Project Description

396. Nacht

„Wie groß auch meine Neugier ist, von euch zu
erfahren, durch welches Wunder ihr in so kurzer Zeit von der Hauptstadt Persiens
bis hierher gekommen, und durch welche Zauberei ihr so insgeheim bis vor mein
Bett habt gelangen und die Wachsamkeit meiner Leibwache habt täuschen können,
so werdet ihr gleichwohl der Speise und der Nahrung sehr bedürftig sein, und da
ich euch ganz wie einen willkommenen Gast betrachte, so will ich lieber bis
morgen früh warten und für jetzt meinen Frauen befehlen, euch eines von meinen
Zimmern anzuweisen, euch darin zu bewirten und euch darin so lange ausruhen zu
lassen, bis ihr im Stand sein werdet, meine Neugierde zu befriedigen.“

Die Frauen der Prinzessin, die bei den ersten Worten, die
der Prinz Firus Schach zu ihrer Gebietern sprach, aufgewacht waren, und ihn zu
ihrer großen Verwunderung zu Haupt des Bettes der Prinzessin erblickten, indem
sie gar nicht begreifen konnten, wie er habe dahin kommen können, ohne sie oder
die Verschnittenen im Schlafe zu stören, – diese Frauen, sage ich, hatten kaum
die Willensmeinung der Prinzessin vernommen, als sie sich eiligst ankleideten
und sich augenblicklich zur Vollziehung der ihnen gegebenen Befehle anschickten.
Jede von ihnen nahm eine von den vielen Wachskerzen, welche das Zimmer der
Prinzessin erhellten, und nachdem der Prinz ehrerbietigst Abschied genommen,
gingen sie vor ihm her und führten ihn in ein sehr schönes Gemach, wo die
einen ihm eine Lagerstätte bereiteten, während die andern in die Küche und in
die Speisekammer gingen.

Obwohl es zu einer ganz ungewöhnlichen Stunde war, so
ließen doch die Frauen der Prinzessin von Bengalen den Prinzen Firus Schach
nicht lange warten. Sie trugen ihm verschiedene Arten von Speisen in reichlichem
überfluss auf. Er wählte sich nach Belieben aus, und als er so viel als
hinlänglich war, um seinen Hunger zu stillen, gegessen hatte, trugen sie die
Speisen wieder ab, und ließen ihn allein, um sich schlafen legen zu können,
nachdem sie ihm mehrere Schränke gezeigt hatten, worin er alles, was er irgend
bedürfe, vorrätig finden würde.

Die Prinzessin von Bengalen, die von der reizenden
Schönheit, dem Verstand, der Artigkeit und den liebenswürdigen Manieren des
Prinzen von Persien, die sie in der kurzen Unterredung mit ihm bemerkt hatte,
ganz eingenommen war, hatte noch nicht einschlafen können, als ihre Frauen
wieder in ihr Zimmer zurückkehrten, um sich zu legen. Sie fragte dieselben, ob
sie die gehörige Sorge für ihn getragen, ob sie ihn befriedigt verlassen
hätten, ob ihm noch irgend etwas mangelte, und vor allen Dingen, was sie von
ihm dächten.

Die Frauen, nachdem sie die ersten Punkte beantwortet
hatten, erwiderten auf die letzte Frage:

„Prinzessin, wir wissen nicht, was ihr selber von ihm
denken mögt. Was uns betrifft, so würden wir euch sehr glücklich preisen,
wenn der König, euer Vater, euch einen so liebenswürdigen Prinzen zum Gemahl
gäbe. Am ganzen Hof von Bengalen gibt es keinen einzigen, der mit ihm
verglichen werden könnte, und wir glauben nicht, dass es in den benachbarten
Ländern einen geben möchte, der eurer würdiger wäre.“

Diese schmeichelhaften äußerungen missfielen der
Prinzessin von Bengalen nicht, indessen, da sie ihre Gesinnungen nicht an den
Tag legen wollte, so gebot sie ihnen Stillschweigen.

„Ihr seid alberne Schwätzerinnen,“ sagte sie zu
ihnen, „legt euch wieder nieder und lasst ich ebenfalls wieder
einschlafen.“