Von dem gemeinen Volk der Insel bekamen wir wenig zu sehen. Anfänglich trafen wir noch am Brunnen mit ihm zusammen, an dem die Leute ihre Wäsche wuschen und wir unser Trinkwasser zapften. Diese doppelte Tätigkeit war indes nicht gerade nach unserem Geschmack, und da wir einen Tyrannen zur Verfügung hatten, wandten wir uns an diesen und veranlaßten den König, den Ort in unsere Tapulinie einzubeziehen. Das war eine der wenigen Gunstbezeugungen, die Tembinok‘ offensichtlich ungern gewährte, und man kann sich denken, wie wenig beliebt sie die Fremden machte. Zahlreiche Dorfbewohner gingen täglich aus ihrem Wege nach den Feldern an uns vorüber, allein sie machten stets einen weiten Bogen um das Tapu und schienen sogar ihre Blicke davon abzulenken. Von Zeit zu Zeit gingen wir selbst in das Dorf hinab, das ein recht seltsamer Ort war, fast holländisch anmutend infolge der vielen Kanäle und orientalisch durch die Höhe und Steilheit der Dächer, die sich in der Dämmerung wie Tempeldächer ausnahmen – doch nur selten wurden wir in ein Haus gerufen. Man bot uns keinen Willkommensgruß, keine Freundschaftsbezeugung, und von dem Familienleben bekamen wir nur ein Bild zu sehen: eine Totenwache, ein grausiger, peinlicher Anblick. Die Witwe hielt auf ihrem Schoß den kalten, bläulichen Körper ihres Gatten, nahm von Zeit zu Zeit an den Erfrischungen Teil, die der Gesellschaft gereicht wurden und küßte im nächsten Augenblick den bleichen Mund. (»Ich fürchte, Sie empfinden diese Heimsuchung tief«, bemerkte der schottische Geistliche. »Ja, Herr, sehr tief!« entgegnete die Witwe. »Die ganze Nacht über hab ich geheult, und jetzt will ich nur ein klein bißchen Grütze essen, dann heul ich gleich wieder.«) Auf unseren Spaziergängen empfing ich den Eindruck, als wichen die Insulaner uns aus, vielleicht aus Abneigung, vielleicht auch auf Befehl; wenn wir Überhaupt welchen begegneten, so geschah es meist durch Überrumpelung. Die Oberfläche der Insel ist teils mit Palmenwäldchen, teils mit Dickichten bewachsen und von romantischen kleinen Tälern, den Überresten alter Taropflanzungen, durchzogen; so war es möglich, die Leute, wenn sie von ihrer Arbeit ausruhten oder sich versteckten, unversehens zu überraschen. Ungefähr einen Pistolenschuß von unserem Stadtbild entfernt lag im Grunde des Dschungels ein Teich, wohin die Mädchen der Insel zum Baden kamen, und wo wir sie verschiedene Male durch unser plötzliches Erscheinen aufschreckten. Die hellen, kalten Flüsse von Tahiti und Upolu sind ihnen versagt; sie dürfen nicht zur Dämmerstunde zusammen mit einem ganzen Dorf voll heiterer Gefährtinnen im Wasser spielen und plantschen, sondern müssen sich einsam wegstehlen an einen Ort, der starke Ähnlichkeit mit einer Viehsuhle hat, um sich dort in dem lauwarmen Schlamm, braun wie ihre eigene Haut, hinzukauern und sich zu waschen, falls man das Waschen nennen kann. Noch andere, wenn auch seltene Begegnungen sind mir im Gedächtnis geblieben. Mehrere Male wurde ich durch den Klang zarter Stimmen im Busch aufgehalten, weich wie Flöten und voll sanfter Modulation. Hoffnung schmeichelte mir, ich schob die Blätter beiseite, aber siehe da! Statt der erwarteten Dryaden hockten ein paar nur allzu kompakte Damen in ihren ungraziösen Ridis vor mir, eifrig mit ihren Tonpfeifen beschäftigt. Schönheit der Stimme und der Augen war alles, was diesen schwerfälligen Matronen geblieben war, und die Anmut der Stimme war in der Tat wundervoll. Seltsamerweise habe ich nirgends wieder eine so gewinnende Redeweise vernommen, obwohl sich der Dialekt eher durch häßliche, gezwungene und ausgefallene Vokabeln auszeichnet, so daß Tombinok‘ selbst mir erklärte, er mache ihn müde und er ruhe sich beim Englischsprechen aus.

Die Lebensverhältnisse dieser Leute, die ich so selten sah, vermochte ich lediglich zu erraten. Der König selbst erläuterte mir in kunstvoller Weise die Situation. »Nein; ie sie bessahlen,« bemerkte er einmal. »Ie sie geben Tabak. Sie fü miss albeiten ganss wie Blüdah.« Diese Leute tragen sämtliche Zeichen der Sklaverei an sich – Leichtfertigkeit, die an Kindischsein grenzt, unverbesserliche Trägheit und unheilbare Zufriedenheit. Die Unverschämtheit des Kochs war ein origineller Zug, nicht so sein Mangel an Ernst, den er mit Onkel Parker teilte. Beide tanzten gleich sorglos im Schatten des Galgens herum und schlugen dem Tode so respektlose Schnippchen, daß ein oberflächlicher Beobachter der menschlichen Natur sich wundern mußte. Von Parker schrieb ich, daß er sich wie ein zehnjähriger Junge benehme: war er, der sechzigjährige Sklave, denn auch etwas anderes? Sein ganzes Leben hatte er in einer Schule verbracht; man hatte für ihn gesorgt, ihn ernährt, ihn gekleidet und geschulmeistert: an den Gedanken der Strafe hatte er sich gewöhnt und kokettierte deshalb mit ihr. Durch Furcht kann man die Menschen zwar lange treiben, aber nicht weit bringen. Hier in Apemama müssen sie sich ständig unter drohender Lebensgefahr plagen und haben sich in eine Lethargie der Faulheit hineingerettet. Es ist durchaus kein ungewöhnlicher Anblick, einen Mann unter einer steifen Matte, in der er, die Ellenbogen an die Hüften gedrückt, wie ein Hahn, dem man die Beine zusammengebunden hat, einherspaziert, auf die Felder gehen zu sehen. Dort muß die eine Hand, was immer auch die andere tun mag, feiern und das Kleidungsstück zusammenhalten, damit er es nicht verliert. Ebenso häufig sieht man zwei Männer an einer Stange einen einzigen Eimer Wasser tragen. Nun geht es zwar an, daß zwei Mann sich in eine Kirsche teilen: daß aber aus eines einzigen Soldaten Marschausrüstung zwei Lasten gemacht werden, nur um noch keine hundert Meter getragen zu werden, übersteigt jedes Maß. Die Frauen verkommen auch weniger rasch in der Sklaverei, da sie die weniger kindischen Tiere find. Ich habe die Frauen von Apemama, selbst in Abwesenheit des Königs, ja, wenn sie ganz allein waren, ausdauernd arbeiten sehen. Dagegen ist das Höchste, auf das man bei einem Manne hoffen darf, daß er unter äußerster Schonung seiner Kräfte ruckweise eine Arbeit beginnt, nur um in den Zwischenpausen müßig herumzulungern. So habe ich einen Maler arbeiten sehen, die Pfeife im Munde, während sein Freund ihm am Atelierfeuer Gesellschaft leistete. Man könnte meinen, die Rasse ermangele überhaupt jeder Höflichkeit und Lebenskraft, wenn man sie nicht beim Tanze beobachtet hätte. Nacht für Nacht und mitunter auch ganze Tage lang schmettern sie in dem großen Sprechhaus ihre Chorgesänge in die Luft hinaus – feierliche Andanten und Adagios, die von Händeklatschen begleitet und mit einer Kraft gesungen werden, daß die Wände davon erzittern. Dabei ist der Takt nicht einmal sehr langsam, wenn auch langsamer als der sonst auf den Inseln gebräuchliche; ich habe vielmehr nur an seine Wirkung auf die Zuhörer gedacht. Ihre Musik klingt aus der Nähe wie Kirchenmusik und erscheint dem europäischen Ohr gleichmäßiger als die meisten Inselgesänge. Zweimal habe ich auch beobachtet, daß eine Disharmonie ganz regelrecht aufgelöst wurde. Aus der Ferne dagegen, in Äquatorstadt vernommen, schien sich der Rhythmus zu heben und zu senken, und erschollen die Stimmen wie Hundegebell aus einem fernen Zwinger.

Die Sklaven sind entschieden nicht überarbeitet – zehnjährige Kinder vermögen ohne Überanstrengung mehr zu leisten – und die Apemama-Arbeiter kennen auch Feiertage, an denen das Singen schon früh am Nachmittage anfängt. Ihre Kost ist dagegen rigoros – Kopra und eine Süßigkeit aus zerstampftem Pandanus sind die einzigen Gerichte, die außerhalb des Palastes gegessen werden, doch ist an der Menge der Nahrung nichts auszusetzen, und der König teilt mit dem Volk seine Schildkröten. Während unseres Aufenthaltes wurden ihm drei dieser Tiere aus Kuria geschickt: das eine wurde für den Palast reserviert, das andere uns und das dritte dem Dorfe übersandt. Die Insulaner haben die Gewohnheit, die Schildkröte mitsamt dem Rückenschild zu kochen; man hatte uns aber die Schale versprochen, und wir baten daher, diesen törichten Brauch unter Tapu zu stellen. Sofort verfinsterte sich das Antlitz Tembinok’s, und er gab keine Antwort. Ein Zögern in der Frage des Brunnens konnte ich verstehen, denn Wasser ist rar auf einer flachen Insel; daß er sich aber weigern könnte, in eine kulinarische Frage dreinzureden, war mehr als ich mir hatte träumen lassen, und ich folgerte daraus – ob mit Recht oder Unrecht, weiß ich nicht – daß er in höchstem Maße zurückhaltend wäre, wenn es sieh darum handelte, in das Privatleben einzugreifen oder an den Gewohnheiten seiner Sklaven zu rühren. Also besitzt selbst hier, im Herzen des Despotismus, die öffentliche Meinung noch Gewicht; selbst in dieser Hochburg der Sklaverei hat die Freiheit einen Winkel gefunden.

Ordentlich, nüchtern und unschuldig – wie auf einer Musterpflanzung unter der Leitung eines Musterpflanzers – so fließt Tag für Tag das Leben auf der Insel hin. Unmöglich kann man an dem wohltuenden Einfluß dieser strengen Herrschaft zweifeln. Eine sonderbare Geschmeidigkeit, ein weiches, anmutiges Benehmen, etwas Weibisches und Höfisches zeichnet die Insulaner von Apemama aus. Diese Eigenschaften bildeten das Gesprächsthema sämtlicher Händler und wurden selbst von so unbeliebten Besuchern, wie wir es waren, empfunden, ja, sie traten sogar an unserem Koch, und zwar in seinen unverschämtesten Minuten, hervor. Der König stand mit seiner männlichen, schlichten Haltung ganz allein da; man kann ihn als den einzigen Gilbert-Insulaner auf Apemama bezeichnen. Gewalttätigkeit, die in Butaritari heimisch ist, kommt hier nicht vor, ebensowenig Diebstahl und Trunkenheit. Man versichert mir, man habe das Experiment gemacht, Goldstücke am Strande vor dem Dorfe liegen zu lassen: sie blieben dort liegen. Während unseres ganzen Aufenthaltes auf der Insel bin ich nur ein einziges Mal um Alkohol angegangen worden, und zwar von einem höchst eindrucksvollen Burschen, der europäische Kleidung trug und ausgezeichnet englisch sprach – Tamaiti war sein Name oder – in der europäischen Korrumpierung – »Tom White«. Er war einer der Superkargos des Königs und erhielt drei Pfund den Monat und Prozente, außerdem war er noch Arzt und im Privatleben ein Zauberer. Dieser Mann traf mich eines Tages an der Grenze des Dorfes an einem einsamen, heißen Ort, an dem die Tarogräben tief und die Pflanzen hoch sind. Hier hielt er mich am Knopfloch fest, blickte sich wie ein Verschwörer nach allen Seiten um und fragte mich, ob ich Gin hätte.

Ich bejahte die Frage. Er bemerkte, Gin wäre verboten, lobte eine Welle das Verbot und fuhr dann fort, mir auseinanderzusetzen, daß er ein Doktor sei – er sprach das Wort »dogstar« aus – daß Gin für seine medizinischen Tränklein unentbehrlich wäre, und daß er mir sehr dankbar sein würde, wenn ich ihm etwas in einer Flasche mitgäbe. Ich sagte ihm darauf, daß ich dem König mein Wort verpfändet hätte, daß ich aber, da ja der Fall eine Ausnahme bilde, sofort zum Palast gehen würde, wo, wie ich nicht zweifelte, Tembinok mir die Erlaubnis erteilen wurde. Sofort geriet Tom White vor Verlegenheit und Furcht außer sich, flehte mich in den herzbewegendsten Ausdrücken an, ihn doch ja nicht zu verraten und floh meine Gegenwart. Er besaß nichts von dem Mut, der den Koch beseelte; Wochen gingen vorüber, ehe er mir gerade ins Auge zu sehen wagte, und auch dann erschien er nur auf Befehl des Königs in besonderen Angelegenheiten.

Je mehr ich von dieser strengen Herrschaft zu sehen bekam, je mehr ich sie bewunderte, um so heftiger verfolgte mich das Problem, das für uns vielleicht schon morgen aktuell werden konnte. Hier lebte ein Volk, das vor jedem ernsten Unglück bewahrt war, dem man alle schlimmen Sorgen abgenommen, gleichzeitig aber auch jede Freiheit geraubt hatte. War es wirklich zufrieden? Und welches waren seine Gefühle seinem Herrscher gegenüber? Die erste Frage konnte ich natürlich an niemanden richten, und die Eingeborenen hätten sie vielleicht auch gar nicht zu beantworten gewußt. Selbst die zweite war schon etwas delikat; doch fand ich endlich unter seltsamen, reizenden Umständen eine Gelegenheit, jemanden auszukundschaften und eine Antwort zu erhalten. Der Mond war beinah voll, und eine köstliche Brise wehte; die Insel war hell erleuchtet – wie am Tage – zu schlafen wäre ein Sakrileg gewesen, und ich wanderte, meine Flöte blasend, im Busch umher. Es muß wohl der Klang dessen gewesen sein, was ich euphemistisch als Musik bezeichne, der noch einen anderen Wanderer in meiner Richtung in die Nacht herauslockte. Es war ein junger Mann in einer feingeflochtenen Matte mit einem Kranz im Haar, der eben erst von Tanz und Gesang im Sprechhaus kam; Körper, Gesicht und Augen waren von bezaubernder Schönheit. Überall aus den Gilbertinseln trifft man hier und da Jünglinge von dieser einfach lächerlichen Vollkommenheit; ich habe schon erlebt, daß wir zu fünf, sechs Mann eine halbe Stunde versunken in Bewunderung eines Knabens von Mariki da standen, und Te Kop (mein Freund in der feinen Matte mit den Kränzen) war mir schon verschiedene Male aufgefallen und von mir als bei weitem das schönste Tier von Apemama klassifiziert worden. Der Zaubertrank der Bewunderung muß sehr stark sein, oder die Insulaner sind dafür besonders empfänglich, denn selten habe ich auf den Inseln jemanden bewundert, ohne daß er nicht sofort meine Bekanntschaft gesucht hätte. So war es auch mit Te Kop. Er führte mich an das Meeresufer, wo wir ein, zwei Stunden lang rauchend und schwatzend in dem unbeschreiblichen Strahlenglanz des Mondes auf dem glitzernden Sande saßen. Mein Freund zeigte sich ungemein empfänglich für die Schönheit und Lieblichkeit der Stunde. »Gute Nacht! Gute Wind!« rief er immer wieder, und während er diese Worte sprach, war es, als schwelge er darin. Lange vorher hatte ich derartige wiederholte Ausbruche des Entzückens für eine von mir erschaffene Figur (Felipe in der Geschichte Olalla) erfunden, in der Absicht, das Tierische dieses Wesens auszudrücken. Te Kop war aber durchaus nicht tierisch, sondern bezeugte nur eine kindliche Freude an dem Augenblick. Nicht weniger entzückt war er von seinem Gefährten, wenigstens hatte er die Liebenswürdigkeit, das zu behaupten und beehrte mich vor dem Abschiede damit, daß er mich Te Kop nannte, ja, er apostrophierte mich in den zartesten Tönen als »Mein Name«, wobei er seine Hand flüchtig auf meine Knie legte, und rief mir zweimal, als wir uns erhoben hatten und unsere Wege sich trennten, in einer Art sanften Ekstase zu: »Ie dih lieben zu viel.« Von Anfang an hatte er keinen Hehl aus seiner Furcht vor dem König gemacht; er weigerte sich, sich hinzusetzen oder lauter als im Flüstertone zu sprechen, bis wir nicht die ganze Breite der Insel zwischen ihn und seinen damals harmlos schlummernden Monarchen gelegt hatten, und selbst dann, als wir nur einen Steinwurf weit vom offenen Meere entfernt waren, wo unser Gespräch von dem Geräusch der Brandung und dem Sausen des Windes unter den Palmen übertönt wurde, fuhr er fort, behutsam zu sprechen, senkte seine silberne Stimme (die im Chorgesang laut genug schallte) und blickte rings um sich, wie einer, der sich vor Spionen fürchtet. Das Seltsamste an der Sache ist aber, daß ich ihn nie wieder sah. Aus jeder anderen Insel in der Südsee hätte sich jeder Eingeborene, wenn ich auch nur halb so weit mit ihm gegangen wäre, am nächsten Tage vor meiner Tür sehen lassen, Geschenke bringend und Geschenke erwartend. Aber Te Kop verschwand auf ewig im Busch. Mein Haus war für ihn natürlich unnahbar, er wußte aber, daß er mich am Meeresstrande finden konnte, wohin ich mich jeden Tag begab. Ich war der Kaupoi, der reiche Mann; mein Tabak und meine Waren galten als unerschöpflich: er wäre eines Geschenks sicher gewesen. Ich weiß nicht, wie ich sein Benehmen erklären soll, es sei denn, daß er sich voller Schrecken und Bedauern einer Stelle unseres Gesprächs erinnerte, die folgendermaßen lautete:

»Der Konig, er guter Mann?« erkundigte ich mich. »Wenn eh diss lieben, eh gute Mann«, erwiderte Te Kop; »niss lieben, dann niss gut«.

Das ist natürlich auch eine Art, die Sache klarzulegen. Te Kop selbst war wahrscheinlich kein Liebling des Königs, denn mir erschien er kaum als ein Muster an Fleiß. Außer ihm muß es aber noch viele andere gegeben haben, die der König (um mit Te Kop zu reden) nicht liebt. Mögen diese Unglücklichen nun den König leiden? Oder ist die Abneigung nicht vielmehr gegenseitig und der gewissenhafte Tembinok‘, wie vor ihm der gewissenhafte Braxfield und zahlreiche gewissenhafte Herrscher und Gesetzgeber, dessen Vorgänger, von lauter Murrköpfen umgeben? Nehmen wir zum Beispiel den Koch, der blau vor Wut und Entsetzen an uns vorbeijagte. Er war gegen mich über die Maßen aufgebracht; nach sämtlichen traditionellen Erfahrungen von der menschlichen Natur konnte er aber auch nicht gerade sehr gut auf seinen Herrscher zu sprechen sein. Er versuchte zwar, dem reichen Manne aufzulauern, meiner Meinung nach hat aber nur ein Haar daran gefehlt, daß er statt dessen dem König ein Bein stellte. Obendrein gibt der König dazu selbst reichlich Gelegenheit oder scheint sie doch zu geben; Tag und Nacht geht er unbegleitet umher, ob bewaffnet oder nicht, weiß ich nicht; und die Taropflanzungen, wohin seine Geschäfte ihn oft führen müssen, scheinen für einen Mordangriff geradezu geschaffen. Ja, der Fall des Koches lastete schwer auf meinem Gewissen. Mir widerstrebte es, meinen Feind von zweiter Hand töten zu lassen, doch hatte ich das Recht, dem Könige, der mir vertraut hatte, den gefährlichen und ränkesüchtigen Charakter seines Dieners zu verschweigen? Und wenn nun der König wirklich gestürzt wurde, was würde dann das Schicksal seiner Freunde sein? Unsere damalige Ansicht war, daß wir die Sperrung des Brunnens teuer würden bezahlen müssen, ja, daß unser Lebensodem aus des Königs Nase blies. Falls der König tatsächlich in irgendeinem Tarograben niedergeknüttelt wurde, dann durften die philosophischen und musikalischen Bewohner von Äquatorstadt voraussichtlich ihre angenehmen Zeitvertreibe beiseite legen und sich mit nur wenig Aussicht auf Erfolg auf die Verteidigungsmaßnahmen werfen, wie sie ihnen zur Verfügung standen. Derartige Überlegungen wurden durch einen Zufall, den ich mich schäme zu berichten, in uns wachgerufen. Der Schoner »H. L. Haseltine« (seither mit Verlust von elf Menschenleben untergegangen) war eine Stunde vor uns, die wir unsere Vorräte fast gänzlich erschöpft hatten, in Apemama angelaufen. Der König brachte, wie es seine Gewohnheit war, ganze Tage an Bord zu; unglücklicherweise war der Gin sehr nach seinem Geschmack, und einige Zeit war der unumschränkte Tyrann der Insel stark angesäuselt. Er war nicht betrunken – der Mann ist kein Trunkenbold; er pflegt zwar stets große Vorräte von Schnaps auf Lager zu haben, bedient sich ihrer aber mit Mäßigung – trotzdem war er unklar im Kopfe, blöde und konfus. Eines Tages erschien er, um mit uns zu speisen und schlief, während der Tisch gedeckt wurde, auf seinem Stuhle ein. Seine Verwirrung, als er aufwachte und merkte, daß man ihn ertappt hatte, kam einzig unserer Sorge gleich. Als er gegangen war, sprachen wir noch lange von der Gefahr, in der er schwebte, die wir bis zum gewissen Grade auch für die unsrige hielten – wie leicht er in einem derartigen Zustand von den Unzufriedenen überrascht werden könnte und welche seltsamen Szenen dann folgen würden – königliche Schatzkammer und Lagerhäuser dem Pöbel ausgeliefert, der Palast gestürmt, die Weibergarnison aufgelassen. Und noch während wir sprachen, wurden wir durch einen Gewehrschuß und einen plötzlichen, barbarischen Lärm aufgeschreckt. Ich glaube, wir wechselten alle die Farbe; es war aber nur der König, der auf einen Hund schoß, und der Chor im Sprechhaus, der ein Lied anstimmte. Ein oder zwei Tage später hörte ich, der König sei schwer erkrankt. Ich ging hinunter, um den Fall zu diagnostizieren und errang mir auf der Stelle den höchsten Grad medizinischer Wissenschaft durch eine Dosis doppelkohlensauren Natrons. Noch innerhalb der gleichen Stunde war der König wieder er selbst geworden; ich fand ihn in dem Neubau, vertieft in den doppelten Genuß, Rubam bei seiner Arbeit anzuleiten und eine Mahlzeit von Kokosnußklößen zu verzehren; und er brannte darauf, die Formel für diesen neuen »Schmerzenstöter« kennenzulernen – das ist auf den Inseln der Name für jede Art von Medizin. Damit endeten des Königs bescheidene Ausschweifung und unsere Besorgnis. Nach außen hin erschien die Untertanentreue während dieser Zeit tatsächlich unerschüttert – das muß ich zugeben. Als unser Schoner nach mancherlei Abenteuern durch konträre Winde endlich wiederkehrte, um uns von neuem aufzunehmen, brachte er ein Gerücht mit, daß Tebureimoa Apemama den Krieg erklärt hätte. Im Augenblick wurde Tembinok‘ ein neuer Mensch; er strahlte, und seine Stimmung während einer Versammlung der Ältesten in einer der königlichen Maniapen war froh und eifrig wie die eines Schuljungen, seine Stimme tönte schrill und triumphierend über den halben Hof hinweg. Krieg ist, was er begehrt, und hier war seine Gelegenheit. Der englische Kapitän hatte ihm, als er seine Waffen in die Lagune warf, alle militärischen Unternehmungen außer in einem einzigen besonderen Falle verboten: hier endlich war der eine Fall eingetreten. Den ganzen Morgen über tagte der Rat; Mannschaften wurden gedrillt, Waffen herangeschleppt, Schüsse durchbrachen die nachmittägliche Stille; der König entwarf seinen Feldzugsplan und teilte ihn mir mit. Er war äußerst kompliziert und erfindungsreich, wenn auch für die rauhen Zufälligkeiten des Krieges vielleicht allzufein gesponnen. Und während dieses ganzen Aufruhrs erschien die Haltung des Volkes ausgezeichnet, ungewohntes Leben erstrahlte auf jedem Gesicht, ja, selbst Onkel Parker brannte vor militärischem Eifer.

Natürlich war das Ganze nur ein falscher Alarm. Tembureimoa hatte Näherliegendes, das ihn bekümmerte. Der Gesandte, der uns nach Butaritari zurückbegleitete, fand ihn zurückgezogen auf einer kleinen Insel des Riffs, verzankt mit den alten Männern, verfeindet mit den Händlern und, statt mit einem Appetit auf Kriege im Ausland, zitternd vor Furcht, daß im Lande eine Revolution ausbrechen könnte. Der Bevollmächtigte war unter meinen besonderen Schutz gestellt, wir begrüßten uns daher feierlich bei unserer ersten Begegnung. Er entpuppte sich als ein gewandter Fischer und fing uns vom Schiff aus Bonitos. Er war auch ein vortrefflicher Ruderer und machte sich einen ganzen, glutheißen Nachmittag nützlich, indem er die vor Mariki in einer Flaute liegende »Äquator« in Tau nahm. Er begab sich nach Butaritari, ohne etwas zu erreichen. Dann kehrte er, auch ohne irgendwelchen Schaden gestiftet zu haben, nach Haufe zurück. O si sic omnes!