Der König von Apemama: Der Palast der vielen Frauen

Der Palast oder vielmehr der Bezirk, der ihn einschließt, ist mehrere Morgen groß. Eine Terrasse grenzt ihn nach der Lagunenseite hin ab, während nach dem Innern zu eine Palisade mit mehreren Toren steht. Beide sind kaum für Verteidigungszwecke gedacht, denn ein starker Mann kann die Palisade leicht niederreißen, und er braucht nicht einmal besonders gewandt zu sein, um vom Strande auf die Terrasse zu gelangen. Man sieht kein Gepränge von Wachen, Soldaten oder Waffen, die ganze Rüstung ist unter Schloß und Riegel, und die einzigen Schildwachen sind einige unansehnliche alte Weiber, die Tag und Nacht vor den Toren herumlungern. Am Tage sind diese Hexen oft damit beschäftigt, Sirup zu kochen oder ähnliche Haushaltungsarbeit zu verrichten; bei Nacht liegen sie verborgen im Schatten oder drücken sich an der Palisade herum, denn sie erfüllen das Amt der Eunuchen in diesem Harem und sind die einzigen Wächter eines Tyrannendaseins.

Weibliche Wächter sind die angemessenen Türhüter dieses Palastes der vielen Frauen. Ich habe keine Ahnung von der Zahl der Weiber des Königs und nur eine allgemeine Vorstellung von ihren Funktionen. Er selbst verriet Bestürzung, wenn man sie als seine Frauen bezeichnete, nannte sie vielmehr seine »Familie« und erklärte, sie seien seine Basen. Wir vermochten vier aus der ganzen Schar auszusondern: die Mutter des Königs, seine Schwester, eine ernste, strenge Frau, die viel von der Intelligenz ihres Bruders besaß, die eigentliche Königin, der allein meine Frau in aller Form vorgestellt wurde, und die augenblickliche Lieblingsfrau, ein hübsches graziöses Mädchen, das täglich beim König saß und einst, als er Tränen vergoß, ihn mit ihren Zärtlichkeiten tröstete. Man versicherte mir, daß seine Beziehungen auch zu ihr platonischer Art seien. Im Hintergrunde figurierten eine Unmenge Frauen, magere, plumpe und unmäßig fette, manche in Hängekleidern, manche im haarbreiten Ridi; hochwohlgeborene und einfache, Sklavinnen und Herrinnen, von der Königin bis zur Dienstmagd, von der Favoritin bis zu den dürren Schildwachen an der Palisade. Nicht alle gehören natürlich zur »Familie«, viele sind nur Dienerinnen, aber eine erstaunliche Anzahl teilte sich in der Verantwortlichkeit des königlichen Vertrauens. Sie waren Schlüsselträgerinnen, Schatzmeisterinnen, Wächterinnen über das Arsenal, die Stoffvorräte und das Warenlager. Jede kannte genau ihre Pflichten und erfüllte sie bewundernswert. Wurde irgend etwas verlangt – ein besonderes Gewehr vielleicht oder ein besonderer Stoffballen –, so wurde die richtige Königin gerufen, sie brachte die richtige Kiste, öffnete sie in des Königs Gegenwart und zeigte den betreffenden Gegenstand in ausgezeichneter Verfassung vor, das Gewehr war sauber und geölt, die Tücher richtig gefaltet. Ohne Langsamkeit oder Hast und ohne viel Rederei lief der ganze große Apparat wie eine Maschine auf Rädern. Nie habe ich eine vollkommenere und vollendetere Ordnung gesehen. Und doch wurde ich immer wieder erinnert an jene norwegischen Erzählungen von Trollen und Menschenfressern, die ihre Herzen um der bloßen Sicherheit halber in der Erde vergraben und ihren Frauen das Geheimnis anvertrauen müssen. Denn diese Vorsichtsmaßregeln beschützen das Leben Tembinok’s. Er strebt nicht nach Popularität, sondern beherrscht und knechtet seine Untertanen mit so einfachen Regierungsmethoden, daß es unmöglich ist, sie nicht zu bewundern, aber schwer, mit ihnen zu sympathisieren. Wenn eine von diesen vielen Frauen sich als treulos erweisen, die Rüstkammer heimlich geöffnet werden und die Waffen ihren Weg unbeobachtet ins Dorf finden sollten, so wäre eine Revolution nahezu sicher, der Tod das wahrscheinliche Resultat, und der Geist des Tyrannen von Apemama würde entfliehen, um sich mit seinen Vorläufern von Mariki und Tapituea zu vereinigen. Aber alle, denen er sein Vertrauen schenkte, sind Frauen, und sie sind alle Rivalinnen.

Allerdings gibt es auch männliche Diener und Angestellte: einen Koch, einen Proviantmeister, einen Zimmermann und einige Superkargos, etwa nach der Rangliste eines Schoners. Die Spione, »Seiner Majestät Tageszeitungen«, wie wir sie nannten, kommen jeden Morgen zum Bericht und gehen wieder fort. Koch und Proviantmeister haben nur mit der Tafel zu tun. Die Superkargos, deren Amt es ist, das Kopralager für drei Pfund monatlich und einen prozentualen Anteil zu verwalten, sind selten im Palast, und mindestens zwei von ihnen sind immer auf fremden Inseln. Nur der Zimmermann, der schlaue, lustige alte Rubam – vielleicht Ruben? – wurde bei meinem letzten Besuch sogar zur größeren Würde eines Hofmeisters erhoben, er ist täglich anwesend, ändert, erweitert, verschönt und baut die endlose Reihe der königlichen Erfindungen weiter aus. Manchmal verbringt Seine Majestät einen Nachmittag damit, Rubam bei seiner Arbeit zuzuschauen und sich mit ihm zu unterhalten. Aber doch sind diese Männer keine Vertrauensleute, keiner scheint bewaffnet zu sein, und keinem wird irgendein Schlüssel anvertraut. Gegen Abend werden sie einzeln alle aus dem Palast entlassen, und die Last der Monarchie und die Verantwortung für des Monarchen Leben ruht allein auf den Schultern der Frauen.

Ein Haushalt also, der dem unseligen in keiner Weise gleicht und noch viel weniger einem orientalischen Harem, der Haushalt eines ältlichen, kinderlosen Mannes, der seine Tage gezählt sieht, und der nun einsam inmitten einer Schar Frauen aller Alters- und Rangstufen wohnt, die irgendwie mit ihm verwandt sind: Mutter, Schwester, Kusine, legitime Frau, Konkubine, Geliebte, älteste Tochter und frühere Geliebte. Er lebt in ihrer Mitte als alleiniger Mann, alleiniger Spender von Ehren, Kleidern und Kostbarkeiten, das einzige Objekt mannigfaltiger ehrgeiziger Bestrebungen und Wünsche. Ich möchte bezweifeln, ob es in Europa einen Mann gibt, der so kühn wäre, ein solches Experiment des Taktes und der Regierungskunst zu versuchen. Und scheinbar hatte selbst Tembinok‘ anfangs Schwierigkeiten. Man erzählte mir, er habe eine Frau an Bord eines Schoners wegen irgendeiner Leichtfertigkeit erschossen. Eine andere erschlug er auf der Stelle wegen eines etwas größeren Vergehens; er stellte ihren Leichnam in einer offenen Kiste aus und ließ es zu, um die Warnung eindringlicher zu machen, daß er vor den Palasttoren verweste. Ohne Zweifel ist ihm sein Alter zu Hilfe gekommen, denn es ist leichter, bei einer so großen Zahl von Frauen den Vater zu spielen als den Gatten. Und heute scheint alles, wenigstens für den Blick des Fremdlings, reibungslos zu verlaufen, die Weiber scheinen auf das Vertrauen, den Rang und ihren klugen Herrn stolz zu sein.

Soviel ich begriff, machten sie aus diesem Mann eine Art Helden. Ein beliebter Lehrer an einer Mädchenschule ist vielleicht eine Figur von ähnlich exponierter Stellung. Aber der Lehrer ißt, schläft und lebt doch wenigstens nicht inmitten seiner Verehrerinnen und wäscht nicht seine schmutzige Wäsche vor ihren Augen; er kann ihnen entfliehen, er hat seine eigenen Räume und führt sein Privatleben, und wenn er nichts von dem besitzt, so hat er wenigstens seine Ferien, während der unglücklichere Tembinok‘ immer im vollen Rampenlicht ohne jede Deckung lebt.

Sooft ich kam und ging, hörte ich ihn niemals streng sprechen oder das geringste Mißfallen ausdrücken. Äußerste, vielleicht ein wenig schwerfällige Güte – die Güte eines Mannes, der sicher ist, daß man ihm gehorcht – zeichnete sein Leben aus, so daß ich manchmal erinnert wurde an Samuel Richardson im Kreise der ihn bewundernden Frauen. Die Frauen sprachen offen und schienen ihre Ansichten zum besten zu geben, wie unsere Frauen daheim oder, besser gesagt, wie kindische, aber ehrwürdige Tanten. Im großen ganzen beherrscht er, glaube ich, sein Serail weit mehr durch Geschicklichkeit als durch Strenge, und diejenigen, die anders darüber berichten, und von denen keiner meine Beobachtungsmöglichkeiten besaß, versäumten vielleicht die Rangunterschiede festzustellen und zwischen der »Familie« und den Anhängseln, den Wäscherinnen und den Prostituierten, zu unterscheiden.

Ein bemerkenswertes Ereignis ist das abendliche Kartenspiel, wenn die Lampen auf die Terrasse gebracht sind und »ich und meine Familie« stundenlang um Tabak spielen. Es ist höchst charakteristisch für Tembinok‘, daß er sein eigenes Spiel für sich erfinden mußte, und höchst charakteristisch für seine Hausgenossinnen, die ihn so verehren, daß sie auf die absurde Erfindung schwören. Das Spiel ist eine Abart vom Poker, wird mit den Trümpfen von mehreren Pack Karten gespielt und ist unglaublich langweilig. Aber ich habe eine Leidenschaft für alle Spiele und studierte es, und ich bin wohl der einzige Weiße, der die Regeln ungefähr begriffen hat, weswegen mich die Weiber, mit denen ich sonst nicht auf vertrautem Fuße stand, laut bewunderten. Darüber gab es keine Täuschung, es war eine ehrliche Empfindung, sie waren stolz auf ihr Privatspiel, waren durch die Interesselosigkeit, die andere dafür zeigten, ins Herz getroffen und sonnten sich in meiner schmeichelhaften Aufmerksamkeit. Tembinok‘ setzt doppelt und erhält dafür eine doppelte Anzahl Karten, aus denen er seine Auswahl trifft, ein listiges Manöver, das die Frauen in all den langen Jahren noch nicht durchschaut haben. Wenn er mit mir persönlich sprach, machte er nicht das geringste Geheimnis daraus, daß er immer gewinnen mußte, und so erklärte er auch seine neuliche Freigebigkeit an Bord der »Equator«. Er ließ die Frauen ihren eigenen Tabak kaufen, was ihnen im Augenblick Vergnügen machte. Er gewann ihn zurück im Kartenspiel, was ihn von neuem und ohne weitere Ausgaben zum alleinigen Urquell aller Freuden machte, wie er es zu sein wünschte. Und er schloß die Erzählung mit jenem Satz, mit dem er jeden Bericht über seine Politik endete: »Besser so!«

Das Palastgrundstück ist ausgelegt mit gestampften Korallen, die Augen und nackte Füße quälen, aber ausgezeichnet geharkt und gejätet sind. Zwanzig oder mehr Gebäude liegen verstreut an einer Art Straße, die an der Palisade entlang führt, und am Rande der Terrasse: Wohnhäuser für die Frauen und Diener, Lager für des Königs Kostbarkeiten und Schätze, geräumige Maniap’s für Festlichkeiten oder Staatssitzungen, manche auf Holzsäulen, andere auf Mauerpfeilern. Eins befand sich noch im Bau, die neueste und letzte Erfindung des Königs: ein europäisches Fachwerkhaus, das, um Kühle zu erzielen, in einen hohen Maniap‘ hineingebaut wurde: das Dach besteht wie ein Schiffsdeck aus Brettern und kann gehoben werden, so daß ein schattiger, abgeschlossener Promenadenplatz entsteht. Hier verbrachte der König ganze Stunden mit Rubam, und ich gesellte mich manchmal zu ihnen. Das Haus sieht ganz einzigartig aus, und ich muß sagen, daß mich die Phantasie des Architekten stark fesselte, und daß ich mit Vergnügen an ihren Beratungen teilnahm.

Hatten wir am Tage irgend etwas bei Sr. Majestät zu erledigen, so schlenderten wir durch den Sand an den Zwergpalmen vorbei, tauschten mit der alten Frau, die gerade Wache hatte, ein »Konamaori« aus und betraten das Grundstück. Die weite Korallenfläche lag glitzernd und leer vor uns, alle waren von dem riesigen Platz hinter dunkle Vorhänge geflüchtet. Manchmal suchte ich das Labyrinth dieses Platzes ab, um den König zu finden, und das einzige lebende Wesen, das ich entdeckte, wenn ich unter die Pfosten eines Maniap’s blickte, war der sehnige Leib eines der Weiber, die wie eine nackte Amazone ausgestreckt am Boden lag, in ruhigen Schlummer versunken. War es noch die Stunde der »Morgenzeitungen«, so war das Suchen etwas leichter, denn ein halbes Dutzend knechtischer, scheuer Burschen hockte vor einem Hause am Boden, so eng wie möglich in den schmalen Schattenstreifen gedrückt, und blickte mit blinzelnden Augen auf den König. Tembinok‘ war drinnen, die Seitenvorhänge des Gemaches waren gelüftet, der Wind strömte hindurch, und so hörte er ihren Bericht an. Wie Journalisten daheim, wenn Tagesnachrichten mager sind, spannen sie ihre Reden weit aus, und ich kannte einen, der einen ganzen Morgen unnütz ausfüllte mit einer erfundenen Unterhaltung zweier Hunde. Von Zeit zu Zeit geruht der König zu lachen, eine Frage zu stellen oder mit ihnen zu scherzen, und seine Stimme tönt schrill aus dem Gemach heraus. An seiner Seite sitzt manchmal der rechtmäßige Thronerbe, Paul, sein Neffe und Adoptivsohn, sechs Jahre alt, splitternackt, das Bild junger menschlicher Schönheit. Und immer sind die Lieblingsfrau und zwei andere Frauen wach, vier andere liegen nachlässig hingestreckt unter Matten, vom Schlummer umfangen. Wenn wir später kamen und zu einer ruhigen Stunde eintrafen, fanden wir Tembinok‘ zurückgezogen im Hause mit der Lieblingsfrau, einem irdenen Sirupfaß, einem bleiernen Tintenfaß und einem kaufmännischen Hauptbuch. Auf dem Bauche liegend trägt er darin von Tag zu Tag die ereignislose Geschichte seines Reiches ein, und wenn er damit beschäftigt war, verriet er immer eine gewisse Verdrießlichkeit, falls man ihn unterbrach, was ich sehr wohl verstehen kann. Der königliche Chronist las mir einmal eine oder zwei Seiten vor, indem er mir den Text übersetzte. Aber da die Stelle gerade einen Stammbaum enthielt und der Autor bei der Übertragung entsetzlich stammelte, so habe ich mich manchmal schon besser unterhalten, wie ich zugebe. Er beschränkt sich nicht auf Prosa, sondern schlägt auch die Leier in seinen Mußestunden. Man hält ihn für den größten Barden seines Königreiches, wie er ja auch der einzige politische Repräsentant, der leitende Architekt und der einzige Kaufherr ist. Seine Begabung erstreckt sich jedoch nicht auf Musik, und wenn seine Verse fertig sind, werden sie einem Berufsmusiker vorgetragen, der sie in Musik setzt und den Chor drillt. Auf die Frage, wovon seine Lieder handelten, antwortete Tembinok‘: von Verliebten, von den Bäumen und vom Meere. »Nicht alles wahr, alles Lüge.« Eine Charakteristik lyrischer Poesie, die, abgesehen von den Sternen und Blumen, die er vergessen hatte, kaum zu übertreffen ist. Diese mannigfaltigen Beschäftigungen eines Eingeborenen und absoluten Fürsten verraten eine ungewöhnliche Lebhaftigkeit des Geistes.

Der Hof des Palastes zur Mittagszeit ist ein Platz, an den man sich mit Schrecken erinnert, denn der Besucher stolpert über die losen Steine wie durch ein blendendes Chaos von Licht und Hitze, aber der freie Zutritt des Windes säubert ihn von Fliegen und Moskitos, und bei Sonnenuntergang war er himmlisch schön. Ich erinnere mich seiner am besten aus mondlosen Nächten. Die Luft war wie ein Bad von Milch, zahllose flimmernde Sterne standen am Himmel. Die Lagune spiegelte sie wider. Scharen von Weibern lagerten gruppenweise und leise plaudernd auf dem Kiesgrund. Tembinok‘ pflegte seinen Rock auszuziehen und nackt und schweigend dazusitzen, vielleicht über seinen Liedern brütend, die Lieblingsfrau gewöhnlich an seiner Seite, ebenfalls schweigend. Inzwischen wurden in der Mitte des Hofes die Palastlaternen angezündet und reihenweise auf den Boden gestellt: sie nehmen einen Raum von sechs bis acht Quadratmeter ein, ein Anblick, der einem sonderbare Vorstellungen von der Zahl der »Familie« gab, ein Anblick wie die Ecke eines großen Bahnhofs daheim beim Dunkelwerden. Bald darauf glitten die Lampen in alle Winkel der Gebäude dahin, bestrahlten die letzten Arbeiten des Tages und leuchteten der ungeheuren Menge der Frauen, einer nach der anderen, zur Ruhe. Einige verblieben in der Mitte des Hofes für das Kartenspiel und blickten zu, wie die Trümpfe gemischt und verteilt wurden, wie Tembinok‘ unter seinen beiden Blatt wählte, und wie die Königinnen ihren Tabak verloren. Dann wurden auch sie verteilt und ausgelöscht, und ihren Platz nahm ein großes offenes Feuer ein, die nächtliche Beleuchtung des Palastes. Erlosch dieses, so brannten kleinere Feuer in gleicher Weise an den Toren. Sie wurden von den alten Frauen unterhalten, die man nicht sah, die nicht schlafen, die aber nicht immer still waren. Näherte sich jemand in den Stunden der Nacht, so geht ein Weckruf rund um die Palisade: jeder Wachtposten signalisiert dem benachbarten durch einen Steinwurf, das Aufschlagen fallender Kiesel macht die Runde und stirbt ab, und die Wächterinnen Tembinok’s kauern schweigend auf ihren Plätzen wie zuvor.