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395. Nacht
Die Prinzessin schlug die Augen auf, und in der ersten
überraschung, einen wohl gebildeten, wohl gekleideten und anstandsvollen Mann vor
ihrem Bett zu erblicken, blieb sie eine Weile ganz bestürzt, ohne indessen
irgend ein Zeichen des Schreckens oder des Entsetzens von sich zu geben.
Der Prinz benutzte diesen günstigen Augenblick, neigte
sein Haupt fast bis auf den Fußteppich hinab und sagte, als er es wieder
emporhob:
„Verehrungswürdigste Prinzessin, vermittelst eines
höchst seltsamen, ja des wunderbarsten Abenteuers, das sich nur denken lässt,
seht ihr hier zu euren Füßen flehend einen Prinzen, und zwar den Sohn des
Königs von Persien, der sich noch gestern früh bei seinem königlichen Vater
mitten unter den Lustbarkeiten eines feierlichen Festes befand, und der sich
jetzt in diesem Augenblick in einem unbekannten Land befindet, wo er in
Lebensgefahr schwebt, sofern ihr nicht die Güte und Großmut habt, ihm euren
Beistand und euren Schutz zu gewähren. Ich flehe diesen euren Schutz an,
verehrungswürdige Prinzessin, in dem Vertrauen, dass ihr mir ihn nicht versagen
werdet. Es ist unmöglich, dass mit so viel Schönheit, Reiz und Majestät eine
grausame Gesinnung gepaart sein könnte.“
Die Prinzessin, an welche sich der Prinz Firus Schach zu
seinem großen Glück gewendet hatte, war die Prinzessin von Bengalen, die
älteste Tochter des Königs dieses Reiches, der ihr diesen Palast nicht weit
von seiner Hauptstadt hatte erbauen lassen, wo sie zuweilen hinkam, um die
Annehmlichkeiten des Landlebens zu genießen. Nachdem sie ihn mit all der Güte,
die er nur irgend wünschen konnte, angehört hatte, antwortete sie ihm mit
demselben Wohlwollen:
„Prinz, beruhigt euch: Ihr befindet euch nicht in
einem Barbarenland. Gastfreundlichkeit, Menschenfreundlichkeit und Gesittung,
sind in dem Königreich Bengalen nicht minder einheimisch, als in Persien.
übrigens bewillige nicht bloß ich etwa euch den verlangten Schutz, sondern ihr
habt ihn bereits in diesem Palast, ja im ganzen Reich gefunden. Wie ihr mir
hierin glauben und euch auf mein Wort verlassen könnt.“
Der Prinz von Persien wollte der Prinzessin für die Güte
und Gnade, die sie ihm erwiesen, danken und hatte sich bereits tief vor ihr
verneigt, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen und sagte: