Zwei Jahre lebten die Kasperles im alten gemütlichen Severinhaus. Da stand an einem Spätsommertag ein Matrose vor einem Spielwarenladen in Hamburg. Er sah darin zwei Kasperles ausgestellt: Peringel und Bimlim, darunter stand: »Nach lebendigen Kasperles geschnitzt von Meister Severin.« Neben dem Matrosen stand ein Engländer, der auch die Kasperles ansah. Der Engländer hatte, wie einst Mister Stopps, einen kleinen Spleen, auf deutsch einen kleinen Klaps.

Der Engländer sah auch die Kasperles an, und da er Spielzeug sammelte, obgleich er keine Kinder hatte, sagte er auf einmal laut: »Die will ich kaufen.«

»Nein, ich,« schrie der Matrose.

»O no, ich habe es zuerst gesagen.«

»Ich gedacht.«

»Denken gilt nichts in der Welt.«

»Doch, mir gehören sie.«

»Mich.«

»Nein, mir.«

»Mich.«

Die beiden stritten miteinander und plötzlich begannen sie zu boxen. Puff, puff, ging das, Schlag auf Schlag. Und dabei schrien sie immer: »Mir«, »mich«, »mir«, »mich«.

»Ruhe!« rief ein Schutzmann.

»Mich sein die Kasperles.«

»Ich hab’s zuerst gedacht, ich will sie kaufen.« Das Streiten zwischen Engländer und Matrose lockte Zuschauer herbei und ein alter Mann sagte: »Sie sind alle beide verrückt.«

»Bitte schön, ich bin nicht verrückt.« Der Matrose hörte zu boxen auf und der Engländer hörte auch auf. Beide sagten wieder wie aus einem Munde: »Mir gehören die Kasperles.«

»Mich gehören sie.«

»Welche Kasperles?« Der Schutzmann machte große Augen vor Erstaunen und alle Leute, die darum herumstanden, fragten lachend: »Welche Kasperles?«

»Die da im Laden stehen.«

»Wo stehen welche?«

»Dort im Laden.«

»Wo?«

Da sahen Matrose und Engländer hin, aber die beiden Kasperles waren weg.

»Sie sind gestohlen worden,« riefen beide.

»Ih wo, am hell-lichten Tage aus ’nem verschlossenen Ladenfenster, wer soll denn da Kasperles stehlen?«

Die beiden rannten in den Laden hinein und riefen: »Wo sind die Kasperles?«

»Eben verkauft.« Der Herr des Geschäfts rieb sich die Hände. Er hatte wohl gesehen, wie sich die beiden gestritten hatten, und er war froh, daß ein Dritter die beiden Figuren gekauft hatte, denn boxende Käufer in seinem Laden schätzte er nicht.

»Wer haben sie gekauft?« fragte der Engländer, während der Matrose leise einen Angestellten etwas fragte.

»Der Herr, der da eben um die Ecke biegt.«

Im Umsehen war der Engländer draußen und rannte dem Herrn nach, während sich der Matrose drinnen im Laden die Adresse von Meister Severin geben ließ. Er ging dann hinaus, setzte sich in ein Auto und sagte: »Nach Torburg.«

»Wo liegt denn das?«

»In Franken.«

»Also dann fahren wir mal los.«

Und sie fuhren los.

Inzwischen war der Engländer dem Herrn nachgelaufen, der die Kasperles gekauft hatte, und schon war er ihm nahe, als der in ein Auto stieg und ihm heidi hoppsassa an der Nase vorbeifuhr.

Da stand der Engländer auf der Straße und sah sich dumm um.

»Was wollten Sie denn von dem Herrn?« Ein Schutzmann fragte und der Engländer mit seinem Spleen gab Antwort.

»Um ein paar Holzkasperles so ’n Gestürme,« sagte der Schutzmann, »das ist dumm.«

»Das sein nicht dumm und er sein grob, zu mich das zu sagen.«

»Nee, man ’n bißchen still, nicht so schreien, um so ein paar Holzkasperles macht man nicht so ’n Wesen. Gehen Sie doch in den Laden und bestellen Sie ein paar andere.«

Der Engländer klappte vor Verwunderung seinen Mund auf und zu, und als er ihn wieder auf hatte, sagte er: »Das sein einfach.«

»Na, ich denke.«

Der Engländer kehrte wieder in den Laden zurück und erfuhr dort, daß die Vorbilder der Kasperles lebendig wären und in Torburg wohnten. »Ein Auto,« schrie er, »ich will hinfahren.«

»Das hat der andere auch schon gesagt.«

»Uer?«

»Na, der Matrose, mit dem Sie geboxt haben.«

»Schnell, o schnell, er wird sie mich wegnehmen.«

Und Mr. Steeplechose setzt sich in ein Auto und fuhr dem Matrosen nach Torburg nach.

Der hatte aber einen guten Vorsprung und kam eher an. Er ließ sich vor das Severinhaus fahren und wollte dort gerade in den Hausflur treten, als Kasperle und Bimlim herausgepurzelbaumt kamen. Bums, da saßen sie alle drei auf der Erde, und der Matrose sagte: »Ihr seid es wirklich, Kasperle Peringel und Prinz Bimlim?«

»Woher kennst du uns denn?« riefen die.

»Ich soll euch Grüße bringen und euch holen.«

»Von wem? Wohin denn?«

»Von der Kasperleinsel!«

Heisa, da saßen beide, die gerade aufstehen wollten, wieder auf dem Hosenbödle und beide schrien: »Das ist nicht wahr!«

»Ist doch wahr, ich war dort.«

»Wie denn dort?«

»Na, ich bin mit einem Schiff hingefahren und hingeschwommen.«

»Haben sie nicht mit einer Lachkanone geschoßt?«

»Die ist kaputt.«

»Und König Tolu?«

»Ist tot. Aber immer können wir doch nicht im Hausflur sitzen bleiben, kommt mit hinein zu Meister Severin, der euch geschnitzt hat, da will ich alles erzählen.«

Das gab drinnen ein großes Verwundern, als sie hörten, hier komme einer, der auf der Kasperleinsel gewesen sei. Und was erzählte er? König Tolu wäre tot und die Kasperles wollten durchaus Peringel, den Schlingel, zum König haben, der hätte ihnen so gut gefallen. Freilich müßte Prinz Bimlim, wenn der noch am Leben wäre, seine Erlaubnis geben. Der schrie gleich: »Meinetwegen, Peringel soll König sein, mir ist das zu anstrengend.«

Kasperle aber schüttelte den Kopf, er glaubte die ganze Geschichte nicht, und der Matrose mußte erst einen Brief vorzeigen, in dem stand, daß sie einen König brauchten. Das war nun ein echter Kasperlebrief. Statt Worte waren es Bilder. Da war ein Bild, auf dem alle Kasperles nach der leeren Königsschaukel zeigten, und eins, da standen sie alle am Meeresstrand und winkten einem Schiff zu. Kasperle erkannte aus den Bildern, daß sie ihn wirklich zum König haben wollten. Und wie er noch die Bilder besah, zeigte Jan, so hieß der Matrose, einen Beutel Reisegeld für die Kasperles. Und wenn er sie brächte, bekäme er noch einen viel größeren Beutel mit Geld und Perlen, erzählte der Matrose.

Indem sie noch redeten, kam Mr. Steeplechose angefahren. Er machte ein großes Geschrei vor dem Hause und rief mit lauter Stimme: »Ich will die Kasperles sehen.«

Da streckte Peringel den Kopf zum

Fenster hinaus und rief: »Hier wohnen keine Kasperles.«

»Oh, du sein doch einer.«

»Nä.«

»Wer sein du denn?«

»Ein König.« Und Peringel, der Schlingel, streckte, so weit er konnte, die Zunge heraus.

Das paßte sich nun gar nicht für einen König, alle sagten es und Kasperle schämte sich gewaltig. Und weil Mr. Steeplechose nicht aufhörte mit dem Ruf: »Ich will die Kasperles sehen!« ging Jan hinaus und boxte so lange mit ihm, bis Mr. Steeplechose braun und blau geschlagen davonfuhr. Erst als er wieder in Hamburg war, fiel ihm ein, daß er doch Meister Severin nach Holzkasperles hatte fragen wollen.

Kasperle ein König! Peringel, der Schlingel, König der Kasperleinsel! In Torburg erzählten es sich die Menschen auf der Straße und alle fragten einander: »Wird er denn gehen? Will er uns verlassen?« Das war eine schwere Entscheidung für die Kasperles. Bimlim wurde es nicht so schwer, der wäre gern im Menschenland geblieben, denn er kannte die Kasperleinsel kaum noch, die liebe, schöne Insel im blauen Meer mit all ihren Blumen.

Und Kasperle überlegte und überlegte, und kam zu keiner Entscheidung. Viele redeten zu, viele rieten davon ab.

Am dritten Tage ging Kasperle zu Prinzeß Marlenchen. Es putzte sich, so fein es konnte, zog seine neuen Hösles an und wusch sich sogar dreimal die Hände. Es ließ sich von Meister Severin Geld geben, kaufte einen großen Blumenstrauß bunt wie ein Kasperlerock, ging damit zu Prinzeß Marlenchen und fragte sie frank und frei, ob sie seine Frau werden wolle. Er wäre ein König und müßte doch eine Königin haben.

Aber Marlene wollte keine Kasperlekönigin werden, sie sagte, sie wolle lieber in Deutschland bleiben und etwas lernen.

Das war ein bitterer Schmerz für Peringel. Er heulte ganz fürchterlich und Marlenchen hatte Mühe, ihn zu trösten. Schließlich kam sie auf den Einfall, Pfannküchlein holen zu lassen. Davon aß Peringel sechzehn Stück und ließ das Heulen sein.

Also Marlenchen wollte nicht mit. Es fanden sich andere Kinder, die gerne mitgewollt hätten, aber Jan sagte, dazu hätte er keinen Auftrag. Und dann wollten die Eltern ihre Kinder auch nicht nach der Kasperleinsel schicken. Da war nichts zu machen.

Und an einem wunderschönen Oktobertag reisten die Kasperles doch nach ihrer Heimatinsel ab. Sie fuhren mit einem Luftschiff, obgleich Kasperle sehr große Angst vor dem Übelwerden hatte. Und vor dem Herausfallen auch. Aber König Peringel wurde festgebunden, damit er nicht wieder auf einem Strohhaufen landete.

Ganz Torburg lief zusammen, um Abschied zu nehmen. Und jeder brachte ein paar Pfannküchlein und schließlich war das ganze Luftschiff voll und die Kasperles aßen und aßen und darüber verging ihnen das Übelwerden. Ein Zeichen, daß Pfannküchlein gut sind bei Luftfahrten.

Nach ein paar Wochen kamen die Luftschiffer zurück. Die Kasperles waren mit großer Freude im Kasperland aufgenommen und Peringel war gleich zum König ausgerufen worden. Die Kasperles waren nur traurig, daß Marlenchen nicht mitgekommen war, sie dachten, es wäre noch das kleine Menschenmädchen, das einstmals bei ihnen war, denn auf ihrer glücklichen Insel vergeht ihnen schnell genug die Zeit.

König Peringel sandte auch an Meister Severin einen großen Beutel voll Gold und Perlen, und der gab davon Meister Drillhose, Madame Käsewurm, Meister Hirsebrei und dem Kasperlemann von der Leipziger Messe, damit die keine Not mehr zu leiden brauchten.

Ob wohl Kasperle manchmal Sehnsucht hat nach dem lieben Deutschland? Ganz sicher, aber er wird dann seinen Untertanen etwas vorkaspern und sich über die Sehnsucht trösten.

Ob er einmal wiederkommt?

Wohl kaum.