Unter der Erde

Krokodile einbalsamiert? Jawohl! Die alten Ägypter balsamierten nicht nur menschliche Leichen, sondern auch diejenigen von Krokodilen, Stieren, Katzen, Wölfen, Ibissen, Sperbern, Fledermäusen und verschiedenen Fischarten ein. Sie glaubten an deren Fortdauer nach dem Tode und waren daher bestrebt, den Leib zu erhalten, damit die abgeschiedene Seele denselben bei ihrer Rückkehr vorfinden möge. Um die Leichen zu konservieren, wurde die Bauch-, Brust- und Kopfhöhle derselben mit einer Masse angefüllt, welche vorzugsweise aus einer Art Asphalt bestand, welche den Namen Mumiya führte. Aus diesem Grunde werden diese Dauerleichen Mumien genannt.

Man streckte die Leichen lang aus und legte ihnen die Hände an die Seiten oder kreuzte sie über der Schoßgegend. Jedes einzelne Glied wurde besonders in Leinwand gehüllt und dann auch der ganze Körper mit einer Menge von Binden umwunden. Dann legte man sie, je nach dem Stande, welchem sie angehört hatten, entweder in hölzerne Särge, die manchmal zwei- oder dreifach waren, oder in steinerne Sarkophage. Die Armen wurden uneingesargt begraben oder im Sande verscharrt.

Es giebt mehrere Arten von Mumien. Die ältesten hat man in Memphis gefunden; sie sind schwarz und so ausgetrocknet, daß sie sehr leicht zerbrechen. Die Mumien von Theben haben eine gelbe, matt glänzende Farbe, und die Nägel sind mit Hennah gefärbt, ein Gebrauch, welcher bei den orientalischen Frauen noch heute sehr beliebt ist. Die älteste von uns gefundene Mumie ist diejenige des Königs Merenre, welcher vor weit über viertausend Jahren lebte. Viele der Mumien tragen Ringe und anderes Geschmeide, auch findet man Proben von Früchten und Getreide bei ihnen.

Leider ist schon seit Jahrhunderten mit den altägyptischen Totenstädten in einer Weise verfahren und in ihnen gehaust worden, die man tief beklagen muß. Noch in neuerer Zeit haben die plündernden Araber in den »Familienverhältnissen« der einbalsamierten Könige und Fürsten, indem sie dieselben aus den Särgen nahmen und unter einander warfen, eine ganz heillose Verwirrung angerichtet. Man handelte bereits im Mittelalter mit Mumien. Es hatte ein jeder das Recht, die Gräber zu öffnen und die Toten davonzutragen. Erst Mehemed Ali that diesem Treiben Einhalt, indem er den Mumienhandel als Monopol erklärte; doch hat der frühere Schacher nicht ganz aufgehört; er wird heimlich betrieben und ist zum Schmuggel geworden. Die Beduinen und Fellatah erbrechen die Mumienhallen und zerschlagen die Schädel der Leichen, weiche, wie bekannt, ein Stückchen Goldblech enthalten – das Überfahrtsgeld auf dem Totenflusse.

Für unsere jetzige Zeit ist es kaum glaublich, daß sich sogar die Medizin der Mumien bernächtigte. Zunächst waren es die Alchymisten, welche den Stein der Weisen suchten, die ganze Schiffsladungen von Mumien bezogen. Diesen folgten die Elixierfabrikanten, welche sich mit der Herstellung eines Lebenssaftes beschäftigten. Man schrieb den Mumien und zerstückelten Leichenresten geheimnisvolle Kräfte zu. Gab es doch Gelehrte, welche behaupteten, daß man mit Stierblut, Menschenasche, Euphorbiensaft und Mumienstaub den Menschen auf künstliche Weise »herzustellen« vermöge!

Die deutschen und österreichischen Droguengeschäfte bezogen die Mumien über Livorno und Triest. Im Anfange der siebenziger Jahre kostete der Wiener Zentner Mumien fünfzig Gulden. Da der Schmuggel jetzt sogar mit Lebensgefahr verbunden ist, hat der Preis sich auf vier- bis fünfhundert Gulden erhöht, für Vornehme. Dieser hohe Preis ist wohl der Grund, daß es gewisse Geschäfte giebt, welche falsche Mumien aus Erde fertigen. Glücklicherweise hat man den arzneilichen Unwert des Mumienstoffes mehr und mehr eingesehen, so daß der Verbrauch sich jetzt nur noch auf einige Alpengegenden beschränkt, wo das »Mum« von den Landleuten als Heilmittel gegen Tierkrankheiten gebraucht wird.

Am nächsten Morgen war ich schon zeitig zu dem Ausfluge bereit. Der Stallmeister wollte mich begleiten, und Selim ging auch mit. Der dicke Haushofmeister hätte sich der Partie wohl angeschlossen, besaß aber infolge der unglückverheißenden Mondfinsternis kein rechtes Vertrauen in das Gelingen derselben. Er hatte es ja gestern erfahren, was es für Folgen bringt, wenn man die Warnung einer Mondverfinsterung verachtet. Daher blieb er daheim, wo er sich im Schutze seines Amulettes leidlich sicher fühlte.

Zwei Reitknechte, welche uns rudern und bedienen sollten, brachten uns an den Fluß, wo ein kleines Boot für uns vor Anker lag. Es enthielt neben mehreren Kissen und anderen Bequemlichkeiten eine hinreichende Anzahl der notwendigen Wachsfackeln. Mit Zündhölzern hatten wir uns reichlich versehen. Auch Stricke und Schnüre waren für den Bedarfsfall mitgenommen worden.

Es war ein wunderbar schöner Morgen, ein Morgen, wie er nur am Nil geboren werden kann. Der Nebel hatte sich gehoben, und auf dem Flusse lag ein leiser Duft, den die über die arabische Wüste herüberflutenden Sonnenstrahlen in einen durchsichtigen, goldflimmernden Schleierverwandelten, welchen die Nilfee um ihre Glieder schlang.

Wir stießen vom Lande und steuerten hinüber in die Mitte des Stromes. Abwärts ging es, an Mankabat vorüber; dann lag am linken Ufer Monsalud, am rechten aber Maabdah, wo wir anlegten. Von der letzten Nilüberschwemmung her stand das Ufer noch ziemlich unter Wasser, doch gab es einen aus demselben ragenden Damm, auf welchem wir in das Dorf gelangten. Dieses liegt ungefähr eine halbe Wegsstunde von dem Dschebel Abu Fehdah entfernt, dem Gebirgszuge, in welchem sich die Höhlen befinden, die den alten Ägyptern als Begräbniskammern für ihre heiligen Krokodile dienten.

In dem Dorfe fragten wir nach einem Führer, denn ohne Führer ist es ganz unmöglich, sich in den verworrenen Höhlengängen zurecht zu finden. Ein Fremder, welcher sich da auf seine eigene Findigkeit verlassen wollte, würde Gefahr laufen, sich zu verirren und auf elende Weise zu ersticken oder zu verschmachten. Man brachte uns sehr bald einen Mann, welcher sich bereit erklärte, uns die Höhle, deren eingehende Besichtigung höchstens zwei Stunden in Anspruch nimmt, zu zeigen. Als ich ihn fragte, was er dafür verlange, antwortete er:

»Fünf Personen, für die Person vierzig Piaster, macht zweihundert Piaster.«

Für zwei Stunden! So eine Forderung war mir denn doch noch nicht vorgekommen, obgleich man hier zu Lande jede Forderung wenigstens auf die Hälfte derselben reduzieren muß.

»Schön!« antwortete ich. »Jetzt habe ich gehört, wie viel du forderst; nun sollst du vernehmen, wie viel ich geben werde. Es werden nur drei von uns in die Höhle gehen. Ich zahle für die Person zehn Piaster, zusammen also dreißig. Bin ich am Schlusse mit dir zufrieden, so bekommst du noch ein Bakschisch von zehn Piastern.«

Das waren in Summa acht Mark, für einen ägyptischen Tagedieb und die Zeit von zwei Stunden, gewiß eine hinreichende Bezahlung. Er aber that beleidigt und rief aus:

»Herr, wie kannst du mir das bieten! Die Höhle ist ungesund; ich opfere den Fremden mein Leben, und wenn ich nicht mit euch gehe, so werdet ihr das Licht des Tages nicht wieder erblicken.«

»Wir werden es wiedersehen, obgleich wir auf deine Begleitung verzichten, denn wir werden einen andern Führer bekommen.«

»Ihr bekommt keinen, denn ich bin der einzige.«

»Lüge nicht. Jeder Einwohner dieses Dorfes ist in der Höhle gewesen und kann uns als Führer dienen. Ich werde es dir gleich beweisen.«

Ich gebot den beiden Reitknechten, andere Leute zu holen, welche keine solche Ansprüche machten. Sie entfernten sich. Kaum aber waren sie eine kleine Strecke fort, so rief ihnen der Mann zu, zurückzukommen, und fragte mich, ob ich hundert und fünfzig, dann hundert, achtzig u. s. w. zahlen wollte, aber ich antwortete:

»Ich bleibe bei meinem Worte. Ich gebe dreißig und dann als Bakschisch noch zehn, aber auch nur dann, wenn wir mit dir zufrieden sind.«

»So muß ich mich fügen. Aber Allah mag es dir verzeihen, daß du die Sorge eines Armen vermehrst! Ich an deiner Stelle hätte dreihundert, also zehnmal mehr, gegeben.«

»Da du nicht an meiner Stelle bist, so wirst du mich wohl selber zahlen lassen. Doch habe ich ganz und gar nichts dagegen, wenn du die Güte haben willst, dies für mich zu thun.«

»Herr, dein Herz ist hart, und deine Rede klingt wie zwei Steine, welche man gegen einander schlägt. Kommt, ich werde euch führen!«

Er schritt voran, und wir folgten ihm. Wir gingen durch das nicht große Dorf und gelangten bald an den Fuß der steilen Höhe, jenseits welcher sich die Wüste bis zum roten Meere erstreckt. Dort lag ein Begräbnisplatz mit dem kuppelförmigen Grabmale eines Fakir. Vor demselben kniete auf dem Gebetsteppiche ein Mann. Als er bei unserer Annäherung uns das Gesicht zuwendete, erblickte ich so wahrhaft ehrwürdige Züge, wie ich sie noch selten gesehen hatte. Dieses Gesicht wurde von einem schneeweißen Barte eingerahmt, welcher bis zum Gürtel niederfiel.

Unser Führer blieb stehen, um sich vor diesem Patriarchen tief zu verneigen und, die Hände über die Brust gekreuzt, ihm zu sagen:

»Allah segne dich und sende dir Gnade und Leben, o Mukaddas. Dein Weg möge zum Paradiese führen!«

Der Alte erhob sich, trat uns langsam näher, warf einen forschenden Blick auf uns und antwortete dem Grüßenden:

»Ich danke dir, mein Sohn! Auch dein Weg führe zur ewigen Wohnung des Propheten! Du willst nach der Höhle?«

»Ja. Ich soll sie diesen Fremden zeigen.«

»Thue es, damit sie erkennen, wie nichtig alles Irdische ist. Mag man dem Leibe eine Dauer von Jahrtausenden geben, er muß doch zerfallen, damit Erde zur Erde, Staub zum Staube komme. Nur Allah allein ist ewig und hat nur dem Geiste der Sterblichen erlaubt, an der Unendlichkeit teilzunehmen.«

Er wendete sich ab, drehte sich aber, wie von einem plötzlichen Einfall getrieben, wieder um, nahm mich scharf in die Augen, trat nahe zu mir heran und sagte:

»Was ist das für ein Gesicht! Was sind das für Züge, für Augen! Welche Gedanken wohnen hinter dieser Stirne! Ich möchte sie ergründen und dann in deine Zukunft blicken, denn mir ist die Gabe der Weissagung verliehen. Oder glaubst du nicht, daß Allah einem Sterblichen gestattet, in die Ferne zu blicken?«

Diese Frage war an mich gerichtet; ich antwortete:

»Gott allein weiß, was geschehen wird.«

»Er weiß es, aber er teilt es zuweilen einem seiner Gläubigen mit. Ich werde es dir beweisen. Ich kann deinem Gesichte nicht widerstehen; es zieht mich an, wie die Sonne den Halm gen Himmel richtet. Reiche mir deine Hand! Ich will sehen, ob ich in den Linien derselben das bestätigt finde, was ich in deinen Zügen lese.«

Also Chiromantie! Wer glaubt noch an solchen Humbug! Und doch sah dieser ehrwürdige Patriarch ganz und gar nicht einem Schwindler, einem Hokuspokusmacher ähnlich. Was sollte ich machen? Ihn durch eine Zurückweisung kränken oder gar beleidigen? Er kam meinem Entschlusse zuvor, indem er meine Hand ergriff und die innere Fläche derselben seinem Auge näherte. Nachdem er die Linien eine kurze Weile studiert hatte, gab er mir die Hand frei und sagte:

»Diese Hand bestätigt alles, was dein Gesicht mir sagte. Deine Zukunft liegt eröffnet vor mir wie ein Haus, in dessen Thüre ich trete, um mich in den Gemächern umzuschauen. Zweifelst du noch immer?«

»Ja.«

»So will ich dir Vergangenes und Gegenwärtiges sagen, damit du dann nicht an dem Kommenden zweifelst. Du trägst die Kleider eines Gläubigen und sprichst die Sprache der Moslemin; aber du bist nicht ein Anhänger des Propheten, sondern ein Christ.«

Da er mich dabei fragend anblickte, so nickte ich bejahend. Er fuhr fort:

»Es giebt viele Länder der Christen; ich sehe jetzt nur zwei. Jedes derselben wird von einem mächtigen Herrscher regiert, das eine von einem Könige und das andere von einem Kaiser. Beide bekriegen sich. Ich höre tausend Kanonen brüllen und sehe mächtige Reiterscharen gegen einander rasseln. Der König siegt und führt den Kaiser gefangen mit sich fort. Dann erblicke ich auf dem Haupte des Königs eine Kaiserkrone und vernehme den Jubel seines Volkes. Auch du jubelst, denn du bist ein Sohn dieses siegreichen Volkes.«

Wieder sah er mich an, als ob er eine Antwort erwarte, und wieder nickte ich, ohne ein Wort zu sagen, mit dem Kopfe. Er sprach weiter:

»Ich sehe ein Schiff mit vielen Segeln. Der Reïs desselben ist ein Schwert der Gerechtigkeit, und du bist sein Freund. Ihr werdet viele Menschen glücklich machen und Ruhm und Ehre ernten! Ist dir ein solcher Reïs bekannt?«

»Ja,« antwortete ich, indem ich natürlicherweise an den Reïs Effendina dachte.

»Ich habe dir die Wahrheit gesagt und könnte dir nun auch die Zukunft zeigen. Aber da du gezweifelt hast, so werde ich schweigen und dir nur einiges mitteilen, weil es dich vor großem Unheile, vielleicht gar vor dem Tode bewahrt. Das Auge meiner Seele erblickt einen Sohn der Rachsucht, welcher dir nach dem Leben trachtet. Er war dir öfters nahe, aber Allah beschützte dich. Wenn du ihm entgehen willst, so reise jetzt nicht weiter. Es ist Vollmond; bleibe bis zur Zeit des nächsten Viertels da, wo du dich jetzt befindest! Das ist es, was ich dir mitteilen wollte. Glaube mir, oder glaube mir nicht; mich erfreut oder betrübt es nicht; dir aber wird es, je nachdem du handelst, Segen oder Unglück bringen. Allah geleite dich!«

Er drehte sich um, kehrte zu seinem Teppich zurück und kniete auf demselben nieder, um sich wieder ins Gebet zu versenken. Er hatte keine Belohnung gefordert; sein Verhalten ließ vielmehr erwarten, daß er jede Gabe zurückweisen werde. Darum störte ich ihn nicht und folgte mit den andern dem Führer, welcher jetzt wieder vorwärts schritt.

Eine seltsame Begegnung. Er hatte gewußt, daß ich ein Christ war; er hatte mir, wenn auch nicht in direkter Weise, erklärt, daß ich ein Deutscher sei. Seine Hindeutung auf den Emir stimmte ebenso. Und dann die Warnung vor dem »Sohne der Rachsucht«, welche Bezeichnung ich auf den Muza’bir beziehen mußte. Das stimmte alles, alles, und ich konnte auch nicht annehmen, daß ich ihm bekannt sei. Mir ist jeder Aberglaube fern und fremd, aber dieser alte Mann hatte doch einen nicht ganz gewöhnlichen Eindruck gemacht. Ich fragte im Weiterschreiten den Führer nach dem Greis; er antwortete:

»Er ist ein heiliger Fakir, welcher wirklich in die Zukunft zu blicken vermag. Er wandert von Ort zu Ort; die Predigt ist seine Arbeit und das Gebet seine Nahrung; sein Leib wohnt auf der Erde, sein Geist aber befindet sich schon jenseits dieser Grenzen.«

Das klang nicht so, als ob ich es mit einem Betrüger zu thun gehabt hätte, und der Alte hatte auch nicht den Eindruck eines solchen auf mich gemacht. Aber was sollte ich denn sonst denken? Ich beschloß, diese Angelegenheit einstweilen ad Acta zu legen und sie dann bei passender Gelegenheit oder geeigneter Stimmung wieder hervor zu suchen, denn jetzt hatte ich der Krokodilshöhle und dem Wege nach derselben meine Aufmerksamkeit zu schenken.

Dieser Weg war keineswegs ein bequemer. Er führte steil empor zum Plateau, welches weithin mit glitzernden, durchsichtigen Krystall-Rhomboiden bedeckt war, die, ähnlich dem isländischen Spate, eine mehrfache Strahlenbrechung zeigten. Dabei gab es riesige schwarze Feuersteinkugeln, neben und über einander liegend, welche der Gegend den Anschein gaben, als ob hier zwei mit riesigen Kanonen bewaffnete Gigantenheere einander eine Schlacht geliefert hätten.

Auf diesem Plateau erhob sich ein Hügel, in welchem wir eine sehr große Öffnung bemerkten. Dürre Mumienreste, Zeugfetzen, Knochen lagen da umher und ließen vermuten, daß dieses Loch der Eingang der berühmten Höhle sei. Der Führer bestätigte es; wir befanden uns an Ort und Stelle. Der Stallmeister hatte für drei Anzüge gesorgt, welche hier erforderlich waren; sie bestanden nur aus einer leinenen Hose und Jacke. Die Kleidungsstücke, welche wir jetzt trugen, konnten wir nicht anbehalten, da sie in der Höhle vollständig zerfetzt worden wären.

Nun stieg der Führer in das Loch, welches über zwei Meter senkrecht niederführte. Dann half er mir, dem Stallmeister und Selim hinab. Die Knechte, welche draußen blieben, schickten uns an einer Schnur die Leinenanzüge und alles andere Notwendige nach. Wir befanden uns in einem Dreivierteldunkel und wechselten nun die Kleider.

Selim, der »größte Held aller Stämme«, war beim Anblick des engen Einganges merklich kleinlaut geworden. Unterwegs hatte er sich laut und eifrig mit den Reitknechten unterhalten und ihnen erzählt, daß er schon weit über hundert Totenhöhlen besucht habe. Dann war seine Sprachseligkeit verstummt, und als er jetzt neben mir stand, meinte ich, ihn seufzen zu hören.

Jetzt brannten wir die Fackeln an, von denen jeder eine brennende und zwei in Reserve erhielt, und sahen nun, wo wir uns befanden. Die Höhlung war hier unten weiter als oben und zeigte ein nach Norden gelegenes, enges Loch, in welches, wie der Führer uns bedeutete, wir zu kriechen hatten. Er kroch voran; Selim forderte mich auf, zu folgen, damit er den letzten mache. Ich aber traute dem langen Urian nicht. Wie leicht konnte die Furcht ihn bewegen, zurückzubleiben! Wenn er dann den Rückweg nicht fand, konnte er in schlimme Gefahr geraten. Er mußte also vor mir in das Loch, und ich kroch hinter ihm her.

Sobald ich mich, auf den Händen und Knien kriechend, in diesem engen Gange befand, war ich von einer heißen, stinkigen Luft umgeben, welche höchst abschreckend auf die Nase und die Lungen wirkte; ich fühlte eine ängstliche Beklemmung, deren ich nur mit Anstrengung Herr werden konnte. Und je weiter wir vorrückten, desto dicker und unausstehlicher wurde diese Luft.

»Allah il Allah!« hörte ich den Stallmeister hinter mir seufzen. »Gestern haben wir das Loch im Tell es Sirr für den Eingang zur Hölle gehalten; was für ein Eingang könnte dann dieser Stollen sein? Derjenige zur tausendfachen, zur tiefuntersten Hölle der Höllen. Warum kriecht man hier herein, während man draußen den hellen Tag und eine Luft der Erquickung hat?«

Schon nach kurzer Zeit wurde der Gang noch niedriger. Wir konnten uns nicht mehr auf den Knieen und Händen fortbewegen, sondern wir mußten uns auf den Bauch legen und uns so fortschieben. Da erklang vor mir die stöhnende Stimme Selims:

»Das ist fürchterlich, das treibt mir die Haare zu Berge; ich kann es nicht mehr aushalten!«

Der Führer rief ihm etwas zu, was ich wegen der großen Enge des Ganges nicht verstehen konnte, da es zu dumpf klang; darauf antwortete Selim in zornigem Tone:

»Was hast du mir zu befehlen! Du wirst bezahlt und hast zu schweigen und zu gehorchen! Ich fürchte mich nicht; ich nehme es sogar mit dem Teufel auf; aber dieser Gestank tötet mir die sanften Gefühle meiner Nase, und wenn diese engen, schwarzen Wände vollends zusammenknicken, so werde ich zerquetscht wie ein Fisch im Rachen eines Krokodiles. Ich gehe nicht weiter mit; ich kehre um. Das Leben ist mir lieber als der Tod und der Duft eines Tschibuk köstlicher als dieser Geruch der Hölle. Ich will zurück. Laßt mich vorüber!«

Er rief das in einem Tone, als ob er schon nahe am Erstikken sei. Ich versuchte, ihn zu beruhigen, doch vergebens; er brüllte förmlich vor Wut und Angst, und es blieb uns nichts anderes übrig, als uns seinem Willen zu fügen. Da aber der Gang so eng war, daß er unmöglich an uns vorüber konnte, so war ich mit dem Stallmeister gezwungen, bis in die Vorhöhle zurückzukriechen. Dem Führer wurde bedeutet, da, wo er sich befand, auf uns zu warten. Da wir uns rückwärts bewegen mußten, wurde uns der Weg doppelt beschwerlich; als wir vorn ankamen und Selim sich aufrichten und eine bessere, wenn auch nicht ganz reine Luft atmen konnte, rief er unter einem tiefen Seufzer aus:

»Allah sei Dank! Noch einige Minuten, und ich wäre erstickt und dann später als Mumie eines Krokodiles gefunden worden. Nein, nein, keine Macht hätte mich einen Schritt weiter gebracht!«

»Ist das der Mut, von welchem du vorhin sprachst?« bemerkte ich.

»Rede nicht von Mut, Effendi!« fuhr er mich an. »Stelle mich vor einen wirklichen Feind, und ich werde Wunder der Tapferkeit thun, aber mute mir nicht zu, mich um die Obliegenheiten meines duftliebenden Geruches zu bringen. Hat der Mensch etwa die empfängliche Innigkeit der Nase erhalten, um sich hier dieselbe rauben zu lassen? Sage, was du willst, ich bleibe hier!«

»Er hat recht,« stimmte der Stallmeister bei. »Ich fühle meinen Kopf, als ob ich fünf oder sechs Köpfe hätte; meine Augen schmerzen mich von dem Qualme der Fackeln, und meine Lunge ist wie zugebunden. Was gehen mich die Krokodile der Toten an! Wenn du erlaubst, so warte ich mit Selim hier, bis du wiederkommst.«

»Also auch du willst mich verlassen?«

»Nicht verlassen; wir bleiben ja in der Höhle; aber nachdem ich diese kleine Strecke genossen habe, fühle ich mich befriedigt und habe nicht Lust, tiefer in ihre Geheimnisse einzudringen.«

»So bleibt hier! Ich werde ausführen, was ich mir vorgenommen habe.«

Ich fand den Führer an derselben Stelle, an welcher wir ihn verlassen hatten. Als er erfuhr, daß er es nun nur noch mit mir zu thun habe, nahm er das mit großer Befriedigung auf, denn einer verursachte ihm weniger Sorge und Mühe als drei, und von der ihm versprochenen Summe büßte er ja nichts ein.

Wir krochen weiter. Der Gang wurde noch enger und war am Boden mit scharfen Quarzkrystallen bedeckt, welche in die Hände und Kleidung schnitten. Dann ging es durch eine Spalte, welche so schmal war, daß wir uns kaum hindurchzwängen konnten. Hinter derselben lag ein weiter, gewölbter Raum, welcher mit Felsblöcken angefüllt war, zwischen denen es Risse und Spalten gab, die senkrecht in die Tiefe fielen. Wer hier einen Fehltritt that, der war verloren. An der Decke und den Felsen hingen Fledermäuse, eine dicht neben der andern. Durch unsere Fackeln erschreckt, flogen sie auf und mit bewundernswerter Geschicklichkeit und ohne uns zu berühren, um unsere Köpfe. Es waren ihrer so viele, daß ihr Flug wie das Brausen eines strömenden Wassers klang, welches das Ohr förmlich betäubte.

Nun ging es über die gähnenden Spalten hinweg, wieder in einen engen Gang, welcher leider auch voller Fledermäuse hing. Die Exkremente derselben bedeckten den Boden, über welchen wir mit den Händen krochen, und der Gestank wurde hier so abscheulich, so durchdringend, daß ich nahe daran war, dem Führer zu sagen, daß auch ich umkehren wolle. Die Massen dieser Tiere wurden immer dichter, und der Gang verengte sich mehr und mehr. Die Flughäuter hatten nicht Platz, um auszuweichen; sie flogen uns an die Köpfe, in die Gesichter, in die Flammen der Fackeln, so daß diese verlöschten. Da galt es, wieder anzuzünden; aber kaum sprühte ein Zündhölzchen auf, so wurde es durch eine dagegenfliegende Fledermaus wieder ausgelöscht. Dennoch drangen wir weiter und weiter vor, bis wir in eine Art Gemach gelangten, welches so hoch war, daß wir uns aufrichten und etwas freier atmen konnten. Aber auch hier gab es tiefe Risse, Sprünge und Höhlenlöcher, welche nach verschiedenen Seiten von hier aus abzweigten. In diesem Raume sah ich, während wir bisher nur den Staub und kleinere Bruchstücke von Mumien bemerkt hatten, die erste ganze, vollständig erhaltene Dauerleiche. Es war diejenige eines Krokodiles, welches eine Länge von gegen acht Ellen hatte.

Wir stiegen über dasselbe weg und krochen in ein weiteres Loch, die Mündung eines Ganges, welcher uns in eine hallenartige Erweiterung führte. Da lag denn, was ich suchte, aber doch nicht vollkommen fand. Es waren keine erhaltenen Mumien, sondern lauter Bruchstücke derselben, viele Wagenladungen voll. Es gab da ganze Leiber, doch ohne Arm und Bein, halbe Rümpfe, ganze und zerbrochene Glieder, nicht nur von Krokodilen, sondern auch von anderen Tieren und sogar von Menschen. Hier war, wie es schien, ein förmlicher Jahrmarkt gehalten worden.

Ich suchte in den Resten, fand aber nichts Wertvolles, hatte auch gar nicht die Absicht, einen Ankauf zu machen. Was sollte ich mit einer Mumie! Da ich weiter nach Süden wollte, wäre sie mir höchstens unbequem geworden. Das Wühlen in dem wirren Chaos war übrigens nichts Angenehmes, und zwar wegen dem dabei aufsteigenden Mumienstaube, der entsetzlichen Hitze und dem kaum mehr auszuhaltenden Geruche.

Die Halle war, wie alle Räume und Gänge, durch welche wir jetzt gekommen waren, mit einem schwarzen, klebrigen Überzug bedeckt, welcher sich durch Abkratzen entfernen ließ, worauf dann das glitzernde Quarzgestein zum Vorschein kam. Dieser Überzug besteht aus Mumienpech, welches infolge der großen Hitze nicht erstarren kann und so jenen penetranten Geruch verursacht.

Während ich in den Trümmern herumsuchte, beobachtete mich der Führer von der Seite her. Ich fragte ihn, ob dies alles sei, was die Höhle bietet. Er gab eine bejahende Antwort.

»Das ist unmöglich!« entgegnete ich. »Es muß noch viel, viel mehr da sein in Kammern und Höhlen, die du mir nicht zeigest. Obgleich diese Höhle noch heute nicht vollständig erforscht ist, hat man vor noch nicht sehr langer Zeit die Zahl der Mumien, die sich in den bekannt gewordenen Räumen befanden, auf mehrere Hunderttausende geschätzt.«

»Man hat dich falsch berichtet.«

»O nein. Es sind Männer hier gewesen, deren Berichten man Glauben schenken muß. Die menschlichen Mumien waren höchst regelmäßig nach Totenbetten geordnet, wobei wechselweise eine kreuzweise über der andern lag. Was die Krokodile betrifft, so hat es zehn Meter lange Mumien gegeben. Die kleinsten, welche nur einen halben Meter und weniger lang waren, lagen je zwanzig oder fünfzehn in Ballen, um welche Zweige und Wedel von Palmen gebunden waren. Solche Ballen gab es auch von Krokodileiern, von Schlangen aller Größen, von Fröschen, Eidechsen und Schwalben und andern Vögeln. Es muß hier große Säle geben, welche von oben bis unten mit Mumien vollgepfropft waren, so daß man kaum durch die engen Zwischenräume kriechen konnte. Wo befinden sich die Säle, und wo sind die ungeheueren Mengen der Leichen hin?«

Da trat er an mich heran, legte mir seine Hand an den Arm und antwortete: »Willst du Mumien kaufen?«

»Nein.«

»Warum kommst du dann in diese Höhle?«

»Aus menschlicher Teilnahme.«

»Und doch stellst du mir solche Fragen! Du hast mir dreißig Piaster geboten. Verlangst du dafür die Enthüllung solcher Geheimnisse? Was geht dich unsere Höhle an, und was kümmern dich die Mumien, welche sich deiner Ansicht nach in derselben noch befinden sollen! Du bist ein Franke und hast keinen Grund, mich zu verraten; darum will ich dir nicht zürnen wegen deiner Sparsamkeit, und dir etwas anvertrauen: Ich brauche deine dreißig Piaster nicht, denn ich bin reicher, als du denkst. Der heilige Fakir hat freundlich zu dir gesprochen und dich, was er niemals that, in die Zukunft blicken lassen. Du mußt also ein Mann sein, den Allah liebt, und darum sollst du ein Andenken an diese Höhle haben. Warte eine kurze Zeit! Ich kehre bald zurück.«

Er kroch mit seiner Fackel durch ein Loch und ließ mich allein. Die meinige war niedergebrannt, und ich zündete mir an dem Stummel derselben eine neue an. Dann setzte ich mich auf den Körper einer Mumie, dem der Kopf und die Beine fehlten. Welche Gedanken durchfuhren mich in diesem Augenblicke der Einsamkeit! Der einzig Lebende mitten unter Leichentrümmern, tief im Innern der Erde! Wer war der Mann gewesen, auf dessen Leib ich hier saß? Er hatte gelebt, geliebt, gehofft und – gelitten. Vielleicht stand er an der Seite eines Pharao, und nun, nach vier Jahrtausenden, diente er einem Deutschen zum Schemel!

Die Zeit verging; eine Minute nach der andern verstrich, und der Führer kehrte nicht zurück. Hatte er mich durch seine Freundlichkeit getäuscht? Wollte er sich etwa für meine Sparsamkeit dadurch rächen, daß er mich hier sitzen ließ, damit ich, der ich den Weg nicht kannte, elend umkommen solle? Ein anderer wäre in diesem Falle verloren gewesen; ich aber besaß noch eine ganze Fackel und traute mir zu, in den Exkrementen der Fledermäuse meine Spur und durch dieselbe den Weg ins Freie zu finden. Das beruhigte mich. Aber mein Mißtrauen war unbegründet gewesen. Das Loch, in welchem der Mann verschwunden war, wurde hell; er kehrte zurück, in der einen Hand die Fackel und in der andern ein kleines Paket, in feinstes Mumiengewebe gewickelt. Er legte mir dasselbe in die Hand, indem er sagte- »Dies ist das Andenken, welches ich dir geholt habe. Es ist nur ein kleiner Teil einer Mumie, aber er erinnert dich ebensogut an mich, als wenn ich dich mit einer ganzen Leiche belästigte.«

»Das soll ich nicht kaufen, nicht bezahlen, sondern du schenkst es mir?« fragte ich.

»Ja, ich schenke es dir.«

»Darf ich den Grund erfahren? Es kann doch nicht allein deswegen sein, daß der heilige Fakir freundlich mit mir gesprochen hat!«

»Nein. Der Grund ist der, daß du mir gefallen hast. Ich hörte unterwegs die beiden Reitknechte, welche hinter mir gingen, von dir sprechen. Was ich da vernahm, stimmte ganz dazu, daß du mir nicht wie ein Unwissender gabst, was ich verlangte. Nimm getrost diese kleine Erinnerung mit nach Hause; ich thue mir, indem ich sie dir schenke, keinen Schaden. Damit du wissest, was es ist, habe ich einen Zettel beigelegt, welcher die Wahrheit enthält, da die auf diese Mumie bezüglichen Hieroglyphen entziffert worden sind.«

»Ich nehme es an, ohne nachzusehen, was das Paket enthält, und danke dir. Ich gehe nach Chartum und hoffe, dich auf dem Rückwege aufsuchen zu können. Vielleicht ist es mir dann besser möglich als jetzt, dir einen Beweis meiner Dankbarkeit zu liefern.«

»Dessen bedarf es nicht; aber du wirst mir willkommen sein. Nun aber wollen wir zurückkehren. Du hast nun so ungefähr gesehen, wie diese Höhle beschaffen ist; weiter brauchst du nichts zu wissen. Nur in Beziehung auf die Frage, welche du vorhin an mich richtetest, will ich dir das eine sagen, daß es in dieser Gegend Mumienschätze giebt, von denen die Regierung, welche den Handel und das Ausgraben verbietet, keine Ahnung hat. Komm, folge mir! Der Rückweg wird kürzer als der Herweg sein.«

Jetzt erfuhr ich so recht, wie verschlungen die verschiedenen Gänge der Höhle waren, denn wir erreichten den Eingang im dritten Teile der Zeit, welche wir gebraucht hatten, in die letzte Halle zu gelangen. Der Mann hatte uns jedenfalls so geführt, daß wir diejenigen Gemächer, welche kein Uneingeweihter sehen darf, nicht berührten. Der Stallmeister saß mit Selim in dem Eingangsloche. Sie waren nicht in das Freie gestiegen, aus welchem Grunde, das erfuhr ich, als sie mich baten, darüber zu schweigen, daß sie die Höhle nicht mit in Augenschein genommen hatten. Die Reitknechte sollten nicht erfahren, daß den beiden der Mut gefehlt hatte, in das Innere derselben einzudringen.

Wir stiegen nach oben, und ich kann sagen, daß mir das Licht des Tages noch sie so hell und entzückend und die reine Luft noch nie so erquickend erschienen waren wie jetzt, da ich die nach Mumienpech stinkenden engen und finsteren Gänge hinter mir hatte. Wir schritten dem Dorfe zu. Der heilige Fakir befand sich nicht mehr an der Stelle, an welcher er mit mir gesprochen hatte; aber als wir unten am Wasser ankamen, kauerte er, tief in Betrachtung versunken, in der Nähe unseres Bootes. Er schien uns gar nicht zu bemerken. Der Führer hatte uns bis hierher begleitet, Als ich Miene machte, ihm die ausbedungene Summe zu zahlen, wehrte er mit beiden Händen ab und sagte:

»Willst du meine Seele beleidigen und mein Herz kränken? Jeder piaster, den du mir anbietest, muß die Freundschaft, welche ich für dich empfinde, mindern. Behalte dein Geld, und denke so gern an mich, wie ich mich deiner erinnern werde, und wenn du aus dem Süden zurückkehrst, so vergiß nicht, mich aufzusuchen; denn es wird mir eine große Freude sein, dein Angesicht wiederzusehen.«

Er reichte mir die Hand und entfernte sich. Dieses Zurückweisen der Bezahlung kam den andern so außerordentlich vor, daß der Stallmeister nicht umhin konnte, zu bemerken:

»Allah thut Wunder! Erst verlangte dieser Mann zehnmal mehr, als wir geben wollten, und nun will er gar nichts nehmen. Welchen Grund mag er haben, uns in der Weise zu verehren, daß er nicht wagt, den Inhalt unserer Beutel zu schmälern?«

»Welchen Grund er zu dieser Verehrung hat?« fragte Selim. »Das weißt du nicht?«

»Nein; er ist mir unbegreiflich.«

»So will ich ihn dir sagen. Wir sind mit einem Mute, wie niemand vor uns, in den Bauch der Erde eingedrungen; wir haben das Eingeweide des Gestankes durchforscht und uns mit dem Ruhme einer Kühnheit, die ihresgleichen sucht, bedeckt. Das hat uns die Bewunderung dieses Führers errungen; er hat gesehen, was für tapfere und verwegene Söhne des Propheten wir sind, und wagt es nun nicht, uns den sündigen Mammon abzufordern. Das ist der Grund und kein anderer.«

Er hatte sich mit dieser Rede an die Reitknechte gewendet, welche seinen Ruhm daheim in Siut verbreiten sollten. Der Kerl war wirklich unbezahlbar, ein Aufschneider sondergleichen! Der Stallmeister wußte nicht, was er zu dieser Unverfrorenheit sagen sollte; er that, was das klügste war -er schwieg, und auch ich hielt es nicht für der Mühe wert, eine Bemerkung zu machen.

Als wir in das Boot gestiegen waren und uns anschickten, vom Lande zu stoßen, erhob sich der Fakir von der Erde, kam zu uns herbei und fragte mich-,

»Effendi, es scheint, ihr richtet eure Fahrt gegen den Strom?«

»Ja, wir segeln aufwärts nach Siut.«

»Dann erlaube, daß ich einsteige und mit euch fahre! Ich habe dort zu beten.«

Er kam herein und setzte sich mir gegenüber, ohne meine Erlaubnis abzuwarten. Das konnte mich gar nicht befremden. Ein Fakir ist ein Mann, welcher allem Tande der Erde entsagt, um allein Gott zu loben; er wird zunächst als arm und sodann als heilig betrachtet, und kein guter Muhammedaner wird ihm die Erfüllung eines nicht ganz und gar unbilligen Wunsches versagen. Es war daher ganz selbstverständlich, daß er gar nicht wartete, bis ich seine Bitte beantwortet hatte. Ich erfüllte sie ihm übrigens von Herzen gern, weil der Eindruck, welchen er auf mich gemacht hatte, ein so günstiger gewesen war. Seine Gegenwart störte mich auch gar nicht, denn kaum hatte er sich niedergesetzt, so bog er den Oberkörper weit vornüber, blickte unausgesetzt zu Boden, ließ die Kugeln der Gebetskette durch die Finger gleiten und bewegte betend die Lippen. Er war wieder »in Allah versunken«.

Auf ein Gespräch verzichtete ich. Noch war mir die Brust von der eingeatmeten Höhlenluft schwer beklemmt, und die düstern Bilder, welche ich vor Augen gehabt hatte, hafteten in meinem Innern und stimmten mich zum Schweigen. Ich zog das Geschenk des Führers aus der Tasche und löste es aus seiner Umhüllung. Was kam zum Vorscheine? Eine Hand, eine rechte, weibliche Hand, kurz hinter dem Gelenk wie mit einem Messer von dem Arme getrennt. Sie war klein und fein gegliedert; es schien die Hand eines zwölfjährigen Mädchens zu sein; in anbetracht der hier gegebenen Verhältnisse aber mußte die einstige Besitzerin wohl siebzehn Jahre alt gewesen sein. Die Farbe war ein dunkles Citronengelb mit leisem Bronceglanz. Die Finger waren leicht gebogen, wie zum Anbieten oder Erlangen einer Gabe. Die innere und äußere Fläche enthielten je eine noch sehr gut erhaltene Vergoldung. Die erstere Vergoldung stellte einen Cheper vor, den Scarabäus, den heiligen Käfer der Ägypter, welcher ein Symbol der Sonne und der Weltschöpfung war. Die letztere Vergoldung zeigte die heilige Uräusschlange. Da nur die Könige und die Mitglieder königlicher Familien sich dieses Zeichens bedienen durften, so mußte ich vermuten, daß ich die Hand einer königlichen Prinzessin, einer Pharaonentochter in der meinen hielt.

Die Umhüllung enthielt einen kleinen Zettel, auf welchem in arabischer Schrift und Sprache die Worte standen: »Das ist die rechte Hand von Duat nefret, der Tochter von Amenemhe’t III.« Wenn diese Worte die Wahrheit enthielten, so hatte ich ein kostbares Geschenk erhalten, denn dieser Amenemhe’t III. ist der berühmteste Herrscher der zwölften Dynastie gewesen.

Also die Hand, welche ich jetzt besaß, sollte diejenige einer Tochter dieses großen und berühmten Herrschers sein! Er hat ungefähr zweitausend Jahre vor unserer Zeitrechnung gelebt, also war die Hand gegen viertausend Jahre alt. Und doch, wie wunderbar gut war sie erhalten! Sie besaß die ganze Fülle jugendlicher Form, und die Hennah-Färbung der Nägel war ganz deutlich zu erkennen. Hätte sie nicht Mumienhärte besessen, so wäre leicht zu denken gewesen, daß sie erst vor wenigen Augenblicken einem lebenden Fellahmädchen abgelöst worden sei.

Ich wollte die Hand wieder in den Umschlag hüllen; da streckte der alte Fakir, um sie wegzunehmen und zu betrachten, die seinige aus. Während sein Auge auf ihr ruhte, nickte er wie eine Pagode unaufhörlich mit dem Kopfe auf und nieder, reichte sie mir dann zurück und sagte:

»Eine Hand aus dem Harem eines vornehmen Mannes. Was mag sie gegeben haben, Liebe oder Haß? Und was mag sie empfangen haben, Glück oder Unheil. Nun giebt und empfängt sie nichts mehr. Du wirst sie mit in deine Heimat nehmen, um sie aufzubewahren; aber sie wird doch in Staub zerfallen, denn alles, alles muß vergehen, und nur Allah allein bleibt, wie er ist. Suchst du hier nach solchen Überresten?«

»Nein. Aber es ist hochinteressant, sie zu sehen.«

»Was hast du da gesehen? Die Leichen von Krokodilen und Schlangen, einige Überreste menschlicher Körper. Das ist nichts. Ich kenne Gräber, in welchen die Körper von Königen und Königinnen nebeneinander liegen, und kein Europäer wird sie entdecken.«

»Aber sie sind auch noch anderen bekannt?«

»Nein. Der Urahne meiner Vorfahren hat sie entdeckt, und die Kunde davon ist auf die Nachkommen übergegangen. Ich bin der letzte derselben, und wenn ich zu Allah gehe, wird es keinen Menschen mehr geben, welcher das Geheimnis kennt.«

»So willst du es niemanden mitteilen?«

»Nein. Wenn es einer erführe, würden die Europäer kommen und die Särge ihres kostbaren Inhaltes berauben, denn in denselben befinden sich außer den Leichen noch viele goldene Gegenstände, nach denen die Franken trachten. Es giebt da viele, viele Särge, weit mehr als zweihundert, und auf jeden ist eine Figur gemalt, welche ein Tuch auf dem Kopfe trägt und eine Sichel oder ein krummes Messer in der Hand hat.«

Das war eine höchst wichtige Bemerkung. Eine Sichel! Zu den Insignien der ägyptischen Könige gehörte der Chopesch (»Schenkel«), ein sichelförmiges Schwert, welches ebenso wie der Krummstab und die Geißel ein besonderes Attribut des Herrschers war. Sollten die Särge, von denen der Alte sprach, Königsleichen enthalten? Er hatte ein Kopftuch erwähnt. Die Könige trugen ein solches, und zwar in ganz eigenartiger Form und Weise.

»Es sind Könige und Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen, welche da begraben liegen,« sagte er. »Und an den Wänden giebt es Figuren und Zeichen, welche von den Franken Hieroglyphen genannt werden. Man kann einen ganzen Tag lang sehen und betrachten, ohne fertig zu werden.«

Das sagte der Mann so gleichgültig! Und doch handelte es sich jedenfalls um Königsgräber, um Denkmäler und Hieroglyphen von allergrößter Wichtigkeit. Er allein kannte das Geheimnis und wollte es nicht verraten. Und doch welch‘ ein Gewinn wäre diese Entdeckung für die Wissenschaft gewesen! War es denn gar nicht möglich, ihn zur Mitteilung zu bewegen? Ich gab mir alle Mühe, das Gespräch fortzusetzen und diesen Gegenstand festzuhalten. Er wich mir aus; ich faßte ihn wieder. So ging es eine Weile fort. Er mußte bemerken, wie lebhaft mich die Sache interessierte; er wurde nachdenklicher, brach ganz ab, betrachtete mich eine Weile, als ob er mein Inneres ergründen wolle, näherte dann seinen Kopf dem meinigen und fragte leise:

»Sagst du die Wahrheit, wenn du behauptest, daß du keine Altertümer suchst?«

»Ja.«

»Und doch fragst du mich in dieser Weise aus?«

»Das geschieht aus reiner Wißbegierde. Ich würde viel, sehr viel dafür geben, wenn ich diese Särge einmal sehen könnte.«

»Welchen Nutzen würdest du davon haben?«

»Ich werde es dir erklären. Ich habe gern fremde Länder besucht, um die Sprachen der Völker, welche da wohnen, kennen und sprechen zu lernen. Ich spreche auch Sprachen solcher Völker, welche nicht mehr leben. Nun habe ich einige Bücher daheim, welche die Sprache und die Schrift derer behandeln, welche hier in den Mumiengräbern liegen. Ich habe mir viel Mühe gegeben, den Inhalt dieser Bücher zu verstehen, und weiß nicht, ob mir dies gelungen ist. Könnte ich deine Mumiensärge sehen, so wäre es mir möglich, die Probe zu machen, ob ich etwas oder ob ich nichts gelernt habe. Im ersteren Falle würde ich mich unendlich freuen.«

Ich hatte mich in dieser Weise ausdrücken müssen, weil er mich sonst nicht verstanden hätte. Er wiegte sein greises Haupt hin und her und schien mit sich zu kämpfen und sagte dann wieder so leise, daß nur ich ihn verstehen konnte.

»Effendi, ich habe in deine Vergangenheit und in deine Zukunft gesehen; ich kenne dich und weiß, daß ich dir vertrauen kann. Du sollst die Freude haben, nach welcher du dich sehnest. Doch mache ich die Bedingung, daß du bis zu meinem Tode zu keinem Menschen über dieses Geheimnis sprichst.«

»Dann aber darf ich es anderen mitteilen?«

»Dann, ja, aber eher nicht. Du bist ein Christ; aber ich weiß, daß Allah dich liebt. Darum sollst du der Erbe dessen sein, was ich verschwiegen in mir getragen habe. Beute es dann ganz nach deinem Wohlgefallen aus. Ich habe nichts dagegen.«

»Und wann wirst du mir meinen Wunsch erfüllen?«

»Morgen, denn heute habe ich nicht Zeit, da ich das Opfer des Gebetes bringen muß. Doch werde ich für einige Minuten zu dir kommen, um dir das Nötige mitzuteilen. Wo finde ich dich?«

»Im Palaste des Pascha. Ich bin der Gast des Stallmeisters, welcher hinter dir auf der Bank sitzt. Also ich kann mich darauf verlassen, daß du kommen wirst?«

»Ich komme. Sprechen wir jetzt nicht weiter davon!«

Er fiel wieder in sein früheres Nachdenken zurück, und mir ging es nicht viel anders. Ich sann über den Grund des Vertrauens nach, welches er mir bewies. Ich hatte doch ganz und gar nichts an mir, was ihn bewegen konnte, sein Geheimnis zu offenbaren. Auch konnte ich ihm nicht den geringsten Vorteil dafür bieten. Ich kam auf den Gedanken, daß er eine ganz besondere Absicht haben müsse, eine egoistische, vielleicht gar für mich schlimme Absicht. Aber warum? Ich hatte ihm ja nichts gethan! Welchen Grund konnte er haben, mir zu schaden? Ich ließ diesen Gedanken sehr bald wieder fallen; er hatte sich ja ganz freundlich zu mir verhalten, und sein ehrwürdiges Gesicht hatte nicht einen einzigen Zug, welcher auf Hinterlist und Heimtücke schließen ließ.

Als wir in dem Vororte von Siut landeten, verabschiedete er sich mit einem kurzen Gruße von uns und war bald hinter den Gärten verschwunden. Wir aber wanderten nach dem Palaste, wo das Mittagsmahl auf uns wartete. Ich wäre gern noch einmal durch die Stadt gegangen, mußte aber daheim bleiben, um den Fakir zu erwarten. Er kam kurze Zeit nach dem Asr, dem Nachmittagsgebete, welches nach unserer Zeit um drei Uhr vorgeschrieben ist. Ich empfing ihn in meiner Stube, wo ich mich mit ihm allein befand. Er erlaubte es nicht, daß ich nach Pfeife und Kaffee für ihn rief, und gab als Grund dafür an:

»Jeder Gläubige darf rauchen, denn Allah ist nachsichtig mit der Schwäche des Menschen; ein Strenggläubiger aber enthält sich des Tabakes. Und da das Wasser des Niles meinen Durst stillt, so sehe ich nicht ein, weshalb ich Kaffee trinken soll. Das Fasten ist meine Nahrung und das Gebet meine Speise. Giebt es unter den Christen auch solche Leute?«

»Ja«, wir hatten und haben viele fromme Männer, welche den Freuden und Genüssen der Welt entsagten, um sich nur allein mit Gott zu beschäftigen.«

»Wohl ihnen, denn je weiter die Seele sich von der Erde entfernt, desto näher ist ihr der Himmel. Doch ich kam nicht, um mit dir solche Betrachtungen anzustellen, sondern um von den Königsgräbern zu sprechen. Willst du sie noch sehen?«

»Das versteht sich. Ich habe keinen Grund, meinem Wunsche zu entsagen.«

»So mache dich für morgen, eine Stunde vor der Mittagszeit, fertig. Ich erwarte dich draußen vor dem Thore.«

»Wohin reisen wir?«

»Wir haben nur eine Stunde zu gehen.«

»So nahe? Und dennoch bist du der einzige, der die Gräber kennt?«

»Ja, der einzige, denn die Beschaffenheit dieses Ortes ist eine solche, daß niemand alte Gräber da vermutet.«

»Sage mir aber, welche Vorbereitungen ich zu treffen habe.‹,

»Sie sind gering, denn sie bestehen nur darin, daß du einen Strick und eine Fackel mitnimmst, wie du deren heute in der Höhle von Maabdah gebraucht hast.«

»Nur eine?«

»Ja, sie wird reichen. Doch habe ich auch nichts dagegen, wenn du dich mit mehreren versehen willst.«

»Wie lang soll der Strick sein?«

»So lang, daß sich drei Männer, welche nacheinander in die Tiefe steigen, an denselben binden können. Das muß geschehen, damit einer, wenn er fällt, von den beiden anderen gehalten wird.«

»Drei? Du nimmst noch jemand mit?«

»Nein. Nicht ich, sondern du wirst das thun. Du bedarfst eines Dieners.«

»Aber ich habe geglaubt, daß du nur mir dein Geheimnis anvertrauen willst!«

»Wir bedürfen der Hilfe einer dritten Person, und darum muß ich, wenn ich dir mein Versprechen halten will, mich leider außer dir noch einem andern offenbaren. Doch werde ich ihn schwören lassen, daß er niemals etwas verraten werde. Du hast doch einen Diener?«

»Nein.«

»Ich habe den langen Mann, welcher mit dir in Maabdah war, für deinen Diener gehalten.«

»Er ist derjenige eines Freundes von mir.«

»Das ist so gut, als ob er der deinige sei. Kann er jetzt einmal kommen? Ich will mit ihm sprechen.«

Ich schickte nach Selim; er kam. Der Fakir musterte ihn mit prüfendem Blicke und fragte ihn dann:

»Wie ist dein Name?«

»Kennst du ihn noch nicht?« lautete die stolze Antwort. »Er ist in allen Dörfern und Zelten bekannt und hat die Länge des ganzen Niles. Wer ihn nicht vollständig gebrauchen will, was allerdings zu raten ist, da die Aufzählung meines ganzen Namens viel Zeit in Anspruch nimmt, der nennt mich kurzweg Selim.«

»Gut! Also, Selim, hast du Mut?«

»Mut? Wie ein Löwe, oder vielmehr wie zehn Löwen, wie hundert, wie tausend Löwen. Ich bin der kühnste Krieger meines Stammes und nehme es mit allen Helden der Welt auf.«

»Nun, ich werde dich auf die Probe stellen!«

»Thue das! Es ist noch nie ein Mensch geboren worden, der sich in Beziehung auf Tapferkeit mit mir vergleichen könnte.«

»Du bist in der Höhle von Maabdah gewesen; du fürchtest dich also nicht vor einer solchen Höhle?«

»Ganz und gar nicht. Ich würde mich sogar vor der Hölle und allen ihren Teufeln nicht fürchten.«

»Das ist mir lieb, denn du sollst mit uns eine zweite Höhle besuchen.«

»So komme schnell, und zeige sie mir! Ich bin bereit, bis an ihr letztes Ende zu kriechen.«

»Nur Geduld! Wir werden sie erst morgen besuchen. Es darf niemand etwas erfahren, weder jetzt noch später. Willst du mir Verschwiegenheit zuschwören?«

»Natürlich!«

»So laß dir von diesem Effendi das übrige mitteilen. Ich bin fertig und muß wieder fort. Morgen zur festgesetzten Zeit werde ich am Thore stehen. Also seid verschwiegen! Wenn man euch fragt, wohin ihr gehen wollt, könnt ihr ja sagen, daß es euch beliebt, die Stadt anzusehen.«

»Ich werde gar nichts sagen,« meinte Selim. »Ich bin der vornehmste Mann meines Stammes und lasse mich nicht ausfragen. Ich gehe mit, um den Effendi zu beschützen, und kein Mensch braucht zu erfahren, daß er ohne mich nirgends, und also auch in dieser zweiten Höhle nicht, bestehen kann. Gehe also hin, und sei guten Mutes! Ich bin der Mann, auf den du dich verlassen kannst.«

Er machte bei diesen Worten eine so huldvoll majestätische Handbewegung wie ein König, welcher einen armen, tiefstehenden Unterthanen in Gnaden entläßt. Der Fakir ging, und Selim wendete sich an mich:

»Einen zuverlässigen Freund zu besitzen, ist der größte Trost des Elends und die süßeste Beruhigung des Schwachen. Ich bin der deinige und werde mich für dich aufopfern, um dich zu beschützen in allen Gefahren der Vergangenheit und allen Unannehmlichkeiten der zukünftigen Tage. In meinem Schutze kannst du sicher wohnen, und unter meinem Schirme wirst du Ruhe und Frieden finden vor allen Feinden des Leibes und der Seele, Wenn ich meine Hand über dich halte, können die Völker der Erde dir nichts anhaben, und so lange die Zärtlichkeit meines Auges auf dir weilt, leuchten dir tausend Sonnen des Wohlstandes und Millionen Sterne des Überflusses. Ich bin der Beschützer aller Beschützer und Beschützten. Meine Macht ist wie ––«

»Wie nichts, wie gar nichts!« unterbrach ich ihn. »Schweig‘ mit deinen Aufschneidereien! Fühlst du denn nicht, daß du dich nur lächerlich machst?«

»Lächerlich?« fragte er im Tone der Empörung. »Effendi, das hätte ich nicht von dir gedacht! Du mißachtest meine Gegenliebe und täuschest die Gefühle der Zusammenkunft unserer Herzen. Ich hänge an dir mit allen Thätigkeiten meiner irdischen Anwesenheit und tränke dich mit den Vorzügen der Großartigkeit, die Allah mir verliehen hat. Und anstatt dies mir Dank zu wissen, was thust du? Du redest von Aufschneidereien und von Lächerlichkeit. Das betrübt mich bis auf die Gebeine und zerrüttet das Gleichgewicht meines ganzen jammervollen Wesens.«

Wahrhaftig, es standen ihm die Thränen in den Augen! Hatte dieser sonderbare Mensch mich wirklich so lieb? War das Prahlen ihm so zur zweiten Natur geworden, daß er es nun nicht lassen konnte, daß es ihm nun ganz unmöglich war, einzusehen, daß er nur Unsinn redete? Ich erinnerte ihn in freundlicherer Weise:

»Aber, Selim, denke doch an gestern zurück! Welches Geständnis hast du mir denn gemacht, als ich dir die hundert Piaster zurückgab?«

»Ein Geständnis? Ich weiß von nichts,« antwortete er im Tone der Wahrheit, der vollsten Überzeugung.

»Du hast mir und den andern eingestanden, daß du ganz unvermögend bist, mein Beschützer zu sein.«

»Herr, kränke mich nicht abermals! Ich habe es gesagt, weil ich dir gehorchen wollte und weil ich ein armer Mann bin, dessen Beutel an der Krankheit des Mangels dahinstirbt wie die Schwalbe, wenn sie keine Fliegen findet. Nur deshalb gingen solche Worte über die Öffnung meines Mun-des. Im stillen aber mußt du dir gesagt haben, daß ich dir nur mit größter Überwindung diese Worte nachsprechen konnte, denn ich bin wirklich der Mann, welcher sich vorgenommen hat, dich vor allen Fährlichkeiten treulich zu bewahren. Frage meinen Freund! Er wird es mir bezeugen, daß ich dich mit der Liebe einer Mutter umfange und stets nur an dein Wohlergehen denke.«

»Welchen Freund?«

»Der, mit dem ich hier angekommen bin, mit welchem ich bei dem Gärtner wohnte, bis ich dir begegnete. Ich habe ihn dadurch, daß ich ihn verließ, um hierher zu dir zu ziehen, schwer betrübt, denn er ist nur mir zuliebe in Siut ausgestiegen. Wir mußten, da das Schiff hier gar nicht hielt, in einem Boote an das Ufer gehen. Auch er wollte dich gerne sehen, denn ich hatte ihm so viel von dir erzählt, daß er ganz begierig wurde, einen solchen Effendi kennen zu lernen.«

»Warum hat er sich da nicht bei mir sehen lassen?«

»Weil er es nicht wagte, dich zu belästigen. Du bist ein vornehmer und gelehrter Effendi, während er ein armer Händler ist. Aber trotzdem würde dich seine Gegenwart wohl erfreuen und unterhalten, denn er hat eine sehr geschickte Hand und weiß eine solche Menge von Kunststücken zu machen, daß er es sicher mit dem besten Muza’bir aufnehmen könnte.«

Diese Worte frappierten mich. Ich fragte nach dem Schiffe, mit welchem die beiden gekommen waren, und erfuhr zu meiner Überraschung, daß es dasienige war, auf dessen Deck ich den Taschenspieler gesehen hatte. Ich ließ mir die Person genau beschreiben und erhielt Antworten, welche mir die vollständige Überzeugung brachten, daß der Gaukler, welcher mir nach dem Leben trachtete, mit dem »Freunde« Selims identisch sei.

Also befand sich dieser Mensch hier in Siut! Da konnte ich mich nur in acht nehmen, denn daß er mich nicht aus den Augen lassen, sondern alles versuchen werde, den mißlungenen Angriff doch noch auszuführen, das hielt ich für zweifellos.

»Also du hast zu diesem Händler von mir gesprochen?« fragte ich. »Hat er sich nach meinen Verhältnissen und nach dem Ziele meiner Reise erkundigt?«

»Ja, sehr genau.«

»Du hast ihm gesagt, daß ich in Siut auf Murad Nassyr warte?«

»Natürlich! Warum hätte ich es ihm nicht sagen sollen?«

»Du hattest allerdings keine Veranlassung, es ihm zu verschweigen, denn er hat es schon vorher gewußt.«

»Nein, Effendi. Er hat von dir überhaupt gar nichts gewußt.«

»O doch! Er hat an Bord der Dahabijeh, mit welcher ich fahren wollte, gehört, daß ich die Absicht hatte, in Siut auszusteigen. Freilich hat er dir wohlweislich verschwiegen, daß er mich kennt, denn du hast das Auge sein sollen, durch welches er mich im Gesicht behält.«

»Du irrst. Wäre deine Vermutung wahr, so würde er es mir mitgeteilt haben, denn er ist ein sehr aufrichtiger und liebenswürdiger Mann. Ich bin der größte Menschenkenner meines Stammes und kann mich nie in einem Menschen täuschen.«

»Hier hast du dich nicht nur getäuscht, sondern du bist geradezu betrogen worden. Ich habe dir erzählt, in welcher Weise man mir auf der Dahabijeh nach dem Leben trachtete; nun wohl, dieser dein aufrichtiger und liebenswürdiger Freund ist jener Gaukler, welcher mir die Brieftasche nahm.«

»Allah ‚l Allah!« rief er erschrocken. »Das ist ja unmöglich!

»Es ist die volle Wirklichkeit. Er ist nach Siut gefahren, um mich hier zu erwarten. Der Zufall hat dich mit ihm zusammengeführt, und er hat diesen Umstand benutzt, um mich zu beobachten, ohne daß ich ihn zu sehen bekomme. Du hast ihm natürlich erzählt, daß du mir begegnet bist, und daß ich hier bei dem Stallmeister wohne?«

»Allerdings. Doch bat er mich, dir nichts davon zu sagen.«

»Das glaube ich sehr gern. Bist du, seit du bei dem Haushofmeister wohnst, wieder mit diesem sauberen Freunde zusammengekommen?«

»Ja, gestern abend, eine Stunde nach dem Nachtgebete. Er hatte mir gesagt, daß er an der Brücke stehen werde, an welcher ich dich getroffen habe, und ich bin zu ihm gegangen.«

»Was wollte er da wissen?«

»Er fragte, was du heute machen würdest, und ich benachrichtigte ihn von deiner Absicht, die Gräber von Maabdah zu besuchen.«

»Hm! Was noch?«

»Weiter nichts. Es gingen viele Leute vorüber, unter denen du dich zufällig befinden konntest; darum hat er nur wenige Worte mit mir gesprochen.«

»Du siehst, daß ich ihn nicht sehen soll, daß er sich also vor mir fürchtet. Wie unvorsichtig bist du gewesen! Wäre er ein ehrlicher Mann, so brauchte er mich nicht zu fliehen. Das hätte dich mißtrauisch machen sollen. Wann wirst du ihn wieder treffen?«

»Ich soll erst dann zu ihm in seine Wohnung bei dem Gärtner kommen, wenn ich höre, daß du von hier abreisen willst. Das soll ich ihm melden.«

»Du hast nicht klug, gar nicht klug gehandelt; aber vielleicht ist es möglich, den Fehler gut zu machen.«

»Effendi, schilt mich nicht! Alle Welt ist überzeugt, daß ich der weiseste meines Stammes bin, aber Allwissenheit kannst du unmöglich von mir verlangen. Wie konnte ich ahnen, daß dieser Mann der Taschenspieler sei! Übrigens hast du ihn noch nicht gesehen; du kennst ihn nur aus meiner Beschreibung und kannst dich leicht irren. Ich habe dir ein ganz vorzügliches, meisterhaftes Bild von ihm geliefert, aber deine Auffassungsgabe vermag wohl kaum, die Schilderung ins richtige Innere aufzunehmen, und so will ich in Anbetracht dieser Überlegenheit jetzt noch denken, daß mein Freund wirklich mein Freund und nicht dein wirklicher, angeblicher und unvermuteter Muza’bir ist.«

»Was das betrifft, so sollst du dich sehr bald überzeugen, wer er ist. Der Mann wird nach einer Gelegenheit suchen, heimlich an mich zu kommen; findet er sie nicht, so will er mir folgen; darum sollst du ihn von der Zeit meiner Abreise benachrichtigen. Er wird früher oder später seinen Angriff gegen mich wiederholen, und da gebietet mir die Klugheit, ihm zuvorzukommen. Wir werden ihn also jetzt aufsuchen.«

»Das geht nicht, Effendi, weil er mir sehr zürnen würde.«

»Was geht dich sein Zorn an?«

»O, sehr viel! Er gleicht im Zorne einem Löwen. Das habe ich erfahren, als ich ihm erzählte, daß du mir geholfen hast, drei Gespenster zu fangen.«

»Ich dir?«

»Ja, gewiß.«

»Besinne dich! Als ich die zwei Gespenster fing, während mir das dritte entkam, lagst du unter der dicken Matte im Flur des Hauses.«

»Effendi, verdrehe doch nicht die richtige Falschheit der zweifelhaften Thatsachen! Mein Gedächtnis ist ungeheuer scharf; es ist das berühmteste in meinem ganzen Stamme, und so weiß ich sehr genau, was geschehen ist. Ich erzählte meinem Freunde davon. Ich sagte ihm, daß ich in dem obersten Gespenste, als ich es in deinem Schlafzimmer überwältigt und gefesselt hatte, den Mokkadern der heiligen Kadirine erkannte. Darüber ergrimmte mein Freund so, daß er zur Pistole griff und mich zu erschießen drohte. Ich mußte ihm versprechen, nie wieder ein Wort über diese meine Heldenthat zu erzählen. Ja, er ist entsetzlich in seinem Zorne. Wenn ich mit dir zu ihm komme, muß er doch erkennen, daß ich zu dir von ihm geredet habe, und da er mir dies streng verboten hat, so muß ich gewärtig sein, daß er mich auf der Stelle niederschießt.«

»Da sei ganz ohne Sorge, denn ich laß meinen Beschützer nicht niederschießen.«

»Das ist schön von dir, denn es beweist, daß du ein dankbarer Mann bist. Dennoch aber ist es besser, ich bringe dich nicht in die Gefahr, von der Kugel getroffen zu werden, welche nur auf mich gerichtet wäre.«

»Ich fürchte mich nicht. Du aber scheinst Angst zu haben?«

»Angst? Effendi, deine Seele steckt bis über die Ohren im Irrtume. Wie kann ich Angst empfinden, ich, der oberste der Helden!«

»Nun wohl, so haben wir nicht nötig, weitere Worte zu machen. Wer Angst hat, der bleibt hier; wer aber Mut besitzt, der geht mit. Ich fürchte mich nicht; darum gehe ich. Und du –– ?«

Da richtete er sich noch höher auf, als er war, schlug sich mit der Faust auf die Brust und rief:

»Und ich? Natürlich gehe ich mit. Ich werde mich vor dich hinstellen, um dich mit meinem Leibe zu schützen, und so werde ich vor dir stehen bleiben, selbst dann, wenn mein Freund mir so viel Kugeln durch den Leib schießt, daß derselbe einem Siebe gleicht. Laß uns aufbrechen! Ich bin begierig, dir zu zeigen, was die wahre Tapferkeit vermag.«

Jetzt hatte ich ihn da, wo ich ihn haben wollte. Wir gingen. Er schritt mit seinen langen Beinen zunächst so schnell vorwärts, daß ich seinem Eifer Einhalt thun mußte. Je weiter wir kamen, desto langsamer bewegte er sich, und als wir endlich in die enge Gasse einbogen, in welcher der Gärtner wohnte, wurden seine Schritte so klein, daß ein Kind ihn spielend überholen konnte.

»Effendi,« meinte er da schlauerweise, »es ist noch Tag; wollen wir nicht lieber warten, bis es dunkel geworden ist, weil er da nicht so gut zielen kann?«

»Er wird gar nicht zielen. Wir befinden uns nicht draußen in der Wüste, sondern in einer Stadt, in der Hauptstadt Oberägyptens sogar. Da wagt es niemand so leicht, auf einen Menschen zu schießen. Doch soll es mir auch ganz recht sein, wenn er es thut. Du willst dich ja für mich durchlöchern lassen.«

Da blieb er stehen und antwortete rasch:

»Jawohl, das werde ich, von Herzen gern, aber nur heute noch nicht, heute noch nicht! Man stirbt doch nicht so Hals über Kopf, sondern man muß mit Bedacht und Überlegung sterben.«

»Das heißt, man muß sich mit Genuß und möglichstem Behagen durchlöchern lassen. O Selim, Selim, wie habe ich mich in dir getäuscht! Du nennst dich einen Helden und willst doch nicht von einer schnellen Kugel fallen, sondern langsam hinwelken und absterben wie ein krankes Kraut, welches nach und nach verfault. Ist das Heldentum?«

»Scherze nicht; mir ist es sehr ernst bei dieser Sache! Ich fürchte mich vor keiner Kugel; ich will erschossen sein, unbedingt erschossen sein, aber nicht, wenn es einem Feinde gefällt, sondern wenn es mir paßt. Es wäre doch jammerschade um mein schönes Heldentum, wenn es so voreilig und vorzeitig vernichtet würde. Laufe nur; ich gehe mit; ich trete mit Verwegenheit in die Stapfen deiner Füße. Du kannst dich auf mich verlassen; ich werde dir den Rücken nicht zeigen. Nimm deine Sinne und Gedanken zusammen, denn das nächste Haus ist es, in welchem der Gärtner wohnt, bei dem sich mein Freund befindet!«

Das »Haus« war schon mehr eine nach vorn fensterlose Baracke, schmal und niedrig aus schwarzem Nilschlamm aufgeführt. Die Wand hatte verschiedene Risse, und die Thüre hing schief in den ledernen Angeln. Sie war nicht verriegelt; ich stieß sie auf und trat in einen engen, finstern Hausgang, in welchem ich von allen möglichen Düften, nur von keinem Wohlgeruche umgeben war. Er führte auf einen kleinen Hofplatz, welcher auf allen vier Seiten von anscheinenden Schlammhaufen umgeben wurde, die zwar menschliche Wohnungen enthalten sollten, eigentlich aber kaum Ziegen- oder Kaninchenställe genannt werden konnten.

In der Mitte dieses Hofes saßen auf einem Schutthaufen vier Männer, drei ältere und ein jüngerer. In dem letzteren erkannte ich sofort den Taschenspieler. Er mich erblicken, aufspringen und in einem mir gegenüberliegenden Loche, welches eine Thüre vorstellen sollte, verschwinden, das war eins. Ich wollte ihm augenblicklich nach; aber die drei Alten hatten sich auch schnell erhoben und stellten sich mir in den Weg.

»Wer bist du? Was willst du hier?« fragte mich der eine, welcher wohl der Hausherr war.

»Wer ich bin, wird dir mein Begleiter sagen, den du ja kennst, weil er bei dir gewohnt hat,« antwortete ich, indem ich mich umdrehte, um auf Selim zu deuten. Er war aber unsichtbar; er hatte es vorgezogen, mir nicht zu folgen, was ich in der Dunkelheit des Hausganges nicht bemerkt hatte. Dann fuhr ich fort: »Ich bin ein Bekannter von Selim, welcher bis vorgestern dein Gastfreund war. Er steht draußen vor der Thüre. Rufe ihn herein! Ich habe unterdessen mit dem Gaukler zu sprechen.«

»Hier giebt es keinen Gaukler!«

»O doch! Er hat soeben bei euch gesessen und sich, als er mich erblickte, schnell entfernt, um mir, seinem besten Freunde, da drin einen festlichen Empfang zu bereiten. Laß mich zu ihm, damit ich mich an der Wonne seines Angesichtes labe!«

Ich schob den Alten zur Seite und schritt rasch nach dem Loche. Ich hielt dieses Unternehmen gar nicht für gefährlich, und der Erfolg rechtfertigte diese Ansicht, denn als ich mich durch den Eingang geschoben hatte, war der Taschenspieler nicht zu sehen. Ich befand mich in einem so niedrigen Raume, daß mein Kopf beinahe an die Decke desselben stieß. Er hatte die Länge der Breite des Hofes und hing mit keinem anderen Raume zusammen. Es führte keine Treppe nach oben. Dem Loche, durch welches ich eingetreten war, lag ein zweites gegenüber, durch welches der Schelm sich entfernt haben mußte. Ich ging da hinaus und stand nun im »Garten« des Gärtners. In demselben war kein Baum, kein Strauch zu sehen. Acht kleine Beete, welche nur mit Zwiebeln und Knoblauch bepflanzt waren, nahmen die ganze Länge und Breite dieses »Gartens« ein, von dessen Ertrag der Besitzer sein trauriges Leben zu fristen hatte. Es gab da nicht den kleinsten Winkel, in welchem der Gaukler versteckt sein konnte, und doch war er nicht zu sehen. Als ich den Boden untersuchte, fand ich seine unvorsichtigen Fußstapfen in der weichen Erde der lockern Beete; er war gerade über dieselben hinweggeeilt, um über die sehr niedrige Mauer in den benachbarten Hof und von da weiter zu entkommen. Es fiel mir nicht ein, ihm zu folgen. Ich hatte gar nicht beabsichtigt, ihn zu ergreifen, sondern ich wollte ihn nur ins Bockshorn jagen, indem ich ihm zeigte, daß ich seine Anwesenheit kenne und mich nicht vor ihm fürchte; ich wollte ihm Angst einflößen und ihn so dazu bringen, Siut zu verlassen.

Nun kroch ich durch die beiden Löcher in den Hof zurück. Dort stand am Ende des Hausganges der Besitzer mit Selim. Er schien zornig auf denselben einzureden, während dieser noch innerhalb des Hausganges stand, sich nicht in den Hof getraute und ängstliche Blicke nach der Richtung warf, in welcher, wie er wohl jetzt hörte, ich hinter dem Gaukler verschwunden war. Da sah er mich zurückkehren, und zwar heiler Haut; das gab ihm auf der Stelle Mut. Er verließ seine gedeckte Stellung, trat aus derselben nun auch in den Hof heraus und rief triumphierend:

»Da ist er ja, mein Effendi! Ich wußte es, daß er meine Anweisungen befolgen würde. Nicht wahr, Effendi, du hast den Taschenspieler gesehen?«

»Ja,« antwortete ich. »Glaubst du denn jetzt, daß er es ist?«

»Natürlich! Soeben hat dieser Mann, mein früherer Wirt, mir mitgeteilt, daß er der Gaukler und kein Händler war. Er machte mir Vorwürfe, ihn gegen dich verraten zu haben. Aber dieser Mitteilung hätte es ja gar nicht bedurft, denn du selbst bist Zeuge, daß ich gleich anfangs der Ansicht war, dieser ungenaue Freund sei kein ausgesprochener Freund, sondern ein bewiesener Gaukler. ich bin der schlaueste Mann meines Stammes und habe Augen, welche durch Felsen und Berge dringen; ich lasse mich nicht betrügen und kann jedermann von sich selbst unterscheiden. Wo ist denn dieser Bösewicht, welcher dich ermorden will?«

»Verschwunden.«

»So ist er geflohen! Als er dich sah, ahnte er gleich, daß auch ich noch kommen werde; das brachte ihn so in Verzweiflung, daß er davonrannte. Warum hast du ihn entkommen lassen! O, Effendi, ich muß dir Vorwürfe machen. Hätte ich das geahnt, so wäre ich hereingegangen und hätte dich an meiner Stelle draußen gelassen. Mir wäre er nicht entkommen. Mein Anblick hätte ihn niedergeschmettert.«

Die beiden andern Alten hatten sich in eine Ecke zurückgezogen, um der Angelegenheit fernzubleiben. Der Wirt stand bei uns, hörte mit trotziger Miene die Auslassung meines Prahlhanses an und sagte dann:

»Was hältst du da für eine Rede! Habe ich dich zu fragen, ob ich jemand bei mir aufnehmen darf?«

»Das nicht,« antwortete ich an Selims Stelle; »aber es ist ein großer Unterschied, ob du einen ehrlichen Mann oder einen Mörder beherbergest. Der letztere Fall kann dir gefährlich werden.«

»Behalte deine Worte für dich; ich habe dich nicht um deinen Rat gebeten. Du bist ohne meine Erlaubnis in meinen Hof gedrungen, und wenn du dich nicht augenblicklich entfernst, werde ich dich hinauswerfen. Christenhunde dulde ich nicht bei mir.«

Ich hätte das in Anbetracht seines Alters ruhig hingenommen, aber sein Ton war so impertinent und sein Auftreten so frech, daß ich ihm doch nicht ganz eine Lehre vorenthalten wollte, schon auch um des Gauklers willen, welcher jedenfalls nicht hören sollte, daß ich vor seinem Genossen das Hasenpanier ergriffen habe. Darum antwortete ich:

»Mit dir habe ich nichts zu schaffen. Wer einen Gast aufnimmt, muß auch diejenigen bei sich dulden, welche zu diesem Gaste kommen. Und wenn du glaubst, mir Schimpfworte in das Antlitz werfen zu können, so hast du dich in mir geirrt. Ich suche den Gaukler bei dir; er ist fort, und also wirst du an seiner Stelle mir Rede und Antwort geben. Vor allen Dingen will ich wissen, wie lange er noch bei dir zu wohnen gedenkt.«

»Das geht dich nichts an; er ist mein Gast, und du hast nichts drein zu reden. Mein Haus ist mein Zelt; vielleicht weißt du, was das zu bedeuten hat. Wenn du nicht sofort gehest, so werfe ich dich hinaus. Ich dulde den Schmutz und die Unreinheit eines Christen nicht bei mir. Ich gehöre zur heiligen Kadirine, und dein Anblick ist für mich derjenige eines verfaulenden Leichnams, wegen dessen man, um ihm nicht nahe zu kommen, einen Umweg macht. Packe dich sofort; hinaus mit dir!«

Er ergriff mich mit beiden Händen bei der Brust, um mich der Thüre zuzuschieben.

»Laß los!« gebot ich ihm. »Wenn dir ein Christ so widerwärtig ist, warum berührst du mich? Weg mit den Händen, sonst zeige ich dir, wie wenig ich deine heilige Kadirine fürchte!«

Selim war, sobald ich von dem Gegner angefaßt wurde, zurückgewichen; er stand unter dem Eingange, zur Flucht bereit, und hatte ganz vergessen, daß er mein Beschützer sein wollte. Der Wirt beachtete meine Drohung nicht; er schob und schob; er zerrte, ohne mich aber nur um einen Zoll von der Stelle zu bringen, und rief dabei:

»Hinaus mußt du, hinaus! Wenn du nicht sofort gehorchest, zermalme ich dich!«

Er fügte daran eine Reihe jener kräftigen, schwer beleidigenden Schimpfworte, an denen die arabische Sprache so überaus reich ist. Das durfte ich nicht so hingehen lassen; ich war es allen Christen und Ausländern schuldig, ihm eine Lehre zu erteilen. Ich nahm ihn also rechts und links bei den Hüften, gab ihm zunächst einen Ruck, daß er mich fahren lassen mußte, hob ihn dann hoch empor, schüttelte ihn, daß ihm alle Glieder schlotterten, und warf ihn dann auf den Schutthaufen, auf welchem er vorhin bei meinem Eintritte gesessen hatte und wo er ganz bewegungslos, als ob er tot sei, liegen blieb. Als Selim das sah, kam er rasch herbei und rief in triumphierendem Tone:

»So ist es recht, Effendi! Das war die That eines Starken, die Abwehr gegen einen Schwächling, welcher kein Mark in den Knochen hat. Er mag es nur wagen, sich nochmals gegen dich zu erheben! Frage ihn, ob er es mit mir aufnehmen will!«

Ich achtete nicht auf den Großsprecher und trat zu dem Alten, um zu sehen, ob er vielleicht verletzt sei. Als ich ihn mit dem Fuße anstieß, öffnete er die Augen, setzte sich langsam auf und wimmerte:

»O Allah, Allah! Warum lässest du nicht den Himmel einfallen, wenn ein Christ sich an dem besten deiner Gläubigen vergreift? Meine Seele ist gelockert, und mein Körper zittert vor Grimm ob der Gewaltthätigkeit, die mir widerfahren ist.«

»Deine Seele wird noch lockerer werden, so locker, daß sie aus dem Körper weicht, wenn du es wagst, noch ein Wort zu sprechen, welches mir nicht gefällt,« antwortete ich. »Ich wiederhole, daß ich wissen will, wie lange der Gaukler noch bei dir zu bleiben gedenkt. Heraus mit der Antwort, sonst hole ich sie mir!«

Der Mut hatte ihn vollständig verlassen. Er stöhnte:

»Gehe fort, gehe fort; ich bitte dich! Meine Glieder sind zerbrochen, und mein Blut steht in den Adern still. Ich mag nichts mehr von dir wissen.«

»Ich werde gehen, aber erst dann, wenn du geantwortet hast. Du beherbergst einen Mörder, einen Menschen, weicher mir nach dem Leben trachtet. Als ich komme, dich darauf aufmerksam zu machen, willst du, anstatt mir zu danken, mich hinauswerfen. Du hast mich beschimpft und dich an mir vergriffen. Dadurch hast du den Beweis geliefert, daß du mit ihm einverstanden und also sein Mitschuldiger bist. Wenn ich dich anzeige, wirst du eingesteckt und bekommst die Bastonnade zu kosten. Ich will aber gnädig gegen dich sein und dich schonen, wenn du mir Auskunft giebst.«

»Herr,« antwortete er, »wenn alle Christen so gewaltthätig sind wie du, so wird das Reich des Islam untergehen. Der Gaukler wollte bis zu deiner Abreise bei mir bleiben.«

»Du weißt, daß er mir nach dem Leben trachtet?«

Er schwieg, was ich natürlich als Bejahung nehmen mußte. Darum fragte ich weiter:

»Er will mich, sobald ich hier abreise, verfolgen?«

»Ja.«

»Auf welchem Schiffe?«

»Das ist noch unbestimmt. Er ist ein hervorragendes Mitglied der Kadirine, und ein jeder Reïs wird ihm zu Diensten sein.«

»Ich weiß genug. Wenn er zu dir zurückkehrt, so sage ihm, daß ich, falls er Siut nicht sofort verläßt, ihn anzeigen und gefangen nehmen lassen werde! Gehorcht er dieser Aufforderung nicht, so ist es auch dein Schaden, da du mit in die Untersuchung verwickelt wirst. Ich teile dir offen mit, daß ich dich und dein Haus beobachten lassen werde. Denke daran, daß unsere Konsuls uns besser als eure Behörden euch zu beschützen verstehen! Allah stärke deinen schwachen Verstand und gebe dir die richtige Erkenntnis dessen, was zu deinem Heile dient!«

Ich wendete mich ab und ging. Selim folgte mir. Als wir auf der Gasse angekommen waren und nebeneinander her schritten, sagte er:

»Effendi, ich muß dir zwei Zeugnisse ausstellen, und zwar ein schlechtes und ein gutes, das schlechte, weil du den Gaukler entkommen ließest, und das gute, weil du dich leidlich tapfer gegen den Wirt benommen hast. Der Ruhm meiner Gegenwart hat dich ermutigt, ihn in den Staub zu werfen, und der niederschmetternde Blick meines Auges hielt ihn ab, Gegenwehr zu leisten. Laß diesen Mannesmut nicht sinken, sondern bewahre dir ihn, dann wirst du dir meine Zufriedenheit und vielleicht gar mein Lob erringen!«

»Richtig! Aber der kühnste der Helden wagte sich selbst nicht in das Haus, und als ich ihn holen ließ, blieb er unter der Thüre stehen, um gegebenen Falles schnell ausreißen zu können.«

»Ausreißen? Nimm dieses Wort sofort zurück! Ich bin noch niemals ausgerissen und werde es auch niemals thun. Das Wort Flucht kenne ich nicht. Allah hat mir gleich bei meiner Geburt eine so rasende Wut verliehen, daß ich mich mit allen Kräften zwingen muß, nicht täglich fünf oder gar zehn Menschen umzubringen.«

»Warum aber bringst du diese Selbstbeherrschung stets dann in Anwendung, wenn der Mut am Platze wäre? Und warum bist du nur dann mutig, wenn für dich keine Gefahr vorhanden ist?«

»Frage doch nicht so, Effendi! Du bist noch zu jung, um die Lagen des Lebens und die Verhältnisse des Augenblickes richtig beurteilen zu können. Ich aber erkenne die Gegenwart urid blicke in die Zukunft, und wenn ich da in weiser Zurückhaltung meine Tapferkeit zügle, so muß man, anstatt mich zu tadeln, es mir Dank wissen. Es ist schade, jammerschade, daß deine Schwachheit den Gaukler entkommen ließ.«

Da wir schnell gegangen waren, hatten wir während dieses Wortwechsels den Palast erreicht, in dessen Hofe wir uns trennten. Er begab sich zu dem Haushofmeister, und ich ging in meine Wohnung, aus welcher ich bald zum Abendessen abgeholt wurde, an dem auch der Sohn des Stallmeisters teilnahm. Er hatte das Tuch abgenommen, denn die kleine Schmarre fing bereits an, zu verharschen, was mir nicht wenig Lob einbrachte.

Nach dem Essen kam der Haushofmeister, welcher Selim mitbrachte. Dazu waren einige Bekannte geladen, welche den fremden Effendi kennen lernen wollten. Ich mußte ihnen hundert und tausend Fragen beantworten, und da ich ihnen, wie ganz selbstverständlich, keine Antwort schuldig blieb, so wuchs ihre Hochachtung von Minute zu Minute, und ich wurde schließlich trotz meines Sträubens für den weisesten und gelehrtesten Mann aller Länder und Völker erklärt. Die meisten ihrer Fragen hätte ein aufgeweckter deutscher Schulknabe mit Leichtigkeit beantworten können; ich hatte also die mir widerfahrene Ehre nicht im mindesten verdient. Als sie aufbrachen und sich von mir verabschiedeten, reichte mir auch Selim die Hand. Er war sonst gar nicht zu Worte gekommen und schien auf das Lob, welches mir geworden war, nicht wenig neidisch zu sein. Er sagte, so daß alle es hörten:

»Effendi, du bist in vielen Ländern gewesen und hast dir da ganz schöne Erfahrungen gesammelt. Wenn ich einmal Zeit habe, werde ich dir sagen, welche Völker den Glanz meiner Gegenwart genossen haben. Ich kenne alle Städte und Dörfer der Erde und bin gerne bereit, deine Kenntnisse durch die meinigen zu vervollständigen, damit du, wenn du nach Hause zurückkehrst, bei den Deinen den Eindruck eines Mannes machst, in dessen Wissenschaften wenigstens keine allzugroßen Lücken vorhanden sind. Allah schenke dir eine ruhige Nacht!«

Nachdem er diese Worte gesprochen hatte, stieg er in der Haltung eines Mannes, welcher einem andern eine ganz unverdiente Gnade erwiesen hat, davon. Die andern folgten ihm lächelnd; sie wußten ebensogut wie ich, was sie von ihm zu denken hatten.

Ich schlief nach den Anstrengungen des Tages so gut, daß ich erst spät erwachte. Vielleicht hätte ich noch länger geschlafen, wenn ich nicht von lauten Stimmen geweckt worden wäre. Die Sprecher standen oder saßen draußen im Hofe vor oder vielmehr unter der vergitterten Öffnung, welche meinem Zimmer als Fenster diente. Sie waren von dem Gegenstande ihres Gespräches so angeregt, daß sie viel lauter redeten, als es an dem Orte, an welchem sie sich befanden, eigentlich geboten gewesen wäre, denn der Gegenstand war, wie ich sehr bald hörte, kein anderer, als ich selbst. Ich vernahm die Stimme des Stallmeisters:

»Ich sage dir, daß es auf der ganzen Erde und im ganzen Leben keine Frage giebt, die er nicht beantworten kann. In seinem Kopfe vereinigt sich die Gesamtheit aller Wissenschaften. Aber das ist noch nicht alles. Er scheint auch ein großer Krieger zu sein.«

»Wirklich?« fragte eine andere Stimme, welche ich auch schon gehört hatte, ohne aber jetzt sagen zu können, wer der Sprecher sei.

»Ja, wirklich! Er selbst hat es zwar nicht von sich behauptet, aber man muß es aus dem, was er gesagt hat, schließen.«

Darauf folgte die Erzählung des vorgestrigen Abenteuers, durch welche der Stallmeister beweisen wollte, daß ich ein furchtloser und geistesgegenwärtiger Mann sei. Daran schloß sich ein Bericht meiner letzten Erlebnisse in Kairo und Gizeh, dem der Erzähler die Bemerkung beifügte.

»Von dem Effendi selbst habe ich das nicht erfahren, sondern der lange Selim hat es erzählt. Der Mensch hat zwar so gethan, als ob er der Held dieser Vorkommnisse sei; aber man weiß, daß er zu prahlen liebt und eigentlich ein Feigling ist. Vielmehr ist der Effendi der Mann, welchem der Ruhm gehört, und nun wirst du zugeben, daß er ein Mann ist, der sich gewiß vor keinem andern fürchtet.«

»Ich glaube es; er hat auch mir den Beweis geliefert, als er die Höhle besichtigte, während die andern zurückblieben.«

Jetzt erkannte ich den Sprecher; er war der Führer der Höhle von Maabdah, welcher mich mit der Mumienhand beschenkt hatte. Was wollte er hier in Siut? Suchte er vielleicht mich? Ich sollte die Antwort auf diese Frage baldigst hören, denn der Stallmeister sagte:

»Er schläft jetzt noch. – Soll ich ihn vielleicht wecken?«

»Nein. Es steht mir nicht zu, die Ruhe eines solchen Mannes zu stören. Ich werde also warten, bis er erwacht, und ihm dann meine Bitte mitteilen. Mein Bruder ist droben in Chartum verschwunden, und er soll ihn mir suchen helfen.«

»Hast du schon nachgeforscht?«

»Ja. Ich sandte einen sehr erfahrenen Mann hinauf; aber es ist vergeblich gewesen.«

»Kannte dieser Mann die dortigen Verhältnisse?«

»Sehr genau.«

»Und dennoch hat er nichts erreicht? Wie soll da dieser fremde Effendi Erfolg haben!«

»Zweifelst du daran? Du hast ihn mir noch soeben als einen Mann geschildert, dem man mehr, viel mehr zutrauen kann als hundert anderen.«

»Ja, das habe ich, und das ist auch meine volle Überzeugung gewesen; aber er ist doch fremd hier.«

»Er ist, wie du mir sagtest, schon einigemale in Ägypten gewesen.«

»Dennoch ist er fremd. Oder meinst du, daß ein Franke, wenn er drei- oder viermal hier gewesen ist, die Verhältnisse so genau kennen kann wie einer, welcher hier geboren ist?«

»Ja, das meine ich. Jeder dieser gelehrten Christen hat eine Menge Bücher über fremde Länder und Völker, und außerdem giebt es bei ihnen große Bibliotheken, welche zwar dem Staate gehören, die aber ein jeder lesen darf. Ehe nun so ein Fremder ein fernes Land besucht, liest er alle Bücher, welche über dasselbe geschrieben sind, und dadurch lernt er es weit besser als selbst ein Eingeborener kennen.«

»Woher weißt du das?«

»Ich bin mit vielen solchen Franken in Kahira und dann auch als Führer zusammengekommen und habe es von ihnen gehört und gesehen. Sie reden die Sprache unseres Landes und haben so genaue Karten über dasselbe, daß sie oft die Wege besser wissen, als wir selbst. Dazu kommt, daß sie viel mehr gelernt haben und also auch viel klüger sind als wir. Darum finden sie sich in jeder Lage zurecht, ohne sich, wie wir, auf Allah verlassen zu wollen. Wenn du nun bedenkst, daß dieser Effendi einer der gelehrtesten und vorzüglichsten von ihnen ist, so wirst du mir recht geben, wenn ich behaupte, daß ich von ihm den richtigen Beistand erwarten darf.«

»Hm! Deine Rede ist überzeugend, und deinen Beweisen vermag ich nicht zu widerstehen. Sprich mit ihm. Ich werde jetzt einmal hineingehen, um nachzusehen, ob er wohl aufgestanden ist.«

Was ich da gehört hatte, war mir interessant; ja, ich konnte mir etwas darauf einbilden. Man hielt mich für einen der vorzüglichsten und gelehrtesten Franken, und ich sollte einen Verschollenen finden, nach welchem ein Kenner des Landes vergeblich gesucht hatte. Das hätte mir schmeicheln können, wenn, was leider ganz und gar nicht der Fall war, die erstere Voraussetzung wahr gewesen wäre. Übrigens war ich neugierig auf die Mitteilungen, welche der Führer mir zu machen beabsichtigte. Er hatte sich sehr freundlich gegen mich erwiesen, und so war es mein Wunsch, ihm nützlich sein zu können.

Nach kurzer Zeit wurde meine Thüre leise geöffnet und der Stallmeister sah herein. Als er bemerkte, daß ich nicht mehr schlief, grüßte er:

»Allah schenke dir einen glücklichen Morgen, Effendi! Wie ist deine Ruhe gewesen?«

»Meine Ruhe war gut und erquickend, und ich hoffe, daß dies mit der deinigen ebenso der Fall gewesen ist.«

»Ich werde dir zweimal Kaffee und zwei Pfeifen senden.«

»Warum zwei?«

»Weil du Besuch bekommst. Ben Wasak, der Führer von Maabdah, mit welchem du in der Höhle gewesen bist, steht draußen und begehrt, mit dir zu sprechen.«

»Bringe ihn herein!«

Er hatte schon den Kopf zurückgezogen, steckte ihn aber wieder herein und sagte in wichtigem Tone:

»Du wirst dich über den Grund wundern, welcher ihn zu dir führt.«

»Das glaube ich nicht.«

»O doch! Es ist eine Angelegenheit, in welcher du ihm deinen Beistand gewähren sollst.«

»Er soll mich nicht vergeblich bitten.«

»O wenn du wüßtest, was er von dir will, würdest du ihn wohl nicht empfangen, denn es ist nichts Leichtes, was er von dir fordert.«

»Der Mensch ist schwach; aber mit Gottes Hilfe gelingt ihm oft das Schwierigste. Wenn Allah will, werde ich den Bruder des Führers finden.«

»Allah’l Allah! Was weißt du denn von diesem?«

»Daß er in Chartum verschwunden ist und trotz alles Nachsuchens nicht gefunden wurde. Nun kommt der Führer zu mir, um mich zu bitten, seinen Bruder zu suchen.«

Da riß der Stallmeister die Thüre ganz auf, trat, um mich besser sehen zu können, vollends herein und rief, indem er die Hände verwundert zusammenschlug:

»Das weißt du schon? Effendi, du bist wirklich der weiseste der Weisen, und vor deinen Augen ist nichts verborgen. Ich beuge mich in Demut vor deinem Geiste und werde deinem Befehle, dir den Führer zu senden, sofort nachkommen.«

Er machte mir wirklich eine Verbeugung, so tief, wie Selim sie zu machen pflegte, und entfernte sich dann. Er dachte nicht daran, daß er mit Ben Wasak gerade draußen unter meinem Fenster, und zwar so laut, daß ich die Worte hören mußte, gesprochen hatte, und ließ mir auch keine Zeit, ihn darüber aufzuklären. Bald hörte ich durch das offene Fenster seine Stimme:

»O Ben Wasak, du bist ein Gesegneter Allahs, welcher deine Schritte nach der rechten Stelle geleitet hat. Du hast diesen Effendi richtig beurteilt; er ist nicht nur weise, sondern seine Augen erblicken sogar das, was für andere dunkel und unergründlich ist.«

»Weil er einen schärferen Verstand hat als wir.«

»O nein; das ist es nicht. Er weiß Dinge, die er eigentlich gar nicht wissen kann. Er weiß, daß du zu ihm kommst, um ihn zu bitten, in Chartum nach seinem Bruder zu forschen.«

»So müßte er allwissend sein, und das ist außer Allah niemand.«

»O, von diesem Effendi könnte man glauben, daß er es sei: Er weiß alles, alles, alles. Er hat sogar den Geist des Lebens in einer Flasche und kann Tote lebendig machen. Komm herein; ich werde dich zu seiner Thüre führen, hoffe aber, daß du ihn mit derjenigen Ehrfurcht behandelst, welche ein solcher Mann zu erwarten und zu verlangen hat!«

Ich hörte ihre Schritte verhallen, und dann meldete mir der Wirt den Ankömmling, um sich nach dem Eintritte desselben wieder zurückzuziehen. Ben Wasak kreuzte die Arme über der Brust, verbeugte sich tief, ließ seine Pantoffel an der Thüre stehen, näherte sich mir dann und grüßte:

»Dein Morgen sei gesegnet, wie der Aufgang der Sonne, Effendi!«

»Und der deinige, wie das Gras, wenn es den Tau der Nacht empfängt,« antwortete ich. »Setze dich an meine rechte Seite, denn du bist ein Gast, welchen ich gern willkommen heiße.«

»O, laß mich lieber dir gegenübersitzen! Ich bin zu gering, um zu deiner Rechten ruhen zu können, und möchte die ganze Freude deines Angesichtes vor mir haben.«

»Wie du willst. Du sollst ganz so thun, als ob das Zimmer dein Eigentum sei.«

Er setzte sich also mir gegenüber, und nun trat die Pause des Schweigens ein, welche bei jedem Bittbesuche geboten ist. Ein Diener brachte den Kaffee und die Pfeifen. Wir tranken den ersteren und rauchten die Tschibuks einmal leer. Dann, als sie wieder gestopft und in Brand gesteckt waren, war die Zeit des Sprechens gekommen. Ben Wasak begann:

»Effendi, dein Arm ist stark, und dein Verstand durchschaut das Verborgene. Darum vermagst du mehr als andere Menschen, und ich komme, um mein Herz zu erleichtern und dir den größten Wunsch meiner Seele vorzutragen.«

»Wenn ich dir dienen kann, soll es sehr gern geschehen, denn deine Freundlichkeit hat mir den gestrigen Tag erleuchtet.«

»Du kannst, wenn du nur willst, und ich werde es dir nach Kräften lohnen.«

»Sprich nicht von Lohn! Freunde müssen einander helfen, ohne nach Piastern zu fragen. Warum hast du mir deinen Wunsch nicht schon gestern vorgetragen?«

»Ich glaubte nicht, dich belästigen zu dürfen. Als du dann aber fort warst, glänzte die Erinnerung an dich in meiner Seele fort, und es kam mir der Gedanke, daß ich es vielleicht wagen dürfe, mit dir über den Kummer meines Herzens zu sprechen.«

»Meine Seele steht dir offen. Sprich so, als ob du dich bei einem Bruder oder bei dem besten und treuesten deiner Freunde befändest!«

»Du weißt schon, was ich dir sagen will.«

»Ich weiß es. Jenes Fenster hat es mir verraten. Ich bin ein Mensch wie jeder andere, und nur Gott ist allwissend, wie du ganz richtig sagtest. Als ich erwachte, hörte ich dich draußen mit meinem Gastfreunde sprechen. Du siehst, daß ich keineswegs die Vorzüge besitze, welche er mir andichtete.«

»Du besitzest vor allen Dingen den seltenen Vorzug der Bescheidenheit, Effendi. Ja, kein Mensch kann wissen, was Allah weiß; aber es giebt heilige Männer und Zauberer, denen Allah vieles mitteilt, was andere nicht erfahren. Wärest du nicht so aufrichtig gewesen, wegen dieses Fensters mit mir zu reden, so hätte ich dich für so einen Heiligen gehalten. Das konntest du dir zu nutze machen. Indem du darauf verzichtest, giebst du mir den Beweis, daß du ein ehrlicher Mann bist, dem ich mein Vertrauen schenken kann, und das ist noch mehr wert, als wenn ich dich für einen Zauberer gehalten hätte. Willst du nun hören, was ich dir zu sagen habe?«

»Ich bin bereit dazu.«

»Du weißt also schon, daß es meinen Bruder betrifft. Ich sandte ihn nach Chartum, und er kehrte zur bestimmten Zeit nicht zurück. Ich erkundigte mich und erfuhr, daß niemand ihn wieder gesehen habe. Darauf schickte ich einen sehr erfahrenen und frommen Mann hinauf, um Nachforschungen anzustellen. Dieser verwendete einige Monate auf das Suchen, doch vergeblich. Vorgestern kehrte er zurück und sagte mir, daß es ganz unmöglich sei, zu erfahren, wo mein Bruder sich befinde, und er sei der Überzeugung, daß derselbe unterwegs gestorben oder gar verunglückt sei.«

»Und nun meinst du, daß ich diese Nachforschungen fortsetzen solle?«

»Du kommst mit dieser Frage meiner Bitte zuvor, Effendi. Ich erfuhr von den Reitknechten, welche mit dir bei der Höhle waren, und auch dann von dir selbst, daß du nach Chartum willst. Ich weiß, daß ihr Europäer viel klüger, geschickter und scharfsinniger seid als wir, und da du der weiseste und tapferste Franke bist, den ich je gesehen habe, so kam mir der Gedanke, dir diese Bitte auszusprechen. Ich weiß, daß dies ein Wagnis und eine große Zudringlichkeit von mir ist; aber du bist mir als ein Mann erschienen, der ein gutes Herz besitzt, und so dachte ich, daß du mir meine Kühnheit verzeihen werdest. Du hast vielleicht in Chartum einige Zeit, welche du darauf verwenden könntest, mich von meiner Trübsal zu befreien. Bist du nicht bereit dazu, so kann ich es dir nicht übelnehmen; willst du dich aber meiner erbarmen, so werde ich dir nicht nur bis an das Ende meines Lebens dankbar sein, sondern dich auch mit allem Nötigen, was du brauchst, versehen.«

»Ich will dir kurz sagen, daß ich gern bereit dazu bin, natürlich so weit, als die Verhältnisse, welche ich in Chartum antreffe oder in denen ich mich dort befinden werde, es mir gestatten.«

»Effendi, ich danke dir!« rief er aus, indem er meine beiden Hände ergriff. »Ich habe es gewünscht, aber kaum erwartet, daß du mir diese Güte erweisest. Du nimmst mir eine schwere, schwere Last von meiner Seele.«

»Ich bitte, dich keiner Hoffnung hinzugeben, deren Erfüllung ich dir nicht garantieren kann. Die Enttäuschung würde dann um so bitterer sein. Kennst du den Weg, den dein Bruder von Chartum aus heimwärts eingeschlagen hat?«

»Nein.«

»So weißt du nicht, ob er den Nil abwärts gefahren oder den Karawanenweg geritten ist?«

»Ich weiß es nicht. Wir konnten das nicht vorher bestimmen, da er seine Entschließung nach den dortigen Verhältnissen nehmen mußte.«

»Der Nilweg ist verhältnismäßig sicher. Der Karawanenweg durch die Korosko- und die Bajuda-Wüste aber bietet der Gefahren viele. Was war dein Bruder?«

»Führer, wie ich.«

»Nichts anderes?«

Er zögerte einige Augenblicke mit der Antwort und meinte dann:

»Darf ich dir vertrauen, auch wenn es sich um etwas Verbotenes handelt?«

»Hm! Da kann ich erst dann antworten, wenn ich weiß, was es ist.«

»Ich meine den Mumienschmuggel.«

»Der geht mich nichts an, denn ich bin kein Polizeibeamter des Khedive.«

»So will ich dir sagen, daß mein Bruder nebenbei noch Mumienschmuggler war.«

»Dasselbe, was du jetzt noch bist?«

»Effendi,« lächelte er, »frage nicht. Ich bin ein ehrlicher Mann und habe noch keinen Menschen übervorteilt. Wenn ich einen größeren Fehler habe, so ist es der, daß ich in Beziehung auf die Mumien nicht mit dem Khedive einverstanden bin.«

Ich mußte lachen ob der Antwort des geriebenen Burschen und fragte:

»Ist der Mumienschmuggel mit Gefahren verbunden?«

»Mit nicht geringen, denn wer dabei ertappt wird, dem geht es schlimm.«

»So sind die Leute, welche sich mit demselben beschäftigen, jedenfalls sehr kühne und auch sehr vorsichtige Menschen?«

»Allerdings. Feig oder unvorsichtig darf kein Mumienschmuggler sein.«

»Und auch dein Bruder besaß diese Eigenschaften?«

»In hohem Grade.«

»Nun, so denke ich, daß er dieselben auch auf seiner Reise zu Rate gezogen hat. Er wird denjenigen Weg eingeschlagen haben, welchen er für den sichersten hielt, wenn –- er nicht bereits vorher in Chartum verunglückt ist.«

»In Charturn? Effendi, wie kommst du auf diesen Gedanken?«

»Ich komme darauf, weil es in einem solchen Falle geboten ist, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Erst wenn ich die Verhältnisse überblicken kann, ist es mir möglich, den einen oder den andern Fall für wahrscheinlicher zu halten.«

»Dann bitte ich dich, mir zu sagen, was du wissen mußt. Ich werde dir sehr gern alles sagen.«

»Wie ist der Name deines Bruders?«

»Hafid Sichar.«

»Aus welchem Grunde hast du ihn nach Chartum gesandt?«

»Um Geld zu holen von dem Kaufmann Barjad el Amin, meinem Geschäftsfreunde.«

»Was für Geld war das? Vielleicht Anteil an dem Geschäft?«

»Nein. Ich hatte es ihm geborgt.«

»Ist er ein ehrlicher Mann? Seinem Namen nach kann kein Zweifel darüber sein, denn Barjad el Amin heißt doch Barjad der Ehrliche.«

»O, er ist die Ehrlichkeit selbst; daran kann kein Mensch zweifeln.«

»Wie hoch war die Summe, welche du ihm geliehen hattest?«

Wieder zögerte er mit der Antwort; dann fragte er:

»Mußt du das wissen?«

»Ja.«

»Warum?«

»Um mir ein klares Bild über die hier in Betracht zu ziehenden und also wichtigen Verhältnisse machen zu können. Übrigens hast du versprochen, mir alles zu sagen. Wenn du von meiner Bemühung Erfolg erwartest, so mußt du aufrichtig sein. War die Summe denn eine hohe?«

»Ja. Ich habe dir schon gestern gesagt, daß ich nicht so arm bin, wie es scheint. Die hiesigen Verhältnisse sind solche, daß der Besitzende gezwungen ist, seinen Besitz zu verheimlichen. Ich habe Barjad el Amin hundertfünfzigtausend Piaster geborgt.«

Das sind nach deutschem Gelde ungefähr dreißigtausend Mark, eine bedeutende Summe für die dortigen Verhältnisse, zumal für einen Höhlenführer. Darum fragte ich ziemlich verwundert:

»So viel Geld hast du so weit verborgt, nach Chartum hinauf? Da mußt du dem Kaufmanne freilich ein ganz ungewöhnliches Vertrauen schenken. Wie lange Zeit kennst du ihn?«

»Sechs Jahre.«

»Und wann gabst du ihm das Geld?«

»Vor fünf Jahren.«

»Also kanntest du ihn nur seit einem Jahre? Ist das nicht unvorsichtig gewesen?«

»Nein, denn er wurde mir von einem Manne empfohlen, bei dem jedes Wort die Heiligkeit eines Kuranspruches besitzt.«

»Wer ist dieser Mann?«

»Der heilige Fakir, welcher gestern mit euch nach Siut gefahren ist.«

»Hm! Dagegen läßt sich nichts sagen. Ich bin kein Moslem und weiß nicht, ob eure Fakirs ein solches Vertrauen verdienen. Ich habe Fakirs kennen gelernt, welche mir als sehr große Spitzbuben erschienen sind.«

»Es giebt solche; da hast du recht. Die Ehrlichkeit, Frömmigkeit und Zuverlässigkeit dieses einen ist aber über jeden Zweifel erhaben.«

»Also dieser Mann riet dir, dem Kaufherrn die hohe Summe zu borgen. Sie stand fünf Jahre lang im Geschäfte des letzteren. Aus welchem Grunde verlangtest du sie zurück? War dein Vertrauen zu ihm geschwunden?«

»O nein. Ich habe das Geld nicht zurückverlangt, sondern er ließ mir durch einen Boten sagen, daß er es nicht mehr brauche. Da sandte ich eben den Bruder, um es zu holen.«

»Und der kehrte nicht zurück! Ist er denn überhaupt in Chartum eingetroffen?«

»Ja. Er hat von Barjad el Amin das Geld ausgezahlt erhalten und ist dann verschwunden.«

»Hm! Er hat das Geld erhalten und ist verschwunden. Hm, hm!«

Ich blickte nachdenklich vor mich nieder. Der Führer wartete eine Weile und erkundigte sich dann:

»Du brummst. Was hat das zu bedeuten? Dein Gesicht ist so viel ernster geworden. Worüber denkst du nach?«

»Über die Pflichten der Gastfreundschaft.«

»Stehen dieselben denn in Beziehung zu dem Verschwinden meines Bruders?«

»In einem sehr innigen. Du hast dem Kaufmanne eine so sehr hohe Summe geborgt. Ich denke, daß er dir sehr dankbar sein mußte und daß ihr sehr innige Geschäftsfreunde gewesen seid.«

»Natürlich!«

»Er hat also jedenfalls deinen Bruder bei sich aufgenommen, und dieser hat bei ihm gewohnt?«

»So ist es.«

»Ist er plötzlich verschwunden oder abgereist?«

»Abgereist, um in der Heimat nicht anzukommen.«

»Mit welchem Schiffe?«

»Das weiß man nicht.«

»Oder mit welcher Karawane, auf welchem Wüstenwege?«

»Das ist eben auch unbekannt.«

»Dieser Umstand kommt mir bedenklich vor. In den Städten des Abendlandes ist man nicht auf die Gastfreundschaft eines anderen angewiesen; man geht in ein Gasthaus und bezahlt alles, was man empfängt. Hier bei euch ist es anders. Man ist auf die Gastlichkeit seiner Nebenmenschen angewiesen, und je weiter man in wilde Länder dringt, desto größer wird die Bedeutung der Gastfreundschaft. Droben in Chartum hat der Wirt größere Verpflichtungen als unten in Kahira. Er wird seinen Gast, falls derselbe abreist, eine Strecke begleiten; diese Strecke wird desto länger sein, je inniger die Bekanntschaft zwischen beiden ist. Dieser Kaufmann Barjad el Amin hat dir so viel zu verdanken; du hast ihm so viel Geld geliehen, daß er mit Hilfe desselben in fünf Jahren so reich geworden ist, daß er es dir zurückgeben kann; dein Bruder kommt zu ihm, wohnt, ißt und trinkt bei ihm und soll nun plötzlich abgereist sein, ohne daß Barjad el Arnin weiß, in welcher Weise die Abreise vor sich gegangen ist? Was sagst du dazu, lieber Ben Wasak?«

Er sah mir betroffen, ja starr in das Gesicht und antwortete nicht. »Effendi, ich habe doch recht gehabt,« stieß er endlich hervor, »mit der Ansicht, daß ihr Franken viel klüger seid als wir.«

»Ich habe keinen Grund, diese Meinung zu bestreiten.«

»Nein, gar keinen Grund hast du dazu! Kaum hast du einige Fragen an mich gethan, so bringst du Gedanken, die mir niemals beigekommen wären.«

»Die aber jedenfalls nicht unbegründet sind!«

»Sie haben allen Grund. Der Kaufmann hat meinen Bruder auf das festlichste empfangen, und die Gastfreundschaft gebot ihm, denselben feierlich zu entlassen und ihn eine Strecke zu begleiten. Daran habe ich noch gar nicht gedacht.«

»Da Barjad von einer solchen Entlassung seines Gastes nichts zu sagen weiß, so darf er mir es nicht übel nehmen, daß in mir ein Verdacht gegen ihn aufsteigt. Entweder er ist ein Schurke und weiß, wohin dein Bruder geraten ist, oder er hat die Pflichten der Gastfreundschaft mißachtet und trägt dadurch indirekt die Schuld an dem Unglück, welches jedenfalls geschehen ist.«

»Allah, Allah! Wer hätte das gedacht! Effendi, deine Worte zermalmen mein Herz. Soll ich da mißtrauen, wo mein Vertrauen bisher ein so großes, unbedingtes war?«

»Verbrechen oder Unterlassung, nehmen wir dieses oder jenes an, so bleibt es sich gleich; der Kaufmann trägt die Schuld. Ist der Mann, den du nachher nach Chartum sandtest, um nachzuforschen, so zuverlässig, wie es in diesem Falle zu wünschen war?«

»Ja, er ist der zuverlässigste, den es nur geben kann, der heilige Fakir.«

»Ah! Also derselbe, welcher dich veranlaßte, dem Kaufmanne das Geld zu borgen?«

»Derselbe!«

»Hm! hm!«

»Du brummst wieder. Das hat nichts Gutes zu bedeuten. Traust du diesem Manne vielleicht nicht?«

»Was das betrifft, so höre ich, daß du ihm dein vollständiges Vertrauen geschenkt hast, und auch mir ist er als ein Mann vorgekommen, der eines Verbrechens nicht fähig ist. Aber wer so viel und tief in Allah lebt wie er, dem möchte ich eine so wichtige, irdische Angelegenheit nicht in die Hände legen. Wer so wie er im Gebete lebt, der besitzt schwerlich denjenigen Sinn, welcher unerläßlich ist, wenn es gilt, das Verbrechen auf seinen viel verschlungenen und verborgenen Wegen zu verfolgen und aufzusuchen.«

»Wen hätte ich an seiner Stelle senden sollen? Ich hatte keinen andern,« sagte er ziemlich kleinlaut.

»Konntest du nicht selbst gehen?«

»Das ist unmöglich, Herr. Meinen Kindern bin ich schuldig, diese Reise zu unterlassen.«

»Du hältst sie für gefährlich? Du fürchtest dich?«

»Nein; das ist es nicht. Das Geschäft hält mich zurück. Ich habe die hundertfünfzigtausend Piaster verloren und muß diesen Verlust wieder einbringen. Ich muß arbeiten und schaffen, muß für meine Kinder und nun auch für diejenigen meines Bruders sorgen. Und wenn ich gehe, muß ich fürchten, ebenso verloren zu sein, wie mein Bruder es war.«

Er sagte das in einem Tone, als ob er an meinem Scharfsinne zweifle; darum antwortete ich ihm:

»Das hat seine volle Berechtigung. Ist ein Verbrechen geschehen, und du kommst, es zu entdecken, so wird man auch dich verschwinden lassen; dann sind zwei Familien anstatt der einen verwaist.«

»So ist es richtig, Effendi; gerade so dachte ich auch!«

»Dachtest du nicht auch noch etwas anderes dabei?«

»Was soll ich noch gedacht haben?«

»Wenn du kommst, läßt man dich verschwinden; wenn aber ich komme, werde ich dieses Schicksal haben, und das ist jedenfalls vorteilhaft für dich.«

»Effendi, Allah ist mein Zeuge, daß mir ein solcher Gedanke nicht gekommen ist!«

»Wirklich? Ich will es glauben; es ist aber trotzdem genau so, wie ich es sage. Nehmen wir an, daß ein Verbrechen vorliegt, so werden die Thäter sich bemühen, die Entdeckung desselben zu verhindern, und es ist anzunehmen, daß es ihnen dabei auf einen Mord gar nicht ankommen wird.«

»Ich muß dir recht geben; aber es ist dennoch ein Unterschied, ob ich selbst mich erkundige oder ob du es an meiner Stelle thust. Denn ich bin dort bekannt und kann also nichts thun, ohne bemerkt und beobachtet zu werden. Du aber bist fremd, und kein Mensch weiß, daß du mich jemals gesehen hast. Dir ist es also möglich, heimlich zu forschen, und darum kannst du viel eher einen Erfolg haben, als daß ich ihn haben würde.«

»Sehr richtig. Ich erkläre dir abermals, daß ich mich dieser Angelegenheit annehmen werde. Freilich muß ich noch länger über dieselbe nachdenken. Wie ist denn der heilige Fakir bei dem Kaufmanne aufgenommen worden?«

»So, wie es bei seiner Heiligkeit geschehen mußte; er ist wie ein berühmter Scheik oder Emir behandelt worden.«

»Hat er sich offen oder heimlich nach dem Verschollenen erkundigt?«

»Ganz offen.«

»Das war nicht klug. Er mußte sich verstellen und so thun, als ob er gar nicht wisse, daß dein Bruder in Chartum gewesen ist.«

»Das, Effendi, ist einem so heiligen Manne nicht möglich. Jede Verstellung ist ihm ein Greuel.«

»Dann war er für eine solche Sendung nicht die geeignete Persönlichkeit. Ich vermute, daß man behauptet hat, deinem Bruder die betreffende Summe ausgezahlt zu haben?«

»Ja, man hat sie ihm gegeben. Barjad el Amin hat dem Fakir die Quittung gezeigt.«

»Wer hat sie ausgefertigt? Dein Bruder oder du?«

»Ich. Ich habe sie unterschrieben und mit meinem Siegel versehen; er erhielt die Weisung, sie nur nach dem Empfange des Geldes auszuhändigen. Er hat sie hingegeben, folglich hat er auch das Geld erhalten.«

»Diesem Schlusse möchte ich doch nicht so blind beistimmen. Wie nun, wenn man sie ihm abgenommen hätte? Warum hat man dir das Geld nicht gesandt, sondern die Benachrichtigung, daß du es abholen lassen sollst?«

»Dieser Umstand konnte meinen Verdacht nicht erwecken. Es ist ein Risiko, eine solche Summe von Chartum nach Siut zu senden, ein Wagnis, welches Barjad nicht auf sich nehmen wollte.«

»Dennoch kommt es mir nicht geheuer vor. Du sagtest vorhin, daß es gefährlich sei, offen nachzuforschen. Der Fakir hat nachgeforscht. Warum hat ihn dies nicht in Schaden gebracht?«

»Weil er eben ein heiliger Mann ist.«

»Pah! Ein Verbrecher fragt, wenn ein Mensch ihm gefährlich wird, nicht nach der Heiligkeit oder Frömmigkeit desselben. Ich mag keinen Verdacht gegen den Fakir hegen, und doch ist es mir, als ob er, wissentlich oder unwissentlich, mit in die That, welche geschehen ist, verwickelt sei. Ist er wirklich unschuldig, so hat er den Umstand, daß er heil davongekommen ist, nicht seiner Heiligkeit, sondern seiner Befangenheit zu verdanken. Er ist diesen Leuten als ein Mann erschienen, den man nicht zu fürchten braucht, weil er nicht die notwendige Klugheit besaß, das Verbrechen zu entdecken.«

»So glaubst du also, daß wirklich ein Verbrechen begangen worden ist?«

»Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin überzeugt davon.«

»Und wer soll der Thäter sein? Barjad el Amin selbst?«

»Ich möchte es behaupten. Weiß der Fakir, daß du ein Mumienschmuggler bist?«

»Ja.«

»Hält er dieses Gewerbe nicht für verboten?«

»Ich fragte ihn, und er antwortete, daß im Kuran nichts davon geschrieben stehe.«

»Interessiert er sich für Mumien?«

»Ich weiß es nicht.«

»Vielleicht kennt dieser fromme Mann Mumiengräber, ohne daß er es andern mitteilt.«

»Möglich. Er wandert überall umher, und es giebt im ganzen Thale des Nils noch Grabgewölbe und Grabhöhlen, weiche noch kein Auge gesehen hat.«

»Ich hörte einmal die Vermutung aussprechen, daß es in der Nähe von Siut bedeutende Königsgräber gebe.«

»Derjenige, der sie entdeckt hat, müßte das Geheimnis für sich behalten haben, sonst würde ich der erste sein, dem man davon gesagt hätte. Denkst du, daß der alte Fakir ein solches Geheimnis kennt?«

Ach vermute es.«

»Möglich! Ich werde bei Gelegenheit einmal mit ihm sprechen.«

»Aber ohne zu verraten, daß ich dich aufmerksam gemacht habe!«

»Kein Wort verrate ich. Aber das darf ich ihm doch sagen, daß du nach meinem Bruder forschen wirst?«

»Nein. Hiervon darf er erst recht keine Silbe erfahren.«

»So mißtraust du ihm also doch!«

Er hatte recht; ich konnte mich eines eigenartigen Gefühles, einer dunkeln Ahnung nicht erwehren. Es war kein bestimmter Verdacht, sondern eine unbestimmte Empfindung. Dennoch antwortete ich: »Ich hege kein Mißtrauen; aber dieser Mann kann mir gefährlich werden.«

»Gefährlich? So ein frommer Mann, dem man einst einen Marabut, errichten wird!«

»Ja. Es mangelt ihm die irdische Klugheit. Du selbst sagst, daß er stets wandere, daß er bald hier und bald dort sei; da ist es leicht möglich, daß er eher als ich nach Chartum kommt, denn ich habe hier einen Gefährten zu erwarten. Wie nun, wenn er dort den Kaufmann aufsuchte und ihm sagte, daß ein Franke kommen werde, um nach dem Verbleib deines Bruders zu forschen? Besser ist es auf jeden Fall, daß er gar nichts weiß, und so verlange ich allen Ernstes von dir, daß du verschwiegen gegen ihn bist. Wenn du mir das nicht versprichst, so bitte ich dich, mir mein Wort zurückzugeben, da ich mit der Sache dann nichts zu thun haben will.«

»Effendi, was fällt dir ein!« rief er erschrocken. »Ich habe dich ja nicht beleidigen wollen. Ich will alles thun, was du mir gebietest, und alles unterlassen, was du mir verbietest. Ich habe auch bereits gesagt, daß ich dich mit allem Nötigen versehen will.«

»Das ist nicht viel, nämlich einen Brief an deinen Bruder, den ich ihm gebe, falls ich ihn finde. Du schreibst ihm, daß du mich beauftragt hast, ihn aufzusuchen, und kannst ihm auch sonst noch beliebige Mitteilungen machen. Unterschrift und Siegel ist natürlich nötig.«

»Das kann ich sofort thun, wenn du erlaubst. Ich habe meinen Siegelring anstecken, und das übrige wird hier leicht zu beschaffen sein.«

Ich klatschte in die Hände, und es kam ein Diener, welcher Papier, Tinte, Feder und Siegellack besorgte. Dann schrieb Ben Wasak den Brief und übergab ihn mir mit den Worten: »Hier hast du das Verlangte, Effendi. Aber es ist noch etwas nötig, das sollst du noch erfahren. Ich habe vorher einen Gang zu machen. Treffe ich dich in einer Stunde wieder hier?«

»Ja; ich werde bis dahin nicht ausgehen.«

Er verabschiedete sich. Als er nach der angegebenen Zeit zurückkehrte, brachte er mir einen zweiten Brief, dessen Adresse nach Chartum lautete.

»Gieb ihn ab, sobald du nach Chartum kommst,« sagte er; »vergiß es ja nicht! Der Mann, an den er gerichtet ist, kann dir sehr behilflich sein.«

»Wer und was ist er? Hier steht nur der Name.«

»Das genügt. Wenn du den Namen nennst, wird dich jedermann zu ihm weisen. Wann reisest du von hier ab?«

»Sobald mein Gefährte angekommen ist.«

»Dann sehen wir uns vielleicht noch vorher wieder. Wenn du mir etwas zu sagen hast, so weißt du mich in Maabdah zu finden, und wenn ich dich zu sprechen habe, wirst du mir erlauben, hierher zu kommen. Auf alle Fälle erwarte ich, dich später bei mir zu sehen. Ob du meinen Bruder oder auch nur eine Spur von ihm findest oder nicht, du bist mir immerdar willkommen. Allah segne dich und leite dich auf den Pfaden des Glückes! Denke zuweilen meiner, und sei versichert, daß ich stets an dich denken werde, auch in meinem Gebete, obgleich wir verschiedenen Glaubens sind!«

Ich antwortete ihm in der gebräuchlichen Weise, und dann entfernte er sich. Also schon wieder etwas Neues und Abenteuerliches! Einen Verschollenen aufsuchen, nach welchem selbst der heilige Fakir vergebens geforscht hatte. Der Gedanke an diesen letzteren machte mir wirklich zu schaffen. Es widerstrebte mir, einen Verdacht gegen diesen ehrwürdigen Mann aufkommen zu lassen, und doch konnte ich mich einer unbestimmten Ahnung nicht erwehren, daß er mit dieser Angelegenheit mehr und anders zu thun gehabt habe, als der Führer zugeben wollte.

Glücklicherweise hatte ich mit dem Alten einen Gang nach den verborgenen Königsgräbern verabredet. Bei dieser Gelegenheit konnte ich ihn aushorchen. Er hatte keine Ahnung, daß Ben Wasak bei mir gewesen war und von seinem Bruder mit mir gesprochen hatte; darum war es höchst wahrscheinlich, daß ich ihm eine Falle stellen konnte, in welche er gehen mußte, wenn meine Ahnung keine falsche war. Bald darauf wurde ich zum Frühstück gerufen. Ich aß tüchtig und erklärte meinem Wirte, daß ich zur Zeit des Mittagessens nicht da sein könne.

»Warum?« fragte er. »Wo willst du hin?«

»Gräber besuchen.«

»O Allah! Ist das möglich? Hast du gestern nicht an dem Gestank der Höhle genug gehabt?«

»Es handelt sich nicht abermals um Krokodilsmumien.«

»Urn welche denn? Willst du die einbalsamierten Leiber der Wölfe sehen, welche droben in den Bergen liegen?«

»Vielleicht!« antwortete ich, da ich Verschwiegenheit gelobt hatte und also nicht die Wahrheit sagen durfte. »Nur Selim wird mich begleiten.«

»Allah sei gelobt! Selim geht mit. Das ist ein sicheres Zeichen, daß die Sache weder gefährlich noch schaurig wird. Brauchst du Fackeln? Es sind noch welche von gestern da.«

»Fackeln, Zündhölzer und einen langen, festen Strick.«

Das Verlangte wurde gebracht. Ich nahm sechs Wachsfakkeln, obgleich der Fakir gesagt hatte, daß wir an einer genug hätten. Er hatte eine Stunde vor Mittag am Thore sein wollen; aber bereits eine halbe Stunde vorher wurde ein halbwüchsiger Knabe zu mir gebracht, welcher draußen nach mir gefragt hatte und mir sagte, daß der heilige Mann uns draußen vor der Stadt erwarte.

»Warum kommt er nicht selbst, um uns zu holen?« fragte ich.

»Er hat mit Allah gesprochen und darf den Ort des Gebetes noch nicht verlassen,« war die Antwort.

Ich ging hinüber zum Haushofmeister, um Selim abzuholen. Die beiden saßen rauchend und schwatzend auf dem Teppich. Noch im Eintreten hörte ich Selim sagen:

»Ich darf ihn nicht verlassen; er ist mir einmal anvertraut, und ich bin also sein Beschützer.«

Gewiß hatte der Schlingelschlangel von mir gesprochen! Diese Vermutung bestätigte sich sofort, denn der dicke Schwarze empfing mich mit den Worten:

»Was muß ich hören, Effendil Du willst schon wieder auf Abenteuer ausgehen? Thue das nicht! Bleibe daheim! Ich weiß, daß ganz gewiß ein Unglück geschehen wird.«

»Hat Selim dir gesagt, wohin wir wollen?« erkundigte ich mich, um zu erfahren, ob der Lange das Geheimnis ausgeplaudert habe.

»Nein. Er hat gesagt, er habe einen großen Schwur des Schweigens ablegen müssen. Das macht mich bange um euch.«

»Habe keine Sorge. Es wird uns nichts geschehen.«

»Das meinst du, weil du nicht an die Vorhersagungen des Mondes glaubst. Laß dich zurückhalten; ich bitte dich!«

»Und ich ersuche dich, nicht in mich zu dringen. Ich habe mein Wort gegeben, zu kommen, und muß es halten.«

»So laß wenigstens Selim da!«

»Was? Ich soll hier bleiben?« rief dieser, indem er aufsprang. »Ich, der Beschützer und Bewahrer dieses Effendi soll ihn allein gehen lassen? Nein, ich kann nicht an meiner Pflicht sündigen; ich gehe mit ihm durch alle Gefahren des Himmels und der Erde. Ich werde für ihn mit allen Drachen, Schlangen und Skorpionen kämpfen. Ich bin bereit, Löwen und Panther zu zerreißen, damit sie ihm ––«

»Zunächst hast du nur den Mund zu halten!« unterbrach ich ihn. »Von Drachen, Löwen und Panthern ist keine Rede. Darum wirst du dein Gewehr hier lassen und nur das Messer zu dir stecken.«

»Aber wir wissen doch nicht, wohin wir gehen, Effendi!

Wie leicht ist es möglich, daß wir in die Wüste kommen, an deren Rand die Löwen und ––«

»Unsinn! Dir thut kein Löwe etwas. Es ist ihm gar nicht möglich, denn sobald du ihn erblickst, nimmst du so schnell Reißaus, daß er dir gar nicht zu folgen vermag.«

»Herr, welch‘ eine schlechte Meinung hast du vom treuesten aller deiner Freunde! Ich bin Selim, dein Behüter, und würde stehen bleiben und für dich kämpfen, selbst wenn alle Menschen und alle wilden Tiere der Erde auf dich einstürmten. Du verkennst mich; darum bitte ich Allah, uns eine Gefahr, eine recht große Gefahr zu senden, damit ich dir beweisen kann, welche Heldenthaten ich bereit bin, für dich zu thun.«

Er steckte das Messer und drei Fackeln zu Sich, nahm den Strick, und dann gingen wir. Der Knabe hatte draußen gewartet und führte uns nun durch die Stadt, genau den Weg, welchen wir vorgestern geritten waren. Als wir die belebten Gassen hinter uns hatten und nun bergauf stiegen, sah ich einen ärmlich gekleideten Kerl im Sande hocken, um da die spärlichen Grashalme mit einer Sichel abzuhauen. Als wir uns ihm näherten, richtete er sich auf. Ich erkannte den Gärtner, bei welchem wir den Gaukler gesucht hatten. Er that nicht im geringsten überrascht über diese Begegnung; fast schien es, als ob er uns hier erwartet habe. Eben als wir vorübergingen, rief er, indem sein Gesicht sich zu einem höhnischen Grinsen verzog, mir zu:

»Wohlan, so wandle den Weg der Ungläubigen, und verschmachte auf dem Pfade der Verfluchten. Allah verdamme dich, du Hund!«

Dann wandte er sich um und rannte im Galopp davon, sich einigemale umsehend, ob ich ihn vielleicht verfolgen werde. Das fiel mir gar nicht ein. Sein Schimpfen war eine freche, unverschämte Rache für gestern; so dachte ich jetzt; später aber sah ich wohl ein, daß es noch etwas ganz anderes gewesen war.

Als wir fast oben auf der Höhe angekommen waren, deutete der Knabe auf ein fernes Felsenloch und sagte:

»Dort an dem alten Grabgewölbe seht ihr den Heiligen stehen; er wartet im Gebet auf euch.«

Er wollte sich entfernen; ich machte Miene, ihm ein kleines Bakschisch zu geben; er aber spuckte vor mir aus und sagte mit einer Gebärde des Abscheues:

»Behalte deinen Piaster. Wie könnte ich mich mit dem Gelde eines Ungläubigen verunreinigen? Gehe zur Hölle!«

Er rannte davon. So etwas war mir noch nicht vorgekommen. Während im Oriente Alte und junge nach dem Bakschisch förmlich Jagd machen und besonders die Knaben sich bis aufs Blut um denselben balgen, wies dieser Bube das Geschenk von sich und wagte es sogar, mich zu verhöhnen. Ich ließ ihn natürlich laufen und schritt mit Selim dem Loche zu, an welchem der Fakir lehnte, das Gesicht genau nach der Gegend von Mekka gerichtet und mit den beiden Händen im Gebete gestikulierend.

Als wir uns ihm genug genähert hatten, sah ich, daß er seine Lippen im Gespräch mit Allah bewegte; auf seinem Gesichte lag der Ausdruck reinster, religiöser Verzückung. Nein, dieses Gesicht konnte nicht lügen. Der Mann, welcher dem Grabe so nahe stand, daß jeder Augenblick ihn hineinstoßen konnte, sollte ein Freund von Verbrechern sein? Unmöglich, ganz unmöglich! Ich empfand in diesem Augenblicke das festeste, das innigste Vertrauen zu ihm.

Er hörte uns kommen und drehte sich uns zu. Sein Gesicht nahm den Ausdruck milder Würde an; er verbeugte sich, reichte mir die Hand und sagte.

»Willkommen, Effendi! Allah leite deine Schritte zum Ziele der Freude und des Glückes! Du hast Wort gehalten, und auch ich werde mein Versprechen erfüllen. Du sollst die Könige der Alten mit allen ihren Söhnen, Frauen, Töchtern und sonstigen Verwandten sehen.«

»Warum hast du uns nicht selbst abgeholt, wie du mir versprochen hattest?« fragte ich.

»Allah rief mich, und ich mußte antworten. Ich stand auf der Erde und sah in die Himmel hinein; ich sah die Augen der Seligen strahlen und die Flügel der Heerscharen leuchten. Da durfte ich nicht gehen; ich mußte bleiben und die Stimme des Propheten vernehmen und die Sprüche seines Mundes, um sie zu verbreiten unter den Völkern der Gläubigen und der Ungläubigen.«

»Der Ungläubigen? So bist du ein Prediger, welcher den Islam unter den Heiden verbreitet?« fragte ich.

»Ja; ich richte die Füße aller Menschen gen Mekka, der heiligen Stadt, ihre Augen auf den Kuran, das Buch des Lebens, und ihre Seelen auf den Weg nach der Brücke es Sireth, welche vom Tode in das Leben führt. Darum mußte ich jetzt der Weisung des Propheten gehorchen; ich durfte nicht fort; ich war gezwungen, zu bleiben, und sandte euch einen Boten, der euch zu mir bringen sollte.«

»Du hattest einen schlechten gewählt. Er beleidigte mich, weil ich andern Glaubens bin.«

»Du mußt ihm verzeihen, weil er ein Knabe ist, welcher die Bezähmung des Zornes noch nicht geübt hat. Ich bin bereit. Laßt uns gehen!«

Er wollte voranschreiten, vielleicht um ein Gespräch zu vermeiden; da ich aber gerade beabsichtigte, ihn in ein solches zu verflechten, hielt ich mich an seiner Seite, so daß Selim hinter uns ging. Seltsamerweise schlug er ganz genau den Weg ein, welchen wir vorgestern geritten waren. Ich sah das, obgleich unsere Spuren nicht mehr im Sande zu erkennen waren, da der Wind sie schon verweht hatte. So schritten wir eine ganze Weile neben einander her. Er beharrte in seinem Schweigen; darum begann ich endlich:

»Ich freue mich sehr darüber, daß du ein Prediger bist –«

Ich wollte fortfahren; er aber fiel schnell ein:

»So bist du ein schlechter Christ.«

»Inwiefern?«

»Habt ihr nicht auch Prediger der Heiden?«

»Allerdings.«

»Wie nennt ihr diese?«

»Missionäre.«

»Ja, so ist das Wort. Diese Missionäre sind unsere größten Feinde; darum wird ein guter Christ sich nicht über einen Prediger des Islams freuen. Kennst du die Lehren des Kuran und auch diejenigen eures heiligen Buches?«

»Ja.«

»Welches hat Recht, euer Buch oder das unserige?«

»Die Bibel.«

»So muß es dich ärgern, einen Wa’iz zu sehen.«

»Wenn ich sagte, daß ich mich freue, in dir einen Prediger zu sehen, so hatte diese Freude nur darin ihren Grund, daß ich hoffte, etwas von den Gegenden der Heiden, in denen du gepredigt hast, zu erfahren.«

»Was hättest du davon?«

»Ich würde erfahren, ob die Ansichten, welche ich über jene Gegenden und Völker habe, falsch oder richtig sind. Darf ich dich fragen, bei welchen Nationen du gewesen bist?«

»Ich war bei allen Völkern des weißen und des blauen Nils, auch in Kordofan und bis Dar-Fur hinüber.«

»So beneide ich dich um das, was du gesehen hast. Nicht wahr, eine Niederlassung am Nil wird Seribah genannt?«

Ich fragte wie ein Schulknabe, aber in ganz bestimmter Absicht. Er sollte mich für weniger erfahren und unterrichtet halten, als ich war, und auf den Gegenstand, welcher mir am Herzen lag, zu sprechen kommen.

»Nein. Wer dich so berichtet hat, der hat nichts verstanden. Die Christen sind nicht stets so klug, wie sie denken.«

»Aber das Wort Seribah giebt es?«

»Ja. Aber eine Seribah ist keine Stadt und kein Dorf, sondern so werden die befestigten Orte genannt, an welchen die Sklavenjäger wohnen.«

»Sklavenjäger! Welch ein böses, schlimmes Wort!«

»Im Ohre eines Christen, ja; aber ein Moslem denkt anders darüber. Weißt du, welches Wort wir für Sklave gebrauchen?«

»Ja; der Türke sagt Jessir, Köle oder Kul, der Araber Abd.«

»Ganz richtig! Und Abd heißt zugleich auch Diener, Beauftragter und Jünger. Das sagt dir wohl, daß unsere Sklaven unsere Jünger und Diener, nicht aber unsere Gequälten sind.«

»Ich verstehe wohl. Aber ist es nicht trotzdem grausam, sie ihrer Heimat und ihren Familien zu entreißen?«

»Nein, denn sie haben es bei uns besser, als sie es in der Heimat hatten.«

»Es werden, um einen Sklaven zu machen, im Durchschnitte wenigstens drei andere getötet!«

»Ist es schade, wenn ein Heide stirbt? Er wird, wenn es Allah gefällt, als Sohn eines Moslem zum zweitenmale geboren werden; dann kann er, wenn er nach den Geboten des Kuran lebt, nach seinem Tode in Muhammeds Himmel kommen. Du mußt dir die Sklaverei und die Sklavenjagden ganz anders denken, als sie euch beschrieben werden. Ich bin Geistlicher mehrerer Seriben gewesen, und muß die Sache also verstehen und viel besser kennen, als ihr sie kennt. Ich war sogar auf der Seribah von Abu el Mot, und habe da erkannt, daß die Schwarzen keine Menschen, sondern nur zweibeinige Tiere sind.«

»Bei Abu el Mot warst du? Der ist der berühmteste Sklavenjäger gewesen, wie auch schon sein Name erraten läßt.«

»Hast du von ihm gehört?«

»Viel, sehr viel. Er bewohnte die Seribah et Timsahl, wenn ich nicht irre.«

»Das ist sehr richtig. Auf dieser Seribah bin ich bei ihm gewesen. Ja, er war der berühmteste Sklavenjäger; aber jetzt giebt es einen noch viel berühmteren.«

Der Alte hatte jetzt ein ganz anderes Aussehen bekommen. Die milde Würde war aus seinem Gesichte gewichen und hatte einer Art von irdischer, sehr irdischer Begeisterung Platz gemacht. Ich sah das nur mit einem schnellen, kurzen Seitenblick, denn ich hütete mich, ihn offen anzusehen, weil ich befürchtete, daß er sich dann mehr beherrschen werde.

Vater des Todes. Seribah des Krokodiles.

»Wie heißt er?« fragte ich.

»Ibn Asl.«,

»Das ist eigentlich ein sehr frommer Name.«

»Nein.«

»Dann müßte ich die Sprache dieses Landes schlecht verstehen. Asl, der Ursprung, ist eine Bezeichnung Gottes, Ibn Asl heißt also ungefähr Sohn des Ursprunges, Sohn Gottes.«

»In diesem Falle nicht. Der Mann heißt Ibn Asl als Sohn seines Vaters, welcher Abd Asl heißt.«

Er sagte das im Tone eines Stolzes, welcher mir einstweilen unverständlich war. Ich antwortete so gleichgültig wie möglich:

»Das ist etwas anderes; ich wußte es nicht. Also sein Vater heißt Abd Asl? Ist dir dieser Mann bekannt?«

»Wohl kenne ich ihn!« nickte er mit einer mir auffallenden Bedeutung.

»So kennst du vielleicht auch den Sohn, den Sklavenjäger?«

»Auch ihn kenne ich!«

»Ich bleibe doch dabei, daß sein Name nicht für einen Sklavenjäger paßt. Abu el Mot, Vater des Todes, klingt da doch ganz anders.«

»Ich sage dir, daß dieser Ibn Asl noch einen anderen Namen trägt, einen Beinamen, den er sich durch seine Thaten erworben hat. Man nennt ihn ed Dschasuhr. Ist das kein Name, der für einen Sklavenjäger paßt?«

»O doch! Dieser Beiname klingt besser als der eigentliche Name. Woher stammt dieser Mann?«

»Das wird wohl ungesagt bleiben sollen.«

»Er kann nicht stets Sklavenjäger gewesen sein. Was war er früher?«

»Kaufmann in Chartum.«

»Ah, in Chartum!«

»Ja. Er war Gehilfe bei einem Händler, Namens Barjad el A ––«

Er hielt mitten in der Rede inne, und daran war meine Unvorsichtigkeit schuld, Barjad el Amin hatte er jedenfalls sagen wollen. Das war ja der Kaufmann, bei welchem der Bruder meines Führers aus Maabdah verschwunden war! Als ich diesen Namen hörte, hatte ich unwillkürlich den bisher gesenkten Kopf erhoben und den Sprecher so überrascht angeblickt, daß es diesem auffallen mußte. Er sprach also den Namen nicht vollständig aus, sondern unterbrach sich und fragte:

»Kennst du diesen Mann etwa?«

»Nein,« antwortete ich. Ich glaubte auf dem Punkte zu stehen, etwas Bestimmtes zu erfahren. Er sah mir scharf in das Gesicht und fragte:

»Sagst du die Wahrheit?«

»Ich war noch nie in Chartum.«

»Aber du willst hin?«

»Ja.«

»Zu Barjad el Amin?«

»Wie kann ich zu einem Manne wollen, den ich nicht kenne?«

»Als ich diesen Namen aussprach, erschrakst du beinahe. Das kommt mir verdächtig vor. Du bist nicht so ehrlich gegen mich, wie ich es gegen dich bin!«

»Ich verstehe dich nicht. Ich bin vollständig fremd hier, und du behauptest, daß ich Namen kenne, welche selbst ein Eingeborener noch nicht gehört hat!«

»Das mag sein. Weißt du, wer Ben Wasak ist?«

»Der Führer von Maabdah. Diesen Namen kenne ich freilich, weil ich mit dem Träger desselben zusammen gewesen bin.«

»Ihr habt auch miteinander gesprochen?«

»Natürlich! Von der Höhle, von den Krokodilmumien, welche sich in derselben befinden.«

»Habt ihr nicht auch von Chartum gesprochen?«

»Doch nicht.«

»Und von dem Bruder, den er dorthin gesandt hat?,‹

»Hat denn Ben Wasak einen Bruder? Wo befindet sich derselbe?«

»Du weißt also wirklich nichts? Nun, ich will dir sagen, daß dieser Sklavenhändler Ibn Asl ed Dschasuhr seinen besten Streich diesem Bruder Ben Wasaks gespielt hat.«

»Du machst mich sehr neugierig. Welcher Streich ist das gewesen?« fragte ich, indem ich mir alle Mühe geben mußte, ruhig zu erscheinen. Ich stand vor dem Augenblicke, an welchem, wie zu erwarten war, der Schleier des Geheimnisses entfernt wurde. Aber meine Erwartung wurde enttäuscht, denn der Fakir antwortete nach einer kurzen Weile:

»Das ficht dich nichts an, denn ihr Franken seid nicht die Leute, denen man so etwas erzählen soll.«

»Aber ich höre sehr gerne von solchen Streichen erzählen!«

»Das glaube ich; wer hörte so etwas nicht gern! Aber ich spreche trotzdem nicht davon.«

»Warum nicht? Meinst du, daß ich es weiter erzähle, daß ich es verrate?«

Er blieb stehen, schlug eine ganz eigenartige Lache auf, legte mir die Hand auf den Arm und sagte:

»Verraten? Du? Nein, du würdest es nicht verraten. Das weiß ich gewiß, ganz, ganz gewiß!«

Der Fakir stand jetzt als ein ganz anderer Mann vor mir, aber als was für einer? Es war mir in diesem Augenblicke ein Rätsel. Was war das für ein Gelächter! War das aus Hohn oder aus Übermut? Wie sollte ich mir den Ausdruck seines Gesichtes erklären? War das Verachtung oder Drohung? Er kam mir jetzt gerade wie ein Raubtier vor, welches mit seiner Beute spielt. Aber im Augenblicke hatten seine Mienen sich wieder verändert; er sah mir wohlwollend in die Augen und fuhr fort:

»Du verwirfst als Christ den Sklavenhandel und hältst diejenigen, welche denselben betreiben, für Unmenschen; darum ist es besser, wir brechen diese Unterhaltung so ab, wie wir jetzt von unserer bisherigen Richtung abweichen. Komme nach links!«

Wir waren bisher gerade in die Wüste hinausgeschritten; jetzt bog er nach Süden ein. In dieser Richtung weitergehend, sah ich in der Entfernung von einer Viertelstunde den Hügel vor uns liegen, an welchem der dicke Haushofmeister eingebrochen war. Wir schritten gerade auf denselben zu. Ich fing noch einigemale an zu sprechen, erhielt aber entweder eine kurze oder gar keine Antwort. Der Fakir schritt jetzt so schnell voran, daß ich lange Schritte machen mußte, um an seiner Seite zu bleiben. Das war mir lieb, denn diese Eile, mir zu entkommen, gab mir den Vorwand, zurück zu bleiben und Selim zuzuraunen:

»Sprich nicht davon, daß wir bereits hier gewesen sind!«

»Warum, Effendi?«

»Davon später. Schweig‘ also!«

Aus welchem Grunde ich dem Diener diesen Befehl gab? Ich hatte jetzt gegen den Fakir einen, wenn auch nicht bestimmten Verdacht gefaßt. Seit seiner letzten Rede war ich überzeugt, daß sein frommes Gesicht eine Lüge sei. Es konnte mir ja wohl sehr gleichgültig sein, ob es unter den muhammedanischen Fakirs einen Heuchler mehr oder weniger gebe, aber wer sich auf diese Weise zu verstellen vermochte, der war nicht nur ein Heuchler, sondern wohl gar ein gefährlicher Mensch. Daß er gerade mir gefährlich werden wolle, das war kaum anzunehmen. Welchen Grund hätte er haben können? Und sollte mir ja eine Gefahr drohen, nun, so bedurfte es nur der nötigen Vorsicht, und ich war Manns genug, es mit diesem alten Manne aufzunehmen. Es befand sich außer uns kein einziger Mensch in der Nähe, und zudem hatte ich das Messer und die beiden Revolver im Gürtel stecken.

Wir näherten uns dem Hügel von der Seite, an welcher ich hinaufgestiegen war; auf der anderen war das Loch, aus welchem wir den Schwarzen hatten befreien müssen. Wir konnten, da der Hügel dazwischen lag, es nicht sehen. Am Fuße desselben angelangt, blieb der Fakir stehen und sagte:

»Wir sind an Ort und Stelle, denn hier befinden sich die Gänge, in denen die Königsleichen aufgespeichert liegen.«

»Hier?« fragte ich. »Hier kann es doch unmöglich Felsengräber geben!«

»Wer hat von Felsengräbern gesprochen? Es sind hohe, weite, gemauerte und unterirdische Gänge, in welche wir hinabsteigen.«

Ich war, als ich den Hügel erstiegen hatte, in einer Schneckenlinie auf die Spitze desselben gelangt, hatte ihn also von allen Seiten genau gesehen, aber nichts bemerkt, was auf einen Eingang in das Innere schließen lassen konnte. Darum fragte ich jetzt:

»Wo ist der Eingang? Ich sehe nichts Ähnliches.«

»Droben in der Nähe der Spitze.«

»Sieht man ihn?«

»Nein. Meinst du, daß ich mein Geheimnis so schlecht zu bewahren wisse, daß ich nicht auf den Gedanken käme, die Öffnung zu verbergen? Folgt mir gerade hinauf!«

Er schickte sich an, den Hügel zu ersteigen; ich aber hielt ihn zurück. Es war mir schon seit einiger Zeit aufgefallen, daß sich auf unserm Wege ein vielleicht drei Fuß breiter Strich hingezogen hatte, gerade so, als ob man einen Mantel, einen Haîk über den Sand geschleift hätte, um Fußspuren zu verbergen. Dieser Strich stieg auch von dem Punkte, an welchem wir standen, gerade zur Höhe empor. »Siehst du nicht, daß schon jemand hier gewesen sein muß?« fragte ich.

»Woraus willst du das schließen?«

»Es hat jemand sein Gewand hinter sich hergeschleift, um seine Fußstapfen auszulöschen. Das kommt mir verdächtig vor.«

»Mir nicht,« lächelte er. »Kannst du dir nicht denken, wer das gewesen ist?«

»Etwa du?«

»Ja, ich war es.«

»Aus welchem Grunde kamst du schon einmal vor uns her?«

»Um, ehe ich euch hergeleitete, mich zu überzeugen, daß alles in Ordnung sei. Ich bin viele Monate nicht hier gewesen, und das Geheimnis konnte ja inzwischen entdeckt worden sein.«

»Dieser Grund ist gut; aber es scheint mir, als ob die Stapfen mehrerer Männer ausgelöscht worden seien.«

»Allah! Welches Auge könnte unterscheiden, ob ein Mann oder mehrere sich hier befunden haben!«

»Das meinige. Ich bin bei wilden Völkern gewesen, bei denen das Leben daran hing, zu wissen, wie viele Feinde man vor sich hat.«

»Von Feinden ist hier keine Rede. Ich bin hierher gekommen und wieder fortgegangen; das giebt doppelte Stapfen, und so mag es scheinen, als ob nicht nur einer hier gewesen sei. Meinst du, daß ich Lust habe, noch andere in mein Geheimnis einzuweihen?«

Diese Erklärung hätte unter den gegebenen Verhältnissen den vorsichtigsten und mißtrauischesten Menschen befriedigt. Auch ich fühlte mich beruhigt, und so stiegen wir nach der Spitze empor. Als wir fast oben angekommen waren, blieb der Alte stehen, blickte sich rund um und sagte:

»So weit das Auge reicht, ist kein Mensch zu sehen. Wir werden also nicht beobachtet und können getrost öffnen.«

Ja, es war kein Mensch zu sehen; wir waren allein, und das ließ den Rest meines Mißtrauens verschwinden. Was konnte uns dieser Mann thun, wenn er ja eine Heimtücke plante? Höchstens uns irgendwo einsperren. Und daß ihm das unmöglich wurde, dafür war sehr leicht zu sorgen. Man mußte ihn beim Eintreten stets vorangehen und beim Fortgehen hinterher folgen lassen. Es war mir also nicht im mindesten bange. Auch Selim schien bei guter Zuversicht zu sein, wenigstens hatte er bisher noch nichts gethan oder gesagt, was auf Mutlosigkeit schließen ließ. Der Alte kauerte sich nieder und wühlte mit den Händen den Sand auf, den er rechts und links zur Seite warf. Dies geschah, da der Sand sehr klar und leicht war, ohne große Anstrengung. Es entstand auf diese Weise in der Seite der Hügelspitze ein wagrechtes Loch. Als dieses vielleicht drei Fuß tief war, kam eine Steinplatte zum Vorscheine. Nun halfen wir beiden andern mit, und bald war die Platte bloßgelegt. Sie hatte eine Höhe von über vier und eine Breite von über drei Fuß. Wir nahmen sie weg und sahen nun einen Gang vor uns, welcher aus dunkeln Nilziegeln gemauert und so hoch und breit war, daß auch ein beleibter Mann bequem hineinkriechen konnte. Der Fakir musterte den Horizont noch einmal, und als weit und breit kein lebendes Wesen zu sehen war, sagte er:

»Wir sind wirklich völlig unbeachtet und können nun hinein. Wer kriecht zuerst?«

»Du natürlich, denn du bist der Führer,« antwortete ich.

Er gehorchte dieser Aufforderung; ich folgte, und Selim kam langsam hinter mir her. Als ich vielleicht vier Ellen weit gekrochen war, fühlte ich, daß der Gang sich erweiterte. Der Fakir gebot, eine Fackel anzubrennen. Ich that dies und sah dann bei dem Scheine derselben, daß wir uns in einem kleinen Gemache befanden, welches Raum für wohl sechs bis sieben Personen hatte. Wir konnten aufrecht stehen. Die Wände bestanden aus denselben schwarzen Schlammsteinen, wie der Eingangsstollen. Die Luft war gut, und von Mumiengeruch gab es keine Spur. Dies schien Selim zu freuen, denn er meinte gut gelaunt:

»Hier könnte man wohnen, Effendi. Hier ist die Luft ganz anders als in jener traurigen Höhle von Maabdah, welche sich an der Würde meiner Nase so versündigte, daß es der ganzen, vollen Kraft meines Charakters bedurfte, um alle Gänge zu durchforschen und bis zum letzten Augenblicke auszuhalten.«

»Es gefällt dir also hier?«

»Außerordentlich! Es ist zwar nicht jedermanns Sache, in den dunkeln Schlund der Erde zu dringen, aber was sonst keinem möglich ist, das leiste ich. Ich würde sogar, wenn man es verlangte, in die Tiefe der Hölle niedersteigen.«

»Das wird niemand von dir fordern. Was ich verlange, ist nur die Kleinigkeit, daß du den Mut, den du jetzt besitzest, nicht etwa fallen lässest.«

»Den Mut fallen lassen! Effendi, willst du denn immer und immer wieder den Glanz meines Ruhmes verdunkeln! Was ist denn das für ein Loch hier in dem Boden?«

Es gab in der Ecke des Gemachs eine Öffnung, welche, wie es schien, senkrecht in die Tiefe führte. Sie war so weit, daß ein ausgewachsener Mann hineinsteigen konnte.

»Das ist der Schacht, in welchen wir steigen müssen,« erklärte der Fakir.

»Ein Schacht!« brummte Selim, nun schon bedeutend kleinlauter. »Giebt es denn keine Treppe hier?«

»Nein.«

»Wo haben diese Mumien, als sie noch lebten, ihre Gedanken gehabt! Konnten sie uns nicht die Wohlthat einer bequemen Treppe erweisen? Eine Leiter wenigstens wird es doch geben?«

»Auch nicht.«

»So soll ich wohl die Vorzüge meiner Glieder riskieren und mir die Arme und Beine verrenken oder gar zerbrechen?«

»Das jedenfalls nicht,« antwortete ich. »Es wird wohl irgend eine Vorrichtung geben, mit deren Hilfe man hinabzusteigen vermag.«

»Es giebt eine,« erklärte der Fakir. »Es sind zu beiden Seiten des Schachtes kleine, viereckige Löcher angebracht, in welche man die Füße setzt. Dies ergiebt auch einen festen Anhalt für die Hände, und auf diese Weise kann man wie auf einer festen, sichern Leiter oder Treppe hinunter gelangen.«

»Wie tief ist der Schacht?«

»Nach zwanzig Löchern kommt man an zwei Seitenstollen, welche aber leer und auch sehr klein sind, dann noch dreißig Löcher, so gelangt man in den großen Hauptgang, in welchen wir eindringen werden.«

»Wie weit sind die Löcher von einander entfernt?«

»Nicht ganz zwei Fuß. Das Steigen ist ganz bequem.«

»Welche Luft giebt es unten?«

»Sie ist fast so gut wie hier oben. Es muß da Luftlöcher geben, welche ich noch nicht gefunden habe. Vielleicht gelingt es deinem Scharfsinne, sie zu entdecken.«

Er sagte das in seinem gewöhnlichen Tone, aber mit einem leisen Anklange, den ich jetzt nicht beachtete. Später erkannte ich, daß es Ironie gewesen war.

»Sind die Steigelöcher zuverlässig?« erkundigte ich mich weiter. »Der Schacht besteht jedenfalls auch aus Schlammziegeln, welche leicht bröckeln. Da könnte man den Halt verlieren und in die Tiefe stürzen.«

»Das ist gar nicht möglich. Die Ziegeln sind fest, und übrigens haben wir ja das Seil mit, an welches wir uns binden werden. Wer steigt voran?«

»Ich nicht!« antwortete Selim schnell.

Wollte ich mich von dem Fakir, wenn er ja einen Verrat im Schilde führte, nicht übertölpeln lassen, so mußte er voransteigen. Ich sagte ihm daher, daß er als Führer den ersten machen müsse, und er ging auch ganz willig darauf ein. Auch das war, wie so manches andere vorher, geeignet, mich über ihn zu beruhigen.

Also der Fakir voran; dann sollte Selim folgen, und ich wollte, als der stärkste von uns, den letzten machen. Wenn einer von den beiden ja abrutschte, so war ich derjenige, der ihn am Seil zu halten hatte. Das eine Ende desselben wurde also dem Alten unter den Armen hindurch auf die Brust gebunden; in der Mitte wurde Selim befestigt, und das andere Ende schlang ich mir um die Hüften, wo es durch einen Knoten sichern Halt bekam.

Es war schwierig, Hände und Füße zum Steigen zu gebrauchen und dabei die brennende Fackel zu halten. Der Fakir kannte den Schacht; er brauchte also kein Licht. Selim durfte keins bekommen, weil er nicht zuverlässig war. Er brauchte seine Hände notwendig, um sich festzuhalten. So war ich es denn, welcher als der einzige eine Fackel zu tragen hatte.

Nun kniete ich zunächst vor der Öffnung nieder, um mit der Hand hinabzulangen, und die Steiglöcher zu untersuchen. Sie waren groß genug, um die Füße und Hände aufzunehmen, und ihre Kanten besaßen diejenige Härte, welche keine Besorgnis aufkommen ließ. Nun stieg der Fakir hinein und war bald verschwunden. Selim folgte langsamer; er konnte die Löcher nicht sehen und mußte mit den Händen und Fußspitzen nach ihnen tasten. Als ich seinen Kopf verschwinden sah, hörte ich ihn das Stoßgebet murmeln:

»Ich bezeuge, daß es keinen Gott giebt außer Gott; ich bezeuge, daß Muhammed der Gesandte Gottes ist!«

Dann stieg auch ich hinein. Ich mußte mich auf die Füße und die rechte Hand verlassen, da ich in der linken die Fackel trug. Die ersten Schritte gingen sehr langsam abwärts; dann aber gewöhnte man sich bald in die Lage und Entfernung der Löcher, und es ging rascher. Gesprochen wurde nicht.

Ich zählte die Schritte. Richtig nach zwanzig Löchern gab es vor und hinter mir je eine Stollenöffnung, an denen ich vorüber kam. Ich leuchtete im Passieren in das eine hinein, doch war das Licht zu matt, um die tiefe Finsternis durchdringen zu können. Nun noch dreißig Löcher abwärts bis zum Hauptgange. So dachte ich, weil der Fakir es gesagt hatte; aber es kam ganz anders. Ich war an den beiden Stollen vorüber und hielt mich eben mit der Rechten im vierten oder fünften Loche unterhalb derselben fest, als von oben herab ein Lachen erscholl, welches die engen Wände des Schachtes in grausiger Weise wiederhallten. Es klang, als ob eine Schar von Teufeln lache. Dann hörte ich die Worte rufen: »So bringt man den Christenhund zum ewigen Schweigen. Verschmachte hier in der Tiefe, und erwache dann auf dem Grunde der Hölle!«

Ich blickte empor und sah zwei Gesichter, welche von dem Scheine eines Lämpchens so beleuchtet wurden, daß ich sie erkannte. Der alte Fakir und der Muza’bir waren es. Nicht einen Augenblick die Geistesgegenwart verlierend, wußte ich sofort, um was es sich handelte: Wir sollten hier eingesperrt werden, um elend umzukommen. Da galt es ein schnelles Handeln; wir mußten augenblicklich wieder einpor.

»Selim, schnell hinaufsteigen,« rief ich diesem zu; »schnell, schnell!«

Natürlich begann ich selbst, sofort nach oben zu steigen; aber ich war ja mit Selim zusammengebunden, und dieser folgte meinem Rufe nicht; der Strick hielt mich zurück.

»Kennst du mich?« rief der Gaukler von oben herab. »Du hast mich einstecken lassen wollen; nun steckst du selber fest, und kein Mensch wird dich und diesen Selim erlösen.«

»Kein Mensch!« stimmte der Ehrwürdige bei. »Du begannst bereits, mir zu mißtrauen; ich sah es dir an; aber du warst doch so dumm, mir zu folgen. Ich gehöre zur heiligen Kadirine und habe, um diese an dir zu rächen, in Maabdah auf dich gewartet. Nun stirb wie ein Hund, Giaur. Deine Seele sei verflucht in alle Ewigkeit!«

Ich antwortete ihnen nicht, denn jedes Wort wäre vergeblich gewesen. Nicht Worte, sondern Thaten konnten retten. Während ich mit den Füßen in den Mauerlächern stand und die Fackel in der Linken hielt, zog ich mit der Rechten das Messer und schnitt den Strick entzwei. So kam ich von Selim los. Ich sah genau, wo die beiden Feinde sich befanden; sie lagen in den zwei Stollen, an denen wir vorüber gekommen waren, der eine hüben und der andere drüben, und hielten die Köpfe über den Schacht, in welchem wir uns befanden. Ich mußte hinauf zu ihnen, um sie zu vertreiben. Das gab einen Kampf, welcher für mich äußerst gefährlich war. Sie brauchten ja nur, wenn ich bei ihnen auftauchte, mich auf den Kopf zu schlagen. Um dies zu verhüten, mußte ich sie vertreiben; ich steckte also das Messer in den Gürtel und zog den Revolver.

Leider konnten sie, da ich mit der Fackel versehen war, genau beobachten, was ich that. Sie sahen die Waffe, und als ich dieselbe nach oben richtete, verschwanden die beiden Gesichter über mir, und ich hörte die Stimme des Muza’bir:

»Schieß, du Hund, und versuche, ob du uns treffen kannst!«

Es wurde dunkel über mir, und ich hörte ein Geräusch, wie wenn schwere Steine gegen einander prallen. Den Griff des Revolvers in den Mund nehmend, so daß ich die rechte Hand wieder zum Klettern frei bekam, stieg ich jetzt aufwärts. Als ich die Stelle erreichte, an welcher sich die beiden befunden hatten, konnte ich nicht weiter; sie hatten eine Steinplatte, welche den Schacht vollständig verschloß, vorgeschoben, und ich hörte, daß sie dieselbe mit Steinen noch mehr beschwerten. Wir waren gefangen.

Ich stemmte mich mit dem Kopfe gegen die Platte, um ihre Schwere zu prüfen; ich konnte sie nicht heben. Ich gab zwei Schüsse gegen dieselbe ab – vergeblich!

Da meine Gestalt die ganze Weite des Schachtes ausfüllte, hatte Selim nicht sehen können, was geschehen war; er hatte zwar die Stimmen gehört, aber die Worte nicht verstanden. Jetzt fragte er:

»Aber, Effendi, mit wem sprichst du denn da oben? Warum schießest du? Ist denn etwas geschehen?«

»Ja, leider ist etwas geschehen. Wir sind eingesperrt worden.«

Von wem?«

»Von diesem alten heiligen Fakir.«

»Wie kann er uns einsperren; er befindet sich ja unter mir!«

»Nein; er befindet sich jetzt über mir.«

»Unsinn, Effendi! Das hätte ich doch bemerken müssen, denn er hätte zurückbleiben müssen, und ich wäre an ihm vorüber gekommen.«

»Das ist auch wirklich geschehen, aber du hast es eben nicht bemerkt. Er hat sich von dem Stricke losgemacht und ist heimlich in den Stollen gekrochen, um uns vorüber zu lassen. Nun hat er den Schacht mit Steinen verschlossen, und wir können nicht hinaus.«

»Allah’l Allah! Ist das wahr?« fragte er im Schreckenstone.

»Es ist wahr. Ich habe soeben versucht, die Steine zu heben, aber sie sind zu schwer.«

»So werde ich helfen. Ich komme!«

»Bleib‘ nur! Du kannst nicht helfen, denn es ist ja unmöglich, daß zwei Personen hier neben einander stehen.«

»So versuche es noch einmal, Effendi! Du bist ja stark, viel stärker als ich. Vielleicht gelingt es dir, die Steine zu heben und das Hindernis zu beseitigen.«

»Gut, ich will es noch einmal probieren. Aber wenn es gelingt, so werden die Steine in den Schacht fallen und uns treffen. Komme also herauf zu mir. Je näher du bist, desto schwächer treffen sie dich. Und stehe ja fest; halte dich gut an, damit sie dich nicht mit hinabreißen.«

Ich stieg noch ein Loch höher, um, anstatt vorher mit dem Kopfe, jetzt mit dem Rücken zu heben. Ich hörte über mir dumpfe Töne, ein Gepolter, aus welchem ich entnahm, daß die Kerls noch immer fortfuhren, die Platte mit Steinen zu beschweren. Sie mußten zu diesem Zwecke einen bedeutenden Vorrat derselben in die beiden Seitenstollen geschafft haben.

Nun legte ich mich mit dem gekrümmten Rücken gegen die. Platte und versuchte, dieselbe zu heben; aber alle Anstrengungen waren vergebens. Und als ich schließlich alle meine Kraft zusammennahm, fühlte ich, daß die Schlammziegel, auf denen ich in den Seitenlöchern stand, unter dem größeren Drucke zu bröckeln und nachzugeben begannen. Ich war also gezwungen, auf diesen Rettungsweg zu verzichten.

»Geht es, geht es, Effendi?« fragte Selim ängstlich.

»Nein. Der Halt giebt unter mir nach; ich stehe in Gefahr, in die Tiefe zu stürzen.«

»O Allah, o Gnädiger, o Erbarmerl Wir sind verloren. Wir werden hier in dieser Höhle umkommen, und kein Mensch wird wissen, wo unser Fleisch verfault und unsere Gebeine verwesen. Wäre ich doch daheim geblieben, daheim, bei den guten Speisen meines dicken Haushofmeisters!«

»Klage nicht! Noch haben wir nicht Veranlassung, den Mut zu verlieren.«

»Meinst du?« fragte er schnell. »Giebt es einen Weg aus diesem Elende?«

»Ich hoffe es.«

»Wo befindet er sich?«

»Unten. Hier oben kommen wir nicht durch. Wir müssen vollends hinabsteigen.«

»Dann kommen wir ja immer tiefer in das Unglück hinein! Wir müssen auf alle Fälle hier oben hinaus.«

»Nein. Ich kann die Hindernisse nicht beseitigen. Und selbst wenn mir dies gelänge, so ständen die beiden Halunken oben am Schachtloche und könnten uns bei unserm Erscheinen mit Leichtigkeit umbringen.«

»Welch eine Gefahr, welch eine schlimme Lage! Meine Glieder zittern, und meine Seele bebt vor Schrecken!«

»Heule nicht, sondern nimm dich zusammen! Wir bedürfen all unserer Körper- und Geisteskräfte. Wenn du zitterst, kannst du leicht den Halt verlieren und in die Tiefe stürzen. Gieb mir den durchschnittenen Strick herauf, damit ich dich wieder an mich festbinde!«

Er suchte das Ende und reichte es mir. Indem ich den Knoten schlang, sagte er:

»Aber wie war es mit dem Alten möglich, so plötzlich über, anstatt unter uns zu sein? Er war ja an mich festgebunden.«

»Kannst du dir denn nicht denken, daß er sich unterwegs losgebunden hat? Als er dann die Seitenstollen erreichte, kroch er unbemerkt in einen derselben, wo der Muza’bir ihn schon erwartete. Wir sind nach ihm ganz ahnungslos an den Löchern vorübergestiegen.«

»Der Muza’bir soll ihn hier erwartet haben?«

»Natürlich! Er ist ja mit hier.«

»Dann hätten wir seine Spur draußen sehen müssen.«

»Die hat der Alte ausgewischt. Du hast ja gehört, daß ich der Ansicht war, die Spuren seien nicht von einem einzelnen Manne hervorgebracht worden. So, jetzt habe ich dich wieder fest an mir. Nun steige langsam niederwärts. Ich folge dir.«

»Wie weit?«

»Der Fakir sprach von dreißig Löchern; ob dies wahr ist, weiß ich freilich nicht. Wir müssen es eben versuchen. Einmal muß der Schacht doch ein Ende nehmen.«

Der Abstieg begann. Selim zählte mit lauter Stimme die Löcher, welche die Stufen bildeten. Als er bis zu dreißig gekommen war, meldete er mir:

»Effendi, ich fühle festen Boden unter mir.«

»Sei vorsichtig, und untersuche genau, ob er dich trägt!«

»Er hält; er giebt nicht nach; er ist fest.«

»So warte; ich komme gleich.«

Er hatte recht. Als ich ihn erreicht hatte und dann neben ihm stand, leuchtete ich mit der Fackel umher, Wir befanden uns in einer kleinen Kammer, welche derjenigen glich, in die der Schacht oben mündete. Der Boden bestand aus Schlammziegeln, doch unter unsern Füßen sah ich eine glatte Steinplatte, welche wenig über drei Fuß ins Geviert hatte. Wir traten zur Seite und hoben sie auf. Es kam ein Schachtloch zum Vorscheine, welches weiter abwärts führte.

»Schau,« sagte ich, »gerade so eine Steinplatte hat es auch da oben bei den beiden Stollen gegeben. Sie ist in einem derselben versteckt gewesen, und als wir vorüber waren, hat man sie über den Schacht gelegt und mit anderen Steinen beschwert.«

»Das begreife ich auch, Effendi,« klagte der Lange. »Aber was hilft es uns, dies zu wissen, da wir dadurch nicht gerettet werden! Wir sind verloren und werden das Licht des Tages nie mehr schauen. Das Leben ist so schön. Wer hätte geglaubt, daß es so schnell und auf eine so schmachvolle Weise enden werde!«

Er setzte sich nieder und weinte laut und bitterlich. Ich hielt es für das beste, ihn in diesem Ausbruche der Mutlosigkeit nicht zu stören, und machte mich daran, das kleine Gemach zu untersuchen. Zunächst bemerkte ich zu meiner Freude, daß die Luft eine verhältnismäßig erträgliche war. Die Fackel brannte zwar nicht ganz hell, aber doch so, daß ich sehen konnte. Von Stickluft war keine Rede; nur moderig, feucht roch es hier. Die Wände bestanden aus schwarzen Nilziegeln. Wie lange Zeit mochten sie überdauert haben! Sie hielten noch fest, und nur an einer Stelle schienen sie eingefallen zu sein; der darüber lagernde Sand war nachgestürzt. Oder sollte ich mich täuschen? Sollten sich an dieser Stelle überhaupt keine Steine befunden haben? Ich kniete mich nieder und untersuchte sie. Ich räumte mit der Hand den Sand weg; er war leicht und mehlig. Ich kam rechts an Mauerziegeln, links an Mauerziegeln, oben auch an Mauerziegeln; dazwischen aber gab es keine Mauer, sondern nur diesen leichten Sand. Hinter mir weinte Selim noch immer, aber nicht mehr laut; er seufzte und –– was hatte er denn? Das klang ja so dumpf, so hohl, so ganz und gar eigentümlich! Ich drehte mich nach ihm um. Er saß mit vornüber gebeugtem Oberkörper da, hatte das Gesicht mit den beiden Händen bedeckt und schien ganz still zu sein.

»War dieser Seufzer von dir, Selim?« fragte ich ihn.

»Von mir? Ein Seufzer? Wann denn?«

»Soeben, in diesem Augenblicke.«

»Das war ich nicht. Du hast dich getäuscht.«

»Nein; ich habe es ganz deutlich gehört.«

»Und ich war es nicht und habe auch nichts gehört.«

»Und dennoch ist kein Irrtum möglich. Ich bin überzeugt, daß – – –«

Ich hielt inne, denn der dumpfe Ton erklang jetzt abermals.

»Hörst du es, hörst du es?« fragte ich, nun freilich betroffen.

»Ja, Effendi, ich habe es jetzt auch gehört, ganz deutlich gehört.«

»Wo erklang es? Der dort in dem Loche, welches ich gegraberi habe, nachrollende Sand kann es nicht sein.«

»Nein; der Sand hat keine Stimme.«

»Er hat eine, aber keine solche. Ich hörte ihn in stillen Nächten in der Wüste sehr oft klingen und singen, wenn er vom leisen Windhauche auf der einen Seite der Sandhügel hinauf und auf der andern wieder hinabgetrieben wurde. Das giebt ein metallisches Tönen, als ob Elfen und Gnomen mit winzigen goldenen Pokalen zusammenstießen. Dieser Ton hier aber ist ganz anders.«

Eben als ich ausgesprochen hatte, ließ sich derselbe abermals hören, und nun wußte ich, woher er kam.

»Er klingt da aus dem Schachte heraus!« rief ich überrascht.

»Richtig, sehr richtig!« stimmte Selim bei, indem er entsetzt aufsprang und in die Ecke flüchtete.

»Warum erschrickst du?« fragte ich ihn. »Es sind Menschen in der Nähe.«

»Menschen? Wie kann es hier Menschen geben! Das sind die Geister der Hölle, welche nach unsern Seelen lechzen.«

»Schweig‘! Du bist ein Feigling!«

»Ich, ein Feigling? Effendi, ich bin der Stärkste der Starken und der größte Held meines Stammes; aber gegen die Hölle kann selbst der Kühnste der Kühnen nicht kämpfen. Du hast mich an den Rand der Verdammnis geführt, und wenn derselbe einstürzt, so brechen wir durch die Oberfläche der Erde hinab in den Schlund, aus welchem in alle Ewigkeit kein Entkommen ist. O Allah, Allah, Allah!«

»So bleib‘ meinetwegen hier und jammere; ich aber werde mich retten.«

»Retten?« fragte er rasch. »So helfe ich dir; ich helfe dir, Effendi!«

»Nun gut, so laß das Klagen, und steige mit mir weiter hinab!«

»Noch weiter? Bist du bei Sinnen!«

»Ja, ich bin sehr wohl bei Sinnen. Da unten giebt es jemand, dem wir Hilfe bringen müssen.«

»Das ist nicht ein Mensch, sondern es war das Stöhnen der Verdammten in der Hölle.«

»Dummkopf! Der Mann befindet sich vielleicht schon dem Tode nahe, und wenn wir zögern, so stirbt er. Ich steige hinab. Thue, was du willst.«

Ich hatte mich von ihm losgebunden, wand mir den Strick um den Leib und stieg in das Loch.

»Effendi, du willst wirklich weiter?« rief er aus. »Was soll mit mir geschehen?«

»Bleib‘ meinetwegen hier.«

»Nein, das thue ich nicht; ich bleibe nicht hier, so allein inmitten der Schrecken dieses schauerlichen Ortes. Ich komme, ich komme.«

Jetzt beeilte er sich, mir zu folgen. Zwanzig Löcher stiegen wir hinab; dann hielt ich an, um zu lauschen. Ich vernahm nun deutlich eine menschliche Stimme nicht weit unter mir; sie rief.

»Hilf mir, komme herab!«

»Ich komme,« antwortete ich. »Ich werde gleich bei dir sein.«

Ich hatte noch zehn Löcher zu steigen, dann gewann ich wieder festen Boden. Ich leuchtete um mich und sah mich in einem ausgemauerten Raume, welcher allem Anscheine nach früher Wasser enthalten hatte. Der Schacht war – vielleicht vor Jahrtausenden – ein Brunnen gewesen. Daß es hier Königsgräber gebe, das hätte mir der Fakir nur vorgeschwindelt, um mich hereinzulocken. An der Mauer hockte eine Gestalt, welche jetzt die Arme erhob und dabei rief-.

»Habt Erbarmen! Laßt mich wieder hinauf! Ich werde ja nichts verraten. Ich habe es euch doch schon versprochen.«

»Fürchte dich nicht,« antwortete ich. »Wir sind nicht gekommen, dich zu quälen.«

»Nicht? So gehört ihr nicht zu Abd el Barak, der mich zu töten befahl?«

»Nein. Abd el Barak ist vielmehr mein grimmigster Feind, dessen Verbündete uns in diesen Brunnen gelockt haben.«

»Allah! So seid also auch ihr dem Tode geweiht und könnt mir keine Rettung bringen!«

»Verzage nicht. Allerdings will man uns hier verschmachten lassen, aber ich hoffe, diese Absicht zu Schanden zu machen, und dann wirst du mit uns das Licht des Tages wieder schauen. Wie lange befindest du dich schon an diesem Orte?«

»Vier Tage.«

»So mußt du fast verdurstet sein!«

»Nein, Herr. Durst habe ich wenig gelitten, denn es ist hier feucht, und die Mauer hängt voller Tropfen. Aber Hunger habe ich. Ich hatte schon über einen Tag lang nichts gegessen, als ich hierher gelockt wurde. Nun bin ich so schwach, daß ich mich nicht mehr erheben kann.«

Ich muß erwähnen, daß ich mich in freien Augenblicken in den Hof zu begeben pflegte, um den Bakarahengst vollends zu zähmen. Ich hatte ihm stets eine Tasche voll Datteln mitgenommen. Auch heute hatte ich die Tasche gefüllt, war aber nicht dazu gekommen, in den Hof zu gehen. Ich zog also die Datteln hervor und gab sie dem armen Menschen. Als das Selim sah, sagte er:

»Auch ich habe etwas. Der Haushofmeister hat mir Kebab mitgegeben, da er meinte, daß ich Hunger bekommen könne. Da nimm und iß!«

Die Datteln und das Fleisch reichten hin, einen Hungrigen zu sättigen. Während er aß, betrachtete ich ihn. Er war ein junger Mann von kaum über zwanzig Jahren, hatte nicht arabische Gesichtszüge und machte einen gar nicht üblen Eindruck auf mich. Gekleidet war er nur in eine blauleinene Hose und Jacke, welche durch einen Ledergürtel festgehalten wurden. Auf dem Kopfe trug er den unvermeidlichen Fez. Er aß, ohne zu sprechen, und ich wollte ihn nicht mit Fragen belästigen. Als er fertig war, versuchte er, aufzustehen; es ging so leidlich.

»Allah sei Dank!« sagte er. »Die Speise hat mich gekräftigt, obgleich sie noch nicht in mein Blut übergegangen ist. Wer seid ihr? Sagt mir eure Namen, damit ich euch danken kann!«

Da antwortete Selim schnell:

»Mein Name ist so berühmt und so lang, daß du ihn gar nicht auszusprechen vermöchtest, wenn ich ihn dir ganz sagte. Nenne mich daher Selim, den größten Helden seines Stammes! Ich bin der Leiter und Beschützer dieses Effendi, dessen ––«

»Das ist überflüssig,« unterbrach ich ihn. »Wer wir sind, das wird dieser Jüngling schon noch erfahren. Nötiger ist es, daß wir wissen, wer er ist und wie er hierher kam.«

»Ich heiße Ben Nil,« antwortete er.

Diese beiden Worte heißen Sohn des Niles; darum fragte ich:

»So bist du am Ufer des Stromes geboren?«

»Nicht am Ufer, sondern auf dem Nile selbst. Meine Mutter befand sich mit Abu en Nil auf dem Wasser unterwegs, als ich geboren wurde.«

»Vater des Niles heißt dein Großvater. So ist er wohl ein Schiffer?«

Fleischstückchen, an kleinen Hölzern über dem Feuer gebraten.

»Er ist der beste Steuermann vom Anfang bis zum Ende dieses Stromes.«

»Und wie kamst du hierher?«

»Ich sollte einen Mann töten helfen, und das wollte ich nicht. Zur Strafe dafür hat man mich hierher gebracht, wo ich elend untergehen soll.«

»Daß du ein solches Verbrechen von dir gewiesen hast, ist sehr brav von dir. Wer waren denn diejenigen, welche es von dir forderten?«

»Es waren ihrer drei; aber ich getraue mich nicht, sie zu verraten, da zwei von ihnen sehr mächtige Leute sind.«

»Ich vermute, daß Abd el Barak sich unter ihnen befindet.«

»Herr, du hast ein ehrliches Gesicht, und ich will dir vertrauen. Ja, Abd el Barak ist dabei. Der zweite war ein berühmter Fakir und der dritte ein Gaukler.«

»Ah! Diese beiden letzteren sind es, die uns hierher gelockt haben.«

»So sind wir Leidensgefährten, und ich will kein Geheimnis vor euch haben, obgleich es euch gleichgültig sein kann, wer derjenige ist, den ich töten sollte.«

»Das kann mir nicht gleichgültig sein, denn ich nehme erstens teil an dir, und zweitens muß es mir lieb sein, über die Absichten meiner Feinde etwas Näheres zu erfahren. Also sage, wer er ist!«

»Er ist ein Fremder, ein Christ aus Almanja. Ein gelehrter Effendi, der sich gegen die heilige Kadirine vergangen hat.«

»Gehörst du zur Kadirine?«

»Ich bin einer der geringsten unter ihren Dienern.«

»Und hast doch nicht gehorcht!«

»Ich bin ein ehrlicher Mann und morde nicht. Nur im Falle eines Krieges, einer Blutrache oder einer schweren Beleidigung würde ich meinen Gegner töten. Und außerdem hatte dieser Fremdling meinem Großvater einen großen Dienst erwiesen.«

»Darf ich erfahren, was für ein Dienst das gewesen ist?«

»Ja. Er war Steuermann eines Sklavenschiffes und sollte deshalb bestraft werden; der Christ ließ ihn heimlich entweichen. Wie kann ich da so undankbar sein, ihn wegen der Kadirine umzubringen!«

»Du hast recht gehandelt, und ich hoffe, es dir vergelten zu können.«

»Du, Herr?«

»Ja, ich. Du sprichst nämlich mit demjenigen, den du ermorden solltest, denn ich bin jener Effendi aus Deutschland.«

»Ist das wahr? Ist das auch nur möglich?«

»Es ist wahr. Frage meinen Begleiter hier, und außerdem kann ich es dir auch noch anderweit beweisen.«

»Das wäre ein Kismet, über welches ich mich freuen würde, wie ich mich in meinem Leben noch nicht gefreut habe.«

»Den Namen deines Großvaters hörte ich nicht nennen; ich habe denselben erst von dir erfahren. Er war Steuermann eines Schiffes, welches nach Siut bestimmt war und, als es den Hafen von Bulak kaum verlassen hatte, in Giseh anlegte?«

»Das ist wahr; das stimmt!«

»Ich sollte mit diesem Schiffe fahren. Des Abends kam der Gaukler an Bord, um mich zu bestehlen. Später sollte ich ermordet werden.«

»Auch das ist richtig. Ich habe es von meinem Großvater erfahren. Weißt du, wie das Sklavenschiff hieß?«

»Natürlich weiß ich es. Es war die Dahabijeh ›es Semek‹, der Fisch.«

»Du sagst die Wahrheit, Effendi. Du bist der Mann, von dem ich spreche und der so gütig gegen meinen Großvater gehandelt hat. Herr, ich danke dir, ich danke dir!«

Er ergriff meine Hand und zog sie an sein Herz.

»Wie aber kannst du von mir wissen?« erkundigte ich mich, »du kannst es nur von deinem Großvater erfahren haben. Dieser wollte nach Gubator zu seinem Sohne; du aber bist hier oben in Siut.«

»Er ist nicht nach Gubator. Er verschwieg dir seine Absicht. Du handeltest zwar gütig gegen ihn, aber du bist ein Christ. Soll ich dir noch mehr sagen?«

»Nein; ich verstehe dich.«

»Du mußt wissen, daß ich eigentlich mit zur Besatzung der Dahabijeh gehörte. Ich war bei der vorigen Thalfahrt krank geworden und hier zurückgeblieben. Bei der Bergfahrt sollte ich wieder aufgenommen werden. Mein Großvater sprach zwar zu dir davon, daß er nach Gubator gehen werde. Aber die Behörde konnte nachforschen und erfahren, daß er dort zu Hause ist und dann auf ihn fahnden. Darum ging er nicht dorthin, sondern nilaufwärts nach Siut, wo er wußte, daß ich auf ihn wartete. Er traf mich und erzählte mir, was geschehen war. Glücklicherweise fand er sofort Stellung auf einem Schiffe, welches nach Chartum ging. Er blieb infolgedessen nur einen halben Tag hier und beauftragte mich, nach Gubator zu gehen, um der Familie mitzuteilen, welches Unglück ihm widerfahren sei.«

»Warum gingst du nicht? Warum bliebst du hier?«

»Ich wollte gehen; da aber begegnete ich Abd el Barak, dem Mokkadem der heiligen Kadirine ––«

»Wo begegnetest du ihm?« unterbrach ich ihn.

»Hier auf der Straße.«

»Kennst du seine Wohnung?«

»Nein. Er bestellte mich hinaus vor die Stadt. Als ich zu ihm kam, waren der Fakir und der Gaukler bei ihm, und da forderten sie mich auf, dich zu töten.«

»Du kanntest mich doch nicht!«

»O, man wußte genau, daß du mit dem Schahin, dem Schiffe des Reïs Effendina kommen würdest, und da solltest du mir gezeigt werden.«

»Du gingst also nicht auf die Mordthat ein. Wie wurde das aufgenommen?«

»Man täuschte mich; man that, als ob man meine Weigerung gleichgültig aufnehme. Dann wurde ich von dem Fakir aufgefordert, mit ihm nach dem unterirdischen Grabe eines Marabut zu gehen. Er führte mich hierher. Auch der Gaukler war mit.«

»Abd el Barak nicht?«

»Nein. Dieser mußte wieder fort.«

»Wohin?«

»Das konnte ich nicht erfahren. Ich hörte nur einige heimliche Worte, aus denen ich schließe, daß er die Absicht hat, irgend einen Sklavenhändler vor dem Reïs Effendina zu warnen.«

»So meinst du, daß er sich nicht mehr in Siut befindet?«

»Es ist möglich, daß er noch da ist, aber wahrscheinlich nicht.«

»Hm! Dir wurde also weisgemacht, daß sich hier das Grab eines Marabut befinde?«

»Ja. Warum sollte ich es bezweifeln? Der Fakir, welcher es sagte, ist ja selbst ein Heiliger!«

»Aber ein Heiliger, welcher lügt und mordet. Du hättest ihm nicht glauben sollen.«

»Verzeihe, Effendi! Hat er nicht auch einen Vorwand gehabt, unter welchem er dich hierher lockte?«

»Richtig! Ich bin nicht vorsichtiger gewesen als du und habe dieselben Vorwürfe verdient. Du hattest also den Ort, an welchem wir uns befinden, nie gesehen?«

»Nie.«

»Und kannst uns also keine Auskunft erteilen?«

»Nicht die geringste, Effendi.«

»Das ist schlimm! Wie ist es möglich, uns einen Weg zu bahnen?«

»Es giebt keinen. Ich habe gesucht und keinen gefunden.«

»Wie hast du suchen können? Du befandest dich doch wohl im Finstern?«

»O nein. Wenn man von oben aus zwanzig Schritte herabgestiegen ist, giebt es zwei Seitengänge – –«

»Ich kenne diese beiden Stollen,« fiel ich ein. »Sie können aber nicht weit führen.«

»Vielleicht führen sie ins Freie und die Ausgänge sind mit Sand verschüttet; ich weiß es nicht. Aber man geleitete mich in den einen. Da lagen eine dicke Steinplatte und viele Steine, und da standen auch Thonlampen, mit Öl gefüllt. Es wurden einige angebrannt; ich nahm mir eine und stieg voran. Kaum war ich einige Stufen abwärts gekommen, so rief man mir nach, daß ich hier sterben müsse, weil ich sonst vielleicht verraten könne, daß der fremde Effendi getötet werden soll.«

»Armer Teufel! So hast du also meinetwegen leiden müssen!«

»Gelitten habe ich freilich, Effendi. Ich glaubte zunächst, man mache Scherz mit mir. Als man aber den Brunnen mit der Platte und den Steinen bedeckte, sah ich ein, daß es Ernst sei. Ich rief; ich bat und flehte – vergebens. Ich erkannte, daß nach oben keine Rettung möglich sei, und stieg also weiter hinab. Ich untersuchte den ganzen Schacht, auch hier diese Brunnenkammer, und habe nicht eine einzige Stelle gefunden, welche hoffen läßt, daß sich ein Ausgang da befindet. Dann verlöschte die Lampe, Dort liegen die Scherben in der Ecke. Auch ich begann zu verlöschen. Ich bin in diesen Tagen im Finstern hundertmal herauf- und wieder herabgeklettert; endlich konnte ich nicht mehr. Der Ausgang war und blieb verschlossen. Ich glaube, daß ich dem Wahnsinne nahe gewesen bin. Ich habe gebrüllt und getobt, wie ein Verrückter, bis ich nicht mehr konnte und hier liegen blieb.«

»Wie kannst du denn wissen, daß du dich vier Tage hier befunden hast?«

»Ich habe eine Uhr, diese hier. Ein alter Matrose schenkte sie mir in Alexandrien.«

Er zog eine alte, sonnenblumengroße, dreigehäusige Spindeluhr aus der Hosentasche, zeigte sie mir und fuhr fort:

»Ich habe tausendmal nach den Zeigern gefühlt. Schon klang mir der Tod in die Ohren, da hörte ich euch über mir. Ich wollte hinauf, war aber zu schwach dazu. Habt ihr mich gehört?«

»Ja, wir hörten dich. Sprich jetzt nicht weiter; du bist zu schwach. Setze dich nieder und ruhe. Ich werde einmal suchen.«

»Du wirst nichts finden,« erklärte er, indem er sich wieder niedersetzte.

»Auch ich bin überzeugt, daß wenigstens hier die Nachforschung vergeblich ist. Wir befinden uns weit unter der Grundfläche des Hügels, und so glaube ich nicht, daß es von hier einen Gang giebt. Aber einen Ausweg müssen wir finden, und wenn wir ihn uns selbst graben sollten.«

»Das würde wochenlang dauern, und inzwischen sind wir gestorben!«

»Mir ist es ganz und gar nicht wie sterben; ich habe ganz im Gegenteile das Gefühl, als ob wir sehr bald wieder an das Tageslicht kommen würden.«

»O, Effendi, hättest du doch recht!« klagte Selim. »Meine Nerven sind zerrissen, und all meine Hoffnung ist tot. Wir müssen hier sterben und verderben. Warum hat Allah gerade mir dieses Kismet vorgezeichnet!«

»Was jammerst du?« fragte Ben Nil. »Du hast dich vorhin den größten Helden deines Stammes genannt. Wenn du das bist, so scheint derselbe aus lauter Weibern zu bestehen.«

»Beleidige mich nicht! Du hast doch auch gestanden, daß du gebrüllt und geschrieen hast.«

»Ich war allein; jetzt aber sind wir zu dreien.«

Selim wollte zornig antworten; ich gebot ihm Schweigen, denn ich untersuchte die Mauer, indem ich an dieselbe klopfte, um vielleicht eine hohle Stelle zu entdecken. Es gab keine. Und nun wurde hier unten die Luft von Augenblick zu Augenblick schlechter. Es war schon deshalb geraten, nach oben zu steigen, und außerdem war dort mehr Hoffnung, einen verborgenen Weg zu entdecken.

»Wie aber soll ich von hier fort?« fragte Ben Nil. »Ich bin so schwach, daß ich nicht steigen kann.«

»Wir ziehen und tragen dich.«

Ich band ihm den Strick um den Leib. Das andere Ende bekam Selim um den seinigen geschlungen; er mußte voransteigen. Ich nahm Ben Nil so, daß er auf meinen Schultern ritt, so wie ich es mit dem dicken Haushofmeister gemacht hatte; so hob und schob ich ihn, indem ich emporstieg; Selim zog an dem Stricke; auf diese Weise gelangten wir ohne Anstrengung in das vorherige Gemach. Welch ein Glück, daß wir mit Fackeln versehen waren und dem Fakir keine davon gegeben hatten! Die zweite war allerdings beinahe abgebrannt; aber wir hatten ja noch vier. In dem erwähnten Raume angekommen, machte ich mich sofort wieder über die Stelle her, von welcher ich vorher den Sand entfernt hatte. Selim mußte jetzt helfen, während Ben Nil die Fackel hielt. Wir hatten noch nicht fünf Minuten gearbeitet, so begann das wagerechte Loch, welches wir gruben, sich mit Mauerwerk zu umgrenzen.

»Allah ist groß!« rief Selim. »Das ist doch ein Gang!«

»Es scheint so,« antwortete ich.

»Effendi, woher hast du das gewußt?«

»Gewußt nicht, aber erraten habe ich es. Die Luft ist hier so erträglich, daß ich sofort überzeugt war, diese Kammer müsse mit der Außenwelt in Verbindung stehen, und dies hier ist die einzige Stelle, an der es kein Mauerwerk gab; folglich grub ich hier nach.«

»Ja, es ist ein Gang!« wiederholte Selim, indem er aus Leibeskräften weiter wühlte. »Ein gemauerter Gang, dessen Decke an dieser Stelle eingestürzt ist. Der Sand ist nachgebrochen. O Allah, wenn dieser Gang nicht ganz eingestürzt wäre!«

»Wäre er ganz verschüttet, so hätten wir eine viel schlechtere Luft.«

»So glaubst du, daß wir uns retten werden?«

»Ich habe noch keinen Augenblick daran gezweifelt. Hinaus müssen wir auf alle Fälle, wenn nicht hier dann anderswo. Dieser Fakir ist nicht der Mann, uns hier festzuhalten. Er ahnt nicht, welche Mittel einem denkenden und energischen Manne zu Gebote stehen. Grabe weiter!«

»Ja, grabt, grabt; ich will beten!« bat Ben Nil. »Und sollten wir erlöst werden, dann wehe denen, durch deren Hinterlist wir hier eingeschlossen wurden.«

»Ich zermalme diesen Fakir!« knirschte Selirn, indem er den Sand handvoll hinter sich warf. »Sind wir nur erst hinaus!«

»Wir kommen hinaus,« antwortete ich. »Ich glaube sogar die Stelle zu wissen, an welcher wir das Freie erreichen.«

»Das ist zu kühn gesprochen, Effendi.«

»Nicht zu kühn. Weißt du, wie hoch der Hügel ungefähr ist?«

»Nein.«

»Und wie tief wir uns im Innern befinden?«

»Auch nicht.«

»Nun, wir sind bis hierher fünfzig Löcher herabgestiegen, und ich schätze, daß wir uns auf der Grundfläche des Bergkegels befinden. Wir sind wenig tiefer, als die Wüste draußen liegt. Jetzt graben wir nach der Südseite des Hügels. Was befindet sich dort, Selim?«

»Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Denke doch an das Loch, in welches der Haushofmeister stürzte!«

»Allah, wallah, tallah! Meinst du etwa, daß – –?«

Er hielt inne und sprach den Satz vor Überraschung nicht aus.

»Freilich meine ich es!«

»Nämlich, daß wir von hier aus in jenes Loch gelangen?«

»Ich bin beinahe überzeugt davon. Es ist zwar hier vom Innern aus nicht genau zu bestimmen, aber ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich annehme, daß dieser Gang, falls er nicht von der geraden Richtung abweicht, derjenige ist, in welchen der Haushofmeister einbrach. Arbeiten wir weiter!«

Zunächst war der Gang vollständig mit Sand gefüllt; als wir ihn aber auf ungefähr zwei Ellen frei gemacht hatten, lag er leer vor uns. Ich kroch mit der Fackel hinein, um ihm zu folgen. Er hatte genau die Höhe und Breite der Ausmauerung des Loches, aus welchem wir den dicken Schwarzen emporgeholt hatten, ein Umstand, welcher mich in meiner vorhin ausgesprochenen Meinung bestärken mußte. Ich konnte mich ziemlich leicht bewegen. Während ich die Fakkel in der einen Hand hielt, kroch ich auf der andern und den Knieen weiter, zehn, zwanzig, vierzig Fuß und noch mehr. Der Gang hielt genau dieselbe Richtung ein, aber fast schien es mir, als ob er eine für meine Voraussetzung zu bedeutende Länge habe. Endlich war er zu Ende, oder vielmehr er war verschüttet, und zwar mit demselben lockern Sande, den wir bisher angetroffen hatten. Eben überlegte ich, ob ich denselben wegräumen oder erst Selim und Ben Nil Nachricht geben solle, da hörte ich hinter mir des ersteren Stimme:

»Allah sei Dank, daß ich dich wieder habe!«

»Warum kommst du mir nach?«

»Weil es nicht länger in dieser Finsternis auszuhalten war.«

»Du fürchtetest dich?«

»Nein, ich war ein Held, aber dieser kleine Ben Nil fürchtete sich.«

»Und weil er sich fürchtete, ließest du ihn allein! Du hast eine ganz eigene Art, deinen Mut zu beweisen. Hier, halte die Fackel; ich will graben.«

Der Sand wich sehr leicht; ich warf ihn unter und hinter mich. Noch war keine Minute vergangen, so fühlte ich frische Luft, welche mir entgegenströmte. Noch eine halbe Minute, und es wurde tageslicht vor mir; der Sand fiel von selbst zusammen, und es gab ein Loch, durch welches ich kroch. Die Sonne stand gerade über meinem Haupte, und ich befand mich – – in dem Loche, aus welchem wir den Haushofmeister geholt hatten. Meine Berechnung oder vielmehr Vermutung war also nicht falsch gewesen.

Nun sog ich die Luft mit vollen Zügen ein, da drängte Selim sich aus dem Gange zu mir heran, richtete sich auch auf und rief in jubelndem Tone:

»Allah il Allah! Die Himmel seien gelobt, und alle heiligen Khalifen sollen ––«

»Schweig‘ mit deinen Khalifen, du Esel!« fuhr ich ihn mit unterdrückter Stimme an. »Willst du uns verraten?«

»Verraten?« fragte er mit dem dümmsten Gesicht, welches ich jemals gesehen habe.

»Allerdings verraten!«

»An wen?«

»Art diejenigen, welche uns eingesperrt haben.«

»Aber gerade sie sollen erfahren, daß wir frei sind.«

»Das sollen sie, doch nicht vor der Zeit. Wenn sie noch da sind, fangen wir sie. Machst du sie aber vor der Zeit aufmerksam, so reißen sie aus, und wir können dann sehen, wo wir sie finden.«

»Du hast recht, Effendi. Fangen wollen wir sie. Ich werde sie ergreifen und festhalten. Ich werde sie bestrafen und zermalmen. Ich, der würdigste der Helden, will ihnen – –«

»Rede nicht! Ich werde rekognoszieren. Du aber kriechst zurück und holst Ben Nil.«

»Ich?« fragte er entsetzt. »Das geht nicht.«

»Du bist ein Feigling ohnegleichen! Laß ich dich hier, so machst du Dummheiten und kannst alles verderben. Zu dem armen Ben Nil aber zurückzukehren, dazu fürchtest du dich zu sehr.«

»Ich fürchte mich nicht.,«

»Nun, so gehe!«

»Ich bleibe doch lieber hier!«

Der Kerl war wirklich nicht wieder in den Gang zu bringen; ich mußte selbst zurückkehren, schärfte ihm aber vorher ein, daß er sich ruhig zu verhalten und beim Nahen menschlicher Schritte schnell in den Gang zurückzuziehen habe. Ich fand Ben Nil noch da sitzen, wo ich ihn verlassen hatte.

»Was bringst du für Botschaft, Effendi?« fragte er.

»Die beste. Wir sind frei. Der Gang führt in das Freie.«

Da stand er auf, sank aber sofort wieder auf die Kniee nieder und sprach ein lautes Dankgebet. Dann streckte er mir beide Hände entgegen und sagte:

»Herr, diesen Augenblick werde ich dir nicht vergessen. Sollte ich dir danken können und es nicht thun, so mag Allah mich nicht kennen, wenn ich Einlaß in seinen Himmel begehre. Wo ist Selim, dein Begleiter?«

»Er steht schon draußen.«

»Er fürchtete sich wie ein altes Weib und hielt es nicht länger aus. Darf ich mit dir fort?«

»Natürlich! Ich kam ja, dich zu holen. Nur fragt es sich, ob du kräftig genug bist. Der Gang ist sehr lang, aber’so schmal und niedrig, daß ich dich nicht unterstützen kann.«

»Ich bedarf keiner Hilfe mehr. Die Datteln und Kebab haben mich gestärkt, und die Gewißheit, errettet zu sein, verdoppelt meine Kräfte. Krieche voran, ich folge dir!«

Er hatte nicht unrichtig gesprochen; die verlorenen Kräfte schienen ihm zurückgekehrt zu sein, und wir erreichten das Freie, ja, aber unsern Selim nicht; er war nicht zu sehen, dafür aber desto lauter zu hören. Ich vernahm seine Stimme:

»Ihr Hunde, ihr Hundeenkel und Hundenachkommen! Lauft, lauft, sonst zerdrücken wir euch zwischen den Fingern unserer Hände! Ich bin der erste der Krieger und der oberste der Helden. Lauft, sonst seid ihr verloren!«

Er hätte noch nicht aufgehört zu brüllen; ich rief ihn aber, und er kam an den Rand des Loches. Wie er ohne Hilfe aus der Tiefe der Grube da hinaufgekommen war, das konnte ich nicht begreifen.

»Du solltest doch still sein und dich nötigenfalls verbergen!« zürnte ich ihm. »Was hast du denn zu schreien?«

»Soll ich diesen Hundesöhnen nicht sagen, was ich von ihnen denke?« antwortete er.

»Welchen Hundesöhnen?«

»Dem Fakir und dem Gaukler. Sie laufen nach der Stadt, so schnell sie ihre Füße bewegen können.«

»Wie bist du denn aus dem Loche gekommen?«

»Mit meinen Armen und Beinen. Sind dieselben eben nicht lang genug?«

»Das sind sie freilich; aber ich wünschte, daß du unten geblieben wärest.«

»Effendi, was sollte ich dort unten! Ich gedachte dieser Halunken, und da kam ein Ingrimm und eine Wut über mich, welche nicht zu zähmen waren. Meine Tapferkeit übermannte mich, und ich kletterte aus dem Loche, welches meines Mutes nicht würdig war. Eben stand ich oben, da sah ich die beiden kommen.«

»Woher?«

»Vorn Berge herab. Ich brüllte sie wütend an, und sie erschracken so, daß ihre Füße die Schnelligkeit der Gazellen erhielten. Du kannst sie noch laufen sehen.«

»Halte schnell den Strick! Ich muß sie allerdings sehen.«

Ich warf ihm das eine Ende des Strickes zu und turnte mich an dem andern empor. Ja, dort liefen die beiden, was sie nur laufen konnten. Sie waren so weit fort, daß man sie nun nicht mehr einholen konnte. Dieser Selim hatte wieder einmal alles verdorben. Darum fuhr ich ihn zornig an:

»Daran bist du schuld, du alter, unverbesserlicher Schwatzstorch! Hättest du den Schnabel gehalten, so wären diese beiden Menschen in unsere Hände gefallen, und wir hätten sie bestrafen lassen können.«

»Das kann ja auch noch geschehen! Wir werden sie fangen, sobald wir nach Siut kommen.‹,

»Sie werden sich nicht dorthin setzen. Und du bist am allerwenigsten der Mann dazu, solche Leute zu fangen.«

»Ich? Effendi, du verkennst mich schon wieder. Ich bin der Mann, der jeden gefangen nimmt, wenn er nur will.«

»Nun, warum hast du da diese beiden nicht festgehalten?«

»Weil – weil – – weil ich nicht wollte,« stotterte er verlegen.

»Ah, du hast nicht gewollt!«

»Ja. Ich durfte euch doch nicht im Stiche lassen. Was wäret ihr ohne mich gewesen! Diese Kerle aber liefen so schnell davon, daß ich, wenn ich sie hätte gefangen nehmen wollen, unter Jahr und Tag nicht zu euch zurück hätte kehren können.«

»Wo waren sie denn, als du sie erblicktest?«

»Ich stieg eben aus dem Loche, da kamen sie vom Hügel herab. Als sie mich sahen, blieben sie stehen und staunten mich an; da brüllte ich ihnen zornig entgegen, und sie liefen voller Angst eiligst davon.«

»Da hat ein Hase Angst vor dem andern gehabt.«

»Vor dem andern? Zweifelst du etwa, daß ich Mut besitze?«

»Allerdings. Du hast dich vor dem Loche gefürchtet, darum bist du aus demselben gestiegen. Und dann hast du, als du die beiden Männer erblicktest, sie vor lauter Angst angebrüllt. Daß sie da das Weite gesucht haben, ist das Köstlichste an der ganzen Geschichte. Wären sie besonnener gewesen, so hätte es dir und uns schlecht gehen können. Mit dir wären sie schnell fertig gewesen, und wäre dann ich gekommen, so hätte ich, der ich unten im Loche stand, gegen sie, welche oben standen, so gut wie nichts machen können.«

»Was? Sie wären schnell mit mir fertig gewesen? Effendi, ich wollte, sie wären gekommen. Ich hätte sie zwischen meinen Händen zu Mehl zerrieben. Übrigens sind sie uns auch jetzt noch sicher.Wennwir sie bei der Polizei anzeigen, so – –«

»So hört uns die Polizei an und legt dann die Hände in den Schoß,« unterbrach ich ihn.

»So gehe, zu deinem Konsul! Es ist ja einer da!«

»Fällt mir auch nicht ein. Mit einer Angelegenheit, welche ich selbst erledigen kann, belästige ich keinen andern. Gieb jetzt den Strick hinab; wir wollen unsern Ben Nil heraufziehen!«

Ben Nil schlang sich den Strick unter den Armen hindurch und stand dann bald neben uns. Nun, da an seiner Rettung nicht mehr gezweifelt werden konnte, sank er abermals in die Kniee, um zu beten. Die Sonne brannte heiß hernieder, aber dennoch kam uns die Luft so erquickend, so balsamisch vor. Jetzt wollte ich sehen, wie es oben am Schachte aussah. Ich ließ also Ben Nil, welcher sich mehr als wir zu schonen hatte, unten sitzen und stieg mit Selim den Hügel hinan. Der Eingang stand offen, und es waren die Spuren nicht verwischt worden.

»Daraus kannst du ersehen, daß du sie vertrieben hast. Sie haben hier Wache gehalten, und wir hätten sie gewiß ergriffen, wenn du nicht, als du in das Freie tratest, so laut gewesen wärest. Hättest du doch deine Khalifen in Ruhe gelassen!«

»Effendi, ich bin ein gläubiger Moslem und habe die Pflicht, Allah, Muhammed und den Khalifen für alles Gute zu danken.«

»Dabei brauchst du aber nicht zu brüllen wie ein Löwe! Allah sieht und hört selbst die Gedanken des Herzens; Muhammed kannst du aus dem Spiele lassen, und deinen Khalifen wird es auch lieber sein, wenn sie nichts von dir hören. Laß uns einmal hinabsteigen!«

»Du willst wieder hinab? Spiele nicht mit der Hölle! Einmal bist du entkommen; das zweiternal würde sie dich aber nicht wieder aus ihren Armen lassen.«

»Sei nicht albern! Hast du unten im Brunnen eine Spur von Hölle bemerkt?«

»Mehr als nur eine Spur. Ich habe alle Teufel gehört und die Flammen der Verdammnis gesehen.«

»So bleibe hier; du hinderst mich so wie so mehr, als du mich förderst.«

Er wollte mich zurückhalten; ich kroch aber durch den Eingang, brannte drinnen eine Fackel an und stieg dann in den Schacht hinab. Nach den ersten zwanzig Löchern kam ich an die Seitenstollen. Sie standen offen; der Schacht aber war zu. Es lag da ein großer Haufe von Schlammziegeln, so groß, daß er die über das Loch gelegte Platte ganz bedeckte. Diesen Haufen konnte ein Mensch von innen und unten unmöglich heben. Ich kroch auch in die beiden Seitenstollen; sie waren nicht lang und hatten wohl zur Luftzufuhr gedient. In dem einen standen die Lämpchen, von denen Ben Nil gesprochen hatte. Ich zertrat sie und kehrte dann an die Oberwelt zurück.

Der Fakir und der Muza’bir waren jedenfalls der Ansicht gewesen, daß der Brunnen unten keinen Ausgang habe. Hätten sie eine Ahnung gehabt, daß es anders sei, so wäre uns die Rettung wohl nicht gelungen.

Als wir nun unten bei Ben Nil wieder ankamen, stand er von der Erde auf und sagte:

»Effendi, ich habe soeben zu Allah ein Gelübde gethan, nicht eher zu ruhen, als bis ich mich an Abd el Barak, dem Gaukler und dem Fakir gerächt habe. Erlaubt dir deine Religion auch die Rache?«

»Nein. Die Rache ist Gottes. Aber bestraft soll jede Übelthat werden, und es ist Pflicht eines jeden Menschen, den Verbrecher unschädlich zu machen, damit er nicht noch mehr Böses thun kann.«

»So willst du diese drei bestrafen?«

»Ich nicht selbst, denn ich bin ihr Richter nicht. Auch werde ich jetzt keine Anzeige machen, denn ich weiß, daß dies der Angelegenheit mehr Schaden als Nutzen bringen würde. Man müßte sogar gewärtig sein, daß die Kerls gewarnt würden.«

»Was willst du denn thun?«

»Die Augen offen halten. Gerät mir einer von ihnen in die Hände, dann klage ich ihn an und ruhe nicht eher, als bis er bestraft wird.«

»Du wirst ihn nicht anklagen, denn bevor das möglich wäre, hätte mein Messer ihn getroffen. Der schlimmste von ihnen ist dieser Heuchler Abd Asl, den jeder, der ihn nicht kennt, für den frömmsten Menschen hält; aber er ist ein Teufel in irdischer Gestalt.«

»Abd Asl?« fragte ich erstaunt. »Wen meinst du denn da?«

»Den Fakir natürlich, hast du denn seinen Namen noch nicht gekannt?«

»Wie ich jetzt vermute, habe ich ihn gehört, aber nicht gewußt, daß es der seinige ist.«

»Nun, er heißt Abd Asl.«

»Kennst du den Namen Ibn Asl?«

Der Gefragte sah mich forschend an und erkundigte sich dann:

»Das fragst du mich wohl, weil du an die Dahabijeh denkst, zu deren Bemannung ich gehörte?«

»Nein. Ob du Matrose eines Sklaven- oder eines andern Schiffes gewesen bist, das ist mir sehr gleichgültig.«

»So verachtest du mich nicht deshalb?«

»Nein.«

»So will ich dir sagen, daß ich den Namen Ibn Asl sehr gut kenne.«

»Ist der Mann mit Abd Asl verwandt?«

»Ibn Asl ist sein Sohn und wird gewöhnlich ed Dschasuhr, der Kühne, genannt.«

»Ich danke dir. Du bringst mich da an die Thüre eines Geheimnisses, dessen Lösung mir sonst wohl sehr schwer oder gar unmöglich geworden wäre. Bist du schon einmal in Chartum gewesen?«

»Schon oft.«

»Kennst du einen Kaufmann Namens Barjad el Amin?«

»Sehr gut sogar.«

»Was ist er für ein Mann?«

»Er wird für einen ehrlichen Mann gehalten, und ich glaube, daß er dies verdient.«

»Ich freue mich sehr, dies zu hören.«

»Willst du nach Chartum?«

»Ja.«

»Effendi, brauchst du keinen Diener? Nimm mich mit! Ich bin arm; aber du sollst mir gar nichts bezahlen. Nur Essen sollst du mir geben.«

»Gut, du gefällst mir, und ich nehme dich mit. Da du Schiffer bist, ist es mir vielleicht möglich, dich dort in eine gute Stellung zu bringen.«

»Das werde ich mit Freuden annehmen, und du sollst mich nicht als einen Unwürdigen empfehlen. Wann reisest du?«

»Das ist noch unbestimmt. Ich erwarte einen Gefährten.«

»Wenn der nun heute schon kommt? Ich könnte da nicht mit, weil ich noch etwas sehr Nötiges hier zu besorgen habe.«

»Auch ich könnte nicht mit fort, denn ich muß heute unbedingt noch nach Maabdah, wo ich hoffe, den Fakir Abd Asl zu treffen.«

»Und ich auch, das ist ja das Notwendige, was ich noch besorgen möchte. Ich will mich an ihm rächen.«

»Überlaß das mir!«

»Nein, Effendi! Du willst ihn haben, und auch ich trachte nach ihm. Wir haben gleiche Ursachen und gleiche Rechte, und wer von uns beiden zuerst kommt, dem hat der andere zu weichen.«

»Wie kannst du dich rächen wollen! Du hast ja nicht einmal ein Messer bei dir!«

»Der Fakir hat es mir unter einem Vorwande abgenommen, damit ich unten im Brunnen kein Werkzeug haben möchte. Ich hoffe aber, daß du, wenn ich dein Diener geworden bin, mir eins leihen wirst.«

Der junge Mann machte einen außerordentlich guten Eindruck auf mich. Er sprach bescheiden und doch so bestimmt. Sein Gesicht hatte die ehrlichsten Züge, welche man sich bei einem Araber denken kann. Und da er die ganze Nilgegend kannte, konnte er mir wohl von Nutzen sein.

Übrigens wurde mir jetzt manches klar, was mir vorher aufgefallen war. Der Knabe, welcher mich geholt hatte, der alte Gärtner, den ich getroffen hatte, von beiden war ich verhöhnt worden. Sie schienen gewußt zu haben, was mit mir vorgenommen werden sollte. Vielleicht waren beide Mitglieder der »heiligen« Kadirine. Der Fakir hatte mir seinen eigenen Namen und auch den seines Sohnes gesagt; er hatte mir mitgeteilt, daß dieser Ihn Asl jetzt der berühmteste Sklavenjäger sei und dem Führer Ben Wasak in Maabdah einen schlimmen Streich gespielt habe. Diese Mitteilungen konnte er mir nur in einem Anfalle von Übermut gemacht haben und wohl vor allen Dingen auch darum, weil er überzeugt war, daß ich kein Wort ausplaudern könne, da ich ja dem Tode geweiht war.

Nun brachen wir auf, um zur Stadt zurückzukehren. Wegen Ben Nil mußten wir langsam gehen, und so dauerte es weit über eine Stunde, bevor wir die ersten Häuser erreichten. Dort fragte ich ihn, ob er mit Waffen umzugehen verstehe.

»Ja,« antwortete er.

»Und wie steht es mit deinem Mute?«

»Stelle mich auf die Probe, Effendi!«

»Ob du sie bestehen würdest!« meinte da Selim. »Mancher denkt, er besitze Mut, und es ist nicht wahr. Schau mich dagegen an! ich bin der Held der Helden, der Kühnste der Verwegenen.«

»Das habe ich heute erfahren!« antwortete Ben Nil ironisch.

»Nicht wahr! Ich bin in die Tiefen der Hölle gestiegen, um dich heraus zu holen, und ohne mich würde der Effendi den Ausweg nicht gefunden haben, denn als er den letzten Sand zu entfernen hatte, habe ich ihm geleuchtet.«

»Gehörte zum Leuchten Mut?«

»Dazu nicht. Ich muß es nur erwähnen, um zu beweisen, daß ich neben meiner Kühnheit und Verwegenheit auch diejenigen Eigenschaften besitze, welche notwendig sind, einen Gefangenen aus einem unterirdischen Brunnen zu befreien. Du bist Diener des Effendi geworden, und da ich sein Beschützer bin, so bin ich auch der deinige, und ich erwarte, daß du mir ebenso wie ihm gehorchen werdest.«

Da legte ich mich ins Mittel und teilte Ben Nil mit:

»Dieser lange Selim ist weder mein Beschützer noch habe ich sonst ein Verhältnis mit ihm. Er ist der Diener des Gefährten, den ich erwarte; das ist alles.«

»Herr, willst du meine Würde kränken!« rief Selim aus. »Du nennst mich einen Diener! Ich bin der Haushofmeister, der Freund und Vertraute von Murad Nassyr, den ich zu beschützen habe.«

»So ist hier Ben Nil in derselben Weise und demselben Grade der Freund und Vertraute von mir. Er steht dir also vollständig gleich und hat dir nicht zu gehorchen.«

»Aber er ist doch nicht der berühmteste Held seines Stammes.«

»Das darfst du nicht behaupten, da du ihn nicht kennst. Es ist leicht möglich, daß seine Berühmtheit eine größere und begründetere als die deinige ist. Du sprichst so viel von deinem Stamme, aber du hast mir noch nicht gesagt, welcher es ist.«

»Noch nicht? So höre und staune! Ich bin ein Sohn desjenigen Stammes, welcher der erlauchteste aller Stämme der Erde ist. Ich meine den Stamm der Beni Fessara.«

»Droben in Kordofan?«

»Ja, von dorther stamme ich.«

»Warum hast du deinen Stamm verlassen?«

»Weil er keine Kriege mehr führte. Ein Held, wie ich bin, will kämpfen und Blut sehen. Da es das nicht gab, bin ich fortgegangen.«

»Wo hast du denn gekämpft?«

»Allüberall. Ich bin in allen Ländern des Erdballes umhergezogen und habe mit allen wilden Tieren und Menschen gekämpft. Nun mag dieser Ben Nil sagen, zu welchem Stamme er gehört.«

»Ich bin ein Uled-Ali-Beduine,« antwortete der Genannte.

»Und mit wem hast du gekämpft?«

»Mit niemand noch.«

»So bist du ein Windhauch gegen mich und kannst vor mir im Staube knieen. Ich will aber großmütig sein und einen Helden aus dir machen!«

»Und ich,« flocht ich lachend ein, »will ihm die Waffen dazu geben. Kommt mit herein.«

Wir kamen gerade durch den Waffenbazar, und ich trat mit ihnen in einen Laden, wo ich für Ben Nil ein Messer, zwei Pistolen und eine Flinte kaufte, die ich ihm schenkte. Er floß über von Dankbarkeit, hing die Flinte um, steckte die Pistolen und das Messer in den Ledergürtel und schritt dann stolz wie ein König neben Selim her. Ich wollte ihm auch noch einen Anzug – freilich einen billigen – kaufen, doch das hatte Zeit bis morgen, wo ich mir auch einen aussuchen mußte, da der meinige gelitten hatte. Besonders das Klettern im Brunnen war ihm schlecht bekommen.

Im Palaste angekommen, ging Selim zu dem Haushofmeister; ich führte Ben Nil zu meinem Stallmeister und bat um Gastfreundschaft für ihn. Als ich mit kurzen Worten das Geschehene berichtet hatte, wurde auf das schnellste eine solche Menge von Speisen gebracht, daß mehr als zwanzig Personen sich hätten satt essen können. Ben Nil leistete nach fünftägigem Hungern das Menschenmögliche, und auch ich war bei tüchtigem Appetite. Während wir aßen, ließ der Stallmeister einen Boten an das Wasser gehen, um das Boot in stand zu setzen. Bald kam Selim und brachte den dicken Haushofmeister mit. Das erste Wort dieses letzteren an mich war:

»Effendi, siehst du nun endlich ein, was eine Mondfinsternis zu bedeuten hat? Ich befand mich schon am nächsten Tage in Gefahr, und auch euch ist es nun an das Leben gegangen.«

»Du vergissest, daß deine Gefahr uns großen Nutzen gebracht hat,« entgegnete ich, »denn wärest du nicht eingebrochen, so steckten wir noch im Brunnen.«

»Das ist möglich; aber die Übelthäter müssen bestraft werden!«

»Allerdings.«

»Ich hörte von Selim, daß du nach Maabdah willst, um den Fakir zu fangen. Darum habe ich sogleich den Befehl gegeben, ein Boot mit Soldaten zu bemannen. Ich selbst werde mitfahren, um diesen Mörder zu fangen.«

Mir schwante nichts Gutes; darum bat ich ihn:

»Nimm diesen Befehl wieder zurück! Warum willst du dich mit einer Angelegenheit befassen, welcher du doch eigentlich so fern stehst?«

»Warum? Weil ich ihr nicht fern stehe. Du bist doch unser Gast, und wir haben dich lieb und sind verpflichtet, für deine Sicherheit zu sorgen. Außerdem geht diese Sache den Pascha an. Er ist nicht da, und ich als sein Haushofmeister will seine Stelle vertreten.«

»Ich möchte dir nicht Mühe bereiten.«

»Das ist keine Mühe, sondern ein Vergnügen. Als du die Höhle besuchtest, bin ich nicht mitgegangen; jetzt aber, wo es gilt, einen Verbrecher zu fangen, kann ich euch unmöglich allein fahren lassen.«

»Erlaube mir, dir zu sagen, daß ich viel lieber allein fahren würde!«

»Rede mir nicht darein! Es ist meine Pflicht, dir zu helfen, und ich werde also diese Pflicht erfüllen.«

Damit war die Sache abgemacht, und wir brachen auf. Der Stallmeister ging auch mit, ebenso Selim, welcher wieder von seiner Verwegenheit sprach und sich vermaß, den Fakir ganz allein zu fangen.

Am Wasser lagen zwei Boote bereit, eins, welches der Stallmeister und eins, welches der Haushofmeister beordert hatte. Das erstere bestieg ich mit meinem Gastfreunde und Ben Nil; es wurde von Stallknechten gerudert. In das andere stieg der Haushofmeister mit Selim. Es sollte von den Soldaten gerudert werden. Aber was waren das für Soldaten! Als ich bei meiner Ankunft in Siut von dem Reïs Effendina nach dem Palaste geführt worden war, hatte ich im ersten Hofe desselben viele alte Männer sitzen sehen. Sie waren nur notdürftig bekleidet und beschäftigten sich mit Strikken, Nähen und anderen sehr friedlichen Arbeiten. Jetzt sah ich, daß dies Soldaten des Pascha gewesen waren. Ihrer zwölf stiegen ein. Sie waren jetzt bis an die Zähne bewaffnet, aber ihre Waffen hatten ein Aussehen, welches mir nicht imponieren konnte, und die Leute selbst sahen eher wie herabgekommene Insassen eines Armenhauses aus als wie tapfere Söhne des Mars, denen das Wohl eines Pascha anvertraut ist. Bald sah ich, daß ich mich wenigstens in Bezug auf ihre Kräfte geirrt hatte. Als die Boote die Mitte des Stromes erreicht hatten und nun die Segel aufgezogen worden waren, legten sich die alten Burschen so in die Ruder, daß ihr Boot wie ein Fisch abwärts schoß und wir in dem unserigen zurück blieben.

»Halt!« rief ich. »Wir müssen zusammen bleiben.«

»Wir kommen ja in Maabdah zusammen,« antwortete der Dicke, indem er seinen Leuten mit der Hand winkte, sich womöglich noch mehr anzustrengen. Hatte er eine bestimmte Absicht dabei? Ich hielt es für sehr möglich. Ich war ein Christ und wollte einen Fakir fangen, welcher allgemein für heilig gehalten wurde. Durfte man das zugeben? War es nicht besser, zu thun, als ob man mir helfe, und dabei den Mann zu warnen?

Ich gebot den Stallknechten, sich Mühe zu geben, damit wir nicht so sehr zurück blieben; ich nahm selbst ein Ruder in die Hand, doch es war vergeblich, Ich legte es also wieder fort und griff, als wir Mankabat hinter uns hatten, zum Fernrohre, um die rechts vom Nile liegenden Höhen zu betrachten. Auch auf das Boot des Haushofmeisters gab ich acht.

Als mir die Felsen von Maabdah zu Gesicht kamen, sah ich auf einem über dem Dorfe liegenden Vorsprunge einen Mann sitzen, welcher den Nil und unsere beiden Boote zu beobachten schien. Ich hätte darauf schwören können, daß es der Gaukler sei. Eben lenkte das vordere Boot nach dem Ufer. Der Mann stand auf und lief fast im Galopp in das Dorf herab, zwischen dessen Hütten er verschwand.

Die Soldaten stiegen aus und marschierten nach dem Dorfe. Noch ehe sie es ganz erreicht hatten, sah ich den erwähnten Mann mit noch einem andern jenseits des Dorfes erscheinen und der Höhe zustreben. Sie verschwanden in einer engen Schlucht. Drei Minuten später legten auch wir an. Es war mir, als ob der zweite Mann der Fakir gewesen sei. Darum ging ich, als ich an das Ufer gesprungen war, nicht nach dem Dorfe, sondern ich eilte in gerader Richtung dieser Schlucht zu. Ben Nil folgte mir, ohne daß ich ihn dazu aufgefordert hatte, auf dem Fuße. Der Stallmeister rief mir nach, doch keinen falschen Weg einzuschlagen, und ging, als ich mir gar nicht die Zeit nahm, ihm zu antworten, mit seinen Stallknechten auch dem Dorfe zu.

»Effendi, dein Weg ist der richtige,« meinte Ben Nil. »Vielleicht erreichen wir den Fakir und den Muza’bir.«

»Hast du sie erkannt?« fragte ich.

»Ja. Meine Augen sind wohl fast ebenso scharf, wie dein Glas.«

»Kennst du diese Gegend?«

»Ja, aber doch nicht so genau, wie ich jetzt wünsche. Wir haben einigemale hier vor Anker gelegen, aber da auf die Berge bin ich leider nicht gekommen.«

Wir waren über eine Viertelstunde gegangen, ehe wir die Schlucht erreichten. Das Terrain war ein schwieriges, und einen Weg gab es nicht. Sie war sehr schmal und wand sich in kurzen Krümmungen zwischen die steilen Höhen hinein. Nach einiger Zeit teilte sie sich. Da war guter Rat teuer. Sollten wir nach rechts oder nach links gehen?

Hätte ich gewußt, daß aus der einen Schlucht zwei wurden, so hätte ich gleich anfangs auf etwaige Spuren geachtet. Als ich jetzt suchte, fand ich keine. Der Boden bestand aus wüstem Geröll, in welchem ein Fußeindruck unmöglich war. Wir verließen uns auf unser gutes Glück und wendeten uns nach rechts. Nach fünf Minuten hörte diese Schlucht auf. Wir kehrten also zurück und gingen dann links. Dieser Weg schlug einen Bogen und teilte sich dann auch. Wir gingen links und standen bald vor einer Felsenwand, welche nicht zu ersteigen war; folglich wendeten wir uns rechts. Dieser Weg stieg steil an und führte uns auf eine Felsenplatte, welche auf den andern drei Seiten fast senkrecht in die Tiefe fiel. Wir mußten erkennen, daß wir geäfft worden waren, und kehrten um.

»Allah. ist allein allwissend!« zürnte Ben Nil. »Ich kann nicht begreifen, wohin diese Schurken entkommen sind. Sie sind wie verschwunden.«

»Die Art und Weise ihres Verschwindens kann ich mir denken. Diese Höhen sind durch Höhlen zerklüftet. Jedenfalls haben sich die beiden in eine solche versteckt. War der Eingang zu derselben klein, so konnte er leicht durch Steine maskiert werden. Wir können nichts anderes thun, als in das Dorf zu gehen. Vielleicht haben wir uns geirrt, und es waren andere Männer als diejenigen, welche wir vermuteten.«

»Sie waren es, Effendi. Mein Auge täuscht mich nicht; aber ich sehe ein, daß das Suchen vergeblich sein würde. Es wird in kurzer Zeit Abend sein.«

Das war leider richtig. Eine Stunde vor Mittag hatte der Fakir uns abholen lassen; eine Stunde wenigstens hatten wir gebraucht, um an den Brunnen zu kommen; gegen drei Stunden waren wir in und bei demselben gewesen; dann die Rückkehr, das Essen, die Bootsfahrt nach Maabdah, das Suchen in der Schlucht – die Sonne ging drüben hinter den libyschen Höhen unter, und es mußte bald Nacht werden. Wir sahen uns gezwungen, unser Suchen aufzugeben und nach dem Dorfe zu gehen.

Dort fanden wir jedmänniglich – – auf der Erde sitzend und die Pfeife rauchend. Die Einwohner standen dabei und plauderten mit den Soldaten.

»Habt ihr gesucht?« fragte ich den Haushofmeister.

»Nein« antwortete er.

»Warum nicht?«

»Wir wollten deine Ankunft erwarten. Warum gingst du nicht mit uns?«

»Wissen die Leute von Maabdah, welche hier stehen, warum wir gekommen sind?« fragte ich, ohne seine Frage zu beantworten.

»Ja. Ich habe es ihnen natürlich gesagt.«

»So wollen wir getrost wieder nach Siut fahren, denn unser Suchen würde nun, da du geplaudert hast, überflüssig sein.«

»Inschallah – wie es Gott gefällt. Du bist unser Gast, und wir thun, was dir gefällig ist.«

Ich fragte nach Ben Wasak, dem Höhlenführer, und erfuhr, daß er nicht hier, sondern hinunter nach el Arisch sei. In ihn allein hätte ich Vertrauen setzen können, und er hätte mir gewiß geholfen, die Flüchtigen zu entdecken. Da er aber nicht anwesend war, mußte ich auf einen Erfolg unserer Bootsfahrt verzichten. Ich erkundigte mich bei den Leuten, ob der Fakir oder der Gaukler gesehen worden sei, und erhielt nur verneinende Antworten. Schließlich ließ ich es doch geschehen, daß die Hütten durchsucht wurden; es war natürlich vergebens. Ob es in der Schlucht eine Höhle gebe, danach fragte ich lieber gar nicht; ich hätte doch keine Auskunft erhalten, und es war ganz so, wie ich gedacht hatte: Mir, dem Christen, war man ganz gewiß nicht behilflich, einen »wahren Gläubigen«, welcher noch dazu ein heiliger Fakir war, auszuliefern. Ich mußte mich auf mein gutes Glück und auf die Zukunft verlassen; denn, daß ich diesem Menschen noch einmal begegnen würde, davon war ich überzeugt. –-