuführen. Zum Teil mag auch das instinktmäßige Gefühl der beschränkten poetischen Kraft die römischen Bearbeiter bewogen haben, sich vorzugsweise an Euripides und Menander zu halten und den Sophokles und gar den Aristophanes beiseite liegen zu lassen; denn während die Poesie wesentlich national und schwer zu verpflanzen ist, so sind Verstand und Witz, auf denen die Euripideische wie die Menandrische Dichtung beruhte, von Haus aus kosmopolitisch. Immer verdient es noch rühmliche Anerkennung, daß die römischen Poeten des sechsten Jahrhunderts nicht an die hellenische Tagesliteratur oder den sogenannten Alexandrinismus sich anschlossen, sondern lediglich in der älteren klassischen Literatur, wenn auch nicht gerade in deren reichsten und reinsten Bereichen, ihre Muster sich suchten. Überhaupt, wie unzählige falsche Akkommodationen und kunstwidrige Mißgriffe man auch denselben nachweisen mag, es sind eben nur diejenigen Versündigungen an dem Evangelium, welche das nichts weniger als reinliche Missionsgeschäft mit zwingender Notwendigkeit begleiten; und sie werden geschichtlich und selbst ästhetisch einigermaßen aufgewogen durch den von dem Propagandatum ebenso unzertrennlichen Glaubenseifer. Über das Evangelium mag man anders urteilen als Ennius getan; aber wenn es bei dem Glauben nicht so sehr darauf ankommt, was, als wie geglaubt wird, so kann auch den römischen Dichtern des sechsten Jahrhunderts Anerkennung und Bewunderung nicht versagt werden. Ein frisches und mächtiges Gefühl für die Gewalt der hellenischen Weltliteratur, eine heilige Sehnsucht, den Wunderbaum in das fremde Land zu verpflanzen, durchdrangen die gesamte Poesie des sechsten Jahrhunderts und flossen in eigentümlicher Weise zusammen mit dem durchaus gehobenen Geiste dieser großen Zeit. Der spätere geläuterte Hellenismus sah auf die poetischen Leistungen derselben mit einer gewissen Verachtung herab; eher vielleicht hätte er zu den Dichtern hinaufsehen mögen, die bei aller Unvollkommenheit doch in einem innerlicheren Verhältnis zu der griechischen Poesie standen und der echten Dichtkunst näher kamen als ihre höher gebildeten Nachfahren. In der verwegenen Nacheiferung, in den klingenden Rhythmen, selbst in dem mächtigen Dichterstolz der Poeten dieser Zeit ist mehr als in irgendeiner anderen Epoche der römischen Literatur eine imponierende Grandiosität, und auch wer über die Schwächen dieser Poesie sich nicht täuscht, darf das stolze Wort auf sie anwenden, mit dem sie selber sich gefeiert hat, daß sie den Sterblichen
das Feuerlied kredenzt hat aus der tiefen Brust.
Wie die hellenisch-römische Literatur dieser Zeit wesentlich tendenziös ist, so beherrscht die Tendenz auch ihr Widerspiel, die gleichzeitige nationale Schriftstellerei. Wenn jene nichts mehr und nichts weniger wollte, als die latinische Nationalität durch Schöpfung einer lateinisch redenden, aber in Form und Geist hellenischen Poesie vernichten, so mußte eben der beste und reinste Teil der latinischen Nation mit dem Hellenismus selbst die entsprechende Literatur gleichfalls von sich werfen und in Acht und Bann tun. Man stand zu Catos Zeit in Rom der griechischen Literatur gegenüber ungefähr wie in der Zeit der Cäsaren dem Christentum: Freigelassene und Fremde bildeten den Kern der poetischen wie später den Kern der christlichen Gemeinde; der Adel der Nation und vor allem die Regierung sahen in der Poesie wie im Christentum lediglich feindliche Mächte; ungefähr aus denselben Ursachen sind Plautus und Ennius von der römischen Aristokratie zum Gesindel gestellt und die Apostel und Bischöfe von der römischen Regierung hingerichtet worden. Natürlich war es auch hier vor allem Cato, der die Heimat gegen die Fremde mit Lebhaftigkeit vertrat. Die griechischen Literaten und Ärzte sind ihm der gefährlichste Abschaum des grundverdorbenen Griechenvolks179
Werfen wir schließlich noch einen Blick auf den Stand der bauenden und bildenden Künste, so macht, was die ersten anlangt, der beginnende Luxus sich weniger in dem öffentlichen als im Privatbauwesen bemerklich. Erst gegen den Schluß dieser Periode, namentlich mit der Catonischen Zensur (570 184) fängt man in jenem an, neben der gemeinen Notdurft auch die gemeine Bequemlichkeit ins Auge zu fassen, die aus den Wasserleitungen gespeisten Bassins (lacus) mit Stein auszulegen (570 184), Säulengänge aufzuführen (575, 580 179, 174) und vor allem die attischen Gerichts- und Geschäftshallen, die sogenannten Basiliken nach Rom zu übertragen. Das erste dieser etwa unseren heutigen Basaren entsprechende Gebäude, die porcische oder Silberschmiedhalle, wurde von Cato im Jahre 570 (184) neben dem Rathaus errichtet, woran dann rasch andere sich anschlossen, bis allmählich an den Langseiten des Marktes die Privatläden durch diese glänzenden säulengetragenen Hallen ersetzt waren. Tiefer aber griff in das tägliche Leben die Umwandlung des Hausbaues ein, welche spätestens in diese Epoche gesetzt werden muß: es schieden sich allmählich Wohnsaal (atrium), Hof (cavum aedium), Garten und Gartenhallen (peristylium), der Raum zur Aufbewahrung der Papiere (tablinum), Kapelle, Küche, Schlafzimmer; und in der inneren Einrichtung fing die Säule an sowohl im Hofe wie im Wohnsaal zur Stützung der offenen Decke und auch für die Gartenhallen verwandt zu werden – wobei wohl überall griechische Muster kopiert oder doch benutzt wurden. Doch blieb das Baumaterial einfach; „unsere Vorfahren“, sagt Varro, „wohnten in Häusern aus Backsteinen und legten nur, um die Feuchtigkeit abzuwehren, ein mäßiges Quaderfundament“.
Von römischer Plastik begegnet kaum eine andere Spur als etwa die Wachsbossierung der Ahnenbilder. Etwas öfter ist von Malerei und Malern die Rede: Manius Valerius ließ den Sieg über die Karthager und Hieron, den er im Jahre 491 (263) vor Messana erfochten, auf der Seitenwand des Rathauses abschildern – die ersten historischen Fresken in Rom, denn viele gleichartige folgten und die im Gebiet der bildenden Kunst das sind, was nicht viel später das Nationalepos und das Nationalschauspiel im Gebiet der Poesie wurden. Es werden als Maler genannt, ein gewisser Theodotos, der, wie Naevius spottete,
verschanzt, in Decken sitzend, drinnen im heiligen Raum
die scherzenden Laren malte mit dem Ochsenschwanz.
Marcus Pacuvius von Brundisium, welcher in dem Herkulestempel auf dem Rindermarkt malte – derselbe, der im höheren Alter als Bearbeiter griechischer Tragödien sich einen Namen gemacht hat; der Kleinasiate Marcus Plautius Lyco, dem für seine schönen Malereien im Junotempel zu Ardea diese Gemeinde ihr Bürgerrecht verlieh181. Aber es tritt doch eben darin sehr deutlich hervor, daß die Kunstübung in Rom nicht bloß überhaupt untergeordnet und mehr Handwerk als Kunst war, sondern daß sie auch, wahrscheinlich noch ausschließlicher als die Poesie, den Griechen und Halbgriechen anheimfiel.
Dagegen zeigen sich in den vornehmen Kreisen die ersten Spuren des späteren dilettantischen und Sammlerinteresses. Man bewunderte schon die Pracht der korinthischen und athenischen Tempel und sah die altmodischen Tonbilder auf den römischen Tempeldächern mit Geringschätzung an; selbst ein Mann wie Lucius Paullus, eher Catos Gesinnungsgenosse als Scipios, betrachtete und beurteilte den Zeus des Pheidias mit Kennerblick. Mit dem Wegführen der Kunstschätze aus den eroberten griechischen Städten machte in größerem Maßstab den ersten Anfang Marcus Marcellus nach der Einnahme von Syrakus (542 212); und obwohl dies bei den Männern alter Zucht scharfen Tadel fand und zum Beispiel der alte strenge Quintus Maximus nach der Einnahme von Tarent (545 209) die Bildsäulen der Tempel nicht anzurühren, sondern den Tarentinern ihre erzürnten Götter zu lassen gebot, so wurden doch dergleichen Tempelplünderungen immer häufiger. Namentlich durch Titus Flamininus (560 194) und Marcus Fulvius Nobilior (567 187), zwei Hauptvertreter des römischen Hellenismus, sowie durch Lucius Paullus (587 167) füllten sich die öffentlichen Gebäude Roms mit den Meisterwerken des griechischen Meißels. Auch hier ging den Römern die Ahnung auf, daß das Kunstinteresse so gut wie das poetische einen wesentlichen Teil der hellenischen Bildung, das heißt der modernen Zivilisation ausmache; allein während die Aneignung der griechischen Poesie ohne eine gewisse poetische Tätigkeit unmöglich war, schien hier das bloße Beschauen und Herbeischaffen auszureichen, und darum ist eine eigene Literatur in Rom auf künstlichem Wege gestaltet, zur Entwicklung einer eigenen Kunst aber nicht einmal ein Versuch gemacht worden.
- Ein bestimmter Kreis griechischer Ausdrücke, wie stratioticus, machaera, nauclerus, trapezita, danista, drapeta, oenopolium, bolus, malacus, morus, graphicus, logus, apologus, techna, schema, gehört durchaus zum Charakter der Plautinischen Sprache; Übersetzungen werden selten dazu gefügt und nur bei Wörtern, die außerhalb des durch jene Anführungen bezeichneten Ideenkreises stehen, wie zum Beispiel es im ‚Wilden‘ (1, 1, 60), freilich in einem vielleicht erst später eingefügten Verse heißt: φρόνησις est sapientia [Edelmut ist Weisheit]. Auch griechische Brocken sind gemein, zum Beispiel in der ‚Casina‘ (3, 6, 9):
- πράγματά μοι παρέχεις – Dabo μέγα κακόν, ut opinor;
- ebenso griechische Wortspiele, zum Beispiel in ‚Die beiden Bacchis‘ (240):
- opus est chryso Chrysalo;
- wie denn auch Ennius die etymologische Bedeutung von Alexandros, Andromache als den Zuschauern bekannt voraussetzt (Varro ling. 7, 82). Am bezeichnendsten sind die halbgriechischen Bildungen wie ferritribax, plagipatida, pugilice oder im ‚Bramarbas‘ (213):
- euge! euscheme hercle astitit sic dulice et comoedice!
- Ei die Tenüre! Holla, seht mir den Farceur da, den Akteur!
- Knaben des Zeus, o hört, Spartas tyndarische Herrn!
Titus der Aeneiade verehrt euch die herrliche Gabe,
Als Freiheit verliehn er dem hellenischen Stamm. - Ein solcher war zum Beispiel der Sklave des älteren Cato, Chilon, der als Kinderlehrer für seinen Herrn Geld erwarb (Plut. Cato mai. 20).
- Die spätere Regel, daß der Freigelassene notwendig den Vornamen des Patrons führt, gilt für das republikanische Rom noch nicht.
- In einem der Trauerspiele des Livius hieß es:
- quem ego néfrendem álui lácteam immulgéns opem.
- Milchfüll‘ ein Zahnlosem melkend ihm aufnährt‘ ich ihn.
- Die Homerischen Verse (Od. 12, 16)
- Ούδ‘ άρα Κίρκην
εξ Αίδεω ελθόντες ελήθομεν, αλλά μάλ‘ ‚ωκα
ηλθ‘ εντυναμένη. άμα δ΄ αμφίπολοι φέρον αυτή
σίτον καί κρέα πολλά καί αίθοπα οίνον ερυθρον. - aber verborgen
Kehrten der Kirke wir nicht vom Hades, sondern gar hurtig
Kam sie gewärtig herbei; es trugen die dienenden Jungfraun
Brot ihr und Fleisch in Füll‘ und den tiefrot funkelnden Wein her. - werden also verdolmetscht:
- tópper cíti ad aédis – vénimús Círcae:
simúl dúona córam (?) – pórtant ád návis.
mília ália in ísdem – ínserínúntur. - In Eil‘ geschwinde kämmen – wir zu Kirkes Hause.
Zugleich vor uns die Güter – bringt man zu den Schiffen
Auch wurden aufgeladen – tausend andere Dinge. - Am merkwürdigsten ist nicht so sehr die Barbarei als die Gedankenlosigkeit des Übersetzers, der statt Kirke zum Odysseus vielmehr den Odysseus zur Kirke schickt. Ein zweites, noch lächerlicheres Quiproquo ist die Übersetzung von αιδοίοιςιν έδωκα (Od. 15, 373) durch lusi (Fest. v. affatim p. 11). Dergleichen ist auch geschichtlich nicht gleichgültig; man erkennt darin die Stufe der Geistesbildung, auf der diese ältesten römischen versezimmernden Schulmeister standen; und nebenbei auch, daß dem Andronikos, wenn er gleich in Tarent geboren war, doch das Griechische nicht eigentlich Muttersprache gewesen sein kann.
- Zwar wurde schon 575 (179) ein solches für die Apollinarischen Spiele am Flaminischen Rennplatz erbaut (Liv. 40, 51; W. A. Becker, Topographie der Stadt Rom, S. 605), aber wahrscheinlich bald darauf wieder niedergerissen.
- Noch 599 (155) gab es Sitzplätze im Theater nicht (F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Bd. 1. Leipzig 1845, S. XVII, XX, 214; vgl. O. Ribbeck, Die römische Tragödie im Zeitalter der Republik. Leipzig 1875, S. 285); wenn dennoch nicht bloß die Verfasser der plautinischen Prologe, sondern schon Plautus selbst mehrfach auf ein sitzendes Publikum hindeutet (Mil. 82; 83; Aul. 4, 9, 6; Truc. a. E.; Epid. a. E.), so müssen wohl die meisten Zuschauer sich Stühle mitgebracht oder sich auf den Boden gesetzt haben.
- Frauen und Kinder scheinen zu allen Zeiten im römischen Theater zugelassen worden zu sein (Val. Man.. 6, 3, 12; Plut. Quaest. conv. 14; Cic. har. resp. 12, 24; Vitr. 5, 3, 1; Suet. Aug. 44 usw.); aber Sklaven waren von Rechts wegen ausgeschlossen (Cic, har. resp. 12, 26; Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. XIX, 223) und dasselbe muß wohl von den Fremden gelten, abgesehen natürlich von den Gästen der Gemeinde, die unter oder neben den Senatoren Platz nahmen (Varro 5, 155; Tust. 43, 5, 10; Suet. Aug. 44).
- Aus den plautinischen Prologen (Cas. 17; Amph. 65) darf auf eine Preisverteilung nicht geschlossen werden (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. 229); aber auch Trin. 706 kann sehr wohl dem griechischen Original, nicht dem Übersetzer angehören, und das völlige Stillschweigen der Didaskalien und Prologe sowie der gesamten Überlieferung über Preisgerichte und Preise ist entscheidend.
- Daß an jedem Tage nur ein Stück gegeben wird, folgt daraus, daß die Zuschauer am Beginn des Stücks von Hause kommen (Poen. 10) und nach dem Ende nach Hause gehen (Epid. Pseud. Rud. Stich. Truc. a. E.). Man kam, wie dieselben Stellen zeigen, nach dem zweiten Frühstück ins Theater und war zur Mittagszeit wieder zu Hause; es währte das Schauspiel also nach unserer Rechnung etwa von Mittag bis halb drei Uhr, und so lange mag ein Plautinisches Stück mit der Musik in den Zwischenakten auch ungefähr spielen (vgl. Hor. epist. 2, 1. 1891. Wenn Tacitus (arm. 14 20) die Zuschauer „ganze Tage“ im Theater zubringen läßt, so sind dies Zustände einer späteren Zeit.
- Die sparsame Benutzung der sogenannten mittleren Komödie der Attiker kommt geschichtlich nicht in Betracht, da diese nichts war als das minder entwickelte menandrische Lustspiel. Vor. einer Benutzung der älteren Komödie mangelt jede Spur. Die römische Hilarotragödie, die Gattung des Plautinischen Amphitryon, heißt zwar den römischen Literarhistorikern die Rhinthonische; aber auch die neueren Attiker dichteten dergleichen Parodien und es ist nicht abzusehen, warum die Römer für ihre Übersetzungen, statt auf diese nächstliegenden Dichter, vielmehr auf Rinthon und die älteren zurückgegriffen haben sollten.
- Bacch. 24; Trin. 609; Truc. 3, 2, 23. Auch Naevius, der es freilich überall nicht so genau nahm, spottet über Praenestiner und Lanuviner (com. 21 R.) Eine gewisse Spannung zwischen Praenestinern und Römern tritt öfter hervor (Liv. 23, 20, 42, 1); und die Exekutionen in der pyrrhischen sowie die Katastrophe der sullanischen Zeit stehen sicher damit im Zusammenhang. Unschuldige Scherze wie Capt. 160; 881 passierten natürlich die Zensur. Bemerkenswert ist auch das Kompliment für Massalia (Cas. 5, 4, 1).
- So schließt der Prolog der Kästchenkomödie mit folgenden Worten, die hier stehen mögen als die einzige gleichzeitige Erwähnung des Hannibalischen Krieges in der auf uns gekommenen Literatur:
- Also verhält sich dieses. Lebet wohl und siegt
Mit Männermut, so wie ihr dies bisher getan.
Bewahret eure Verbündeten alten und neuen Bunds,
Zuleget Zuzug ihnen, eurem rechten Schluß gemäß,
Verderbt die Verhaßten, wirket Lorbeer euch und Lob,
Damit besiegt gewähre der Pöner euch die Pön. - Die vierte Zeile (augete auxilia vostris iustis legibus) geht auf die den säumigen latinischen Kolonien im Jahre 550 (204) auferlegten Nachleistungen (Liv. 29, 15; oben 2, 175).
- Man kann darum auch bei Plautus kaum mit der Annahme von Anspielungen auf Zeitereignisse vorsichtig genug sein. Vielen verkehrten Scharfsinn dieser Art hat die neueste Untersuchung beseitigt; aber sollte nicht auch die Beziehung auf die Bacchanalien, welche im Cas. 5, 4, 11 gefunden wird (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. 192), zensurwidrig sein? Man könnte sogar die Sache umkehren und aus den Erwähnungen des Bacchusfestes in der ‚Casina‘ und einigen anderen Stücken (Amph. 703; Aul. 3, 1, 3; Bacch. 53, 371; Mil. 1016 und besonders Men. 836) den Schluß ziehen, daß dieselben zu einer Zeit geschrieben sind, wo es noch nicht verfänglich war, von Bacchanalien zu reden.
- Etwas anderes kann die merkwürdige Stelle in dem ‚Mädel von Tarent‘ nicht bedeuten:
- Was im Theater hier mir gerechten Beifall fand,
Daß das kein König irgend anzufechten wagt –
Wie viel besser als hier der Freie hat’s darin der Knecht! - Dem Sklaven bringt das eine einzig Schande nur:
Der Name; in allem andern ist nicht schlechter als
Der freie Mann der Sklave, welcher brav sich führt. - So ist zum Beispiel in das sonst sehr artige Examen, welches in dem Plautinischen ‚Stichus‘ der Vater mit seinen Töchtern über die Eigenschaften einer guten Ehefrau anstellt, die ungehörige Frage eingelegt, ob es besser sei, eine Jungfrau oder eine Witwe zu heiraten, bloß um darauf mit einem nicht minder ungehörigen und im Munde der Sprecherin geradezu unsinnigen Gemeinplatz gegen die Frauen zu antworten. Aber das ist Kleinigkeit gegen den folgenden Fall. In Menanders ‚Halsband‘ klagt ein Ehemann dem Freunde seine Not:
- A: Ich freite die reiche Erbin Lamia, du weißt
Es doch? – B: Ja freilich. – A: Sie, der dieses Haus gehört
Und die Felder und alles andre hier umher. Sie dünkt,
Gott weiß es! von allem Ungemach das ärgste uns;
Zur Last ist sie all‘ und jedem, nicht bloß mir allein,
Dem Sohn auch und gar der Tochter. – B: Allerdings, ich weiß,
So ist es. - In der lateinischen Bearbeitung des Caecilius ist aus diesem, in seiner großen Einfachheit eleganten Gespräch der folgende Flegeldialog geworden:
- B: Deine Frau ist also zänkisch, nicht? – A: Ei schweig davon! –
B: Wieso? – A: Ich mag nichts davon hören. Komm‘ ich etwa dir
Nach Haus und setze mich, augenblicks versetzt sie mir
Einen nüchternen Kuß. – B: Ei nun, mit dem Kusse trifft sie’s schon;
Ausspeien sollst du, meint sie, was du auswärts trankst. - Selbst als man steinerne Theater baute, mangelten diesen die Schallgefäße, wodurch die griechischen Baumeister die Schauspieler unterstützten (Vitr. 5, 5, 8).
- Die Personalnotizen über Naevius sind arg verwirrt. Da er im Ersten Punischen Kriege focht, kann er nicht nach 495 (259) geboren sein. 519 (235) wurden Schauspiele, wahrscheinlich die ersten, von ihm gegeben (Gell. 12, 21, 45). Daß er schon 550 (204) gestorben sei, wie gewöhnlich angegeben wird, bezweifelte Varro (bei Cic. Brut. 15, 60) gewiß mit Recht; wäre es wahr, so müßte er während des Hannibalischen Krieges in Feindesland entwichen sein. Auch die Spottverse auf Scipio können nicht vor der Schlacht bei Zama geschrieben sein. Man wird sein Leben zwischen 490 (264) und 560 (194) setzen dürfen, so daß er Zeitgenosse der beiden 543 (211) gefallenen Scipionen (Cic. rep. 4, 10), zehn Jahre jünger als Andronicus und vielleicht zehn Jahre älter als Plautus war. Seine kampanische Herkunft deutet Gellius, seine latinische Nationalität, wenn es dafür der Beweise bedürfte, er selbst in der Grabschrift an. wenn er nicht römischer Bürger, sondern etwa Bürger von Cales oder einer anderen latinischen Stadt Kampaniens war, so erklärt es sich leichter, daß ihn die römische Polizei so rücksichtslos behandelte. Schauspieler war er auf keinen Fall, da er im Heere diente.
- Man vergleiche zum Beispiel mit den livianischen das Bruchstück aus Naevius‘ Trauerspiel ‚Lycurgus‘:
- Die ihr des königlichen Leibes haltet Wacht,
Sogleich zum laubesreichen Platze macht euch auf,
Wo willig ungepflanzt emporsproßt das Gebüsch.
Oder die berühmten Worte, die in ‚Hektors Abschied‘ Hektor zu Priamos sagt:
Lieblich, Vater, klingt von dir mir Lob, dem vielgelobten Mann. - und den reizenden Vers aus dem ‚Mädel von Tarent‘:
- Alii adnutat, alii adnictat; alium amat, alium tenet.
- Zu diesem nickt sie, nach jenem blickt sie; diesen im Herzen, den im Arm.
- Diese Annahme scheint deshalb notwendig, weil man sonst unmöglich in der Art, wie die Alten es tun, über die Echtheit oder Unechtheit der Plautinischen Stücke hätte schwanken können; bei keinem eigentlichen Schriftsteller des römischen Altertums begegnet eine auch nur annähernd ähnliche Ungewißheit über das literarische Eigentum. Auch in dieser Hinsicht wie in so vielen anderen äußerlichen Dingen besteht die merkwürdigste Analogie zwischen Plautus und Shakespeare.
- Togatus bezeichnet in der juristischen und überhaupt in der technischen Sprache den Italiker im Gegensatz nicht bloß zu dem Ausländer, sondern auch zu dem römischen Bürger. So ist vor allen Dingen formula togatorum (CIL I, 200, von 21; 50) das Verzeichnis derjenigen italischen Militärpflichtigen, die nicht in den Legionen dienen. Auch die Benennung des Cisalpinischen oder Diesseitigen Galliens als Gallia togata, die zuerst bei Hirtius vorkommt und nicht lange nachher aus dem gemeinen Sprachgebrauch wieder verschwindet, bezeichnet diese Landschaft vermutlich nach ihrer rechtlichen Stellung, insofern in der Epoche vom Jahre 665 (89) bis zum Jahre 705 (49) die große Mehrzahl ihrer Gemeinden latinisches Recht besaß. Virgil (Aen. 1, 282) scheint ebenfalls bei der gens togata, die er neben den Römern nennt, an die latinische Nation gedacht zu haben.
- Danach wird man auch in der fabula togata dasjenige Lustspiel zu erkennen haben, das in Latium spielte wie die fabula palliata in Griechenland; beiden aber ist die Verlegung des Schauplatzes in das Ausland gemeinsam, und die Stadt und die Bürgerschaft Roms auf die Bühne zu bringen, bleibt überhaupt dem Lustspieldichter untersagt. Daß in der Tat die togata nur in den Städten latinischen Rechts spielen durfte, zeigt die Tatsache, daß alle Städte, in denen unseres Wissens Stücke des Titinius und Afranius spielen, Setia, Ferentinum, Velitrae, Brundisium nachweislich bis auf den Bundesgenossenkrieg latinisches oder doch bundesgenössisches Recht gehabt haben. Durch die Erstreckung des Bürgerrechts auf ganz Italien ging den Lustspieldichtern diese latinische Inszenierung verloren, da das Cisalpinische Gallien, das rechtlich an die Stelle der latinischen Gemeinden gesetzt ward für den hauptstädtischen Bühnendichter zu fern lag, und es scheint damit auch die fabula togata in der Tat verschwunden zu sein. Indes traten die rechtlich untergegangenen Gemeinden Italiens, wie Capua und Atella, in diese Lücke ein, und insofern ist die fabula Atellana gewissermaßen die Fortsetzung der togata.
- Zur Vergleichung stehe hier der Anfang der Euripideischen und der Ennianischen ‚Medeia‘:
- Die Abweichungen der Übersetzung vom Original sind belehrend, nicht bloß die Tautologien und Periphrasen, sondern auch die Beseitigung oder Erläuterung der weniger bekannten mythologischen Namen: der Symplegaden, des Kolcherlandes, der Argo. Eigentliche Mißverständnisse des Originals aber sind bei Ennius selten.
- Ohne Zweifel mit Recht galt den Alten als Selbstcharakteristik des Dichters die Stelle im siebenten Buch der Chronik, wo der Konsul den Vertrauten zu sich ruft,
- mit welchem er gern und
Oftmals Tisch und Gespräch und seiner Geschäfte Erörtrung
Teilte, wenn heim er kam, ermüdet von wichtigen Dingen,
Drob er geratschlagt hatte die größere Hälfte des Tags durch
Auf dem Markte sowohl wie im ehrwürdigen Stadtrat;
Welchem das Groß‘ und das Klein‘ und den Scherz auch er mitteilen
Durft‘ und alles zugleich, was gut und was übel man redet,
Schütten ihm aus, wenn er mocht‘, und anvertrauen ihm sorglos;
Welcher geteilt mit ihm viel Freud‘ im Hause und draußen;
Den nie schändlicher Rat aus Leichtsinn oder aus Bosheit
Übel zu handeln verlockt; ein Mann, unterrichtet, ergeben,
Angenehm, redegewandt und genügsam fröhlichen Herzens,
Redend zur richtigen Zeit und das Passende, klüglich und kürzlich,
Im Verkehre bequem und bewandert verschollener Dinge,
Denn ihn lehrten die Jahre die Sitten der Zeit und der Vorzeit,
Von vielfältigen Sachen der Götter und Menschen Gesetz auch,
Und ein Gespräch zu berichten verstand er sowie zu verschweigen. - In der vorletzten Zeile ist wohl zu schreiben multarum rerum leges divumque hominumque.
- Der wenig Wahres unter vielem Falschen sagt
Im besten Fall; und trifft er’s nicht, es geht ihm hin. - hat der lateinische Übersetzer folgende Diatribe gegen die Horoskopsteller gemacht:
- Sterneguckerzeichen sucht er auf am Himmel, paßt, ob wo
Jovis Zieg‘ oder Krebs ihm aufgeh‘ oder einer Bestie Licht.
Nicht vor seine Füße schaut man und durchforscht den Himmelsraum. - Im ‚Telephus‘ heißt es:
- Palam mutire plebeis piaculum est.
- Verbrechen ist gemeinem Mann ein lautes Wort.
- Doch dem Mann mit Mute mächtig ziemt’s zu wirken in der Welt
Und den Schuldigen zu laden tapfer vor den Richterstuhl.
Das ist Freiheit, wo im Busen rein und fest wem schlägt das Herz;
Sonst in dunkler Nacht verborgen bleibt die frevelhafte Tat. - In dem wahrscheinlich der Sammlung der vermischten Gedichte einverleibten ‚Scipio‘ standen die malerischen Zeilen:
- – – munduscaeli vastus constitit silentio;
Et Neptunus saevus undis asperis pausam dedit,
Sol equis iter repressit ungulis volantibus,
Constitere amnes perennes, arbores vento vacant. - [Iovis winkt‘;] es ging ein Schweigen durch des Himmels weiten Raum.
Rasten hieß die Meereswogen streng die grollenden Neptun,
Seiner Rosse fliegende Hufe hielt zurück der Sonnengott,
Inne hält der Fluß im Fluten, im Gezweig nicht weht der Wind. - Die letzte Stelle gibt auch einen Einblick in die Art, wie der Dichter seine Originalpoesien arbeitete: sie ist nichts als eine Ausführung der Worte, die in der ursprünglich wohl Sophokleischen Tragödie ‚Hektors Lösung‘ ein dem Kampfe zwischen Hephaestos und dem Skamander Zuschauender spricht:
- Constitit Credo Scamander, arbores vento vacant.
- Inne hält, schau! der Skamander, im Gezweig nicht weht der Wind.
- und das Motiv rührt schließlich aus der Ilias (21, 381) her.
- – – stultust, qui cupita cupiens cupienter cupit.
- Töricht, wer Begehrtes begehrend ein Begieriger begehrt,
- und es ist dies noch nicht das tollste Radschlagen der Art. Auch akrostichische Spielereien kommen vor (Cic. div. 2, 54, 111).
- Außer Cato werden noch aus dieser Zeit zwei „Konsulare und Poeten“ genannt (Suet. vita Ter. 4): Quintus Labeo, Konsul 571 (183), und Marcus Popillius, Konsul 581 (173). Doch bleibt es dahingestellt, ob sie ihre Gedichte auch publizierten. Selbst von Cato dürfte letzteres zweifelhaft sein.
- Den Ton werden folgende Bruchstücke veranschaulichen. Von der Dido:
- Freundlich und kundig fragt sie – welcher Art Aeneas
Von Troia schied. - später:
- Die Hände sein zum Himmel – hob empor der König
Amulius, dankt den Göttern – - aus einer Rede, wo die indirekte Fassung bemerkenswert ist:
- Doch ließen sie im Stiche – jene tapfren Männer,
Das würde Schmach dem Volk sein – jeglichem Geschlechte. - bezüglich auf die Landung in Malta im Jahre 498 (256):
- Nach Meute schifft der Römer, – ganz und gar die Insel
Brennt ab, verheert, zerstört er, – macht den Feind zunichte. - endlich von dem Frieden, der den Krieg um Sizilien beendigte:
- Bedungen wird es auch durch – Gaben des Lutatius
Zu sühnen; er bedingt noch, – daß sie viel Gefangne
Und aus Sizilien gleichfalls – rück die Geiseln geben. - Die griechische Abfassung dieses ältesten prosaischen römischen Geschichtswerkes ist durch Dionys (1, 6) und Cicero (div. 1, 27 , 43) außer Zweifel gestellt. Ein Problem bleiben die unter demselben Namen von Quintilian und späteren Grammatikern angeführten lateinischen Annalen, und es wird die Schwierigkeit noch dadurch gesteigert, daß unter demselben Namen auch eine sehr ausführliche Darstellung des pontifizischen Rechts in lateinischer Sprache angeführt wird. Indes die letztere Schrift wird von keinem, der die Entwicklung der römischen Literatur im Zusammenhang verfolgt hat, einem Verfasser aus der Zeit des Hannibalischen Krieges beigelegt werden; und auch lateinische Annalen aus dieser Zeit erscheinen problematisch, obwohl es dahingestellt bleiben muß, ob hier eine Verwechslung mit dem jüngeren Annalisten Quintus Fabius Maximus Servilianus (Konsul 612 142) obwaltet, oder ob von den griechischen Annalen des Fabius wie von denen des Acilius und des Albinus eine alte lateinische Bearbeitung existiert, oder ob es zwei Annalisten des Namens Fabius Pictor gegeben hat.
- Das dem Lucius Cincius Alimentus, einem Zeitgenossen des Fabius, beigelegte, ebenfalls griechische Geschichtswerk scheint untergeschoben und ein Machwerk aus augustischer Zeit.
- Offenbar im Gegensatz gegen Fabius hebt Polybios (40, 6, 4) es hervor, daß der Gräcomane Albinus sich Mühe gegeben habe, seine Geschichte pragmatisch zu schreiben.
- So ist die Geschichte der Belagerung von Gabii aus Herodotischen Anekdoten von Zopyros und dem Tyrannen Thrasybulos zusammengeschrieben, eine Version der Aussetzungsgeschichte des Romulus, über den Leisten der Herodotischen Erzählung von Kyros‘ Jugend geschlagen.
- Plautus sagt (Most. 126) von den Eltern, daß sie die Kinder „lesen und die Rechte und Gesetze kennen lehren“; und dasselbe zeigt Plut. Cato mai. 20.
- So heißt ihm in den Epicharmischen Gedichten Jupiter davon quod invat, Ceres davon quod gerit fruges.
- Rem tene, verba sequentur.
- Vgl. 2, 445:
- Enni poeta salve, qui mortalibus
Versus propinas flammeos medullitus. - Die Bildung des Namens poeta aus dem vulgar-griechischen ποητής statt ποιητής – wie επόησεν den attischen Töpfern geläufig war – ist charakteristisch. Übrigens bezeichnet poeta technisch nur den Verfasser epischer und rezitativer Gedichte, nicht den Bühnendichter, welcher in dieser Zeit vielmehr scriba heißt (Fest. v. scriba, p. 333 M.).
- Aus dem troischen und dem Herakles-Kreise kommen selbst untergeordnete Figuren vor, zum Beispiel Talthybios (Stich. 305), Autolykos (Bacch. 275), Parthaon (Men. 745). In den allgemeinsten Umrissen müssen ferner zum Beispiel die thebanische und die Argonautensage, die Geschichten von Bellerophon (Bacch. 810), Pentheus (Merc. 467), Prokne und Philomele (Rud. 604), Sappho und Phaon (Mil. 1247) bekannt gewesen sein.
- „Von diesen Griechen“, heißt es bei ihm, „werde ich an seinem Orte sagen, mein Sohn Marcus, was ich zu Athen über sie in Erfahrung gebracht habe; und will es beweisen, daß es nützlich ist, ihre Schriften einzusehen, nicht sie durchzustudieren. Es ist eine grundverdorbene und unregierliche Rasse – glaube mir, das ist wahr wie ein Orakel; und wenn das Volk seine Bildung herbringt, so wird es alles verderben und ganz besonders, wenn es seine Ärzte hierher schickt. Sie haben sich verschworen, alle Barbaren umzubringen mit Arzeneiung, aber sie lassen sich dafür noch bezahlen, damit man ihnen vertraue und sie uns leicht zugrunde richten mögen. Auch uns nennen sie Barbaren, ja schimpfen uns mit dem noch gemeineren Namen der Opiker. Auf die Heilkünstler also lege ich dir Acht und Bann.“
- Der eifrige Mann wußte nicht, daß der Name der Opiker, der im Lateinischen eine schmutzige Bedeutung hat, im Griechischen ganz unverfänglich ist, und daß die Griechen auf die unschuldigste Weise dazu gekommen waren, die Italiker mit demselben zu bezeichnen.
- Plautius gehört in diese oder in den Anfang der folgenden Periode, da die Beischrift bei seinen Bildern (Plin. nat. 35, 10, 115) als hexametrisch nicht füglich älter sein kann als Ennius und die Schenkung des ardeatischen Bürgerrechts notwendig vor dem Bundesgenossenkrieg stattgefunden haben muß, durch den Ardea seine Selbständigkeit verlor.