Viertes Capitel.
Eine Königin von Tarryani.
Die letztere Bemerkung beschloß unseren Besuch im Kraal; es war jetzt Zeit, nach dem Steam-House zurückzukehren.
Kapitän Hod und Mathias Van Guitt schieden eigentlich nicht als die besten Freunde von einander. Wenn der eine die wilden Thiere von Tarryani vernichten wollte, wollte der Andere sie nur fangen, und doch waren ja genug vorhanden, um Beide zu befriedigen.
Man verabredete inzwischen, daß der Kraal und das Sanatorium in engerer Verbindung bleiben sollten. Man wollte sich gegenseitig benachrichtigen, sobald sich eine günstige Gelegenheit zur Jagd oder zum Fange böte. Die mit allen Wegen und Stegen vertrauten Chikaris Mathias Van Guitt’s konnten Kapitän Hod recht wesentliche Dienste leisten, wenn sie ihn auf die Fährten von Thieren aufmerksam machten. Der Händler stellte ihm jene zuvorkommend zur Verfügung, und vorzüglich Kâlagani. Obschon dieser Hindu nur erst kurze Zeit dem Personal des Kraals angehörte, erwies er sich doch besonders geschickt und nach allen Seiten verläßlich.
Als Gegendienst versprach Kapitän Hod, soweit ihm das möglich sei, beim Einfangen der wilden Thiere zu helfen, welche an Mathias Van Guitt’s Sammlung noch fehlten.
Bevor er den Kraal verließ, wo er wahrscheinlich nicht sobald wieder vorsprechen würde, sprach Sir Edward Munro nochmals seinen Dank gegen Kâlagani aus, dessen entschlossenes Eingreifen ihn gerettet hatte, und erklärte, daß er im Steam-House stets willkommen sein werde.
Der Hindu verneigte sich sehr kühl. Ein Zeichen von Befriedigung, den Mann, der ihm sein Leben verdankte, so reden zu hören, ließ er in seinen Zügen nicht durchblicken.
Wir kamen zur Zeit des Essens zurück. Wie man sich denken kann, drehte sich unser Gespräch vorwiegend um Mathias Van Guitt.
»Alle Wetter, polterte der Kapitän heraus, was für Gesten er fertig bringt, jener Händler! Welche Auswahl von Worten, welchen Wechsel von Ausdrücken er hat! Nur daß er in wilden Thieren blos Objecte zur Schaustellung sieht, darin schießt er fehl.«
An den folgenden Tagen, am 27., 28. und 29. Juni, fiel ein so gewaltiger Regen, daß unsere Jäger, so begierig sie auch waren, gar nicht daran denken konnten, das Steam-House zu verlassen. Bei solch‘ schrecklichem Wetter sind Spuren auch gar nicht zu erkennen, und die Raubthiere, welche, wie die Katzen alle, keine besonderen Freunde des Wassers sind, verlassen dann ihre Höhlen nicht gern.
Am 30. stellte sich besseres Wetter mit heiterem Himmel ein. Am nämlichen Tage rüsteten wir, d. h. Kapitän Hod, Fox, Goümi und ich, uns rechtzeitig, nach dem Kraal hinunter zu gehen.
Schon am Morgen stellten sich einige Bergbewohner bei uns ein. Sie hatten davon reden gehört, daß eine wunderbare Pagode im Himalayagebiete erschienen sei, und nun trieb die Neugier sie nach dem Steam-House.
Es ist ein schöner Menschenschlag, diese Bewohner der thibetanischen Grenze, ausgezeichnet durch kriegerische Tugenden, unerschütterliche Loyalität und Gastfreiheit, und den Hindus der Ebenen moralisch und physisch unzweifelhaft überlegen.
Wenn die angebliche Pagode ihre Verwunderung erregte, so machte der Stahlriese auf sie einen noch weit tieferen Eindruck. Und doch verhielt sich dieser jetzt ruhig. Was würden die braven Leute erst gesagt haben, wenn sie gesehen hätten, wie er rauch- und flammenspeiend mit sicherem Schritte die Bergabhänge emporklomm!
Oberst Munro empfing die Eingebornen, von denen einige das ganze Gebiet von Nepal bis zur indo-chinesischen Grenze öfter zu durchstreifen pflegten, mit aller Freundlichkeit. Das Gespräch kam auch einmal auf jenen Theil der Grenze, wo Nana Sahib nach der Niederlage der Sipahis Zuflucht gesucht hatte, als er sich überall in Indien verfolgt sah.
Die Bewohner der Berge wußten übrigens nicht mehr als wir. Das Gerücht von seinem Tode war auch zu ihnen gedrungen und schien nicht angezweifelt zu werden. Um seine, ihn überlebenden Waffengefährten kümmerte sich Niemand. Wahrscheinlich hatten diese tief im Innern von Thibet ein sicheres Versteck gefunden, wo sie jedenfalls nur sehr schwierig zu finden gewesen wären.
Wenn Oberst Munro, als er sich nach dem Norden der Halbinsel begab, den Gedanken gehabt hatte, Alles an’s Licht zu ziehen, was Nana Sahib näher oder ferner berührte, so mußte ihn diese Auskunft wohl davon abbringen. Als die Bergbewohner aber so sprachen, blieb er halb träumend in Gedanken versenkt und nahm am Gespräch keinen weiteren Antheil.
Nur Kapitän Hod richtete an diese einige Fragen, freilich ganz anderen Inhalts. Er vernahm dadurch, daß die wilden Thiere, vorzüglich die Tiger, in der unteren Zone des Himalaya wahrhaft entsetzliche Verwüstungen anrichteten. Einzelne Landgüter und ganze Dörfer waren deshalb schon von den Einwohnern aufgegeben worden. Heerden von Ziegen und Schafen wurden vernichtet und auch nicht wenige Einwohner waren den Bestien zum Opfer gefallen. Trotz des von der Regierung ausgesetzten nicht unbeträchtlichen Preises – dreihundert Rupien für jeden Tigerkopf – schien die Zahl dieser Katzen nicht abzunehmen und es entstand schon die Frage, ob der Mensch nicht weichen und jenen das Feld überlassen solle. Die Leute fügten auch hinzu, daß die Tiger sich jetzt gar nicht mehr auf Tarryani beschränkten, sondern daß man ihnen, wo hohes Gras, Dschungeln oder Gebüsche nur geeignete Verstecke böten, überall in der Ebene begegne.
»Es sind entsetzlich schädliche Thiere!« meinten sie.
Die braven Leute huldigten, und das mit gutem Grunde, bezüglich der Tiger also keineswegs derselben Anschauung wie der Händler Mathias Van Guitt und unser Freund, der Kapitän Hod.
Die Landleute zogen sich, hoch erfreut über den gefundenen Empfang, zurück und versprachen gelegentlich wieder nach dem Steam-House zu kommen.
Als sie fort waren, machten wir, Kapitän Hod, unsere zwei Begleiter und ich, uns wohl bewaffnet und auf jeden Zwischenfall vorbereitet auf den Weg nach Tarryani hinunter.
An der Waldblöße mit jener Falle angelangt, aus der wir Mathias Van Guitt glücklicher Weise befreit hatten, trat dieser uns, nicht ohne gewisse Feierlichkeit entgegen.
Fünf bis sechs seiner Leute, darunter auch Kalagani, waren eben beschäftigt, einen Tiger, der sich während der Nacht gefangen hatte, aus der Falle in einen fahrbaren Käfig zu schaffen.
Es war wirklich ein prächtiges Thier, dessen Anblick in Kapitän Hod ein gewisses Gefühl von Neid erwachen ließ.
»Wieder einer weniger in Tarryani, murmelte er mit einem leisen Seufzer, der in Fox‘ Herzen ein Echo fand.
– Und einer mehr in der Menagerie, meinte dagegen der Händler. Noch zwei Tiger, einen Löwen und zwei Leoparden, und ich werde im Stande sein meinen eingegangenen Verpflichtungen noch vor der bedungenen Zeit nachzukommen. Kommen Sie mit nach dem Kraal, meine Herren?
– Wir danken bestens, antwortete Kapitän Hod, heute denken wir auf eigene Rechnung zu jagen.
– Kâlagani steht Ihnen zur Verfügung, Herr Kapitän, erwiderte der Händler, er kennt den Wald sehr gut und kann Ihnen von Nutzen sein.
– Er wird uns ein willkommener Führer sein.
– Nun denn, meine Herren, fuhr Mathias Van Guitt fort, viel Glück auf den Weg! Aber versprechen Sie mir, nicht Alles niederzumetzeln!
– Wir lassen Ihnen noch etwas übrig!« versicherte Kapitän Hod.
Sich mit einer gewählten Geste empfehlend, verschwand Mathias Van Guitt schnell unter den Bäumen und folgte seinem Käfige.
»Nun vorwärts, rief Kapitän Hod, vorwärts, meine Freunde! es gilt meinen zweiundvierzigsten!
– Meinen achtunddreißigsten! ließ Fox sich vernehmen.
– Und meinen ersten!« fügte ich hinzu.
Der Ton, mit welchem ich diese Worte hervorbrachte, nöthigte dem Kapitän ein Lächeln ab. Offenbar fehlte mir die richtige heilige Gluth.
Hod hatte sich zu Kâlagani gewendet.
»Du kennst Tarryani gut?
– Ich bin wohl zwanzigmal, am Tage und in der Nacht nach allen Richtungen durch dasselbe gekommen, antwortete der Hindu.
– Hast Du davon reden gehört, daß sich in der Nachbarschaft des Kraal ein Tiger gezeigt habe?
– Gewiß, dieser Tiger ist aber eine Tigerin. Man hat sie etwa zwei Meilen von hier im Hochwalde gesehen und sucht sie schon seit mehreren Tagen zu fangen. Wollen Sie etwa….
– Ob wir wollen!« rief Kapitän Hod, ohne dem Hindu zur Vollendung seines Satzes Zeit zu lassen.
Wir konnten in der That nichts Besseres thun, als Kâlagani zu folgen, und das geschah denn auch.
Wilde Thiere sind in Tarryani ohne Zweifel sehr häufig, und sie brauchen wöchentlich nicht weniger als zwei Ochsen zur Nahrung. Es ist leicht zu berechnen, wie viel deren »Unterhalt« also der ganzen Halbinsel kosten mag!
Aber wenn Tiger auch in großer Anzahl vorkommen, so darf man doch nicht glauben, daß sie ohne Noth umherschweifen. Wenn sie der Hunger nicht drängt, bleiben sie ruhig in ihrem Verstecke, und es wäre ein großer Irrthum, zu glauben, daß man ihnen auf Tritt und Schritt begegnete. Wie viele Reisende sind durch Wälder und Dschungeln gekommen, ohne nur einen zu Gesicht bekommen zu haben! Auch wenn eine Jagd veranstaltet wird, muß man zunächst die gewöhnliche Fährte des Thieres und vorzüglich den Bach oder die Quelle aufzufinden suchen, wo es seinen Durst zu löschen pflegt.
Doch auch das genügt noch nicht, man muß sie auch noch anlocken. Das erreicht man sehr bequem durch Befestigung eines Rinderviertels an einem Pfahle und an einer von Bäumen oder Felsblöcken umgebenen Stelle, wo die Jäger leicht Schutz finden können. So verfährt man wenigstens im Walde.
In der Ebene liegt die Sache anders; da wird der Elephant der nützlichste Bundesgenosse des Menschen bei diesen gefährlichen Parforcejagden. Diese Thiere müssen dazu jedoch besonders abgerichtet sein. Trotzdem packt sie zuweilen Schrecken und Furcht, was die auf ihren Rücken sitzenden Jäger leicht in Gefahr bringt. Der Tiger springt nämlich ohne Zögern auf den Rücken eines Elephanten. Da wird der Streit zwischen ihm und dem Menschen auf dem Nacken der riesigen, selbst wüthend werdenden Pachyderme ausgekämpft, und dieser endet nur selten zum Nachtheile des Raubthieres.
So gestalten sich die Jagden der Rajahs und reichen Sportsmen von Indien, welche einen Platz in den cygentischen Annalen mit Recht verdienen.
Kapitän Hod freilich verfuhr auf andere Weise. Er spürte dem Tiger zu Fuße nach, er pflegte zu Fuß mit ihm anzubinden.
Wir folgten also Kâlagani, der raschen Schrittes voranging. Zurückhaltend, wie die Hindus im Allgemeinen, sprach er nur wenig und begnügte sich, an ihn gerichtete Fragen kurz zu beantworten.
Eine Stunde später machten wir in der Nähe eines reißenden Baches Halt, an dessen Uferwand sich noch die frischen Spuren von Thieren zeigten. In der Mitte einer kleineren Lichtung erhob sich ein Pfahl, an dem ein großes Rinderviertel hing.
Die Lockspeise war nicht ganz unberührt. Die Zähne von Schakals, diesen Spitzbuben der Fauna Indiens, hatten sie benagt; jene schweifen ja Tag und Nacht nach Beute umher – hier sollte sie ihnen nicht zu Theil werden. Ein Dutzend jener feigen Räuber flohen bei unserer Annäherung und überließen uns den Platz.
»Herr Kapitän, begann Kâlagani, hier wollen wir die Tigerin erwarten. Sie sehen daß der Ort zu einem Hinterhalte ganz passend ist.«
Es bot in der That keine Schwierigkeit, sich in den Bäumen oder hinter den Felsblöcken so zu verbergen, daß der Pfahl in der Mitte der Waldblöße unter Kreuzfeuer zu nehmen war.
Das geschah denn auch sofort. Goûmi nahm mit mir auf demselben Aste Platz. Kapitän Hod und Fox richteten sich Beide auf den Zweigen der ersten Gabelung zweier großer, üppig grüner Eichen ein.
Kâlagani selbst hatte sich hinter einem hohen Felsblocke versteckt, den er, wenn es noth that, erklimmen konnte.
Das Thier konnte somit in einen Kreis von Feuer genommen werden, aus dem an kein Entrinnen zu denken war. Alles lag für jenes so ungünstig als möglich, obwohl wir immer auf unvorhergesehene Zwischenfälle gefaßt sein mußten.
Nun hieß es geduldig warten.
Die nach allen Seiten auseinander gestäubten Schakals ließen im benachbarten Gebüsch noch immer ihr heiseres Bellen hören, wagten sich aber an das Rinderviertel nicht wieder heran.
Eine Stunde mochte verstossen sein, als das Bellen plötzlich schwieg. Fast in dem nämlichen Augenblicke sprangen zwei oder drei Schakals aus dem Dickicht, jagten über die Lichtung und verschwanden im dunkleren Walde.
Ein Zeichen Kälagani’s, der sich anschickte, den Felsen zu ersteigen, ermahnte uns, jetzt auf der Hut zu sein.
Die urplötzliche Flucht der Schakals konnte wirklich nur durch die Annäherung eines größeren Raubthieres – ohne Zweifel der Tigerin – veranlaßt sein, und wir durften jeden Moment erwarten, sie irgendwo in die Lichtung heraustreten zu sehen.
Unsere Waffen waren bereit. Schon richteten sich die Gewehre Kapitäns Hod’s und Fox‘ nach der Stelle des Gebüsches, aus dem die Schakals hervorgebrochen waren; ein Fingerdruck und die Schüsse krachten!
Bald bemerkte ich in den höheren Zweigen des Dickichts eine leise Bewegung; gleichzeitig hörte man das dürre Holz brechen. Irgend ein Thier bewegte sich vorsichtig, offenbar ohne Uebereilung, darunter hin. Von den Jägern, die ihm im dichten Laub auflauerten, konnte es sicherlich nichts bemerken. Dennoch schien ihm der Instinkt zu sagen, daß der Ort nicht ganz geheuer sei. Wenn es nicht der Hunger trieb, wenn nicht die Ausdünstung des Fleisches jenes angelockt hätte, würde es schwerlich weiter gegangen sein.
Doch – da erschien es zwischen den Zweigen eines Gebüsches und blieb, wie mißtrauisch, einen Augenblick stehen.
Es war eine Tigerin von mächtigem Wuchs, prächtigem Kopfe und geschmeidigem Körper. Sie bewegte sich schleichend vorwärts wie ein Reptil, das sich auf der Erde hinwindet.
Wir ließen sie nach Verabredung bis an den Pfahl herankommen. Sie schnüffelte auf dem Boden hin, erhob sich wieder und krümmte den Rücken hoch auf, wie eine gewaltige Katze, welche eben nicht springen will.
Plötzlich krachten zwei Gewehrschüsse.
»Nummer zweiundvierzig! rief Kapitän Hod.
– Nummer achtunddreißig!« ließ Fox sich vernehmen.
Der Kapitän und sein Diener hatten zu ganz gleicher Zeit und so sicher geschossen, daß die Tigerin, von einer, wenn nicht gar von zwei Kugeln im Herzen getroffen, todt zusammenbrach.
Kâlagani sprang zuerst auf das Thier zu. Wir selbst kletterten sofort zur Erde.
Die Tigerin zuckte nicht mehr.
Wem kam jedoch die Ehre zu, sie tödtlich getroffen zu haben? Dem Kapitän oder Fox? Man begreift, daß diese Frage hier von Bedeutung war. Das Thier wurde geöffnet. Zwei Kugeln hatten das Herz getroffen.
»Ei nun, begann der Kapitän, doch nicht ohne einiges Bedauern, so zählt sie für jeden von uns zur Hälfte!
– Zur Hälfte, Herr Kapitän!« wiederholte Fox im nämlichen Tone.
Ich glaube bestimmt, daß Keiner den ihm gebührenden Antheil abgegeben hätte.
Das war also die Wunderthat, deren erfreulichstes Resultat darin lag, daß das Thier ohne Kampf unterlegen war und die Jäger nicht im Geringsten in Gefahr kamen, was übrigens bei derartigen Jagden nur selten der Fall ist.
Fox und Kâlagani blieben auf dem Schlachtfelde, um das prächtige Fell abzuziehen während Kapitän Hod und ich nach dem Steam-House zurückkehrten.
Es liegt nicht in meiner Absicht, alle die kleinen Erlebnisse bei unseren Zügen in Tarryani einzeln aufzuzählen, wenn sie nichts besonders Charakteristisches bieten. Es genüge also die Bemerkung, daß Hod und Fox sich in keiner Weise zu beklagen hatten.
Am 18. Juli begünstigte sie das Glück bei einer sogenannten »Houddi«, d. i. Hüttenjagd, ganz ausnehmend, so daß sie einer ernstlichen Gefahr ohne Unfall entgingen. Solch‘ ein Houddi ist übrigens zur Jagd auf wilde Thiere recht vortheilhaft eingerichtet. Er bildet ein kleines, crenelirtes Fort, dessen Mauern nach einem Bache zu, wo die Thiere zur Tränke zu gehen pflegen, mit Schießscharten versehen sind. Da jene an diese kleinen Bauwerke gewöhnt sind, kommen sie ohne Mißtrauen heran und laufen so geradenwegs in’s Feuer. Doch hier wie allenthalben kommt es darauf an, sie mit dem ersten Schuß tödtlich zu treffen, sonst geht die Sache ohne gefährlichen Kampf nicht ab, da der Houddi den Jägern nicht immer gegen die, in Folge einer Verwundung nur noch wüthenderen Thiere hinlänglich Schutz gewährt. So kam es denn auch, wie wir gleich sehen werden, bei der Gelegenheit, von der hier die Rede ist,
Mathias Van Guitt leistete uns Gesellschaft. Vielleicht hegte er die Hoffnung, einen nur leicht verletzten Tiger nach dem Kraal schaffen und dort pflegen und wieder heilen zu können.
An genanntem Tage kamen unseren Jägern nun drei Tiger auf einmal in den Weg, welche die erste Gewehrsalve nicht hinderte, auf die Mauern des Houddi loszustürzen. Die beiden ersten wurden zum großen Leidwesen des Händlers durch eine zweite Kugel hingestreckt, als sie schon die Mauer erklommen. Der dritte gelangte bis in’s Innere desselben, blutete zwar an der Schulter, war aber nicht tödtlich getroffen.
»Hei, den fangen wir! rief Mathias Van Guitt, der bei diesen Worten einige Schritte vortrat, den kriegen wir lebendig! ….«
Er hatte seinen voreiligen Satz noch nicht vollendet, als das Thier schon auf ihn zusprang und ihn niederwarf, so daß es um den Händler ohne Zweifel geschehen wäre, hätte Kapitän Hod dem Tiger nicht noch eine Kugel durch den Kopf gejagt, die ihn niederstreckte.
Schwerfällig erhob sich Mathias Van Guitt wieder.
»Aber, lieber Kapitän, sagte er, statt sich bei unserem Freunde zu bedanken, Sie hätten auch noch ein bischen warten können!….
– Warten? …. Auf was denn? …. antwortete Kapitän Hod, etwa bis der Tiger Ihnen mit einem Tatzenschlage die Brust zerfleischt hätte?
– Von einem Tatzenschlage stirbt man auch noch nicht!….
– Nun, meinetwegen, erwiderte Kapitän Hod sehr trocken, ein andermal werde ich warten!«
Das Thier konnte nun einmal nicht die Menagerie des Kraals vermehren und diente also nur dazu, eine Decke vor das Bett zu liefern; diese glückliche Jagd brachte aber auf zweiundvierzig die Zahl der vom Kapitän, auf achtunddreißig der vom Diener erlegten Tiger, ohne die halbe Tigerin zu rechnen, welche Jeder in seine Activa eingetragen hatte.
Man darf nun aber nicht glauben, daß diese großen Jagden uns die kleineren hätten vergessen lassen. Monsieur Parazard würde das nimmer zugegeben haben. Antilopen, Gemsen, große Trappen, welche sich in der Nachbarschaft der Steam-Houses zahlreich vorfanden, boten unserer Tafel eine fortwährende Abwechslung an Wild.
Wenn wir durch Tarryani streiften, schloß sich Banks nur selten an uns an. Während mich diese Züge zu interessiren begannen, langweilten sie ihn offenbar. Ihn reizten mehr die oberen Zonen des Himalaya, wohin er sich gern begab, vorzüglich wenn Oberst Munro ihn begleitete.
Das kam indeß nur ein- bis zweimal vor. Banks hatte die Bemerkung gemacht, daß Sir Edward Munro seit Erreichung unseres Sanatoriums wieder mehr und mehr nachdenklich geworden war. Er sprach nur wenig, hielt sich abseits und verhandelte mehrfach mit dem Sergeant Mac Neil. Brüteten die Beiden über ein neues Project, das sie selbst vor Banks zu verheimlichen suchten?
Am 13. Juli erhielten wir den Besuch Mathias Van Guitt’s. Vom Glücke weniger begünstigt als Kapitän Hod, hatte er seiner Menagerie noch keine weitere Erwerbung zuführen können. Weder Tiger, noch Leoparden oder Löwen schienen Lust zu haben, in die Fallen zu gehen. Ohne Zweifel reizte sie der Gedanke, sich im äußersten Westen zum Angaffen ausstellen zu lassen, nicht im mindesten. Das wurmte den Händler natürlich mit Recht und er machte auch gar kein Hehl daraus.
Kâlagani und zwei Chikaris aus seinem Personal begleiteten Mathias Van Guitt bei diesem Besuche.
Die Einrichtung des Sanatoriums in der herrlichen Umgebung gefiel ihm außerordentlich. Oberst Munro lud ihn ein, zu Tische dazubleiben. Er nahm das ohne Zögern an und versprach, der Tafel alle Ehre anzuthun.
In der Zeit vor dem Mittagsessen wollte Mathias Van Guitt das Steam-House genauer in Augenschein nehmen, dessen luxuriöse Ausstattung mit der Einfachheit seines Kraals allerdings nicht wenig contrastirte. Die beiden fahrbaren Häuser fanden seine volle Anerkennung, ich muß aber gestehen, daß der Stahlriese seine Bewunderung nicht erregte. Ein Naturforscher seines Schlages mußte ja wohl diesem Meisterwerke der Mechanik gegenüber unempfindlich bleiben. Wie hätte er auch die Erzeugung dieses künstlichen Thieres, so merkwürdig das auch war, jemals billigen können?
»Denken Sie nicht so gering von unserem Elephanten, Herr Mathias Van Guitt! sagte Banks zu ihm. Das ist ein mächtiges Thier, und im Nothfalle würde es ihm gar nicht schwer fallen, neben unseren beiden Wagen Ihre ganze fliegende Menagerie mit fortzuziehen.
– Ich habe meine Büffel, antwortete der Händler, und lobe mir deren ruhigen und sicheren Schritt.
– Der Stahlriese fürchtet aber weder die Tatzen noch die Zähne des Tigers! rief Kapitän Hod dazwischen.
– Das glaube ich, meine Herren, erwiderte Mathias Van Guitt, aber warum sollten ihn diese auch anfallen? Sie machen sich aus stählernem Fleische verteufelt wenig!«
Wenn der Naturforscher seine Gleichgiltigkeit gegenüber unserem Elephanten nicht verhehlte, so konnten seine Hindus, und vorzüglich Kâlagani, gar nicht müde werden, ihn mit den Augen fast zu verschlingen. Man merkte leicht genug heraus, daß ihrer Bewunderung für das riesige Thier auch eine gewisse Portion abergläubischen Respects beigemischt war.
Kâlagani schien höchst erstaunt über die wiederholte Versicherung des Ingenieurs, daß der Stahlriese mehr Kraft habe als alle Zugthiere des Kraals zusammen. Das war auch Wasser auf Kapitän Hod’s Mühle, der die Gelegenheit nicht vorbeiließ, nicht ohne einen gewissen Stolz unser Abenteuer mit den drei »Proboscidien« des Prinzen Gourou Singh zu erzählen. Auf den Lippen des Händlers spielte dabei zwar ein etwas ungläubiges Lächeln, er ging aber nicht weiter auf die Sache ein.
Das Diner verlief in wünschenswerther Weise. Mathias Van Guitt that ihm wirklich alle Ehre an. Freilich strotzte unsere Küche eben von der Jagdbeute der letzten Tage und Monsieur Parazard hatte offenbar gestrebt, sich selbst zu übertreffen.
Der Keller des Steam-Houses lieferte auch verschiedene Getränke, die unserem Gaste recht gut zu munden schienen, vorzüglich zwei bis drei Gläser französischen Weines, die er mit einem unvergleichlichen Schnalzen der Zunge schlürfte.
Nach dem Essen, als wir uns trennen sollten, merkte man sogar an der Unsicherheit der Pendelschwingungen seiner Beine, daß der Wein, wenn er ihm zu Kopfe gestiegen war, auch die Beine schwer gemacht hatte.
Mit einbrechender Nacht schieden wir als die besten Freunde der Welt, und Mathias Van Guitt konnte auch, dank seinen Begleitern, ohne Unfall wieder nach dem Kraal gelangen.
Am 16. Juli entstand zwischen dem Händler und Kapitän Hod aber doch eine kleine Mißhelligkeit.
Der Kapitän hatte einen Tiger gerade in dem Augenblicke geschossen, wo dieser in eine der Klappfallen gehen wollte, und zwar zum dreiundvierzigsten für Jenen, aber nicht zum achten für den Händler wurde.
Nach ziemlich lebhaften Auseinandersetzungen traten indeß die alten guten Beziehungen wieder ein, was vorzüglich der begütigenden Einmischung des Oberst Munro zu verdanken war, indem Kapitän Hod sich verpflichtete, diejenigen Raubthiere zu schonen, welche »die Absicht zu erkennen gäben«, sich in eine der Fallen Mathias Van Guitt’s fangen zu lassen.
Während der nächsten Tage herrschte geradezu abscheuliches Wetter. Wir mußten wohl oder übel im Steam-House bleiben. Unsere Zeit war kurz, denn schon währte die Regenperiode über drei Monate, und wenn unser Reiseprogramm in der von Banks entworfenen Weise durchgeführt werden sollte, hatten wir für den Aufenthalt im Sanatorium nur etwa noch sechs Wochen übrig.
Am 23. Juli wiederholten einige Bergbewohner von der Grenze ihren Besuch bei Oberst Munro. Ihr Dorf, Souari mit Namen, befand sich nur fünf Meilen von unserem Halteplatze, nahe der obersten Grenze von Tarryani.
Einer derselben theilte uns mit, daß eine Tigerin seit sechs Wochen in ihrer Nachbarschaft furchtbar wüthe. Die Heerden wurden fast decimirt und man sprach schon davon, das unbewohnbar gewordene Souari gänzlich zu verlassen, da es weder für Thiere noch für Menschen hinlängliche Sicherheit mehr bot. Fallen, Schlingen, Hinterhalte, nichts hatte Erfolg gehabt, und die Tigerin galt schon für eines der furchtbarsten Raubthiere, von denen auch alte Bergbewohner je reden gehört.
Diese Mittheilung war, wie man sich leicht denken kann, Wasser auf Kapitän Hod’s Mühle. Er erbot sich gegenüber den Landleuten sofort, sie nach dem Dorfe Souari zu begleiten, mit seiner Erfahrung als Jäger und seinem sicheren Auge den wackeren Leuten beizuspringen, die, wie mir dünkte, auf dieses Anerbieten rechneten.
»Gehen Sie mit, Maucler? fragte mich Kapitän Hod, aber in einem Tone, der es mir völlig freistellte, ja oder nein zu sagen.
– Natürlich, gab ich zur Antwort, bei einer so interessanten Expedition möchte ich nicht fehlen.
– Auch ich werde Sie diesesmal begleiten, sagte der Ingenieur.
– Das ist ja ein herrlicher Gedanke, Banks.
– Ja, lieber Hod, es verlangt mich danach, Sie in Thätigkeit zu sehen.
– Und ich, soll ich nicht mit dabei sein, Herr Kapitän? fragte Fox.
– Ah, der Schlaukopf! rief der Kapitän, er wäre nicht böse darüber, seine halbe Tigerin voll zu machen!
– Ja wohl, Fox, Du wirst dabei sein!«
Da wir das Steam-House voraussichtlich auf drei bis vier Tage verließen, fragte Banks auch den Oberst, ob es ihm Recht sei, uns bis nach Souari zu begleiten.
Sir Edward Munro lehnte das dankend ab. Er hatte sich vorgenommen, während unserer Abwesenheit die mittlere über Tarryani gelegene Zone des Himalaya zu besuchen und Goûmi nebst dem Sergeanten Mac Neil mitzunehmen.
Banks beruhigte sich damit.
Es wurde nun bestimmt, daß wir noch an demselben Tage nach dem Kraal aufbrechen und uns von Mathias Van Guitt einige Chikaris erbitten wollten, welche gewiß sehr ersprießliche Dienste leisten konnten.
Binnen einer Stunde, gegen Mittag, erreichten wir unser Ziel. Der Händler wurde von dem Vorhaben unterrichtet. Er verhehlte keineswegs seine geheime Befriedigung, als er von den kühnen Raubzügen der Tigerin hörte, »welche, sagte er, dazu geschaffen scheine, bei den Kennern die Achtung vor den Katzen der Halbinsel zu erhöhen«.
Er stellte uns drei seiner Hindus zur Verfügung, ohne Kalagani, der stets bereit war, wo es galt, einer Gefahr entgegen zu gehen.
Mit Kapitän Hod traf Jener nur das Abkommen, daß die Tigerin, wenn sie unerwarteter Weise sollte lebendig gefangen werden können, der Menagerie Mathias Van Guitt’s angehöre. Welches Zugmittel, wenn eine an den Balken des Käfigs hängende Notiz in beredten Worten gesprochen hätte, »von den Großthaten einer der Königinnen Tarryanis, die nicht weniger als hundertachtunddreißig Personen beiderlei Geschlechts aufgefressen hatte«.
Unsere kleine Gesellschaft verließ den Kraal gegen zwei Uhr Nachmittags. Vor vier Uhr noch gelangten wir, eine östliche Richtung bergaufwärts einhaltend, ohne Zwischenfall nach Souari.
Hier war der Schrecken auf seinem Höhepunkt. Am nämlichen Morgen hatte die Tigerin ein unglückliches Hinduweib, das sich unbedachtsam nach einem Bache begeben, gepackt und in den Wald geschleppt.
Das Haus eines Bergbewohners, eines reichen englischen Bodenpächters, nahm uns gastfrei auf. Unser Wirth hatte mehr als alle Anderen Ursache, sich über das unergreifbare Raubthier zu beklagen, dessen Fell er gern mit einigen Tausend Rupien bezahlt hätte.
»Herr Kapitän Hod, begann er, vor mehreren Jahren zwang eine Tigerin in den Centralprovinzen die Bewohner von dreizehn Dörfern zur Flucht, wodurch zweihundertfünfzig Quadratmeilen des besten Bodens ungenutzt liegen blieben. Wenn das hier so fort geht, wie in der letzten Zeit, muß die ganze Provinz aufgegeben werden.
– Und Sie haben schon alle Mittel versucht, der Tigerin habhaft zu werden? fragte Banks.
– Alle, Herr Ingenieur, Fallen, Gruben, selbst mit Strychnin vergiftete Köder! Nichts hat Erfolg gehabt!
– Lieber Freund, sagte Kapitän Hod, ich verspreche zwar nicht bestimmt, daß wir Ihnen Vergeltung schaffen, aber daß wir Alles thun werden, was in unseren Kräften steht!«
Sobald wir in Souari vollständig untergebracht waren, wurde noch für denselben Tag ein Treibjagen verabredet. Uns, unseren Leuten und den Chikaris aus dem Kraal schlossen sich etwa zwanzig Landleute an, welche das Terrain, auf dem wir operiren wollten, gründlich kannten.
Obwohl Banks nichts weniger als Jäger war, schien dieser Ausflug doch sein Interesse zu erregen.
Während der drei Tage des 24., 25. und 26. Juli durchstreiften wir weite Strecken des Gebirges ganz erfolglos, außer daß zwei Tiger, an die man gar nicht gedacht, der Kugel des Kapitäns erlagen.
»Den fünfundvierzigsten!« begnügte sich Hod anzumelden, ohne darauf besonderes Gewicht zu legen.
Am 27. endlich verrieth die Tigerin ihre Gegenwart durch eine neue Uebelthat. Ein unserem Wirthe gehöriger Büffel verschwand von einer Weide dicht neben Souari, und eine Viertelmeile vom Dorfe fand man nur wenig Ueberreste von demselben wieder. Die Frevelthat – ein Mord mit Vorbedacht, würde ein Jurist sagen – war offenbar vor Tagesanbruch geschehen. Der Mörder konnte nicht fern sein.
War der eigentliche Urheber jenes Verbrechens aber wirklich jene schon so lange vergeblich gesuchte Tigerin?
Die Hindus aus Souari hegten darüber keinen Zweifel.
»Das ist mein Onkel gewesen, es kann kein anderer gewesen sein, der den Streich verübt hat!« erklärte einer der Bergbewohner.
Mein Onkel! So bezeichnen die Hindu nämlich im größten Theile der Halbinsel den Tiger ganz allgemein. Es kommt das daher, daß sie die Seele eines ihrer Vorfahren in dem Körper eines Mitglieds der Katzenfamilie vermuthen.
Hier hätten sie freilich richtiger sagen sollen: Das ist meine Tante!
Sofort wurde der Entschluß gefaßt, dem Thiere vor Einbruch der Nacht nachzuspüren, weil jenes sich im Dunklen jeder Nachstellung leichter zu entziehen vermochte. Jetzt mußte es stark gesättigt sein und verließ seinen Schlupfwinkel unter zwei bis drei Tagen voraussichtlich nicht wieder.
Wir brachen also auf. Von der Stelle, wo der Büffel geraubt worden war, bezeichneten Blutspuren den von der Tigerin eingeschlagenen Weg. Diese Spuren führten nach einem kleinen Gehege, das freilich schon mehrmals abgesucht worden war, ohne etwas darin zu finden. Jetzt sollte das Dickicht dadurch umzingelt werden, daß man einen Kreis bildete, aus dem das Thier wenigstens nicht ohne gesehen zu werden, entwischen konnte.
Die Einwohner stellten sich in der Weise auf, daß sie nach und nach durch Verengerung des Kreises dem Mittelpunkte näher kamen. Kapitän Hod, Kâlagani und ich, wir befanden uns auf der einen Seite, Banks und Fox auf der anderen, immer aber in einer Stellung, um mit den Leuten aus dem Kraal und jenen aus dem Dorfe Fühlung zu behalten. Offenbar war jeder Punkt des Ringes mit gleicher Gefahr bedroht, da Niemand wissen konnte, wohin die Tigerin ausbrechen würde. Daß das Thier sich in dem Wäldchen befand, stand außer Zweifel. Die Spuren, welche an einer Seite des Gehölzes ausliefen, waren nirgends anders wieder aufzufinden. Man konnte eben nicht behaupten, ob hier sein gewöhnliches Lager war, da man den Ort schon wiederholt vergeblich durchsucht hatte; für den Augenblick sprachen jedoch alle Voraussetzungen dafür, daß es sich in dem Wäldchen verborgen hielt.
Es war jetzt gegen acht Uhr Morgens. Nachdem alle Maßregeln getroffen, gingen wir langsam, geräuschlos vorwärts, indem wir den einschließenden Ring enger zusammenzogen. Eine halbe Stunde später stießen wir auf die Linie der ersten Bäume.
Bis jetzt regte sich nichts; nichts verrieth die Anwesenheit des Raubthieres, und ich fragte mich schon, ob wir uns nicht ganz zwecklos abmühten.
Augenblicklich konnte man nur Diejenigen sehen, welche ein sehr beschränktes Stück des Bogens einnahmen, und doch lag sehr viel daran, ganz gleichmäßig vorzudringen.
Aus diesem Grunde waren wir übereingekommen, daß der zuerst in den Wald Eindringende einen Gewehrschuß als Signal abgeben sollte.
Dieses Signal erfolgte durch Kapitän Hod, der immer voraus war, und wir drangen durch den Waldrand ein. Ich sah nach meiner Uhr; sie zeigte acht Uhr fünfunddreißig Minuten.
Nach einer weiteren Viertelstunde war der Kreis so eng geworden, daß wir uns fast mit den Ellenbogen berührten, und nun hielt Alles vor der dichtesten Mitte des Gehölzes an – aber noch hatte sich nichts gezeigt.
Das rings herrschende Schweigen unterbrach nur das Knacken dürrer Aeste, die trotz aller Vorsicht doch zuweilen zertreten wurden.
Da ließ sich ein dumpfes Geheul vernehmen.
»Dort steckt die Bestie!« rief Kapitän Hod und zeigte nach dem Eingange einer Felsenhöhle, über der sich eine Gruppe hoher Bäume erhob.
Kapitän Hod täuschte sich nicht. Mochte das auch nicht der gewöhnliche Schlupfwinkel der Tigerin sein, so hatte sie doch, als sie sich von einer großen Gesellschaft von Jägern verfolgt sah, darin Schutz gesucht.
Hod, Banks, Fox, Kâlagani und einige Leute aus dem Kraal hatten sich dem engen Eingang genähert, zu dem auch einzelne Blutspuren hinführten.
»Wir werden da hineindringen müssen, sagte Kapitän Hod.
– Das dürfte gefährlich werden, meinte Banks, der Erste, welcher hinein kommt, könnte ohne schwere Verwundung kaum davonkommen.
– Ich wag’s, rief Hod, nachdem er sich überzeugt, daß seine Büchse gut in Stand war.
– Nach mir, Herr Kapitän, erklärte Fox, der sich schon zu der engen Oeffnung der Höhle niederbog.
– Nein, Fox, nimmermehr! rief Kapitän Hod, der kommt mir zu!
– Aber, Herr Kapitän, entgegnete Fox in sanftem Tone, ich bin ja um sechs im Rückstand!« ….
Beide hatten in dem Augenblicke nur die Liste der erlegten Tiger im Kopfe.
»Ihr werdet weder der Eine noch der Andere da hinein gehen, fiel jetzt Banks ein; das lasse ich nimmer zu!
– Vielleicht giebt es noch ein anderes Mittel, unterbrach Kâlagani den Ingenieur.
– Und welches?
– Nun, wir räuchern die Höhle aus, antwortete der Hindu. Das Thier muß dann zum Vorschein kommen. Wir laufen dabei weniger Gefahr und können es draußen leichter erlegen.
– Kâlagani hat Recht, sagte Banks …. Wohlan, Leute, schafft trockenes Holz und dürres Laub herbei! Stopft mir die Oeffnung gut zu. Der Wind wird Rauch und Flammen nach innen treiben, dann muß sich die Bestie entweder rösten lassen oder zu entfliehen suchen.
– Die Tigerin wird das Letztere wählen, meinte der Hindu.
– Nach Belieben, versetzte Hod, wir werden zur Hand sein, sie im Vorübergehen zu begrüßen!«
Sofort wurde nun Laubwerk, vertrocknetes Gras, dürres Holz – daran fehlte es in dem Wäldchen nicht – kurz, ein großer Haufen von brennbarem Material vor der Oeffnung der Höhle aufgestapelt.
Im Innern derselben blieb noch Alles still. Nichts zeigte sich in dem dunklen Schlunde, der ziemlich tief zu sein schien. Doch hatten mich meine Ohren nicht betrogen. Das Geheul kam bestimmt von hier heraus.
Jetzt zündete man Feuer an. Bald stand Alles in lichten Flammen. Ein scharfer, dichter Qualm stieg von dem Brandherd empor, den der Wind zurücktrieb und der die Luft im Innern völlig unathembar machen mußte.
Da hörte man ein zweites, aber weit wüthenderes Geheul. Das Thier merkte, daß auch sein letzter Schlupfwinkel angegriffen wurde, und um nicht zu ersticken, mußte es wohl oder übel nach außen durchbrechen.
Wir warteten, längs der Seitenwand des Felsens aufgestellt und halb gedeckt durch Baumstämme, um dem ersten Ansturm auszuweichen.
Der Kapitän hatte sich einen anderen Platz erwählt, und ich muß gestehen, gerade den gefährlichsten. Dieser befand sich am Eingang zu einem Stege in dem Gehölz, dem einzigen, den die Tigerin einschlagen mußte, wenn sie durch das Dickicht entfliehen wollte. Hod kniete auf der Erde, um einen sicheren Standpunkt zu haben, und hatte die Büchse schon im Anschlag liegen; der ganze Mensch war unbeweglich wie Marmor.
Kaum drei Minuten verflossen seit der Anzündung des Holzhaufens, als ein drittes Geheul, oder diesmal vielmehr ein halb ersticktes Röcheln aus der Mündung der Höhlung heraustönte. Plötzlich wurde der brennende Haufen auseinandergerissen und ein riesiger Körper erschien in dem dicken Rauche.
Es war die gesuchte Tigerin.
»Feuer!« rief Banks.
Zehn Flintenschüsse krachten, wir überzeugten uns aber später, daß keine Kugel ordentlich getroffen hatte. Das Thier trat uns gar zu schnell vor die Augen. Wie hätte man auch bei den schwarzen Rauchwirbeln, die es verhüllten, richtig zielen können!
Die Tigerin berührte nach ihrem ersten Satze nur die Erde, um zu einem zweiten auszuholen und nach dem Dickicht zu stürzen.
Kapitän Hod erwartete das Raubthier mit größter Kaltblütigkeit, und indem er es gleichsam im Fluge auf’s Korn nahm, jagte er demselben eine Kugel entgegen, welche es freilich nur an einer Schulter verwundete.
Mit der Schnelligkeit eines Blitzes hatte die Tigerin sich auf unseren Freund geworfen, ihn zu Boden gestreckt und wollte ihm eben den Kopf mit einem furchtbaren Tatzenschlage zerschmettern ….
Da sprang Kâlagani hinzu, ein langes Messer in der Faust.
Der Aufschrei, der uns entfuhr, war noch nicht verhallt, als der muthige Hindu auf die Bestie losstürzte, diese gerade an der Kehle packte, als die rechte Tatze schon auf den Schädel des Kapitäns niederfallen sollte.
Gestört durch diesen unerwarteten Angriff, warf das Thier den Hindu durch eine Bewegung der Hüfte zu Boden und kehrte sich grimmig gegen diesen.
Kapitän Hod aber hatte sich mit einem Satze erhoben, ergriff das von Kâlagani verlorene Messer und bohrte es mit sicherer Hand der Katze tief in’s Herz.
Die Tigerin wälzte sich am Boden.
Höchstens fünf Minuten lang hatte die ganze aufregende Scene gewährt.
Kapitän Hod lag noch auf den Knieen, als wir zu ihm eilten. Kâlagani, an der Schulter blutend, erhob sich eben wieder.
»Bag mahryaga! Bag mahryaga!« rief der Hindu, was so viel bedeutete als: Die Tigerin ist todt!
Ja wohl, sie war todt! Welch‘ herrliches Thier! Zehn Fuß lang von der Schnauze bis zur Schwanzspitze, der Körper in passendem Verhältniß, mit ungeheueren, mit langen Krallen bewehrten Tatzen, die auf der Mühle des Schleifers zugeschärft schienen.
Während wir das Raubthier bewunderten, überhäuften es die Hindus, ihrem berechtigten Grolle Luft machend, mit Schmähungen aller Art. Kâlagani hatte sich dem Kapitän genähert.
»Ich danke, Herr Kapitän! sagte er.
– Was hast Du zu danken? erwiderte der Kapitän, ich, lieber Freund, stehe in Deiner Schuld.
Ohne Deine Hilfe wäre es um einen der Kapitäne der ersten Schwadron von den Carabiniers der königlichen Armee geschehen gewesen!
– Ohne Sie wäre ich jetzt todt! antwortete kühl der Hindu.
– Aber, alle Wetter, sprangst Du nicht mit dem Messer in der Hand auf die Tigerin zu, als sie mir eben die Hirnschale einhämmern wollte?
– Sie haben ihr aber den Todesstoß gegeben, Herr Kapitän; sie bildet ihren siebenundvierzigsten!
– Hurrah! Hurrah! schrieen die Hindus. Hurrah dem Kapitän Hod!«
Der Kapitän war allerdings berechtigt, diese Tigerin auf sein Conto zu schreiben, aber er dankte auch Kâlagani durch einen warmen Händedruck.
»Kommt mit nach dem Steam-House, wandte sich Banks an Kâlagani. Euere Schulter ist durch einen Tatzenschlag zerrissen; in unserer Reise-Apotheke werden wir hoffentlich Mittel finden, diese Wunde zu heilen!«
Kâlagani verneigte sich zustimmend, und nachdem wir von den Bergbewohnern, welche uns mit Dankesbezeigungen überschütteten, Abschied genommen, begaben wir uns wieder nach dem Sanatorium zurück.
Die Chikaris verließen uns, um nach dem Kraal zu gehen. Auch diesesmal kehrten sie mit leeren Händen zurück, und wenn Mathias Van Guitt auf jene »Königin von Tarryani« gerechnet hatte, so blieb ihm nichts weiter übrig, als diese zu bedauern. Unter den gegebenen Verhältnissen war es wirklich unmöglich, dieselbe lebendig zu fangen.
Gegen Mittag trafen wir wieder bei dem Steam-House ein. Hier wartete unser eine unangenehme Überraschung. Zu unserem größten Bedauern waren Sir Edward Munro, Sergeant Mac Neil und Goûmi weggereist.
Ein an Banks gerichtetes Billet theilte diesem zur Beruhigung mit, Sir Edward Munro wolle, geleitet auch von dem Verlangen, einen Ausflug bis zur Grenze von Nepal vorzunehmen, dabei gewisse Zweifel, welche noch über die Genossen Nana Sahib’s herrschten, aufklären und er werde sicherlich zurück sein, bevor die Zeit für die Abfahrt aus dem Himalaya herankäme.
Bei der Vorlesung dieser Zeilen schien es mir, als ob Kâlagani eine halb ärgerliche Bewegung machte.
Weshalb diese Bewegung? Ich täuschte mich wahrscheinlich.