Ueber die Grenze

Eine Woche später befanden sich fünf Reiter, vier Weiße und ein Neger, ungefähr an dem Punkte, an welchem die südlichen Ecken der jetzigen texanischen Countys Medina und Uvalde zusammenstoßen. Die Weißen ritten zu zwei Paaren hintereinander, der Neger machte den Beschluß. Die voranreitenden zwei Weißen waren fast ganz gleich gekleidet, nur daß der Anzug des jüngeren neuer war, als derjenige des älteren, sehr hageren Mannes. Ihre Pferde waren Füchse; sie trabten so munter und ließen von Zeit zu Zeit ein lustiges Schnauben hören, daß anzunehmen war, sie seien einem anstrengenden Ritte in dieser abgelegenen Gegend wohl gewachsen. Dem folgenden Paare sah man es sofort an, daß sie Vater und Sohn seien. Auch sie waren gleich gekleidet, aber nicht in Leder, wie die Voranreitenden, sondern in Wolle. Ihre Köpfe waren von breitkrämpigen Filzhüten beschützt; ihre Waffen bestanden aus Doppelbüchse, Messer und Revolver, Der Neger, eine überaus sehnige Gestalt, war ganz in leichten dunklen Callico gekleidet und trug einen glänzenden, fast neuen Zylinderhut auf dem wolligen Schädel. In der Hand hielt er eine lange, zweiläufige Rifle, und im Gürtel steckte eine Machete, eins jener langen, gebogenen, säbelartigen Messer, wie sie vorzugsweise in Mexiko gebraucht werden.

Die Namen der vier Weißen sind bekannt. Sie waren Old Death, Lange, dessen Sohn und ich. Der Schwarze war Cortesios Neger aus La Grange, derselbe, welcher uns an jenem ereignisreichen Abend bei dem Mexikaner eingelassen hatte.

Old Death hatte drei volle Tage gebraucht, sich von der Verletzung zu erholen, welche ihm auf eine so lächerliche Weise zugefügt worden war. Ich vermutete, daß er sich dieser Veranlassung schämte. Im Kampfe verwundet zu werden, ist eine Ehre; aber beim Tanze zu stürzen und sich dabei das Fleisch vom Knochen treten zu lassen, das ist höchst ärgerlich für einen braven Westmann, und das ging dem alten Scout zu nahe. Die Quetschung war ganz gewiß weit schmerzhafter, als er sich merken ließ, sonst hätte er mich nicht drei Tage auf den Aufbruch warten lassen. An dem oftmals plötzlichen Zusammenzucken seines Gesichtes erkannte ich, daß er selbst jetzt noch nicht von Schmerzen frei sei. Cortesio hatte natürlich erfahren, daß die beiden Langes sich uns anschließen würden. Am letzten Tage war er zu uns herübergekommen und hatte uns gefragt, ob wir ihm nicht den Gefallen tun wollten, seinen Neger Sam mitzunehmen. Natürlich waren wir über diese Forderung sehr erstaunt gewesen, ohne es uns anmerken zu lassen. Es ist nicht jedermanns Sache, wochenlang mit einem Schwarzen zu reiten, der einen ganz und gar nichts angeht. Cortesio erklärte uns die Sache. Er habe nämlich aus Washington eine wichtige Depesche erhalten, infolge deren er sofort einen ebenso wichtigen Brief nach Chihuahua senden müsse. Er hätte uns denselben mitgeben können, aber er mußte Antwort haben, welche wir ihm nicht zurückbringen konnten. Darum sah er sich gezwungen, einen Boten zu schicken, zu welchem Amte es keine geeignetere Person gab, als den Neger Sam. Dieser war zwar ein Schwarzer, stand aber an Begabung viel höher als gewöhnliche Leute seiner Farbe. Er diente Cortesio seit langen Jahren, war ihm treu ergeben und hatte den gefährlichen Ritt über die mexikanische Grenze schon mehrere Male gemacht und sich in allen Fährlichkeiten höchst wacker gehalten. Cortesio versicherte uns, daß Sam uns nicht im mindesten lästig fallen, sondern im Gegenteile ein aufmerksamer und gutwilliger Diener sein werde. Daraufhin hatten wir unsere Einwilligung erteilt, die wir bis jetzt nicht zu bereuen gehabt hatten. Sam war nicht nur ein guter, sondern sogar ein ausgezeichneter Reiter. Er hatte diese Kunst geübt, als er mit seinem Herrn noch drüben in Mexiko lebte und zu Pferde die Rinderherde hüten mußte. Er war flink und sehr gefällig, hielt sich immer respektvoll hinter uns und schien von uns vieren besonders mich in sein Herz geschlossen zu haben, denn er erzeigte mir unausgesetzt eine Menge Aufmerksamkeiten, die nur ein Ausfluß besonderer persönlicher Zuneigung sein konnten.

Old Death hatte es nicht nur für überflüssig, sondern auch für zeitraubend gehalten, die Spur Gibsons aufzusuchen und von Ort zu Ort zu verfolgen. Wir wußten genau, welche Richtung das Detachement, bei welchem er sich befand, nehmen und welche Örtlichkeiten es berühren wolle, und so hielt der Scout es für geraten, direktement nach dem Rio Nueces und dann nach dem Eagle-Paß zu reiten. Es war sehr wahrscheinlich, daß wir zwischen diesem Flusse und diesem Passe, vielleicht aber schon eher, auf die Fährte des Detachements treffen würden, Freilich mußten wir uns sehr beeilen, da dasselbe einen so großen Vorsprung vor uns hatte. Ich wollte nicht glauben, daß es möglich sei, dasselbe einzuholen; aber Old Death erklärte mir, daß die mexikanische Eskorte der Angeworbenen sich nicht sehen lassen dürfe und also gezwungen sei, bald rechts, bald links abzuweichen und ganz bedeutende Umwege zu machen. Wir aber konnten in fast schnurgerader Linie reiten, ein Umstand, welcher einen Vorsprung von einigen Tagen wohl auszugleichen vermochte.

Nun hatten wir in sechs Tagen fast zweihundert englische Meilen zurückgelegt, eine Leistung, welche außer Old Death niemand unsern Füchsen zugetraut hätte. Die alten Pferde aber schienen hier im Westen neu aufzuleben. Das Futter des freien Feldes, die stets frische Luft, die schnelle Bewegung bekamen ihnen ausgezeichnet; sie wurden von Tag zu Tag mutiger, lebendiger und jünger, worüber der Scout sich außerordentlich freute, denn dadurch wurde ja erwiesen, daß er einen ausgezeichneten Pferdeverstand besaß.

Wir hatten jetzt San Antonio und Castroville hinter uns, waren durch das wasserreiche County Medina geritten und näherten uns nun der Gegend, in welcher das Wasser immer seltener wird und die triste texanische Sandbüchse beginnt, welche zwischen dem Nueces und Rio grande ihre größte Trostlosigkeit erreicht. Wir wollten zunächst nach Rio Leona, einem Hauptarme des Rio Frio, und dann nach der Stelle des Rio Nueces, an welcher der Turkey Creck in denselben fließt. Im Nordwesten von uns lag der hohe Leonaberg mit Fort Inge in der Nähe. Dort hatte das Detachement vorüber gemußt, aber ohne es wagen zu dürfen, sich von der Besatzung des Forts sehen zu lassen. Wir konnten also hoffen, bald ein Lebenszeichen von Gibson und denen, bei welchen er sich befand, zu bemerken.

Der Boden, welchen wir unter uns hatten, war außerordentlich geeignet zu einem schnellen Ritte. Wir befanden uns auf einer ebenen, kurzgrasigen Prairie, über welche unsere Pferde mit großer Leichtigkeit dahinflogen. Die Luft war sehr rein, so daß der Horizont in großer Klarheit und Deutlichkeit vor uns lag. Da wir nach Südwest ritten, so hatten wir vorzugsweise die dorthin liegende Gegend im Auge und schenkten den anderen Richtungen weniger Aufmerksamkeit. Aus diesem Grunde war es kein Wunder, daß uns ziemlich spät das Nahen von Reitern bemerkbar wurde, auf welche uns Old Death aufmerksam machte. Er deutete nach rechts hinüber und sagte:

„Schaut einmal dorthin, Mesch’schurs! Für was haltet ihr das, was da zu sehen ist?“

Wir sahen einen dunklen Punkt, welcher sich sehr, sehr langsam zu nähern schien.

„Hm!“ meinte Lange, indem er seine Augen mit der Hand beschattete, „das wird ein Tier sein, welches dort grast.“

„So!“ lächelte Old Death. „Ein Tier! Noch dazu, welches dort grast! Wunderschön! Eure Augen scheinen sich noch nicht recht an die Perspektive gewöhnen zu wollen. Dieser Punkt ist wohl gegen zwei englische Meilen entfernt von uns. Auf eine so bedeutende Strecke ist ein Gegenstand von der Größe dieses Punktes nicht ein einzelnes Tier. Müßte ein Büffel sein, fünfmal so groß wie ein ausgewachsener Elefant, und Büffel gibt es hier nicht. Mag sich wohl einmal so ein verlaufener Kerl hier herumtreiben, aber sicherlich in dieser Jahreszeit nicht, sondern nur im Frühjahre oder Herbst. Ferner täuscht sich derjenige, welcher nicht geübt ist, außerordentlich leicht über die Bewegung eines Gegenstandes, welcher sich in solcher Ferne von ihm befindet. Ein Büffel oder Pferd geht beim Grasen höchst langsam Schritt um Schritt vorwärts. Ich wette aber um alles, daß der Punkt da drüben sich in sehr schnellem Galoppe bewegt.“

„Nicht möglich,“ sagte Lange.

„Nun, wenn die Weißen so falsch denken,“ sagte Old Death, „so wollen wir einmal hören, was der Schwarze sagt. Sam, was hältst du von dem Dinge da draußen?“

Der Neger hatte bisher aus Bescheidenheit geschwiegen. Jetzt aber, da er direkt aufgefordert wurde, sagte er:

„Reiter sein. Vier, fünf oder sechs.“

„Das denke ich auch. Vielleicht Indianer?“

„O nein, Sirrah! Indian nicht so direkt kommen zu Weißen. Indian sich verstecken, um Weißen erst heimlich anzusehen, ehe mit ihm reden. Reiter kommen grad zu auf uns, also es Weiße sein.“

„Das ist sehr richtig, mein guter Sam. Ich höre da zu meiner Befriedigung, daß dein Verstand heller ist als deine Hautfarbe.“

„O, Sirrah, o!“ schmunzelte der gute Kerl, wobei er alle seine Zähne zeigte. Von Old Death gelobt zu werden, war eine außerordentliche Auszeichnung für ihn.

„Wenn diese Leute wirklich die Absicht haben, zu uns zu kommen,“ sagte Lange, „so müssen wir hier auf sie warten.“

„Fällt mir nicht ein!“ antwortete der Scout. „Ihr müßt doch sehen, daß sie nicht grad auf uns zuhalten, sondern mehr südlicher trachten. Sie sehen, daß wir uns fortbewegen und reiten also, um auf uns zu treffen, die Diagonale. Also vorwärts! Wir haben gar keine Zeit, hier still zu halten. Vielleicht sind es Soldaten vom Fort Inge, welche sich auf Rekognition befinden. Ist dies der Fall, so haben wir uns über das Zusammentreffen nicht zu freuen.“

„Warum nicht?“

„Weil wir Unangenehmes erfahren werden, Master. Fort Inge liegt ziemlich weit von hier entfernt im Nordwest. Wenn der Kommandant desselben solche Streifpatrouillen so weit entsendet, muß irgend etwas Unerfreuliches in der Luft liegen. Werdet es sicher hören.“

Wir ritten in unverminderter Schnelligkeit weiter. Der Punkt näherte sich jetzt zusehends und löste sich endlich in kleinere Punkte auf, welche sich schnell vergrößerten. Bald sahen wir deutlich, daß es Reiter waren. Fünf Minuten später erkannten wir schon die militärischen Uniformen. Und dann waren sie bald so nahe, daß wir den Ruf hörten, welchen sie zu uns herüberschickten. Wir sollten anhalten. Es war ein Dragonersergeant mit fünf Leuten.

„Warum reitet Ihr in solcher Eile?“ fragte er, indem er sein Pferd parierte. „Habt Ihr uns nicht kommen sehen?“

„Doch,“ antwortete der Scout kaltblütig, „aber wir sehen nicht ein, weshalb wir auf Euch warten sollen.“

„Weil wir unbedingt wissen müssen, wer Ihr seid.“

„Nun, wir sind Weiße, welche in südlicher Richtung reiten. Das wird für Eure Zwecke wohl genügen.“

„Zum Teufel!“ fuhr der Sergeant auf. „Denkt ja nicht, daß ich Euch erlauben werde, Euern Spaß mit uns zu machen!“

Pshaw!“ lächelte Old Death überlegen. „Bin selbst gar nicht zum Scherzen geneigt. Wir befinden uns hier auf offener Prairie, aber nicht im Schulzimmer, wo Ihr den Lehrer machen dürft und wir Eure Fragen gehorsam und ergebenst beantworten müssen, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, den Stock zu bekommen.“

„Ich habe nur meiner Instruktion zu folgen. Ich fordere Euch auf, Eure Namen zu nennen!“

„Und wenn es uns nun nicht beliebt, zu gehorchen?“

„So seht Ihr, daß wir bewaffnet sind und uns Gehorsam verschaffen können,“

„Ah! Könnt Ihr das wirklich? Freut mich um Euretwillen ungemein. Nur rate ich Euch nicht, es zu versuchen. Wir sind freie Männer, Master Sergeant! Wir möchten den Mann sehen, der es wagen wollte, uns im Ernste zu sagen, daß wir ihm gehorchen müßten, hört Ihr es, müßten! Ich würde den Halunken einfach niederreiten!“

Seine Augen blitzten, und er nahm sein Pferd in die Zügel, daß es aufstieg und, seinem Schenkeldrucke gehorchend, einen drohenden Sprung gegen den Sergeanten machte. Dieser riß sein Tier schnell zurück und wollte aufbrausen. Old Death aber ließ ihn gar nicht dazu kommen, sondern fuhr schnell fort:

„Ich will gar nicht rechnen, daß ich zweimal so viel Jahre zähle wie Ihr und also wohl mehr erfahren und erlebt habe, als Ihr jemals zu sehen bekommen werdet. Ich will Euch nur darauf antworten, daß Ihr von Euern Waffen gesprochen habt. Denkt Ihr denn etwa, unsere Messer seien von Marzipan, unsere Gewehrläufe von Zucker und unsere Kugeln von Schokolade? Diese Süßigkeiten sollten Euch wohl schlecht bekommen! Ihr sagt, daß Ihr Eurer Instruktion gehorchen müßtet. Well, das gehört sich so, und ich habe also gar nichts dagegen. Aber hat man Euch auch anbefohlen, erfahrene Westmänner anzuschnauzen und mit ihnen in dem Tone zu sprechen, dessen sich ein General einem Rekruten gegenüber bedient? Wir sind bereit, mit Euch zu sprechen; aber wir haben Euch nicht gerufen und verlangen vor allen Dingen Höflichkeit!“

Der Unteroffizier wurde verlegen. Old Death schien ein ganz Anderer geworden zu sein, und sein Auftreten blieb nicht ohne Wirkung.

„Redet Euch doch nicht in solchen Zorn hinein!“ sagte der Sergeant. „Es ist ja gar nicht meine Absicht, grob zu sein.“

„Nun, ich habe weder Eurem Tone, noch Eurer Ausdrucksweise große Feinheit angehört.“

„Das macht, daß wir uns eben hier und nicht im Salon einer vornehmen Lady befinden. Es treibt sich hier allerlei Gesindel herum, und wir müssen die Augen offen halten, da wir uns auf einem vorgeschobenen Posten befinden.“

„Gesindel? Zählt Ihr etwa auch uns zu diesen zweifelhaften Gentlemen?“ brauste der Alte auf.

„Ich kann weder ja noch nein sagen. Ein Mann aber, der ein gutes Gewissen hat, wird sich nicht weigern, seinen Namen zu sagen. Es gibt jetzt besonders viele von diesen verdammten Kerlen, die hinüber zu Juarez wollen, in dieser Gegend. Diesen Halunken ist nicht zu trauen.“

„So haltet Ihr es mit den Sezessionisten, mit den Südstaaten?“

„Ja, Ihr doch hoffentlich auch?“

„Ich halte mit jedem braven Manne gegen jeden Schurken. Was unsere Namen und Herkunft betrifft, so gibt es keinen Grund, sie zu verschweigen. Wir kommen aus La Grange.“

„So seid Ihr also Texaner. Nun, Texas hat es mit dem Süden gehalten. Ich habe es also mit Gesinnungsgenossen zu tun.“

„Gesinnungsgenossen! All devils! Ihr drückt Euch da sehr hoch aus, wie ich es einem Sergeanten kaum zugetraut hätte; aber anstatt Euch unsere fünf Namen zu sagen, welche Ihr doch bald vergessen würdet, will ich Euch zu Eurer Erleichterung nur den meinigen sagen. Ich bin ein alter Prairieläufer und werde von denjenigen, welche mich kennen, gewöhnlich Old Death genannt.“

Dieser Name wirkte augenblicklich. Der Sergeant fuhr im Sattel empor und sah den Alten starr an. Die andern Soldaten warfen auch überraschte, aber dabei freundliche Blicke auf ihn. Der Unteroffizier aber zog seine Brauen zusammen und sagte:

„Old Death! Der, der seid Ihr? Der Spion der Nordstaaten!“

„Herr!“ rief der Alte drohend. „Nehmt Euch in acht! Wenn Ihr von mir gehört habt, so werdet Ihr wohl auch die Ansicht haben, daß ich nicht der Mann bin, eine Beleidigung auf mir sitzen zu lassen. Ich habe für die Union mein Hab und Gut, mein Blut und Leben gewagt, weil es mir so beliebte und weil ich die Absichten des Nordens für richtig hielt und heute noch für richtig halte. Unter Spion verstehe ich etwas Anderes, als ich gewesen bin, und wenn mir so ein Kindskopf, wie Ihr zu sein scheint, ein solches Wort entgegenwirft, so schlage ich ihn nur deshalb nicht sogleich mit der Faust nieder, weil ich ihn bemitleide. Old Death fürchtet sich vor sechs Dragonern nicht, auch nicht vor zehn und noch mehr. Glücklicherweise scheint es, daß Eure Begleiter verständiger sind als Ihr. Sie mögen dem Kommandanten von Fort Inge sagen, daß Ihr Old Death getroffen und wie einen Knaben angepustet habt. Ich bin der Überzeugung, daß er Euch dann eine Nase ins junge Gesicht steckt, welche so lang ist, daß Ihr die Spitze derselben nicht mit dem Fernrohr erkennen könnt!“

Die letzteren Worte erreichten ihren Zweck. Der Kommandant war wohl ein verständigerer Mann als sein Untergebener. Der Sergeant mußte in seinem Bericht selbstverständlich unser Zusammentreffen und den Erfolg desselben erwähnen. Wenn ein Postenführer auf einen so berühmten Jäger trifft, so ist das von großem Vorteile für ihn, weil dann Gedanken und Meinungen ausgetauscht, Beobachtungen mitgeteilt und Ratschläge gegeben werden, welche oft von großem Nutzen sein können. Westmänner von der Art Old Deaths werden von den Offizieren ganz wie ihresgleichen und mit größter Rücksicht und Hochachtung behandelt. Was konnte nun dieser Sergeant von uns berichten, wenn er in dieser Weise mit dem bewährten Pfadfinder verfuhr? Das sagte er sich jetzt wohl im Stillen, denn die Röte der Verlegenheit war ihm bis an die Stirn getreten, Um diese Wirkung zu verstärken, fuhr Old Death fort:

„Euern Rock in Ehren, aber der meinige ist wenigstens ebenso viel wert. Es könnte Euch bei Eurer Jugend gar nichts schaden, von Old Death einige Ratschläge zu vernehmen. Wer ist denn jetzt Kommandant auf Fort Inge?“

„Major Webster.“

„Der noch vor zwei Jahren in Fort Ripley als Capt’n stand?“ fragte Old Death weiter.

„Derselbe.“

„Nun, so grüßt ihn von mir. Er kennt mich sehr wohl. Habe oft mit ihm nach der Scheibe geschossen und den Nagel mit einer Kugel durch das Schwarze getrieben. Könnt mir Euer Notizbuch geben, damit ich Euch einige Zeilen hineinschreibe, die Ihr ihm vorzeigen mögt! Ich kalkuliere, daß er sich ungemein freuen wird, daß einer seiner Untergebenen Old Death einen Spion nannte.“

Der Sergeant wußte in seiner Verlegenheit keinen Rat. Er schluckte und schluckte und stieß endlich mit sichtlicher Mühe hervor:

„Aber, Sir, ich kann Euch versichern, daß es wahrlich nicht so gemeint war! Bei unsereinem ist nicht alle Tage Feiertag. Man hat seinen Ärger, und da ist es kein Wunder, wenn einem einmal ein Ton ankommt, den man nicht beabsichtigt hat!“

„So, so! Nun, das klingt höflicher als vorher, Ich will also annehmen, daß unser Gespräch erst jetzt beginnt. Seid Ihr auf Fort Inge mit Zigarren versehen?“

„Nicht mehr. Der Tabak ist zu unser aller Bedauern ausgegangen.“

„Das ist sehr schlimm. Ein Soldat ohne Tabak ist ein halber Mensch. Mein Gefährte hat sich eine ganze Satteltasche voll Zigarren mitgenommen. Vielleicht gibt er Euch von seinem Vorrat mit.“

Des Sergeanten und der andern Augen richteten sich verlangend auf mich. Ich zog eine Hand voll Zigarren hervor und verteilte sie unter sie, gab ihnen auch Feuer. Als der Unteroffizier die ersten Züge getan hatte, breitete sich der Ausdruck hellen Entzückens über sein Gesicht. Er nickte mir dankend zu und sagte:

„So eine Zigarre ist die reine Friedenspfeife. Ich glaube, ich könnte dem ärgsten Feinde nicht mehr gram sein, wenn er mir hier in der Prairie und nachdem wir wochenlang nicht rauchen konnten, so ein Ding präsentierte.“

„Wenn bei Euch eine Zigarre mehr Kraft hat als die größte Feindschaft, so seid Ihr wenigstens kein ausgesprochener Bösewicht,“ lachte Old Death.

„Nein, das bin ich freilich nicht. Aber, Sir, wir müssen weiter, und so wird es sich empfehlen, das zu fragen und zu sagen, was nötig ist. Habt Ihr vielleicht Indianer oder andere Fährten gesehen?“

Old Death verneinte und fügte hinzu, ob er denn der Meinung sei, daß es hier Indianer geben könne?

„Sehr! Und wir haben alle Ursache dazu, denn diese Schufte haben wieder einmal das Kriegsbeil ausgegraben.“

„Alle Wetter! Das wäre böse! Welche Stämme sind es?“

„Die Comanchen und Apachen.“

„Also die beiden gefährlichsten Völker! Und wir befinden uns so richtig zwischen ihren Gebieten. Wenn eine Schere zuklappt, so pflegt dasjenige, was sich dazwischen befindet, am schlechtesten wegzukommen.“

„Ja, nehmt Euch in acht! Wir haben schon alle Vorbereitungen getroffen und mehrere Boten nach Verstärkung und schleuniger Verproviantierung geschickt. Fast Tag und Nacht durchstreifen wir die Gegend in weitem Umkreise. Jeder uns Begegnende muß uns verdächtig sein, bis wir uns überzeugt haben, daß er kein Lump ist, weshalb Ihr mein voriges Verfahren entschuldigen werdet!“

„Das ist vergessen. Aber welchen Grund haben denn die Roten, gegen einander loszuziehen?“

„Daran ist eben dieser verteufelte –-Pardon, Sir! Vielleicht denkt Ihr anders von ihm als ich – dieser Präsident Juarez schuld. Ihr habt gewiß gehört, daß er ausreißen mußte, sogar bis EI Paso herauf. Die Franzosen folgten ihm natürlich. Sie kamen bis nach Chihuahua und Cohahuela. Er mußte sich vor ihnen verstecken wie der Waschbär vor den Hunden. Sie hetzten ihn bis zum Rio grande und hätten ihn noch weiterverfolgt und schließlich gefangen genommen, wenn unser Präsident in Washington nicht so albern gewesen wäre, es ihnen zu verbieten. Alles war gegen Juarez, alle hatten sich von ihm losgesagt; sogar die Indianer, zu denen er als eine geborne Rothaut doch gehört, mochten nichts von ihm wissen.“

„Auch die Apachen nicht?“

„Nein. Das heißt, sie waren weder gegen noch für ihn. Sie nahmen überhaupt keine Partei und blieben ruhig in ihren Schlupfwinkeln. Das hatte ihnen Winnetou, ihr junger, aber schon sehr berühmter Häuptling, geraten. Desto besser aber gelang es den Agenten Bazaines, die Comanchen gegen ihn zu stimmen. Sie kamen in hellen Scharen, aber natürlich heimlich, wie das so ihre Art und Weise ist, über die Grenze nach Mexiko, um den Anhängern des Juarez den Garaus zu machen.“

„Hm! Um zu rauben, zu morden, zu sengen und zu brennen, wollt Ihr sagen! Mexiko geht die Comanchen nichts an. Sie haben ihre Wohnplätze und Jagdgebiete nicht jenseits, sondern diesseits des Rio grande. Ihnen ist es sehr gleichgültig, wer in Mexiko regiert, ob Juarez, ob Maximilian, ob Napoleon. Aber, wenn die Herren Franzosen sie rufen, um sie gegen friedliche Leute loszulassen, nun, so ist es ihnen als Wilden nicht zu verdenken, wenn sie diese gute Gelegenheit, sich zu bereichern, schleunigst ergreifen. Wer die Verantwortung hat, will ich nicht untersuchen.“

„Nun, mich geht es auch nichts an. Kurz und gut, sie sind hinüber und haben natürlich getan, was man von ihnen verlangte, und dabei sind sie mit den Apachen zusammengestoßen. Die Comanchen sind immer die geschworenen Feinde der Apachen gewesen. Darum überfielen sie das Lager derselben, schossen tot, was sich nicht ergab, und nahmen die Übrigen als Gefangene mit samt ihren Zelten und Pferden.“

„Und dann?“

„Was dann, Sir? Die männlichen Gefangenen sind, wie das die Gepflogenheit der Indianer ist, an den Marterpfahl gebunden worden.“

„Ich kalkuliere, daß so eine Gepflogenheit nicht sehr angenehm für diejenigen sein kann, welche sich bei lebendigem Leibe rösten und mit Messern spicken lassen müssen. Das haben die Herren Franzosen auf dem Gewissen! Natürlich sind die Apachen sofort losgebrochen, um sich zu rächen?“

„Nein. Sie sind ja Feiglinge!“

„Das wäre das erstemal, daß ich das behaupten hörte. Jedenfalls haben sie diesen Schimpf nicht ruhig hingenommen.“

„Sie haben einige Krieger abgesandt, um mit den ältesten Häuptlingen der Comanchen über diese Angelegenheit zu verhandeln. Diese Unterhandlung hat bei uns stattgefunden.“

„In Fort Inge? Warum da?“

„Weil das neutraler Boden war.“

„Schön! Das begreife ich. Also die Häuptlinge der Comanchen sind gekommen?“

„Fünf Häuptlinge mit zwanzig Kriegern.“

„Und wie viele Apachen waren erschienen?“

„Drei.“

„Mit wie viel Mann Begleitung?“

„Ohne jede Begleitung.“

„Hm! Und da sagt ihr, daß sie Feiglinge seien? Drei Mann wagen sich mitten durch feindliches Land, um dann mit fünfundzwanzig Gegnern zusammenzutreffen! Herr, wenn Ihr die Indianer nur einigermaßen kennt, so müßt Ihr zugeben, daß dies ein Heldenstück ist. Welchen Ausgang nahm die Unterredung?“

„Keinen friedlichen, sondern der Zwiespalt wurde größer. Endlich fielen die Comanchen über die Apachen her. Zwei derselben wurden niedergestochen, der dritte aber gelangte, wenn auch verwundet, zu seinem Pferde und setzte über eine drei Ellen hohe Umplankung weg. Die Comanchen verfolgten ihn zwar, haben ihn aber nicht bekommen können.“

„Und das geschah auf neutralem Boden, unter dem Schutze eines Forts und der Aufsicht eines Majors der Unionstruppen? Welch eine Treulosigkeit von den Comanchen! Ist es da ein Wunder, wenn die Apachen nun auch ihrerseits das Kriegsbeil ausgraben? Der entkommene Krieger wird ihnen die Nachricht bringen, und nun brechen sie natürlich in hellen Haufen auf, um sich zu rächen. Und da der Mord der Abgesandten in einem Fort der Weißen geschehen ist, so werden sie ihre Waffen auch gegen die Bleichgesichter kehren. Wie werden sich denn die Comanchen gegen uns verhalten?“

„Freundlich. Die Häuptlinge haben es uns versichert, ehe sie das Fort verließen. Sie sagten, daß sie nur gegen die Apachen kämpfen und sofort zu diesem Zwecke aufbrechen würden; die Bleichgesichter aber seien ihre Freunde.“

„Wann war diese Verhandlung, welche einen so blutigen Ausgang nahm?“

„Am Montag.“

„Und heute ist Freitag, also vor vier Tagen. Wie lange haben sich die Comanchen nach der Flucht des Apachen noch im Fort aufgehalten?“

„Ganz kurze Zeit. Nach einer Stunde ritten sie fort.“

„Und ihr habt sie fortgelassen? Sie hatten das Völkerrecht verletzt und mußten zurückgehalten werden, um die Tat zu büßen. Sie haben gegen die Vereinigten Staaten gesündigt, auf deren Gebiet der Verrat, der Doppelmord geschah. Der Major mußte sie gefangen nehmen und über den Fall nach Washington berichten. Ich begreife ihn nicht.“

„Er war an dem Tage auf die Jagd geritten und kehrte erst abends heim.“

„Um nicht Zeuge der Verhandlung und des Verrats sein zu müssen! Ich kenne das! Wenn die Apachen erfahren, daß es den Comanchen erlaubt worden ist, das Fort zu verlassen, dann wehe jedem Weißen, der in ihre Hand gerät! Sie werden keinen verschonen.“

„Sir, ereifert Euch nicht allzusehr. Es ist auch für die Apachen gut gewesen, daß die Comanchen sich entfernen durften, weil sie eine Stunde später noch einen ihrer Häuptlinge verloren hätten, wenn die Comanchen nicht fort gewesen wären.“

Old Death machte eine Bewegung der Überraschung:

„Noch einen Häuptling, meint Ihr? Ah, ich errate! Vier Tage ist’s her. Er hatte ein ausgezeichnetes Pferd und ist schneller geritten als wir. Er ist es gewesen, ganz gewiß er!“

„Wen meint Ihr denn?“ fragte der Sergeant überrascht.

„Winnetou.“

„Ja, der war es. Kaum waren die Comanchen nach Westen hin verschwunden, so sahen wir gegen Osten, vom Rio Frio her, einen Reiter auftauchen. Er kam in das Fort, um sich Pulver und Blei und Revolverpatronen zu kaufen. Er war nicht mit den Abzeichen eines Stammes versehen, und wir kannten ihn nicht. Während des Einkaufes erfuhr er, was geschehen war. Zufälligerweise befand sich der Offizier du jour dabei. An diesen wendete sich der Indianer.“

„Das ist höchst, höchst interessant,“ rief Old Death gespannt. „Ich hätte dabei sein mögen. Was sagte er zu dem Offizier?“

„Nichts als die Worte: Viele Weiße werden es büßen müssen, daß eine solche Tat bei euch geschah, ohne daß ihr sie verhütet habt oder sie wenigstens bestraftet! Dann trat er heraus aus dem Magazine und stieg in den Sattel. Der Offizier war ihm gefolgt, um den herrlichen Rappen zu bewundern, welchen der Rote ritt, und dieser sagte ihm nun: Ich will ehrlicher sein, als ihr es seid. Ich sage euch hiermit, daß vom heutigen Tage Kampf sein wird zwischen den Kriegern der Apachen und den Bleichgesichtern. Die Krieger der Apachen saßen in Frieden in ihren Zelten; da fielen die Comanchen heimtückisch über sie her, nahmen ihre Frauen, Kinder, Pferde und Zelte, töteten viele und führten die übrigen fort, um sie am Marterpfahle sterben zu lassen. Da hörten die weisen Väter der Apachen noch immer auf die mahnende Stimme des großen Geistes. Sie gruben nicht sofort das Kriegsbeil aus, sondern sandten ihre Boten zu euch, um hier bei euch mit den Comanchen zu verhandeln. Diese Boten aber wurden in eurer Gegenwart ebenfalls überfallen und getötet.‘ ihr habt den Mördern die Freiheit gegeben und damit bewiesen, daß ihr die Feinde der Apachen seid. Alles Blut, welches von heute an fließt, soll über euch kommen, aber nicht über uns!

„Ja, ja, so ist er! Es ist, als ob ich ihn reden hörte!“ meinte Old Death. „Was antwortete der Offizier?“

„Er fragte ihn, wer er sei, und nun erst sagte der Rote, daß er Winnetou, der Häuptling der Apachen sei. Sofort rief der Offizier, man solle das Tor zuwerfen und den Roten gefangen nehmen. Er hatte das Recht dazu, denn die Kriegserklärung war ausgesprochen, und Winnetou befand sich nicht in der Eigenschaft eines Parlamentärs bei uns. Aber dieser lachte laut auf, ritt einige von uns über den Haufen, den Offizier dazu, und wendete sich gar nicht nach dem Tore, sondern setzte, grad wie der andere Apache vorher, über die Umplankung. Sofort wurde ihm ein Trupp Leute nachgesandt, aber sie bekamen ihn nicht wieder zu sehen.“

„Da habt ihr es! Nun ist der Teufel los! Wehe dem Fort und der Besatzung desselben, wenn die Comanchen nicht siegen! Die Apachen werden keinen von euch leben lassen. Besuch habt ihr nicht gehabt?“

„Nur ein einzigesmal, vorgestern gegen Abend, ein einzelner Reiter, welcher nach Sabinal wollte. Er nannte sich Clinton, das weiß ich ganz genau, denn ich hatte grad die Torwache, als er kam.“

„Clinton! Hm! Ich will Euch einmal diesen Mann beschreiben. Schaut zu, ob er es ist!“

Er beschrieb Gibson, welcher sich ja bereits vorher den falschen Namen Clinton beigelegt hatte, und der Sergeant sagte, daß die Beschreibung ganz genau stimme. Zum Überflusse zeigte ich ihm die Photographie, in welcher er das zweifellose Bild des betreffenden Mannes erkannte.

„Da habt Ihr Euch belügen lassen,“ meinte Old Death. „Der Mann hat keineswegs nach Sabinal gewollt, sondern er kam zu Euch, um zu erfahren, wie es bei Euch stehe. Er gehört zu dem Gesindel, von welchem Ihr vorhin redetet. Er ist wieder zu seiner Gesellschaft gestoßen, welche auf ihn wartete. Sonst ist wohl nichts Wichtiges geschehen?“

„Ich weiß weiter nichts.“

„Dann sind wir fertig. Sagt also dem Major, daß Ihr mich getroffen habt. Ihr seid sein Untergebener und dürft ihm also nicht mitteilen, was ich von den letzten Ereignissen denke, aber Ihr hättet großes Unheil und viel Blutvergießen verhütet, wenn ihr nicht so lax in der Erfüllung Eurer Pflicht gewesen wäret. Good bye, Boys!“

Er wendete sein Pferd zur Seite und ritt davon. Wir folgten ihm nach kurzem Gruße gegen die Dragoner, welche sich nun direkt nach Norden wendeten. Wir legten im Galopp eine große Strecke schweigend zurück. Old Death ließ den Kopf hängen und gab seinen Gedanken Audienz. Im Westen neigte sich die Sonne dem Untergange zu; es -war höchstens noch eine Stunde Tag und doch sahen wir den südlichen Horizont noch immer wie eine messerscharfe Linie vor uns liegen. Wir hatten heute den Rio Leona erreichen wollen, wo es Baumwuchs gab. Letzterer hätte den Horizont als eine viel dickere Linie erscheinen lassen müssen. Darum stand zu vermuten, daß wir dem Ziele unseres heutigen Rittes noch nicht nahe seien. Diese Bemerkung mochte sich auch Old Death im Stillen sagen, denn er trieb sein Pferd immer von Neuem an, wenn es in langsameren Gang fallen wollte. Und diese Eile hatte endlich auch Erfolg, denn eben als der sich vergrößernde Sonnenball den westlichen Horizont berührte, sahen wir im Süden einen dunklen Strich, welcher um so deutlicher wurde, je näher wir ihm kamen. Der Boden, welcher zuletzt aus kahlem Sande bestanden hatte, trug wieder Gras, und nun bemerkten wir auch, daß der erwähnte Strich aus Bäumen bestand, deren Wipfel uns nach dem scharfen Ritte einladend entgegenwinkten. Old Death deutete auf dieselben hin, erlaubte seinem Pferde, in Schritt zu gehen, und sagte:

„Wo in diesem Himmelsstriche Bäume stehen, muß Wasser in der Nähe sein. Wir haben den Leonafluß vor uns, an dessen Ufer wir lagern werden.“

Bald hatten wir die Bäume erreicht. Sie bildeten einen schmalen, sich an den beiden Flußufern hinstreckenden Hain, unter dessen Kronendach dichtes Buschwerk stand. Das Bett des Flusses war breit, um so geringer aber die Wassermasse, die er mit sich führte. Doch zeigte sich der Punkt, an welchem wir auf ihn trafen, nicht zum Übergange geeignet, weshalb wir langsam am Ufer aufwärts ritten. Nach kurzem Suchen fanden wir eine Stelle, wo das Wasser seicht über blinkende Kiesel glitt. Da hinein lenkten wir die Pferde, um hindurch zu reiten. Old Death war voran. Eben als sein Pferd die Hufe in das Wasser setzen wollte, hielt er es an, stieg ab und bückte sich nieder, um den Grund des Flusses aufmerksam zu betrachten.

Well!“ nickte er. „Dachte es doch! Hier stoßen wir auf eine Fährte, welche wir nicht eher bemerken konnten, weil das trockene Ufer aus starkem Kies besteht, welcher keine Spur aufnimmt. Betrachtet euch einmal den Boden des Flusses!“

Auch wir stiegen ab und bemerkten runde, etwas mehr als handgroße Vertiefungen, welche in den Fluß hineinführten.

„Das ist eine Fährte?“ fragte Lange. „Ihr habt jedenfalls recht, Sir. Vielleicht ist’s ein Pferd gewesen, also ein Reiter.“

„Nein. Sam mag sich die Spur betrachten. Will sehen, was der von ihr meint.“

Der Neger hatte bescheiden hinter uns gestanden. Jetzt trat er vor, sah in das Wasser und meinte dann:

„Da sein gewesen zwei Reiter, welche hinüber über den Fluß.“

„Warum meinst du, daß es Reiter und nicht herrenlose Pferde gewesen sind?“

„Weil Pferd, welches Eisen haben, nicht wilder Mustang sein, sondern zahmes Pferd, und darauf doch allemal sitzen Reiter. Auch seine Spuren tief. Pferde haben tragen müssen Last, und diese Last sein Reiter. Pferde nicht gehen nebeneinander in Wasser, sondern hintereinander. Auch bleiben stehen am Ufer, uni zu saufen, bevor laufen hinüber. Hier aber nicht sind stehen bleiben, sondern stracks hinüber. Sind auch laufen nebeneinander. Das nur tun, wenn sie müssen, wenn gehorchen dem Zügel. Und wo ein Zügel sein, da auch ein Sattel, worauf sitzen Reiter.“

„Das hast du gut gemacht!“ lobte der Alte. „Ich selbst hätte es nicht besser erklären können. Ihr seht, Mesch’schurs, daß es Fälle gibt, in welchen ein Weißer noch genug von einem Schwarzen lernen kann. Aber die beiden Reiter haben Eile gehabt; sie haben ihren Pferden nicht einmal Zeit zum Saufen gelassen. Da diese aber jedenfalls Durst fühlten und jeder Westmann vor allen Dingen auf sein Pferd sieht, so kalkuliere ich, daß sie erst drüben am andern Ufer trinken durften. Für diese zwei Männer muß es also einen Grund gegeben haben, vor allen Dingen zunächst hinüber zu kommen. Hoffentlich erfahren wir diesen Grund.“

Während dieser Untersuchung der Spuren hatten die Pferde das Wasser in langen Zügen geschlürft. Wir stiegen wieder auf und gelangten trocken hinüber, denn der Fluß war an dieser Stelle so seicht, daß nicht einmal die Steigbügel die Oberfläche berührten. Kaum waren wir wieder auf dem Trockenen, so sagte Old Death, dessen scharfem Auge nicht so leicht etwas entgehen konnte:

„Da haben wir den Grund. Seht euch diese Linde an, deren Rinde von unten, so hoch wie ein Mann reichen kann, abgeschält ist! Und hier, was steckt da in der Erde?“

Er deutete auf den Boden nieder, in welchem zwei Reihen dünner Pflöcke steckten, die nicht stärker als ein Bleistift waren und auch die Länge eines solchen hatten.

„Was sollen diese Pflöcke?“ fuhr Old Death fort. „In welcher Beziehung stehen sie zu der abgeschälten Rinde? Seht ihr nicht die kleinen, vertrockneten Bastschnitzel, welche zerstreut da herum liegen? Diese im Boden steckenden Pflöcke sind als Maschenhalter gebraucht worden. Habt ihr vielleicht einmal ein Knüpfbrett gesehen, mit dessen Hilfe man Netze, Tücher und dergleichen knüpft? Nicht? Nun, so ein Knüpfbrett haben wir vor uns, nur daß es nicht aus Holz und eisernen Stiften besteht. Die beiden Reiter haben aus Bast ein langes, breites Band geknüpft. Es ist zwei Ellen lang und sechs Zoll breit gewesen, wie man aus der Anordnung der Pflöcke ersehen kann, also schon mehr ein Gurt. Solche Bänder oder Gurten aus frischem Baste aber nehmen, wie ich weiß, die Indianer gern zum Verbinden von Wunden. Der saftige Bast legt sich kühlend auf die Wunde und zieht sich, wenn er trocken wird, so fest zusammen, daß er selbst einem verletzten Knochen leidlich Halt erteilt. Ich kalkuliere, daß wenigstens einer der beiden Reiter verwundet worden ist. Und nun schaut her ins feuchte Wasser! Sehr ihr die beiden muschelförmigen Vertiefungen des Grundsandes? Da haben sich die zwei Pferde im Wasser gewälzt. Das tun nur indianische Pferde. Man hatte ihnen die Sättel abgenommen, damit sie sich wälzen und erfrischen könnten, was man den Tieren nur dann erlaubt, wenn sie noch einen anstrengenden Weg vor sich haben. Wir dürfen also mit Sicherheit annehmen, daß die beiden Reiter sich hier nicht länger verweilt haben, als zur Anfertigung des Bastgurtes notwendig war, und dann weiter geritten sind. Das Resultat unserer Untersuchung ist also folgendes. Zwei Reiter auf indianischen Pferden, von denen wenigstens einer verwundet war, und die es so eilig hatten, daß sie drüben die Pferde nicht trinken ließen, weil sie hüben die Linde stehen sahen, deren Bast sie als Verband benutzen wollten. Nach Anlegung dieses Verbandes sind sie schnell wieder fortgeritten. Was folgt daraus, Mesch’schurs? Strengt Ihr einmal Euer Gehirn an!“ forderte der Alte mich auf.

„Will es versuchen,“ antwortete ich. „Aber Ihr dürft mich nicht auslachen, wenn ich nicht das Richtige treffe!“

„Fällt mir gar nicht ein! Ich betrachte Euch als meinen Schüler, und von einem Lehrlinge kann man doch kein ausgewachsenes Urteil verlangen.“

„Da die beiden Pferde indianische waren, so vermute ich, daß ihre Besitzer zu einem roten Stamme gehörten. Ich muß dabei an die Ereignisse in Fort Inge denken. Der eine der Apachen entkam, wurde aber verwundet. Winnetou ritt auch schleunigst davon, ist dem ersteren jedenfalls ohne Aufenthalt nachgefolgt und hat denselben, da er ein ausgezeichnetes Pferd besitzt, wohl bald eingeholt.“

„Nicht übel!“ nickte Old Death. „Wißt Ihr noch etwas?“

„Ja. Es kam den beiden Apachen vor allen Dingen darauf an, so schnell wie möglich ihre Stammesgenossen zu erreichen, um ihnen die im Fort erlittene Schmach mitzuteilen und sie darauf aufmerksam zu machen, daß die Ankunft der feindlichen Comanchen baldigst zu erwarten sei. Daher ihre große Eile. Also haben sie sich erst hier Zeit genommen, die Wunde zu verbinden, zumal sie sich vorher gesagt haben, daß am Flusse wohl Bast zu finden sei. Und daher haben sie ihren Pferden nur die notwendigste Erfrischung gegönnt und sind dann sofort weiter geritten.“

„So ist es. Ich bin zufrieden mit Euch. Ich halte es für gar nicht zweifelhaft, daß es Winnetou mit dem entkommenen Friedensunterhändler war. Wir kommen freilich zu spät, um draußen im Grase ihre Fährte zu finden; aber ich kann mir denken, welche Richtung sie eingeschlagen haben. Sie mußten über den Rio Grande, grade wie wir, haben die gradeste Richtung eingeschlagen, was auch wir tun werden, und so kalkuliere ich, daß wir wohl noch auf irgend ein Zeichen von ihnen stoßen werden. Nun wollen wir uns nach einem Platze umsehen, an dem wir lagern können, denn morgen müssen wir möglichst zeitig aufbrechen.“

Sein geübtes Auge fand sehr bald eine passende Stelle, ein rund von Büschen umgebenes, offenes Plätzchen, dicht mit saftigem Grase bestanden, an welchem unsere Pferde sich gütlich tun konnten. Wir sattelten sie ab und pflockten sie an den Lassos an, welche wir aus La Grange mitgenommen hatten. Dann lagerten wir uns nieder und hielten von dem Reste unseres Speisevorrates ein bescheidenes Abendmahl. Auf meine Erkundigung, ob wir nicht ein Lagerfeuer anbrennen wollten, antwortete Old Death, indem er eine spöttisch pfiffige Miene zog:

„Habe diese Frage von Euch erwartet, Sir. Habt wohl früher manche schöne Indianergeschichte von Cooper und Anderen gelesen? Haben Euch wohl sehr gefallen, diese hübschen Sachen?“

„Ziemlich.“

„Hm, ja! Das liest sich so gut; das geht alles so glatt und reinlich. Man brennt sich die Pfeife oder die Zigarre an, setzt sich auf das Sofa, legt die Beine hoch und vertieft sich in das schöne Buch, welches der Leihbibliothekar geschickt hat. Aber lauft nur einmal selbst hinaus in den Urwald, in den fernen Westen! Da geht es wohl ein wenig anders zu, als es in solchen Büchern zu lesen ist. Cooper ist ein ganz tüchtiger Romanschreiber gewesen, und auch ich habe seine Lederstrumpferzählungen genossen; aber im Westen war er nicht. Er hat es ausgezeichnet verstanden, die Poesie mit der Wirklichkeit zu verbinden; aber im Westen hat man es eben nur mit der letzteren zu tun, und von der Poesie habe wenigstens ich noch keine Spur entdecken können. Da liest man von einem hübsch brennenden Lagerfeuer, an welchem eine saftige Büffellende gebraten wird. Aber ich sage Euch, wenn wir jetzt ein Feuerchen anzündeten, so würde der Brandgeruch jeden Indsman herbeilocken, welcher sich innerhalb einer um uns gezogenen Kreislinie befindet, deren Halbmesser von hier weg zwei englische Meilen beträgt.“

„Eine Stunde fast! Ist das möglich?“

„Werdet wohl noch erfahren, was für Nasen die Roten haben. Und wenn sie es nicht riechen sollten, so wittern es ihre Pferde, welche es ihnen durch jenes fatale Schnauben verraten, das den Tieren anerzogen ist und schon manchem Weißen das Leben gekostet hat. Darum meine ich, wir sehen heute von der Poesie eines Lagerfeuers ab.“

„Aber es steht doch wohl nicht zu befürchten, daß sich Indianer in unserer Nähe befinden, weil die Comanchen noch nicht unterwegs sein können. Bevor die Unterhändler heim gekommen sind und die dann ausgesendeten Boten die Krieger der verschiedenen Stämme zusammengeholt haben, muß eine leidliche Zeit vergehen.“

„Hin! Was so ein Greenhorn doch für kluge Reden halten kann! Leider habt Ihr dreierlei vergessen. Nämlich erstens befinden wir uns eben im Comanchengebiete. Zweitens sind ihre Krieger bereits bis hinüber ins Mexiko geschwärmt. Und drittens sind auch die Zurückgebliebenen nicht erst langsam zusammenzutrommeln, sondern jedenfalls längst versammelt und zum Kriegszuge gerüstet. Oder haltet Ihr die Comanchen für so dumm, die Abgesandten der Apachen zu töten, ohne zum sofortigen Aufbruche gerüstet zu sein? Ich sage Euch, der Verrat gegen diese Abgesandten war keineswegs eine Folge augenblicklichen Zornes; er war vorher überlegt und beschlossen. Ich kalkuliere, daß es am Rio Grande bereits Comanchen gibt, und befürchte, daß es Winnetou sehr schwer sein wird, unbemerkt an ihnen vorüber zu kommen.“

„So haltet Ihr es mit den Apachen?“

„Im Stillen, ja. Ihnen ist unrecht geschehen. Sie sind schändlich überfallen worden. Zudem habe ich grad für diesen Winnetou eine außerordentliche Sympathie. Aber die Klugheit verbietet uns, Partei zu ergreifen. Wollen uns gratulieren, wenn wir mit heller Haut unser Ziel erreichen, und es uns ja nicht einfallen lassen, entweder mit der einen oder der andern Seite zu liebäugeln. Übrigens habe ich keine allzu große Veranlassung, mich vor den Comanchen zu fürchten. Sie kennen mich. Ich habe ihnen wissentlich niemals ein Leid getan und bin oft bei ihnen gewesen und ganz freundlich aufgenommen worden. Einer ihrer bekanntesten Häuptlinge, Oyo-koltsa, zu deutsch der weiße Biber, ist sogar mein besonderer Freund, dein ich einen Dienst geleistet habe, welchen nie zu vergessen er mir versprochen hat. Das geschah droben am Red River, wo er von einer Truppe Tschickasahs überfallen wurde und sicher Skalp und Leben hätte lassen müssen, wenn ich nicht dazugekommen wäre. Diese Freundschaft ist jetzt für uns von großer Wichtigkeit. Ich werde mich auf dieselbe berufen, wenn wir auf Comanchen stoßen und von ihnen feindselig behandelt werden sollten. Übrigens sind wir fünf Männer, und ich hoffe, daß ein jeder von uns mit seinem Gewehre umzugehen versteht. Ehe ein Roter meine Kopfhaut samt der Frisur bekommt, müßten vorher ein Dutzend seiner Gefährten sich Billetts nach den ewigen Jagdgründen lösen. Wir müssen auf alle Fälle vorbereitet sein und uns grad so verhalten, als ob wir uns im feindlichen Lande befänden. Darum werden wir nicht alle fünf zugleich schlafen, sondern einer muß wachen, und die Wache wird von Stunde zu Stunde abgelöst. Wir losen mit Grashalmen von verschiedener Länge, um die Reihenfolge der Wache zu bestimmen. Das gibt fünf Stunden Schlafes, woran wir genug haben können.“

Er schnitt fünf Halme ab. Ich bekam die letzte Wache. Indessen war es Nacht und ganz dunkel geworden. So lange wir noch nicht schliefen, brauchten wir keine Wache, und zum Schlafen war keiner von uns aufgelegt. Wir steckten uns Zigarren an und erfreuten uns einer anregenden Unterhaltung, welche dadurch sehr interessant wurde, daß Old Death uns verschiedene seiner Erlebnisse erzählte. Ich bemerkte, daß er dieselben so auswählte, daß wir beim Zuhören lernen konnten. So verging die Zeit. Ich ließ die Uhr repetieren, sie gab halb elf an. Plötzlich hielt Old Death inne und lauschte aufmerksam. Eins unserer Pferde hatte geschnaubt, und zwar auf eine so eigenartige Weise, wie vor Aufregung und Angst, daß es auch mir aufgefallen war.

„Hm!“ brummte er. „Was war denn das? Habe ich nicht recht gehabt, als ich zu Cortesio sagte, daß unsere beiden Klepper bereits in der Prairie gewesen seien? So schnaubt nur ein Tier, welches einen Westmann getragen hat. In der Nähe muß sich irgend etwas Verdächtiges befinden. Aber seht euch ja nicht um, Mesch’schurs! Zwischen dem Gebüsch ist es stockdunkel, und wenn man die Augen anstrengt, in solcher Finsternis etwas zu sehen, So erhalten sie, ohne daß man es ahnt, einen Glanz, welchen der Feind bemerken kann. Schaut also ruhig vor euch nieder! Ich selbst werde umherlugen und dabei den Hut ins Gesicht ziehen, damit meine Augen nicht leicht zu bemerken sind. Horcht! Abermals! Rührt euch nicht!“

Das Schnauben hatte sich wiederholt. Eins der Pferde – es war wohl das meinige – stampfte mit den Hufen, als ob es sich von dem Lasso reißen wollte. Wir schwiegen, was ich für ganz natürlich hielt. Aber Old Death flüsterte:

„Was fällt euch denn ein, jetzt so plötzlich still zu sein! Wenn jemand wirklich in der Nähe ist und uns belauscht, so hat er uns sprechen gehört und bemerkt nun aus dem Schweigen, daß uns das Schnauben des Pferdes aufgefallen ist und unsern Verdacht erregt hat. Also redet, redet weiter! Erzählt euch etwas, gleichviel, was es ist.“

Da aber sagte der Neger leise:

„Sam wissen, wo Mann sein. Sam haben sehen zwei Augen.“

„Gut! Aber schau nicht mehr hin, sonst sieht er auch deine Augen. Wo ist es denn?“

„Wo Sam haben anhängen sein Pferd, rechts bei den wilden Pflaumensträuchern. Ganz tief unten am Boden ganz schwach funkeln sehen zwei Punkte.“

„Gut! Ich werde mich in den Rücken des Mannes schleichen und ihn ein wenig beim Genick nehmen. Daß mehrere da sind, ist nicht zu befürchten, denn in diesem Falle würden sich unsere Pferde wohl ganz anders verhalten. Sprecht also laut fort! Das hat doppelten Nutzen, denn erstens denkt da der Mann, daß wir keinen Verdacht mehr haben, und zweitens verdeckt euer Sprechen das Geräusch, welches ich bei dieser Finsternis nur sehr schwer vermeiden kann.“

Er stand auf und verließ den Platz nach der entgegengesetzten Seite. Lange warf mir eine laute Frage hin, welche ich ebenso laut beantwortete. Daraus entspann sich ein Wortwechsel, welchem eine lustige Färbung zu geben ich mich bemühte, damit wir Grund zum Lachen bekamen. Lautes Lachen war wohl am geeignetsten, den Lauscher von unserer Sorglosigkeit zu überzeugen und ihn nichts von Old Deaths Annäherung hören zu lassen. Will und auch der Neger stimmten ein, und so waren wir wohl über zehn Minuten lang ziemlich laut, bis dann Old Deaths Stimme sich hören ließ:

„Holla! Schreit nicht länger wie Löwen! Es ist nicht mehr nötig, denn ich habe ihn. Werde ihn bringen.“

Wir hörten es dort, wo des Negers Pferd angepflockt stand, rascheln, und dann kam der Alte schweren Schrittes herbei, um die Last, welche er trug, vor uns niederzulegen.

„So!“ sagte er. „Das war ein sehr leichter Kampf, denn der Lärm, den ihr machtet, war so bedeutend, daß dieser Indsman sogar ein Erdbeben mit allem, was dazu gehört, nicht hätte bemerken können.“

„Ein Indianer? So sind noch mehrere in der Nähe?“

„Möglich, aber nicht wahrscheinlich. Aber nun möchten wir doch ein wenig Licht haben, um uns den Mann ansehen zu können. Habe da vorn trockenes Laub und auch ein kleines verdorrtes Bäumchen gesehen. Werde es holen. Achtet einstweilen auf den Mann!“

„Er bewegt sich nicht. Ist er tot?“

„Nein, aber sein Bewußtsein ist ein wenig spazieren gegangen. Habe ihm mit seinem eigenen Gürtel die Hände auf den Rücken gebunden. Ehe die Besinnung ihm wiederkommt, werde auch ich zurück sein.“

Er ging, um das erwähnte Bäumchen abzuschneiden, welches wir, als er es gebracht hatte, mit den Messern zerkleinerten. Zündhölzer hatten wir, und so brannte bald ein kleines Feuer, dessen Schein hinreichte, den Gefangenen genau betrachten zu können. Das Holz war so trocken, daß es fast gar keinen Rauch verbreitete.

Jetzt sahen wir uns den Roten an. Er trug indianische Hosen mit Lederfransen, ein eben solches Jagdhemde und einfache Mokassins ohne alle Verzierung. Sein Kopf war glatt geschoren, so daß man auf der Mitte des Scheitels nur die Skalplocke stehen gelassen hatte. Sein Gesicht war mit Farbe bemalt, schwarze Querstriche auf gelbem Grunde. Seine Waffen und alles, was an seinem Ledergürtel gehangen hatte, waren ihm von Old Death genommen worden. Diese Waffen bestanden in einem Messer und Bogen mit ledernem Pfeilköcher. Die beiden letzteren Gegenstände waren mit einem Riemen zusammengebunden. Er lag bewegungslos und mit geschlossenen Augen da, als ob er tot sei.

„Ein einfacher Krieger,“ sagte Old Death, „der nicht einmal den Beweis, daß er einen Feind erlegt hat, bei sich trägt. Er hat weder den Skalp eines von ihm Besiegten am Gürtel hängen, noch sind seine Leggins mit Menschenhaarfransen versehen. Nicht einmal einen Medizinbeutel trägt er bei sich. Er besitzt also entweder noch keinen Namen oder er hat ihn verloren, weil ihm seine Medizin abhanden gekommen ist. Nun ist er als Kundschafter verwendet worden, weil das eine gefährliche Sache ist, bei welcher er sich auszeichnen, einen Feind erlegen und also sich wieder einen Namen holen kann. Schaut, er bewegt sich. Er wird gleich zu sich kommen. Seid still!“

Der Gefangene streckte die Glieder und holte tief Atem. Als er fühlte, daß ihm die Hände gebunden waren, ging es wie ein Schreck durch seinen Körper. Er öffnete die Augen, machte einen Versuch, emporzuspringen, fiel aber wieder nieder. Nun starrte er uns mit glühenden Augen an. Als sein Blick dabei auf Old Death fiel, entfuhr es seinem Munde:

„Koscha-pehve!“ Das ist ein Comanchenwort und heißt genau so viel wie Old Death = der alte Tod.

„Ja, ich bin es,“ nickte der Scout. „Kennt mich der rote Krieger?“

„Die Söhne der Comanchen kennen den Mann, welcher diesen Namen führt, sehr genau, denn er ist bei ihnen gewesen.“

„Du bist ein Comanche. Ich sah es an den Farben des Krieges, welche du im Gesichte trägst. Wie lautet dein Name?“

„Der Sohn der Comanchen hat seinen Namen verloren und wird nie wieder einen tragen. Er zog aus, ihn sich zu holen; aber er ist in die Hände der Bleichgesichter gefallen und hat Schimpf und Schande auf sich geladen. Er bittet die weißen Krieger, ihn zu töten. Er wird den Kriegsgesang anstimmen, und sie sollen keinen Laut der Klage hören, wenn sie seinen Leib am Marterpfahle rösten.“

„Wir können deine Bitte nicht erfüllen, denn wir sind Christen und deine Freunde. Ich habe dich gefangen genommen, weil es so dunkel war, daß ich nicht sehen konnte, daß du ein Sohn der mit uns in Frieden lebenden Comanchen bist. Du wirst am Leben bleiben und noch viele große Taten verrichten, so daß du dir einen Namen holst, vor welchem eure Feinde erzittern. Du bist frei.“

Er band ihm die Hände los. Ich hatte erwartet, daß der Comanche nun erfreut aufspringen werde; aber er tat es nicht, er blieb liegen, als ob er noch gefesselt sei, und sagte:

„Der Sohn der Comanchen ist doch nicht frei. Er will sterben. Stoß ihm dein Messer in das Herz!“

„Dazu habe ich keinen Anlaß und nicht die mindeste Lust. Warum soll ich dich töten?“

„Weil du mich überlistet und gefangen genommen hast. Wenn die Krieger der Comanchen es erfahren, werden sie mich von sich jagen und sagen: Erst hatte er die Medizin und den Namen verloren, und dann lief er in die Hände des Bleichgesichtes. Sein Auge ist blind und sein Ohr taub, und er wird niemals würdig sein, das Zeichen des Kriegers zu tragen.“

Er sagte das in so traurigem Tone, daß er mir wirklich leid tat. Ich konnte zwar nicht alle seine Worte verstehen, denn er sprach ein sehr mit Comanchen-Ausdrücken gespicktes Englisch; aber was ich nicht verstand, das suchte ich zu erraten.

„Unser roter Bruder trägt keine Schande auf seinem Haupte,“ sagte ich schnell, ehe Old Death antworten konnte. „Von einem berühmten Bleichgesichte, wie Koscha-pehve, überlistet zu werden, ist keine Schande, und übrigens werden die Krieger der Comanchen es nie erfahren, daß du unser Gefangener gewesen bist. Unser Mund wird darüber schweigen.“

„Und wird Koscha-pehve dies bestätigen?“ fragte der Indianer.

„Sehr gern,“ stimmte der Alte bei. „Wir werden tun, als ob wir uns ganz friedlich getroffen hätten. Ich bin euer Freund, und es ist kein Fehler von dir, wenn du offen zu mir trittst, sobald du erkannt hast, daß ich es bin.“

„Mein weißer, berühmter Bruder spricht Worte der Freude für mich. Ich traue seiner Rede und kann mich erheben, denn ich werde nicht mit Schimpf zu den Kriegern der Comanchen zurückkehren. Den Bleichgesichtern aber werde ich für ihre Verschwiegenheit dankbar sein, so lange meine Augen die Sonne sehen.“

Er erhob sich in sitzende Stellung und tat einen tiefen, tiefen Atemzug. Seinem dick beschmierten Gesichte war keine Gemütsbewegung anzusehen, aber doch bemerkten wir sofort, daß wir ihm das Herz sehr erleichtert hatten. Natürlich überließen wir es dem erfahrenen Scout, die Unterhaltung mit ihm fortzusetzen. Der Alte zögerte auch gar nicht, dies zu tun. Er sagte:

„Unser roter Freund hat gesehen, daß wir es gut mit ihm meinen. Wir hoffen, daß auch er uns als seine Freunde betrachten und also meine Fragen aufrichtig beantworten werde.“

„Koscha-pelive mag fragen. Ich sage nur die Wahrheit.“

„Ist mein indianischer Bruder allein ausgezogen, vielleicht nur, um einen Feind oder ein gefährliches, wildes Tier zu erlegen, damit er mit einem neuen Namen in sein Wigwarn zurückkehre? Oder sind noch andere Krieger bei ihm?“

„So viele, wie Tropfen da im Flusse laufen.“

„Will mein roter Bruder damit sagen, daß sämtliche Krieger der Comanchen ihre Zelte verlassen haben?“

„Sie sind ausgezogen, um sich die Skalpe ihrer Feinde zu holen.“

„Welcher Feinde?“

„Der Hunde der Apachen. Es ist von den Apachen ein Gestank ausgegangen, welcher bis zu den Zelten der Comanchen gedrungen ist. Darum haben sie sich auf ihre Pferde gesetzt, um die Coyoten von der Erde zu vertilgen.“

„Haben sie vorher den Rat der alten, weisen Häuptlinge gehört?“

„Die betagten Krieger sind zusammengetreten und haben den Krieg beschlossen. Dann mußten die Medizinmänner den großen Geist befragen, und die Antwort Manitous ist befriedigend ausgefallen. Von den Lagerstätten der Comanchen bis zum großen Flusse, welchen die Bleichgesichter Rio Grande del Norte nennen, wimmelt es bereits von unsern Kriegern. Die Sonne ist viermal untergegangen, seit das Kriegsbeil von Zelt zu Zelt getragen wurde.“

„Und mein roter Bruder gehört zu einer solchen Kriegerschar?“

„Ja. Wir lagern oberhalb dieser Stelle am Flusse. Es wurden Kundschafter ausgesandt, um zu untersuchen, ob die Gegend sicher sei. Ich ging abwärts und kam hierher, wo ich die Pferde der Bleichgesichter roch. Ich kroch zwischen die Büsche, um ihre Zahl zu erfahren; da aber kam Koschapehve über mich und tötete mich für kurze Zeit.“

„Das ist vergessen, und niemand soll davon sprechen. Wie viele Krieger der Comanchen sind es, welche da oben lagern?“

„Es sind ihrer grad zehnmal zehn.“

„Und wer ist ihr Anführer?“

Avat-vila, der junge Häuptling.“

„Den kenne ich nicht und habe seinen Namen noch niemals gehört.“

„Er hat diesen Namen erst vor wenigen Monaten erhalten, weil er in den Bergen den grauen Bären getötet hatte und dessen Fell und Klauen mitbrachte. Er ist der Sohn von Oyo-koltsa, den die Bleichgesichter den weißen Biber nennen.“

„O, den kenne ich. Er ist mein Freund.“

„Ich weiß es, denn ich habe dich bei ihm gesehen, als du der Gast seines Zeltes warst. Sein Sohn, der große Bär, wird dich freundlich empfangen.“

„Wie weit ist der Ort von hier entfernt, an welchem er mit seinen Kriegern lagert?“

„Mein weißer Bruder wird nicht die Hälfte der Zeit reiten, welche er eine Stunde nennt.“

„So werden wir ihn bitten, seine Gäste sein zu dürfen. Mein roter Freund mag uns führen.“

Nach kaum fünf Minuten saßen wir auf und ritten fort; der Indianer schritt uns voran. Er führte uns erst unter den Bäumen hinaus bis dahin, wo das Terrain offen war, und nun wendete er sich flußaufwärts.

Nach einer guten Viertelstunde tauchten mehrere dunkle Gestalten vor uns auf. Es waren die Lagerposten. Der Führer wechselte einige Worte mit ihnen und entfernte sich dann. Wir aber mußten halten bleiben. Nach einiger Zeit kehrte er zurück, um uns zu holen. Es war stockdunkel. Der Himmel hatte sich getrübt, und kein Stern war mehr zu erkennen. Ich schaute fleißig nach rechts und nach links, konnte aber nichts erkennen. Nun mußten wir wieder anhalten. Der Führer sagte:

„Meine weißen Brüder mögen sich nicht mehr vorwärts bewegen. Die Söhne der Comanchen brennen während eines Kriegszuges kein Feuer an, aber jetzt sind sie überzeugt, daß sich kein Feind in der Nähe befindet, und so werden sie Feuer machen.“

Er huschte fort. Nach wenigen Augenblicken sah ich ein glimmendes Pünktchen, so groß wie eine Stecknadelkuppe.

„Das ist Punks,“ erklärte Old Death.

„Was ist Punks?“ erkundigte ich mich, indem ich mich unwissend stellte.

„Das Prairiefeuerzeug. Zwei Hölzer, ein breites und ein dünnes, rundes. Das breite hat eine kleine Vertiefung, welche mit Punks, d. h. mit trockenem Moder aus hohlen, ausgefaulten Bäumen gefüllt wird. Das ist der beste Zunder, den es gibt. Das dünne Stäbchen wird dann auch in die Vertiefung auf den Moder gesetzt und mit beiden Händen schnell wie ein Quirl bewegt. Durch diese Reibung erhitzt und entzündet sich der Zunder. Seht!“

Ein Flämmchen flackerte auf und ward zur großen, von einem trockenen Laubhaufen genährten Flamme. Doch bald sank sie wieder nieder, denn der Indianer duldet keinen weit leuchtenden Feuerschein. Es wurden Aststücke angelegt und zwar rund im Kreise, so daß sie mit einem Ende nach dem Mittelpunkte zeigten. Auf diesem Zentrum brannte das Feuer, welches auf diese Weise leicht zu regeln war, denn je nachdem man das Holz näher heran oder zurückschob, wurde das Feuer groß oder kleiner. Als das Laub hoch aufflammte, sah ich, wo wir uns befanden. Wir hielten unter Bäumen und waren rings von Indianern umgeben, welche ihre Waffen in den Händen hielten. Nur einige wenige hatten Gewehre, die andern waren mit Lanzen, Pfeilen und Bogen bewaffnet. Alle aber trugen Tomahawks, jenes fürchterliche Kriegsbeil der Indianer, welches in der Hand eines geübten Kriegers eine weit gefährlichere Waffe ist, als man gewöhnlich annimmt. Als das Feuer geregelt war, erhielten wir die Weisung, abzusteigen. Man führte unsere Pferde fort, und nun befanden wir uns in der Gewalt der Roten, denn ohne Pferde war in dieser Gegend nichts zu machen. Zwar hatte man uns die Waffen nicht abverlangt, aber fünf gegen hundert ist kein sehr erquickliches Verhältnis.

Wir durften zum Feuer treten, an welchem ein einzelner Krieger saß. Man konnte ihm nicht ansehen, ob er jung oder alt war, denn auch sein Gesicht war über und über gefärbt und zwar ganz in denselben Farben und in derselben Weise wie dasjenige des Kundschafters. Sein Haar hatte er in einen hohen Schopf geflochten, in welchem die Feder des weißen Kriegsadlers steckte. An seinem Gürtel hingen zwei Skalpe, und an einer um seinen Hals gehenden Schnur waren der Medizinbeutel und das Kalumet, die Friedenspfeife, befestigt. Quer über seinen Knieen lag die Flinte, ein altes Ding von anno zwanzig oder dreißig. Er blickte uns nacheinander aufmerksam an. Den Schwarzen schien er nicht zu sehen, denn der rote Mann verachtet den Neger.

„Der tut stolz,“ sagte Old Death in deutscher Sprache, um von den Roten nicht verstanden zu werden. „Wir wollen ihm zeigen, daß auch wir Häuptlinge sind. Setzt euch also auch, und laßt mich reden!“

Er setzte sich dem Häuptlinge gegenüber, und wir taten dasselbe. Nur Sam blieb stehen, denn er wußte, daß er als Schwarzer sein Leben wage, wenn er den Vorzug der Häuptlinge, am Feuer zu sitzen, auch für sich in Anspruch nehme.

„Uff!“ rief der Indianer zornig, und stieß noch mehrere Worte hervor, welche ich indessen nicht verstand.

„Verstehst du die Sprache der Bleichgesichter?“ fragte Old Death den Indsman.

„Avat-vila versteht sie; aber er spricht sie nicht, weil es ihm nicht beliebt,“ antwortete der Häuptling, wie Old Death uns augenblicklich übersetzte.

„Ich bitte dich aber, sie jetzt zu sprechen!“

„Warum?“

„Weil meine Gefährten die Sprache der Comanchen nicht verstehen und doch auch wissen müssen, was gesprochen wird.“

„Sie befinden sich bei den Comanchen und haben sich der Sprache derselben zu bedienen. Das fordert die Höflichkeit.“

„Du irrst. Sie können sich keiner Sprache bedienen, welche sie nicht kennen. Das siehst du wohl ein. Und sie befinden sich hier als Gäste der Comanchen. Also haben sie die Höflichkeit zu fordern, welche du von ihnen verlangst, Du kannst englisch sprechen. Wenn du es nicht redest, so glauben sie nicht, daß du es kannst.“

„Uff!“ rief er. Und dann fuhr er in gebrochenem Englisch fort: „Ich habe gesagt, daß ich es kann, und ich lüge nicht. Wenn sie es nicht glauben, so beleidigen sie mich, und ich lasse sie töten! Warum habt ihr es gewagt, euch zu mir zu setzen?“

„Weil wir als Häuptlinge das Recht dazu haben.“

„Wessen Häuptling bist du?“

„Der Häuptling der Scouts.“

„Und dieser?“ Dabei deutete er auf Lange.

„Der Häuptling der Schmiede, welche Waffen verfertigen.“

„Und dieser?“ Er meinte Will.

„Dieser ist sein Sohn und macht Schwerter, mit denen man die Köpfe spaltet, auch Tomahawks.“

Das schien zu imponieren, denn der Rote sagte:

„Wenn er das kann, so ist er ein sehr geschickter Häuptling. Und dieser da?“ Er nickte gegen mich hin.

„Dieser berühmte Mann ist aus einem fernen Lande weit über das Meer herübergekommen, um die Krieger der Comanchen kennen zu lernen. Er ist ein Häuptling der Weisheit und Kenntnis aller Dinge und wird nach seiner Rückkehr Tausenden erzählen, was für Männer die Comanchen sind.“

Das schien über das Begriffsvermögen des Roten zu gehen. Er betrachtete mich sehr sorgsam und sagte dann.

„So gehört er unter die klugen und erfahrenen Männer? Aber sein Haar ist nicht weiß.“

„In jenem Lande werden die Söhne gleich so klug geboren, wie hier die Alten.“

„So muß der große Geist dieses Land sehr lieb haben. Aber die Söhne der Comanchen bedürfen seiner Weisheit nicht, denn sie sind selbst klug genug, um zu wissen, was zu ihrem Glücke erforderlich ist. Die Weisheit scheint nicht mit ihm in dieses Land gekommen zu sein, weil er es wagt, unsern Kriegspfad zu kreuzen. Wenn die Krieger der Comanchen den Tomahawk ausgegraben haben, dulden sie keine weißen Männer bei sich.“

„So scheinst du nicht zu wissen, was eure Abgesandten in Fort Inge gesagt haben. Sie haben versichert, daß sie nur mit den Apachen Krieg führen wollen, aber den Bleichgesichtern freundlich gesinnt bleiben werden.“

„Sie mögen halten, was sie gesagt haben, ich aber war nicht dabei.“

Er hatte bisher in einem sehr feindlichen Tone gesprochen; Old Death hatte seine Antworten in freundlicher Weise gegeben. Jetzt hielt er es für geraten, seinen Ton zu ändern, und fuhr zornig auf:

„So sprichst du? Wer bist du denn eigentlich, daß du es wagst, zu Koscha-pehve solche Worte zu sagen? Warum hast du mir deinen Namen nicht genannt? Hast du einen? Wenn nicht, so nenne mir denjenigen deines Vaters!“

Der Häuptling schien vor Erstaunen über diese Kühnheit ganz starr zu sein, sah dem Sprecher eine lange, lange Weile unverwandt in das Gesicht und antwortete dann:

„Mann! Soll ich dich zu Tode martern lassen?“

„Das wirst du bleiben lassen!“

„Ich bin Avat-vila, der Häuptling der Comanchen.“

„Avat-vila? Der große Bär Als ich den ersten Bären erlegte, war ich ein Knabe und seit jener Zeit habe ich so viele Grizzlys getötet, daß ich meinen ganzen Körper mit ihren Klauen behängen könnte. Wer einen Bären erlegt hat, der ist in meinen Augen noch kein großer Held.“

„So sieh die Skalpe an meinem Gürtel!“

Pshaw! Hätte ich allen denen, welche ich besiegte, die Skalplocke genommen, so könnte ich deine ganze Kriegerschar mit denselben schmücken. Auch das ist nichts!“

„Ich bin der Sohn von Oyo-koltsa, dem großen Häuptlinge!“

„Das will ich eher als eine Empfehlung gelten lassen. Ich habe mit dem weißen Biber die Pfeife des Friedens geraucht. Wir schworen einander, daß seine Freunde auch die meinigen, meine Freunde auch die seinigen sein sollten, und haben stets Wort gehalten. Hoffentlich ist sein Sohn ebenso gesinnt, wie der Vater!“

„Du redest eine kühne Sprache. Hältst du die Krieger der Comanchen für Mäuse, welche der Hund anzubellen wagt, wie es ihm beliebt?“

„Wie sagst du? Hund? Hältst du Old Death für einen Hund, den man nach Belieben prügeln darf? Dann würde ich dich augenblicklich nach den ewigen Jagdgründen senden!“

„Uff! Hier stehen hundert Männer!“

Er zeigte mit der Hand ringsum.

„Gut!“, erwiderte der Alte. „Aber hier sitzen wir, und wir zählen ebensoviel wie deine hundert Comanchen. Sie alle können nicht verhüten, daß ich dir eine Kugel in den Leib jage. Und dann würden wir auch mit ihnen ein Wort reden. Sieh her! Hier habe ich zwei Revolver. In jedem stecken sechs Kugeln. Meine vier Gefährten sind ebenso bewaffnet, das gibt sechzig Kugeln, und sodann haben wir noch die Büchsen und Messer. Bevor wir überwunden würden, müßte die Hälfte deiner Krieger sterben.“

So war mit dem Häuptling noch nicht gesprochen worden. Fünf Männer gegen hundert! Und doch trat der Alte in dieser Weise auf! Das schien dem Roten unbegreiflich, und darum sagte er:

„Du mußt eine starke Medizin besitzen!“

„Ja, ich habe eine Medizin, ein Amulett, welches bisher jeden meiner Feinde in den Tod geschickt hat, und so wird es auch bleiben. Ich frage dich, ob du uns als Freund anerkennen willst oder nicht!“

„Ich werde mich mit meinen Kriegern beraten.“

„Ein Häuptling der Comanchen muß seine Leute um Rat fragen? Das habe ich bisher nicht geglaubt. Weil du es aber sagst, so muß ich es glauben. Wir sind Häuptlinge, welche tun, was ihnen beliebt. Wir haben also mehr Ansehen und Macht als du und können folglich nicht mit dir am Feuer sitzen. Wir werden unsere Pferde besteigen und davonreiten.“

Er stand auf, noch immer die beiden Revolver in der Hand. Auch wir erhoben uns. Der große Bär fuhr von seinem Sitze auf, als ob er von einer Natter gestochen worden sei. Seine Augen flammten und seine Lippen öffneten sich, so daß man die weißen Zähne sehen konnte. Er kämpfte sicherlich einen harten Kampf mit sich selbst. Im Falle eines Kampfes hätten wir die Kühnheit des Alten mit dem Leben bezahlen müssen; aber ebenso sicher war es, daß mehrere oder gar viele der Comanchen von uns getötet oder verwundet wurden. Der junge Häuptling wußte, welch eine furchtbare Waffe so eine Drehpistole ist, und daß er der erste sein würde, den die Kugel treffen müsse. Er war seinem Vater verantwortlich für alles, was geschah, und wenn auch bei den Indianern niemals ein Mann zur Heeresfolge gezwungen wird – folgt er einmal, so ist er einer eisernen Disziplin und unerbittlichen Gesetzen unterworfen. Der Vater stößt seine eigenen Söhne in den Tod. Hat sich einer als feig im Kampfe oder als unfähig erwiesen, als zu wenig kraftvoll, sich selbst zu beherrschen und die Rücksicht für das Allgemeine über seinen persönlichen Regungen stehen zu lassen, so verfällt er der allgemeinen Verachtung, kein anderer Stamm, selbst kein feindlicher, nimmt ihn auf; er irrt ausgestoßen in der Wildnis umher und kann sich nur dadurch einigermaßen wieder einen guten Namen machen, daß er in die Nähe seines Stammes zurückkehrt und sich selbst den langsamsten, qualvollsten Tod gibt, um wenigstens zu beweisen, daß er Schmerzen zu ertragen weiß. Das ist das einzige Mittel, sich den Weg in die ewigen Jagdgründe offen zu halten. Der Gedanke an diese Jagdgründe ist es, welcher den Indianer zu allem treibt, dessen ein Anderer unfähig wäre.

Diese Erwägungen mochten jetzt durch die Seele des Roten gehen. Sollte er uns ermorden lassen, um dann seinem Vater sagen oder, falls er fiel, durch die Überlebenden wissen lassen zu müssen, daß er unfähig gewesen sei, sich zu beherrschen, daß er, um den Häuptling zu spielen, dem Freunde seines Vaters das Gastrecht verweigert und ihn und dessen Genossen wie Coyoten angeschnauzt habe? Auf solche Erwägungen hatte Old Death sicher gerechnet. Sein Gesicht zeigte nicht die mindeste Sorge, als er jetzt vor dem Roten stand, die Finger am Drücker der beiden Revolver und ihm fest in die zornblitzenden Augen schauend.

„Fort wollt ihr?“ rief der Indianer. „Wo sind eure Pferde? Ihr werdet sie nicht bekommen! Ihr seid umzingelt!“

„Und du mit uns! Denk an das Angesicht des weißen Bibers! Wenn meine Kugel dich trifft, so wird er nicht sein Haupt verhüllen und die Totenklage über dich anstimmen, sondern er wird sagen: Ich habe keinen Sohn gehabt. Der von Old Death erschossen wurde, war ein unerfahrener Knabe, welcher meine Freunde nicht achtete und nur der Stimme seines Unverstandes gehorchte. Die Schatten derer, welche wir mit dir töten, werden dir den Eintritt in die ewigen Jagdgründe verwehren, und die alten Weiber werden ihren zahnlosen Mund öffnen, um den Anführer zu verspotten, welcher das Leben der ihm anvertrauten Krieger nicht schonte, weil er sich nicht selbst regieren konnte. Sieh, wie ich hier stehe! Sehe ich aus, als ob ich mich fürchte? Ich spreche nicht aus Angst so zu dir, sondern weil du der Sohn meines roten Bruders bist, von dem ich wünsche, daß er seine Freude an dir haben möge. Nun entscheide! Ein falsches Wort an die Deinen, eine falsche Bewegung von dir, und ich schieße; der Kampf beginnt!“

Der Häuptling stand wohl noch eine volle Minute völlig bewegungslos. Man sah ihm nicht an, was in seinem Innern vorging, denn die Farbe lag ihm dick wie Kleister auf dem Gesicht. Plötzlich aber ließ er sich langsam nieder, nestelte das Kalumet von der Schnur und sagte:

„Der große Bär wird mit den Bleichgesichtern die Pfeife des Friedens rauchen.“

„Daran tust du wohl. Wer mit den Scharen der Apachen kämpfen will, darf sich nicht auch die Weißen zu Feinden machen.“

Wir setzten uns auch wieder.

Der große Bär zog seinen Beutel aus dem Gürtel und stopfte die Pfeife mit Kinnikinnik, das ist mit wilden Hanfblättern vermischter Tabak. Er zündete denselben an, erhob sich wieder, hielt eine kurze Rede, welche ich vergessen habe, in welcher aber die Ausdrücke Friede, Freundschaft, weiße Brüder sehr häufig vorkamen, tat sechs einzelne Züge, stieß den Rauch gegen den Himmel, die Erde und die vier Windrichtungen und reichte die Pfeife dann Old Death. Dieser hielt auch eine sehr freundschaftliche Rede, tat dieselben Züge und gab die Pfeife mir mit dem Bemerken, daß er für uns alle gesprochen habe und wir nur die sechs Züge nachzuahmen hätten. Dann ging das Kalumet zu Lange und dessen Sohn. Sam wurde übergangen, denn die Pfeife wäre nie wieder an den Mund eines Indianers gekommen, wenn ein Schwarzer daraus geraucht hätte. Doch war der Neger natürlich in unsern Friedensbund mit einbegriffen. Als diese Zeremonie vorüber war, setzten sich die Comanchen, welche bisher gestanden hatten, in einem weiten Kreise um uns nieder, und der Kundschaftet mußte heran, um zu erzählen, wie er uns getroffen habe. Er stattete seinen Bericht ab und ließ dabei unerwähnt, daß er von Old Death gefangen genommen worden sei. Als er wieder abgetreten war, ließ ich Sam zu den Pferden führen, um mir Zigarren zu holen. Natürlich bekam von den Comanchen niemand als nur der Häuptling eine, denn es hätte meiner Häuptlingsehre geschadet, wenn ich mich gegen gewöhnliche Krieger so brüderlich verhalten hätte. Der große Bär schien zu wissen, was eine Zigarre für ein Ding ist. Sein Gesicht zog sich ganz entzückt in die Breite, und als er sie ansteckte, stieß er bei den ersten Zügen ein Grunzen aus, wie ich es ähnlich dann gehört hatte, wenn sich eines jener bekannten lieblichen Tiere, von denen die Prager und westfälischen Schinken stammen, einmal recht urbehaglich an der Ecke des Stalles reibt. Dann fragte er uns in außerordentlich freundlicher Weise nach dem eigentlichen Zwecke unsers Rittes. Old Death hielt es nicht für notwendig, ihm die Wahrheit zu sagen, sondern erklärte ihm bloß, daß wir einige weiße Männer ereilen wollen, welche nach dem Rio Grande seien, um nach Mexiko zu gehen.

„Da können meine weißen Brüder mit uns reiten,“ meinte der Rote. „Wir brechen auf, sobald wir die Fährte eines Apachen gefunden haben, welche wir suchen.“

„Und aus welcher Richtung soll dieser Mann gekommen sein?“

„Er war da, wo die Krieger der Comanchen mit den Aasgeiern der Apachen sprachen. Die Weißen nennen den Ort Fort Inge. Er sollte getötet werden, aber er entkam. Doch hat er dabei einige Kugeln erhalten, so daß er nicht lange im Sattel hat bleiben können. Er muß hier in dieser Gegend stecken. Haben vielleicht meine weißen Brüder eine Fährte bemerkt?“

Es war klar, daß er den Apachen meinte, welchen Winnetou über den Fluß geführt und dort verbunden hatte. Von dem Letzteren wußte er gar nichts.

„Nein,“ antwortete Old Death, und er sagte damit auch keine Lüge, denn wir hatten keine Fährte, sondern nur einige Stapfen im Flusse gesehen. Es konnte uns natürlich nicht einfallen, Winnetou zu verraten.

„So muß dieser Hund tiefer abwärts am Flusse stecken. Weiter hat er nicht reiten können, wegen seiner Wunden, und weil die Krieger der Comanchen bereit standen, die Apachen diesseits des Flusses zu empfangen, falls sie vom Fort Inge entkommen sollten.“

Das klang ziemlich gefährlich für Winnetou. Ich war freilich der Überzeugung, daß die Comanchen die Spur im Flusse nicht finden würden, da unsere Pferde dieselbe ausgetreten hatten; aber wenn sie bereits seit vier Tagen in dieser Gegend hielten, so war leicht zu vermuten, daß die beiden Apachen einer Abteilung von ihnen in die Hände gefallen seien. Daß der große Bär nichts davon wußte, war noch kein Beweis, daß es nicht geschehen sei. Der schlaue Scout, welcher an alles dachte, machte die Bemerkung:

„Wenn meine roten Brüder suchen, so werden sie die Stelle finden, an welcher wir über den Fluß gekommen sind und einen Baum abgeschält haben. Ich habe eine alte Wunde, welche aufgebrochen ist, und mußte sie mit Bast verbinden. Das ist ein vortreffliches Mittel, welches mein roter Bruder sich merken mag.“

„Die Krieger der Comanchen kennen dieses Mittel, und sie wenden es stets an, wenn sie sich in der Nähe eines Waldes befinden. Mein weißer Bruder hat mir nichts Neues gesagt.“

„So will ich wünschen, daß die tapfren Krieger der Comanchen keine Veranlassung finden, dieses Mittel viel in Anwendung zu bringen. Ich wünsche ihnen Sieg und Ruhm, denn ich bin ihr Freund, und darum tut es mir leid, daß ich nicht bei ihnen bleiben kann. Sie haben hier nach der Fährte zu suchen, wir aber müssen schnell reiten, um die weißen Männer zu ereilen.“

„So werden meine weißen Brüder auf den weißen Biber treffen, welcher sich freuen wird, sie zu sehen, Ich werde ihnen einen Krieger mitgeben, welcher sie zu ihm führen mag.“

„Wo befindet sich dein Vater, der berühmte Häuptling?“

„Wenn ich Old Death diese Frage beantworten will, so muß ich die Orte so benennen, wie die Bleichgesichter es tun. Wenn meine Brüder von hier aus nach Untergang reiten, so kommen sie an den Nebenfluß des Nueces, welcher Turkey-Creek, der Arm des Truthahns, genannt wird. Sodann müssen sie über den Chico-Creek, von wo an sich eine große Wüste bis zum Elm-Creek erstreckt. In dieser Wüste schweifen die Krieger des weißen Bibers, um niemand über die Furt zu lassen, welche oberhalb des Eagle-Paß über den Rio del Norte geht.“

„Teufel!“ entfuhr es dem Scout, doch setzte er schnell hinzu: „Das ist genau der Weg, welchen wir einschlagen müssen! Mein roter Bruder hat uns durch seine Mitteilung außerordentlich erfreut, und ich bin ganz glücklich, den weißen Biber wieder sehen zu können. Jetzt aber werden wir uns zur Ruhe begeben, um zeitig munter zu sein.“

„So werde ich meinen Brüdern selbst den Platz anweisen, an welchem sie sich niederlegen sollen.“

Er stand auf und führte uns zu einem starken, dicht belaubten Baume, unter welchem wir schlafen sollten. Dann ließ er unsere Sättel herbeiholen und die Decken dazu. Er war ein ganz Anderer geworden, seit er das Kalumet mit uns geraucht hatte. Als er wieder fort war, untersuchten wir die Satteltaschen. Es fehlte uns nicht der geringste Gegenstand, was ich sehr anerkennenswert fand. Wir machten die Sättel zu Kopfkissen und legten uns nebeneinander, uns in die Decken hüllend. Bald kamen die Comanchen auch, und wir bemerkten trotz der Dunkelheit, daß sie, sich zur Ruhe legend, einen Kreis um uns bildeten.

„Das darf keinen Verdacht bei uns erwecken“ meinte Old Death. „Sie tun das, um uns in ihren Schutz zu nehmen, nicht aber, um uns etwa an der Flucht zu verhindern. Hat man einmal mit einem Roten die Friedenspfeife geraucht, so kann man sich auf ihn verlassen. Wollen indessen sehen, daß wir von ihnen fortkommen. Habe ihnen einen tüchtigen Bären aufgebunden wegen Winnetou, denn ich mußte sie von seiner Fährte wegbringen. Aber ich kalkuliere, daß es ihm sehr, sehr schwer geworden sein wird, über den Rio Grande zu kommen. Ein Anderer brächte es nicht fertig. Ihm allein traue ich es zu. Aber doppelt bedenklich ist die Sache, da er einen Verwundeten mit hat. Zu solchen Beratungen werden gewöhnlich die erfahrensten Leute gesandt. Darum kalkuliere ich, daß der Mann alt ist. Rechnen wir das Wundfieber dazu, weiches er, besonders bei so einem Parforceritte, bekommen muß, so ist es mir um ihn und Winnetou himmelangst. Na, nun wollen wir schlafen. Gute Nacht!“

Er wünschte Gute Nacht! Ich fand sie aber nicht, denn von Schlaf war bei mir keine Rede, die Sorge um Winnetou ließ mich keine Ruhe finden. Infolgedessen war ich schon munter, oder vielmehr noch immer munter, als sich der Osten zu lichten begann. Ich weckte die Gefährten. Sie erhoben sich völlig geräuschlos, aber sofort standen auch sämtliche Indianer um uns. Jetzt am Tage waren die Rothäute besser zu betrachten als am Abend beim Scheine des spärlichen Feuers. Es überkam mich eine Art von Gruseln, als ich die abscheulich bemalten Gesichter und die abenteuerlich gekleideten Gestalten erblickte. Nur wenige von ihnen hatten ihre Blöße vollständig bedeckt. Viele von ihnen waren mit armseligen Lumpen behangen, welche von Ungeziefer zu strotzen schienen, aber alle waren starke, kräftige Gestalten, wie ja grad der Stamm der Comanchen als derjenige bekannt ist, welcher die schönsten Männer hat. Von den Frauen darf man in dieser Beziehung freilich nicht reden. Die Squaw ist die verachtete Sklavin des Roten.

Der Häuptling fragte uns, ob wir speisen wollten, und brachte uns wirklich einige Stücke sehniges Fleisch, welches vom Pferde stammte und zugeritten war. Wir dankten unter dem Vorgeben, daß wir noch mit Vorrat versehen seien, obgleich derselbe nur noch aus einem ziemlich kleinen Stücke Schinken bestand. Auch den Mann, weicher uns begleiten sollte, stellte er uns vor, und es bedurfte keiner geringen diplomatischen Kunst des Scout, ihn davon abzubringen. Er verzichtete endlich darauf, als der Alte ihm erklärte, daß es eine Beleidigung für solche weiße Krieger sei, ihnen einen Führer mitzugeben. Das tue man Knaben oder unerfahrenen und ungeschickten Männern an. Wir würden die Schar des weißen Bibers schon zu finden wissen. Nachdem wir noch unsere Ziegenschläuche mit Wasser gefüllt und einige Bündel Gras für unsere Pferde aufgeschnallt hatten, brachen wir nach einigen kurzen Abschiedsworten auf. Auf meiner Uhr war es vier.

Erst ritten wir langsam, um die Pferde in den Gang kommen zu lassen. Wir hatten noch grasigen Boden, doch wurde der Rasen immer dünner und unansehnlicher, hörte endlich ganz auf, und Sand trat an seine Stelle. Als wir die Bäume des Flußufers hinter uns nicht mehr sehen konnten, war es, als ob wir uns in der Sahara befänden: eine weite Ebene ohne die geringste Bodenerhebung, Sand, nichts als Sand und über uns die Sonne, die trotz der frühen Morgenstunde schon stechend niederschien.

„Nun können wir bald einen schnelleren Trab anschlagen,“ meinte Old Death. „Wir müssen uns besonders am Vormittage sputen, weil wir da die Sonne hinter uns haben. Unser Weg geht genau nach Westen. Nachmittags scheint sie uns in das Gesicht; das strengt mehr an.“

„Kann man in dieser eintönigen Ebene, welche gar kein Merkzeichen bietet, nicht die Richtung verlieren?“ fragte ich als angebliches Greenhorn.

Old Death ließ ein mitleidiges Lachen hören und antwortete:

„Das ist schon wieder eine Eurer berühmten Fragen, Sir. Die Sonne ist der sicherste Wegweiser, den es gibt. Unser nächstes Ziel ist der Turkey-Creek, ungefähr sechzehn Meilen von hier. Wenn es Euch recht ist, werden wir ihn in wenig über zwei Stunden erreichen.“

Der Scout ließ sein Pferd erst in Trab und dann in Galopp fallen, und wir taten dasselbe. Von jetzt an wurde nicht gesprochen. Jeder war darauf bedacht, seinem Pferde die Last zu erleichtern und es nicht durch unnötige Bewegungen anzustrengen. Eine Stunde verging, noch eine, während welcher wir die Tiere zuweilen eine Strecke weit Schritt gehen ließen, damit sie verschnaufen konnten. Da deutete Old Death vor sich hin und sagte zu mir:

„Seht nach Eurer Uhr, Sir! Zwei Stunden und fünf Minuten sind wir geritten, und da haben wir den Nueces vor uns. Stimmt es?“

Es stimmte allerdings.

„Ja, seht,“ fuhr er fort, „das Zifferblatt liegt unsereinem sozusagen in den Gliedern. Ich will Euch sogar in finsterer Nacht sagen, wie viel Uhr es ist, und werde höchstens um einige Minuten fehlen. Das lernt Ihr nach und nach auch.“

Ein dunkler Streifen bezeichnete den Lauf des Flusses, doch waren keine Bäume, sondern nur Büsche vorhanden. Wir fanden leicht eine zum Übergange passende Stelle und kamen dann an den Turkey-Creek, welcher in dieser Gegend in den Rio Nueces mündet. Er hatte fast gar kein Wasser. Von da ging es nach dem Chico-Creek, den wir kurz nach neun Uhr erreichten. Sein Bett war ebenfalls fast trocken. Es gab nur hier und da eine schmutzige Lache, aus welcher ein armseliger Wasserfaden abwärts floß. Bäume oder Strauchwerk waren gar nicht vorhanden, und das spärliche Gras zeigte sich ganz vertrocknet. Am andern Ufer stiegen wir ab und gaben den Pferden Wasser aus den Schläuchen. Als Eimer wurde Will Langes Hut benutzt. Das mitgenommene Gras wurde von den Tieren schnell verzehrt, und dann ging es nach einer halbstündigen Rast wieder vorwärts nach dem Elm-Creek, unserm letzten Ziele. Auf dieser letzten Strecke zeigte sich, daß die Pferde ermüdet waren. Die kurze Rast hatte sie nur wenig gestärkt, und wir mußten im Schritt reiten.

Es wurde Mittag. Die Sonne brannte mit fast versengender Glut hernieder, und der Sand war heiß und so tief, daß die Pferde in demselben förmlich wateten. Das erschwerte das Vorwärtskommen. Gegen zwei Uhr stiegen wir abermals ab, um den Pferden den Rest des Wassers zu geben. Wir selbst tranken nicht. Old Death litt es nicht. Er war der Meinung, daß wir den Durst viel leichter als sie ertragen könnten, die uns durch diesen Sand zu schleppen hätten.

„Übrigens,“ fügte er schmunzelnd hinzu, „habt ihr euch brav gehalten. Ihr wißt gar nicht, welche Strecken wir zurückgelegt haben. Ich sagte, daß wir erst am Abend am Elm-Creek sein wollten, aber wir werden ihn bereits nach zwei Stunden erreichen. Das ist ein Stückchen, welches uns nicht leicht Einer mit solchen Pferden nachmachen wird.“

Nun bog der Alte ein wenig von der westlichen Richtung nach Süden ab und fuhr fort:

„Ein wahres Wunder ist es, daß wir noch nicht auf die Fährte eines Comanchen gekommen sind. Sie haben sich jedenfalls mehr nach dem Flusse hingezogen. Welch eine Dummheit von ihnen, so lange Zeit nach dem entkommenen Apachen zu suchen. Wären sie stracks über den Rio Grande hinüber, so hätten sie die Feinde überrascht.“

„Sie werden sich sagen, daß sie das auch jetzt noch tun können,“ meinte Lange, „denn wenn Winnetou mit dem Verwundeten nicht glücklich hinübergekommen ist, so haben die Apachen keine Ahnung, daß die verräterischen Comanchen ihnen so nahe sind.“

„Hm! Das ist nicht so ganz unrichtig, Sir. Grad der Umstand, daß wir die Letzteren nicht sehen, macht mich für Winnetou besorgt. Sie schwärmen nicht mehr, sondern sie scheinen sich zusammengezogen zu haben. Das ist ein für die beiden Apachen sehr ungünstiges Zeichen. Vielleicht sind sie ergriffen worden.“

„Was wäre in diesem Falle das Schicksal Winnetous?“

„Das entsetzlichste, was sich nur denken läßt. Er würde nicht etwa getötet oder während des Kriegszuges gemartert. Nein. Den berühmtesten Häuptling der Apachen gefangen zu haben, wäre für die Comanchen ein noch nie dagewesenes Ereignis, welches in würdiger, das heißt fürchterlicher Weise gefeiert werden müßte. Er würde unter sicherer Bedeckung heimgeschafft nach den Weideplätzen der Comanchen, wo nur die Frauen, Knaben und Alten zurückgeblieben sind.

Dort würde er außerordentlich gut gepflegt, so daß ihm nichts als die Freiheit fehlte, Die Frauen würden ihm jeden erfüllbaren Wunsch an den Augen ablesen. Wenn Ihr aber meint, daß es höchst freundlich von ihnen sei, den Gefangenen so gut zu pflegen, so irrt Ihr Euch ungeheuer. Man will den Gefangenen nur kräftigen, damit er später die Qualen so lange wie möglich zu ertragen vermag und nicht gleich bei der ersten Marter stirbt. Ich sage Euch, Winnetou müßte sterben, aber nicht schnell, nicht in einer Stunde, an einem Tage. Man würde seinen Körper mit wahrhaft wissenschaftlicher Vorsicht nach und nach zerfleischen, so daß viele Tage vergehen könnten, ehe der Tod ihn erlöste. Das ist ein eines Häuptlings würdiger Tod, und ich bin überzeugt, daß er bei all den ausgesuchten Qualen nicht eine Miene verziehen, sondern vielmehr seine Henker verspotten und verlachen würde. Es ist mir wirklich bange um ihn, und ich sage Euch aufrichtig, daß ich gegebenen Falls mein Leben wagen würde, ihn aus diesen Händen zu erretten, jedenfalls haben wir die Comanchen da westlich vor uns. Wir reiten etwas südlich ab, um zu meinem alten Freunde zu kommen, von welchem wir vielleicht erfahren werden, wie es am Rio Grande steht. Wir bleiben die Nacht bei ihm.“

„Werden wir willkommen sein?“

„Ganz selbstverständlich! Sonst würde ich ihn gar nicht als Freund bezeichnen. Er ist Ranchero, ein Landwirt, ein echter Mexikaner von unverfälschter spanischer Abkunft. Einer seiner Ahnen ist einmal von irgend wem zum Ritter geschlagen worden, und also bezeichnet auch er sich als einen Caballero, einen Ritter. Darum hat er auch seinem Rancho den wohlklingenden Namen Estanzia del Caballero gegeben. Ihn selbst habt Ihr Sennor Atanasio zu nennen.“

Nach diesen Erklärungen ging es wieder schweigend weiter. Unsere Pferde wieder in Galopp zu bringen, gelang uns nicht, sie sanken fast bis an die Knie in den Sand. Nach und nach aber nahm die Tiefe desselben ab, und ungefähr um vier Uhr nachmittags begrüßten wir das erste Gräschen. Dann kamen wir über eine Prairie, auf welcher berittene Vaqueros ihre Pferde, Rinder und Schafe bewachten. Unsere Tiere bekamen neues Leben; sie fielen von selbst in schnelleren Gang. Bäume erhoben sich vor uns, und endlich sahen wir etwas Weißes aus dem Grün uns entgegenschimmern.

„Das ist die Estanzia del Caballero,“ sagte Old Death. „Ein ganz eigenartiges Bauwerk, genau nach dem Stile der Moqui- und Zunni-Bauten errichtet, die reine Festung, was in dieser Gegend sehr notwendig ist.“

Wir kamen näher an das Gebäude und konnten die Einzelheiten desselben erkennen. Eine doppelt mannshohe Mauer zog sich um dasselbe. Sie war mit einem hohen, breiten Tore versehen, vor welchem eine Brücke über einen tiefen, jetzt aber wasserleeren Graben führte. Das Gebäude hatte eine kubische Gestalt. Das Erdgeschoß konnten wir nicht sehen, da es von der Mauer vollständig verdeckt wurde. Das Stockwerk trat von demselben zurück, so daß rundum Raum zu einer Galerie verblieb, welche mit weißem Zeltleinen überdeckt war. Von einem Fenster bemerkten wir nichts. Auf diesem würfelförmigen Stockwerke lag ein zweites von derselben Form. Die Grundfläche desselben war wieder kleiner als die des vorhergehenden, so daß abermals eine Galerie entstand, welche durch Leinwand beschützt wurde. So bestanden Erdgeschoß, erstes und zweites Stockwerk aus drei Mauerwürfeln, von denen der höhere immer kleiner war als der tiefer liegende. Die Mauern waren weiß angestrichen; die Leinwand hatte dieselbe Farbe, weshalb das Gebäude weit hinaus in die Ferne leuchtete. Erst als wir näher kamen, bemerkten wir an jedem Stockwerke rundum laufende Reihen schmaler schießschartenähnlicher Maueröffnungen, welche als Fenster dienen mochten.

„Schöner Palast!“ lächelte Old Death. „Werdet Euch über die Einrichtung wundern. Möchte den Indianerhäuptling sehen, der sich einbildet, dieses Haus erstürmen zu wollen!“

Nun ritten wir über die Brücke an das Tor, in welchem eine kleine Öffnung angebracht war. An der Seite hing eine Glocke, so groß wie ein Menschenkopf. Old Death läutete sie. Man konnte den Ton wohl über eine halbe Stunde weit hören. Bald darauf erschienen eine Indianernase und zwei wulstige Lippen an dem Loche. Zwischen den letzteren heraus ertönte es in spanischer Sprache:

„Wer ist da?“

„Freunde des Hausherrn,“ antwortete der Scout. „Ist Sennor Atanasio zu Hause?“

Die Nase und der Mund senkten sich tiefer, zwei dunkle Augen schauten heraus, und dann hörten wir die Worte:

„Welche Freude! Sennor Death! Euch lasse ich natürlich sofort herein. Kommt, Sennores! Ich werde euch sofort melden.“

Wir hörten einen Riegel gehen; dann öffnete sich das Tor, und wir ritten ein. Der Mann, welcher uns geöffnet hatte, war ein dicker, ganz in weißes Leinen gekleideter Indianer, einer von den Indios fideles, das heißt gläubigen Indianern, welche sich im Gegensatze zu den wilden Indios bravos mit der Zivilisation friedlich abgefunden haben. Er schloß das Tor, machte eine tiefe Verneigung, schritt dann gravitätisch über den Hof hinüber und zog dort an einem an der Mauer herabhängenden Draht.

„Wir haben Zeit, das Haus zu umreiten,“ sagte Old Death. „Kommt mit, euch das Bauwerk zu betrachten.“

Erst jetzt konnten wir das Erdgeschoß sehen. Auch an demselben zog sich eine Reihe kleiner Schießscharten rund um die vier Seiten. Das Gebäude stand in einem mauereingeschlossenen Hofe, der ziemlich breit und nicht gepflastert, sondern mit Gras bewachsen war. Außer den Schießscharten war kein Fenster zu sehen, und es gab auch keine Türe. Wir umritten das ganze Haus und kamen wieder an der vorderen Seite desselben an, ohne eine Türe gefunden zu haben. Der Indianer stand noch wartend da.

„Aber wie kommt man denn in das Innere des Gebäudes?“ fragte Lange.

„Werdet es gleich sehen!“ antwortete Old Death.

Da beugte sich von der auf dem Erdgeschoße befindlichen Galerie ein Mann herab, um nachzusehen, wer unten sei. Als er den Indianer sah, verschwand sein Kopf wieder, und dann wurde eine schmale, leiterähnliche Treppe herabgelassen, an welcher wir emporsteigen mußten. Wer nun der Ansicht gewesen wäre, daß es hier im ersten Stocke wenigstens eine Türe gebe, der hätte sich geirrt. Oben auf dem zweiten Geschoße stand wieder ein Diener, auch in Weiß gekleidet, welcher von da oben eine zweite Leiter herabließ, auf welcher wir auf der Höhe des Hauses ankamen. Diese Plattform bestand aus mit Sand bedecktem Zinkblech. In der Mitte befand sich ein viereckiges Loch, welches die Mündung einer in das Innere führenden Treppe bildete.

„So wurde bereits vor Jahrhunderten in den jetzigen indianischen Pueblos gebaut,“ erklärte Old Death. „Niemand kann in den Hof. Und wenn es einem Feinde gelingen sollte, über die Mauer zu kommen, so ist die Treppe emporgezogen und er steht vor der türenlosen Mauer. In friedlichen Zeiten freilich kann man auch ohne Tor und Treppen herein- und heraufkommen, indem man sich auf das Pferd stellt und über die Mauer und auf die Galerie klettert. In Kriegszeiten aber möchte ich es keinem raten, dieses Experiment zu versuchen, denn man kann von dieser Plattform und der Galerie aus, wie ihr seht, die Mauer, das vor ihr liegende Terrain und auch den Hof mit Kugeln bestreichen. Sennor Atanasio wird an die zwanzig Vaqueros, Peons und Diener haben, von welchen jeder ein Gewehr besitzt. Wenn zwanzig solcher Leute hier oben ständen, müßten Hunderte von Indianern sterben, bevor der erste von ihnen über die Mauer käme. Diese Bauart ist hier an der Grenze von großem Vorteile, und der Haziendero hat mehr als eine Belagerung ausgehalten und glücklich abgewehrt.“

Man konnte von der Höhe des Hauses weit nach allen Seiten sehen. Ich bemerkte, daß hinter dem Hause, gar nicht weit von demselben entfernt, der Elm-Creck vorüberfloß. Er hatte ein schönes, klares Wasser, und es war kein Wunder, daß er Fruchtbarkeit nach beiden Seiten verbreitete. Sein schönes, klares Wasser erregte in mir das Verlangen, ein Bad in ihm zu nehmen.

Wir stiegen, von einem Diener geführt, die Treppe hinab und gelangten da auf einen langen, schmalen Korridor, welcher vorn und hinten durch je zwei Schießscharten erleuchtet wurde. Zu beiden Seiten mündeten Türen, und am hinteren Ende ging eine Treppe in das Erdgeschoß hinab. Um vom Hofe aus in dieses zu gelangen, mußte man also außen am Gebäude zwei Treppen hinauf- und im Innern desselben wieder zwei Treppen hinabsteigen. Es erschien mir das sehr umständlich, war aber in den Verhältnissen der Gegend wohlbegründet. Der Diener verschwand hinter einer Türe und kehrte erst nach einiger Zeit zurück, um zu melden, daß Sennor der Capitano de Caballeria uns erwarte. Während dieser Wartezeit hatte Old Death uns auf etwas aufmerksam gemacht:

„Nehmt es meinem alten Sennor Atanasio nicht übel, wenn er euch ein wenig förmlich empfängt. Der Spanier liebt die Etikette, und der von ihm abstammende Mexikaner hat das behalten. Wäre ich allein gekommen, so wäre er mir längst entgegengeeilt. Da aber Andere dabei sind, so gibt es jedenfalls einen Staatsempfang. Lächelt ja nicht, wenn er etwa in Uniform erscheint! Er bekleidete in seinen jungen Jahren den Rang eines mexikanischen Rittmeisters und zeigt sich noch heutigen Tages gern in seiner alten, längst antik gewordenen Uniform. Im übrigen ist er ein Prachtkerl.“

Jetzt kam der Diener, und wir traten in ein wohltuend kühles Gemach, dessen einst wohl kostbares Meublement jetzt vollständig verblichen war. Drei halbverschleierte Schießscharten verbreiteten ein gedämpftes Licht. Inmitten des Zimmers stand ein langer, hagerer Herr mit schneeweißem Haar und Schnurrbart. Er trug rote, mit breiten Goldborten besetzte Hosen, hohe Reiterstiefel aus blitzendem Glanzleder mit Sporen, deren Räder die Größe eines silbernen Fünfmarkstückes hatten. Der Uniformfrack war blau und reich mit goldenen Bruststreifen verziert. Die goldenen Epauletten deuteten auf den Rang nicht eines Rittmeisters, sondern eines Generals. An der Seite hing ihm ein Säbel in stählerner Scheide, deren Schnallenhalter auch vergoldet waren. In der Linken hielt er einen Dreispitzhut, dessen Spitzen von goldenen Raupen strotzten; an der Seite war eine schillernde Agraffe befestigt, welche einen bunten Federstutz trug. Das sah aus wie Maskerade. Aber wenn man in das alte, ernste Gesicht und das noch frische, gütig blickende Auge sah, konnte man es nicht über das Herz bringen, heimlich zu lächeln. Als wir eingetreten waren, schlug er die Absätze sporenklirrend zusammen, richtete sich stramm empor und sagte:

„Guten Tag, meine Herren! Ihr seid sehr willkommen!“

Das klang sehr steif. Wir Andern verbeugten uns stumm. Old Death antwortete ihm in englischer Sprache:

„Wir danken, Sennor Capitano de Caballeria! Da wir uns in dieser Gegend befanden, so wollte ich meinen Begleitern gern die ehrenvolle Gelegenheit geben, Euch, den tapfern Streiter für Mexikos Unabhängigkeit, kennen zu lernen. Gestattet, sie Euch vorzustellen!“

Bei diesen schmeichelhaften Worten ging ein befriedigtes Lächeln über das Gesicht des Haziendero. Er nickte zustimmend und sagte:

„Tut es, Sennor Death! Es ist mir eine große Freude, die Sennores kennen zu lernen, welche Ihr zu mir bringt.“

Old Death nannte unsere Namen, und der Caballero reichte jedem von uns, sogar dem Neger die Hand und lud uns dann zum Sitzen ein. Der Scout fragte nach Sennora und Sennorita, worauf sofort der Haziendero eine Türe öffnete und die beiden schon bereit stehenden Damen eintreten ließ. Die Sennora war eine sehr schöne, freundlich dreinschauende Matrone, die Sennorita ein liebliches Mädchen, ihre Enkelin, wie wir später erfuhren. Beide waren ganz in schwarze Seide gekleidet, als ob sie soeben im Begriffe gestanden hätten, bei Hof zu erscheinen. Old Death eilte auf die Damen zu und schüttelte ihnen die Hände so herzhaft, daß mir bange wurde. Die beiden Langes versuchten es, eine Verbeugung zu stande zu bringen. Sam grinste am ganzen Gesichte und rief:

„O Missis, Missus, wie schön, wie Seide!“

Ich trat auf die Sennora zu, nahm ihre Hand auf die Spitzen meiner Finger, bückte mich auf dieselbe und zog sie an die Lippen. Die Dame nahm meine Höflichkeit so wohlwollend auf, daß sie mir ihre Wange darreichte, um auf derselben den Beso de cortesta, den Ehrenkuß, zu empfangen, was eine große Auszeichnung für mich war. Ganz dasselbe wiederholte sich bei der Sennorita. Nun wurde wieder Platz genommen. Natürlich kam die Rede sofort auf den Zweck unseres Rittes. Wir erzählten das, was wir für nötig hielten, auch unser Zusammentreffen mit den Comanchen. Die Herrschaften hörten uns mit der größten Aufmerksamkeit zu, und ich bemerkte, daß sie einander bezeichnende Blicke zuwarfen. Als wir geendet hatten, bat Sennor Atanasio um eine Beschreibung der beiden Männer, welche wir suchten. Ich zog die Photographien hervor und zeigte sie ihnen. Kaum hatten sie dieselben gesehen, so rief die Sennora-.

„Sie sind es, sie sind es! Ganz gewiß! Nicht wahr, lieber Atanasio?“

„Ja,“ stimmte der Caballero bei, „sie sind es wirklich. Sennores, die Männer waren in vergangener Nacht bei mir.“

„Wann kamen und wann gingen sie?“ fragte der Scout.

„Sie kamen spät des Nachts und waren ganz ermüdet. Einer meiner Vaqueros hatte sie getroffen und brachte sie mir. Sie schliefen sehr lang und erwachten erst nach der Mittagszeit. Es ist drei Stunden her, daß sie fort sind.“

„Schön! So holen wir sie morgen sicher ein. Wir werden ihre Spur jedenfalls finden.“

„Gewiß, Sennor, werdet Ihr das. Sie wollten von hier aus nach dem Rio Grande, um denselben oberhalb des Eagle-Passes, ungefähr zwischen dem Rio Moral und dem Rio las Moras zu überschreiten. Übrigens werden wir noch von ihnen hören. Ich habe ihnen einige Vaqueros nachgeschickt, welche Euch ganz genau sagen werden, wohin sie geritten sind.“

„Warum habt Ihr ihnen diese Leute nachsenden müssen?“

„Weil diese Menschen mir meine Gastfreundschaft mit Undank belohnt haben. Sie haben mir, als sie fortgeritten sind, den Vaquero einer Pferdetruppe mit einer fingierten Botschaft gesandt und während seiner Abwesenheit sechs Pferde gestohlen, mit denen sie eiligst fort sind.“

„Schändlich! So waren die beiden Männer nicht allein?“

„Nein. Es war eine Schar verkleidetet Truppen bei ihnen, welche angeworbene Rekruten nach Mexiko zu bringen hatten.“

„So glaube ich nicht, daß Eure Leute die Pferde wiederbringen werden. Sie sind zu schwach gegen diese Diebe.“

„O, meine Vaqueros wissen ihre Waffen zu gebrauchen, und ich habe die energischsten Kerls ausgewählt.“

„Haben Gibson und William Ohlert von ihren Verhältnissen und Plänen gesprochen?“

„Kein Wort. Der Erstere war sehr lustig und der Letztere sehr schweigsam. Ich schenkte ihnen alles Vertrauen. Ich wurde gebeten, ihnen die Einrichtung meines Hauses zu zeigen, und da haben sie sogar den verwundeten Indianer gesehen, den ich vor jedermann verstecke.“

„Ein verwundeter Roter? Wer ist er, und wie kommt Ihr zu ihm?“

Der Caballero ließ ein überlegenes Lächeln sehen und antwortete:

„Ja, das ist sehr interessant für euch, Sennores! Ich beherberge nämlich den Unterhändler der Apachen, von dem Ihr vorhin erzähltet, welchen Winnetou droben am Rio Lena verbunden hat. Es ist der alte Häuptling Inda-nischo.“

Anda-nischo, der gute Mann, welcher diesen Namen mit Recht trägt! Der älteste und klügste, friedliebendste Häuptling der Apachen! Den muß ich sehen.“

„Ich werde ihn Euch zeigen. Er kam in einem sehr schlimmen Zustande bei mir an. Ihr müßt wissen, daß der berühmte Winnetou mich kennt und stets bei mir einkehrt, wenn er in diese Gegend kommt, denn er weiß, daß er mir vertrauen darf. Er hatte von Fort Inge aus den andern Häuptling eingeholt. Dieser hatte eine Kugel in den Arm und eine zweite in den Schenkel bekommen. Am Rio Lena hat Winnetou ihn verbunden; und dann sind sie sofort wieder aufgebrochen. Aber den alten, verletzten Mann hat das Wundfieber gewaltig gepackt, und die Comanchen sind quer durch die Wüste geschwärmt, um ihn aufzufangen. Wie Winnetou es fertig gebracht hat, ihn trotz dieser Hindernisse bis hierher zu meiner Estanzia del Caballero zu bringen, das ist mir noch jetzt ein Rätsel, so etwas kann eben nur Winnetou leisten. Aber hier ging es nicht weiter, denn Inda-nischo hatte sich nicht mehr im Sattel halten können, so schwach war er gewesen und so hatte ihn das Fieber geschüttelt. Er hatte sehr viel Blut verloren gehabt und ist über siebzig Jahre alt.“

„Man sollte es nicht für möglich halten! Von Fort Inge bis hierher bei solchen Wunden im Sattel zu bleiben! Der Weg, den sie geritten sind, beträgt mehr als hundertsechzig englische Meilen. Bei so einem Alter kann das nur ein Roter aushalten. Bitte, weiter!“

„Er kam des Abends hier an und läutete. Ich ging selbst hinab und erkannte Winnetou. Er erzählte mir alles und bat mich, seinen roten Bruder in Schutz zu nehmen, bis er abgeholt werde; er selbst müsse schleunigst über den Rio Grande, um seine Stämme von dem Verrate und der Annäherung der Comanchen zu benachrichtigen. Ich gab ihm meine beiden besten Vaqueros mit, um zu erfahren, ob es ihm gelingen werde, durchzukommen. Sie sollten ihn begleiten und mir dann Nachricht bringen.“

„Nun,“ fragte Old Death gespannt. „Ist er dann hinüber?“

„Ja. Und das hat mich außerordentlich beruhigt. Er ist sehr klug gewesen und nicht oberhalb des Rio Moral, wo die Comanchen stehen, sondern unterhalb desselben über den Rio Grande gegangen. Freilich gibt es dort keine Furt; der Fluß ist sehr reißend, und es ist ein lebensgefährliches Wagnis, hindurch zu schwimmen. Trotzdem sind meine Vaqueros mit ihm hinüber und haben ihn noch soweit begleitet, bis sie Sicherheit hatten, daß er den Comanchen nicht mehr begegnen könne. Nun hat er die Apachen benachrichtigt, und diese werden die Feinde richtig empfangen. Jetzt aber kommt mit zu dem alten Häuptling, wenn es euch recht ist, Sennores.“

Alle standen auf. Wir verabschiedeten uns von den Damen und stiegen in das tiefere Geschoß. Unten angekommen, befanden wir uns in einem ganz ähnlichen wie dem oberen Korridore. Wir traten durch die hinterste Türe links im Korridore.

Da lag in einem sehr kühlen Raume der alte Häuptling. Das Fieber hatte nachgelassen, aber er war so schwach, daß er kaum sprechen konnte. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen, und die Wangen waren eingefallen. Einen Arzt gab es nicht; aber der Caballero sagte, Winnetou sei ein Meister in der Behandlung von Wunden. Er habe heilsame Kräuter aufgelegt und streng verboten, die Verbände zu öffnen. Sobald das Wundfieber vorüber sei, habe man nichts mehr für das Leben des Kranken zu befürchten, für welchen nur der starke Blutverlust und das Fieber gefährlich seien. Als wir die Türe wieder hinter uns und die Treppen vor uns hatten, sagte ich dem Haziendero, daß ich ein Bad im Flusse zu nehmen wünschte.

„Wenn Ihr das wollt, so braucht Ihr garnicht erst die Treppen zu steigen,“ meinte er. „Ich lasse Euch gleich hier unten in den Hof hinaus.“

„Ich denke, es gibt keine Türen!“

„O doch, aber heimliche. Ich habe sie anbringen lassen, um einen Fluchtweg zu haben, falls es feindlichen Roten je einmal gelingen sollte, in das Haus zu dringen. Ihr sollt sie gleich sehen.“

Es stand ein Schränkchen an der Mauer; er schob es fort, und ich sah eine Öffnung, welche nach dem Hofe führte. Sie war draußen durch ein zu diesem Zwecke aufgepflanztes Buschwerk verdeckt. Er führte mich hinaus, zeigte auf die gegenüberliegende Stelle der Außenmauer, an welcher ähnliches Gesträuch stand, und fuhr fort:

„Dort geht es hinaus ins Freie, ohne daß ein Fremder es ahnen kann. Wollt Ihr dies als den kürzesten Weg zum Flusse benutzen? Wartet aber ein wenig hier! Ich will Euch einen bequemen Anzug schicken.“

In diesem Augenblicke wurde die Glocke am Tore geläutet. Er ging selbst hin, um zu öffnen, und ich folgte ihm. Es waren fünf Reiter, prächtige kraftvolle Gestalten, die Leute, welche er den Pferdedieben nachgeschickt hatte.

„Nun?“ fragte er. „Ihr habt die Pferde nicht?“

„Nein,“ antwortete einer. „Wir waren ihnen bereits ganz nahe. Sie hatten unsern Fluß eben überschritten, und wir sahen aus den Spuren, daß wir sie in einer Viertelstunde einholen mußten. Da aber kamen wir plötzlich auf eine Fährte von vielen Pferden, welche von rechts her mit der ihrigen zusammenfiel. Sie waren also mit den Comanchen zusammengestoßen. Wir folgten ihnen nach und bald sahen wir alle vor uns. Es waren weit über fünfhundert Comanchen, und an eine solche Übermacht konnten wir uns nicht wagen.“

„Ganz recht. Das Leben sollt ihr nicht an einige Pferde setzen. Haben die Comanchen die Weißen freundlich behandelt?“

„Um das zu erkennen, konnten wir nicht weit genug an sie heran.“

„Wie ritten sie?“

„Gegen den Rio Grande.“

„Also von hier aus vorwärts. So haben wir nichts zu fürchten. Es ist gut. Geht zu euren Herden!“

Sie ritten fort. Der gute Caballero befand sich in einem großen Irrtume. Es war viel zu fürchten, denn die Comanchen hatten von Gibson, wie wir dann erfuhren, gehört, daß der verwundete Apachenhäuptling sich auf der Hazienda del Caballero befinde. Infolge davon hatten sich sofort eine Anzahl roter Krieger aufgemacht, im schärfsten Galoppe nach der Hazienda zu reiten, um den Häuptling gefangen zu nehmen und Sennor Atanasio für seine apachenfreundliche Gesinnung zu bestrafen, Der Letztere stieg ruhig die Treppe empor, und bald kam ein Peon herab, welcher mich bat, mit ihm zu kommen. Er führte mich zum Tore hinaus und an den Fluß. Oberhalb der Hazienda war eine Furt, wie man an den Brechungswellen des Wassers sah. Unterhalb dieser Furt aber war der Strom sehr tief. Da blieb der Peon stehen. Er hatte einen weißleinenen Anzug auf dem Arme.

„Hier Sennor,“ sagte er. „Wenn Ihr gebadet habt, zieht Ihr diesen Anzug an; die Kleidungsstücke, welche Ihr jetzt ablegt, kann ich gleich mitnehmen. Wenn Ihr das Bad beendet habt, so läutet die Glocke; man wird Euch öffnen.“

Er entfernte sich mit meinen Kleidern, und ich sprang in das Wasser. Nach der Hitze des Tages und der Anstrengung des Rittes war es eine wahre Wonne, im tiefen Strome zu tauchen und zu schwimmen. Wohl über eine halbe Stunde war ich im Wasser gewesen, als ich es endlich verließ und den Anzug anlegte. Eben war ich damit fertig, als mein Blick auf das gegenüberliegende Ufer fiel. Zwischen die Bäume hindurch konnte ich von meiner Stelle aus nach aufwärts blicken, wo der Fluß eine Krümmung machte. Da sah ich eine lange Schlange von Reitern kommen, einer hinterdem andern, wie die Indianerso gern reiten. Schnell rannte ich nach dem Tore und läutete. Der Peon, welcher auf mich gewartet hatte, öffnete.

„Schnell zum Caballero!“ sagte ich. „Indianer kommen von jenseits des Flusses auf die Hazienda zu.“

„Wie viele?“

„Wohl über fünfzig.“

Der Mann war bei meinen ersten Worten sichtlich erschrocken; als ich ihm jetzt diese Zahl nannte, nahm sein Gesicht einen beruhigteren Ausdruck an.

„Nicht mehr?“ fragte er. „Nun, da haben wir ja nichts zu befürchten. Mit fünfzig und auch noch mehr Roten nehmen wir es schon noch auf, Sennor. Wir sind jederzeit auf so einen Besuch vorbereitet. Ich kann nicht hinauf zum Caballero, denn ich muß den Vaqueros augenblicklich Nachricht bringen. Hier habt Ihr Eure Sachen wieder, die ich doch nicht mitnehmen kann. Riegelt hinter mir das Tor zu, und eilt zu Sennor Atanasio. Zieht aber hinter Euch die Treppen empor!“

„Wie steht es mit unsern Pferden? Sind dieselben in Sicherheit?“

„Ja, Sennor. Wir haben sie hinaus zu den Vaqueros geschafft, damit sie weiden können. Das Lederzeug aber wurde in das Haus getragen. Die Tiere können Euch nicht genommen werden.“

Jetzt eilte er fort. Ich schloß hinter ihm das Tor und stieg die beiden Treppen hinauf, die ich natürlich hinter mir emporzog. Eben als ich auf die Plattform kam, sah ich Sennor Atanasio mit Old Death aus dem Innern des Hauses auf derselben erscheinen. Der Haziendero erschrak nicht im mindesten, als ich ihm die Ankunft der Indianer und die Anzahl derselben meldete. Er fragte mich sehr ruhig:

„Zu welchem Stamme gehören sie?“

„Das weiß ich nicht. Ich konnte die Bemalung der Gesichter nicht erkennen.“

„Nun, wir werden es bald sehen. Entweder sind es Apachen, welche Winnetou getroffen und geschickt hat, den verwundeten Häuptling zu holen, oder es sind Comanchen. In diesem Falle hätten wir es wohl nur mit einer Rekognoszierungs-Abteilung zu tun, welche uns fragen will, ob wir vielleicht Apachen gesehen haben. Sie werden sofort wieder fortreiten, wenn sie unsere Antwort erhalten haben.“

„Sie scheinen mir aber doch feindliche Absichten zu haben“ sagte Old Death. „Ich gebe Euch den Rat, so schnell wie möglich die Maßregeln der Abwehr zu treffen.“

„Das ist bereits geschehen. Jeder meiner Leute weiß, was er für einen solchen Fall zu tun hat. Seht, da draußen rennt der Peon zu den nächsten Pferden. Er wird eins derselben besteigen, um die Vaqueros zu benachrichtigen. In höchstens zehn Minuten haben diese die Herden zusammengetrieben. Zwei von ihnen bleiben bei den Tieren, um dieselben zu bewachen, die Andern machen Front gegen die Roten. Ihre Lassos sind gefährliche Waffen, denn ein Vaquero ist weit geübter als ein Indianer. Ihre Büchsen tragen weiter als die Bogen oder alten Gewehre der Wilden. Sie haben sich vor fünfzig Indianern nicht zu fürchten. Und wir hier auf der Estanzia sind ja geschützt. Kein Roter kommt über die Mauer. Übrigens darf ich doch auf Euch zählen. Ihr seid mit dem Schwarzen fünf wohlbewaffnete Männer. Dazu komme ich mit acht Peons, welche sich im Gebäude befinden, macht in Summa vierzehn Mann, Da möchte ich die Indianos sehen, denen es gelingen könnte, das Tor zu sprengen. O nein, Sennor! Die Roten werden ganz friedlich die Glocke läuten, ihre Erkundigung an den Mann bringen und sich dann wieder entfernen. Wenn der Kundschafter vierzehn gut bewehrte Männer hier oben stehen sieht, so wird er Respekt bekommen. Die Sache ist vollständig ungefährlich.“

Old Deaths Gesicht drückte einen Zweifel aus. Er schüttelte den Kopf und sagte:

„Ich habe da einen Gedanken, welcher mir bedenklich erscheint. Ich bin überzeugt, daß wir es nicht mit Apachen, sondern mit Comanchen zu tun haben. Was wollen sie hier? Eine bloße Rekognition kann sie nicht herführen, denn befände sich ein Trupp feindlicher Apachen hier, so müßten das die Spuren ausweisen. Dazu brauchte man nicht hier Nachfrage zu halten. Nein, die Bande hat einen ganz bestimmten Grund, grad hierher zu Euch zu kommen, Sennor, und das ist der verwundete Häuptling, welcher sich bei Euch befindet.“

„Von ihm wissen sie ja nichts! Wer soll es ihnen gesagt haben?“

„Gibson, eben der Mann, welchen wir verfolgen und der bei Euch gewesen ist. Ihr habt ihm ja den Apachen gezeigt. Er hat ihn den Comanchen verraten, um sich den Stamm geneigt zu machen. Wenn das nicht stimmt, so will ich keinen Augenblick länger Old Death genannt werden, Sennor. Oder zweifelt Ihr daran?“

„Es ist möglich. In diesem Falle werden die Comanchen uns zwingen wollen, den Verwundeten auszuliefern.“

„Allerdings. Werdet Ihr es etwa tun?“

„Auf keinen Fall! Winnetou ist mein Freund. Er hat mir den guten Mann anvertraut, und ich darf und will dieses Vertrauen rechtfertigen. Die Comanchen werden den Verwundeten nicht bekommen. Wir wehren uns!“

„Das bringt Euch in die allergrößte Gefahr. Zwar wird es uns gelingen, die Fünfzig abzuwehren; aber sie werden um das Zehnfache verstärkt zurückkehren, und dann seid Ihr wohl verloren.“

„Das steht in Gottes Hand. Mein Winnetou gegebenes Wort werde ich auf alle Fälle halten.“

Da streckte Old Death dem Sennor die Hand entgegen und sagte:

„Ihr seid ein Ehrenmann, und Ihr sollt auf unsere Hilfe rechnen dürfen. Der Anführer der Comanchen ist mein Freund. Vielleicht gelingt es mir dadurch, den Schlag von Euch abzuwenden. Habt Ihr Gibson die geheimen Türen auch gezeigt?“

„Nein, Sennor.“

„Das ist sehr gut. So lange die Roten diese Eingänge nicht kennen, werden wir uns ihrer erwehren können. Nun kommt herab, damit wir die Waffen holen.“

Während meiner Abwesenheit waren meinen Gefährten Zimmer angewiesen worden, in welche man ihre und auch meine Habseligkeiten geschafft hatte. Dahin gingen wir. Der Raum, welcher für mich bestimmt war, lag an der vordern Seite des Hauses und bekam sein Licht durch zwei der erwähnten Schießscharten. Dort hing mein Gewehr. Als ich es von der Wand nehmen wollte, fiel mein Blick hinaus in das Freie, und ich sah die Indianer unter den Bäumen hervorkommen, da, wo oberhalb der Hazienda die Furt war. Sie hatten dieselbe durchritten und kamen nun im Galopp auf das Gebäude zu, nicht heulend, wie es sonst ihre Gewohnheit ist, sondern in heimtückischer Stille, welche mir bedrohlich erschien. Es waren Comanchen, wie ich an den Farben der bemalten Gesichter erkannte. Im Nu hielten sie draußen an der Mauer, welche so hoch war, daß man die Reiter nun nicht mehr sehen konnte. Sie waren mit Lanzen, Bogen und Pfeilen bewaffnet. Nur der Vorreiter, welcher wahrscheinlich der Anführer war, hatte eine Flinte in der Hand. Einige von ihnen hatten lange Gegenstände hinter ihren Pferden her geschleift. Ich hielt dieselben für Zeltstangen, mußte aber sehr bald einsehen, daß ich mich geirrt hatte. Natürlich verließ ich sofort das kleine Stübchen, um die Andern zu benachrichtigen. Als ich in den Korridor trat, kam mir Old Death aus dem mir gegenüberliegenden Raume entgegen.

„Achtung!“ schrie er. „Sie kommen über die Mauer. Sie haben sich junge Bäume als Leitern mitgebracht. Schnell auf die Plattform!“

Aber das ging gar nicht so rasch, wie er es wünschte. Die Peons befanden sich ein Stockwerk tiefer als wir, wo die Dienerschaft gewöhnlich ihren Aufenthaltsort hatte, und auch wir beide wurden verhindert, schnell empor zu steigen, denn zugleich mit dem Caballero traten dessen beide Damen auf den Korridor heraus und bestürmten uns mit den Ausdrücken ihrer Angst vor dem Überfalle. Wohl über zwei Minuten verflossen, bevor wir die Treppe hinter uns hatten, in einer solchen Lage eine kostbare Zeit. Die böse Folge des Zeitverlustes zeigte sich sofort, als wir auf die Plattform gelangten, denn da schwang sich bereits der erste Indianer über den Rand derselben. Ihm folgte schnell ein zweiter, dritter, vierter. Wir hatten unsere Waffen in den Händen, konnten ihnen aber nun den Zutritt nicht mehr verwehren, wenn wir sie nicht geradezu niederschießen wollten. Sie hatten mit Hilfe der erwähnten Jungen Bäume die Außenmauer und nach Passieren des Hofes auch die beiden Plattformen mit ungemeiner Schnelligkeit erstiegen. Wir standen jetzt auf der Mitte des obern Stockwerks, während sie sich noch am Ende desselben befanden.

„Richtet die Gewehre auf sie! Laßt sie nicht heran!“ gebot Old Death. „Wir müssen vor allen Dingen Zeit gewinnen.“

Ich zählte zweiundfünfzig Rote, von denen bis jetzt kein einziger einen Laut ausgestoßen hatte. Wir waren von ihnen vollständig überrumpelt worden. Aber sie wagten sich doch nicht sogleich an uns heran, sondern standen am Rande der Plattform und hielten ihre Bogen und Pfeile in den Händen. Die Lanzen hatten sie unten zurückgelassen, da sie durch dieselben beim Klettern gehindert worden wären. Der Caballero trat ihnen einige Schritte entgegen und fragte in jenem Gemisch von Spanisch, Englisch und Indianisch, welches im dortigen Grenzgebiete zur Verständigung gebraucht wird:

„Was wollen die roten Männer bei mir? Warum betreten sie mein Haus, ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen?“

Der Anführer, welcher vorher seine Flinte auf dem Rücken trug, sie aber jetzt in die Hand genommen hatte, trat einige Schritte vor und antwortete:

„Die Krieger der Comanchen sind gekommen, weil das Bleichgesicht ihr Feind ist. Die Sonne des heutigen Tages ist die letzte, welche er gesehen hat.“

„Ich bin kein Feind der Comanchen. Ich liebe alle roten Männer, ohne zu fragen, zu welchem Stamme sie gehören.“

„Das Bleichgesicht sagt eine große Lüge. In diesem Hause ist ein Häuptling der Apachen versteckt. Die Hunde von Apachen sind die Feinde der Comanchen. Wer einen Apachen bei sich aufnimmt, ist unser Feind und muß sterben.“

„Caramba! Wollt Ihr mir etwa verbieten, irgend jemand bei mir aufzunehmen, wenn es mir gefällt? Wer hat hier zu gebieten, Ihr oder ich?“

„Die Krieger der Comanchen haben dieses Haus erstiegen, sind also Herren desselben. Gib uns den Apachen heraus! Oder willst du leugnen, daß er sich bei dir befindet?“

„Zu leugnen fällt mir gar nicht ein. Nur derjenige, welcher sich fürchtet, sagt eine Lüge; ich aber habe keine Angst vor den Comanchen und will euch also offen – – –“

„Halt!“ unterbrach ihn Old Death in gedämpftem Tone. „Macht keine Dummheit, Sennor!“

„Meint Ihr, daß ich leugnen soll?“ fragte der Mexikaner.

„Selbstverständlich. Die Lüge ist eine Sünde; das gebe ich ja zu; aber die Wahrheit wäre hier der reine Selbstmord, und ich frage Euch, was sündhafter ist, eine Unwahrheit zu sagen, oder sich selbst umzubringen?“

„Selbstmord? Was vermögen diese Leute gegen unsere vierzehn Gewehre?“

„Viel, da sie einmal hier oben sind. Die Mehrzahl von ihnen würde allerdings fallen; aber wir bekämen auch so einige Pfeile und Messerklingen in den Leib, Sennor. Und selbst wenn wir siegen, so holen die Überlebenden die Andern von den Fünfhundert herbei. Laßt mich einmal machen! Ich werde mit ihnen reden.“

Er wendete sich an den Anführer der Roten:

„Die Worte meines Bruders versetzen uns in Erstaunen. Wie kommen die Comanchen auf den Gedanken, daß sich ein Apache hier befindet?“

„Sie wissen es,“ antwortete der Gefragte kurz.

„So wißt Ihr mehr als wir.“

„Willst du sagen, daß wir uns irren? Darin sagst du eine Lüge.“

„Und du sagst da ein Wort, welches du mit dem Leben bezahlen mußt, wenn du es wiederholst. Ich lasse mich nicht einen Lügner nennen. Du siehst unsere Gewehre auf dich gerichtet. Es bedarf nur eines Winkes von mir, so stürzen so viele deiner Leute, wie wir an der Zahl sind, in den Tod.“

„Aber die Andern würden Euch ihnen nachsenden. Da draußen befinden sich noch viele Krieger der Comanchen, mehr als zehn mal zehn mal fünf. Sie würden kommen und dieses Haus von der Erde vertilgen.“

„Sie würden nicht über die Mauer kommen, denn wir sind nun gewarnt. Wir würden sie von hier oben aus mit so viel Kugeln begrüßen, daß keiner von ihnen übrig bliebe.“

„Mein weißer Bruder hat ein großes und breites Maul. Warum redet er zu mir? Ist etwa er der Besitzer dieses Hauses? Wer ist er, und wie nennt er sich, daß er es wagt, mit dem Anführer der Comanchen zu reden?“

Old Death machte eine wegwerfende Handbewegung:

„Wer ist der Anführer der Comanchen? Ist er ein berühmter Krieger, oder sitzt er bei den Weisen des Rates? Er trägt nicht die Feder des Adlers oder des Raben in seinem Haare, und ich sehe auch kein anderes Abzeichen der Häuptlinge an ihm. Ich aber bin ein Häuptling der Bleichgesichter. Von welchem Stamme der Comanchen seid Ihr denn, daß Ihr erst fragen müßt, wer ich bin? Mein Name lautet Koscha-pehve, und ich habe die Pfeife des Friedens geraucht mit Oyo-koltsa, dem Häuptling der Comanchen. Auch habe ich gestern mit seinem Sohne Avat-Vila gesprochen und die Nacht bei seinen Kriegern geschlafen. Ich bin ein Freund der Comanchen, aber wenn sie mich einen Lügner nennen, so werde ich ihnen mit einer Kugel antworten.“

Durch die Reihe der Roten ging ein Murmeln. Ihr Anführer wendete sich zu ihnen zurück und sprach leise zu ihnen. Den Blicken, mit denen sie Old Death betrachteten, war es anzusehen, daß sein Name einen großen Eindruck auf sie gemacht hatte. Nach einer kurzen Beratung wendete sich der Anführer wieder zu dem Scout:

„Die Krieger der Comanchen wissen, daß der alte Tod ein Freund des weißen Bibers ist, aber seine Worte sind nicht diejenigen eines Freundes. Warum verheimlicht er uns die Anwesenheit des Apachen?“

„Ich verheimliche nichts, sondern ich sage euch offen, daß er sich nicht hier befindet.“

„Und doch haben wir ganz genau erfahren, daß Indanischo hier ist, und zwar von einem Bleichgesichte, welches sich in den Schutz der Comanchen begeben hat.“

„Wie ist der Name dieses Bleichgesichtes?“

„Der Name ist nicht für den Mund der Comanchen gemacht. Er klingt wie Ta-hi-ha-ho.“

„Etwa Gavilano?“

„Ja, so lautet er.“

„So haben die Comanchen einen großen Fehler begangen. Ich kenne diesen Mann. Er ist ein Bösewicht und hat die Lüge auf seiner Zunge. Die Krieger der Comanchen werden es bereuen, ihn unter ihren Schutz genommen zu haben.“

„Mein Bruder irrt sich sehr. Das Bleichgesicht hat uns die Wahrheit gesagt. Wir wissen, daß Winnetou den guten Mann gebracht hat und dann über den Avat-Hona entkommen ist. Aber wir eilen ihm nach und werden ihn für den Marterpfahl einfangen. Wir wissen, daß der gute Mann an einem Arme und einem Beine verwundet ist. Wir wissen sogar ganz genau den Ort, an welchem er sich befindet.“

„Wenn das wahr ist, so sage mir denselben!“

„Man steigt von hier aus zweimal in die Tiefe des Hauses hinab, bis wo es viele Türen rechts und links von einem schmalen Gange gibt. Dann öffnet man zur linken Hand die letzte Türe. Dort liegt der Apache auf dem Lager, welches zu verlassen er keine Kräfte hat.“

„Das Bleichgesicht hat dich belogen. Du würdest an dem beschriebenen Orte keinen Apachen finden.“

„So laß uns hinabsteigen, um nachzuforschen, wer die Wahrheit spricht, du oder das Bleichgesicht.“

„Das werde ich freilich nicht. Dieses Haus ist da für diejenigen Leute, welche es mit der Erlaubnis des Besitzers betreten, nicht aber für solche, welche es feindlich überfallen.“

„Nach diesen deinen Worten müssen wir glauben, daß der Apache sich hier befindet. Der weiße Biber, hat uns befohlen, ihn zu holen, und wir werden gehorchen.“

„Du irrst wieder. Ich verweigere euch die Erfüllung deines Wunsches nicht, weil sich der Apache etwa hier befindet, sondern weil dein Verlangen eine Beleidigung für mich ist. Wenn Old Death euch sagt, daß ihr belogen worden seid, so habt ihr es zu glauben. Wollt ihr euch trotzdem den Eingang erzwingen, so versucht es immerhin! Sehr ihr denn nicht ein, daß ein einziger von uns genügt, den Eingang zu verteidigen? Wenn er hier unten an der Treppe steht, so kann er jeden von euch niederschießen, welcher es wagen wollte, da hinabzusteigen. Ihr habt uns in feindlicher Absicht überfallen; darum weisen wir euch zurück. Geht hinunter vor das Tor und bittet um Einlaß, wie es sich gehört, so werden wir euch vielleicht als Freunde empfangen!“

„Der alte Bär gibt einen Rat, welcher sehr gut für ihn selbst ist, aber nicht für uns. Wenn er ein gutes Gewissen hat, so mag er uns in das Haus steigen lassen. Tut er das nicht, so werden wir hier an dieser Stelle bleiben und einen Boten absenden, um die ganze Schar der Comanchen herbei zu holen. Dann wird er wohl gezwungen sein, uns eintreten zu lassen.“

„Gewiß nicht! Selbst wenn tausend Comanchen kämen, so könnte doch immer nur einer hier hinab und müßte es augenblicklich mit dem Leben bezahlen. Übrigens wird es dir nicht gelingen, einen Boten abzusenden, denn sobald er den Schutz der Mauer nicht mehr hat, werde ich ihn von hier aus mit meiner Kugel niederstrecken. Ich bin ein Freund der Comanchen, aber ihr seid als Feinde gekommen und werdet als solche behandelt.“

Während des ganzen Herüber- und Hinüberredens waren unsere Gewehre auf die Indianer gerichtet gewesen. Obgleich es ihnen gelungen war, die Plattform zu ersteigen, befanden sie sich gegen uns doch im Nachteile. Das sah ihr Anführer gar wohl ein, und darum begann er wieder leise mit ihnen zu verhandeln. Aber auch unsere Lage war keine beneidenswerte. Old Death kratzte sich bedenklich hinter den Ohren und sagte:

„Die Geschichte ist außerordentlich fatal. Die Klugheit verbietet uns, die Comanchen feindlich zu behandeln. Holen sie die Andern herbei, so ist es um uns geschehen. Ja, wenn wir den Apachen verstecken könnten, daß es unmöglich wäre, ihn zu finden! Aber ich kenne dieses Haus genau und weiß, daß kein solches Versteck vorhanden ist.“

„So schaffen wir ihn hinaus!“ sagte ich.

„Hinaus?“ sagte der Alte. „Seid Ihr des Teufels, Sir? Auf welche Weise denn?“

„Habt Ihr die beiden heimlichen Türen vergessen? Sie befinden sich auf der hintern Seite, während die Comanchen vorn stehen und also nichts bemerken können. Ich schaffe ihn hinaus in das Gebüsch am Flusse, bis sie fort sind.“

„Dieser Gedanke ist freilich nicht schlecht,“ sagte Old Death. „An diese Türen habe ich gar nicht gedacht. Hinaus zu bringen wäre er wohl; aber wie nun, wenn die Comanchen draußen Wächter aufgestellt haben?“

„Das glaube ich nicht. Viele über fünfzig sind es nicht. Einige müssen doch bei den Pferden bleiben, welche vorn an der Mauer stehen. Da ist es nicht zu erwarten, daß sie auch hinten Leute hingestellt haben.“

„Gut, so können wir es versuchen, Sir. Ihr und einer der Peons mögt die Sache übernehmen. Wir werden es so einrichten, daß sie euch nicht hinabsteigen sehen, und auch dann stellen wir uns so zusammen, daß sie uns nicht zählen und also bemerken können, daß zwei von uns fehlen. Die Damen mögen euch helfen, und wenn ihr hinaus seid, das Schränkchen wieder vorschieben.“

„Und noch einen Vorschlag. Könnten wir nicht grad die Damen in die Krankenstube bringen? Wenn die Roten sehen, daß die Frauen da wohnen, werden sie doppelt überzeugt sein, daß sich kein Indianer dort befunden hat.“

„Ganz recht!“ bemerkte Sennor Atanasio. „Ihr braucht nur einige Decken zu legen und aus den Zimmern meiner Frau und Tochter die Hängematten hinabzuschaffen. Haken zum Aufhängen derselben sind in jeder Stube des Hauses vorhanden. Die Damen mögen sich hineinlegen. Ihr aber findet für den Apachen das beste Versteck gleich unterhalb der Stelle des Flusses, an welchem Ihr vorhin gebadet habt. Dort hängen dichte blühende Petunienranken bis in das Wasser herab, unter denen wir unsern Kahn versteckt haben. Legt Ihr den Apachen hinein, so kann kein Comanche ihn finden. Petro mag mit Euch gehen. Erst wenn Ihr zurückgekehrt seid, werden wir den Indianern erlauben, das Innere des Hauses zu betreten.“

Ich stieg mit dem Peon, welcher Petro hieß, hinab, wo die beiden Damen voller Sorge auf die Entwickelung des Ereignisses warteten. Als wir ihnen mitteilten, um was es sich handle, waren sie uns zur Ausführung unseres Vorhabens schnell behilflich. Sie selbst trugen Decken und Hängematten herbei. In eine der erstren wurde der Apache gewickelt. Als er hörte, daß die Comanchen da seien, um nach ihm zu suchen, sagte er mit schwacher Stimme:

„Inda-nitscho hat viele Winter gesehen, und seine Tage sind gezählt. Warum sollen die guten Bleichgesichter sich seinetwegen ermorden lassen? Sie mögen ihn den Comanchen überantworten, ihn aber vorher töten. Er bittet sie darum.“

Ich antwortete ihm nur durch ein energisches Kopfschütteln. Dann trugen wir ihn aus der Stube. Das Schränkchen wurde zur Seite gerückt und der Transport des Verwundeten glücklich bis hinaus vor die Mauer bewerkstelligt. Bisher hatte uns niemand gesehen. Draußen gab es Strauchwerk, welches uns für den Augenblick verbarg. Zwischen diesem und dem nahen Flusse aber zog sich ein freier Streifen hin, den wir quer zu durchschreiten hatten. Ich lugte vorsichtig hinaus und gewahrte zu meiner Enttäuschung einen Comanchen, welcher am Boden saß und Lanze, Köcher und Bogen vor sich liegen hatte. Er hatte die hintere Seite der Mauer zu bewachen, ein Umstand, welcher die Ausführung unseres Planes unmöglich zu machen schien.

„Wir müssen wieder zurück, Sennor,“ sagte der Peon, als ich ihm den Roten zeigte. „Wir könnten ihn zwar töten, aber das würde die Rache der Andern auf uns laden.“

„Nein, töten auf keinen Fall. Aber es muß doch möglich sein, ihn zu entfernen, ihn fortzulocken.“

„Das glaube ich nicht. Er wird seinen Posten nicht verlassen, bis er abgerufen wird.“

„Und doch habe ich einen Plan, welcher mir vielleicht gelingt. Du bleibst hier versteckt; ich aber lasse mich von ihm sehen. Sobald er mich bemerkt, tue ich, als ob ich erschrecke, und fliehe. Er wird mich verfolgen.“

„Oder Euch einen Pfeil in den Leib geben.“

„Das muß ich freilich riskieren.“

„Tut es nicht, Sennor! Es ist zu gewagt. Die Comanchen schießen mit ihren Bogen ebenso sicher, wie wir mit den Büchsen. Wenn Ihr flieht, kehret Ihr ihm den Rücken zu und könnt den Pfeil nicht sehen und ihm ausweichen.“

„Ich fliehe über den Fluß. Wenn ich auf dem Rücken schwimme, sehe ich ihn schießen und tauche sofort nieder. Er wird glauben, daß ich irgend etwas gegen die Seinen im Schilde führe und mir wahrscheinlich ins Wasser folgen. Drüben mache ich ihn für uns unschädlich; ich betäube ihn durch einen Hieb auf den Kopf. Du verlässest diesen Platz nicht eher, als bis ich zurückkehre. Ich habe vorhin beim Baden das Petuniengerank gesehen und weiß also, wo der Kahn sich befindet. Ich werde denselben holen und grad gegenüber anlegen.“

Der Peon gab sich Mühe, mich von meinem Vorsatze abzubringen, aber ich durfte nicht auf seine Einwendungen hören, da ich nicht wußte, in welcher andern Weise wir den uns erteilten Auftrag ausführen könnten. Ich verließ also die Stelle, an welcher wir uns befanden. Um dieselbe nicht zu verraten, schlich ich mich eine Strecke im Gebüsch an der Mauer hin und trat dann hervor, mir den Anschein gebend, als ob ich um die Ecke gekommen sei. Der Comanche sah mich nicht sofort. Bald aber drehte er mir das Gesicht zu und sprang schnell auf. Ich wendete mein Gesicht halb ab, damit er dasselbe später nicht erkennen möge. Er rief mir zu, stehen zu bleiben, und als ich nicht gehorchte, riß er den Bogen vom Boden auf, einen Pfeil aus dem Köcher und spannte den ersteren. Einige rasche Sprünge, und ich hatte das Ufergebüsch erreicht, noch ehe er schießen konnte. Ich sprang augenblicklich in das Wasser und legte mich, nach dein andern Ufer schwimmend, auf den Rücken. Nach wenigen Augenblicken brach er durch das Gesträuch, sah mich und zielte. Der Pfeil flog von der Sehne, und ich tauchte sofort nieder. Ich war nicht getroffen. Als ich wieder emporkam, sah ich ihn erwartungsvoll mit vorgebeugtem Körper am Ufer stehen. Er bemerkte, daß ich unverwundet war. Einen zweiten Pfeil hatte er nicht bei sich, da der Köcher liegen geblieben war. Da warf er den Bogen fort und sprang in das Wasser. Das war es, was ich wollte. Um ihn zu locken, gab ich mir den Anschein, als ob ich ein schlechter Schwimmer sei, und ließ ihn ziemlich nahe an mich herankommen. Dann tauchte ich nieder und arbeitete mich möglichst rasch flußabwärts. Als ich wieder emportauchte, befand ich mich ganz in der Nähe des Ufers. Er hielt weit oberhalb von mir und schaute, wo ich wieder an die Oberfläche kommen werde. jetzt hatte ich den beabsichtigten Vorsprung, schwamm an das Ufer, erstieg dasselbe und sprang zwischen Bäumen weiter, aber dem Wasserlaufe entgegen. Ich sah eine sehr starke, moosbewachsene Lebenseiche stehen, welche für meinen Zweck paßte. Ungefähr fünf Schritte von ihr entfernt rannte ich vorüber, noch eine Strecke weit, schlug dann einen Bogen und kehrte zu ihr zurück, um mich hinter ihr zu verstecken. Eng an den Stamm geschmiegt, erwartete ich die Ankunft des Roten, welcher auf alle Fälle meinen sehr sichtbaren Spuren folgte. Da kam er angesaust, triefend vor Nässe wie ich und laut keuchend, den Blick auf meine Fährte gerichtet. Er sprang vorüber, ich natürlich nun hinter ihm her. Sein lautes Keuchen hinderte ihn, meine Schritte zu hören, zumal ich nur mit den Fußspitzen auftrat. Ich mußte weite Sprünge machen, um ihn einzuholen. Dann noch ein tüchtiger Satz prall auf seinen Körper, so daß er mit voller Wucht nach vorn zu Boden stürzte. Da kniete ich schon auf ihm und hatte ihn beim Halse. Zwei Faustschläge auf den Schädel, und er bewegte sich nicht mehr. Unweit der Stelle, an welcher er lag, war eine Platane umgebrochen. Sie lag nach der Seite des Flusses, dessen Wasser vielleicht zwei Ellen unter ihren verdorrten Wipfeln dahinflossen. Das gab eine ganz vortreffliche Gelegenheit, wieder in den Fluß zu kommen, ohne eine Fährte zu hinterlassen. Ich stieg auf den Stamm und lief auf demselben hin, bis ich mich über dem Wasser befand, in welches ich sprang. Fast grad gegenüber sah ich die Blüten der Petunien leuchten. Dorthin schwamm ich, band das Boot los, stieg ein und ruderte nach der Uferstelle, an welcher der Apache eingenommen werden sollte. Dort hing ich das Boot an eine Wurzel und stieg aus. Wir mußten uns beeilen, fertig zu werden, bevor der Comanche wieder zu sich kam. Der Apache wurde nach dem Kahne getragen und ihm mit Hilfe der Decke und seiner Kleider ein passables Lager gemacht. Der Peon kehrte sofort zur Mauer zurück. Ich ruderte den Kahn wieder unter die Petunien, band ihn dort fest, schwamm wieder zurück und entledigte mich des leinenen Anzuges, um denselben auszuringen. Als ich ihn wieder angelegt hatte, suchte ich mit dem Auge das jenseitige Ufer ab, ob der Comanche bereits erwacht sei und unser Tun beobachtet habe. Ich konnte aber trotz aller Anstrengung nichts von dem Feinde sehen. Wir kehrten durch die verborgene Tür in die Estanzia zurück. Inzwischen war kaum eine Viertelstunde vergangen. Ich erhielt von der Sennora einen trockenen Anzug und konnte nun jedem Comanchen ins Gesicht lachen, welcher hätte behaupten wollen, daß ich außerhalb des Hauses und sogar im Flusse gewesen sei.

Nun legten sich die Damen in ihre Hängematten, und wir gingen hinauf auf die Plattform, natürlich nachdem wir unsere Waffen wieder an uns genommen hatten. Die beiden Parteien befanden sich noch in Unterhandlung. Old Death war bei der Behauptung geblieben, daß die Durchsuchung des Hauses eine Beleidigung für ihn und den Haciendero sei. Als ich ihm kurz mitteilte, daß der Apache in Sicherheit sei, gab er langsam nach und erklärte endlich, daß es fünf Comanchen erlaubt sein solle, sich zu überzeugen, daß der Apache sich nicht hier befinde.

„Warum nur fünf?“ fragte der Anführer. „Ist nicht einer von uns wie der andere? Was einer tut, sollen alle tun. Old Death kann uns Vertrauen schenken. Wir werden nichts berühren. Keiner von uns wird etwas stehlen.“

„Gut! Ihr sollt sehen, das wir großmütig sind. Ihr sollt alle in das Haus dürfen, damit sich jeder überzeugen kann, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Aber ich verlange, daß ihr vorher alle eure Waffen ablegt, und daß wir den, welcher eine Person oder eine Sache ohne unsere Erlaubnis anrührt, hier behalten dürfen, um ihn zu bestrafen.“

Die Roten berieten sich über diese Forderung und gestanden sie uns dann zu. Sie legten ihre Bogen, Köcher und Messer ab und stiegen dann hintereinander ein. Schon ehe ich mit Petro fortgegangen war, hatten die Vaqueros draußen auf der Ebene gehalten, gut beritten und bewaffnet, die Blicke zu uns herauf gerichtet. Sie hatten auf ein Zeichen ihres Herrn gewartet und sich nur deshalb ruhig verhalten, weil dieses nicht gegeben wurde.

Von uns vierzehn Männern waren der Haciendero und Old Death bestimmt, den Comanchen alle Räume zu öffnen. Zwei blieben auf der Plattform zurück, und je fünf kamen in die beiden Korridore zu stehen, um mit den Waffen in den Händen jeder etwaigen Ausschreitung der Roten sofort entgegen zu treten. Ich stand mit im untern Korridor und stellte mich an die Türe der Stube, in welcher der Apache gelegen hatte. Die Comanchen kamen stracks herab und auf diese Türe zu. Old Death öffnete dieselbe. Es war den Indianern anzusehen, daß sie überzeugt waren, den guten Mann da zu sehen. Anstatt dessen aber sahen sie die beiden Damen, welche lesend in ihren Hängematten lagen.

„Uff!“ rief der Anführer enttäuscht. „Da sind die Squaws!“

„Ja,“ lachte Old Death. „Und da soll der Häuptling der Apachen liegen, wie das Bleichgesicht gelogen hat. Tretet doch ein, und sucht nach ihm!“

Der Blick des Anführers durchflog den Raum; dann antwortete er:

„Ein Krieger tritt nicht in das Wigwam der Frauen. Hier ist kein Apache. Mein Auge würde ihn erblicken.“

„So sucht in den andern Räumen!“

Über eine Stunde dauerte es, bevor die Indianer ihre Untersuchung beendet hatten. Als sie keine Spur des Gesuchten fanden, kehrten sie noch einmal zurück. Die Damen mußten die Stube verlassen, welche nun noch einmal auf das genauste durchforscht wurde. Die Roten hoben sogar die Decken und Matratzen empor, welche direkt auf dem Boden lagen. Auch diesen letzteren untersuchten sie, ob es da vielleicht eine hohle Stelle gebe. Endlich waren sie überzeugt, daß der Gesuchte sich nicht auf der Estanzia befinde. Als der Anführer dies eingestand, sagte Old Death:

„Ich habe es euch gesagt, aber ihr glaubtet es nicht. Ihr habt einem Lügner mehr Vertrauen geschenkt als mir, der ich ein Freund der Comanchen bin. Wenn ich zu dem weißen Biber komme, werde ich mich bei ihm beschweren.“

„Will mein weißer Bruder denn zu ihm? So kann er mit uns reiten.“

„Das ist nicht möglich. Mein Pferd ist ermüdet; ich kann erst morgen weiter reiten; die Krieger der Comanchen aber werden schon heut diese Gegend verlassen.“

„Nein. Wir bleiben hier. Die Sonne geht zur Ruhe, und wir reiten nicht des Nachts. Wir brechen bei der Ankunft des Tages auf und da kann mein Bruder mit uns wandern.“

„Gut! Aber ich begleite euch nicht allein. Es sind noch vier Gefährten bei mir.“

„Auch sie werden dem weißen Biber willkommen sein. Meine weißen Brüder mögen uns erlauben, in dieser Nacht in der Nähe dieses Hauses zu ruhen.“

„Dagegen habe ich nichts,“ antwortete der Mexikaner. „Ich habe euch bereits gesagt, daß ich ein Freund der roten Männer bin, wenn sie friedlich zu mir kommen. Um euch das zu beweisen, werde ich euch ein Rind schenken, welches geschlachtet werden soll. Ihr mögt euch ein Feuer anbrennen, um es zu braten.“

Dieses Versprechen machte einen sehr guten Eindruck auf die Comanchen. Sie waren jetzt wirklich überzeugt, uns unrecht getan zu haben, und zeigten sich von ihrer friedfertigsten Seite. Freilich mochte dazu am meisten das Ansehen beitragen, in welchem Old Death bei ihnen stand. Sie hatten wirklich nichts angerührt und verließen nun das Haus, ohne von uns dazu aufgefordert zu werden. Die Treppen waren hinabgelassen, und das Tor stand offen. Einige bewaffnete Peons blieben als Wächter auf der Plattform zurück. Man durfte trotz des veränderten Benehmens der Roten keine Vorsicht versäumen. Wir andern gingen mit hinab, und nun kamen auch die Vaqueros herbei und erhielten den Befehl, ein Rind einzufangen. Die sämtlichen Pferde der Comanchen standen an der vordern Seite der Umfassungsmauer. Drei Posten hatten bei ihnen gehalten. Auch an der andern Seite war eine Wache aufgestellt gewesen. Diese Leute wurden jetzt herbeigeholt. Der eine von ihnen war derjenige, den ich über den Fluß gelockt hatte. Sein sehr unzureichendes Gewand war noch naß. Er war auf seinen Posten zurückgekehrt und hatte noch keine Gelegenheit gehabt, dem Anführer das Geschehene zu melden. jetzt trat er zu ihm und erzählte es ihm, doch so, daß wir Weißen nichts hörten. Er schien mit seinem Berichte zu Ende zu sein, als sein Auge auf mich fiel. Wegen der Bemalung seines Gesichtes konnte ich keine Veränderung seiner Züge bemerken, aber er machte eine Bewegung des Zornes, deutete auf mich und rief dem Anführer einige indianische Worte zu, deren Bedeutung ich nicht verstand. Der Letztgenannte betrachtete mich mit drohend forschendem Blicke, trat auf mich zu und sagte:

„Das junge Bleichgesicht ist vorhin über den Fluß geschwommen! Du hast diesen roten Krieger niedergeschlagen?“

Old Death nahm sich meiner an, indem er herbeitrat und den Anführer fragte, was er mit seinen Worten wolle. Der Gefragte erzählte, was geschehen war. Der Alte aber lachte lustig auf und sagte:

„Die roten Krieger scheinen sich nicht darauf zu verstehen, die Angesichter der Weißen zu unterscheiden. Es fragte sich überhaupt, ob es ein Bleichgesicht gewesen ist, welches dieser Sohn der Comanchen gesehen hat.“

„Ein Weißer war es,“ antwortete der Betreffende in bestimmtem Tone. „Und kein anderer als dieser hier. Ich habe sein Gesicht gesehen, als er schwimmend auf dem Rücken lag. Auch hatte er dasselbe weiße Gewand an.“

„So! In den Kleidern ist er über den Fluß geschwommen? Dein Anzug ist noch naß. Der seinige müßte es auch noch sein. Fühle ihn aber an, so wirst du dich überzeugen, daß er vollständig trocken ist.“

„Er hat den nassen ausgezogen und im Hause einen andern angelegt.“

„Wie ist er hineingekommen? Haben nicht eure Krieger hier an dem Tore gestanden? Kein Mensch kann in das Haus oder aus demselben, ohne diese Treppen zu besteigen, an welchen sämtliche Krieger der Comanchen standen. Kann mein junger Gefährte also außerhalb des Hauses gewesen sein?“

Sie gaben das zu, und der überlistete Posten war endlich auch selbst der Meinung, daß er sich geirrt habe. Als dann der Haciendero bemerkte, es treibe sich seit einiger Zeit eine Bande von Pferdedieben in dieser Gegend herum, zu denen der Mensch jedenfalls gehöre, so war die Angelegenheit erledigt. Nur der Umstand blieb rätselhaft, daß keine Spur vorhanden gewesen war, aus welcher man hätte ersehen können, nach welcher Richtung dieser Mann davongegangen sei. Um dieses Rätsel zu lösen, ritt der Anführer mit dem Posten und einigen andern durch die Furt und dann nach der betreffenden Stelle. Glücklicherweise aber begann es bereits dunkel zu werden, so daß eine genaue Untersuchung des Ortes nicht mehr stattfinden konnte. Old Death, der Schlaue, nahm mich mit sich, um am Flusse entlang zu spazieren. Die Augen auf die Reiter am jenseitigen Ufer gerichtet und uns scheinbar nur mit diesen beschäftigend, gingen wir langsam fort und blieben bei den Petunien stehen, Dort sagte der Alte so leise, daß nur ich und der im Kahne Befindliche es hören konnten:

„Old Death steht da mit dem jungen Bleichgesichte, welches den guten Mann hier versteckt hat. Erkennt mich der Häuptling der Apachen vielleicht an der Stimme?“

„Ja,“ lautete die ebenso leise Antwort.

„Die Comanchen glauben jetzt, daß sich der gute Mann nicht hier befindet. Sie werden beim Anbruche des Tages fortreiten. Aber wird mein Bruder es so lange im Kahne aushalten können?“

„Der Apache hält es aus, denn der Duft des Wassers erquickt ihn, und das Fieber wird nicht wiederkehren. Der Häuptling der Apachen möchte aber gern wissen, wie lange Old Death mit seinen Gefährten hier bleibt.“

„Wir reiten morgen mit den Comanchen fort.“

„Uff! Warum gesellt sich mein Freund zu unsern Feinden?“

„Weil wir einige Männer suchen, welche bei ihnen zu finden sind.“

„Werden die weißen Männer auch mit Kriegern der Apachen zusammentreffen?“

„Das ist leicht möglich.“

„So möchte ich dem jungen Krieger, welcher sein Leben wagte, um mich hier zu verbergen, gern ein Totem geben, welches er den Söhnen der Apachen zeigen kann, um ihnen stets willkommen zu sein. Old Death ist ein schlauer und erfahrener Jäger; ihn werden die Hunde der Comanchen nicht ertappen, wenn er mir, sobald es dunkel geworden ist, ein Stück weißes Leder und ein Messer bringt. Vor Anbruch des Tages kann er dann das Totem abholen, welches ich während der Nacht anfertigen werde.“

„Ich werde beides bringen, das Leder und das Messer. Wünschest du noch anderes?“

„Nein. Der Apache ist zufrieden. Möge der gute Manitou stets über die Pfade Old Deaths und des jungen Bleichgesichtes wachen.“

Wir kehrten jetzt wieder zurück. Keinem war es aufgefallen, daß wir eine Minute lang am Flusse gestanden hatten. Der Alte erklärte mir:

„Eine große Seltenheit ist es, daß ein Weißer das Totem eines Indianerhäuptlings bekommt. Ihr habt viel Glück, Sir! Die Handschrift des guten Mannes kann Euch von großem Nutzen sein.“

„Und Ihr wollt es wirklich wagen, ihm das Leder und Messer zu besorgen? Wenn Ihr dabei von den Comanchen erwischt werdet, so ist es um den Apachen und um Euch geschehen!“

„Unsinn! Haltet Ihr mich für einen Schulknaben? Ich weiß stets sehr genau, was ich wagen kann und was nicht.“

Der Anführer der Indsmen kehrte unverrichteter Sache zurück. Die Spur war nicht mehr deutlich zu erkennen gewesen.

Der Tag verging ohne Störung und die Nacht ebenso. Früh wurde ich von Old Death geweckt. Er gab mir ein viereckiges Stück weißgegerbtes Leder. Ich betrachtete dasselbe und konnte nichts Besonderes bemerken, denn einige feine Einschnitte auf der glatten Seite des Leders schienen mir ganz bedeutungslos zu sein.

„Das ist das Totem?“ fragte ich. „Ich kann nichts Außerordentliches an ihm entdecken.“

„Ist auch nicht nötig. Gebt es dem ersten Apachen, der Euch begegnet, und er wird Euch darüber aufklären, weichen Schatz Ihr besitzt. Die Schrift dieses Totem ist jetzt noch unsichtbar, weil der gute Mann keine Farbe bei sich hatte. Aber wenn Ihr es einem Apachen gebt, wird er die Einschnitte färben, worauf die betreffenden Figuren erkennbar sein werden. Doch laßt dieses Leder um Gottes willen nicht einen Comanchen sehen, da man Euch für einen Freund der Apachen halten würde. jetzt zieht Euch um, und kommt hinab. Die Comanchen sind in kurzer Zeit zum Aufbruche bereit.“

Die Wilden waren beschäftigt, ihr Frühmahl zu halten, welches aus den gestern abend übrig gebliebenen Fleischresten bestand. Dann holten sie ihre Pferde zusammen, um sie am Flusse zu tränken. Dies geschah glücklicherweise oberhalb der Stelle, an welcher der Apache versteckt lag. Nun kam auch der Haciendero mit seinen beiden Damen zum Vorscheine, welche vor den Roten nicht mehr die mindeste Sorge sehen ließen. Als er unsere Pferde Sah, welche von den Vaqueros herbeigebracht wurden, meinte er kopfschüttelnd zu Old Death:

„Das sind keine Pferde für Euch, Sennor. Ihr wißt, welchen Wert ein gutes Pferd besitzt. Dieser Sennor Lange und sein Sohn gehen mich nichts an, ebensowenig der Neger. Ihr aber seid ein alter Freund von mir, und da Ihr diesen jungen Herrn so in Euer Herz geschlossen habt, so habe ich ihm auch das meinige geöffnet. Ihr beide sollt bessere Pferde haben.“

Wir nahmen das Anerbieten das Hacienderos dankend an. Auf seinen Befehl fingen die Vaqueros zwei halbwilde Pferde ein, welche wir an der Stelle der unserigen nehmen mußten. Dann verabschiedeten wir uns von ihm und seinen Damen und brachen mit den Comanchen auf.

Die Sonne war noch nicht über den Horizont emporgestiegen, als wir über den Elm-Creek setzten und dann im Galoppe nach Westen flogen, voran wir Fünf mit dem Anführer der Comanchen, und dessen Leute hinter uns her. Ich hatte dabei ein Gefühl der Unsicherheit, denn es war mir immer, als müsse mir ein Pfeil oder eine Lanze in den Rücken fahren. Die auf ihren kleinen, struppigen, mageren und doch so ausdauernden Pferden sitzenden Indianer machten in ihrer Bewaffnung, Bemalung und der ganzen Art und Weise, sich zu geben, nicht den Eindruck, als ob wir uns ihnen anvertrauen könnten. Old Death beruhigte mich aber darüber, als ich eine darauf bezügliche Bemerkung machte. Noch war nicht darüber gesprochen worden, wann und wo wir den Haupttrupp der Comanchen treffen würden. Jetzt erfuhren wir, daß derselbe nicht etwa angehalten habe, um die Rückkehr der abgesandten Fünfzig zu erwarten, sondern daß der Anführer der letzteren den Befehl erhalten hatte, den guten Mann auf der Hacienda gefangen zu nehmen und unter einer Bedeckung von zehn Mann nach den Dörfern der Comanchen zu schicken, wo der Marterpfahl seiner wartete. Die übrigen vierzig sollten im Eilritte nach dem Rio Grande kommen und dort der Spur des Haupttruppes folgen, um zu demselben zu stoßen. Da der weiße Biber von Gibson erfahren hatte, daß Winnetou über den Fluß entkommen sei und die Apachen natürlich sofort alarmieren werde, so hielt er die größte Eile für geboten, um die Feinde doch noch zu überraschen, bevor sie sich im Verteidigungszustande befanden. Für uns kam es vor allen Dingen darauf an, Gibson noch bei den Comanchen zu finden.

Nach ungefähr zwei Stunden kamen wir an die Stelle, an welcher sich unsere indianischen Begleiter gestern von der Hauptschar getrennt hatten. Im Süden von uns lag am Rio Grande der Eagle-Paß mit Fort Dunkan, welches die Roten zu vermeiden hatten. Nach abermals zwei Stunden zeigten sich spärliche Grasspuren, und wir hatten die Nueces-Wüste hinter uns. Die Fährte, welcher wir folgten, bildete eine schnurgerade Linie, welche von keiner andern gekreuzt wurde; die Comanchen waren unbemerkt geblieben, Der Boden schmückte sich nach und nach mit einem intensiveren Grün, und endlich sahen wir im Westen Wald auftauchen. Das verkündete die Nähe des Rio Grande del Norte.

„Uff!“ meinte der Anführer im Tone der Erleichterung. „Kein Bleichgesicht ist uns begegnet, und niemand wird uns verwehren, sogleich über den Fluß zu gehen. Die Hunde der Apachen werden uns bald bei sich sehen und vor Schreck heulen beim Anblicke unserer tapferen Krieger.“

Wir ritten eine Zeit lang langsam unter Platanen, Ulmen, Eschen, Hackberries und Gummibäumen hin, und dann erreichten wir den Fluß. Der weiße Biber war ein guter Führer der Seinen. Die meilenweite Spur, welche uns als Wegweiser gedient hatte, führte linienrecht auf die Stelle zu, an welcher es eine Furt gab. Der Rio Grande war hier sehr breit; er hatte aber wenig Wasser. Nackte Sandbänke ragten aus demselben hervor, aber sie bestanden aus losem Triebsande, in welchem es gefährliche Stellen gab, wo man leicht versinken konnte. Hier am Ufer hatten die Comanchen während der verflossenen Nacht ihr Lager aufgeschlagen, wie man aus den Spuren ersehen konnte. Wir mußten annehmen, daß sie ebenso zeitig wie wir aufgebrochen seien; aber so schnell hatten sie nicht reiten können wie wir, denn sie befanden sich nun im Streifgebiete der Apachen und waren infolgedessen zu Vorsichtsmaßregeln gezwungen, durch welche ihrer Schnelligkeit Abbruch geschehen mußte. So sah man, daß ihr Übergang über den Fluß nicht ohne große Vorsicht bewerkstelligt worden war. Zahlreiche Fußstapfen bewiesen, daß einige von ihnen abgestiegen seien, um die trügerischen Sandablagerungen zu untersuchen. Die gangbaren Stellen waren mit in den Boden gesteckten Zweigen bezeichnet worden. Für uns war es leichter, hinüber zu kommen, da wir nur ihren Spuren zu folgen brauchten. Der Fluß wurde durch die Bänke in mehrere Arme geteilt, welche unsere Pferde zu durchschwimmen hatten. Drüben hatten wir wieder eine schmale Baum- und Strauchregion zu durchqueren, welcher Gras und endlich wieder Sand folgte. Wir befanden uns in der zwischen dem Rio Grande und der Bolson de Mapimi gelegenen Region, die so recht zum Umherstreifen wilder Indianerhorden geeignet ist. Eine weite Sandebene, welche nur durch große oder kleinere Kaktusstrecken unterbrochen wird. Durch diese Ebene führte die sehr deutliche Spur in beinahe westlicher, nur ein wenig nach Süden geneigter Richtung. Aber wenn ich der Ansicht gewesen war, daß wir die Comanchen heute erreichen würden, so hatte ich mich geirrt. Der durch die Pferdehufe weit nach hinten geschleuderte Sand bewies uns, daß sie sich großer Eile befleißigt hatten. Gegen Mittag durchkreuzten wir eine schmale, niedrige und öde Hügelkette, worauf nun wieder dieselbe sandige Ebene folgte.

Ich mußte die Ausdauer der indianischen Pferde bewundern. Der Nachmittag war weit vorgeschritten, und doch zeigten sie noch keine Spur von Ermüdung. Die drei Gäule von Lange, Sohn und dem Neger konnten nur mit Mühe folgen. Old Deaths und mein Pferd aber bewiesen, daß wir bei dem Tausche sehr im Vorteile gewesen waren. Schon drohte es, dunkel zu werden, als wir zu unserem Erstaunen sahen, daß die Fährte plötzlich ihre bisherige Richtung änderte. Vor ungefähr einer Viertelstunde hatten wir den von San Fernando nach Baya führenden Reitweg durchschnitten; jetzt brach die Spur nach Südwesten ab. Warum? Es mußte ein Grund dazu vorhanden gewesen sein. Old Death erklärte es uns. Man sah aus den Hufeindrücken, daß die Comanchen hier gehalten hatten. Grad von Norden her stieß die Fährte zweier Reiter auf diejenige der Roten. Der Alte stieg ab, untersuchte die erstere und sagte dann:

„Hier sind zwei Männer, welche Indianer waren, zu den Comanchen gekommen. Sie haben ihnen eine Nachricht gebracht, welche die Krieger des weißen Bibers veranlaßt hat, ihre Richtung zu ändern. Wir können nichts als dasselbe tun.“

Der Anführer stieg auch ab und bestätigte die Ansicht des Alten, nachdem er die Fährte untersucht hatte. Wir wendeten uns infolgedessen auch nach Süden, So lange es möglich war, die Fährte zu erkennen, ritten wir, denn es sollte heute eine möglichst große Strecke zurückgelegt werden. Selbst als es dämmerte, waren die Hufstapfen noch von der glatten Sandfläche zu unterscheiden. Dann aber verlief alles schwarz in schwarz. Wir wollten halten. Da blies mein Pferd die Nüstern auf, wieherte laut und wollte weiter. Es roch wahrscheinlich Wasser, und darum tat ich ihm den Willen. Nach einigen Minuten kamen wir wirklich an einen Fluß, an welchem wir Halt machten.

Nach einem so anstrengenden und heißen Ritte, wie dem heutigen, war das aufgefundene Wasser eine wahre Erquickung für Menschen und Tiere. In kurzer Zeit war ein Lagerplatz gewählt; die Roten stellten Wachen auf und ließen die Tiere unter Aufsicht derselben weiden. Wir Weißen setzten uns zueinander, Old Death erging sich in Berechnungen, was für ein Wasser es sei, an welches wir so unerwartet geraten waren, und kam endlich zu der Überzeugung, daß es der Morelos sei, welcher bei Fort Dunkan in den Rio grande fließt. Die am nächsten Morgen angestellte Untersuchung ergab, daß wir uns an einem ganz hübschen Wasserlaufe befanden, über den nicht weit von uns die Comanchen geschwommen waren. Wir taten dasselbe und folgten ihrer Spur von neuem. Um die Mittagszeit wendete sich die Fährte nach Westen, und wir sahen in dieser Richtung nackte Berge vor uns aufsteigen. Old Death machte ein bedenkliches Gesicht. Von mir über die Ursache desselben befragt, antwortete er:

„Die Geschichte gefällt mir nicht. Ich kann den weißen Biber nicht begreifen, daß er sich in diese Gegend wagt. Wißt Ihr etwa, was für eine schöne Gegend da vor uns liegt?“

„Ja, die Bolson de Mapimi.“

„Und kennt Ihr diese Wüste?“

„Nein.“

„Diese Mapimi ist ein wahrer Mehlwürmertopf, aus welchem zu allen Zeiten die wilden Völkerschaften hervorgebrochen sind, um sich räuberisch auf die angrenzenden Länder zu werfen. Dabei dürft Ihr aber nicht etwa denken, daß es ein fruchtbares Land sein müsse, weil es eine solche Menschenzahl ausbrütet. Aber man hat immer die Erfahrung gemacht, daß wüste Gegenden der Ausgangspunkt von Völkerwanderungen sind. Den Stämmen, die da oben auf dieser Hochebene und in den Schluchten, Gründen und Tälern wohnen, ist nicht beizukommen. Ich weiß ganz genau, daß sich mehrere Horden der Apachen dort festgesetzt haben. Ist es die Absicht der Comanchen, diese zu überfallen, so können sie mir ungeheuer leid tun, nicht die Apachen, sondern die Comanchen. Im Norden streifen die Apachen zwischen dem Rio del Norte und dem Rio Pecos, und den ganzen Nordwesten bis über den Gila hinüber haben sie inne. Die Comanchen wagen sich also in eine Falle, welche sehr leicht über ihnen zuklappen kann.“

„O weh! Da stecken auch wir mit drin!“

„Ja, aber ich fürchte mich nicht allzusehr. Wir haben den Apachen nichts getan, und so hoffe ich, daß sie uns nicht feindselig behandeln. Im Notfalle wird Euer Totem von guter Wirkung sein.“

„Ist es nicht unsere Pflicht, die Comanchen zu warnen?“

„Versucht es doch einmal, Sir! Sagt einem zehnmal, daß er dumm sei, er glaubt es dennoch nicht. Ich habe vorhin dem Anführer gesagt, was ich denke. Er schnauzte mich ab, und sagte, er habe der Spur des weißen Bibers, zu folgen. Wenn wir das nicht tun wollten, so stehe es uns frei, zu reiten, wohin es uns behebe.“

„Das war grob!“

„Ja, die Comanchen nehmen keinen Kursus in Anstandslehre und Konversation. Soll mich wundern, wenn sich da oben nicht irgend etwas über uns zusammenbraut. Über die Grenze sind wir hinüber; ob und wie wir wieder herüberkommen, das steht in einem Buch gedruckt, welches ich noch nicht gelesen habe.“ – – –

EPUB

Download als ePub

 

Downloaden sie das eBook als EPUB. Geeignet für alle SmartPhones, Tablets und sonst. Lesegeräte, die mit EPUB zurechtkommen.

PDF

Download als PDF

 

Downloaden sie das eBook als PDF.
Geeignet für alle PC, Tablets und sonst. Lesegeräte, die mit PDF zurechtkommen.

Gratis + Sicher

  • Viren- und Trojanergeprüft
  • ohne eMailadresse
  • ohne Anmeldung
  • ohne Wartezeit
  • Werbefreie Downloads