Drittes Capitel.
Der Kraal.
Der Tod des armen Teufels erregte, vorzüglich bei den Umständen, unter denen er erfolgte, unsere innigste Theilnahme, doch der Biß der Peitschenschlange, der giftigsten der ganzen Halbinsel, schont einmal nicht. Es war nur ein weiteres Opfer zu den Tausenden, welche jenen furchtbaren Reptilien jährlich in Indien erliegen.1
Man hat – jedenfalls nur scherzweise – behauptet, daß es auf Martinique früher keine Schlangen gegeben habe und die Engländer solche nur dahin gebracht hätten, als sie die genannte Insel an Frankreich ausliefern mußten. Den Franzosen fehlte jede Veranlassung zu solchen Repressalien, als sie ihre Erwerbungen in Indien aufgaben. Sie wären unnütz gewesen, denn nach dieser Seite hin hatte schon die Natur sich wahrhaft verschwenderisch erwiesen.
Der Körper des Indiers ging unter dem Einflusse des Giftes rasch in Zersetzung über, so daß er ohne Zögern beerdigt werden mußte. Seine Kameraden unterzogen sich dieser Pflicht und er wurde in eine hinreichend tiefe Grube gelegt, um dem Ausscharren durch Raubthiere vorzubeugen.
Nach Beendigung der traurigen Ceremonie lud uns Mathias Van Guitt ein, ihn nach seinem Kraal zu begleiten – eine Einladung, welche von uns mit Vergnügen angenommen wurde.
Binnen einer halben Stunde erreichten wir den Lagerplatz des Händlers, welcher den Namen eines »Kraals« vollkommen rechtfertigte, während man diesen sonst nur auf die Ansiedlungen im südlichen Afrika angewendet findet.
Jener bestand aus einer geräumigen, länglichen Einzäunung tief im Walde und in der Mitte einer größeren Lichtung. Mathias Van Guitt hatte denselben den Bedürfnissen seines Geschäftes anzupassen gewußt. Auf allen vier Seiten umschloß ihn eine Palissadenwand mit einem hinreichend weiten Thore, um seine Wagen durchzulassen. In der Mitte des Hintergrundes diente eine lange, aus Baumstämmen und Planken roh gezimmerte Hütte als Wohnstätte für alle Insassen des Kraals. Sechs, in mehrere Einzelzellen abgetheilte Käfige auf vierrädrigen Gestellen schlossen sich rechtwinklich an das linke Ende der Umplankung an. Das Gebrüll aus denselben verrieth, daß sie nicht leer waren. Rechts lagerten etwa ein Dutzend Büffel im Freien und weideten die fetten Bergwiesen ab. Diese bildeten die gewöhnlichen Zugthiere der beweglichen Menagerie. Sechs Büffeltreiber, welchen die Führung der Wagen oblag, und zehn mit der Jagd auf Raubthiere vorzüglich vertraute Hindus bildeten das Personal der Niederlassung.
Die Büffeltreiber waren nur für die Dauer der Jagdzeit gemiethet. Ihre Beschäftigung bestand darin, die Karren mit den Käfigen nach den Jagdgründen zu fahren und dieselben dann nach der nächsten Eisenbahnstation zu schaffen. Hier verlud man die Karren auf Trucks und beförderte sie in kurzer Zeit nach Allahabad, Bombay oder Calcutta.
Die Hindujäger gehörten zu den Leuten, welche man allgemein »Chikaris« nennt. Sie suchen die Spuren der Raubthiere, treiben diese auf und fangen sie mit großer Geschicklichkeit ein.
Das war die Mannschaft des Kraals. Mathias Van Guitt und seine Leute bewohnten denselben schon seit mehreren Monaten. Sie waren hier freilich ebenso den Ueberfällen wilder Thiere, wie dem Fieber ausgesetzt, das besonders in Tarryani herrscht. Die Feuchtigkeit der Nächte, die Ausdünstung schädlicher Bodenfermente und die feuchte Hitze unter dem dichten Laubgewölbe, das die Sonnenstrahlen nur wenig durchdrangen, machen die untere Zone des Himalaya zu einer ungesunden Gegend.
Der Händler und die Hindus waren hier jedoch so vortrefflich acclimatisirt, daß ihnen die »Malaria« nicht mehr schadete als den Tigern oder den Eingebornen von Tarryani. Wir hätten freilich nicht lange ungestraft in dem Kraal verweilen dürfen. Das lag auch gar nicht in Kapitän Hod’s Plan. Wir wollten nur einige Nächte auf den Anstand gehen und dann nach dem Steam-House in die höhere Zone zurückkehren, welche die Ausdünstungen der Ebene nicht mehr erreichen.
An dem Lagerplatz Mathias Van Guitt’s angelangt, öffnete sich uns das Thor zu demselben.
Mathias Van Guitt schien unser Besuch sehr zu schmeicheln.
»Jetzt, meine Herren, begann er, gestatten Sie mir, die Pflichten des Wirthes zu erfüllen. Diese Niederlassung entspricht allen Anforderungen meiner Kunst. Sie ist freilich nicht viel mehr als eine große Hütte, wie sie die Jäger der Halbinsel einen »Houddi« zu nennen pflegen.«
Während dieser Anrede hatte der Händler die Thüren der Wohnstätte geöffnet, welche er mit seinen Leuten theilte. Alles darin war höchst einfach. Ein erstes Zimmer – wenn man ihm diesen Namen geben darf – für den Herrn; ein zweites für die Chikaris, ein drittes für die Wagenlenker; in jedem als einziges Mobiliar ein Feldbett; ein vierter Raum, der gleichzeitig als Küche und Speisezimmer diente – man sieht, daß Mathias Van Guitt’s Wohnung wirklich sehr dürftig war und die Bezeichnung als Houddi mit Recht verdiente. Wir hatten eine größere Hütte vor uns, weiter nichts.
Nachdem wir die Wohnung »dieser zur ersten Classe der Säugethiere gehörenden Zweihänder« im Augenschein genommen, lud man uns ein, nun auch den Aufenthaltsort der Vierfüßler zu besichtigen. Das war unbestreitbar der interessanteste Theil des Kraals. Die Einrichtung erinnerte mehr an eine wandelnde Menagerie als an die bequemen und eleganten Behälter eines Zoologischen Gartens. In der That fehlten hier nur die in Wasserfarben gemalten und am bunten Gerüst aufgehängten Bilder, welche in greller Colorirung einen Thierbändiger in rosafarbenen Tricots und Sammtwamms inmitten einer umherspringenden Horde von Bestien darstellen, welche sich mit blutigem Maule und drohenden Krallen unter der Peitsche eines heroischen Bidel oder Pezon krümmen. Freilich mangelte es auch an Publikum für den Zuschauerraum.
Einige Schritte davon lagen die zahmen Büffel. Sie befanden sich zur rechten Hand, in einer besonderen Abtheilung des Kraals, wo man ihnen neben dem Futter, welches der Boden lieferte, noch täglich eine gewisse Menge frisches Gras vorlegte. Es wäre unthunlich gewesen, sie auf benachbarten Weideplätzen ganz frei herumlaufen zu lassen. Wie Mathias Van Guitt sich gewählt ausdrückte, »war diese Hütungsfreiheit, welche in den Clans des Vereinigten Königreichs angebracht ist, gänzlich unvereinbar mit den Gefahren in den Wäldern des Himalaya«.
Die eigentliche Menagerie umfaßte sechs Käfige auf vierrädrigen Gestellen. Jeder an der Vorderseite mit Eisenstäben vergitterte Kasten zerfiel in drei Zellen. Durch Thüren, oder vielmehr von unten nach oben bewegliche Schieber konnte man je nach Bedarf die Thiere aus einer Zelle in die andere treiben. Diese Käfige enthielten zur Zeit sieben Tiger, zwei Löwen, drei Panther und zwei Leoparden.
Mathias Van Guitt erklärte uns, daß sein Stock erst vollzählig sei, wenn er noch zwei Leoparden drei Tiger und einen Löwen gefangen habe. Dann gedachte er den Lagerplatz zu verlassen, nach der nächsten Eisenbahnstation zu ziehen und sich nach Bombay zu wenden.
Die Thiere, welche man in den Käfigen bequem beobachten konnte, waren prächtige Exemplare, aber offenbar sehr wild. Sie befanden sich noch zu kurze Zeit in der Gefangenschaft, um dieser beschränkten Lebensweise gewohnt zu sein. Das bewies ebenso ihr entsetzliches Gebrüll, wie das unermüdliche Hin- und Herlaufen von einer Scheidewand zur andern und das Schlagen gegen die Gitter, welche vielfach verbogen waren.
Als wir vor die Käfige traten, verdoppelte sich nur ihre Wuth, ohne daß Mathias Van Guitt darauf weiter zu achten schien.
»Arme Thiere!« sagte Kapitän Hod,
»Arme Thiere!« wiederholte der getreue Fox.
»Glauben Sie denn, diese hier seien mehr zu beklagen als jene, welche Sie tödten?« fragte der Händler im trockenen Tone.
»Weniger zu beklagen als zu tadeln ….. daß sie sich fangen ließen!« erwiderte Kapitän Hod.
Wenn es zutrifft, daß die Raubthiere in Ländern wie Afrika – wo Wiederkäuer, ihre gewöhnliche Nahrung, nur seltener vorkommen – manchmal lange Zeit fasten müssen, so ist das in den Gefilden von Tarryani keineswegs der Fall. Hier tummeln sich in Menge die Bisonochsen, Büffel, Zebus, Eber und Antilopen, welchen Löwen, Tiger und Panther unablässig nachstellen. Außerdem bieten ihnen Ziegen und Schafe, ganz abgesehen von den »Raiots« (Bauern), welche jene hüten, eine sichere und bequeme Beute. In den Wäldern des Himalaya können jene ihren Hunger hinreichend stillen. Ihre Wildheit, welche sie trotzdem niemals ablegen, findet hier also keinen Entschuldigungsgrund.
Die Insassen seiner Menagerie fütterte der Händler in der Hauptsache mit Bison- und Zebufleisch, welches die Chikaris an gewissen Tagen herbeizuschaffen hatten.
Man würde sich täuschen, zu glauben, daß eine solche Jagd gefahrlos sei. Im Gegentheil. Selbst der Tiger hat den wilden Büffel, ein furchtbares Thier, wenn es verwundet wurde, zu fürchten. Schon mancher Jäger hat es erleben müssen, wie ein Büffel den Baum, auf den er sich geflüchtet, mit den Hörnern entwurzelte. Wohl sagt man, das Auge des Wiederkäuers sei gleich einer Linse, welche alle Gegenstände in dreifacher Vergrößerung erscheinen lasse, und der Mensch imponire ihm deshalb wegen seiner riesigen Gestalt. Auch die aufrechte Haltung soll die Thiere erschrecken, so daß man immer besser thue, ihnen stehend entgegenzutreten, als gekrümmt oder liegend.
Ich weiß nicht, wie viel Wahres hieran ist, sicherlich aber äußert der Anblick des Menschen, wenn er sich auch noch so hoch aufrichtet, auf den wilden Büffel keinerlei Wirkung, und jener ist so gut wie verloren, wenn er keine Waffen zur Hand hat.
Ganz ebenso verhält es sich mit dem indischen Bison mit kurzem, fast viereckigem Kopfe, schlanken, an der Wurzel abgeplatteten Hörnern, höckrigem Rücken – eine Bildung, welche ihn seinem amerikanischen Stammverwandten nähert – und von Fuß bis zum Knie weißen Füßen, dessen Länge vom Schwanz bis zur Spitze der Schnauze zuweilen vier Meter beträgt. Ist derselbe auch, in Gesellschaft im fetten Grase der Ebene werdend, weniger wild, so wird er dem Jäger, der ihn unkluger Weise angreift, doch immer furchtbar.
Mit dem Fleische der Wiederkäuer ernährte Van Guitt also die Raubthiere seiner Menagerie. Um dieselben sicherer und gefahrloser zu fangen, suchten sie die Chikaris in Fallen zu locken, aus denen sie gewöhnlich todt herausgeschafft werden.
Der Händler, ein Mann, der seine Sache verstand, vertheilte die Nahrung nur sehr sparsam unter seine Gefangenen. Einmal täglich, zu Mittag, erhielten sie vier bis fünf Pfund Fleisch, weiter nichts. Dazu ließ er sie – gewiß nicht aus kirchlichen Gründen – vom Sonnabend bis Montag regelmäßig fasten. Wahrlich, das war ein trauriger, magerer Sonntag für sie! Wurde ihnen dann nach Ablauf von achtundvierzig Stunden aber der schmale Bissen zugetheilt, da entwickelte sich ein unbeschreiblich wildes Leben, ein entsetzliches Geheul, da sprangen die Bestien hin und her, daß die rollenden Käfige sich bewegten und man fürchten mußte, diese in Stücke gehen zu sehen.
Ja, die armen Thiere! war man versucht mit Kapitän Hod zu rufen. Mathias Van Guitt hatte jedoch seine guten Gründe, so zu verfahren. Diese Enthaltsamkeit im Gefängniß ersparte seinen Thieren gewisse, sonst leicht auftretende Hautkrankheiten und erhöhte ihren Verkaufswerth auf den Märkten Europas.
Man wird sich leicht vorstellen können, daß Mathias Van Guitt’s Sprachwerkzeuge, während er uns seine Thiere mehr als Naturforscher denn als Schausteller zeigte, nicht gerade feierten. Im Gegentheil. Er plauderte, schilderte, erzählte, und da die Raubthiere Tarryanis den Hauptgegenstand seiner etwas weitschweifigen Redesätze bildeten, hatten sie für uns doch ein gewisses Interesse. Wir sollen auch den Kraal nicht eher verlassen, als bis uns von der Zoologie des Himalaya kein Geheimniß mehr übrig blieb. »Aber sagen Sie mir, Herr Mathias Van Guitt,« fragte Banks, »wirft Ihr Geschäft wirklich so viel ab, daß es die damit verbundenen Gefahren aufwiegt?«
»In früherer Zeit,« antwortete der Händler, »gab es einen recht guten Ertrag. Seit einigen Jahren freilich, muß ich gestehen, sind die Raubthiere im Preise sehr gesunken. Sie können sich durch die neuesten Preiscourante leicht überzeugen. Unser Hauptmarkt ist der Zoologische Garten von Antwerpen, Vögel, Schlangen, Affen und eidechsenartige Reptilien, Raubthiere aus der Alten und Neuen Welt, dahin befördere ich ‚fachgewohnheitsmäßig‘ ….«
Kapitän Hod verbeugte sich bei diesem Worte.
»…… die Beute unserer abenteuerlichen Jagdzüge in den Wäldern der Halbinsel. Leider scheint der Geschmack des Publikums zu wechseln, und die Verkaufspreise werden bald niedriger stehen als die Beschaffungsunkosten. Kürzlich ist z.B. ein männlicher Strauß für elfhundert Francs verkauft worden, und das Weibchen brachte gar nur achthundert. Ein schwarzer, weiblicher Panther fand nur zu sechzehnhundert Francs einen Abnehmer, eine javanische Tigerin zu zweitausendvierhundert, und eine große Löwenfamilie – der Vater, die Mutter, ein Onkel und zwei hoffnungsvolle junge Löwen – zu siebentausend Francs zusammen.«
»Das ist freilich so gut wie nichts!« meinte Banks.
»Was die Proboscidien betrifft ….« fuhr Mathias Van Guitt fort.
»Proboscidien?« fragte Kapitän Hod.
»Ja, mit diesem wissenschaftlichen Namen bezeichnen wir die Pachydermen, welche die Natur mit einem Rüssel ausstattete.«
»Also die Elephanten.«
»Ja wohl, die Elephanten der quaternären Periode, die Mastodons der vorhistorischen Zeiten ….«
»Ich danke verbindlichst,« fiel Kapitän Hod ein.
»Was die Proboscidien also angeht,« nahm Mathias Van Guitt den Faden seiner Rede wieder auf, »so muß man von deren Fang jetzt fast ganz absehen, außer wo es sich um die Gewinnung ihrer Zähne handelt, denn der Elfenbeinconsum hat sich nicht vermindert. Seitdem aber die am Ende ihres Latein angelangten dramatischen Autoren angefangen haben, jene in ihren Theaterstücken vorzuführen, reisen die Impresarios damit von Stadt zu Stadt, und ein einziger Elephant, der mit der wandernden Gesellschaft die Provinzen durchzieht, genügt, die Neugier eines ganzen Landes zu befriedigen. Elephanten sind jetzt auch weit weniger gesucht als früher.«
»Aber liefern Sie diese Vertreter der indischen Fauna,« fragte ich da, »nur in die Menagerien von Europa?«
»Sie verzeihen,« erwiderte Mathias Van Guitt, »wenn ich, ohne besonders neugierig zu sein, erst eine bescheidene Frage an Sie richte.«
Ich verbeugte mich zustimmend.
»Sie sind Franzose, mein Herr,« begann der Händler. »Das erkennt man nicht allein an Ihrem Accent, sondern auch an Ihrem aus dem gallo-romanischen und keltischen gemischten Typus. Als Franzose nun werden Sie keine Vorliebe für weite Reisen haben und z.B. noch nicht um die Erde gekommen sein?«
Hierzu beschrieb Mathias Van Guitt mit den Händen einen weiten Kreis in der Luft.
»Ich hatte noch nicht das Vergnügen!« antwortete ich.
»Ich richte an Sie,« fuhr der Händler fort, »nicht die Frage, ob Sie nach Indien gekommen sind, denn Sie befinden sich ja ebenda, wohl aber die, ob Sie die indische Halbinsel gründlich kennen?«
»Nur zum Theile,« gestand ich. »Ich habe indeß Bombay, Calcutta, Benares, Allahabad und das Thal des Ganges besucht. Ich sah dabei die Baudenkmäler, bewunderte …..«
»Ah, was soll das bedeuten!« unterbrach mich Mathias Van Guitt, den Kopf abwendend, während er mit einem Zeichen der Hand seine Geringschätzung ausdrückte.
Dann ging er zur Hypotypose über, d.h. er begann mit lebhaften Redewendungen.
»Ja, was soll das bedeuten, wenn Sie die Menagerien der mächtigen Rajahs noch nicht kennen lernten, welche es sich angelegen sein lassen, die prächtigen Thiere, den Stolz und Schmuck Indiens, zu erhalten! O, dann nehmen Sie nur den Wanderstab wieder zur Hand! Gehen Sie nach Guicowar, um den König von Baroda ehrfurchtsvoll zu begrüßen! Bewundern Sie seine Menagerie, die den größten Theil ihrer Insassen an Löwen aus Kattyvar, an Bären, Panthern, Tchitas, Luchsen und Tigern meiner Person zu danken hat! Wohnen Sie einmal der Hochzeit der sechzigtausend Tauben bei, welche jedes Jahr mit großem Pompe gefeiert wird. Bewundern Sie die fünfhundert »Boulbouls«, die Nachtigallen der Halbinsel, auf deren Erziehung so viel Sorgfalt verwendet wird, als wären sie die Erben des Thrones! Sehen Sie sich die Elephanten an, von denen einer, als Vollstrecker der Todesurtheile, auf dem Hinrichtungsblocke den Kopf des Verdammten mit einem Fußtritte zermalmt! Dann begeben Sie sich nach den Anlagen des Rajah von Maisfour, des reichsten Souveräns von Asien. Besuchen Sie den Palast, in dem die Rhinocerosse, Elephanten, Tiger und Thiere von hohem Range, welche zur animalischen Aristokratie Indiens gehören, zu Hunderten vertreten sind. Wenn Sie das gesehen haben, mein Herr, dann wird man Sie wenigstens nicht mehr der völligen Unkenntniß der Wunder dieses unvergleichlichen Landes beschuldigen können!«
Ich erwiderte Mathias Van Guitt nur durch eine stumme Verbeugung. Seine leidenschaftliche Darstellungsweise schnitt ja von vornherein jede Discussion ab.
Kapitän Hod konnte es aber doch nicht unterlassen, einige, speciell die Fauna von Tarryani betreffende Fragen an jenen zu richten.
»Ich möchte Sie noch um einige Aufklärung über die Raubthiere bitten, die ich in diesem Theile Indiens aufzufinden hoffe. Da ich nur Jäger bin, werde ich Ihnen, Herr Van Guitt, keine Concurrenz machen, im Gegentheile, wenn ich mich bei dem Fange einiger Tiger, welche noch an Ihrer Sammlung fehlen, nützlich machen könnte, würde ich es gerne thun. Ist Ihre Menagerie aber vollzählig, so werden Sie es nicht übel deuten, wenn ich mir zum persönlichen Vergnügen mit der Vertilgung dieser Bestien die Zeit vertreibe!«
Mathias Van Guitt nahm die Haltung eines Mannes an, der sich in das Unvermeidliche fügt, das er nicht zu ändern vermag. Er gab übrigens auch zu, daß Tarryani eine große Menge schädlicher Thiere beherberge, nach welchen auf europäischen Märkten keine besondere Nachfrage herrsche, und deren Ausrottung ihm erlaubt erscheine.
»Schießen Sie die Eber, da habe ich nichts einzuwenden, antwortete er. Obschon diese Vertreter der Schweinefamilie keine Fleischthiere sind…….
– Keine Fleischthiere? bemerkte Kapitän Hod verwundert.
– Ich verstehe darunter, daß sie Herbivoren sind, so sind sie doch wild genug, um den Jäger, der sie kühn angreift, zu gefährden.
– Und die Wölfe?
– Ach, Wölfe giebt es auf der Halbinsel genug, und dazu sind sie, wenn sie sich in großer Zahl auf eine einsame Farm stürzen, nicht wenig zu fürchten. Die hiesigen gleichen ganz und gar dem wilden Wolfe Polens und für mich haben sie nicht mehr Werth als Schakals und wilde Hunde. Ich leugne übrigens keineswegs, daß sie mancherlei Verwüstungen anrichten, da sie aber keinen Handelswerth haben und nicht würdig sind, unter den höheren Classen der Zookraten zu figuriren, so überlasse ich diese Ihnen ebenfalls, Herr Kapitän.
– Wie steht es mit den Bären? fragte ich.
– O, die Bären haben ihre guten Seiten, erklärte der Händler mit zustimmendem Kopfnicken. Wenn die von Indien auch nicht so stark begehrt sind, wie einige andere Arten, so besitzen sie dennoch einen gewissen Handelswerth, der ihnen die wohlwollende Beachtung der Kenner sichert. Man kann zweifelhaft sein, welche der beiden Abarten man vorziehen soll, ob die aus den Thälern von Kaschmir, oder die aus den Berggegenden von Raymahal. Die Thiere sind aber, außer wenn sie im Winterschlafe gestört werden, ganz unschuldiger Natur und können eigentlich die cygenetischen Begierden eines wahren Jägers, wie ich einen solchen in der Person des Herrn Kapitän vor mir habe, nach keiner Seite erregen!«
Jetzt verneigte sich der Kapitän, obwohl man dabei erkannte, daß er bei solchen speciellen Fragen mit oder ohne Erlaubniß Mathias Van Guitt’s nur sein eigenes Urtheil zu Rathe ziehen werde.
»Uebrigens, nahm der Händler das Wort wieder auf, sind die Bären nur Botanophagen…..
– Botanophagen? sagte der Kapitän.
– Ja wohl, meinte Mathias Van Guitt, sie leben nur von Vegetabilien und haben nichts mit den wilden Raubthieren zu thun, deren sich die Halbinsel mit vollem Rechte rühmt.
– Rechnen Sie den Leoparden zu den Raubthieren? fragte Kapitän Hod.
– Ohne Widerrede. Diese Katze ist behend, kühn, muthig, erklettert die Bäume und wird dadurch manchmal fast gefährlicher als der Tiger….
– Oho, ließ Kapitän Hod sich vernehmen.
– Mein Herr, erwiderte Mathias Van Guitt, darauf sehr trockenen Tones, sobald ein Jäger nicht mehr sicher ist, in den Bäumen Zuflucht zu finden, kommt sehr bald die Reihe an ihn, gejagt zu werden!
– Und der Panther? fragte Kapitän Hod weiter, um die Belehrung kurz abzuschneiden.
– Das ist ein prächtiger Kerl, antwortete Mathias Van Guitt, und Sie können sich selbst überzeugen, welch‘ schönes Exemplar ich besitze! Wunderbare Thiere das, die in Folge eines seltsamen Widerspruches, einer Antilogie, um ein weniger gebräuchliches Wort zu verwenden, sogar selbst zur Jagd abgerichtet werden können! Gewiß, meine Herren, vorzüglich in Guicowar erziehen die Rajahs ihre Panther zu dieser vornehmen Passion. Man nimmt sie in einem Palakin mit hinaus, den Kopf verbunden wie ein Geier oder Lerchenfalke. Wahrlich, das sind richtige vierfüßige Falken. Sobald die Jäger einer Heerde Antilopen ansichtig werden, wird dem Panther seine Maske abgenommen und er stürzt sich auf die furchtsamen Wiederkäuer, deren schnelle Beine sie doch nicht vor seinen furchtbaren Tatzen retten können! Ja, ja, Herr Kapitän, so ist es! Panther werden Sie in Tarryani genug antreffen, vielleicht mehr, als Ihnen lieb ist; ich mache Sie aber freundschaftlich darauf aufmerksam, daß dieselben gewöhnlich keine Futtervorräthe haben…..
– Das hoffe ich wenigstens, sagte Hod.
– So wenig wie die Löwen, fügte der Händler, von dieser Antwort betroffen, hinzu.
– Ah, die Löwen! wiederholte Kapitän Hod, plaudern wir ein wenig von den Löwen!
– Nun, antwortete Mathias Van Guitt, meiner Ansicht nach stehen die hiesigen sogenannten Könige des Thierreiches weit unter ihren Stammverwandten im alten Libyen. Hier schmückt die männlichen Thiere nicht die stattliche Mähne, das Erbtheil des afrikanischen Löwen, im Gegentheile erscheinen sie mir wie kläglich geschorene Simsons! Aus Central-Indien sind sie auch gänzlich ausgewandert und haben sich nach Kattyawar nach der Wüste von Theil und nach Tarryani zurückgezogen. Diese entarteten Katzen leben jetzt als Eremiten, als Einsiedler und können kaum noch aus dem Umgang mit ihresgleichen frische Lebenskräfte schöpfen. Bei mir stehen sie auf der Stufenleiter der Vierfüßler auch keineswegs im ersten Rang. Ja, meine Herren, einem Löwen kann man entgehen, einem Tiger niemals!
– Ah, die Tiger! rief Kapitän Hod.
– Ja, die Tiger! wiederholte Fox.
– Dem Tiger allein gebührt die Krone! fuhr Mathias Van Guitt lebhafter werdend fort. Man spricht vom »Königstiger«, nicht vom Königslöwen, und das ist auch ganz richtig. Ihm gehört ganz Indien. War er nicht der erste Besitzer des Bodens? Ist er nicht berechtigt, nicht allein die angelsächsischen Eroberer, sondern auch die Kinder der Sonne als fremde Eindringlinge zu betrachten? Er allein ist ja das erste Kind des heiligen Bodens von Argavarta. Man begegnet diesen prächtigen Raubthieren auch auf der ganzen Halbinsel, und vom Cap Camorin bis zum Wall der Himalayaberge haben sie kein Stückchen Gebiet, das ihre Vorfahren inne hatten, verlassen!«
Mathias Van Guitt’s Arme beschrieben dazu, nachdem er zuerst ein Vorgebirge im Süden bezeichnet, eine ganze Reihe von Bergspitzen.
»In Sunderbund, fuhr er fort, sind sie vor Allem zu Hause! Da spielen sie die Herren, und wehe Dem, der ihnen dieses Gebiet streitig zu machen suchte! In den Nilgheries streifen sie in Massen umher, gleich wilden Katzen.
Si parva licet componere magnis!
Sie werden also begreifen, daß diese prächtigen Katzen auf den Märkten von Europa besonders gesucht sind. Welche Anziehung äußern die öffentlichen und privaten Menagerien durch den Tiger! Wann fürchten Sie für das Leben des Thierbändigers? Nur, wenn er den Käfig des Tigers betritt. Welches Thier bezahlen die Rajahs mit gleichem Gewichte an Gold zum Schmucke ihrer fürstlichen Gärten? Den Tiger! Wer erzielt den höchsten Preis an den zoologischen Börsen von London, Antwerpen und Hamburg? Der Tiger! Durch welche Art von Jagd erwerben sich die Jäger Indiens, die Officiere der königlichen oder der Natifs-Armee den höchsten Ruhm? Durch die Jagd auf den Tiger! Wissen Sie, meine Herren, welche Unterhaltung die unabhängigen Fürsten Indiens ihren Gästen bieten? Man sperrt einen Königstiger zunächst in einen Käfig. Der letztere wird inmitten einer weiten Ebene aufgestellt. Der Rajah, seine Gäste, Officiere und Leibwache sind alle mit Lanzen, Revolvern und Flinten bewaffnet, meist reiten sie auf flüchtigen Einhufern.
– Auf Einhufern? fiel Kapitän Hod ein.
– Nun ja, auf Pferden, wenn Sie dieses vulgäre Wort vorziehen. Schon da bäumen sich aber, beunruhigt durch die Nähe der Katze, ihre Ausdünstung und durch die Blitze, welche aus den Augen zucken, die Einhufer gewaltig und die Reiter haben alle Mühe, dieselben zu halten. Plötzlich wird die Thüre geöffnet. Das Ungeheuer stürzt heraus, es springt, fliegt, wirft sich auf vereinzelte Gruppen und bringt seiner Wuth ganze Hekatomben zum Opfer. Wenn es ihm auch zuweilen gelingt, den umschließenden Ring von Eisen und Feuer zu durchbrechen, so unterliegt es doch gewöhnlich – eines gegen Hundert! Jedenfalls stirbt es einen Tod, den es schon im voraus gerächt hat!
– Bravo, Herr Mathias Van Guitt, rief Kapitän Hod, der nun auch selbst wärmer wurde. Wahrlich, das muß ein herrliches Schauspiel sein! Ja, ja, der Tiger ist doch der König der Thiere!
–Ein König, der jede Empörung verachtet! fügte der Händler hinzu.
– Und wenn Sie solche gefangen haben, Herr Van Guitt, begann jetzt Kapitän Hod, so habe ich schon verschiedene erlegt, und ich hoffe stark, Tarryani nicht zu verlassen, bevor nicht der fünfzigste von meiner Hand gefallen ist.
– Herr Kapitän, erwiderte der Händler, die Stirn runzelnd, ich habe Ihnen die Eber, die Wölfe, Bären und Büffel überlassen. Befriedigt das Ihre Jagdlust noch nicht?«
Ich bemerkte, daß unser Freund Hod dieser heiklen Frage gegenüber nicht weniger in Feuer gerieth, als Mathias Van Guitt.
Hatte der Eine mehr Tiger gefangen, als der Andere getödtet? Welch‘ unerschöpflicher Redestoff. Was verdiente den Vorzug: jene einzufangen oder sie zu erlegen? Welches herrliche Thema!
Schon begannen Beide, der Kapitän und der Händler, kurze, flüchtige Sätze zu wechseln, und, gerade herausgesagt, zu gleicher Zeit zu reden, so daß Keiner den Andern verstehen konnte.
Banks versuchte eine Vermittlung.
»Die Tiger sind die Könige der Schöpfung, meine Herren, sagte er, darüber herrscht kein Zweifel, doch erlaube ich mir hinzuzufügen, daß es für ihre Unterthanen sehr gefährliche Herrscher sind. Im Jahre 1862, wenn ich nicht irre, haben diese prächtigen Katzen alle Telegraphenbeamten auf der Insel Sangor – aufgefressen. Man erzählt auch von einer Tigerin, daß sie binnen drei Jahren nicht weniger als hundertachtzehn Opfer verschlungen habe, und von einer anderen, welche in derselben Zeit gar hundertsiebenundzwanzig Menschen verzehrt habe! Das ist zu viel, selbst für Königinnen! Seit der Entwaffnung der Sipahis sind übrigens in einem Zeitraume von drei Jahren 12.554 Individuen unter den Zähnen der Tiger gefallen.
– Gewiß, mein Herr, antwortete Mathias Van Guitt, doch Sie scheinen ganz zu vergessen, daß diese Thiere Omophagen sind.
– Omophagen? warf Kapitän Hob ein,
– Ja, Rohfleischfresser, und die Hindus behaupten, daß jene, welche einmal Menschenfleisch gekostet haben, gar kein anderes mehr mögen!
– Nun, und was will das sagen? ….. fragte Banks.
– Ei, weiter nichts, erwiderte Mathias Van Guitt lachend, als daß sie eben ihrer Natur gehorchen! ….. Sie müssen doch Nahrung haben!«