Anthropozentrik

Anthropozentrisch nennt man Ethiken, die in ihren Begründungen hauptsächlich oder ausschließlich auf den Menschen Bezug nehmen.

Nach dem Sachbezug unterscheiden wir eine ontologogische, eine erkenntnistheoretische, eine sprachphilosophische und einen ethische Anthropozentrik.

Die ontologische Anthropozentrik ist durch die ontische Stellung des Menschen in Relation zu anderen Entitäten gekennzeichnet. So stellt er den Menschen an der Spitze einer innerweltlichen Seinspyramide oder wie bei Descartes als res cognitans gegenüber der bloßen res extensa der übrigen Welt. In diesem Sinne sind auch hierarchisierende evolutionsbiologische Eigenschaften des Menschen (der Mensch als höchstentwickeltes Wesen) anthropozentrisch.

In der erkenntnistheoretischen Anthropozentrik werden menschliche Erkenntnismöglichkeiten und Weltsichten als absolut bzw. dominierend thematisiert. Aus dieser Perspektive sind auch einige Theorien anthropozentrisch, die sich explizit gegen eine Anthropozentrik aussprechen (z. B. Peter Singer). Die sprachlogische Anthropozentrik nimmt auf die menschliche Sprachfähigkeit und ihre gesellschaftskonstituierende Wirkung Bezug. So sah Aristoteles die gattungsspezifische Differenz des Menschen gegenüber den Tieren in seiner Sprachfähigkeit bzw. Vernunftfähigkeit.

Die ethische Anthropozentrik schließlich nimmt den Menschen als Bezugspunkt ethischer Begründungen. Außer nach den Sachbezügen lassen sich die anthropozentrischen Ethiken auch nach der Anzahl der Träger klassifzieren. So kann man einzelne Menschen oder menschliche Kollektive (Familie, Gemeinde, Land, Nation, lebende Menschheit, alle lebenden, toten und zukünftigen Menschen) berücksichtigen. Unter diesem Gesichtspunkt lassen sich individualistische (z. B. Existentialismus) und kollektivistische Ethiken (z. B. der klassische Nutzen-Summen-Utilitarismus) unterscheiden. Die Intensität der Bezugnahme ist ein weiteres Klassifikationskriterium. Dietmar v. d. Pfordten unterschied unter diesem Aspekt [1]:

  1. Anthropozentrismus, wenn ausschließlich auf den Menschen Bezug genommen wird,
  2. unvollständige Anthropozentrik, wenn überwiegend auf den Menschen Bezug genommen wird,
  3. Anthroporelationalität, bei einfacher Bezugnahme auf den Menschen,
  4. Nichtanthroporelationalität, wenn auf den Menschen nicht Bezug genommen wird.

Die bekannteste anthropozentrische Position stammt von (I. Kant). Er hält grausame Behandlung der Tiere für eine Verletzung der Pflicht des Menschen gegen sich selbst, weil durch Abstumpfung Moralität geschwächt bzw. zerstört wird.

R. G. Frey liefert einen dem Utilitarismus nahestehenden Versuch einer anthropozentrischen Ethik [2]. Er vertritt die These, dass die Zuschreibung von Interessen an nichtmenschliche Lebewesen (Tiere, Pflanzen) nicht zu rechtfertigen ist. Moralisch relevante Interessen bestünden in Wünschen (desires), die kognitive Einstellungen (beliefs) voraussetzten [3].

Würde man Interessen unabhängig von Wünschen als Wohlbefinden (well-being) definieren, müsste man auch Maschinen Interessen zuschreiben [4]. Außerdem könen Lebewesen, die keine kognitiven Einstellungen haben, keine Wünsche haben [5]. Die Fähigkeit zu kognitiven Einstellungen ist bei Frey an die Sprachfähigkeit gebunden [6].

Gegen die Bindung der kognitiven Einstellungen an die Sprachfähigkeit hat D. v. d. Pfordten das Beispiel eingewendet, dass jemand durch einen Schlaganfall seine Sprachfähigkeit verlor. Eine solche Person, so v. d. Pfordten kann durchaus eine kognitive Einstellung haben, ohne eine Sprachfähigkeit zu besitzen [7].

Kritisiert wurde auch die Konsequenz der Überlegungen von Frey, dass Tiere keine Wünsche haben können. So bemerkt v. d. Pfordten, dass Schweine auf dem Weg zum Schlachter durchaus den Wunsch haben (können) weiterzuleben [8].

Häufig mit anthropozentrischen Positionen verbunden sind die subjektive Wertethik, Tugendethik, deontologische Ethiken, Mitleidsethik, der egoistische Subjektivismus, die Diskursethik und die Ethik des realen Vertrages.

Aber auch andere Theorien wie der Präferenzutilitarismus, die Interessenethik, die Kantische Ethik, die teleologische Ethik, die existentialistische Ethik, die Glücksethik, die Verantwortungsethik, die Liebesethik, die Wohlwollensethik, die Ethik des fiktionalen Vertrags, die kommunitaristische Ethik, der Intuitionismus und die Güterethik können mit anthropozentrischen Positionen verbunden sein.


[1] Pfordten, D. v. d.: Ökologische Ethik. Zur Rechtfertigung menschlichen Verhaltens gegenüber der Natur. Rowohlt 1996, 21
[2] Frey, R. G.: Interests and Rights. The Case Against Animals. Oxford 1980
[3] Frey, R. G.: Interests and Rights. The Case Against Animals. Oxford 1980, 53 u. 83
[4] Frey, R. G.: Interests and Rights. The Case Against Animals. Oxford 1980, 79f.
[5] Frey, R. G.: Interests and Rights. The Case Against Animals. Oxford 1980, 57
[6] Frey, R. G.: Interests and Rights. The Case Against Animals. Oxford 1980, 87
[7] Pfordten, D. v. d.: Ökologische Ethik. Zur Rechtfertigung menschlichen Verhaltens gegenüber der Natur. Rowohlt 1996, 51
[8] Pfordten, D. v. d.: Ökologische Ethik. Zur Rechtfertigung menschlichen Verhaltens gegenüber der Natur. Rowohlt 1996, 52