Charaktere

Es herrschte ein gewisser Handelsverkehr auf unserem Ankerplatz bei Atuona, zum Unterschied von der toten Trägheit und Geruhsamkeit der Schwesterinsel Nuka-hiva. Man sah Segel durch die Einfahrt ziehen, bald war es ein Walfischfängerboot, bemannt mit eingeborenen Rowdies und hoch beladen mit Kopra, die verkauft werden sollte, bald ein einzelnes Kanu, das Lebensmittel eingehandelt hatte. Der Ankerplatz wurde auch von Fischern aufgesucht; nicht nur die einsamen Frauen hockten in den Nischen der Klippen, sondern ganze Gruppen, die sich manchmal häuslich niederließen, Feuerplätze am Strande bauten und bisweilen mitten im Hafen im Kanu lagerten und abwechselnd ins Wasser sprangen, das sie acht oder neun Fuß hoch aufspritzen ließen, um die Fische in ihre Netze zu treiben, wie wir vermuteten. Die Waren, die sie kauften, waren manchmal sonderbar. Ich beobachtete ein großes Ruderboot, das mit einem einzigen Schinken zurückkehrte, der an einer Stange am Stern schaukelte. Und eines Tages kam in Mr. Keanes Laden ein prachtvoller Junge mit ausgezeichneten Manieren, der korrekt Französisch sprach, wenn auch mit einem kindlichen Akzent; er war sehr hübsch und ein richtiger Dandy, wie nicht nur sein blitzsauberer Anzug, sondern auch die Natur seiner Einkäufe bewies. Es waren fünf Stück Schiffszwieback, eine Flasche Parfüm und zwei Beutel Waschblau. Er kam von Tauata, wohin er noch am selben Abend in seinem Boot zurückkehrte, der Meerestiefe trotzend mit seinen jungmädchenhaften Schätzen. Die meisten der einheimischen Passagiere waren vom Schicksal weniger begünstigt, es waren große gewaltige Burschen, gut tätowiert, mit beängstigenden Sitten. Irgend etwas Rauhes und Hohnvolles zeichnete sie aus, und ich wurde oft an die Scheunenviertel großer Städte erinnert. Eines Nachts, als die Dunkelheit hereinbrach, legte ein Walfischboot an einer Stelle der Bucht an, wo ich mich zufällig allein befand. Sechs oder sieben rauhbeinige Gesellen krochen heraus, alle konnten genug Englisch, um mir »good bye« zuzurufen, was der gebräuchlichste Gruß war, oder »good morning«, was sie als Steigerung zu betrachten schienen. Witze folgten, sie umschwärmten mich mit grobem Gelächter und frechen Blicken, und ich war froh loszukommen. Ich hatte Mr. Stewart noch nicht kennengelernt, sonst hätte ich mich seiner ersten Landung bei Atuona erinnert und des Witzboldes, der an der Menschenferse knabberte. Aber ihre Nähe bedrückte mich, und ich empfand, daß ich als Ausgestoßener und Hilfloser Grund gehabt hätte, mein Herz zu betrüben.

Der Verkehr im Hafen umfaßte nicht nur Eingeborene. Als wir vor Anker lagen, erfolgte ein merkwürdiges Zusammentreffen. Ein Schoner wurde auf See gesichtet, der hereinkommen wollte. Wir kannten alle Schoner der Gruppe, aber dieser schien größer als sie, er war auf englische Art getakelt, und als er in der Nähe der »Casco« Anker geworfen hatte, hißte er schließlich die blaue Flagge. In jener Zeit waren laut Gerüchten nicht weniger als vier Jachten im Pazifischen Ozean, aber es war sonderbar, daß zwei von ihnen gerade in diesem weltvergessenen Hafen Seite an Seite lagen, noch sonderbarer aber, daß ich im Besitzer der »Nyanza«, Kapitän Dewar, einen Landsmann aus meiner engeren Heimat wiedererkannte, den ich als Knabe an den Küsten der Meeralpen hatte lustwandeln sehen.

Wir hatten auch einen weißen Besucher von der Küste, der in einem dichtbesetzten Walfischboot mit einheimischer Besatzung kam und abfuhr. Er hatte in den Sonntagszeitungen von Jachten gelesen und den lebhaften Wunsch, eine zu sehen. Sie nannten ihn Kapitän Chase, er war ein alter Walfischfänger, vierschrötig und weißbärtig, mit stark indischem Akzent, jahrelang im Lande, ein wackerer Haudegen und einer jener Kunstschützen, deren Scheibenschießen den Tapferen von Haamau Schrecken einjagte. Kapitän Chase wohnte weiter östlich an einer Bucht namens Hanamate, mit einem Mr. M’Callum, oder sie hatten vielmehr einst zusammen gewohnt, lebten jetzt aber freundschaftlich getrennt. Den Kapitän findet man nahe dem einen Ende der Bucht in einem halbzerfallenen Haus, nur von einem Chinesen betreut. An der gegenüberliegenden Ecke liegt eine andere Behausung auf einer hohen Paepae. Die Brandung steht dort außergewöhnlich hoch, Seen von sieben und acht Fuß Höhe brechen sich unterhalb der Mauern des Hauses, das ständig von ihrem Gedröhn erfüllt ist und sich nur für einsame oder wenigstens schweigsame Bewohner eignet. Hier genießt Mr. M’Callum mit einem Shakespeare und einem Burns die Gesellschaft der Brecher. Sein Name und sein Burns sind Zeugen seines schottischen Blutes, aber er ist ein geborener Amerikaner, irgendwoher aus dem fernen Osten. Er war früher Schiffszimmermann und als Vorarbeiter von hundert Indern lange tätig beim Abwracken von Schiffen in der Nähe von Kap Flattery. Viele Weiße, die man verstreut auf den Südseeinseln findet, gehören zu den künstlerisch veranlagten Elementen ihrer Klasse, sie genießen nicht nur die Poesie jenes neuen Lebens, sondern kamen in der Absicht her, sie zu genießen. Ich war an Bord mit einem Mann, der nicht mehr jung war und sich auf die Reise begeben hatte aus Liebe zu Samoa. Einige Briefe in Zeitungen hatten ihn auf die Pilgerfahrt gelockt. Mr. M’Callum war solch ein Fall. Er hatte von der Südsee gelesen, gern von ihr gelesen und ihr Bild in sein Herz geschlossen, bis er nicht mehr widerstehen konnte und hinausfahren mußte wie ein zweiter Rudel zu dieser nie geschauten Heimat. Er lebte nun schon jahrelang in Hiva-oa und wird seine Gebeine dort voll befriedigt zur letzten Ruhe betten lassen, ohne Sehnsucht, die Stätten seiner Jugend wiederzusehen, nur vielleicht einmal noch, bevor er stirbt, die rauhe Winterlandschaft von Kap Flattery. Aber er ist ein tätiger Mann mit allerlei Plänen, er kaufte Land von den Eingeborenen, pflanzte fünftausend Kokospalmen, denkt daran, eine öde Insel zu mieten, und hat einen Schoner im Schuppen, den er selbst auf Kiel gelegt und gebaut hat und sogar fertigzustellen hofft. Mr. M’Callum und ich sind uns nie begegnet, aber wir haben wie tapfere Troubadoure in Versen korrespondiert. Ich hoffe, er betrachtet es nicht als Verletzung des Urheberrechts, wenn ich hier ein Produkt seiner Muse anführe. Er und Bischof Dordillon sind die beiden europäischen Barden der Marquesas.

Sail, ho! Ahoy! Casco,
First among the pleasure fleet
That came around to greet
These isles from San Francisco.

And first, too; only one
Among the literary men
That this way has ever been –
Welcome, then, to Stevenson.

Please not offended be
At this little notice
Of the Casco, Captain Otis,
With the novelist’s family.

Avoir une voyage magnifical
Is our wish sincer,
That you’ll have from here
Allant sur la Grande Pacifical.

Aber unser Hauptbesucher war ein gewisser Mapiao, ein großer Tahuku, was Priester zu bedeuten scheint, Zauberer, Tätowierer, Ausüber jeglicher Kunst oder, in einem Wort, eine esoterische Persönlichkeit – und berühmt wegen seiner Beredsamkeit bei öffentlichen Versammlungen und seiner witzigen Unterhaltung im privaten Kreise. Sein erstes Auftreten war typisch für den Mann. Laut rufend kam er zum östlichen Landungsplatz herunter, wo die Brandung sehr hoch stand, verachtete alle unsere Winke, um die Bucht herumzugehen, überwand alle Schwierigkeiten, wurde unter einiger Gefahr für unsere Jolle an Bord gebracht und setzte sich in einer Ecke des Cockpit nieder zu seiner Arbeit. Er war, als erfahrener Mann in dieser Art Kunst, berufen worden, meine Greisenbärte zu einem Kranz zu flechten. Sein eigener Bart, den er der größeren Sicherheit halber in einem Seemannsknoten trug, war nicht nur die Zierde seines Alters, sondern ein bedeutendes Besitztum. Hundert Dollar war der Schätzungswert, und da Bruder Michel keinen Eingeborenen kannte, der eine größere Summe bei Bischof Dordillon hinterlegt hätte, war unser Freund durch sein Kinn ein reicher Mann. Er besaß etwas von einem Ostindier, aber war etwas größer und stärker, hatte eine Hakennase, ein schmales Gesicht, eine sehr hohe Stirn und war sehr sorgfältig tätowiert. Ich kann behaupten, daß ich niemals einen so lästigen Gast hatte. In den kleinsten Dingen mußte man ihn betreuen, er wollte nicht einmal aus dem Wassergefäß selbst schöpfen oder den Arm ausstrecken, das Glas zu nehmen, man mußte es ihm in die Hand geben. Verweigerte man ihm eine Dienstleistung, so faltete er die Arme, neigte das Haupt und verzichtete, aber die Arbeit litt darunter. Früh am ersten Vormittag verlangte er laut Zwieback und Lachs, man brachte Zwieback und Schinken, er sah es geheimnisvoll an und gab ein Zeichen, daß man es beiseitestelle. Eine Reihe von Überlegungen ging mir durch den Kopf: wahrscheinlich war die Arbeit, mit der er sich befaßte, in hohem Maße tabu, vielleicht sollte sie eigentlich auf einer Tabuplattform ausgeübt werden, der sich kein weibliches Wesen nähern durfte, und es war möglich, daß Fisch die richtigste Diät war. Ich brachte ihm also etwas Salzfisch und dazu ein Glas Rum, aber beim Anblick des Gerichtes zeigte Mapiao außerordentliche Erregung, wies zum Zenit, hielt eine lange Rede, aus der ich das Wort umati auffing – die Bezeichnung für Sonne –, und bedeutete mir von neuem, diese Leckerbissen außer Reichweite zu stellen. Schließlich hatte ich begriffen, und jeden Tag war das Programm gleich. In früher Morgenstunde mußte das Mittagessen auf das Dach des Kartenhauses gesetzt werden, in genügender Entfernung, voll sichtbar, aber außer Reichweite, und unser Kunsthandwerker aß nicht vor der passenden Zeit, nämlich pünktlich um zwölf Uhr. Dieser feierliche Gebrauch war die Ursache eines absurden Mißverständnisses. Er arbeitete wie gewöhnlich an seinen Bärten, sein Essen stand auf dem Dach und nicht weit davon ein Glas Wasser. Offenbar wollte er trinken, war aber ein viel zu feiner Herr, um aufzustehen und das Wasser selbst zu holen, und als er meine Frau erblickte, wies er sie majestätisch an, es ihm zu reichen. Das Zeichen wurde falsch verstanden, meine Frau war bereits auf alle Tollheiten von seiner Seite vorbereitet, und, anstatt ihm das Wasser zu reichen, warf sie sein Essen über Bord. Ich muß Mapiao Gerechtigkeit widerfahren lassen: alle lachten, aber sein Gelächter schallte am lautesten.

Diese Dienstleistungen plagten uns nur gelegentlich, sein verwirrendes Gerede aber unaufhörlich. Er war ohne Zweifel ein geübter Plauderer, das sagten uns die Zierlichkeiten seiner Verneigungen, die Eleganz seiner Gesten und das feine Spiel seines Gesichtsausdruckes. Wir saßen inzwischen wie Fremde im Theater, sahen die Schauspieler mit wichtigen Dingen beschäftigt und gut spielen, aber die Handlung des Dramas blieb uns verborgen. Ortsnamen, der Name von Kapitän Hart und gelegentliche, aus dem Zusammenhang gerissene Worte quälten uns, ohne uns verständlich zu sein, und je weniger wir begriffen, desto tapferer und energischer und mit um so eindringlicheren Gesten wiederholte Mapiao seinen Angriff. Wir konnten sehen, wie seine Eitelkeit litt, da er an einem Ort war, wo seine gesellschaftlichen Talente ihm keine Anerkennung verschafften, und er machte Zeiten der Verzweiflung durch, in denen er alle Bemühungen aufgab, und Augenblicke der Gereiztheit, in denen er uns mit unverhohlener Verachtung betrachtete. Mir allerdings, der ich ein geheimnisvolles Handwerk betrieb, dem seinen ähnlich, bezeugte er bis zuletzt eine gewisse Hochachtung. Während wir unter dem Sonnendach in den gegenüberliegenden Ecken des Cockpits saßen, er das Kinnhaar toter Männer flechtend, ich Runen zeichnend auf einem Stück Foliopapier, pflegte er zu mir herüberzunicken wie ein Tahuku zum anderen, oder er querte das Deck, studierte eine Weile mein formloses Gekritzel und ermutigte mich mit einem herzlichen » mitai – gut«. So mag ein tauber Maler aus weiter Ferne mit einem Musiker sympathisieren als dem Sklaven und Meister einer unfaßlichen, aber verwandten Kunst. Er betrachtete mein Tun ohne Zweifel als törichtes Handwerk, aber ein Mann muß Barbaren gegenüber nachsichtig sein – jedes Land hat seine Sitten! –, und er fühlte: die gute Absicht war bei mir vorhanden.

Die Zeit kam schließlich heran, da seine Arbeit, die mehr der der Penelope als der des Herkules ähnelte, nicht mehr gestreckt werden konnte, und es blieb nichts übrig, als ihn zu bezahlen und ihm Lebewohl zu sagen. Nach langen, gelehrten Auseinandersetzungen auf marquesanisch begriff ich, daß seine Seele sich nach Angelhaken sehnte, und ich überlegte, daß drei Stück mit einem Häuflein Dollar wohl eine angemessene Belohnung seien dafür, daß er seine Vormittage auf unserem Deck verbracht hatte, essend, trinkend, seine Meinungen verkündend und die ganze Schiffsgesellschaft mit verrückten Dienstleistungen in Atem haltend. Trotz alledem war er ein Mann von stolzer Haltung und so ähnlich einem Onkel von mir – wenn er irrsinnig würde und sich tätowieren ließe –, daß ich mich, als wir beide an Land waren, bei ihm erkundigte, ob er zufrieden sei. » Mitai ehipe?« fragte ich. Und er antwortete sehr salbungsvoll, indem er mir die Hand reichte: » Mitai ehipe, mitai kaekae; kaoha nui!« oder frei übersetzt: »Das Schiff ist gut, die Speisen sind ausgezeichnet; wir scheiden in Freundschaft!« Als er dies Zeugnis ausgestellt hatte, schritt er am Strande dahin, das Haupt gebeugt, mit der Miene eines tief Gekränkten.

Ich meinerseits sah ihn erleichtert fortziehen. Es wäre interessanter gewesen zu erfahren, was Mapiao von unserem Verhältnis zueinander dachte. Seine Forderungen, so dürfen wir vermuten, waren durchaus angemessen. Er war von Unwissenden gebeten worden, eine Arbeit zu verrichten, und er war verpflichtet, sie gut zu vollenden. Unzählige Hindernisse und andauernder törichter Spott vermochten nicht, ihn zu entmutigen. Man stellte ihm sein Mittagessen hin, er beobachtete es, wie es sich geziemte, während er arbeitete, aß es zur rechten Zeit, wurde in jeder Beziehung gut bedient und konnte schließlich mit reinem Gewissen seinen Lohn in Empfang nehmen, indem er sich selbst sagte, daß das Mysterium pflichtgemäß erledigt, die Bärte richtig geflochten und wir trotz unserer Fehler anständig behandelt worden seien. Seine Ansicht über unsere Dummheit zum Ausdruck zu bringen, mußten selbst ihm, dem großen Redner, die Worte mangeln. Er unterbrach niemals meine Tahukuarbeit, lobte sie höflich, so töricht sie schien, setzte höflich voraus, daß ich mein eigenes Mysterium beherrschte: so benahm sich ein kluger und wohlerzogener Mann! Und wir andererseits, die wir doch am meisten zu gewinnen oder zu verlieren hatten, da das Produkt uns gehören sollte; die wir unsere Unfähigkeit eben dadurch zugegeben hatten, daß wir ihn beauftragten: wir waren nie müde geworden, ihn in seinen viel wichtigeren Arbeiten zu behindern, und hatten oft die Vernunft und die Höflichkeit vermissen lassen, uns des Lachens zu enthalten.