Fünftes Kapitel.

»Ei, würd’ger Vater, was doch können wir verlieren?
Ei schützt uns kein Gesetz, und solch ein stolzer Mann
Sollt‘ ferner uns bedroh’n! Seid Richter und Vollstrecker.«

Cymbeline.

 

Während der Teton-Krieger auf diese Art seine schwierige und ihn so sehr bezeichnende Aufgabe löste, unterbrach kein Laut die Stille der umliegenden Steppe. Die ganze Bande lag auf ihren verschiedenen Posten und wartete mit der bekannten Geduld der Eingebornen auf das Zeichen, das sie zum Handeln aufrufen sollte. Den Augen der angstvollen und sehr dabei interessirten Zuschauer, welche die kleine Erhöhung einnahmen, die wir schon als die Stellung der Gefangenen beschrieben haben, zeigte die Scene nur die weite, große Aussicht auf die Wüste, die dunkel von den glimmernden Strahlen eines umwölkten Monds erleuchtet ward. Die Stelle des Lagers war durch ein noch tieferes Dunkel als die schwach beschatteten Niederungen bezeichnet, und hier und da traf ein hellerer Strahl die wellenförmigen Gipfel der Anhöhen. Im Uebrigen die tiefe, ergreifende, lautlose Stille der Wüste.

Aber denen, die so wohl wußten, was unter diesem Mantel der Stille und Nacht brütete, war es eine Scene hoher, stürmischer Bewegung. Ihre Angst ward immer größer, als Minute auf Minute vorüberging, und nicht der geringste Laut des Lebens aus der Stille und Dunkelheit heraufkam, die das Gehölz umgab. Paul’s Athmen ward lauter und tiefer, und Ellen zitterte mehr als einmal, ohne zu wissen worüber, als sie das Zucken seiner kräftigen Gestalt fühlte, während sie sich zur Stütze in voller Hingebung auf seinen Arm lehnte.

Weucha’s schwankende Ehrlichkeit und seine nachstellende Einfalt wurden schon erwähnt. Der Leser wird also nicht erstaunen, wenn er hört, daß er zuerst die Vorschriften vergaß, die er selbst gegeben. Gerade den Augenblick, wo wir Mahtoree in fast unbeherrschter Freude verließen, als er die Menge und Beschaffenheit der Lastthiere Ismael’s übersah, wählte der Mann, den er mit der Wache über seine Gefangene beauftragt, um sich dem boshaften Vergnügen hinzugeben, die zu peinigen, welche zu schützen seine Pflicht gewesen wäre. Er neigte sein Haupt zu den Ohren des Streifschützen und lispelte nicht, sondern brummte:

»Wenn die Teton ihr Oberhaupt durch die Hand der Lang-Messer verlieren, dann stirbt Alt und Jung.«

»Das Leben gibt Wahcondah,« war die ruhige Antwort. »Der schwarzgebrannte Krieger muß seinem Gesetz sich unterwerfen, wie seine andern Kinder. Der Mensch stirbt nur, wenn er es befiehlt, und kein Dahcotah kann die Stunde beschleunigen.«

»Sieh‘,« erwiederte der Wilde, und die Klinge des Messers fuhr an dem Gesicht seines Gefangenen vorbei, »Weucha ist der Wahcondah eines Hunds.«

Der alte Mann schlug die Augen zu dem stolzen Gesicht seines Wärters auf, und ein Blick edlen, kräftigen Unwillens schoß aus ihren tiefen Höhlen; aber schnell war es vorüber, und an seine Stelle trat Ausdruck des Mitleids, wenn nicht des Kummers.

»Warum sollt‘ Einer nach dem wahren Ebenbild Gottes sich über ein Wesen erzürnen, das nur die Gestalt eines Vernünftigen hat,« sagte er auf englisch, und viel lauter, als Weucha die Unterredung begonnen. Dieser benutzte das unbeabsichtigte Vergehen seines Gefangenen, ergriff ihn bei den dünnen, grauen Locken, die unter seiner Mütze hervordrangen und wollte sie in boshaftem Triumph durch die Messerklinge aus der Wurzel vertilgen, als ein langer, greller Schrei die Luft durchdrang, der alsbald aus der umliegenden Wüste wiederhallte, als ob tausend Dämonen ihre Kehlen bei dem Aufruf vereinigt hatten. Weucha ließ los, und stieß einen Ruf wilden Frohlockens aus.

»Nun!« rief Paul, unvermögend, seine Ungeduld länger zu beherrschen; »nun, alter Ismael, kommt die Zeit, zu zeigen, daß das Blut von Kentucky in deinen Adern fließt. Feuert niedrig, Jungen; zielt in’s Gestrüpp; denn die rothen Häute kriechen am Boden.«

Seine Stimme verlor sich jedoch, oder ward vielmehr mitten in dem Geschrei, dem Schießen und Lärmen nicht beachtet, der um diese Zeit aus tausend Kehlen auf allen Seiten von ihm sich erhob. Die Wache behauptete noch ihren Posten bei den Gefangenen; aber mit der Mühe, womit die Pferde bei der Eilpost zurückgehalten werden, wenn sie das Zeichen, ihren schnellen Lauf zu beginnen, erwarten. Sie schlugen mit ihren Armen wild in der Luft herum, sprangen auf und nieder, mehr wie jauchzende Kinder, als wie nüchterne Männer, und fuhren fort, das lauteste, wildeste Geschrei auszustoßen.

Mitten in dieser lärmvollen Unordnung hörte man ein trampelndes Getöse, ähnlich dem, welches der Flucht eines Büffelhaufens vorauszugehen pflegt, und dann kamen Ismael’s Heerden und Vieh zu Gesicht, ein verwirrter, erschreckter Trupp.

»Sie haben dem armen Wanderer seine Thiere genommen,« sagte der auf Alles aufmerksame Streifschütz. »Die Schlangen haben ihm nicht einen Huf gelassen.« – Er sprach noch, als der ganze Haufen des erschreckten Viehs die kleine Anhöhe heraufkam und auf die Stelle zueilte, wo er stand, getrieben von einer Bande schwarzer, teuflisch aussehender Gestalten, welche wie toll zur Eile trieben.

Diese Eile theilte sich den Teton-Pferden mit, welche seit lange gewohnt waren, an den wilden Leidenschaften ihrer Herren Theil zu nehmen und nur mit Mühe konnten ihre Eigenthümer sie zurückhalten. In diesem Augenblick, während aller Augen auf den vorübereilenden Wirbelwind von Menschen und Thieren gerichtet waren, entwand der Streifschütz den Händen seines unaufmerksamen Wächters das Messer, mit einer Gewalt, der sein Alter nicht zu entsprechen schien, und trennte mit einem einzigen Hieb das lederne Band, welches das ganze Rudel vereinigte. Die wilden Thiere wieherten vor Freude und Schrecken, schlugen den Boden mit ihren Hufen und stoben davon in die weiten Steppen nach allen verschiedenen Richtungen hin.

Weucha wandte sich gegen den Angreifer mit der Wuth und Behendigkeit eines Tiegers. Er griff nach der Waffe, der er so plötzlich war beraubt worden, suchte mit unmächtiger Hast nach dem Griff seiner Streitaxt und warf zu gleicher Zeit seine Blicke nach den fliehenden Thieren mit allem Verlangen eines Westindiers. Der Kampf zwischen Durst nach Rache und Habgier war kurz aber heftig. Die letztere erhielt leicht in der Seele eines Menschen das Uebergewicht, dessen Leidenschaften, nach dem Sprichwort, auf dem Bode krochen, und kaum ein Augenblick verfloß zwischen der Flucht der Thiere und dem schnellen Verfolgen der ganzen Wache. Der Streifschütz hatte seinen Feind, während der Augenblicke des Zweifels, die seiner gewagten That folgten, fortwährend ruhig im Auge behalten, und sagte jetzt, als Weucha seinen Gefährten folgte, indem er nach dem dunkeln Zug hindeutete, mit seinem tiefen, kaum hörbaren Lachen.

»Roth ist roth, mag es sich auf der Steppe zeigen oder im Wald. Ein Schlag auf den Kopf wäre die geringste Belohnung für Jeden gewesen, der sich eine solche Freiheit mit einer christlichen Schildwache herausgenommen; aber da geht der Teton nach seinen Pferden, als halte er zwei Beine für so gut, als vier bei einem solchen Lauf! – Und doch werden die Schelme jeden Huf von ihnen vor Sonnenaufgang wieder haben, weil hier Verstand gegen Instinct ist. Ein armer Verstand, freilich, aber selbst noch ein Indianer ist ein großer Theil vom Menschen. Ja, ihr Delawarer, ihr wäret die Rothhäute, worauf Amerika stolz sein könnte; aber gering und zerstreut ist das mächtige Volk jetzt. – Nun, der Wanderer mag eben seine Hütte aufschlagen, wo er gerade jetzt ist; er hat Ueberfluß an Wasser, obgleich die Natur des Vergnügens ihn beraubt hat, die Erde ihrer rechtmäßigen Bäumen zu entblößen. Er hat den letzten seiner vierfüßigen Gefährten gesehen, oder ich verstehe mich schlecht auf Sioux-List.«

»Wär’s nicht besser, wir nähmen Ismael’s Partei?« sagte der Bienenjäger. »Es gibt einen regelmäßigen Kampf darum, oder der alte Bursche müßte plötzlich feigherzig geworden sein.«

»Nein, nein, nein,« rief hastig Ellen.

Sie ward vom Streifschützen unterbrochen, der leise seine Hand auf sie legte, als er antwortete:

»Hst, hst! Reden könnte uns Gefahr bringen. Ist Euer Freund« fuhr er zu Paul gewandt fort, »ein Mann von Klugheit genug«.

»Nennt nicht den Wanderer meinen Freund« unterbrach ihn der Jüngling. »Ich wohnte nie mit Einem, der nicht Brief und Siegel für das Land zeigen konnte, das ihn nährte.«

»Gut, gut. Laßt ihn dann einen Bekannten sein. Ist er ein Mann, der sein Eigenthum tapfer mit Pulver und Blei behaupten kann?«

»Sein Eigenthum! Ei! Und auch, was nicht sein Eigenthum ist, das auch! Könnt Ihr mir sagen, alter Streifschütz, wer die Flinte trug, die dem Abgesandten des Sherifs den Garaus machte, der die ungesetzlichen Ansiedler, die sich am Büffel-See in Alt-Kentucky gesammelt hatten, wegjagen wollte. Ich hatte einen prächtigen Schwarm eben diesen Tag bis in die Höhlung einer abgestorbenen Buche verfolgt, und da lag der Beamte des Volks an ihrem Fuße, mit einer Wunde gerade durch das »Grace of God«, das er in seiner Jacktasche über dem Herzen trug, als dachte er, ein Stück Schafsleder sei ein Brustharnisch gegen die Kugel eines Herumstreichers. Du brauchst aber gar nicht unruhig zu sein, Ellen, es ward ihm nie hinlänglich bewiesen; und fünfzig Andere wurden in der Nachbarschaft eben so empfangen, ohne daß sie das Gesetz besser geschützt hätte.«

Das arme Mädchen schauderte und mühte sich mit aller Macht einen Seufzer zu unterdrücken, der trotz ihrer Bemühungen, wie aus dem innersten Grund ihres Herzens, hervorkam.

Hinlänglich durch die kurze aber bezeichnende Erzählung Paul’s über den Charakter der Wanderer in Kenntniß gesetzt, that der alte Mann keine weiteren Fragen über die Bereitwilligkeit Ismael’s sein Unrecht zu rächen und folgte dem Zug seiner Gedanken, die sich bei dieser Gelegenheit ihm aufdrangen.

»Jeder kennt die Bande am besten, die ihn an seine Mitgeschöpfe binden,« antwortete er; »obwohl es sehr zu bedauern ist, daß Farbe und Eigenthum, Sprache und Wissenschaft eine so weite Schranke zwischen die setzen, die doch bei allem Kinder Eines Vaters sind. Doch,« fuhr er fort mit einem Uebergang, der für den Stand und die Gefühle des Mannes sehr charakteristisch war, »da dies eine Gelegenheit ist, wo eher Kampf als eine Predigt Noth thut, so ist’s am besten, vorbereitet zu sein, auf das was folgen möchte. – Husch, da unten regt‘ sich was; gar leicht können wir gesehen werden.«

»Die Auswanderer nahen,« rief Ellen, mit einer zitternden Stimme, die fast eben so große Furcht über das Nahen ihrer Freunde verrieth, als sie vorher über die Gegenwart ihrer Feinde gezeigt hatte. »Geht Paul, verlaßt mich. Euch zum wenigsten darf man nicht sehen.«

»Wenn ich dich in dieser Wüste verlasse, Ellen, ehe ich dich wenigstens sicher bei’m alten Ismael sehe, so will ich nie das Summen einer Biene wieder hören, oder, was noch schlimmer ist, das Aug‘ verlieren, sie bis in den Stock zu verfolgen!«

»Ihr vergeßt den guten Alten. Er wird mich nicht verlassen; und dann, Paul, haben wir uns doch schon getrennt, wenn mehr als eine solche Wüste zwischen uns war.«

»Nimmermehr! Die Indianer können wieder kommen und was würde dann aus dir? Du wärst halbwegs nach den Felsengebirgen, ehe man nur die Richtung deiner Flucht ausfindig machen könnte. Was denkt Ihr dazu, alter Streifschütz? Wie lang kann’s dauern, bis die Teton, wie Ihr sie nennt, zurückkommen, um den Rest von Ismael’s Habe und Vieh sich zu holen?«

»Vor diesen braucht Ihr Euch nicht zu fürchten,« erwiederte der alte Mann, mit dem ihm eigenen, dumpfen Lächeln; »ich wette, die T–l rennen schon diese sechs Stunden lang ihren Thieren nach. Horcht! Ihr könnt sie in diesem Augenblick in dem Weiden-Grund hören; o, so ächtes Sioux-Vieh läuft Euch wie langbeiniges Wild. Hst, werft Euch in s Gras, nieder mit Euch beiden; so gewiß ich ein armes Stück Erde bin, hört‘ ich das Knattern einer Flinte!«

Der Streifschütz ließ seinen Gefährten nicht lange Zeit zu zaudern, sondern zog sie beide sich nach, und begrub sich fast ganz in das Gestrüpp der Steppe, während er noch sprach. Es war gut, daß die Sinne des alten Jägers so scharf geblieben, und daß er nichts von seiner Entschlossenheit verloren hatte. Die drei lagen kaum auf dem Boden, als ihre Ohren mit dem wohlbekannten, starken, kurzen Knall der Westflinte begrüßt wurden, und bald darauf das Pfeifen des wüthenden Blei’s gehört ward, das in gefährlicher Nähe an ihren Köpfen vorbeiflog.

»Gut gemacht, ihr jungen Bursche, gut gemacht alter Schelm,« lispelte Paul, dessen Frohsinn keine Gefahr, keine Lage trüben konnte. »Ein hübscher Knall, wie man nur einen aus einer Flinte hören kann! Was meint Ihr, Streifschütz? Hier ist ein Kampf von drei Seiten. Soll ich ihnen nicht auch so was schicken?«

»Gebt ihnen nichts, als gute Worte,« entgegnete der Streifschütz hastig, »oder ihr seid beide verloren.«

»Ich weiß nicht, ob es viel besser wäre, wenn ich mit meiner Zunge oder mit meinem Gewehr zu ihnen spräche,« sagte Paul, halb scherzend, halb bitter.

»Um’s Himmelswillen, laßt Euch nicht hören,« rief Ellen, »geht, Paul, geht; Ihr könnt leicht gehen.«

Mehrere Schüsse folgten jetzt schnell auf einander, jeder brachte seine Ladung den Versteckten näher, Ellen schwieg aus Klugheit und Furcht.

»Das muß ein Ende nehmen,« sagte der Streifschütz und stand auf, nur von der Wichtigkeit seines Plans erfüllt. »Ich weiß nicht, warum ihr, meine Kinder, die zu fürchten habt, die ihr beide lieben und ehren solltet; aber etwas muß geschehen, um euer Leben zu retten. – Ein paar Stunden mehr oder weniger kann der leicht missen, der schon so viele Tage zählt, deßwegen will ich voraus. Hier ist offener Raum um euch, benutzt ihn, wie ihr müßt, und möge Gott euch beide segnen und helfen, wie ihr’s verdient.«

Ohne eine Antwort zu erwarten, schritt der Streifschütz kühn den Hügel vor sich hinab und nahm seinen Weg nach dem Lager; beeilte seine Schritte nicht aus Furcht, verzögerte sie nicht vor Angst. Das Mondlicht fiel für einen Augenblick heller auf seine schlanke, hohe Gestalt und ließ die Auswanderer sein Herankommen wahrnehmen. Unbekümmert jedoch um diesen ungünstigen Umstand, setzte er seinen Weg ruhig und standhaft nach dem Gehölz fort, bis eine ernste, drohende Stimme ihn mit den Ruf empfing: »Wer kommt; Freund oder Feind?«–»Freund,« war die Antwort, »einer der zu lang gelebt hat, um die Grenze seines Lebens durch Streit zu trüben.«

»Der aber nicht so lang gelebt hat, um die Ränke seiner Jugend zu vergessen,« sagte Ismael, erhob seine große Gestalt hinter der leichten Verdeckung eines geringen Busches hervor, und stellte sich, Antlitz gegen Antlitz, dem Streifschütz gegenüber; »Ihr habt die T–l über uns gebracht und werdet morgen mit ihnen die Beute theilen.« –

»Was habt Ihr verloren?« fragte ruhig der Streifschütz.

»Acht so gute Pferde, wie je eins am Zaum hing, dann ein Fohlen, dreißig der schönsten Mexikaner werth, die das Bild des Königs von Spanien tragen. Auch hat das Weib keine Klaue mehr, weder zum Melken, noch zum Scheeren, – ich glaube selbst die Grunzer, so lahm sie sind, durchstreichen jetzt die Steppe. Und nun, Fremder,« fuhr er fort und stieß den Kolben des Gewehrs mit einer Gewalt und einem Klirren auf den Boden, das jeden Andern, weniger unerschrockenen, in Furcht gesetzt hätte, »wie viele von diesen Geschöpfen kommen auf Euer Theil?«

»Pferde habe ich nie gewünscht, auch nie gebraucht, obwohl Wenige mehr von den weiten Landschaften Amerika’s durchstreift haben, als ich, so alt und schwach ich auch aussehe. Aber wenig nützt ein Pferd in den Wäldern, auf den Hügeln von York; das heißt, so wie York war, aber, wie ich sehr fürchte, York jetzt nicht mehr ist; was wollene Decken und Kuhmilch betrifft, so verlang‘ ich nicht nach so weibischem Besitz. Die Thiere des Feldes geben mir Nahrung und Kleidung. Nein, ich wünsch‘ keine bessere Kleidung, als die Haut eines Hirsches, kein schmackhafteres Mahl, als sein Fleisch.«

Die Aufrichtigkeit, mit der diese einfache Rechtfertigung vorgebracht ward, verfehlte nicht ganz ihre Wirkung auf den Auswanderer, dessen finsteres Wesen allmählig in eine Erregung überging, die schnell in gefährliche Gewaltthätigkeit hätte ausbrechen mögen. Er hörte zu, als zweifle er, sei aber noch nicht ganz überzeugt und murmelte zwischen den Zähnen die Beschuldigung, womit er einen Augenblick vorher die schnelle Rache, die er gewiß brütete, hatte einleiten wollen.

»Das sind schöne Worte,« brummte er endlich, »aber nach meiner Meinung zu prozeßartig für einen geraden, schön- und schlecht-Wetter-Jäger.«

»Ich nenne mich ja nur einen Streifschützen,« unterbrach ihn der andere sanft.

»Jäger oder Streifschütz; wenig Unterschied. Ich kam in diese Gegenden, alter Mann, weil ich fand, daß das Gesetz mir zu schwer auf dem Nacken lag und bin Nachbarn nicht sehr gut, die keinen Streit ausmachen können, ohne einen Richter oder die Zwölfmänner zu bemühen; aber ich kam nicht hierher, um mich meines Plunders berauben zu lassen, und dann »Dank Euch« zu dem zu sagen, der es gethan.«

»Wer sich in die Steppen wagt, muß wie ihre Eigenthümer leben.«

»Eigenthümer!« wiederholte der finstere Grenzbewohner, »ich hab so großes Recht auf das Land, worauf ich stehe, als irgend ein Herrscher in allen Staaten. Könnt‘ Ihr mir sagen, Fremder, wo man das Gesetz findet, welches bestimmt, daß der Eine einen Bezirk, eine Stadt oder vielleicht ein Land zu seinem Gebrauch haben und der Andere sich ein Plätzchen zu seinem Grab erbetteln soll. Das ist nicht Natur und ich läugne, daß es ein Gesetz ist, das heißt, Euer rechtskräftiges Gesetz.«

»Ich kann nicht sagen, daß Ihr Unrecht habt,« erwiederte der Streifschütz, dessen Meinung über diesen wichtigen Satz, obgleich aus sehr verschiedenen Folgerungen, in sonderbarem Einklang mit denen seines Gefährten stand; »und ich habe oft eben so gedacht und gesprochen, wann und wo ich glaubte, meine Stimme würde gehört werden. Aber Euer Vieh ward Euch gestohlen von denen, welche sich Herren von allem, was sie in den Wüsten finden, nennen.«

»Sie hätten besser gethan, mit einem Mann über eine Sache nicht zu streiten, der sie besser versteht,« sagte der Andere drohend, obgleich der Ton so dumpf und schläfrig schien, als der, welcher ihn vorbrachte. »Ich nenn‘ mich einen guten Handelsmann, der so viel gibt, als er empfängt. Ihr sahet die Indianer?«

»Ja; ich war ihr Gefangener, während sie sich in Euer Lager stahlen.«

»Es hätte sich besser für einen Weißen und Christen geschickt, es mich bei Zeiten wissen zu lassen,« entgegnete Ismael, und warf einen zweiten unglückdrohenden Seitenblick auf den Streifschütz, als sinne er immer noch auf Rache; »ich nenne nicht leicht Jeden, auf den ich treffe, Vetter; aber die Farbe sollte doch etwas gelten, wenn Christen an einem solchen Ort sich begegnen. Aber was geschehen ist, ist geschehen, und kann durch Worte nicht gut gemacht werden. Kommt aus Eurem Versteck, Junge; hier ist nur ein alter Mann; er hat von meinem Brod gegessen, und sollte mein Freund sein; aber es sind gute Gründe zum Argwohn da, daß er es mit meinen Feinden gehalten.«

Der Streifschütz antwortete nicht auf den schnellen Bedacht, den der Andere keinen Anstand nahm, ohne den geringsten Rückhalt zu äußern, ungeachtet der Erklärungen und Betheuerungen, die er eben erst gehört. Der Ruf des ungebeugten Grenzwohners hatte alsbald mehrere herbeigezogen. Vier oder fünf seiner Söhne kamen aus verschiedenen Schlupfwinkeln hervor, in die sie sich in der Meinung begeben, die Figuren, die sie auf dem Hügel der Steppe gesehen, seien ein Theil der Sioux-Bande. So wie jeder herbei kam und sein Gewehr in den Arm nahm, warf er einen ausdruckslosen, aber forschenden Blick auf die Gestalt des Fremden, obgleich keiner die geringste Neugier zeigte, zu erfahren, woher er gekommen, oder warum er da sei. Diese Gleichgültigkeit kam jedoch nur theilweise von der Trägheit ihres Charakters her; denn lange und häufige Erfahrungen in Scenen solcher Art hatten sie die Tugend der Vorsicht gelehrt.

Der Streifschütz ertrug ihre finstere, aber schweigende Untersuchung mit einer Standhaftigkeit, die zeigte, daß er so erfahren sei, als sie selbst; er ertrug sie mit der ganzen Ruhe der Unschuld. Zufrieden mit der schnellen Untersuchung, die er angestellt, wandte sich der älteste der Söhne, welches gerade die schuldige Schildwache war, deren Trägheit der listige Mahtoree so wohl benutzt hatte, zum Vater, und sagte ganz trocken:

»Wenn dieser Mann alles ist, was von dem Trupp, den ich dort oben sah, übrig blieb, so haben wir unser Pulver nicht weggeworfen.«

»Asa, du hast Recht,« sagte der Vater, und wandte sich plötzlich zum Streifschützen, als wenn ein verlorner Gedanke durch den Wink seines trägen Sohnes wieder in ihm hervorgerufen würde. »Wie ist das, Fremder; Ihr wart eben noch zu drei, oder im Mondlicht ist keine Wahrheit!«

»Hattet Ihr die Teton durch die Steppen, wie so viele schwarze böse Geister hinter Eurem Vieh her rasen sehen, so hattet Ihr sie leicht, mein Freund, für tausend halten können.«

»Ja ein in der Stadt geborner Junge oder ein dummes Weib; obwohl, da ist die Esther, sie fürchtet sich nicht mehr vor einer Rothhaut, als einem jungen Fuchs, oder einem Wolf-Säugling, Ich schwöre Euch, hatten Eure diebischen T – l ihren Schlag bei Tageslicht ausgeführt, Ihr hättet das gute Weib kräftig am Werk unter ihnen gesehen, und die Sioux würden gefunden haben, daß sie gar nicht so leicht ohne einen Preis ihren Käse und ihre Butter aufzugeben sich verstanden hätte. Aber es wird eine Zeit kommen, Fremder, recht bald, wo Gerechtigkeit geübt wird, und das auch ohne Hülfe dessen, was man Gesetz nennt. Wir sind ein langsames Volk, man mag es sagen, und es wird oft von uns gesagt, aber langsam ist sicher, und es leben Wenige, die sagen können, daß sie uns je einen Schlag versetzten, den sie nicht eben so hart von Ismael Busch wieder bekamen.«

»Dann hat Ismael Busch mehr die wilden Triebe der Thiere als die eigenthümlichen Grundsätze, die sein Geschlecht leiten sollten, nachgeahmt,« erwiederte der unerschrockene Streifschütz. »Ich selbst hab‘ manchen Schlag gethan, aber nie die Gemüthsruhe empfunden, die der genießt, der seiner Vernunft folgt, wenn ich auch nur einen Hirsch erlegte, ohne sein Fleisch oder seine Haut zu bedürfen; ich empfand’s, als ich einen Mingo unbeerdigt in den Wäldern liegen ließ, wie ich im offenen, gerechten Krieg begriffen war.«

»Wie, Ihr seid Soldat gewesen, wart Ihr, Streifschütz? Auch ich machte einen Zug oder zwei unter, die Cherokee, wie ich noch ein Junge war, und folgte dem rasenden Anton in’s Feld durch die Buchen, aber es war mir viel zu viel Ordnen und Einschränken unter seinen Truppen; so verließ ich ihn, ohne vom Zahlmeister meinen Rückstand zu fordern. Doch hatte, wie sie sich damals rühmte, Esther einen so guten Gebrauch von der Banknote gemacht, daß die Staaten nicht viel durch meine Nachsicht gewannen. Ihr habt gewiß vom rasenden Anton gehört, wenn Ihr Euch lang unter den Soldaten aufhieltet.«

»Ich focht, wie ich hoffe, meine letzte Schlacht unter seinen Befehlen,« erwiederte der Streifschütz, und seine dunkeln Augen glänzten vor Freude, als erinnere er sich an den Vorfall mit Vergnügen; aber bald hatte sie der Kummer umwölkt, eine geheime Stimme schien ihm zu sagen, er habe zu oft in gewaltigen Scenen eine Rolle gespielt. »Ich ging von den Staaten an der Seeküste in diese entfernten Gegenden, als ich auf den Nachtrab seines Haufens stieß und so fast als bloßer Zuschauer unter sie gerieth; wenn es aber zu Schlägen kam, dann ließ sich meine Flinte hören, ob ich gleich, zu meiner Schande sei es gesagt, nie wußte, auf welcher Seite das Recht sei, was doch ein Mann von siebzig wissen sollte, ehe er ein Leben vernichtet, ein Geschenk entreißt, das er nie wieder erstatten kann.«

»Kommt, Fremder,« sagte der Auswanderer, sein rauhes Wesen hatte sich um vieles gemildert, als er gefunden, daß sie auf einer Seite in den wilden Kriegen des Westen gefochten, – »es ist nichts daran gelegen, was die Grundursache des Streits sein mag, wenn Christen gegen Wilde fechten. Wir wollen morgen wegen des Pferdediebstahls weiter hören; für heute können wir nichts Besseres und Vernünftigeres thun, als schlafen.«

So sagend ging er bedachtsam den Weg nach seinem geplünderten Lager voraus, und führte den Mann, dessen Leben einen Augenblick vorher seine Wuth in wahre Gefahr gebracht hatte, in seine Familie ein. Hier erzählte er nach einigen erklärenden Worten, mit wenigen, aber bedeutungsvollen Drohungen gegen die Plünderer untermischt, seinem Weibe den Stand der Dinge in der Steppe, und eröffnete dann seinen Entschluß, sich für die unterbrochene Ruhe dadurch zu entschädigen, daß er den noch übrigen Theil der Nacht dem Schlaf widme.

Der Streifschütz gab der Maßregel seinen vollen Beifall, und streckte seine lange Gestalt auf ein Grasbündel, das man ihm anwies, so ruhig aus, wie sich etwa ein Fürst in der Sicherheit seiner Residenz und von seiner bewaffneten Garde umgeben, dem Schlaf überlassen würde. Doch schloß der alte Mann nicht eher die Augen, als bis er sich überzeugt, daß Ellen Wade unter den Weibern des Zugs sich befinde, und daß ihr Verwandter oder Liebhaber, was er nun sein mochte, die Klugheit gebraucht, sich nicht sehen zu lassen. Daraus schlief er ein, jedoch mit der ihm eigenen Wachsamkeit, die, er gleichsam selbst in den Stunden tiefer Nacht im Schlafe beizubehalten sich gewöhnt hatte.