Zweiunddreißigstes Kapitel.

»Und ich beschwöre euch,
Maßt des Gesetzes Macht euch selbst jetzt an;
Um großes Recht zu thun, ein wenig Unrecht selbst.«

Shakespeare.

 

Ismael wartete lange und geduldig, bis der langsame Zug Hartherzens verschwunden. Als sein Kundschafter verkündete, daß der letzte Nachzügler der Indianer, die sich mit ihrem Herrn vereinigt hatten, so bald er so weit vom Lager war, daß sie durch ihre Anzahl keinen Verdacht mehr erregten, hinter der entferntesten Anhöhe der Steppe sei, so ließ er den Befehl zum Abbruch der Zelte ergehen. Die Thiere waren schon an den Deichseln, und das Geräth war bald auf den verschiedenen Wagen an seinen gewöhnlichen Ort gebracht. Als alle diese Vorkehrungen getroffen waren, wurde der kleine Wagen, der so lange das Fuhrwerk von Inez gewesen, vor das Zelt gefahren, worin der empfindungslose Leib des Menschenhändlers niedergelegt worden, und augenscheinlich wurden Vorkehrungen zur Aufnahme eines andern Gefangenen getroffen. Da erschien Abiram, blaß, erschreckt, schwankend unter der Last seiner entdeckten Schuld, so daß jetzt erst die jüngern Glieder der Familie erfuhren, daß er noch zu der Classe der Lebenden gehöre. Eine allgemeine, abergläubische Meinung hatte sich unter ihnen verbreitet, sein Verbrechen sei durch eine furchtbare Vergeltung vom Himmel heimgesucht worden, und sie staunten ihn jetzt als ein Wesen an, das eher zu einer andern Welt gehörte, als zu den Sterblichen, das noch wie sie den letzten Todeskampf zu bestehen habe, ehe die große Kette des menschlichen Daseins gebrochen werden konnte. Der Verbrecher selbst erschien in einem Zustande, in welchem der gefühlteste, niederschlagendste Schreck sonderbar mit gänzlicher körperlicher Empfindungslosigkeit verbunden war. Die Sache war, während sein Körper durch den Schlag vernichtet worden, hielt seine Empfänglichkeit für Furcht seinen bewegten Geist in ununterbrochener Trauer. Als er sich in der freien Luft fand, sah er um sich, um, wo möglich, einige Zeichen von seinem künftigen Schicksal aus dem Antlitz derer zu lesen, die sich um ihn sammelten. Da er überall ernste, aber gesammelte Mienen sah, und in keinem Auge einen Ausdruck fand, der unmittelbare Gewaltthätigkeit drohte, begann der Unglückliche wieder aufzuleben, und als er im Wagen saß, brütete sein listiger Verstand über den Mitteln, der gerechten Rache seiner Verwandten zu entgehen, oder, wenn dies fehlschlagen sollte, einer Strafe zu entfliehen, welche, wie seine Ahnungen ihm sagten, furchtbar sein würde.

Unter allen diesen Vorbereitungen hatte Ismael selten gesprochen; eine Miene, ein Blick hatte hingereicht, seinen Willen seinen Söhnen anzudeuten, und mit diesen einfachen Verständigungsmitteln schienen alle Theile vollkommen zufrieden. Als das Zeichen zum Aufbruch gegeben ward, warf der Auswanderer seine Büchse in seinen hohlen Arm und die Art über die Schulter, und trat wie gewöhnlich an die Spitze. Esther hatte sich in den Wagen unter ihre Töchter vergraben. Die jungen Leute nahmen ihre gewöhnlichen Stellen um das Vieh ein, oder an den Gespannen, und das Ganze schritt in dem gewöhnlichen, trübseligen, aber ausdauernden Schritte fort. Erst kehrte der Wanderer viele Tage lang seinen Rücken dem Untergang der Sonne zu. Der Weg, den er einschlug, war nach dem bewohnten Lande zu, und die Weise, wie er fortschritt, zeigte hinlänglich seinen Kindern, die ihres Vaters Entschlüsse in seinen Mienen zu lesen gelernt hatten, daß ihre Reise in der Steppe bald ein Ende haben werde. Noch hörte man seit Stunden nichts, was das Dasein einer plötzlichen, gewaltsamen Umwälzung in den Plänen und Gefühlen Ismael’s verrathen mochte. Während dieser ganzen Zeit zog er allein, einige hundert Schritte vor seinen Gespannen, selten ungewöhnliche Erregung zeigend. Ein- oder zweimal freilich sah man seine hohe Gestalt auf dem Gipfel einer fernen Anhöhe stehen, das Haupt zur Erde geneigt und auf die Büchse gelehnt. Aber dann waren diese Augenblicke ernsten Nachdenkens selten und von kurzer Dauer. Der Zug hatte lange schon seine Schatten gegen Osten geworfen, ehe eine wesentliche Veränderung mit der Richtung ihres Marsches vorging. Wasser wurden durchwadet, Ebenen überschritten, wellenförmige Erhöhungen auf- und abgestiegen, ohne daß die geringste Veränderung vorging. Lange geübt in den Schwierigkeiten dieser besondern Art zu reisen, die er angefangen, vermied der Wanderer die größeren Hindernisse des Weges durch einen gewissen Instinkt, unabänderlich zur Rechten oder Linken seiner Zeit sich wendend, je nachdem die Bildung des Landes, die Gegenwart von Bäumen, oder die Zeichen von Flüssen ihn an die Nothwendigkeit solcher Bewegungen ermahnte.

Endlich erschien die Stunde, wo Güte gegen Menschen und Vieh einen Aufschub der Mühseligkeit für einige Zeit nöthig machte. Ismael wählte den Ort mit all seiner gewöhnlichen Bedachtsamkeit. Die regelmäßige Bildung des Landes, so, wie sie auf den ersten Blättern unserer Erzählung beschrieben worden, war lange von einer ungleicheren und mehr unterbrochenen Oberfläche abgelöst. Zwar waren es im Allgemeinen dieselben weiten, leeren Wüsten, dieselben reichen, ausgedehnten Gründe, und jene wilde, sonderbare Vereinigung von blühenden Gefilden und Nacktheit, die jener Gegend den Anschein eines alten Landes gibt, das auf unbegreifliche Weise seiner Bewohner und Wohnungen beraubt worden. Aber diese auszeichnenden Züge einer wellenförmigen Steppe waren lange von ungeregelten Hügeln, gelegentlichen Felsmassen und breiten Wälder-Gürteln unterbrochen worden. Ismael wählte eine Quelle, die an einem Felsen gegen vierzig bis fünfzig Fuß hoch entsprang, als einen zu den Bedürfnissen seiner Heerden am besten passenden Ort, Das Wasser benetzte ein kleines Thal, das unten lag, und für die befruchtende Gabe spärlichen Graswuchs bot. Eine einsame Weide hatte in der Anschwemmung Wurzel gefaßt, und den ausschließenden Besitz des Bodens benutzend, schickte der Baum seinen Stamm weit über die Zinne des anliegenden Felsens hinaus, dessen spitziger Gipfel einst von den Zweigen beschattet worden. Aber seine Lieblichkeit war gewichen mit der geheimnißvollen Quelle des Lebens. Gleichsam zum Spott über den mageren Anblick der Grüne, den der Boden gewährte, blieb er ein edles, hohes Denkmal der früheren Fruchtbarkeit. Die größeren, zerrissenen, abenteuerlichen Zweige drängten sich noch hervor, während der weiße, rauhe Stamm nackt und vom Wetter zerschlagen dastand. Nicht ein Blatt, nicht ein Zeichen von Trieb war an ihm zu sehen; überall verkündete er die Gebrechlichkeit des Daseins und die Erfüllung der Zeit.

Hier warf Ismael, nachdem er dem Zug das gewöhnliche Zeichen der Annäherung gegeben, seine hohe Gestalt aus den Boden und schien über die schwere Bedrängniß seiner Lage nachzudenken. Seine Söhne langten bald an, denn das Vieh roch kaum Futter und Wasser, als es seinen Schritt beschleunigte, und dann folgte der gewöhnliche Lärm und die Geschäfte einer Lagerung.

Der Eindruck, den der Auftritt dieses Morgens auf die Kinder Ismael’s und der Esther gemacht hatte, war nicht so tief und dauernd, daß er ihnen die Bedürfnisse der Natur in Vergessenheit gebracht. Aber während die Söhne unter ihrem Vorrath nach etwas Kräftigem suchten, ihren Hunger zu stillen, und der jüngere Schwarm um seine einfachen Gerichte sich sammelte, waren die Eltern der übelberathenen Familie sehr verschieden beschäftigt.

Als der Wanderer sah, daß Alles, selbst der wiederauflebende Abiram, daran waren, ihre Eßlust zu befriedigen, warf er seiner niedergeschlagenen Gefährtin einen Blick zu, und zog sich nach einer fernen Erhöhung des Landes zurück, die die Aussicht nach Osten begrenzte. Die Zusammenkunft des Paares an dieser nackten Stelle war gleich einer Unterredung über dem Grabe ihres ermordeten Sohnes. Ismael bedeutete sein Weib, an einem Felsstück niederzusitzen, und dann folgte eine Weile, während der keines geneigt schien, zu sprechen.

»Wir sind lange zusammen gezogen durch Gutes und Böses,« begann endlich Ismael; »viele Prüfungen haben wir überstanden, und manchen bittern Kelch mußten wir leeren, mein Weib, aber nichts diesem Aehnliches fand je ich auf meinem Pfade.«

»Es ist ein schweres Kreuz für ein armes, irregeleitetes, sündhaftes Weib zu tragen!« entgegnete Esther, beugte ihr Haupt auf ihr Knie und hüllte halb ihr Gesicht ein in ihr Gewand, »Eine schwere, gewichtige Last ist es, die gelegt ward auf die Schultern einer Schwester und Mutter.«

»Ja, darin liegt das Schwierige des Falles. Ich hatte mich ohne große Mühe zur Bestrafung dieses hauslosen Streifschützen entschlossen; denn der Mann hatte mir wenig Gutes erwiesen, und Gott vergebe mir, daß ich mit Unrecht ihn so vieles Bösen beargwöhnte. Doch das heißt nur Beschämung durch die eine Thür meiner Wohnung hereinbringen, um sie durch die andere hinauszutreiben. Aber soll mein Sohn gemordet werden, und der es that frei herumgehen? Der Junge würde nie Ruhe finden!«

»O Ismael, wir treiben die Sache zu weit! Wär‘ weniger gesagt worden, wir würden weiser gewesen sein! Unser Gewissen könnte ruhen.«

»Esther,« sagte der Mann, und warf einen vorwerfenden aber doch milden Blick auf sie; »es gab eine Zeit, Weib, wo du meintest, eine andere Hand habe diese Schandthat gethan?«

»Ja, ich dacht’s; der Herr gab mir dies Gefühl als Strafe für meine Sünden; aber seine Gnade zögerte nicht, den Schleier zu lüften. Ich sah in das Buch, Ismael, und da fand ich Worte des Trostes.«

»Hast du das Buch zur Hand, Weib? es könnte geschehen, daß es uns rathe in so traurigem Falle.«

Esther griff in die Tasche, und brachte bald ein Stück von einer Bibel hervor, das beschmutzt und rußig geworden, bis der Druck fast unleserlich war. Es war der einzige Artikel aus dem Büchergeschlecht, der unter dem Geräthe des Wanderers zu finden war, und sein Weib hatte es aufbewahrt als eine traurige Reliquie ihrer glücklicheren und vielleicht unschuldigeren Tage. Sie war lange gewohnt gewesen, zu ihm ihre Zuflucht zu nehmen, wenn Umstände sie drängten, die über menschliche Hülfe hinaus waren; obgleich ihr Geist und ihre Entschlossenheit ihr selten eine Hülfe in den Fällen nöthig machte, welchen durch gewöhnliche Mittel abgeholfen werden konnte. Auf diese Weise hatte Esther das Wort Gottes zu ihrem beständigen Begleiter gemacht, bemühte es jedoch selten um Rath, außer wenn ihr eigenes Unvermögen, ein Uebel abzuwenden, zu deutlich war. Wir wollen es den Casuisten überlassen, zu bestimmen, in wie weit sie in diesem Puncte andern Gläubigen glich, und gerade in unserer Geschichte fortfahren.

»Es sind viele hohe Stellen auf diesen Seiten, Ismael,« sagte sie, als der Band geöffnet worden, und die Blätter sich langsam unter ihrem Finger bewegten; »und manche auch lehren die Regeln der Bestrafung.«

Ihr Gemahl nickte ihr, eine von jenen kurzen Verhaltungsregeln aufzusuchen, welche von allen christlichen Völkern als die unmittelbaren Befehle des Schöpfers angenommen worden sind, und welche so richtig befunden worden, daß selbst die, welche ihr hohes Ansehen leugnen, ihre Weisheit anerkennen. Ismael hörte mit großer Aufmerksamkeit, als seine Lebensgefährtin alle jene Verse las, die ihr ihr Gedächtniß eingab, und die sie für anwendbar auf die Lage hielt, in der sie sich befanden. Er ließ sich die Worte zeigen, und betrachtete sie mit einer Art ganz besonderer Verehrung. Ein einmal gefaßter Entschluß war gewöhnlich bei ihm, der so schwierig sich bewegen ließ, unwiderruflich. Er legte seine Hand auf das Buch, und machte es selbst zu, zum Zeichen für sein Weib, daß er zufrieden wäre, Esther, die so gut seinen Charakter kannte, zitterte bei dieser Bewegung, und sagte mit einem Blick auf sein festes, zusammengezogenes Auge:

»Und doch, Ismael, mein Blut und das Blut meiner Kinder fließt in seinen Adern! Kann nicht Gnade geschehen?«

»Weib,« antwortete er ernst, »als wir meinten, der arme alte Streifschütz habe die That gethan, ward nichts von Gnade gesprochen!«

Esther antwortete nicht; sie faltete die Hände auf der Brust und saß schweigend und gedankenvoll lange Zeit. Dann blickte sie wieder auf ihren Gemahl, in dessen Gesicht sie alle Leidenschaft und Sorge in der kältesten Unempfindlichkeit, wie es schien, begraben sah. Gewiß jetzt, als das Schicksal ihres Bruders fest beschlossen war, und vielleicht sich bewußt, wie sehr er die Strafe verdiente, die man beabsichtigte, dachte sie nicht ferner an Vermittelung. Nichts weiter ward zwischen ihnen gesprochen. Ihre Augen trafen für einen Augenblick auf einander, und dann standen Beide auf und gingen im tiefsten Schweigen nach dem Lager.

Der Auswanderer fand seine Kinder auf seine Rückkehr in der gewöhnlichen stillen Weise warten, womit sie allen Ereignissen entgegen sahen. Das Vieh war schon gesammelt, die Pferde an der Deichsel, Alles war bereit aufzubrechen, sobald er so seinen Willen äußere. Die Kinder waren schon in ihrem Wagen, und kurz, nichts verzögerte den Abzug, als die Abwesenheit der Eltern von dem wilden Haufen.

»Abner,« sagte der Vater mit der Bedächtigkeit, die all‘ seine Schritte auszeichnete, »nimm den Bruder deiner Mutter vom Wagen und bring ihn zur Erde.«

Abiram kam aus seinem Versteck hervor, zitternd zwar; aber noch gar nicht ohne alle Hoffnung, es werde ihm endlich gelingen, den gerechten Zorn seines Verwandten zu besänftigen. Nachdem er in dem eitlen Wunsch, er werde ein Antlitz finden, worin er einen Strahl des Mitgefühls entdecken könnte, einen Blick um sich geworfen, bemühte er sich, jene Angst zu beschwichtigen, welche um diese Zeit in all‘ ihrer natürlichen Heftigkeit wieder erwachte, indem er eine Art freundlicher Unterredung zwischen sich und dem Wanderer erzwinge.

»Die Thiere sind ermattet, Bruder,« sagte er, »und da wir schon einen so guten Weg gemacht, ist es da nicht Zeit, sich zu lagern? Nach meiner Meinung könnt Ihr weit gehen, ehe ein besserer Ort gefunden wird, um die Nacht zuzubringen.«

»Gut, wenn er Euch gefällt! Euer Bleiben hier wird wohl lang währen. Meine Söhne, kommt näher und hört. Abiram White,« sagte er, lüftete die Mütze und sprach mit einer Feierlichkeit und Würde, die selbst seine finstere Miene imponirend machte, »Ihr habt meinen Erstgebornen erschlagen, und nach menschlichen und göttlichen Gesetzen müßt Ihr sterben!«

Der Seelenverkäufer erstarrte bei diesem fürchterlichen und unerwarteten Spruch in einem Schrecken, den der verrathen würde, welcher sich plötzlich im Bereich eines Ungeheuers befindet, aus dessen Gewalt keine Rettung ist. Obgleich mit den ernsthaftesten Ahnungen dessen erfüllt, was sein Loos sein könnte, war doch sein Muth nicht stark genug gewesen, der Gefahr in’s Antlitz zu sehen; und mit der trügerischen Hoffnung, womit furchtsame Gemüther gerne ihre verzweifelte Lage vor sich verbergen, hatte er sich mehr auf die eitele Hülfe seiner List verlassen, als daß er sich auf das Schlimmste gefaßt gemacht.

»Sterben!« wiederholte er mit einer Stimme, die kaum aus seiner Brust hervordrang; »man ist doch wohl sicher unter seinen Freunden!«

»So meinte mein Junge,« entgegnete der Wanderer und winkte dem Gespann, das sein Weib und die Mädchen enthielt, fortzufahren, während er sehr kaltblütig den Hahn seiner Büchse untersuchte. »Mit der Feuerwaffe tödtetest du meinen Sohn, und es ist schicklich und recht, daß dich der Tod durch dieselbe Waffe treffe.«

Abiram starrte mit einem Blick um sich, der für einen Augenblick eine gestörte Vernunft verrieth. Er lachte sogar, als wolle er nicht nur sich selbst, sondern auch Andere überreden, was er hörte, sei irgend ein Scherz, beabsichtigt, seine Standhaftigkeit zu versuchen. Aber nirgends traf seine furchtbare Freude auf einen antwortenden Wiederhall. Alles ringsum war feierlich und still. Die Gesichter seiner Neffen waren erregt, aber kalt gegen ihn, und das seines früheren Gefährten schreckhaft entschlossen. Gerade diese Festigkeit in der Miene war tausendmal beunruhigender und hoffnungsloser für ihn, als jede gewaltthätige Handlung gewesen sein würde. Das Letztere hätte vielleicht seinen Geist erregt und Widerstand erweckt; aber das Erstere überließ ihn gänzlich seinen eigenen Hülfsmitteln.

»Bruder,« sagte er in einem schnellen, unnatürlichen Lispeln, »hörte ich recht?«

»Meine Worte sind deutlich, Abiram White; Ihr habt gemordet, und dafür müßt Ihr sterben!«

»Wo ist Esther? Schwester, Schwester, willst du mich verlassen! O Schwester, hörst du meinen Ruf?‘

»Ich hör‘ Einen aus dem Grabe sprechen!« entgegneten die rauhen Töne der Esther, während der Wagen an der Stelle vorüberging, wo der Verbrecher stand. »Es ist die Stimme meines Erstgebornen, der laut nach Gerechtigkeit ruft; Gott habe Gnade mit deiner Seele!«

Das Gespann setzte langsam seinen Weg fort, und der verlassene Abiram fand sich jetzt aller Hoffnung beraubt. Noch konnte er nicht Stärke gewinnen, dem Tod entgegen zu treten, und hätten seine Glieder ihm nicht alle Unterstützung versagt, er würde jetzt noch zu fliehen versucht haben. Dann fiel er in einem plötzlichen Uebergang von Hoffnung zur äußersten Verzweiflung auf seine Kniee und begann ein Gebet, worin Geschrei um Gnade zu Gott und zu seinem Verwandten wild und gotteslästerlich sich mischte. Ismael’s Söhne wandten sich entsetzt von einem so widerlichen Anblick weg, und selbst die finstere Natur des Auswanderers fing an, vor solchem verworfenen Elend zu weichen.

»Möge das, was Ihr von ihm verlangt, Euch gewährt werden,« sagte er; »aber ein Vater kann nie ein gemordetes Kind vergessen.«

Ihm ward durch die demüthigsten Bitten um Aufschub geantwortet. Eine Woche, ein Tag, eine Stunde, all‘ dies ward mit einem Ernst erfleht, der dem Werth angemessen war, den sie empfangen, wenn ein ganzes Leben in ihre kurze Dauer zusammengedrängt ist. Der Auswanderer ward wirre und gewährte endlich zum Theil die Bitten des Verbrechers. Sein endlicher Vorsatz ward nicht geändert, obwohl er andere Mittel zählte; »Abner,« sagte er, »steig‘ auf den Felsen und steh‘, nach jeder Seite, daß wir sicher sind, Niemand sei nahe.«

Während sein Neffe dem Auftrag gehorchte, sah man Strahlen wiederauflebender Hoffnung über die beruhigten Züge des Seelenverkäufers schießen. Die Botschaft war günstig; nichts Lebendiges, die abziehenden Gespanne ausgenommen, war zu sehen. Doch kam von diesen ein Bote, wie’s schien in großer Eile. Ismael wartete seine Ankunft ab; er empfing aus den Händen eines seiner verwunderten und bestürzten Mädchen ein Bruchstück von jenem Buch, das Esther mit so vieler Sorgfalt aufbewahrt hatte. Der Wanderer winkte das Kind weg und gab die Blätter dem Verbrecher.

»Esther schickt Euch dies,« sagte er, »daß in Euern letzten Augenblicken Ihr an Gott denken möget.«

»Er segne sie; eine gute, freundliche Schwester ist sie gegen mich gewesen! Aber Zeit muß mir gelassen werden, daß ich’s lesen kann; Zeit, Bruder, Zeit!«

»Zeit soll Euch nicht fehlen. Ihr sollt Euer eigener Henker sein, und dies traurige Amt sollen meine Hände nicht verrichten.«

Ismael machte Anstalt, seinen neuen Entschluß in Ausführung zu bringen. Die unmittelbare Besorgniß des Seelenverkäufers war durch eine Versicherung, daß er noch Tage leben könne, obgleich sein Schicksal unvermeidlich sei, beruhigt worden. Ein Aufschub brachte in einem so verworfenen und schlechten Menschen, wie Abiram, auf einige Zeit dieselbe Wirkung hervor, wie eine Begnadigung. Er war selbst voran, die schrecklichen Vorkehrungen treffen zu helfen, und von all‘ den Handelnden in diesem feierlichen Drama war seine Stimme allein gesprächig und scherzhaft.

Eine schmale Spitze des Felsens dehnte sich unter einem der hohen Aeste einer Weide aus. Sie befand sich viele Fuß über dem Boden und war wunderbar passend zu dem Zweck, zu welchem in der That ihre Beschaffenheit Veranlassung gegeben. Auf diese kleine Plattform ward der Gefangene gestellt; seine Arme waren an den Ellenbogen, ohne alle Möglichkeit sich zu befreien, mit einem tüchtigen Strick auf den Rücken gebunden, während ein anderer von seinem Nacken an den Ast ging. Der letztere war so eingerichtet, daß, wenn er angebunden war, der Körper mit dem Fuß keinen Halt gewinnen konnte. Das Bruchstück von der Bibel wurde ihm gegeben, und er so zurückgelassen, Trost, so gut er konnte, aus ihren Seiten zu suchen.

»Und nun, Abiram White,« sagte der Wanderer, als seine Söhne nach vollendetem Werk herabgekommen waren, »leg‘ ich Euch eine letzte, feierliche Frage vor. Tod ist vor dir in zwei Gestalten. Mit dieser Büchse kann dein Elend schnell, durch diesen Strick früher oder später abgekürzt werden.«

»Laß mich noch leben! O Ismael, du weißt nicht, wie süß das Leben ist, wenn die letzten Augenblicke so nahe sind.«

»Es ist geschehen,« sagte der Auswanderer, und winkte den Beistehenden, den Heerden und Gespannen zu folgen. »Und nun, Unglücklicher, dich zu trösten in deinem Tod, vergeb‘ ich dir deine Schuld und überlaß dich deinem Gott!«

Ismael wandte sich darauf, und setzte seinen Weg über die Ebene in seinem gewöhnlichen, lässigen, schweren Schritt fort. Obwohl sein Haupt etwas zur Erde geneigt war, versuchte ihn doch nicht sein unthätiges Gemüth, einen Blick hinter sich zu werfen. Einmal freilich glaubte er seinen Namen rufen zu hören, und das in einem etwas beengten Ton, aber das konnte ihn nicht zum Stehenbleiben bewegen.

An der Stelle, wo er und Esther sich besprochen hatten, erreichte er die Grenze des vom Felsen aus sichtbaren Horizontes. Hier stand er und wagte einen Blick nach der Stelle, die er eben verlassen. Die Sonne wollte sich gerade hinter den Ebenen hinabtauchen, und ihre letzten Strahlen erleuchteten die nackten Arme der Weide. Er sah die rohen Abrisse des Ganzen wider den glühenden Himmel hingegossen, und unterschied selbst die noch aufrechte Gestalt des Wesens, das er seinem Elend überlassen. Die Spitze der Erhöhung verlassend, schritt er weiter mit dem Gefühl eines Mannes, der für immer plötzlich und gewaltsam von einem Gefährten sich getrennt.

In einer Meile holte der Wanderer seine Gespanne ein; seine Söhne hatten eine zu einer Lagerung für die Nacht passende Stelle gefunden und erwarteten nur, daß er bei seiner Ankunft ihre Wahl bestätige. Wenige Worte waren nöthig, seine Einwilligung darzulegen; Alles ging in einem allgemeineren und auffallenderen Schweigen vor als gewöhnlich. Esther’s Schelten hörte man nicht unter ihren Kleinen, oder wenn es sich hören ließ, waren es mehr Töne sanfter Ermahnung, als Ausbrüche in ihrem gewöhnlichen, zu hoch getriebenen Schlüssel.

Keine Fragen, keine Erklärungen fanden zwischen Mann und Frau statt. Erst als die letztere sich für die Nacht zu ihren Kindern begeben wollte, bemerkte jener, daß sie einen flüchtigen Blick auf die Pfanne seiner Büchse warf. Ismael hieß seine Söhne zur Ruhe gehen, und verkündete seine Absicht, selbst für die Sicherheit des Lagers zu sorgen. Als Alles still war, ging er hinaus auf die Steppe, da er fand, daß ihm das Athmen unter den Zelten zu beschwerlich ward. Die Nacht war sehr geeignet, die Gefühle zu erhöhen, welche durch die Begebenheiten des Tags in ihm erregt worden waren.

Der Wind hatte sich mit dem Aufgang des Mondes erhoben und rauschte zuweilen auf eine Weise über die Steppe, die es der Schildwache leicht machte, sich einzubilden, sonderbare, überirdische Töne mischten sich in das Sausen. Den außerordentlichen Antrieben, deren Beute er war, nachgebend, warf er einen Blick um sich, zu sehen, ob Alles in Sicherheit schlummre, und dann schritt er nach der schon erwähnten Anhöhe. Hier befand sich der Auswanderer auf einem Punct, der eine Aussicht nach Osten und Westen beherrschte. Leichte, flockichte Wolken trieben vor dem Mond, der kalt und neblicht war, obwohl es Augenblicke gab, wo seine ruhigen Strahlen von klaren, blauen Feldern herabschossen, und die Gegenstände zu seiner eignen milden Lieblichkeit sänftigten.

Zum ersten Mal in einem Leben voll von so vielen wilden Abenteuern, fühlte Ismael empfindlich seine Einsamkeit. Die nackten Steppen begannen die Formen unbegrenzter, trauriger Wüsten anzunehmen, und das Rauschen des Windes ertönte wie das Lispeln der Todten. Nicht lange und er glaubte ein Schrei werde vom Wind zu ihm hergetragen. Er tönte nicht wie ein irdischer Ruf, sondern schwebte furchtbar durch die obere Luft und mischte sich mit der rauheren Begleitung des Sturms. Die Zähne des Auswanderers fuhren auf einander, und seine große Hand griff nach der Büchse, als wolle er das Metall wie Papier zerknittern. Dann kam eine Stille, ein neuer Windstoß, und ein Schrei des Schreckens, der an seinen Ohren ausgestoßen worden zu sein schien. Eine Art Wiederhall drang über seine eigenen Lippen, wie man oft bei unnatürlicher Erregung zu thun pflegt, und die Flinte über die Schulter geworfen, eilte er mit Riesenschritten nach dem Felsen.

Nicht oft floß das Blut Ismael’s so, wie es in den Adern gewöhnlicher Leute sich bewegt; aber jetzt fand er es bereit, aus jeder Pore herauszuspringen. Das Thierische war bis aufs Aeußerste erregt. So weit er fortschritt, immer hörte er den Schrei, der manchmal unter den Wolken zu dröhnen schien und dann wieder gleichsam aus der Erde hervorkam. Endlich kam ein Schrei, wobei keine Täuschung stattfinden konnte, oder dem die Einbildung keine Schrecken lieh. Er schien jedes Atom der Luft zu erfüllen, wie oft der scheinbare Horizont bis zum Uebermaß von einem blitzenden Strahl elektrischer Flüssigkeit angeschwängert wird. Der Name Gottes wurde deutlich hörbar, aber er war furchtbar und lästerlich mit Tönen gemischt, die nicht wiederholt werden können. Der Wanderer stand, und bedeckte mit seinen Händen für einen Augenblick die Ohren; als er sie wegzog, fragte eine leise, heisere Stimme an seiner Seite in gedämpftem Tone:

»Ismael, Mann, hörtest du nichts?«

»Hst,« entgegnete dieser, und legte seinen mächtigen Arm auf Esther, ohne die geringste Ueberraschung über die unerwartete Gegenwart seines Weibes zu verrathen; »hst, Weib, wenn du die Furcht Gottes hast, so schweig.«

Eine tiefe Stille folgte. Obwohl der Wind sich erhob und fiel wie vorher, ward doch sein Rauschen nicht ferner von diesem furchtbaren Geschrei begleitet. Die Töne waren imponirend und feierlich; aber es war die Hoheit und Majestät der Natur in ihrer Verlassenheit.

»Wollen weiter gehn,« sagte Esther, »Alles ist still.«

»Weib, was hat dich hierher gebracht?« fragte ihr Mann, dessen Blut in seinen früheren Lauf zurückgekehrt, und dessen Gedanken auch schon einen Theil ihrer Erregung verloren hatten.

»Ismael, er mordete unsern Erstgebornen, aber es ist nicht milde, daß der Sohn meiner Mutter liegen sollte auf dem Boden, wie das Aas eines Hundes.«

»Folg!« entgegnete der Wanderer, wieder seine Büchse ergreifend und nach dem Felsen eilend. Die Entfernung war noch beträchtlich, und ihre Schritte, als sie der Stelle der Hinrichtung nahe kamen, wurden durch Ehrfurcht gemäßigt. Viele Minuten waren vorüber gegangen, ehe sie eine Stelle erreichten, wo sie die Umrisse der dunkeln Gegenstände unterscheiden konnten.

»Wo hast du den Leichnam hingelegt?« lispelte Esther; »sieh hier eine Hacke und Spaten, damit mein Bruder schlafen möge im Schoße der Erde.«

Der Mond brach hinter einer Wolkenmasse hervor, und das Auge des Weibes konnte Ismael’s Finger folgen; er deutete auf eine Menschengestalt, die unter dem nackten, hervorragenden Aste der Weide im Wind hin und her schwang. Esther beugte ihr Haupt, und bedeckte die Augen vor dem Anblick. Aber Ismael trat näher, und lange betrachtete er sein Werk mit Grauen, aber nicht mit Reue. Die Blätter des heiligen Buchs lagen zerstreut am Boden, und selbst ein Bruchstück des Felsens war im Todeskampf vom Seelenverkäufer seiner Stelle entrückt worden. Aber Alles lag jetzt in der Stille des Todes. Die grimmigen, krampfhaften Züge des Opfers wurden zu Zeiten ganz in’s Licht des Mondes gebracht, dann wieder, wenn der Wind nachließ, bildete der tödtliche Strick eine dunkle Linie über seine glänzende Scheibe. Der Wanderer erhob mit großer Vorsicht die Büchse und feuerte. Der Strick zerriß, und der Körper kam polternd zur Erde, eine schwere, unempfindliche Masse.

Bis jetzt hatte sich Esther nicht gerührt und nicht gesprochen. Aber ihre Hand war nicht lässig bei der Arbeit, die jetzt nöthig ward. Das Grab war bald gegraben; schnell konnte es seinen unglücklichen Bewohner aufnehmen. Als die leblose Gestalt hinabstieg, sah Esther, die das Haupt hielt, zu ihrem Manne mit einem Ausdruck voll Angst auf und sagte:

»Ismael, Mann, es ist sehr furchtbar; ich kann den Leichnam nicht küssen von meines Vaters Kind!«

Der Wanderer legte seine breite Hand auf des Todten Brust und sagte:

»Abiram White, wir Alle bedürfen der Gnade; von Herzen, vergeb‘ ich Euch; möge Gott im Himmel Mitleid haben mit Euren Sünden!«

Das Weib beugte ihr Antlitz und drückte ihre Lippen lang und feurig auf die blasse Stirn ihres Bruders. Dann kamen die fallenden Schollen und all das feierliche Getös, wenn ein Grab sich schließt. Esther zögerte auf ihren Knieen, und Ismael stand unbedeckt, während das Weib ein Gebet murmelte. Alles war dann zu Ende.

Am folgenden Morgen sah man die Gespanne und Heerden des Wanderers ihren Weg nach den Ansiedelungen fortsetzen. Als sie den Grenzen der Gesellschaft nahten, verlor sich der Zug unter tausend andern. Obgleich einige der zahlreichen Nachkommen dieses besondern Paars von ihrem gesetzlosen und halbbarbarischen Leben zurückkehrten, hörte man doch von den Häuptern der Familie selbst nichts weiter.