Ethik des realen Vertrages

Als Ethik des realen Vertrages bezeichnet man ethische Theorien, die einen realen Vertrag als zentrales ethisches Kriterium heranziehen. Solche Theorien sind mit einer anthropozentrischen Position verbunden, wenn sie als nur den Mensch als vertragsfähig ansehen.

Schon in Platons Staat sagt Glaukon:

"Seinem natürlichen Ursprung nach, behauptet man, ist Unrechttun ein Gut, Unrechtleiden ein Übel, liegt in Unrechtleiden mehr Unglück als im Unrechttun Glück. Wer daher beides, Unrechttun und Unrechtleiden, ausgekostet hat und das eine sich nicht erwählen, dem andern aber nicht entgehen kann, wird es für vorteilhaft halten, einen Vertrag untereinander abzuschließen, der von beidem schützt. Und daher seien Gesetze und Verträge entstanden; was das Gesetz befahl, nannte man gesetzlich und gerecht. Dies sei Ursprung und Wesen der Gerechtigkeit, die in der Mitte zwischen dem höchsten Gut – Unrecht zu tun, ohne Strafe zu leiden – und dem größten Übel – Unrecht zu leiden, ohne sich rächen zu können gelegen sei."

Sokrates widerspricht dem Glaukon bei Platon freilich.

P. Singer sieht in solchen Positionen einen größeren Zwang zu Anthropozentrik als tatsächlich vorhanden ist.

Er schreibt:

"Denn falls die Grundlage der Ethik darin besteht, darauf zu verzichten, anderen Übles zuzufügen, solange sie mir nichts Übles zufügen, habe ich keinen Grund, mich denen gegenüber mit meinen Gemeinheiten zurückzuhalten, die unfähig sind, meine Zurückhaltung zu würdigen und ihr eigenes Verhalten mir gegenüber entsprechend zu kontrollieren. Tiere gehören im großen und ganzen zu dieser Kategorie." [1].

Daß dies nicht für alle Tiere zutrifft, zeigt zunächst das Verhältnis zwischen Haustier und Mensch (zu den Haustieren zähle ich auch alle Tiere in Tierparks). Wenn der Mensch fair mit seinem Hund, seiner Katze u. s. w. umgeht, ist dies durchaus von beiderseitigem Vorteil, auch wenn eine Katze nur nach einer qualvollen Dressur einen Vertrag unterschreiben könnte.

Eine zweite Gruppe von Tieren sind die Tiere, die dem Menschen in irgendeiner Weise nützen (man könnte fragen, ob dies nicht sogar Tiere aller Tierarten sind). Auch diese Tiere können keinen Vertrag unterschreiben. Aber sie verhalten sich wie ein Vertragspartner, wenn man als ihre Vertragsverpflichtung ansieht, dass sie sich an die Naturgesetze halten werden.

Nun glaube ich nicht, dass Ethiken des realen Vertrages die Lösung ethischer Probleme sind. Allerdings sollte das Schließen von Verträgen, die Herausbildung von Gewohnheiten in einer Gemeinschaft usw. in einer Ethik ein ausreichenden Platz bekommen.

Gleiches würde ich von Ethiken des fiktionalen Vertrages nicht sagen, da diese eine Art von Rationalität unterstellen, an die sich alle halten sollten.

Stärker als das genannte Argument Singers gegen Ethiken des realen Vertrages ist der Einwand, der darauf hinausläuft diesen Ethiken fehlenden Altruismus vorzuwerfen. So weist er darauf hin, dass diese Ethiken vom Eigeninteresse ausgehen [2] und die künftigen Generationen nicht in den Blick bekommen [3].


[1] Singer, P.: Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart 21994, 111
[2] Singer, P.: Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart 21994, 112
[3] Singer, P.: Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart 21994, 113