XXXVI.

Als die Rebellen alle Pässe und Höhen von Feinden besetzt sahen, geriethen ihre bereits ordnungslosen Haufen in unbeschreibliche Verwirrung. Das furchtbare Feuer, das nun die aus ihrem Hinterhalt hervorgetretenen königlichen Truppen von allen Seiten auf sie schleuderten, nahm an Heftigkeit stets zu, und ehe noch von ihrer Seite ein einziger Schuß geantwortet hatte, herrschte schon überall Tod und Verwirrung in ihren Reihen. Ihre Streitkräfte waren in einem Engpasse zerstreut, der ungefähr eine Stunde Wegs lang aus der einen Seite von einem tiefen Waldstrome eingefaßt und auf der andern von einer hohen Felswand beherrscht ist.

Nachdem die erste Ueberraschung vorüber war, ergriff diese von Natur unerschrockenen Menschen alle zumal, wie einen einzigen Mann, ein Gefühl der Verzweiflung. Wüthend, sich so ohne Vertheidigung hingeschlachtet zu sehen, stießen sie ein furchtbares Geschrei aus, kletterten ohne Ordnung, fast ohne Waffen, unter dem unaufhörlichen Feuer der Feinde, die steile Felswand hinan, hielten sich mit den Händen, mit den Füßen, mit den Zähnen fest, schwangen ihre Säbel, ihre Hämmer, Waffen aller Art, boten ihren Gegnern einen so furchtbaren Anblick verzweifelnder Wuth dar, daß diese so wohl geordneten, so sicher aufgestellten Schaaren, die noch nicht einen einzigen Mann verloren hatten, sich eines unwillkürlichen Schauderns nicht enthalten konnten. Manche gelangten durch übermenschliche Anstrengung bis auf die Spitze der Felswand, aber kaum hatten sie Zeit, ihre Waffen gegen ihre Feinde zu erheben, so waren sie in den Abgrund zurückgestürzt. Es war gleich unmöglich zu fliehen oder sich zu vertheidigen; alle Ausgänge des Engpasses, alle zugänglichen Punkte waren besetzt. Einige zerschlugen selbst ihre Waffen an dem Felsen und warfen sich auf die Erde nieder, so den Tod erwartend, andere kreuzten die Arme über die Brust, hefteten den starren Blick auf den Boden, setzten sich am Wege nieder und harrten so, stumm und unbeweglich, bis eine Kugel sie treffen und in den Wellen des Stromes begraben würde. Diejenigen, welche mit Flinten bewaffnet waren, richteten auf Gerathewohl einige verlorene Schüsse gegen den Gipfel der Felsen, von denen ohne Unterbrechung ein Hagel von Kugeln herabregnete.

Die von dem tapfern und unklugen Kennybol angeführten Bergbewohner hatten vom Anfang des Treffens an am meisten gelitten. Sie bildeten; wie bereits gesagt, die Vorhut der Rebellen und hatten, als die ersten Schüsse fielen, einen Tannenwald erreicht, der den Ausgang des Engpasses bildet. Kaum war der unselige Schuß aus Kennybols Büchse gefallen, so bevölkerte sich, wie mit einem Zauberschlage, das Gehölz mit feindlichen Plänklern und schloß sie in einen Zirkel von Feuer ein, während von der Spitze eines abgeplatteten Felsens ein ganzes Bataillon des Regiments von Munckholm sie mit einem Kugelregen übergoß. In dieser furchtbaren Krisis warf Kennybol in seiner Verwirrung seine Augen auf den geheimnißvollen Riesen, da er keine andere Rettung mehr erwartete, als von einer übermenschlichen Macht, wie die Hans des Isländers war. Jetzt, dachte er, jetzt wird der furchtbare Dämon plötzlich zwei ungeheure Flügel entfalten, sich hoch über die Streitenden in die Wolken erheben und die Feinde mit einem Feuerstrome übergießen; jetzt wird auf einmal seine Gestalt größer und immer größer werden, bis sie in den Himmel ragt, dann wird er mit seinen Riesenarmen einen Berg ergreifen und die Feinde darunter begraben; jetzt wird er mit dem Fuß auf die Erde stampfen, und sie wird sich alsbald öffnen und die Feinde in ihrem Schooße verschlingen. Von Allem diesem geschah nichts. Der gefürchtete Han wich bei den ersten Schüssen zurück, wie die Andern, kam ziemlich bestürzt zu Kennybol und verlangte von ihm eine Büchse, weil, wie er mit ganz gewöhnlicher Menschenstimme sagte, in diesem Augenblicke seine Axt so wenig brauchbar sei, als die Kunkel eines alten Weibes.

Kennybol, verwundert, aber immer noch voll Glauben an die dämonischen Eigenschaften des Riesen, händigte ihm mit einem Schrecken, der ihn fast die Furcht vor den feindlichen Kugeln vergessen ließ, seine eigene Büchse ein. Immer noch hoffte er auf ein Wunder. Jetzt, dachte er, wird in des Dämons Händen meine Büchse so groß werden, wie eine Kanone, oder sich in einen geflügelten Drachen verwandeln, der aus Augen, Rachen und Naslöchern Feuer auf die Feinde speit. Wie groß war aber die Verwunderung des armen Schützen, als er den Dämon seine Büchse auf ganz ordinäre Weise mit Pulver und Blei laden, nach Art aller Schützen an den Backen legen und wie ein anderes Menschenkind losschießen sah, ohne auch nur so gut zu zielen, als er, Kennybol, hätte thun können. Er sah ihn mit stummer Verwunderung dieses ganze mechanische Verfahren mehrmals wiederholen, und da er nun begriff, daß er nicht länger auf ein Wunder zählen dürfe, dachte er darauf, sich und seine Gefährten durch irgend ein menschliches Mittel aus ihrer übeln Lage zu reißen. Schon war sein alter Kamerad Guldon Stayper an seiner Seite gefallen, und seine Bergbewohner, von allen Seiten eingeschlossen, drängten sich aufeinander, wie eine Heerde Schafe, stießen ein klägliches Geschrei aus und dachten nicht an Vertheidigung. Da Kennybol leicht begriff, welchen Vortheil diese gedrängte Stellung dem feindlichen Feuer gewährte, befahl er seinen unglücklichen Gefährten, sich zu zerstreuen und längs des Weges in die Gebüsche zu werfen, um von dort aus das Feuer des Feindes nach Kräften zu erwiedern. Die Bergbewohner, die als Schützen größtentheils wohl bewaffnet waren, vollzogen mit pünktlichem Gehorsam diesen Befehl, der jedoch bei weitem noch nicht zum Siege, nicht einmal zur Rettung führte, Die Hälfte der Bergbewohner war bereits gefallen, und mehrere von ihnen blieben, trotz des guten Beispieles, das ihnen ihr Anführer und der Riese gaben, vollkommen unthätig, stützten sich stumpfsinnig auf ihre Gewehre und beharrten dabei, den Tod zu empfangen, ohne ihn zu geben. Wer sich darüber wundern möchte, daß Menschen, welche jeden Tag ihr Leben auf Schneebergen und Gletschern wagten, die der Fährte der Gemse aus ihrer gefährlichen Bahn folgten oder den wilden Bären in seinem Lager aufsuchten, so bald den Muth verloren hatten, der bedenke, daß bei gewöhnlichen Seelen der Muth örtlich ist; Mancher lacht dem feindlichen Kartätschenfeuer gegenüber und zittert in der Finsterniß oder am Rande eines Abgrunds; Mancher zittert vor der Mündung einer Kanone und setzt mit einem Sprung über den tiefsten Abgrund, oder tritt jeden Tag den wildesten Thieren entgegen. Die Unerschrockenheit ist häufig bloße Gewohnheit, und wenn man auch dem Tod unter dieser oder jener Form trotzt, so hat man darum nicht aufgehört, ihn zu fürchten.

Kennybol, von den Trümmern seiner Haufen umgeben, begann selbst am Erfolg zu verzweifeln, obgleich er erst eine leichte Wunde am linken Arm erhalten hatte und den dämonischen Riesen sein Handwerk als Musketier mit der ruhigsten Pünktlichkeit vollziehen sah. Plötzlich bemerkte er, unter dem auf der Höhe aufgestellten feindlichen Bataillon eine außerordentliche Verwirrung, die sicherlich nicht durch den geringen Schaden, den ihm das schwache Feuer der Bergbewohner zufügte, entstanden sein konnte. Aus diesem bis jetzt siegreichen Haufen ertönten auf einmal Geschrei Verwundeter und Sterbender, Töne der Verwirrung und des Schreckens. Bald ließ das Gewehrfeuer nach, der Rauch verzog sich, und Kennybol sah deutlich von der Spitze des Felsen, der das Plateau beherrschte, ungeheure Granitblöcke auf die Arquebusiere von Munckholm hinabfallen. Diese Felsstücke folgten sich in ihrem Falle mit reißender Schnelligkeit; man hörte sie mit großem Geräusch eines über das andere fallen, die Linien der Soldaten lösten sich auf, sie verließen in ordnungslosen Haufen die Höhen und flohen in allen Richtungen davon.

Bei dieser unerwarteten Hülfe wandte Kennybol den Kopf nach dem Riesen um, er war zu seinem Erstaunen noch da, denn er hatte nicht anders geglaubt, als daß Han der Isländer endlich sich in die Lüfte geschwungen habe, und jetzt von der Höhe jenes Felsen den Feind zermalme. Er hob die Augen zu dem Gipfel des Felsen, von welchem die furchtbaren Steinmassen herabfielen, und sah nichts. Er konnte daher nicht glauben, daß ein Theil der Rebellen jenen wichtigen Posten eingenommen habe, weil er dort keine Waffen schimmern sah und kein Siegesgeschrei hörte. Inzwischen hatte das Feuer vom Plateau ganz aufgehört. Das dichte Gehölz verbarg die Trümmer des Bataillons, das sich ohne Zweifel am Fuß der Höhe wieder sammelte. Selbst das Feuer der Plänkler war weniger lebhaft geworden, Kennybol benützte als besonnener Anführer diesen unerwarteten Vortheil, machte seine Waffenbrüder auf die Verwirrung in den feindlichen Reihen aufmerksam und feuerte ihren gesunkenen Muth an. Jetzt stimmten die Bergbewohner ein Siegsgeschrei an, bildeten sich in Colonne und rückten vorwärts, entschlossen, um jeden Preis den Ausgang des Passes zu gewinnen.

Die Colonne rückte unter dem Ruf: »Freiheit! Freiheit! Keine Vormundschaft mehr!« gegen den Feind vor. Bald stießen die Bergbewohner auf den Rest der Bataillone, der sich wieder geordnet, so wie durch einige andere Truppen verstärkt hatte, und nun unter dem Schall der Trommeln und Hörner gegen die Rebellen vorrückte. In der Entfernung eines halben Flintenschusses machten die königlichen Truppen plötzlich Halt; ein Offizier mit einer weißen Fahne in der Hand, die er zum Zeichen seines friedlichen Auftrags schwenkte, ging, von einem Trompeter begleitet, den Rebellen entgegen.

Das plötzliche Anrücken der königlichen Truppen hatte Kennybol nicht erschreckt. Es gibt einen Höhepunkt im Gefühle der Gefahr, welcher der Ueberraschung und Furcht unzugänglich ist. Beim ersten Schall der Hörner und Trommeln hatte Kennybol seine Bergbewohner Halt machen lassen. Als die Front der feindlichen Colonne in guter Ordnung vorrückte, ließ er alle Büchsen laden und vertheilte seine Bergbewohner zu zwei und zwei, um den feindlichen Ladungen weniger Oberfläche darzubieten. Er selbst stellte sich an die Spitze neben den Riesen, mit welchem er sich in der Hitze des Gefechtes zu befreunden begann, da er allmählig bemerkt hatte, daß seine Augen gerade nicht so glühend waren, als der Hochofen eines Eisenwerks, und daß die angeblichen Klauen an seinen Händen sich nicht sehr von bei Länge gewöhnlicher Nägel entfernten.

Inzwischen war der Offizier mit der weißen Fahne bis in die Mitte des Raumes gelangt, der die beiden Colonnen trennte. Hier hielt er an und sein Begleiter stieß dreimal in die Trompete, Zugleich rief der Offizier mit lauter Stimme: Im Namen des Königs! Die Gnade des Königs ist allen denjenigen unter den Rebellen bewilligt, welche sogleich die Waffen ablegen und ihre Anführer der souveränen Justiz Sr. Majestät ausliefern weiden!

Kaum hatte der Parlamentär diese Worte geendigt, so fiel ein Schuß aus dem nahen Gebüsche. Der getroffene Offizier schwankte, hob seine Fahne über das Haupt, that noch einige Schritte und fiel mit dem Rufe: Verrath! Verrath!

Niemand wußte, wer den Schuß gethan hatte.

»Verrath! Verrath!« wiederholten die Arquebusiere mit wüthendem Geschrei, und eine furchtbare Gewehrsalve begrüßte die Bergbewohner.

»Verrath! Verrath!« riefen ihrerseits die Rebellen, als sie ihre Brüder neben sich fallen sahen, und eine allgemeine Ladung antwortete der Salve der Soldaten,

»Nieder mit ihnen! Nieder mit ihnen!« schrieen die Offiziere, ihre Soldaten anfeuernd,

»Nieder, nieder mit ihnen!« antworteten die Bergbewohner.

Bald trafen die beiden Colonnen in der Mitte der Distanz zusammen, und ein wüthender Kampf mit den blanken Waffen erhob sich. Die Reihen wurden durchbrochen und mischten sich untereinander. Rebellenanführer, königliche Offiziere, Soldaten, Bergbewohner, Alle in bunter Mischung, trafen zusammen, packten, erwürgten, erschlugen, zerrissen sich, wie zwei Haufen hungriger Tiger, die in einer Wüste aufeinander stoßen. Piken und Bajonette waren jetzt unbrauchbar geworden; bloß Säbel und Aexte sah man über den Häuptern der Streiter glänzen, und viele Kämpfer, die sich umfaßt hielten, konnten sogar keine andere Waffe mehr brauchen, als den Dolch, das Messer oder die Zähne. Beide Theile fochten mit gleichem Muth, und das Handgemenge war bis zu jenem Grade gestiegen, wo thierische Wildheit alle Herzen ergreift, wo man den Tod eines Feindes, den man nicht kennt, seinem eigenen Leben vorzieht, wo man gleichgültig über Haufen Todter und Verwundeter wegschreitet, wo der Sterbende den Fuß, der ihn zu Boden tritt, noch mit den Zähnen zerfleischt.

In diesem Augenblicke warf sich ein kleiner Mann, den mehrere Kämpfer, da er in Thierfelle gehüllt war, im Anfang für ein wildes Thier hielten, mit schrecklichem Lachen und Freudengeheul mitten in das Toben der Schlacht. Niemand wußte, woher er kam, noch für welchen Theil er focht, denn seine steinerne Axt wählte die Schlachtopfer nicht und spaltete eben sowohl den Scheitel eines Rebellen, als den Bauch eines Soldaten. Gleichwohl schien er lieber die Arquebusiere von Munckholm niederzumachen. Alle flohen seine Nähe; er schwebte durch das Handgemenge hin wie ein böser Geist, und ohne Unterlaß schwang er seine blutige Axt über dem Haupte; auf allen Seiten flogen abgehauene Stücke Fleisch und gebrochene Glieder um ihn her. Er rief »Rache!« wie alle Andern, und stieß unverständliche Worte aus, unter welchen der Name Gill häufig vorkam. Das Blutbad schien ein Freudenfest für den schrecklichen Unbekannten zu sein.

Ein Bergbewohner, über dessen Haupt das Unthier seine Axt schwang, fiel zu den Füßen des Riesen nieder, auf welchen Kennybol so viele jetzt getäuschte Hoffnungen gesetzt hatte, und rief: »Han von Island, rette mich!«

»Han von Island!« wiederholte der kleine Mann und wandte sich dem Riesen zu. »Bist Du Han der Isländer?« sagte er.

Statt aller Antwort hob der Riese seine eiserne Axt gegen ihn. Der kleine Mann sprang rückwärts, und die Axt fuhr in den Schädel des Unglücklichen, der den Riesen um Hülfe angefleht hatte.

Der Unbekannte schrie lachend: »Ho! Ho! Bei Ingulph dem Vertilger! Ich hielt Han den Isländer nicht für so ungeschickt.«

»So rettet Han der Isländer, wer ihn ansieht!« sagte der Riese.

»Da hast Du Recht!«

Jetzt erhob sich ein furchtbarer Kampf zwischen den Beiden. Eiserne und steinerne Axt klirrten unaufhörlich an einander. Beide fielen bald in Stücken zu Boden.

Schnell wie ein Gedanke raffte der kleine Mann eine schwere hölzerne Keule vom Boden aus, die ein Sterbender hatte fallen lassen, wich dem Riesen aus, der sich gebückt hatte, um ihn mit den Armen zu packen, und brachte seinem kolossalen Gegner einen furchtbaren Schlag über die Stirne bei.

Der Riese stieß einen Schrei aus und fiel zu Boden. Der kleine Mann, schäumend vor Wuth, trat ihn unter die Füße.

»Du führtest einen Namen, der für Dich zu schwer war,« rief er aus, schwang seine siegreiche Waffe und suchte nach andern Schlachtopfern.

Der Riese war nicht todt, sondern nur betäubt von der Heftigkeit des Schlages. Er öffnete die Augen und machte einige schwache Bewegungen, da warf sich ein Soldat mit dem Rufe auf ihn: »Sieg! Han der Isländer ist gefangen! Sieg!«

»Han der Isländer ist gefangen!« ertönte jetzt von allen Seiten, von den Einen im Tone des Triumphs, von den Andern in dem der Muthlosigkeit. Der kleine Mann war verschwunden. Die tapfern Bergbewohner fühlten sich bereits seit einiger Zeit übermannt, da ihre Feinde von allen Seiten Verstärkung erhielten. Jetzt wurde auch der muthige Kennybol, schon im Anfang des Treffens verwundet, gefangen genommen. Die Gefangennehmung Hans des Isländers schlug vollends ihren Muth nieder, sie legten die Waffen ab und ergaben sich.

Als die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne die weißen Gipfel der hohen Schneeberge beleuchteten, herrschte tiefe Ruhe und feierliche Stille in den Schluchten des schwarzen Pfeilers. Dunkle Schaaren von Raubvögeln flogen über das Schlachtfeld hin, angelockt von dem Geruch der Leichname, und als die versteckten Hirten, welche vor den Tönen der Schlacht in verborgene Höhlen geflohen waren, wieder das Licht des Tages begrüßten, sahen sie ein Thier mit menschlichem Angesicht auf todten Körpern sitzen und das noch warme Blut der Erschlagenen trinken.

XXXVII.

»Oeffne dieses Fenster, meine Tochter! Diese Scheiben sind sehr trübe; ich möchte den Tag ein wenig sehen.«

»Sehen Sie den Tag, mein Vater? Die Nacht ist nahe.«

»Noch bescheint die Sonne die Hügel, welche den Golf umringen. Ich bedarf dieser reinen Luft, welche durch die Gitter meines Kerkers dringt. Der Himmel ist so hell und schön.«

»Am fernen Horizont zieht ein Gewitter auf, mein Vater!«

»Ein Gewitter, Ethel! Wo siehst Du es?«

»Eben weil der Himmel rein ist, mein Vater, mache ich mich auf ein Gewitter gefaßt.«

Der Greis warf einen Blick des Staunens auf die Jungfrau.

»Wenn ich das in meiner Jugend bedacht hätte,« sprach er, »so wäre ich nicht hier. Was Du hier sagst, ist richtig, aber es geht über Dein Alter. Ich begreife nicht, wie es kommt, daß Deine junge Vernunft meiner alten Erfahrung gleicht.«

Ethel schlug die Augen nieder, wie verwirrt durch diese einfach ernste Betrachtung. Ihre beiden Hände falteten sich in stummem Schmerz, und ein tiefer Seufzer hob ihre Brust.

»Meine Tochter,« sagte der alte Gefangene, »seit einigen Tagen bist Du bleich, als ob ein heißes Blut durch Deine Adern geströmt wäre. Wenn Du Morgens aufstehst, sind Deine Augen roth und angeschwollen, wie nach einer durchwachten und durchweinten Nacht. Seit mehreren Tagen sitze ich einsam und verlassen, und Deine Stimme entreißt mich nicht dem düstern Nachsinnen über mein vergangenes Leben, Du bist trauriger als ich, der alte Gefangene, und doch lastet nicht auf Deinen Schultern, wie auf den meinigen, das Gewicht eines leeren und nichtigen Lebens. Trübsinn mag die Jugend befallen, aber er nistet sich nicht ein in die Tiefen ihres Herzens. Die Wolken des Morgens haben sich am Abend verzogen. Du bist in dem Alter, wo man sich in Träumen eine von der Gegenwart unabhängige Zukunft schafft, welche es auch sei. Was ist Dir denn, mein Kind? Dank dieser eintönigen Gefangenschaft, bist Du vor unvorhergesehenen Unfällen gesichert! Welchen Fehler hast Du denn begangen? Mein Loos kann Dich nicht so beugen, bist Du an mein Unglück gewöhnt, Du weisst, daß es ohne Abhülfe ist. Wenn auch hoffnungslos, bin ich am Rande des Grabes; warum solltest Du verzweifeln in den Tagen Deines blühenden Alters?«

Die strenge und ernste Stimme des alten Gefangenen war allmählig weich geworden und hatte fast den Ton väterlicher Rührung angenommen. Ethel stand stumm vor ihm. Plötzlich wandte sie sich mit einer fast krampfhaften Bewegung ab, sank auf die Kniee und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen, als wollte sie die Thränen und Seufzer ersticken, die unwiderstehlich ihrem gepreßten Herzen entströmten.

Der Vater schüttelte das greise Haupt, lächelte bitter und warf einen ernsten Blick auf seine Tochter: »Ethel,« sprach er, »warum weinst Du, während Du doch nicht unter den Menschen lebst?«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so erhob sich das sanfte und edle Geschöpf von der Erde. Die kindliche Liebe gab ihr die Kraft, ihren Schmerz tief in ihr Inneres zu verschließen. Sie fuhr mit ihrer Leibbinde über die Augen und gebot ihren Thränen Stillstand.

»Verzeihen Sie mir, mein Vater,« sagte sie, »es war nur ein Anfall von Schwäche.«

Sie heftete einen aus Thränen lächelnden Blick auf den verehrten Greis, holte die Edda, setzte sich neben ihren schweigsamen Vater und öffnete das Buch auf Gerathewohl. Sie bezwang die Rührung ihrer Stimme und las; aber der Ton ihrer Stimme verflog nutzlos, denn weder sie noch ihr Vater achteten darauf.

»Genug, meine Tochter!« sagte der Greis und gab ein Zeichen mit der Hand.

Sie schloß das Buch.

»Ethel,« fragte der Vater, »denkst Du bisweilen an Ordener?«

Die Jungfrau bebte.

»An jenen Ordener,« fuhr der Vater fort, »der abgereist ist …« »Warum an ihn denken, mein Vater?« unterbrach ihn Ethel. »Ich denke, wie Sie, daß er nie wiederkehren wird.«

»Nie wiederkehren, meine Tochter! Das könnte ich nicht sagen. Im Gegentheil sagt mir irgend eine Ahnung, daß er wiederkommen wird.«

»So dachten Sie nicht, mein Vater, als Sie mit so vielem Mißtrauen von diesem jungen Manne sprachen.«

»Habe ich denn mit Mißtrauen von ihm gesprochen?«

»Ja, mein Vater, und ich trete Ihrer Meinung bei; ich glaube, daß er uns getäuscht hat.«

»Daß er uns getäuscht hat, meine Tochter! Wenn ich ihn so beurtheilte, so habe ich gehandelt, wie alle Menschen, die ohne Beweis verdammen. Ich habe von diesem Ordener lauter Zusicherungen seiner Ergebenheit erhalten.«

»Und wissen Sie denn, mein ehrwürdiger Vater, ob hinter diesen treuherzigen Worten nicht treulose Gesinnungen versteckt waren?«

»In der Regel drängen sich die Menschen nicht zu dem ohnmächtigen Unglück. Wenn dieser Ordener nicht Anhänglichkeit an mich gefühlt hätte, wäre er nicht so ohne Zweck in meinen Kerker gekommen.«

»Wissen Sie gewiß,« fuhr Ethel mit schwacher Stimme fort, »daß er keinen Zweck dabei hatte?«

»Und welchen denn?« fragte lebhaft der Greis.

Die Jungfrau schwieg.

Es kostete sie zu viel Mühe, den geliebten Ordener, den sie sonst gegen ihren Vater vertheidigt hatte, jetzt vor ihm anzuklagen.

»Ich bin nicht mehr der Graf von Greiffenfeld,« fuhr der alte Gefangene fort. »Ich bin nicht mehr der Großkanzler von Dänemark und Norwegen, nicht mehr der begünstigte Vertheiler der königlichen Gnadenspenden, der allmächtige Minister, sondern ein armseliger Staatsgefangener, ein Geächteter, ein politisch Verpesteter. Es beweist schon Muth, wenn man gegen diese Menschen, die ich mit Ehre und Reichthum überhäuft habe, meiner nur ohne Verwünschung erwähnt; es ist Entsagung, wenn man die Schwelle dieses Kerkers betritt, außer man wäre ein Kerkermeister oder Henker! Es ist Heldenmuth, wenn man sie als mein Freund betritt. Nein, ich will nicht undankbar sein, wie dieses ganze menschliche Geschlecht. Dieser junge Mann hat meine Dankbarkeit verdient, und wenn es für nichts Anderes wäre, als daß er mir ein wohlwollendes Gesicht gezeigt hat und mich eine tröstende Stimme vernehmen ließ.«

Diese Sprache, die einige Tage früher die Jungfrau entzückt hätte, zerschnitt jetzt ihr Herz. Der Greis fuhr mit feierlicher Stimme fort: »Höre, meine Tochter, ich will jetzt ein ernstes Wort zu Dir reden. Ich fühle, daß meine Kräfte schwinden, das Leben zieht sich allmählig aus diesem abgelebten Körper zurück, ich fühle, daß mein Ende naht.«

Ethel unterbrach ihn durch einen halberstickten Seufzer.

»Um Gotteswillen, mein Vater, reden Sie nicht so! Schonen Sie Ihre arme Tochter! Wollen Sie mich einsam zurücklassen auf der Welt? Was soll dann aus mir werden? Was bin ich ohne Ihren Schutz?«

»Der Schutz eines Geächteten!« sagte der Greis mit Kopfschütteln. »Doch eben daran denke ich ja. Die Sorge für Dein künftiges Glück, meine Tochter, drückt mich mehr, als das Andenken an mein vergangenes Unglück. Darum höre die Worte Deines Vaters. Dieser Ordener verdient Dein strenges Urtheil nicht, und ich glaubte bis jetzt, daß Du keine solche Abneigung gegen ihn hättest. Sein Aeußeres ist edel und offen, was zwar allerdings nichts für sein Inneres beweist; aber ich muß gestehen, daß er mir nicht ohne einige Tugenden scheint, obwohl das menschliche Herz den Keim aller Laster und Verbrechen in sich trägt. Keine Flamme ist ohne Rauch.

»Im Vorgefühl meines nahen Todes,« fuhr der Greis feierlich fort, »habe ich an Dich und ihn gedacht, und wenn er zurückkommt, wie ich hoffe, so gebe ich ihn Dir zum Beschützer und Gatten.«

Die Jungfrau erbleichte. In demselben Augenblicke, wo ihre Träume für immer in Rauch zerflogen waren, wollte ihr Vater sie verwirklichen. Der bittere Gedanke: »Ich konnte also glücklich sein!« gab ihrer Verzweiflung ihre ganze Kraft wieder. Sie blieb einen Augenblick sprachlos, damit die glühenden Thränen, die in ihrem Auge starrten, ihm nicht entfliehen möchten.

»Wie, mein Vater!« sagte sie endlich mit erloschener Stimme, »Sie wollten mich einem Unbekannten zum Weibe geben, dessen Namen, dessen Geburt, dessen Familie Sie nicht kennen?«

»Ich wollte Dich ihm nicht geben, ich gebe Dich ihm,« erwiederte der Vater in fast gebietendem Tone.

Ethel seufzte.

»Ich gebe Dich ihm, sage ich. Was liegt mir an seiner Geburt? Was geht mich seine Familie an? Er ist der einzige Rettungsanker, der Dir übrig bleibt. Ich glaube, daß er nicht denselben Widerwillen gegen Dich hegt, wie Du gegen ihn.«

Das arme Mädchen hob ihre Augen gen Himmel.

»Du hörst es, Ethel, ich kümmere mich nichts um seine Geburt. Er ist ohne Zweifel von gemeinem Stande, denn in den Palästen der Großen lehrt man diejenigen, die darin geboren werden, nicht, die Hütten der Unglücklichen und die Kerker der Gefangenen zu besuchen. Wozu diese stolzen Rückerinnerungen? Ethel Schuhmacher ist nicht mehr Prinzessin von Wollin und Gräfin von Tongsberg! Du bist tiefer gefallen, als Dein Vater stand, da er sich erhoben hat. Schätze Dich also glücklich, wenn dieser Mann Deine Hand annimmt, welches auch seine Familie sei. Ist er von niederem Stande, desto besser, dann wird Dein Leben wenigstens vor den Stürmen sicher sein, die Dein Vater überstanden hat. Du wirst ferne vom Neid und Haß der Menschen, unter irgend einem unbekannten Namen ein verborgenes Dasein verleben, das glücklicher enden wird, als die Laufbahn meiner Größe …«

Ethel war vor ihrem Vater auf die Kniee gesunken.

»O, mein Vater! … Gnade!«

Der Greis öffnete erstaunt seine Arme.

»Was willst Du damit sagen, mein Kind?«

»Um Gotteswillen, schildern Sie mir ein Glück nicht, das mir nicht beschieden ist!«

»Ethel, spiele nicht mit Deinem ganzen künftigen Lebensglück! Ich habe die Hand einer Prinzessin von königlichem Geblüt, einer Prinzessin von Holstein-Augustenburg ausgeschlagen, und mein Stolz ist grausam bestraft worden. Du willst einen ehrlichen Mann abweisen, weil er nicht von hoher Geburt ist. Zittere, Du möchtest eben so hart gezüchtigt werden!«

»Möchte doch dieser Ordener ein rechtlicher unbekannter Mann sein!« murmelte Ethel.

Der Greis erhob sich und ging mit heftigen Schritten durch das Zimmer.

»Mein Kind, es ist Dein armer alter Vater, der Dich bittet und Dir befiehlt. Versprich mir, diesen Fremdling zum Gatten anzunehmen, damit ich ruhig sterben kann.«

»Ich werde Ihnen immer gehorchen, mein Vater! Doch zählen Sie nicht aus seine Rückkehr …«

»Ich habe die Wahrscheinlichkeiten abgewogen, und nach dem Tone, womit dieser Ordener Deinen Namen aussprach, glaube ich …«

»Daß er mich liebt!« unterbrach ihn die Tochter mit Bitterkeit. »O, nein, glauben Sie das nicht!«

»Ich weiß nicht, ob er Dich liebt; aber ich weiß, daß er zurückkommen wird.« »Geben Sie diesen Gedanken auf, mein edler Vater! Und wenn Sie diesen Fremdling kennten, so würden Sie nicht mehr wünschen, daß er der Gatte Ihrer Tochter sei.«

»Er wird es sein, welches auch sein Name und sein Stand sei.«

»Wenn nun,« erwiederte die Jungfrau feierlich, »dieser Unbekannte, in welchem Sie einen Tröster, den künftigen Beschützer Ihrer Tochter erblicken, der Sohn eines Ihrer Todfeinde, des Vicekönigs von Norwegen, des Grafen Guldenlew wäre?«

Der Greis wich drei Schritte zurück: »Was sagst Du da? Großer Gott! Ordener! Dieser Ordener! … Das ist unmöglich! …«

Der unaussprechliche Ausdruck von Haß, der sich in allen Zügen des alten Mannes malte, erfüllte Ethels Herz mit Schauder, und sie bereute das unkluge Wort, das sie gesprochen hatte.

Der Schlag war gefallen. Der Greis blieb einige Augenblicke unbeweglich mit gekreuzten Armen; sein ganzer Körper zitterte, seine flammenden Augen schienen den kalten Stein des Fußbodens durchdringen zu wollen. Allmählig entfuhren seinen blauen Lippen einige mit schwacher Stimme von einem Träumenden ausgesprochenen Worte.

»Ordener! … Ja, so ist es, Ordener Guldenlew! … So ist es! … Ganz richtig! … Schuhmacher, alter Thor, öffne ihm doch deine Arme, dieser redliche junge Mensch kommt, um dir den Dolch ins Herz zu stoßen …«

Plötzlich stampfte er mit dem Fuß auf den Boden, und seine Stimme ward donnernd.

»Ha! So haben sie mir denn ihr ganzes schändliches Geschlecht auf den Hals geschickt, mich in meinem Falle zu verhöhnen! Ich mußte einen Ahlfeldt vor Augen sehen! Ich habe einem Guldenlew zugelächelt! … Die Unmenschen! Wer hätte von diesem Ordener geglaubt, daß er diesen Namen führe, daß er ein solches Herz habe! Wehe mir! Wehe ihm!«

Der Greis fiel erschöpft in seinen Lehnsessel. Seine Brust arbeitete gewaltig. Seine weinende Tochter saß zu seinen Füßen.

»Weine nicht, meine Tochter!« sagte der Greis mit düsterer Stimme. »Komm an mein Herz!«

Er drückte sie an seine Brust.

»Du hast heller gesehen, junges Mädchen,« fuhr er fort, »als Dein alter Vater. Die giftige Schlange mit den Taubenaugen hat Dich nicht getäuscht. Ich danke Dir für Deinen Haß gegen diesen schändlichen Ordener.«

»Mein Vater, beruhigen Sie…«

»Schwöre mir, stets die nämlichen Gesinnungen gegen Guldenlews Sohn zu hegen!«

»Gott verbietet den Schwur, mein Vater!«

»Schwöre es mir, meine Tochter! Schwöre mir, immer die nämlichen Gesinnungen gegen diesen Ordener Guldenlew zu hegen!«

Ethel konnte mit Wahrheit antworten: »Immer!«

»Wohl, meine Tochter! Ich vermache Dir meinen Haß gegen sie, denn Ehre und Gut haben sie mir geraubt, und ich kann Dir sonst nichts hinterlassen. Die Elenden! Und ich war es, dem sie Macht und Ehre verdanken! Im Namen des Himmels und der Hölle verfluche ich sie in ihrem Dasein und in ihrer fernsten Nachkommenschaft!«

Der Greis schwieg einige Augenblicke und fuhr dann fort: »Aber sage mir, mein Kind, wie hast Du entdeckt, daß dieser Verräther einen der verabscheuten Namen führte, die mit Gift und Galle in mein Herz geschrieben sind? Wie bist Du hinter dieses Geheimniß gekommen?«

Die Jungfrau nahm alle ihre Kraft zusammen, diese Frage zu beantworten, als plötzlich die Thüre sich öffnete. Ein schwarz gekleideter Mann, einen Stab von Ebenholz in der Hand und eine gebräunte Stahlkette um den Hals, erschien auf der Schwelle, umgeben von schwarz gekleideten Hellebardieren.

»Was willst Du von mir?« fragte der Gefangene mit unwilligem Staunen.

Ohne zu antworten und ohne ihn nur anzusehen, rollte der Mann ein langes Pergament aus, an welchem ein Siegel von grünem Wachs an einer seidenen Schnur hing, und las mit lauter Stimme:

»Im Namen Sr. Majestät, unseres allergnädigsten Königs und Herrn, König Christiern!

»Kund und zu wissen dem Staatsgefangenen Schuhmacher in der königlichen Festung Munckholm und dessen Tochter, daß sie dem Vorweiser dieses zu folgen haben.«

»Was willst Du von mir?« wiederholte der Gefangene.

Statt aller Antwort begann der schwarze Mann abermals das königliche Dekret abzulesen.

»Schon gut!« sagte der Greis.

Er stand auf und gab seiner erstaunten Tochter ein Zeichen, mit ihm diesem Unglücksboten zu folgen.

XXXVIII.

Die Nacht war eben angebrochen. Ein kalter Wind pfiff um den verfluchten Thurm, und die Pforten der Ruinen von Vygla erzitterten in ihren Angeln, als ob derselbe Arm sie alle zumal geschüttelt hätte.

Die rohen Thurmbewohner, der Henker und seine Familie, saßen um das Feuer, das in der Mitte des Zimmers brannte und seinen röthlich flackernden Schein auf ihre finstern Gesichter und scharlachenen Gewänder warf. In den Gesichtszügen der Kinder lag etwas Wildes, wie das Lachen ihres Vaters, und etwas Grasses, wie der Blick ihrer Mutter. Die Augen des Weibes und der Kinder waren auf Orugix gerichtet, der, auf einem hölzernen Schemel sitzend, auszuschnaufen schien, und dessen mit Staub bedeckte Füße verriethen, daß er einen langen Weg gemacht habe.

»Weib, höre! Kinder, hört!« sprach er. »Ich bin nicht umsonst zwei Tage abwesend gewesen und bringe keine schlechte Nachrichten mit. Wenn ich nicht, ehe ein Monat vergeht, königlicher Vollstrecker der hohen Gerichtsbarkeit bin, so soll man von mir sagen, ich wisse keine Schleife an einen Strick zu machen und könne kein Beil führen. Freut Euch, Ihr jungen Wölflein, Euer Vater hinterläßt Euch vielleicht sogar das Schaffot von Kopenhagen zum Erbe.«

»Nychol,« fragte Bechlie, »was gibt es denn?«

»Und Du, meine alte Zigeunerin,« fuhr Nychol mit seinem schwerfälligen Lachen fort, »freue Dich, auch Du kannst ein Halsband von blauen Glaskorallen kaufen, um damit Deinen Storchenhals zu schmücken. Unsere eheliche Verpflichtung ist bald zu Ende; wenn Du mich aber in einem Monat mit der Würde eines ersten Henkers beider Königreiche bekleidet siehst, so wirst Du gerne einen zweiten Krug mit mir zerbrechen.«

»Was gibt es denn? Was gibt es denn?« fragten die Jungen, deren ältester mit einer blutigen Zange spielte, während der jüngste einen kleinen Vogel lebendig rupfte.

»Was es gibt, meine Kinder? … Bringe doch diesen Vogel um, Haspar, er schreit wie eine schlechte Säge, und überhaupt man muß nicht grausam sein. Bringe ihn um … Was es gibt? Nichts, gar wenig, außer, Dame Bechlie, daß, ehe acht Tage vergehen, der Exkanzler Schuhmacher, der zu Kopenhagen bereits mein Gesicht in der Nähe gesehen hat, und der berüchtigte isländische Räuber Han von Klipstadur, mir vielleicht beide zumal in die Hände fallen werden.«

Das verstörte Auge des Weibes nahm einen Ausdruck neugierigen Staunens an.

»Schuhmacher! Han der Isländer! Wie kommt das, Nychol?«

»Ich will Euch Alles sagen. Ich begegnete gestern Morgens auf der Straße von Skongen, auf der Brücke von Ordals, dem Regiment der Arquebusiere von Munckholm, das in triumphirendem Aufzug nach Drontheim zurückkehrte. Ich befragte einen der Soldaten, der mich einer Antwort würdigte, weil er ohne Zweifel nicht wußte, warum ich ein rothes Kleid trage, und ich erfuhr, daß die Soldaten aus den Schluchten des schwarzen Pfeilers zurückkamen, wo sie die Banden der rebellischen Bergleute in Stücke gehauen hatten. Nun mußt Du wissen, Zigeunerin Bechlie, daß diese Rebellen sich für Schuhmacher empörten und von Han dem Isländer befehligt waren. Ferner mußt Du wissen, daß diese Empörung Han den Isländer des Verbrechens des Aufruhrs gegen die königliche Gewalt, und Schuhmacher des Verbrechens des Hochverraths schuldig macht, welche beide Verbrechen zum Galgen oder auf das Schaffot zu führen pflegen. Füge nun zu diesen zwei prächtigen Hinrichtungen, deren jede mir wenigstens fünfzehn Dukaten eintragen muß, und mir in den Königreichen zur höchsten Ehre gereichen wird, noch einige andere hinzu, die zwar nicht ebenso wichtig sind …«

»Wie!« unterbrach ihn das Weib, »Han der Isländer ist also gefangen?«

»Warum unterbrichst Du Deinen Herrn und Meister, verdammtes Weib? Allerdings, dieser berüchtigte, ungreifbare Han der Isländer ist gefangen, und mit ihm einige andere Anführer der Rebellen, deren jeder mir ebenfalls zwölf Thaler eintragen wird, ohne zu rechnen, was ich aus den Leichnamen erlösen werde. Er ist gefangen, sage ich Dir, und ich habe ihn selbst gesehen, wie er in den Reihen der Soldaten ging …«

Das Weib und die Kinder traten staunend näher zu Orugir.

»Wie! Du hast ihn gesehen, Vater?« fragten die Kinder.

»Schweigt Kinder! Ihr schreit wie ein Spitzbube, der seine Unschuld betheuert. Ich habe ihn gesehen. Er ist ein Riese und die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden, und um den Kopf trug er eine Binde. Ohne Zweifel ist er am Kopfe verwundet worden. Aber er kann ruhig sein, in Kurzem werde ich ihn von dieser Wunde kurirt haben.«

Der Henker begleitete diese furchtbaren Worte mit einer schrecklichen Geberde und fuhr dann fort: »Hinter ihm gingen vier andere Gefangene, und man führt sie alle nach Drontheim, um mit dem Exkanzler Schuhmacher vor Gericht gestellt zu werden.«

»Vater, wie sahen die andern Gefangenen aus?«

»Zwei davon sind alte Männer, und einer von ihnen trug den Filzhut der Bergleute, und der andere die Mütze der Gebirgsbewohner. Beide waren traurig. Von den beiden andern war der eine ein junger Bergmann; er trug den Kopf hoch und pfiff; der andere … Erinnerst Du Dich, meine höllische Bechlie, an die Reisenden, die vor etwa zehn Tagen in diesen Thurm gekommen sind, als bei Nacht ein so heftiges Gewitter war?…«

»Wie Satan sich seines Falls erinnert,« antwortete das Weib.

»Erinnerst Du Dich des jungen Mannes unter den Reisenden, des Gefährten des alten närrischen Perrückenstocks, der den grünen Mantel und die schwarze Feder trug?«

»Ich sehe ihn noch vor mir stehen und höre ihn sagen: Weib, wir haben Gold!«

»Nun denn, Weib, der war der vierte Gefangene, und wenn es nicht so ist, so soll man von mir sagen, daß ich in meinem Leben Niemand die Kehle zugeschnürt habe, als einer alten Henne. Das gibt einen Spaß: neulich habe ich ihm zu essen gegeben, und jetzt werde ich ihm bald auf ewig den Mund stopfen.«

Der Henker lachte hell auf bei diesen Worten und fuhr dann fort: »Wir wollen uns freuen und trinken. Teufelsweib, schenke mir ein Glas Bier ein auf meine nahe Erhöhung. Auf die Gesundheit des Herrn Nychol Orugix, königlichen Vollstreckers der hohen Gerichtsbarkeit in spe! Ich muß Dir gestehen, alte Sünderin, daß es mich Mühe kostete, mich in den Flecken Noes zu begeben, um daselbst einen gemeinen Dieb zu hängen. Doch dachte ich, du kannst die paar Groschen auch mitnehmen, der Exkanzler und Han der Isländer entgehen dir doch nicht.«

In diesem Augenblicke ließ sich außen vor dem Thurme in drei Absätzen der Schall eines Hornes hören.

»Weib,« rief Orugix aufspringend, »das sind die Häscher des Oberrichters.«

Mit diesen Worten stieg er eilends die Treppe hinab. Bald darauf kam er zurück mit einem großen Pergament in der Hand, dessen Siegel er gelöst hatte.

»Hier Weib, das kommt vom Oberrichter. Entziffre mir das, da Du das Teufelsgeschmiere lesen kannst. Es ist vielleicht schon ein Beförderungspatent, denn da der Gerichtshof einen Großkanzler zum Präsidenten und einen Großkanzler zum Delinquenten hat, so schickt es sich nicht wohl anders, als daß ein königlicher Großhenker seinen Spruch vollziehe.«

Das Weib hatte inzwischen die Schrift durchgesehen und begann nun mit lauter Stimme zu lesen:

»Im Namen des Oberrichters von Drontheimhus! Nychol Orugix, Scharfrichter dieser Provinz, hat sich Angesichts dies, versehen mit seinem Ehrenbeil, dem Block »und der schwarzen Behängung nach Drontheim zu begeben.«

»Ist das Alles?« fragte der Henker mißvergnügt. »Alles,« antwortete das Weib.

»Scharfrichter dieser Provinz« murmelte Orugir zwischen den Zähnen und warf unwillige Blicke auf den Brief.

»Nun ins Teufels Namen!« rief er endlich aus, »man muß gehorchen und sich auf den Weg machen. Verlangt man doch das Ehrenbeil und die schwarze Behängung. Weib, Putze mir das Ehrenbeil blank, und bürste mir die schwarze Behängung aus. Man muß den Muth nicht sinken lassen, vielleicht wollen sie mich erst nach dieser schönen Hinrichtung befördern. Freilich werden dann die Verurtheilten der Ehre verlustig gehen, durch einen königlichen Großhenker hingerichtet zu werden.«

XXXIX.

Der Graf von Ahlfeldt, in seiner schwarzen Amtstracht und mit Orden behängt, ging nachdenklich im Zimmer seiner Gemahlin auf und ab.

»Es ist neun Uhr,« sagte die Gräfin, »der Gerichtshof soll seine Sitzung beginnen, man darf ihn nicht warten lassen. In der Nacht noch muß das Urtheil gefällt werden, daß man es spätestens morgen früh vollziehen kann. Der Oberrichter hat mich versichert, daß der Scharfrichter vor Sonnenaufgang hier sein werde.«

»Elphege, haben Sie die Barke, welche mich nach Munckholm bringen soll, bereit halten lassen?«

»Sie wartet schon über eine halbe Stunde auf Sie.«

»Und ist meine Sänfte vor der Thüre?« »Sie steht bereit.«

»So will ich nicht säumen. Noch ein Wort, Elphege! Sie behaupten also, daß ein Liebeshandel zwischen Ordener Guldenlew und Schuhmachers Tochter bestehe?«

»Und das ein ernstlicher, versichere ich Sie!« versetzte die Gräfin mit einem Lächeln des Zorns und der Verachtung.

»Wer hätte das gedacht? Doch muß ich gestehen, daß ich es bereits vermuthet hatte.«

»Und ich auch,« sagte die Gräfin. »Das ist ein Streich, den uns dieser verdammte Levin gespielt hat.«

»Der alte mecklenburgische Schurke!« murmelte der Kanzler zwischen den Zähnen. »Warte nur, ich will Dich Arensdorf empfehlen. Wenn ich ihn nur stürzen könnte! Jetzt geht mir ein Licht auf. Hören Sie einmal, Elphege!«

»Nun denn? Reden Sie!«

»Sie wissen, daß es sechs Individuen sind, welche wir im Schlosse von Munckholm zu richten haben: Schuhmacher, den ich morgen um diese Zeit hoffentlich nicht mehr fürchten werde, unser falscher Han der Isländer, der versprochen hat, seine Rolle bis ans Ende festzuhalten, in der Hoffnung, daß ihn Musdoemon, von dem er bereits starke Geldsummen erhalten hat, entwischen lassen werde. Dieser Musdoemon hat wahrhaft teuflische Ideen. Die vier andern Angeklagten sind die drei Anführer der Rebellen und ein Quidam, der unter die Anführer gekommen ist, man weiß nicht wie, und den Musdoemon hat festsetzen lassen. Er hält diesen Menschen für einen Spion Levins von Knud, und wirklich hat er hier gleich bei seiner Ankunft nach dem General gefragt und schien bestürzt, als er die Abwesenheit des Mecklenburgers erfuhr. Im Uebrigen hat er auf keine der Fragen geantwortet, welche Musdoemon an ihn gerichtet hat.«

»Warum haben Sie ihn nicht selbst verhört?« »Meine Geschäfte ließen mir keine Zeit dazu, wie Sie selbst wissen, und übrigens konnte ich mich in dieser Sache ganz auf Musdoemon verlassen. Ueberhaupt lege ich auf diesen Menschen an sich keinen besondern Werth; er ist ohne Zweifel irgend ein armer Landstreicher. Er kann uns bloß dazu dienen, daß wir ihn als einen Agenten Levins darstellen, und da er in den Reihen der Rebellen ergriffen worden ist, so könnte daraus ein strafbares Einverständniß zwischen dem Mecklenburger und Schuhmacher gefolgert werden, das hinreichend wäre, wo nicht die Versetzung in Anklagestand, doch wenigstens die Ungnade dieses verdammten Levin Knud herbeizuführen.«

Die Gräfin schien einen Augenblick nachzudenken: »Sie haben Recht, aber diese unglückliche Leidenschaft des Barons Thorwick für Ethel Schuhmacher …«

»Hören Sie, Elphege, wir sind beide nicht mehr jung und keine Neulinge im Leben, wir sollten die Menschen kennen. Wenn Schuhmacher zum zweitenmal wegen Hochverraths verurtheilt ist, wenn er auf dem Schaffot seine Strafe erstanden haben wird, wenn diese Schmach auf seine Tochter übergegangen ist und sie tief unter die letzten Reihen der Staatsgesellschaft herabgesetzt hat, glauben Sie, daß dann Ordener Guldenlew sich dieser kindischen Liebe, welche Sie Leidenschaft nennen, wieder erinnern und nur einen Augenblick zwischen der entehrten Tochter eines elenden Staatsverräthers und der erlauchten Tochter eines glorwürdigen Großkanzlers schwanken werde? So und nicht anders ist das menschliche Herz.«

»Ich wünsche, daß Sie Recht haben mögen. Sie werden inzwischen nicht überflüssig finden, daß Schuhmachers Tochter dem Prozeß ihres Vaters anwohne, und zwar in der nämlichen Loge mit mir. Ich möchte gerne dieses Geschöpf studiren.«

»Nichts, was uns über diese Geschichte aufklären kann, ist zu versäumen,« erwiederte der Kanzler phlegmatisch … »Aber sagen Sie mir doch, weiß man, wo Ordener gegenwärtig ist?«

»Kein Mensch weiß es. Er ist der würdige Zögling des alten Levin, ein fahrender Ritter, wie er. Ich glaube, daß er sich jetzt zu Ward-Hus befindet …«

»Das ist gut. Unsere Ulrike wird ihn festhalten. Doch ich vergesse, daß der Gerichtshof wartet …«

»Noch ein Wort! Ich habe Sie schon gestern gefragt, aber Sie waren so in Geschäften vertieft, daß ich keine Antwort von Ihnen erhalten konnte. Wo ist mein Friedrich?«

»Friedrich!« wiederholte der Kanzler in düsterem Tone und fuhr mit der Hand über das Gesicht.

»Ja, mein Friedrich! Sein Regiment ist ohne ihn nach Drontheim zurückgekommen! Schwören Sie mir, daß Friedrich nicht in diesen furchtbaren Schluchten des schwarzen Pfeilers war. Warum erblaßten Sie bei seinem Namen? Ich bin in tödtlicher Angst.«

Der Kanzler nahm seine gleichgültige Miene wieder an: »Elphege, seien Sie ruhig. Ich schwöre Ihnen, daß er nicht in den Schluchten des schwarzen Pfeilers war. Im Uebrigen hat man ja die Liste der Offiziere, die in diesem Gefecht getödtet oder verwundet wurden, bekannt gemacht …«

»Das beruhigt mich allerdings. Nur zwei Offiziere sind geblieben: der Hauptmann Lory und der junge Baron Randmer, der auf den Bällen zu Kopenhagen mit meinem Friedrich so vielen Spaß gemacht hat. Ich habe die Liste mehr als einmal gelesen, das versichere ich Sie. Aber sagen Sie mir, mein Sohn ist also zu Wahlstrom geblieben?«

»Er ist dort geblieben.«

»Ich bitte Sie, lieber Freund,« sagte die Gräfin mit einem Lächeln, in das sie einige Zärtlichkeit zu legen vergebens bemüht war, »lassen Sie doch um Himmels willen meinen Friedrich schnell aus diesem abscheulichen Lande zurückkommen …«

»Madame, was Sie da verlangen, steht nicht in meiner Macht.«

Mit diesen Worten entfernte er sich schnell. Die Gräfin blieb in düsterem Nachdenken zurück.

»Das steht nicht in seiner Macht!« sagte sie für sich. »Es kostet ihn ja nur ein Wort, mir meinen Sohn zurückzugeben. Das ist doch ein abscheulicher Mensch, voll Hinterlist und Bosheit! Hatte ich nicht Recht, ihn nie leiden zu können?«

Han der Isländer

1859


XXIII.

Der Reisende, welcher heutzutage die mit Schnee bedeckten Berge bereist, die, gleich einem weißen Gürtel den See Smiassen umgeben, findet keine Spur mehr von dem, was die Norweger des siebenzehnten Jahrhunderts die Ruine von Urbar genannt haben. Man hat nie ergründen können, welcher menschlichen Bauart, welcher Gattung von Gebäuden die Ruine angehörte, wenn man ihr anders diesen Namen geben kann. Wenn man aus dem Walde heraustritt, der die südliche Seite des Sees bedeckt, sofort einen Abhang heraufsteigt, der da und dort mit verfallenen Mauern und Thürmen besät ist, gelangt man an eine gewölbte Oeffnung, welche in die Seite des Berges gebrochen ist. Diese Oeffnung, welche jetzt ganz durch Erdfälle verschüttet ist, war der Eingang einer in den Felsen gehauenen Art Galerie, die den Berg von einem Ende zum andern durchschnitt. Diese Galerie, welche durch kegelförmige, von Distanz zu Distanz in der Wölbung angebrachte Luftlöcher spärlich erleuchtet war, führte zu einer Art von länglichrundem Saale, der halb in den Felsen gegraben und durch eine Art cyklopischen Mauerwerks geschlossen war. Rundum in diesem Saale standen in tiefen Nischen plump gearbeitete Figuren von Granit. Einige dieser mystischen Götzenbilder, die von ihren Gestellen gefallen war, lagen, mit andern unförmlichen Trümmern vermischt, auf dem steinernen Boden, überwachsen mit Moos und Kräutern, in welchen Eidechsen, Spinnen und anderes Gewürm ihr Lager aufgeschlagen hatten.

Dieser unheimliche Ort erhielt sein schwaches Tageslicht durch eine dem Eingang aus der Galerie gegenüberliegende, bogenförmige Pforte. Man hätte diese Thüre, obwohl sie mit dem Boden gleichlaufend war, ein Fenster nennen können, denn sie öffnete sich auf einen tiefen Abgrund, und man konnte nicht begreifen, wohin die drei oder vier Stufen führen sollten, die außerhalb dieses seltsamen Ausgangs und unter demselben über dem Abgrund gleichsam in der Luft schwebten.

Dieser Saal war das Innere einer Art gigantischen Thurms, der in der Ferne, von der Seite des Abgrundes betrachtet, eine der Spitzen des Berges schien. Dieser Thurm stand einzeln, und Niemand wußte, zu welchem Gebäude er je gehört hatte. Man sah bloß oberhalb des Thurmes auf einem Plateau, das selbst dem kühnsten Jäger unzugänglich war, eine Masse, die man der Entfernung wegen nicht genau unterscheiden, und entweder für ein abgeplattetes Felsstück, oder für die Trümmer eines kolossalen Bogenganges halten konnte. Diesen Thurm und dieses Bogengewölbe nannte man im Lande die Ruine von Arbar. Man kannte eben so wenig den Ursprung des Namens als des Gebäudes selbst.

Auf einem Stein, der in der Mitte dieses länglichrunden Saales lag, saß, in seine blutigen Thierfelle gehüllt, Han der Isländer. Er wandte der Oeffnung, durch welche ein schwacher Schimmer des Tageslichts hereinfiel, den Rücken zu. Der Wilde beugte sich zu einem Gegenstand hinab, dessen Beschaffenheit man bei dem spärlichen Lichte, das in den Saal fiel, nicht unterscheiden konnte. Nur hörte man von Zeit zu Zeit ein dumpfes Stöhnen, das von diesem Gegenstande auszugehen schien, und schwache Bewegungen deuteten an, daß es ein belebter Körper sei. Bisweilen richtete sich der Wilde in die Höhe und brachte einen Menschenschädel an die Lippen, in welchem eine rauchende Flüssigkeit war, deren Farbe man nicht unterscheiden konnte, und die er in langen Zügen einschlürfte. Plötzlich erhob er sich rasch: »Ich höre etwas in der Galerie,« sagte er. »Ist es wohl schon der Kanzler der beiden Königreiche?«

Ein furchtbares Lachen, dem ein thierisches Geheul folgte, begleitete diese Worte. Plötzlich antwortete aus der Galerie ein Thiergeheul dem Heulen des wilden Menschen.

»Ho, Ho!« sagte der Bewohner der Ruine von Arbar, »das ist kein Mensch, aber doch ein Feind; es ist ein Wolf.«

Wirklich sprang auch ein großer Wolf aus der Wölbung der Galerie, blieb einen Augenblick stehen und näherte sich dann in schiefen Wendungen dem Menschen, den Bauch auf dem Boden und glühende, im Dunkel stammende Blicke auf seine Beute werfend.

»Ah!« sagte der Wilde, »das ist der alte Wolf mit grauen Haaren, der älteste Wolf der Wälder von Smiassen. Gegrüßet seist du, Wolf! Deine Augen funkeln. Nagender Hunger und der Leichengeruch führen dich hieher. Bald wird dein eigenes Fleisch hungrige Wölfe herbeilocken. Willkommen, alter Wolf von Smiassen! Längst habe ich gewünscht, dir zu begegnen. Du bist so alt, daß es heißt, du könnest nicht sterben. Morgen wird es nicht mehr so heißen.«

Das Thier antwortete durch ein furchtbares Heulen, krümmte sich rückwärts und stürzte mit einem Satze auf den wilden Menschen.

Der Wilde blieb festen Fußes stehen. Schnell wie der Blitz faßte er das Thier mit der linken Hand an der Gurgel, während die langen Nägel seiner rechten Hand in dem Bauch des Wolfes wühlten und seine Haut blutig färbten. Das Thier stand aufrecht, die beiden Vorderpfoten auf den Schultern seines Feindes, mit aufgesperrtem Rachen und geifernder Zunge, aber die eiserne Faust des Wilden schnürte ihm den Rachen so fest zu, daß es kaum einen Laut des Schmerzes von sich zu geben vermochte.

»Wolf von Smiassen,« sagte der sieghafte Wilde triumphirend, »deine Krallen zerreißen mein Kleid, aber deine Haut wird mir ein anderes geben,«

Der Wolf machte eine letzte krampfhafte Anstrengung, den Menschen niederzuwerfen; dieser fiel über einen der zerstreut umherliegenden Steine. Mensch und Thier lagen am Boden, und Beider Geheul mischte sich miteinander.

Im Fallen hatte der Wilde die Gurgel des Thieres losgelassen, und schon fühlte er dessen schneidende Zähne in seiner Schulter, Beide rollten sich auf dem Boden und stießen an eine ungeheure weiße Masse, die im dunkelsten Winkel des Saales zusammengerollt lag und schlief.

Es war ein großer weißer Bär, der brummend aus dem Schlafe auffuhr. Kaum hatten sich seine trägen Augen so weit geöffnet, daß er den Kampf sehen konnte, so stürzte er sich mit Wuth, nicht auf den Menschen, sondern auf den Wolf, der in diesem Augenblicke siegreich war, faßte ihn in der Mitte des Körpers mit seinem ungeheuren Rachen, und befreite auf diese Art den Wilden von seinem Feinde,

Der Wilde, von Blut triefend, erhob sich, und weit entfernt, für diesen Dienst dankbar zu sein, stürzte er auf den Bären los und gab ihm einen tüchtigen Fußtritt auf den Bauch, wie ein Herr seinem Hunde, wenn er einen Fehler begangen hat.

»Freund!« sagte er, »wer hat dir gerufen? Worein willst du dich mischen?« Diese Worte wurden unter Grinsen und Zähneknirschen hervorgebracht. »Fort mit dir!« fügte der Wilde heulend hinzu.

Der Bär, der von dem Menschen einen Fußtritt und von dem Wolf einen Biß erhalten hatte, stieß eine Art kläglichen Brummens aus, senkte seinen schwerfälligen Kopf, und ließ den Wolf los, der sich sogleich mit neuer Wut auf den Menschen stürzte.

Während der Kampf fortdauerte, kehrte der Bär in seine Ecke zurück, setzte sich auf seine Hinterbeine und sah ihm ruhig zu.

Als der Wolf sich wieder auf den Wilden stürzte, fasste dieser den blutigen Rachen des Tieres in seine nervige Faust, und drückte ihn fest und immer fester zusammen. Der Wolf krümmte und bäumte sich vor Wut und Schmerz in der eisernen Faust seines Feindes, die ihn wie eine Zange festhielt. Ein schwarzblauer Schaum floss aus seinem zusammengepressten Rachen, und seine Augen, von Wut und Schmerz angeschwollen, schienen aus ihren Höhlen treten zu wollen. Derjenige der beiden Kämpfer, dessen Beine von scharfen Zähnen zermalmt, dessen Fleisch von heissen Krallen zerfleischt wurde, war hier nicht der Mensch, sondern das Tier des Waldes; das Brüllen, dessen Ton am wildesten, dessen Ausdruck am grimmigsten war, kam nicht aus der Brust des wilden Tieres, sondern des Menschen.

Endlich nahm der Wilde seine ganze Kraft, die durch den langen Widerstand des alten Wolfs beinahe erschöpft war, zusammen, und drückte mit seinen beiden Händen auf den Rachen des Tieres mit solcher Kraft, dass ihm das Blut aus der Kehle und den Naslöchern sprang; die Flamme der Augen erlosch, und sie fielen halb zu; das Tier schwankte und fiel leblos zu den Füßen seines Siegers nieder.

»Da liegst du, Werwolf!« sagte der Wilde und stieß ihn verächtlich mit dem Fuße von sich. »Glaubtest du denn noch älter werden zu können, nachdem du mein Angesicht gesehen hattest? Jetzt wirst du nicht mehr mit unhörbarem Schritt über das Schneefeld laufen, der Spur deiner Beute folgend; du bist jetzt selbst ein Raub der Wölfe und Geier. In deinem langen Leben voll Mord und Blutbad hast du viele verirrte Wanderer am Strande des Smiassen erwürgt. Jetzt bist du selbst todt und wirst keine Menschen mehr fressen. Das ist Schade!«

Der Wilde nahm einen schneidenden Stein, kniete vor dem noch rauchenden Leichnam des Thieres nieder, und in einem Nu hatte er ihm die Haut abgezogen.

»Man muß wohl,« murmelte er zwischen den Zähnen, indem er die blutige Haut um seine Schultern warf, »sich in Thierfelle kleiden, denn die Haut des Menschen ist zu dünn, um gegen die Kälte zu schützen.«

Inzwischen hatte sich der Bär zu dem Gegenstand, dessen oben erwähnt worden ist, und dessen Wesen man in der Dunkelheit nicht erkennen konnte, hingeschlichen, und bald hörte man in dem finstern Theil des Saales ein Knacken der Zähne, untermischt mit schwachen und schmerzhaften Seufzern eines im Todeskampf liegenden Geschöpfes.

»Freund!« schrie der Wilde mit drohender Stimme. »Warte, Bursche! Daher!«

Mit diesen Worten raffte er einen schweren Stein auf und warf ihn dem Ungeheuer auf den Kopf, das, ganz betäubt von dem Wurf, langsam seine Beute fahren ließ, seine blutigen Lippen leckte, wedelnd zu den Füßen des Wilden kroch, den Rücken krümmte und seinen dicken Kopf zu ihm erhob, als wollte es um Verzeihung bitten.

Jetzt fand zwischen den beiden Ungeheuern ein Austausch bedeutungsvollen Brüllens statt. Das Brüllen des menschlichen Unthiers drückte Herrschergewalt und Zorn aus, das des Bären Bitte und Unterwürfigkeit.

»Hier,« sagte endlich der Wilde, indem er auf den Leichnam des Wolfs deutete, »hier ist deine Beute, laß mir die meinige!«

Der Bär beroch den Leichnam des Wolfs, schüttelte mißvergnügt den Kopf und hob sein Auge zu dem Wilden, der sein Herr war.

»Ich verstehe dich, das ist schon zu todt für dich, während das andere noch zuckt. Du bist ein feiner Züngler, dein Fleisch soll noch Leben haben, wenn du es zerreißest, und soll unter deinem Zahne vollends sterben: du hast nur Freude an dem, was leidet! wir gleichen uns, denn ich bin auch kein Mensch, ich stehe über diesem elenden Geschlecht, ich bin ein wildes Thier, wie du. Recht so, brumme zu meinen Füßen, brülle durch den Wald, daß Mensch und Thier erschrocken fliehen! Den Kopf in die Höhe, Freund, lecke mich mit dieser Zunge, die so oft Menschenblut getrunken hat!«

Während der Wilde so sprach, lauerte der Bär vor ihm, leckte seine Hände, wälzte sich auf dem Rücken und gab seine Freude zu erkennen, wie ein wohl dressirter Hund.

»Die Menschen sagen, ich fliehe sie,« fuhr der Wilde fort, »aber sie fliehen mich; sie thun aus Furcht, was ich aus Haß thue … Du weißt ja, Freund, daß ich gerne einem Menschen begegne, wenn ich Hunger oder Durst habe.«

Plötzlich erschien in der Galerie ein röthliches Licht, das sich allmählig näherte und einen schwachen Schein auf die alten feuchten Mauern warf.

»Da kommt gerade ein Mensch,« sagte der Wilde. »Man darf nur von der Hölle reden, so zeigt der Teufel seine Hörner. Holla! Freund! Auf!«

Der Bär richtete sich in die Höhe.

»Ich muß wohl deinen Appetit befriedigen, um deinen Gehorsam zu belohnen,« sagte der Wilde und bückte sich auf den Gegenstand am Boden nieder.

Jetzt hörte man ein Krachen, wie von Gebeinen, die mit der Axt zerhauen werden; es mischte sich aber kein Ton eines lebendigen Wesens mehr darein. »Hier, Freund, vollende dein begonnenes Mahl,« fuhr der Wilde fort und warf etwas, das er von dem zu seinen Füßen ausgestreckten Gegenstand abgelöst hatte, dem Thore über dem Abgrund zu. Der Bär stürzte sich so gierig auf diese Beute, daß man kaum durch einen schnellen Blick unterscheiden konnte, daß dieser Fetzen die Form eines menschlichen Armes hatte und mit einem Stück grünen Stoffes bekleidet war, wie die Soldaten der Besatzung von Munckholm trugen.

»Es kommt näher,« sagte der Wilde, die Augen auf das Licht heftend, das immer größer erschien. »Bruder, Freund! Laß mich allein! Fort mit dir!«

Der Bär nahm mit zufriedenem Brummen den Raub in seinen Rachen, stürzte der Pforte zu, stieg die äußeren Stufen hinter sich hinab, und verschwand im Abgrund.

Gleich darauf erschien unter dem Ausgang der Galerie ein Mann, der in einen braunen Mantel gewickelt war und eine Blendlaterne in der Hand trug, mit welcher er dem Wilden ins Gesicht leuchtete.

Der Wilde, der mit gekreuzten Armen auf dem Steine saß, rief ihm zu: »Sei nicht willkommen hier, Du, den ein Gedanke herführt, nicht ein Instinkt!«

Der Fremde antwortete nicht, sondern betrachtete aufmerksam den Wilden.

»Sieh mich nur an,« sagte dieser und hob den Kopf in die Höhe, »in einer Stunde vielleicht hast Du nicht mehr so viel Hauch der Stimme, Dich rühmen zu können, daß Du mich gesehen habest.«

Der Fremde beleuchtete den Wilden von allen Seiten, und schien mehr verwundert als erschrocken.

»Worüber wunderst Du Dich denn? Ich habe Arme und Beine, wie Du, nur werden meine Glieder nicht, wie die Deinigen, der Fraß der Pantherkatzen und Raben werden.«

Endlich that der Fremde den Mund auf und sagte mit leiser, aber ruhiger Stimme, als ob er nichts weiter fürchtete, als von Außen gehört zu werden: »Hört, ich komme nicht als Feind, sondern als Freund …« »Wenn Du als Freund kommst, hättest Du Deine menschliche Gestalt ablegen sollen.« »Wenn Ihr der seid, den ich suche, komme ich in der Absicht, Euch einen Dienst zu erweisen…« »Das heißt, Dir von mir einen Dienst erweisen zu lassen. Mensch, jeder Deiner Schritte zu mir ist verloren. Ich kann nur denen Dienste leisten, die des Lebens müde sind.« »An Euern Worten sehe ich wohl, daß Ihr der Mann seid, wie ich ihn brauche, aber Eure Gestalt … Han der Isländer ist ein Riese … Ihr könnt nicht dieser Han sein …« »Das ist zum erstenmal, daß man in meiner Gegenwart daran zweifelt.« »Wie! Ihr seid Han der Isländer? Es heißt ja, Han sei ein Riese … « »Füge meinen Ruf meiner Größe bei, und Du wirst mich höher sehen, als der Hella ist.« »Wirklich! Ihr seid also Han, gebürtig von Klivstadur in Island?« »Auf diese Frage antworte ich nicht mit Worten,« erwiederte der Wilde, indem er aufstand und dem unklugen Fremden einen Blick zuwarf, vor welchem dieser drei Schritte zurückwich. »Dieser Blick überzeugt mich hinreichend,« sagte der Fremde mit einer fast flehenden Stimme, und warf aus den Eingang des Saals einen Blick, in welchem sich das Bedauern aussprach, dessen Schwelle überschritten zu haben. »Nur Euer eigener Vortheil hat mich hieher geführt…« Als der Fremde in den Saal trat, konnte er sein kaltes Blut behalten, da er den Bewohner der Ruine von Urbar nur unvollständig sah; als aber jetzt der Wilde aufrecht vor ihm stand, mit seinem Tigergesicht, seinem gedrängten Gliederbau, seinen blutigen Schultern, die kaum mit einem noch frischen Felle bedeckt waren, mit seinen großen Händen, seinen Tigerkrallen, seinen stechenden Augen, da schauderte der Fremde, wie ein unwissender Reisender, der einen Aal anzurühren glaubt, und den eine Schlange sticht. »Mein Vortheil,« wiederholte das Unthier. »Willst Du mir etwa Nachricht geben, wo irgend eine Quelle zu vergiften, irgend ein Dach anzuzünden, irgend ein Soldat von Munckholm zu erwürgen ist?« »Vielleicht. Hört einmal! Die norwegischen Bergleute empören sich. Ihr wißt, wie vieles Unglück jede Empörung nach sich zieht.« »Ja, Raub, Mord und Brand.« »Ich biete Euch Alles dies an.« Der Wilde lachte laut auf: »Ich brauche nicht zu warten, bis Du mir dieses anbietest, ich kann es selbst nehmen.« »Ich trage Euch im Namen der Bergleute den Oberbefehl über die Rebellen an.« »Ist das wahr, daß Du mir diesen Oberbefehl in ihrem Namen anträgst?« Diese Frage schien den Fremden in Verlegenheit zu setzen; da er aber hier sich gänzlich unbekannt wußte, so faßte er sich gleich wieder. »Weßhalb empören sich die Bergleute?« fragte der Wilde. »Um sich von den Lasten der königlichen Vormundschaft zu befreien.« »Bloß deßwegen?« fragte der Isländer höhnisch. »Sie wollen auch den Staatsgefangenen in Munckholm befreien.« »Ist das der einzige Zweck dieses Aufstandes?« »Ich kenne keinen andern.« »So! Du kennst keinen andern?« Diese Worte waren, wie die vorgehenden, in ironischem Tone ausgesprochen. Um der Verlegenheit ein Ende zu machen, worein ihn Ton und Inhalt versetzten, zog der Fremde eine schwere Geldbörse unter seinem Mantel hervor und warf sie dem Räuber hin. »Hier,« sagte er, »ist Euer Gehalt als oberster Anführer.« »Behalte es! Meinst Du denn, wenn ich Lust hätte zu Deinem Gold oder nach Deinem Blut, so würde ich erst auf Deine Erlaubniß warten, beides zu nehmen?« Der Fremde machte eine Geberde des Staunens und Schreckens. »Es ist ein Geschenk, das mir die Bergleute für Euch übergeben…« »Ich will es nicht,« sage ich Dir. »Gold brauche ich nicht. Die Menschen verkaufen wohl ihre Seele, aber nicht ihr Leben. Man muß es ihnen nehmen.« »Ich werde also den Bergleuten ankündigen, daß der gefürchtete Han der Isländer nur den Befehl über sie, aber nicht ihr Gold annimmt…« »Ich nehme ihn nicht an.« Diese kurz und bestimmt ausgesprochenen Worte schienen unangenehm in die Ohren des angeblichen Emissärs der Bergleute zu klingen. »Wie!« sagte er. »Nein!« erwiederte Jener. »Ihr wollt an einer Unternehmung nicht Theil nehmen, die Euch so viele Vortheile verspricht?« »Vortheile! Ich kann die Meierhöfe allein plündern, und wenn ich Dörfer verwüsten, Bauern und Soldaten umbringen will, brauche ich Niemands Hülfe dazu.« »Aber bedenkt, daß Euch die Straflosigkeit gesichert ist, wenn Ihr den Befehl über die Bergleute annehmt.“ »Ist es abermals im Namen der Bergleute, daß Du mir Straflosigkeit zusicherst?“ fragte der Räuber lachend. »Ich will Euch nicht verhehlen,“ antwortete der Fremde mit geheimnißvollem Wesen, »daß dies im Namen eines mächtigen Mannes geschieht, der bei diesem Aufstand die Hand im Spiele hat.“ »Und ist dieser mächtige Mann sicher, daß er nicht selbst gehängt wird?“ »Wenn Ihr ihn kenntet, so würdet Ihr nicht den Kopf schütteln.“ »Nun, wer ist er denn?“ »Das kann ich Euch nicht sagen.“ Der Räuber trat vorwärts, klopfte dem Fremden auf die Schulter und sagte, stets mit demselben satanischen Lachen: »Soll ich es Dir sagen?“ Der Fremde machte eine Bewegung des Schreckens und beleidigten Stolzes. Er war eben so wenig auf die barsche Unterbrechung als aus die wilde Vertraulichkeit des Räubers gefaßt. »Ich treibe mein Spiel mit Dir,“ fuhr dieser fort, »denn Du weißt nicht, daß ich Alles weiß. Diese mächtige Person ist der Großkanzler von Dänemark und Norwegen, und der Großkanzler von Dänemark und Norwegen, das bist Du!“ Es war in der That der Großkanzler selbst. Er wollte Niemand anders die Unterhandlung mit dem gefürchteten Räuber anvertrauen. Eine der ersten Eigenschaften des Grafen Ahlfeldt war Geistesgegenwart. Als der Räuber seinen Namen so barsch aussprach, konnte er einen Schrei des Staunens nicht unterdrücken, aber in einem Nu nahm sein bleiches Gesicht wieder den Ausdruck ruhiger Überlegenheit an. »Nun denn,« sagte er, »ich will ganz offen gegen Euch sein. Ja, ich bin der Großkanzler. Seid nun aber auch offen gegen mich …« Der Räuber lachte laut: »Habe ich mich denn bitten lassen, Dir meinen Namen und den Deinigen zu sagen?« »Sagt mir eben so offen, woher Ihr erfahren habt, wer ich bin?« »Hat man Dir noch nicht gesagt, daß Han der Isländer quer durch die Berge sieht?« Der Graf suchte auf seiner Frage zu bestehen: »Ihr seht in mir einen Freund vor Euch …« »Deine Hand, Graf Ahlfeldt!« sagte der Räuber barsch, blickte ihm starr ins Gesicht und rief: »Wenn in diesem Augenblicke unsere beiden Seelen den Körper verließen, so würde Satan nicht wissen, welche von beiden die des Ungeheuers ist.« Der hochmüthige Edelmann biß sich in die Lippen; aber die Furcht vor dem Räuber und die Nothwendigkeit, ihn als Werkzeug zu gewinnen, ließen ihn sein Mißvergnügen verschlucken. »Denkt besser auf Euern Voltheil,« sagte er, »nehmt den Befehl über die Rebellen an und seid meiner Dankbarkeit versichert.« »Kanzler von Norwegen, Du rechnest auf den Erfolg Deiner Unternehmungen, wie ein altes Weib, das an den Rock denkt, den es mit gestohlenem Hanfe zu spinnen, beabsichtigt, während die Pfote der Katze ihren Spinnrocken verwirrt.« »Noch einmal, besinnt Euch, ehe Ihr mein Anerbieten zurückweist.« »Noch einmal, ich, der Räuber, sage Dir, dem Großkanzler beider Königreiche: Nein!« »Ich erwartete eine andere Antwort von Euch nach dem ausgezeichneten Dienste, den Ihr mir bereits geleistet habt.« »Welchen Dienst hätte ich Dir denn geleistet?« »Ist nicht von Euch der Hauptmann Dispolsen ermordet worden?« »Das kann sein, Graf Ahlfeldt! Ich kenne diesen Menschen nicht. Wer ist er denn?« »Wie! Ist nicht etwa zufällig eine eiserne Büchse, welche er mit sich führte, in Eure Hände gefallen?« Diese Frage kam der Erinnerung des Räubers zu Hülfe. »Richtig,« sagte er, »ich erinnere mich in der That dieses Menschen und seiner eisernen Büchse. Es war am Strande von Urchthal.« »Wenn Ihr mir wenigstens diese Büchse zustellen könntet, so würde meine Dankbarkeit grenzenlos sein. Sagt mir, was aus dieser Büchse geworden ist, denn sie kam in Euren Besitz.« Der Kanzler zeigte einen solchen Eifer für diesen Gegenstand, daß der Räuber dadurch aufmerksam gemacht und befremdet wurde. »Diese Büchse ist also von großer Wichtigkeit für Dich, Kanzler von Norwegen?« »Allerdings!« »Welche Belohnung willst Du mir geben, wenn ich Dir sage, wo Du sie finden kannst?« »Alles, was Ihr verlangt, mein lieber Han von Island!« »Nun, so sage ich Dir es nicht.« »Das wäre Spaß! bedenkt, welchen Dienst Ihr mir dadurch leistet.« »Das eben bedenke ich.« »Ich würde Euch mit Reichthum überhäufen und Eure Begnadigung von dem König auswirken.« »Wirke lieber Deine Begnadigung von mir aus. Höre mich, Großkanzler von Dänemark und Norwegen, die Tiger zerreißen die Hyänen nicht. Ich entlasse Dich lebend von meinem Angesicht, weil Du ein Bösewicht bist, und weil jeder Augenblick Deines Lebens, jeder Gedanke Deiner Seele ein Unglück für die Menschen und ein Verbrechen für Dich zur Welt bringt. Aber kehre nicht wieder, denn mein Haß verschont Niemand, selbst die Bösewichter nicht. Schmeichle Dir nicht, daß ich diesen Hauptmann um Deinetwillen umgebracht habe. Seine Uniform hat ihn zum Tode verurtheilt, so wie jenen andern Elenden, den ich ebenfalls nicht deßhalb ermordet habe, weil ich Dir einen Dienst leisten wollte.« Mit diesen Worten faßte er den Kanzler am Arm und zog ihn zu dem Gegenstande hin, der im Schatten lag. Das Licht der Blendlaterne fiel darauf. Es war ein verstümmelter, mit einer Offiziersuniform des Regiments Munckholm bekleideter Leichnam. Der Kanzler warf einen Blick des Abscheus auf ihn. Plötzlich starrte er das eingefallene, blutige Gesicht des Tobten an. Er erkannte ihn trotz des blauen, halb geöffneten Mundes, der sich in die Höhe sträubenden Haare, der schwarzblauen Wangen, der erloschenen Augen. »Himmel! Mein Sohn Friedrich!« rief er mit einem Schrei des Entsetzens aus. Der Mörder stieß ein tolles Gelächter aus. Es war furchtbar anzuhören, wie die Seufzer, welche der unglückliche Vater vor dem entseelten Körper seines ermordeten Sohnes ausstieß, sich mit dem furchtbaren Lachen des Unthiers mischten, das ihn gemordet hatte. »Heule, heule um Deinen Sohn!« rief das Ungeheuer aus. »Mein Ahnherr Ingulph der Vertilger hat mich gelehrt, den meinigen zu rächen!« Ein Geräusch schneller Schritte ließ sich in der Galerie hören. Vier große Männer, mit bloßen Schwertern in den Händen stürzten in den Saal herein; ein fünfter, der klein und dick war, folgte ihnen, mit einer Fackel in der einen, einem Säbel in der andern Hand. »Gnädiger Herr!« rief dieser letztere, »wir haben Ihre Stimme gehört und eilen Ihnen zu Hülfe!« Es war Musdoemon mit den vier bewaffneten Dienern, welche das Gefolge des Kanzlers bildeten. Als die Fackel mit ihrem hellen Licht diesen Schauplatz beleuchtete, erstarrten die andern Ankömmlinge vor Schrecken. Hier das noch blutige Aas des Wolfs, dort der entseelte Leichnam des jungen Offiziers; hier der entsetzte Vater mit verstörten Blicken und herzzerreißendem Jammergeschrei, dort das Ungeheuer in menschlicher Gestalt, den Ankommenden sein scheußliches Gesicht zukehrend, auf dem sich ein furchtloses Staunen malte. Als der Kanzler diese unerwartete Hülfe ankommen sah, bemächtigte sich seiner der Gedanke der Rache, und seine Verzweiflung verwandelte sich in Wuth. »Nieder mit diesem Mörder!« schrie er, indem er seinen Degen zog. »Er hat meinen Sohn erschlagen! Nieder, nieder mit ihm!« »Er hat Herrn Friedrich ermordet?« sagte Musdoemon, und die Fackel, die er trug, zeigte nicht die mindeste Rührung in den Zügen seines Gesichts. »Nieder, nieder mit ihm!« wiederholte der wüthende Vater, und alle sechs stürzten sich auf das Ungeheuer. Der Wilde, über diesen raschen Angriff erstaunt, stieß ein entsetzliches Geheul aus und zog sich gegen die Pforte zurück, die über dem Abgrund schwebte. Sechs Schwerter waren gegen seine Brust gezückt, sein Blick aber war flammender und sein Gesicht drohender, als das irgend eines seiner Angreifer. Durch die Zahl seiner Feinde zur Vertheidigung gezwungen, schwang er seine Axt mit so reißender Schnelligkeit um sein Haupt, daß der Zirkel des Umschwungs ihn gleich einem Schilde deckte. Wenn die steinerne Axt den Spitzen der Schwerter begegnete, sprühten Funken aus ihnen, aber keine Klinge drang bis zu seinem Körper durch. Gleichwohl verlor er, durch seinen früheren Kampf mit dem Wolf ermüdet, allmählig Boden, und bald sah er sich bis zu der Pforte gedrängt, die sich über dem Abgrund öffnete. »Muth, meine Freunde!« rief der ingrimmige Vater des Schlachtopfers aus. »Laßt uns das Unthier in den Abgrund stürzen!« »Eher werden die Gestirne des Himmels hinabfallen!« erwiederte der Wilde. Inzwischen verdoppelten die Angreifenden ihren Eifer, und schon stand der Räuber auf der obersten Stufe der Treppe, die über dem Abgrund hing. »Drauf! drauf!« rief der Vater aus. »Er muß hinab! Hinunter mit ihm! Elender, das war Deine letzte Gräuelthat!« Mit gleicher Kraft und Schnelligkeit schwang der Wilde seine Axt in der rechten Hand, während die linke ein hölzernes Horn ergriff, das an seinem Gürtel hing; er brachte es an seine Lippen und entlockte ihm einen rauhen, langen, nachhaltenden Ton, dem plötzlich aus der Tiefe des Abgrunds ein furchtbares Brüllen antwortete. Jetzt war er auf die zweite Stufe hinabgedrängt, da erschien plötzlich neben ihm der dicke Kopf eines weißen Bären. Von Staunen und Schrecken ergriffen, wichen die Angreifenden zurück. Der Bär stieg vollends die Treppe herauf und öffnete gegen sie seinen blutigen Rachen mit dem furchtbaren Gebiß. »Habe Dank, Freund!« rief der Wilde und schwang sich, die Ueberraschung seiner Gegner benützend, auf den Rücken des Bären, der rückwärts hinabstieg, mit drohend geöffnetem Rachen gegen die Feinde seines Herrn. Als sie sich von ihrer ersten Bestürzung erholt hatten, sahen sie, wie der Bär seinen Herrn den Abgrund hinabtrug, indem er sich mit seinen Klauen an allen Baumstämmen und vorspringenden Felsstücken festhielt. Sie wollten ihm einen der umherliegenden schweren Steine nachwerfen, aber bevor sie ihn vom Boden aufgehoben hatten, war das Thier mit dem Wilden in einer Höhle des Berges verschwunden.

XXIV.

Oft entwickelt sich eine tiefe Vernunft in dem, was die Menschen Zufall nennen. Es waltet in den Ereignissen des Menschenlebens eine geheimnißvolle Hand, die ihnen Mittel und Zweck bezeichnet. Man schilt die Launen des Glücks, die Seltsamkeiten in dem Loose des Menschen, und plötzlich fahren aus diesem Chaos schauderhafte Blitze, wunderbare Strahlen, damit menschlicher Dünkel sich vor der Weisheit des Himmels demüthige.

Als Friedrich von Ahlfeldt in den Prunksälen Kopenhagens seine prachtvollen Kleider, den Dünkel seines Ranges und die Selbstbewunderung seiner faden Redensarten zur Schau trug, wenn ihm damals ein Mann, mit dem Blicke des Sehers in die Zukunft, entgegengetreten wäre und die ernsten Prophetenworte zugerufen hätte: »Diese glänzende Uniform, die heute Dein Stolz ist, wird eines Tages Dein Verderben sein; ein Unthier in Menschengestalt wird mit eben so vielem Behagen Dein Blut trinken, wie Du sorgenloser Wollüstling die Weine des Südlandes eingeschlürft hast; Deine Haare, die jetzt von Wohlgerüchen duften, werden den Staub einer schmutzigen Höhle fegen, worin wilde Thiere hausen; dieser Arm, der heute die reizende Tänzerin umschlingt, wird der Fraß eines wilden Bären werden; der sorgenlose Jüngling hätte auf diese Prophezeihungen durch ein schallendes Gelächter geantwortet, die ganze vornehme Welt hätte mit eingestimmt; selbst die menschliche Vernunft hätte den Propheten einen Wahnwitzigen gescholten. Und doch fielen nur seine und der Seinigen Verbrechen auf sein und der Seinigen Haupt zurück.

Die Familie Ahlfeldt spinnt ein höllisches Complot gegen die Tochter eines armen Gefangenen; die Unglückliche findet einen Beschützer, der denjenigen entfernt, der sie verführen will. Kaum in seinem neuen Aufenthalt angekommen, läßt das rächende Schicksal ihn den Tod in den Klauen eines Halbthiers finden. Sie wollten ein unschuldiges Mädchen in Schande und Unglück stürzen, und haben ihren eigenen Sohn in den Tod gejagt. Ihr eigenes Verbrechen ist auf ihre eigenen Häupter zurückgefallen.

XXV.

Am Morgen nach seinem Besuche zu Munckholm ließ der Gouverneur frühe seinen Wagen einspannen, in der Hoffnung, schon abgereist zu sein, wenn die Gräfin aufwachen würde; aber das Verbrechen hat keinen ruhigen Schlaf.

Der General unterzeichnete die letzten Verhaltungsregeln für den Bischof, der in seiner Abwesenheit das Gouvernement führen sollte. Eben hatte er seinen Pelzrock angezogen und wollte das Zimmer verlassen, als der Thürsteher die Gräfin meldete.

Der alte ehrliche Soldat, der lieber der Mündung einer Kanone gegenüber gestanden wäre, als diesem verschmitzten Weibe, suchte sich schnell von ihr loszumachen. Nachdem er ihr die üblichen Höflichkeitsbezeugungen erwiesen hatte und dann zum förmlichen Abschied schreiten wollte, beugte sie sich zu seinem Ohre nieder und fragte in vertraulichem Tone: »Nun, General, was haben Sie aus ihm herausgebracht? Was hat er Ihnen gesagt?«

»Wer? Paul? Er hat mir gesagt, daß angespannt sei.«

»Ich rede von dem Staatsgefangenen zu Munckholm, General.«

»So! So!«

»Hat er auf Ihr Verhör befriedigende Antworten ertheilt?«

»Hm! … Wahrlich! …« brummte der General in der Verlegenheit seines Herzens.

»Haben Sie Beweise erlangt, daß er bei dem Aufstand der Bergleute im Spiel ist?«

»Frau Gräfin, er ist unschuldig,« antwortete er kurz, indem er eine Ueberzeugung seines Herzens, nicht seines Geistes aussprach.

»Unschuldig!« wiederholte die Gräfin bestürzt, obwohl in ungläubigem Tone, denn sie zitterte bei dem Gedanken, daß es dem Gefangenen gelungen sein möchte, seine Unschuld dem General zu beweisen.

Der General hatte inzwischen Zeit zum Nachdenken gefunden; er antwortete der Gräfin in einem Tone, der sie beruhigte, weil er Verlegenheit und Zweifel ausdrückte.

»Unschuldig! … Ja! … Wenn Sie so wollen …«

»Ob ich will, Herr General!« rief das böse Weib mit lautem Lachen aus.

Dieses Lachen verletzte des Gouverneurs Zartgefühl.

»Erlauben Sie, gnädige Gräfin,« sagte er, »daß ich bloß den Vicekönig von dem in Kenntniß setze, was zwischen mir und dem vormaligen Großkanzler vorgefallen ist.«

Mit diesen Worten machte er eine tiefe Verbeugung und verließ das Zimmer.

Die Gräfin begab sich in das ihrige. »Reise immerhin, du alter fahrender Ritter,« sagte sie dort; »deine Abwesenheit raubt unsern Feinden einen Beschützer; sie ist das Signal der Rückkehr meines Friedrich. Dieser Barbar da! den schönsten Cavalier von Kopenhagen in diese schrecklichen Gebirge zu schicken!«

»Meine liebe Lisbeth,« sagte die Gräfin zu ihrer begünstigten Kammerfrau, »laßt doch zwei Dutzend kleine Haarkämme, wie jetzt unsere Elegants sie tragen, von Bergen kommen; erkundigt Euch, was für ein neuer Roman von der berühmten Scudery erschienen ist, und sorgt dafür, daß das Leibäffchen meines Friedrich jeden Morgen mit Rosenwasser gewaschen werde.«

»Wie, meine gnädige Gräfin, kommt denn unser gnädiger Herr Friedrich zurück?«

»Allerdings, und damit er eine Freude hat, wenn er mich wiedersieht, muß Alles geschehen, was ihm Vergnügen macht. Ich will ihm bei seiner Zurückkunft eine Ueberraschung bereiten.«

Arme Mutter!

XXVI.

Nachdem Ordener von dem Thurme herabgestiegen war, auf welchem er den Leuchtthurm von Munckholm erblickt hatte, mattete er sich lange ab, seinen armen Benignus Spiagudry um und um zu suchen. Er rief ihn mit Namen, aber nur das Echo der Ruinen antwortete ihm. Er war über diese Abwesenheit erstaunt, und schrieb sie irgend einem panischen Schrecken zu, der den furchtsamen alten Herrn ergriffen hätte. Um ihm Zeit zur Wiederkehr zu geben, beschloß er, die Nacht auf dem Felsen von Oelmö zuzubringen. Er nahm etwas Nahrung zu sich, wickelte sich in seinen Mantel und legte sich bei dem Feuer nieder.

Ordener war mit der Sonne auf, aber er fand seinen Spiagudry nicht, sondern nur dessen Schnappsack und Mantel, was auf eine sehr eilige Flucht schließen ließ. Er entschloß sich daher, allein abzureisen, weil er am andern Tage Walderhog erreichen mußte.

Der junge Mann war von Jugend auf an Beschwerden gewöhnt, und hatte die Gebirge schon mehrmals bereist. Da er nun wußte, daß der Räuber zu Walderhog zu treffen sein würde, bedurfte er keines Führers mehr und setzte allein seinen Weg in nordwestlicher Richtung fort.

Es war nicht sehr bequem, in diesem Lande zu reisen. Bald war der Weg bloß das steinige Bett eines ausgetrockneten Waldbaches, bald mußte man auf schwankenden Brücken, die bloß aus Baumstämmen bestanden, über Abgründe gehen. Stunden weit konnte man in diesen unbewohnten Gegenden reisen, ohne das Dasein von Menschen an etwas anderem gewahr zu werden, als an einer Windmühle, die sich auf dem Gipfel eines fernen Hügels drehte, oder an dem Rauch, der aus einem entfernten Eisenwerke stieg. Bisweilen begegnete er einem Bauer auf seinem kleinen grauen Pferde, oder einem Pelzhändler.

Wenn er den Handelsmann um den Weg nach der Grotte von Walderhog fragte, antwortete der nomadische Krämer, der bloß die Namen und Lage der Orte kannte, wohin ihn sein Gewerbe führte: »Geht immer nach Nordwest, dann kommt Ihr in das Torf Hervalyn, dann geht Ihr durch die Schluchten von Dodlysax, und diesen Abend könnt Ihr Surb noch erreichen, das nur zwei Stunden von Walderhog liegt.«

Wenn Ordener die nämliche Frage an einen Landmann richtete, schüttelte dieser, ganz erfüllt von den Traditionen seines Landes, den Kopf, hielt seinen Grauschimmel an und erwiederte: »Walderhog! die Grotte von Walderhog! Dort singen die Steine, die Beine tanzen, und der Dämon von Island bewohnt sie! In die Grotte von Walderhog werdet Ihr ohne Zweifel nicht gehen wollen?«

»Doch, ich will dahin!«

»Ihr habt also Eure Mutter verloren, oder Euer Haus ist verbrannt, oder ein Nachbar hat Euch Euer fettes Schwein gestohlen?«

»Alles das nicht!«

»So hat Euch irgend eine Hexe ein Leid angethan?«

»Mein lieber Freund, ich will von Euch nichts wissen, als den Weg, der nach Walderhog führt.«

»Wenn Ihr es denn durchaus wollt: immer nördlich! Ich weiß wohl, wie Ihr hinkommen werdet, aber wie Ihr zurückkommt, das weiß ich nicht. So lebt denn wohl!«

Es war bereits sinkende Nacht, als Ordener in dem Weiler Surb ankam. Der Harzgeruch und der Steinkohlenrauch belehrten Ordener, daß hier ein Volk von Fischern wohne. Er ging auf die erste Hütte zu, die sich ihm im Schatten der Nacht zeigte. Ihr niederer und enger Eingang war, nach norwegischem Gebrauch, durch eine große durchsichtige Fischhaut geschlossen, welche in diesem Augenblick durch das röthliche zitternde Licht eines angezündeten Feuers coloriert war. Ordener schlug an die hölzerne Einfassung der Türe und rief: »Es ist ein Reisender da!«

»Nur herein!« rief eine Stimme von Innen, während eine dienstfertige Hand die Fischhaut aufhob, und Ordener trat in die länglichrunde Hütte eines norwegischen Küstenfischers. Es war eine Art runden Zeltes von Holz und Erde, in dessen Mitte ein Feuer brannte. Vor diesem Feuer saßen der Fischer, sein Weib und zwei zerlumpte Kinder an einem Tisch, auf dem hölzerne Teller und irdene Geschirre standen. Auf der entgegengesetzten Seite, zwischen Netzen und Rudern, lagen zwei schlafende Rennthiere auf einem Lager von Blättern und Häuten, dessen Länge bestimmt schien, auch die Bewohner der Hütte und die Gäste aufzunehmen, welche ihnen der Himmel zuführen würde. Man konnte alle diese Gegenstände nur nach und nach wahrnehmen, denn ein dicker Rauch, der durch eine Oeffnung im Dach nur sparsam entschlüpfte, erfüllte die ganze Hütte.

Der Fischer und sein Weib grüßten den Reisenden mit aufrichtigem Wohlwollen. Die Landleute in Norwegen nehmen Reisende gerne auf, theils aus einem ihnen eigenen Hang zur Gastfreundschaft, theils aus Neugierde, die in ihrer Einsamkeit selten befriedigt wird.

»Herr,« sagte der Fischer, »Ihr werdet hungrig und durstig sein. Hier ist gutes Rindenbrod, womit Ihr Euern Hunger stillen könnt. Dann mögt Ihr uns sagen, wer Ihr seid, woher Ihr kommt, wohin Ihr geht, und welche Geschichten die alten Weiber bei Euch erzählen.«

»Ja, Herr,« fügte das Weib hinzu, »Ihr könnt zu Eurem Brod köstlich gesalzenen Stockfisch mit Wallfischthran essen. Setzt Euch nur.«

»Und wenn Ihr,« fuhr der Mann fort, »kein Freund von Fischen seid, so sollt Ihr, wenn Ihr ein wenig Geduld habt, einen trefflichen Rehschlegel oder wenigstens einen Fasanenflügel bekommen. Wir erwarten jeden Augenblick die Rückkunft des besten Schützen in den drei Provinzen. Nicht wahr, meine gute Maase?«

Die Möve heißt auf Norwegisch Maase. Das Weib nahm diese Benennung freundlich auf, sei es, daß dies ihr wirklicher Name war, oder daß ihr Mann ihr aus Zärtlichkeit diesen Beinamen gegeben hatte.

»Der beste Schütze! Das will ich meinen,« erwiederte sie. »Es ist mein Bruder, der berühmte Kennybol. Gott segne seinen Eingang und Ausgang! Er hat uns auf einige Tage besucht, und Ihr, fremder Herr, könnt aus dem nämlichen Becher mit ihm einige Schlucke gutes Bier trinken. Er ist ein Reisender, wie Ihr.«

»Ich danke Euch, meine wackere Wirtin,« erwiederte Ordener; »aber ich begnüge mich mit Eurem guten Rindenbrod und trefflichen Stockfisch, denn ich habe nicht Zeit, Euern Bruder, den berühmten Schützen, zu erwarten. Ich muß sogleich weiter.«

Die gute Maase, ärgerlich über die schnelle Abreise des Fremden und zugleich geschmeichelt durch das Lob, das er ihrem Stockfisch und ihrem Bruder ertheilte, rief: »Ihr seid sehr gütig, Herr … aber wie! Ihr wollt uns so bald wieder verlassen?«

»Ich muß.«

»Ihr wollt Euch zu dieser Stunde und bei solchem Wetter in die Gebirge wagen?«

»Es geschieht um einer wichtigen Angelegenheit willen.«

Diese Antworten des jungen Reisenden reizten die angeborne Neugierde der Hüttenbewohner eben so sehr, als sie ihre Verwunderung erregten.

Der Fischer erhob sich und sprach: »Ihr seid bei Christoph Buldus Braall, Fischer im Weiler Surb.«

Das Weib fügte hinzu: »Maase Kennybol ist sein Weib und seine Magd.«

Wenn die norwegischen Landleute einen Fremden auf eine höfliche Weise um seinen Namen fragen wollen, pflegen sie ihm den ihrigen zu sagen.

Ordener erwiederte: »Und ich, ich bin ein Reisender, der weder des Namens, den er trägt, noch des Wegs, den er geht, gewiß ist.«

Diese seltsame Antwort schien den Fischer Braall nicht zu befriedigen.

»Bei der Krone Gormons des Alten,« sagte er, »ich glaubte, daß es in diesem Augenblicke in Norwegen nur einen einzigen Menschen gäbe, der seines Namens nicht gewiß sei. Das ist der edle Baron von Thorwick, der jetzt, wie es heißt, wegen seiner glorreichen Vermählung mit der Tochter des Kanzlers, den Namen »Graf von Danestiold« annehmen wird. Dies ist wenigstens die neueste Nachricht, welche ich von Drontheim mitgebracht habe. Ich wünsche Euch Glück, fremder Herr, zu dieser Aehnlichkeit mit dem Sohn des Vicekönigs, dem hohen Grafen Guldenlew.«

»Wenn Ihr uns nichts über Eure Person sagen könnt,« fiel das Weib ein, »so bringt Ihr uns doch vielleicht etwas Neues mit, was in der Welt vorgeht?«

»Das Neueste ist,« unterbrach sie der Fischer, »daß, ehe ein Monat vergeht, der Sohn des Vicekönigs die Tochter des Großkanzlers heirathen wird.«

»Daran zweifle ich,« sagte Ordener.

»Ihr zweifelt daran, Herr! Ich kann Euch versichern, daß dem so ist. Ich habe diese Nachricht aus guter Quelle. Derjenige, der sie mir mitgetheilt, hat sie aus dem Munde des Herrn Paul, des Lieblingsdieners des edeln Barons von Thorwick, d. h. des hohen Grafen von Daneskiold. Hätte etwa seit sechs Tagen ein Sturm das Wasser getrübt? Ist dieses große Band zerrissen?«

»Ich glaube es,« antwortete der junge Mann lächelnd.

»Wenn dem so ist, Herr, so hatte ich Unrecht. Man muß nicht das Feuer anzünden, um den Fisch zu backen, bevor sich das Netz über ihm zusammengezogen hat. Ist dieses Band aber auch gewiß zerrissen? Von wem habt Ihr die Nachricht?«

»Von Niemand. Ich mache das so in meinem Kopf aus.«

Der Fischer konnte sich nicht enthalten, ihm unter die Nase zu lachen: »Verzeiht mir, Herr, aber man sieht leicht, daß Ihr wirklich ein Reisender und, ohne Zweifel ein Ausländer seid. Bildet Ihr Euch denn ein, daß die Ereignisse sich nach Euern Launen richten werden, und daß der Himmel sich verfinstern oder aufklären wird, je nachdem es Euch beliebt?«

Hier erklärte der Fischer, der, wie alle norwegischen Landleute, sich um die Angelegenheiten der Nation annahm und darin bewandert war, aus welchen Gründen diese Heirat unfehlbar stattfinden müsse. Ordener, der wenig Lust verspürte, mit diesem ländlichen Staatsmann eine politische Unterhaltung zu führen, wurde durch die Ankunft eines Dritten aus seiner Verlegenheit gerissen.

»Das ist er! Das ist mein Bruder!« rief das Weib. Der Hauswirth reichte dem Ankömmling feierlich die Hand: »Sei willkommen, Bruder!«

Hierauf wandte er sich zu Ordener und sprach: »Herr, das ist unser Bruder, der berühmte Schütze Kennybol aus den Bergen von Kole.«

»Ich grüße Euch Alle herzlich.« erwiederte der Bergbewohner, indem er seine Mütze von Bärenfell abnahm. »Bruder, ich mache schlechte Jagd an euren Küsten, wie Du schlechten Fischfang machen würdest in unsern Bergen. Eher noch würde ich meine Waidtasche füllen, wenn ich in den Nebelwäldern der Königin Mab Kobolde und Irrwische jagte. Schwester Maase, Du bist die erste Möve, der ich heute nahe genug kam, um ihr guten Tag zu sagen. Seht einmal, Freunde, um einen solchen elenden Auerhahn hat der erste Schütze von Drontheimhus bis zu dieser Stunde und in diesem schlechten Wetter die Lichtungen aus und ein laufen müssen.«

Mit diesen Worten zog er einen Auerhahn aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch, mit der Versicherung, daß dieses magere Tier keinen Schuß Pulver wert sei.

»Aber,« murmelte er zwischen den Zähnen, »nur getrost, du treue Büchse Kennybols, bald wirst du größeres Wild jagen, mehr als Gemsen und Elennthiere, grüne Röcke und rothe Jacken.« Diese halblaut gesprochenen Worte erregten die Neugier des Weibes.

»Hm!« sagte sie, »was sagst Du da, Bruder?«

»Ich sage, daß immer ein Kobold unter der Weiberzunge tanzt.«

»Du hast Recht, Bruder Kennybol,« rief der Fischer aus. »Diese Töchter Evas sind alle eben so neugierig als ihre Mutter. Hast Du nicht von Grünröcken gesprochen?«

»Bruder Braall, ich vertraue meine Geheimnisse nur meiner Büchse an, denn da bin ich gewiß, daß Niemand sie erfährt.«

»Man spricht,« fuhr der Fischer fort, »im Dorfe von einem Aufstand der Bergleute. Weißt Du etwas davon, Bruder?«

Der Bergbewohner nahm seine Mütze wieder, drückte sie tief in die Stirne, warf einen Seitenblick auf den Fremden, neigte sich dann zum Ohre des Fischers und sagte leise: »Still!«

Der Fischer schüttelte wiederholt den Kopf: »Bruder Kennybol, so stumm der Fisch auch ist, fällt er doch in die ausgespannten Netze.«

Es trat eine augenblickliche Stille ein. Die beiden Schwäger sahen sich mit ausdrucksvollen Blicken an, die Kinder rupften den Auerhahn, der auf dem Tische lag, aus dem Gesicht des Weibes sprach Neugierde, Ordener machte den stillen Beobachter.

Der Jäger suchte dem Gespräch eine andere Wendung zu geben: »Wenn Ihr heute einen magern Auerhahn eßt, so wird dem morgen nicht so sein, Bruder Braall, Du kannst den König der Fische fischen, ich verspreche Dir zum Schmelzen ein herrliches Bärenfett.«

»Bärenfett!« rief Maase aus. »Hat sich ein Bär in der Gegend gezeigt? Patrick, Regner, meine Kinder, Ihr dürft mir nicht mehr aus dem Hause, ich verbiete es. Ein Bär!«

»Sei ruhig, Schwester, morgen wirst Du ihn nicht mehr zu fürchten haben. Ja, etwa zwei Stunden von hier habe ich einen Bären gesehen, und zwar einen weißen Bären. Er schien einen Menschen, oder vielmehr ein Thier auf dem Rücken zu tragen. Es war vielleicht ein Ziegenhirte, den er wegtrug, denn die Ziegenhirten kleiden sich in Thierfelle. Ich konnte wegen der Entfernung nicht genau unterscheiden. Wundern mußte ich mich jedoch, daß er seine Beute auf dem Rücken trug, und nicht zwischen den Zähnen.«

»Wirklich, Bruder?«

»Ja, und das Thier mußte todt sein, denn es machte keine Bewegung, sich zu vertheidigen.«

»Aber,« fragte der verständige Fischer, »wenn es todt war, wie konnte es sich auf dem Rücken des Bären halten?«

»Das konnte ich auch nicht begreifen. Gleichviel, dieser Bär hat seinen letzten Fraß gehalten. Als ich in das Dorf zurückkam, habe ich gleich sechs tüchtige Bursche bestellt, und morgen, Schwester Maase, werde ich Dir das schönste weiße Fell, das je auf den Schneefeldern der Berge gelaufen ist, mitbringen.«

»Nimm Dich in Acht, Bruder, Du hast da sonderbare Sachen gesehen. Dieser Bär ist vielleicht der Teufel …«

»Bist Du närrisch?« unterbrach sie lachend der Bergbewohner. »Was wird sich der Teufel in einen Bären verwandeln! Ja, in eine Katze, in einen Affen, so etwas hat man erlebt, aber in einen Bären! Das ist ja ein Aberglaube, über den ein Kind und ein altes Weib lachen müßten!«

Das arme Weib schwieg beschämt.

»Bruder,« sagte sie nach einer Pause, »Du warst mein Herr und Meister, bevor mein Mann und Herr seine Augen auf mich warf; handle, wie es Dein Schutzengel Dir eingibt.«

»Wo,« fragte der Fischer, »hast Du denn diesen Bären gesehen?«

»Auf dem Wege von Smiassen nach Walderhog.«

»Walderhog!« wiederholte die Frau und machte ein Kreuz.

»Walderhog!« fiel Ordener ein.

»Bruder,« fuhr der Fischer fort, »ich hoffe nicht, daß Du auf dem Wege nach dieser Grotte von Walderhog warst?«

»Ich? Gott behüte mich in Gnaden! Es war der Bär, der seine Richtung dahin nahm.«

»Willst Du ihn morgen dort aufsuchen?« unterbrach ihn Maase mit Entsetzen.

»Gewiß nicht, denn selbst ein Bär wird seinen Aufenthalt in einer Höhle nicht nehmen, wo …«

Er hielt inne, und alle drei machten ein Kreuz.

»Du hast Recht,« erwiederte der Fischer, »der Instinkt bewahrt die Thiere vor solchen Dingen.«

»Meine guten Leute,« sagte Ordener, »was gibt es denn so Entsetzliches in dieser Grotte von Walderhog?«

Alle drei sahen sich mit einem dumpfen Staunen an, als ob sie eine solche Frage gar nicht begreifen könnten.

»Dort ist das Grab des Königs Walder,« fügte Ordener hinzu.

»Ja,« sagte die Frau, »ein steinernes Grab, das singt.«

»Und das ist noch nicht Alles,« sprach der Fischer.

»Nein,« fuhr das Weib fort, »bei Nacht sieht man dort die Gebeine der Todten tanzen.«

»Und das ist noch nicht Alles,« sagte der Bergbewohner.

Alle schwiegen, als ob sie nicht fortzufahren wagten.

»Nun,« fragte Ordener, »was ist denn sonst noch Uebernatürliches da?«

»Junger Mann,« erwiederte ernst der Bergbewohner, »Ihr müßt nicht so leichtsinnig reden, wenn Ihr einen alten grauen Wolf, wie ich einer bin, schaudern seht.«

Ordener versetzte lächelnd: »Ich hätte gleichwohl Alles zu erfahren gewünscht, was Wunderbares in dieser Höhle von Walderhog geschieht, eben weil mein Weg mich dahin führt.«

Bei diesen Worten waren die drei Zuhörer vor Schrecken wie versteinert.

»Nach Walderhog! Himmel! Ihr geht nach Walderhog?« rief der Fischer aus. »Und Ihr sagt das in einem Tone, wie man sagen würde: Ich gehe nach Löwig, meinen Stockfisch zu verkaufen! oder in Ralphs Bucht, Häringe zu fischen! Nach Walderhog! großer Gott!«

»Unglücklicher junger Mann!« sagte das Weib. »Habt Ihr denn keinen Schutzengel? Ist kein Heiliger im Himmel Euer Beschützer? Das kann freilich wohl sein, denn Ihr wißt ja nicht einmal Euern Namen!«

»Und welche Ursache kann Euch denn an diesen entsetzlichen Ort führen?« fragte der Bergbewohner.

»Ich habe irgend Einen um etwas zu fragen,« erwiederte Ordener.

Das Staunen der drei Zuhörer stieg mit ihrer Neugier.

»Hört, fremder Herr,« sagte der Bergbewohner, »Ihr scheint dieses Land nicht recht zu kennen. Ihr irrt Euch ohne Zweifel in dem Namen. Nach Walderhog könnt Ihr nicht wollen! Und wenn Ihr dort mit einem menschlichen Wesen sprechen wolltet, so würdet Ihr Niemand finden …«

»Als den Dämon,« ergänzte das Weib.

»Den Dämon! Welchen Dämon?«

»Den,« fuhr sie fort, »für den das Grab singt und die Todten tanzen.«

»Ihr wißt also nicht, Herr,« sagte der Fischer mit gedämpfter Stimme, daß die Grotte von Walderhog der gewöhnliche Aufenthalt des …«

Das Weib ließ ihn nicht ausreden.

»Mein Ehemann und Gebieter,« sagte sie, »sprich diesen Namen nicht aus, er bringt Unglück.«

»Wessen Aufenthalt?« fragte Ordener.

»Eines eingefleischten Teufels,« antwortete Kennybol.

»Ich weiß in der That nicht, was Ihr mir da sagen wollt. Das habe ich wohl gehört, daß Walderhog von Han dem Isländer bewohnt wird …«

Ein dreifacher Schrei des Entsetzens stieg in der Hütte auf: »Wie! – Ihr wußtet es! – Das eben ist dieser Dämon!«

Das Weib rief alle Heiligen im Himmel an, ihr zu bezeugen, daß nicht sie diesen Namen ausgesprochen habe. Nachdem der Fischer in etwas von seiner Bestürzung zurückgekommen war, starrte er Ordener an, wie einen Menschen, dessen Thun ihm unbegreiflich war.

»Herr,« sagte er, »wenn ich so lange leben sollte, als mein Vater, der einhundert zwanzig Jahre alt geworden ist, so hätte ich doch nie geglaubt, daß mich ein menschliches Wesen, das mit Vernunft begabt ist und an Gott glaubt, um den Weg nach Walderhog fragen würde.«

»Gewiß,« rief das Weib aus, »werdet Ihr nicht in diese Grotte gehen, denn wer den Fuß hineinsetzt, will einen Bund mit dem Teufel machen.«

»Ich gehe hin, Ihr guten Leute, und wer mir den kürzesten Weg dahin zeigen will, wird mir einen großen Dienst erweisen.«

»Der kürzeste Weg, dahin zu kommen, wohin Ihr gehen wollt, ist der, Euch vom nächsten Felsen in die nächste Schlucht herabzustürzen.«

»Heißt denn das den nämlichen Zweck erreichen,« fragte Ordener ruhig, »wenn man einen nutzlosen Tod einer nützlichen Gefahr vorzieht?«

Braall schüttelte den Kopf, während sein Schwager einen forschenden Blick auf den jungen Abenteurer warf.

»Ich verstehe jetzt,« rief plötzlich der Fischer aus, »Ihr wollt die tausend Thaler gewinnen, die auf des isländischen Dämons Kopf gesetzt sind.«

Ordener lächelte.

»Junger Herr,« fuhr der Fischer mit Rührung fort, »laßt diesen Plan fahren. Ich bin arm und alt, aber ich würde, was ich noch zu leben habe, wäre es auch nur ein einziger Tag, für Eure tausend Thaler nicht hingeben.«

»Nicht um dieser tausend Thaler, sondern um einer größeren Sache willen, suche ich diesen Räuber auf, den Ihr einen Dämon nennt. Ich thue es nicht für mich, sondern für Andere …«

Der Bergbewohner, der Ordener stets mit forschenden Augen betrachtet hatte, unterbrach ihn nun: »Ich verstehe Euch jetzt, ich weiß, warum Ihr diesen isländischen Dämon sucht.«

»Ich will ihn zwingen zu kämpfen,« sagte Ordener.

»Recht so,« fuhr Kennybol fort, »Ihr seid mit wichtigen Dingen beauftragt, es liegt viel an Eurer Sendung, nicht wahr?«

»Ich habe es bereits gesagt.«

Der Bergbewohner näherte sich jetzt dem jungen Manne mit einer Miene des Einverständnisses und sagte ihm zu seiner großen Verwunderung halblaut ins Ohr: »Es ist im Namen des Grafen Schuhmacher von Greiffenfeld, nicht wahr?«

»Wackerer Mann,« rief Ordener, »wie wißt Ihr …«

Er war wirklich erstaunt, daß ein norwegischer Bergbewohner ein Geheimnis wissen sollte, das er Niemand, nicht einmal dem General Levin, anvertraut hatte.

Kennybol neigte sich zu seinem Ohr: »Ich wünsche Euch guten Erfolg,« fuhr er in demselben geheimnisvollen Tone fort, »es ist edelmüthig von Euch, junger Mann, daß Ihr auf solche Weise den Unterdrückten beisteht.«

Ordeners Erstaunen war so groß, daß er kaum Worte finden konnte, den Bergbewohner zu fragen, auf welche Art er denn Kenntnis von dem Zweck seiner Reise erlangt habe.

»Stille,« sagte Kennybol, indem er den Finger auf den Mund legte, »ich hoffe, daß Ihr von dem Bewohner der Grotte von Walderhog das erlangen werdet, was Ihr wünscht. Mein Arm ist, gleich dem Eurigen, dem Gefangenen von Munckholm geweiht.«

Hierauf erhob er seine Stimme, ehe Ordener antworten konnte: »Bruder, Schwester Maase, nehmt diesen würdigen jungen Mann als einen zweiten Bruder auf. Jetzt zum Nachtessen, es wird fertig sein!«

»Wie!« unterbrach ihn das Weib, »Du hast ohne Zweifel den Herrn vermocht, von seinem Besuche bei dem Dämon abzustehen?«

»Schwester, bete, daß ihm kein Unfall widerfahre. Es ist ein edler und würdiger junger Mann. Jetzt, edler Herr, nehmt etwas Nahrung zu Euch und pflegt der Ruhe. Morgen will ich Euch den Weg zeigen, dann suchet Ihr Euern Teufel auf und ich meinen Bären.«

XXVII.

Der erste Sonnenstrahl beleuchtete eben den höchsten Gipfel des Felsen am Meeresstrand, als ein Fischer, der vor Tag einige Flintenschüsse vom Ufer seine Netze ausgeworfen hatte, eine menschliche Figur, die in einen Mantel oder in ein Leintuch gehüllt war, die Felsen herabsteigen und unter dem Eingang der gefürchteten Grotte von Walderhog verschwinden sah. Von Entsetzen ergriffen, empfahl er seinen Nachen und seine Seele in den Schutz des heiligen Usuph und erzählte seiner staunenden Familie, daß er eines der Gespenster, welche die Grotte Hans des Isländers bewohnen, mit Anbruch des Tages in die Höhle habe zurückkehren sehen.

Dieses Gespenst, von nun an das Gespräch und der Schrecken der langen Winterabende, war Ordener. Der Schütze Kennybol und seine sechs Gefährten, welche ihm den Weg gezeigt hatten, waren eine halbe Stunde von Walderhog zurückgeblieben, und diese unerschrockenen Jäger, die lachend einem wilden Bären entgegentraten, sahen dem kühnen Wanderer, so lange sie ihn auf dem Fußpfade erblicken konnten, mit angstvollen Blicken nach.

Ordener betrat kühn und unerschrocken die gefürchtete Grotte, die durch die Felsspalten von oben nur ein sparsames Licht erhielt. Sein Fuß strauchelte oft an umherliegenden Todtenschädeln und Gebeinen; aber sein muthiges Herz kannte keine Furcht.

Endlich kam er in eine Art runden Saals, den die Natur in die Seite des Felsen gegraben hatte. Hier schloß sich die Höhle, und die Wände des Saals hatten keine andere Oeffnung, als weite Spalten, durch welche man die Berge und Wälder umher erblickte.

Ein Monument von sonderbarer Form, in der Mitte des Saals, zog Ordeners Aufmerksamkeit auf sich. Drei lange massive Steine, die aufrecht auf dem Boden ruhten, trugen einen breiten viereckigen Stein, wie drei Pfeiler ein Dach tragen. Unter diesem gigantischen Dreifuß erhob sich eine Art Altar, der ebenfalls aus einem einzigen Felsstück bestand und in der Mitte seiner obern Fläche kreisförmig durchbrochen war. Ordener erkannte darin eines jener kolossalen druidischen Bauwerke, deren er aus seinen Reisen in Norwegen schon viele gesehen hatte. Er stützte sich mechanisch auf diesen Altar, dessen Steine gebräunt waren, so viel menschliches Blut hatte er schon getrunken.

Plötzlich schlug eine Stimme an sein Ohr, die unter dem Altar hervorzukommen schien: »Mensch, der Du an diesen Ort gekommen, Deine Füße berühren das Grab!«

Ordener warf rasch den Kopf in die Höhe und griff mit der Hand an das Schwert, während ein Echo, schwach wie die Stimme eines Todten, in den Tiefen der Grotte deutlich wiederholte: »Mensch, der Du an diesen Ort gekommen, Deine Füße berühren das Grab!«

In demselben Augenblicke erhob sich auf der andern Seite des druidischen Altars ein Haupt, schreckhaft anzuschauen, mit rothen borstigen Haaren, und ein heiseres Lachen ertönte.

»Mensch,« wiederholte die Stimme, »der Du an diesen Ort gekommen, Deine Füße berühren das Grab!«

Ordener legte ruhig die Hand an das Schwert. Das Ungeheuer stieg ganz aus dem Altar heraus und zeigte seine gedrängten nervigen Glieder, seine blutbefleckten Kleider, seine mit Thierkrallen besetzten Hände, in deren einer er seine schwere steinerne Axt trug.

»Da bin ich!« sagte der Räuber mit dem Grinsen eines wilden Thiers.

»Da bin ich auch!« erwiederte der unerschrockene Jüngling.

»Ich habe Dich erwartet.«

»Und ich, ich habe Dich gesucht.«

Der Wilde kreuzte die Arme über die Brust.

»Weißt Du,« fragte er, »wer ich bin?«

»Ich weiß es.«

»Und Du fürchtest Dich nicht?«

»Nicht mehr.«

»Du hast Dich also gefürchtet, als Du hierher kamst?« fragte das Unthier und wiegte triumphirend sein Haupt.

»Ich habe gefürchtet, Dich nicht zu finden.«

»Du bietest mir Trotz, und Deine Füße sind eben über menschliche Gebeine gegangen!«

»Morgen vielleicht werden sie über die Deinigen gehen.«

Der Unmensch zitterte vor Wuth. Der Jüngling blieb ruhig, unbeweglich, unerschrocken.

»Nimm Dich in Acht!« murmelte der Räuber, »ich werde auf Dich stoßen, wie der Falke auf eine Taube.«

»Stoße auf mich!«

In Ordeners ruhigem Blick und Wesen lag Etwas, das dem Unthier wider Willen Achtung gebot. Der Wilde riß zornig die Haare des Thierfells aus, das um seine Schultern hing, wie ein Tiger das Gras ausreißt, ehe er sich auf seinen Raub stürzt.

»Du lehrst mich, was Mitleid ist.« sagte er.

»Und Du mich, was Verachtung ist.«

»Knabe, Deine Stimme ist sanft, Dein Gesicht rosig, wie die Stimme und das Gesicht einer Jungfrau. Welchen Tod soll ich Dir geben?«

»Den Deinigen.«

Das Unthier lachte laut auf.

»Du weißt nicht, daß ich ein Dämon bin, daß mein Geist der Geist Ingulphs des Vertilgers ist.«

»Ich weiß, daß Du ein Räuber bist, und daß Du um Gold mordest.«

»Du irrst Dich, um Blut, nicht um Gold.«

»Haben Dich nicht die Ahlfeldt bezahlt, den Hauptmann Dispolsen zu ermorden.«

»Was sagst Du mir da? Was sind das für Namen?«

»Kennst Du den Hauptmann Dispolsen nicht, den Du am Strande von Urchthal ermordet hast?«

»Das ist möglich, aber ich habe ihn vergessen, wie ich Dich in drei Tagen vergessen haben werde.«

»Kennst Du den Grafen Ahlfeldt nicht, der Dich bezahlt hat, um dem Hauptmann eine eiserne Büchse abzunehmen?« »Uhlfeldt! Warte! Ja, ich kenne ihn. Ich habe gestern das Blut seines Sohnes aus dem Schädel des meinigen getrunken.«

Ordener schauderte.

»Warst Du denn mit Deinem Lohne nicht zufrieden?«

»Mit welchem Lohn?«

»Höre! Dein Anblick ekelt mich an, ich will zu Ende kommen. Du hast vor acht Tagen einem Deiner Schlachtopfer, einem Offizier von Munckholm, eine eiserne Büchse geraubt.«

Bei dem Worte » Munckholm« bebte der Wilde vor Wuth.

»Ein Offizier von Munckholm!« murmelte er zwischen den Zähnen. »Bist Du vielleicht auch ein Offizier von Munckholm?«

»Nein!«

»Desto schlimmer!« sagte der Räuber und runzelte die Stirne.

»Höre! Wo ist diese eiserne Büchse, welche Du dem Hauptmann geraubt hast?«

Der Räuber schien einen Augenblick nachzudenken.

»Bei Ingulphs Seele!« sagte er, »diese elende eiserne Büchse setzt viele Leute in Athem. Ich stehe Dir dafür, daß man die Büchse, die Deine Gebeine enthalten soll, weniger suchen wird, wenn sie anders je in einen Sarg kommen.«

Als Ordener aus diesen Worten sah, daß der Räuber etwas von der Büchse wußte, faßte er neue Hoffnung, sie zu bekommen.

»Sage mir, was hast Du mit dieser Büchse gemacht? Ist sie im Besitze des Grafen Ahlfeldt?«

»Nein!«

»Du lügst, ich sehe Dich lachen.«

»Glaube, was Du willst. Was liegt mir daran?«

Das Unthier hatte ein höhnisches Wesen angenommen, das Ordener Mißtrauen einflößte. Er sah, daß kein anderes Mittel mehr übrig blieb, als ihn in Wuth zu bringen oder einzuschüchtern, wenn es möglich war.

»Höre,« rief er ihm barsch zu, »Du mußt mir diese Büchse geben.«

Der Räuber antwortete mit einem wilden Grinsen.

»Du mußt sie mir geben,« wiederholte der Jüngling mit donnernder Stimme.

»Pflegst Du etwa den Büffelochsen und Bären Befehle zu ertheilen?« erwiederte der Unmensch mit scheußlichem Lachen.

»Dem Teufel in der Hölle will ich befehlen.«

»Das wirst Du in Kurzem thun können.«

Der junge Mann zog sein Schwert, das in der Dunkelheit blitzte: »Gehorche!«

Der Wilde schüttelte seine Axt: »Es hing nur von mir ab, Deine Gebeine zu zerbrechen und Dein Blut zu trinken, als Du hereintratst, aber ich hielt an mich, weil ich begierig war, zu sehen, wie der kleine Sperling auf den Geier schießt.«

»Elender!« rief Ordener aus. »Vertheidige Dich!«

»So etwas höre ich zum erstenmal,« grinste der Wilde.

Mit diesen Worten sprang er auf den Altar und raffte seine Glieder zusammen, wie der Leopard, der den Jäger auf einem Felsstück erwartet, um sich unversehens auf ihn herabzustürzen.

Das Auge des Unmenschen haftete auf dem Jüngling, um zu sehen, von welcher Seite er sich am besten auf ihn stürzen könne. Es war um Ordener geschehen, wenn er noch einen Augenblick gezaudert hätte; aber er ließ dem Räuber keine Zeit zum Nachdenken, stürzte sich ungestüm auf ihn und setzte ihm die Spitze seines Schwertes vor das Gesicht.

Jetzt entstand ein furchtbarer Kampf. Die Bewegungen des Unthiers waren so rasch, daß Ordener immer seinem scheußlichen Gesicht und der Schneide seiner Axt begegnete, von welcher Seite er auch angreifen mochte. Er wäre beim ersten Anlauf verloren gewesen, wenn er nicht den glücklichen Gedanken gehabt hätte, seinen Mantel um den linken Arm zu wickeln, welcher Schild die wüthenden Streiche seines Gegners meistens auffing. Beide matteten sich einige Minuten lang mit größter Anstrengung ab, ohne daß Einer dem Andern eine Wunde beizubringen vermochte. Die kleinen flammenden Augen des Wilden traten aus ihren Höhlen. Er focht mit schweigender Wuth , erzürnt darüber, daß ein dem Anschein nach so schwacher Gegner ihn so keck und kräftig bekämpfte. Die scheußliche Unbeweglichkeit der Züge des Unthiers und die unerschrockene Ruhe auf Ordeners Gesicht bildeten einen seltsamen Gegensatz mit der Schnelligkeit ihrer Bewegungen und der Lebhaftigkeit ihrer Angriffe.

Man hörte kein anderes Geräusch, als das Klirren der Waffen, die stürmischen Tritte des Jünglings und den schweren Athem der beiden Kämpfer. Plötzlich stieß der Wilde ein furchtbares Geheul aus. Die Schneide seiner Axt hatte sich in den Falten des Mantels gefangen. Er zog heftig daran, aber sie verwickelte sich dadurch nur noch mehr.

Das Schwert des Jünglings senkte sich gegen die Brust des Räubers.

»Höre mich noch einmal,« sagte Ordener, »willst Du mir diese eiserne Büchse zurückgeben, welche Du gestohlen hast?«

»Nein, und verflucht seist Du,« erwiederte grinsend der Räuber.

Ordener schwang drohend das Schwert: »Besinne Dich!«

»Nein! Du hast es schon gehört!«

Ordener senkte sein Schwert: »So winde Deine Axt von den Falten meines Mantels los, damit wir den Kampf fortsetzen können.«

Ein verächtliches Lachen war die Antwort des Unthiers: »Knabe, Du spielst den Edelmüthigen, als ob ich dessen bedürfte!«

Ehe der erstaunte Jüngling den Kopf umwenden konnte, hatte der Wilde, von dem Altar herab, seinen Fuß auf die Schulter seines großmüthigen Siegers gesetzt und war mit einem Satze zwölf Schritte weit im Saal. Mit einem zweiten Satze hing er an Ordener. Er hatte sich mit dem ganzen Gewicht seines Körpers an ihn gehängt, wie ein Panther, der sich mit Krallen und Rachen in der Seite eines Löwen einbeißt. Seine Klauen wühlten in den Schultern des Jünglings, seine Kniee drückten in seine Weichen, sein scheußliches Gesicht grinste ihn an, sein blutiger Rachen war geöffnet und zeigte weiße, spitzige Zähne, den Gegner damit zu zerfleischen. Kein menschliches Wort mehr entschlüpfte seiner lechzenden Kehle; nur ein dumpfes Brüllen stieg aus seinem offenen Rachen hervor. Er war scheußlicher, als ein Thier des Waldes, ungeheurer, als ein Dämon, es war ein Mensch, dem nichts vom Menschen übrig geblieben war.

Ordener schwankte bei diesem furchtbaren Anlauf und wäre rückwärts gefallen, wenn ihn nicht einer der breiten Pfeiler des Altars gehalten hätte. Er lag halb rückwärts gebogen am Pfeiler und athmete schwer unter dem Gewicht seines Feindes. Der Gedanke an seine Geliebte gab ihm neue Kraft; er umspannte das Ungeheuer mit beiden Armen, faßte seine Säbelklinge in der Mitte und setzte deren Spitze dem Gegner auf den Rücken. Als der Räuber das kalte Eisen fühlte, that er einen durchdringenden Schrei, ließ seinen Feind los und machte einen Satz rückwärts.

Nun entbrannte der Kampf zum drittenmal noch heftiger. Auf dem Boden lagen ungeheure Felsstücke zerstreut herum. Zwei Männer von gewöhnlicher Kraft hätten das kleinste derselben kaum aufheben können. Der Räuber erfaßte eines mit beiden Armen, hob es hoch über seinem Haupte empor und schwenkte es gegen Ordener. Sein Blick war scheußlich. Der kräftig geschleuderte Stein durchflog schwerfällig den Raum, und kaum hatte der Jüngling Zeit genug, ihm auszuweichen.

Kaum hatte sich Ordener wieder gefaßt, so war schon ein neuer Stein in den Armen des Unthiers geschwungen. Der Jüngling stürzte mit gehobenem Schwert auf den Räuber los, um dem Kampf eine andere Wendung zu geben; aber der Stein begegnete in seinem Flug der schwachen Klinge und zertrümmerte sie. Der Jüngling stand entwaffnet da, und ein wildes Lachen des Ungeheuers stieg an die hohe Wölbung der Grotte.

»Hast Du Gott oder dem Teufel noch etwas zu beichten, ehe Du stirbst?« rief das Ungeheuer mit mißtönender Stimme aus.

Sein Auge flammte vor freudiger Wuth und er stützte sich auf seine Axt, die am Boden lag, um den Jüngling damit niederzuschlagen.

Plötzlich ließ sich von Außen ein fernes Brüllen hören. Das Unthier horchte. Das Geräusch nahm zu. Menschenstimmen mischten sich mit dem kläglichen Brüllen eines Bären. Der Räuber horcht. Das klägliche Geschrei dauert fort. Jetzt ergreift er rasch seine Axt und stürzt nicht auf Ordener, sondern auf eine der Felsspalten in der Höhle los, durch die das Licht eindringt. Der erstaunte Ordener tritt ebenfalls an eine dieser Oeffnungen und sieht in einer benachbarten Lichtung einen großen weißen Bären, von sieben Jägern verfolgt, unter welchen er Kennybol zu erkennen glaubt.

Er wendet sich um. Der Räuber war nicht mehr in der Grotte, und er hört außen eine schreckliche Stimme, die ruft: »Freund! Freund! Ich komme!«

XXVIII.

Das Regiment der Arquebusiere von Munckholm befand sich auf dem Marsch in den Engpässen zwischen Drontheim und Skongen. Der Lieutenant Randmer, ein junger dänischer Baron, trat zu dem Hauptmann Lory, der von der Pike auf gedient hatte. Der Hauptmann marschirte düster schweigend, mit gewichtigem aber sicherem Schritte.

»Nun, Herr Hauptmann,« rief ihm der lustige Lieutenant zu, »was ist Ihnen denn? Sie sind traurig.«

»Allerdings und nicht ohne Grund,« erwiederte der alte Offizier, ohne den Kopf zu erheben.

»Nur nicht so betrübt! Sehen Sie mich an, bin ich traurig? Und doch hätte ich wenigstens eben so viele Ursache dazu, als Sie.«

»Ich zweifle daran, Baron Randmer; ich habe mein einziges Gut, meinen ganzen Reichthum verloren.«

»Herr Hauptmann, unser Unglück ist ganz das gleiche. Erst vor vierzehn Tagen hat der Lieutenant Alberik mit einem einzigen Wurf mein schönes Schloß Randmer nebst allen dazu gehörigen Besitzungen gewonnen. Ich bin zu Grunde gerichtet; aber sehen Sie mich darum weniger lustig?«

Der Hauptmann erwiederte betrübt: »Herr Lieutenant, Sie haben nur Ihr schönes Schloß verloren, ich aber meinen Hund.«

Auf diese Antwort hielt das leichtsinnige Gesicht des jungen Mannes die Mitte zwischen Lachen und Rührung.

»Herr Hauptmann,« sagte er, »trösten Sie sich. Sehen Sie, ich habe mein schönes Schloß verloren.«

Der Hauptmann unterbrach ihn: »Was will das heißen? Uebrigens werden Sie wieder ein anderes Schloß gewinnen.«

»Und Sie werden wieder einen andern Hund finden.«

Der alte Mann schüttelte den Kopf.

»Einen Hund werde ich wohl wieder finden, aber nicht meinen alten Drake.«

Er hielt inne; einige Thränen glänzten in seinen Augen und fielen über seine gefurchten Wangen herab.

»Ich habe,« fuhr er fort, »nie etwas geliebt, als ihn; ich habe weder Vater noch Mutter gekannt. Mögen sie im Frieden ruhen, wie mein armer Drake! Er hat mir im pommerischen Kriege das Leben gerettet; ich nannte ihn dem berühmten Admiral zu Ehren Drake. Dieser gute Hund! Er ist mir immer treu geblieben, wie es mir auch gehen mochte. Nach dem Treffen von Oholjen streichelte ihn der General Schack mit eigener Hand und sagte: ›Ihr habt da einen schönen Hund, Sergent Lory!‹ Damals war ich noch Sergent.«

»Das muß Einem wunderbar vorkommen, Sergent zu sein!« unterbrach ihn der junge adelige Offizier.

Der alte Soldat hörte nicht darauf und fuhr, wie in Gedanken verloren, fort: »Dieser arme Drake! Aus so vielen Gefahren frisch und gesund zurückzukommen, um, wie eine alte Katze, in diesem verfluchten Golf von Drontheim zu ersaufen! Mein armer Hund! Du wärest würdig gewesen, mit mir auf dem Schlachtfelde zu sterben.«

»Sie sind ein tapferer Soldat,« rief der Lieutenant, »wie können Sie traurig sein, da wir uns vielleicht morgen schlagen werden?«

»Ja,« erwiederte der alte Hauptmann verächtlich, »gegen saubere Feinde!«

»Wie! diese teuflischen Bergleute! Diese satanischen Bergbewohner!«

»Steinbrecher und Straßenräuber! Leute, die nicht einmal in Schlachtordnung aufmarschiren können! Das sind mir die rechten Leute, um einem alten Knasterbart, wie ich bin, der alle Feldzüge in Pommern und Holstein mitgemacht hat, die Spitze zu bieten! Mir, der unter dem berühmten Schack und dem tapfern Guldenlew gefochten!…«

»Aber Sie wissen nicht, daß diese Banden einen gefürchteten Anführer haben, einen wilden Riesen, so groß und stark wie Goliath, einen Dämon, der nichts als Menschenblut trinkt …«

»Wen denn?«

»Den berüchtigten Han den Isländer.«

»Bravo! Ich wette, daß dieser furchtbare Obergeneral nicht einmal eine Flinte in den vorgeschriebenen Tempos zu laden weiß.«

Der Lieutenant lachte laut.

»Lachen Sie nur! Es wird in der That recht gut lassen, wenn wackere Soldatensäbel sich mit elenden hauen, und tapfere Piken mit Mistgabeln kreuzen! Das sind würdige Feinde! Mein guter Drake hätte sie nicht für werth gehalten, sie in die Füße zu beißen!«

Sie wurden durch die Ankunft eines Offiziers unterbrochen, der athemlos herbeilief.

»Herr Hauptmann Lory!« rief er aus. »Mein lieber Randmer!«

»Was gibt es?« fragten die Beiden zusammen.

»Meine Freunde … Ich bin starr vor Entsetzen … Ahlfeldt! … Der Lieutenant Ahlfeldt! … Der Sohn des Großkanzlers! … Sie wissen, mein lieber Baron Randmer! … Dieser elegante Friedrich … Dieser Geck! …«

»Elegant war er,« erwiederte der junge Baron, »sehr elegant! Inzwischen hatte ich doch auf dem letzten Balle zu Kopenhagen eine geschmackvollere Maske als er … Was ist ihm denn begegnet?«

»Ich weiß, wen Sie meinen,« sagte zu gleicher Zeit der Hauptmann Lory, »den Friedrich von Ahlfeldt, den Lieutenant in der dritten Compagnie, mit den blauen Aufschlägen. Er versieht den Dienst ziemlich nachlässig.«

»Man wird sich nicht mehr über ihn beklagen, Herr Hauptmann!«

»Wie?« fragte Randmer.

»Er liegt in Garnison zu Wahlstrom,« sagte der alte Hauptmann.

»So ist es,« fuhr der Offizier fort, »der Oberst hat einen Boten bekommen … Dieser arme Friedrich! …«

»Was ist es denn, Hauptmann Bollar? Sie erschrecken mich.«

»Bah!« sagte der Hauptmann Lory. »Unser Geck wird ohne Urlaub fort sein, wie gewöhnlich. Sein Hauptmann wird den Herrn Sohn des Herrn Großkanzlers in Arrest geschickt haben. Das ist wohl Alles.«

Der Hauptmann Bollar klopfte ihn auf die Achsel: »Lory, der Lieutenant Ahlfeldt ist lebendig gefressen worden.«

Der junge Baron Randmer brach in ein tolles Gelächter aus, während Lory seinen Kameraden anstaunte.

»Ich sehe,« rief der Lieutenant aus, »daß Sie noch immer der alte Spaßmacher sind, aber mit dieser Geschichte werden Sie mich nicht anführen.«

Der Lieutenant kreuzte die Arme über einander und lachte aus vollem Halse. Was ihn bei der Sache am meisten ergötzte, war die Leichtgläubigkeit des alten Lory. »Das ist ein rechter Spaß,« fuhr er fort, »und eine gute Erfindung, diesen Friedrich, der eine so zärtlich lächerliche Sorgfalt für seine Haut hatte, lebendig auffressen zu lassen.«

»Randmer,« sagte Bollar ernst, »Sie sind ein Thor. Ich sage Ihnen, Ahlfeldt ist todt. Ich weiß es aus des Obersts eigenem Munde.«

»Ho! Wie gut er seine Rolle spielt! Recht herrlich!«

Bollar zuckte die Achseln und wandte sich dem alten Lory zu, der ihn kaltblütig um eine nähere Erzählung des Vorfalls bat. »Ja, ja,« fiel der Lieutenant lachend ein, »erzählen Sie uns doch, von wem dieser arme Teufel mit Haut und Haaren aufgefressen worden ist. Hat er einem Wolf zum Frühstück, einem Büffel zum Mittagessen, oder einem Bären zum Nachtmahl gedient?«

»Der Oberst,« sagte Bollar, »hat unterwegs eine Depesche erhalten, daß sich die Besatzung von Wahlstrom vor einer bedeutenden Abtheilung der Rebellen auf uns zurückzieht …«

Der alte Lory runzelte die Stirne.

»Sodann enthielt dieser Bericht, daß der Lieutenant Friedrich von Ahlfeldt, als er vor drei Tagen in dem Gebirge auf der Jagd war, in der Nähe der Ruine von Urbar von einem Ungeheuer in seine Höhle getragen und lebendig aufgefressen worden sei.«

Der Lieutenant Randmer lachte abermals hell auf: »Ho! Ho! Unser guter Lory glaubt an Ammenmährchen. Recht so, lieber Bollar, nur fein ernsthaft! Sie sind ein Spaßvogel ohne Gleichen. Aber sagen Sie uns doch, wer ist denn dieses Ungeheuer, dieser Menschenfresser, der einen königlichen Lieutenant davon trägt und auffrißt, wie ein junges Reh?«

»Sie sollen es nicht erfahren, sondern Lory, der nicht so toll ungläubig ist. Dieser Menschenfresser ist Han der Isländer.«

»Der Anführer der Rebellen?« rief der alte Offizier.

»Nun, sehen Sie selbst, Lory,« rief Randmer spottend aus, »daß man keine Tempos braucht, wenn man ein so gutes Gebiß hat.«

»Baron Randmer,« sagte Bollar, »Sie haben dasselbe leichte Blut, wie Ahlfeldt; hüten Sie sich, dasselbe Schicksal zu haben.«

»Ich muß gestehen,« rief Randmer, »daß die unerschütterliche Ernsthaftigkeit des Hauptmanns Bollar mich bei der Sache am meisten ergötzt.«

»Und ich,« erwiederte dieser, »muß gestehen, daß mich die unerschöpfliche Lustigkeit des Lieutenants Randmer bei dieser ernsten Sache am meisten erschreckt.«

Eine Gruppe Offiziere, in lebhafter Unterhaltung begriffen, näherte sich.

»Ich muß diesen Herren doch,« sagte Randmer, »Bollars spaßhafte Erfindung mittheilen. Kameraden,« fuhr er fort, indem er auf sie zuging, »wißt Ihr auch, daß dieser arme Friedrich von Ahlfeldt von dem barbarischen Han dem Isländer lebendig aufgefressen worden ist?«

Er begleitete diese Worte mit lautem Gelächter. Aus der Mitte der neu Angekommenen erschallten Rufe des Unwillens.

»Wie,« hieß es, »Sie lachen? – Spricht man so von einer so entsetzlichen That? – Ueber ein solches Unglück lachen?«

»Wie!« erwiederte Randmer bestürzt. »So wäre es denn wahr?«

»Sie haben es uns ja selbst wiederholt! Glauben Sie denn Ihren eigenen Worten nicht?» rief man ihm von allen Seiten zu.

»Ich hielt es für einen Scherz von Bollar…«

»Das wäre ein schlechter Spaß gewesen,« sagte ein alter Offizier, »aber zum Unglück ist es keiner. Unser Oberst, der Baron Boethäun, hat eben diese schreckliche Nachricht erhalten.«

»Abscheulich! Entsetzlich!« wiederholten viele Stimmen.

»Wir haben es also,« sagte ein Offizier, »mit Bären und Wölfen in Menschengestalt zu thun?«

»Das ist entsetzlich,« rief Bollar aus. »Unser Regiment ist unglücklich: Dispolsen, diese armen Soldaten zu Cascadthymore, Ahlfeldt!…«

Baron Randmer erwachte plötzlich aus tiefem Nachdenken, dessen Ergebnis die Worte waren: »Es ist kaum zum glauben, dieser Friedrich, der so gut tanzte!«

XXIX.

Nachdem Ordender die Grotte von Walderhog verlassen hatte, irrte er den ganzen Tag im wilden Gebirge umher, ohne eine Spur von Menschen zu finden. Mit Einbruch der Nacht befand er sich in einer geräumigen Ebene. Er war ermüdet, wickelte sich in seinen Mantel und legte sich auf den Boden nieder, um zu schlafen. Der Wind war kalt, der Himmel schwarz, und bisweilen durchzuckten Blitze die Dunkelheit.

Plötzlich schlugen verwirrte Menschenstimmen an sein Ohr. Er richtete sich halb in die Höhe und erblickte in einiger Entfernung in der Dunkelheit wandelnde Schatten. Ein Licht brannte in der Mitte der geheimnisvollen Gruppe, und zu seinem Erstaunen sah Ordener diese phantasmagorischen Gestalten, eine nach der andern, in der Erde verschwinden. Alles war weg, wie ein Gedanke.

Ordener war erhaben über den Aberglauben seiner Zeit und seines Landes. Gleichwohl lag in diesem seltsamen Erscheinen und Verschwinden etwas Übernatürliches, das ihn gegen seine eigene Vernunft mißtrauisch machte.

Er stand auf und ging dem Orte zu, wo die wandelnden Gestalten verschwunden waren. Dicke Regentropfen begannen zu fallen. Plötzlich blieb er stehen. Ein Blitz hatte ihm vor seinen Füßen eine Art breiten und kreisförmigen Brunnens gezeigt, in den er ohne das wohlthätige Leuchten des Gewitters unfehlbar gestürzt wäre. Er näherte sich dem Schlund. In grauenvoller Tiefe sah er ein Licht glänzen, das einen röthlichen Schein von sich warf. Dieser Strahl, der einem magischen Feuer der Erdgeister glich, vermehrte gewissermaßen den unermeßlichen Umfang der Finsternis, welche das Auge durchdringen mußte, um ihn zu erreichen. Ordener, über den Abgrund sich neigend, horchte. Ein feines Geräusch von Stimmen traf sein Ohr. Er zweifelte nicht, daß die Wesen, die ihm aus eine so seltsame Weise erschienen und wieder verschwunden waren, in diesen Abgrund hinabgestiegen seien, und ein unwiderstehliches Verlangen trieb ihn, ihnen zu folgen.

Der Sturm fing an, heftig zu toben, und dieser Schlund konnte ihm Schutz dagegen gewähren. Aber wie hinabsteigen? Welchen Weg hatten diejenigen genommen, denen er nachfolgen wollte, wenn es anders nicht Gespenster gewesen waren?

Ein zweiter Blitz ließ ihn das obere Ende einer Leiter erblicken, die in die Tiefe zu führen schien. Ordener zauderte keinen Augenblick; er stieg muthig die Leiter hinab. Bald sah er vom Himmel nichts mehr, als die bläulichen Blitze, die ihn beleuchteten. Der Regen, der in Strömen auf die Oberfläche der Erde fiel, gelangte nur noch als ein feiner Thau zu ihm. Er stieg, stieg weiter, stieg immer hinab, und kaum schien es, daß er sich dem unterirdischen Lichte nähere.

Endlich merkte er an der mehr und mehr sich verdickenden Luft, an dem mehr und mehr zunehmenden Geräusche der Stimmen, an dem purpurnen Wiederschein, der die kreisförmige Mauer des Brunnens zu färben begann, daß er nicht mehr weit vom Boden sei. Er stieg noch einige Stufen hinab, und jetzt konnte er deutlich am Fuße der Leiter den Eingang eines unterirdischen Gewölbes erblicken, der von einem röthlichen zitternden Lichte beschienen war, während zugleich Stimmen in sein Ohr drangen, welche seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zogen,

»Kennybol kommt nicht,« sagte eine Stimme im Tone der Ungeduld.

»Wer mag ihn wohl zurückhalten?« wiederholte dieselbe Stimme nach einer Pause. »Wir wissen es nicht, Herr Hacket,« antwortete man.

»Er muß bei seiner Schwester Maase Braall im Weiler Surb übernachtet haben,« fügte eine andere Stimme hinzu.

»Ihr seht,« fuhr die erste Stimme fort, »daß ich alle meine Versprechungen halte… Ich versprach Euch Han den Isländer zum Anführer zu bringen, hier ist er.«

Ein Murmeln, dessen Sinn schwer zu errathen war, antwortete auf diese Worte. Ordeners Neugierde, die durch den Namen dieses Kennybol, der ihn am Tage zuvor so sehr in Verwunderung gesetzt hatte, bereits geweckt worden war, verdoppelte sich, als er Han den Isländer nennen hörte.

Die nämliche Stimme begann wieder: »Meine Freunde, Jonas, Norbith, wenn auch Kennybol zögert, was thut es? Wir sind zahlreich genug, um nichts mehr zu fürchten. Habt Ihr in den Ruinen von Crag Eure Fahnen gefunden?«

»Ja, Herr Hacket,« antworteten mehrere Stimmen.

»Nun, so greift zu den Waffen, es ist Zeit! Hier ist Gold. Da steht Euer unüberwindlicher Anführer! Vorwärts zur Befreiung des edlen Schuhmacher, des unglücklichen Grafen von Greiffenfeld!«

»Es lebe Schuhmacher!« riefen viele Stimmen, und der Name Schuhmacher drang in den unterirdischen Gewölben fort von Echo zu Echo.

Ordener, der von einem Staunen ins andere gerieth, hielt den Athem an sich, um kein Wort zu verlieren. Er konnte nicht glauben noch begreifen, was er hörte. Schuhmachers Name im Verein mit Kennybol und Han dem Isländer! Was war das für ein geheimnisvolles Drama, von dem er, als verborgener Zuschauer, eine Scene mit ansah?

»Ihr seht hier,« fuhr dieselbe Stimme fort, »den Freund und Vertrauten des edeln Grafen von Greiffenfeld. Schenkt mir nur Vertrauen, wie er mir das seinige schenkt. Alles ist Euch günstig. Ihr werdet nach Drontheim kommen, ohne einen Feind zu sehen.«

»Herr Hacket,« unterbrach ihn eine Stimme, »wir müssen schnell aufbrechen. Peters hat mir gesagt, daß er in den Engpässen das ganze Regiment von Munckholm im Anmarsch gegen uns gesehen habe.«

»Er hat Euch getäuscht,« erwiederte der andere im Tone des Ansehens. »Die Regierung weiß noch nichts von Eurem Aufstand und ist so sicher, daß derjenige, der Eure gerechten Beschwerden abgewiesen hat, Euer Unterdrücker, der Unterdrücker des erlauchten und unglücklichen Schuhmacher, der General Levin von Knud, Drontheim verlassen hat und in die Hauptstadt abgereist ist, um den Vermählungsfeierlichkeiten seines Zöglings Ordener Guldenlew, der Ulrike Ahlfeldt heirathet, beizuwohnen.«

Man kann sich Ordeners Staunen denken. In diesem wilden, kaum bewohnten Lande, tief im Schooß der Erde, hörte er unbekannte Menschen alle die Namen aussprechen, die ihm theuer waren. Ein entsetzlicher Zweifel bemächtigte sich seines Herzens. Sollte es wahr sein? War das wirklich ein Agent des Grafen von Greiffenfeld? Wie! Schuhmacher, dieser ehrwürdige Greis, der Vater seiner Ethel, empörte sich gegen seinen König, besoldete Straßenräuber, entzündete einen Bürgerkrieg? Und für diesen Heuchler, für diesen Rebellen, hatte er, der Sohn des Vicekönigs von Norwegen, der Zögling des Generals Levin von Knud, seine Zukunft aufs Spiel gesetzt, sein Leben gewagt! Für ihn hatte er diesen isländischen Räuber aufgesucht und bekämpft, mit dem Schuhmacher im Einverständnis sein mußte, weil er ihn an die Spitze seines rebellischen Haufens stellte!

»Ja,« fuhr inzwischen der Emissär fort, »der furchtbare Han der Isländer stellt sich an Eure Spitze. Wer wird gegen Euch zu kämpfen wagen? Ihr fechtet für Eure Weiber und Kinder, die man auf schmähliche Weise ihres Erbthums beraubt, für einen edeln Unglücklichen, der seit zwanzig Jahren unschuldig im Kerker schmachtet. Vorwärts, Schuhmacher und die Freiheit harren Euer! Krieg den Tyrannen!«

»Krieg!« wiederholten tausend Stimmen. Waffen klirrten zusammen und das Horn erscholl.

»Haltet ein!« rief Ordener, indem er auf die Schwelle des unterirdischen Gewölbes trat. Der Gedanke, Schuhmacher ein Verbrechen und seinem Lande die Leiden eines Bürgerkriegs zu ersparen, hatte sein ganzes Wesen ergriffen.

Vor seinen Blicken lag eine unermeßliche unterirdische Stadt, deren Grenzen sich hinter einer Menge von Pfeilern verloren, die das Gewölbe trugen. Diese Pfeiler glänzten, wie Krystallbogen, im Strahl von tausend brennenden Fackeln, welche eine seltsam bewaffnete und in den Tiefen des Platzes ordnungslos verbreitete Menschenmenge trug. Wenn man von allen Seiten dieses Licht wiederstrahlen, dann in der fernen Dunkelheit schreckhafte Gestalten zwischen den Pfeilern hinschweben sah, so hätte man glauben können, daß man sich bei einer jener fabelhaften Zusammenkünfte von Hexen und Teufeln befinde, die Sterne als Fackeln in der Hand tragen und nächtlicher Weile um die Bäume der Wälder und die Mauern verfallener Schlösser tanzen.

Ein lautes Geschrei erhob sich: »Ein Fremder! Nieder! Nieder! Nieder mit ihm!«

Hundert Arme erhoben sich gegen Ordener. Er griff mit der rechten Hand an die linke Seite, um seinen Säbel zu ziehen; er hatte vergessen, daß er waffenlos war.

»Haltet ein!« rief Schuhmachers Agent, ein kleiner, dicker, schwarzgekleideter Mann. Er trat gegen Ordener vor.

»Wer seid Ihr?« fragte er.

Ordener antwortete nicht. Von allen Seiten starrten ihm Säbelspitzen oder Pistolenmündungen entgegen.

»Hast Du Furcht?« fragte der Emissär lächelnd.

»Lege Deine Hand auf mein Herz und fühle, ob es schneller schlägt,« erwiederte der Jüngling verächtlich.

»Ei!« sagte Jener, »er spielt den Stolzen! Je nun, er mag sterben!«

»Geduld, Herr Hacket,« fiel ein Greis mit weißem Barte ein, der sich auf ein langes Gewehr stützte. »Ich habe hier allein das Recht, diesen Christen zu den Todten zu senden, um ihnen zu erzählen, was er hier gesehen hat.«

Hacket lachte: »Wie es Euch gefallt, mein lieber Jonas! Gleichviel, wer diesen Spion richtet, wenn er nur verurtheilt wird.«

Der alte Mann wandte sich an Ordener: »Wer bist Du, der sich so kühn in unsere Mitte wagt?«

Ordener schwieg.

»Er will nicht antworten,« sagte der Alte. »Wenn der Fuchs gefangen ist, schreit er nicht mehr. Macht ihn nieder!«

»Mein wackerer Jonas,« unterbrach ihn Hacket, »laßt Han den Isländer diesen Menschen tödten, dies soll seine erste That in Eurer Mitte sein.«

»Ja, ja!« riefen beifällig viele Stimmen.

Ordener suchte diesen Han den Isländer, mit dem er erst ein so heißes Gefecht gehabt hatte, mit den Augen und sah mit Verwunderung einen Mann von riesenmäßiger Größe in der Tracht der Bergbewohner auf sich zukommen. Der Riese sah Ordener mit einem wild stumpfsinnigen Blicke an und verlangte eine Axt.

»Du bist nicht Han der Isländer,« sagte Ordener ruhig.

»Nieder mit ihm! Nieder mit ihm!« schrie Hacket wüthend.

Ordener sah seinen Tod vor Augen. Er griff in den Busen, um eine Haarlocke seiner Ethel herauszuziehen und den letzten Kuß auf sie zu drücken. Bei dieser Bewegung fiel ein Papier aus seinem Gürtel.

»Was ist das für ein Papier?« sagte Hacket. »Norbith, hebt dieses Papier auf.

Dieser Norbith war ein junger Mann, dessen bräunliches Gesicht, obwohl von harten Zügen, doch einen Ausdruck von Edelmuth hatte. Er hob das Papier auf und entfaltete es.

»Großer Gott!« rief er aus, »das ist der Paß meines armen Freundes Christoph Nedlam, den sie vor acht Tagen zu Skongen wegen Falschmünzerei gehängt haben.«

»Nun, so behalte diesen Wisch Papier,« sagte Hacket im Tone getäuschter Erwartung. »Ich hielt es für wichtiger. Und Ihr, mein lieber Han, fertigt diesen Menschen ab!«

Norbith trat vor Ordener hin und rief: »Dieser Mann steht unter meinem Schutze. Eher soll mein Haupt fallen, als ein Haar von dem seinigen. Ich leide nicht, daß der Paß meines Freundes Christoph Nedlam verletzt wird.«

»Bah! Bah!« sagte Hacket, »das ist eine Narrheit von Euch, mein wackerer Norbith! Dieser Mensch ist ein Spion und muß sterben.«

»Gebt mir meine Axt!« rief der Riese.

»Er soll nicht sterben,« entgegnete Norbith. »Was würde der Geist meines armen Nedlam dazu sagen? Nein, er wird nicht sterben, denn Nedlam will, daß er nicht sterbe!«

»Norbith hat Recht,« sagte der alte Jonas. »Warum soll man diesen Fremdling tödten, da er einen Paß von Christoph Nedlam hat?«

»Er ist aber ein Spion,« erwiderte Hacket.

Der alte Jonas trat neben Norbith und beide sagten feierlich: »Er hat einen Paß von Christoph Nedlam, der zu Skongen gehängt worden ist.«

Hacket sah, daß er nachgeben mußte, denn Alle murrten, und viele Stimmen riefen: »Dieser Fremdling darf nicht sterben, denn er hat einen Paß von Nedlam dem Falschmünzer.«

»So mag er denn leben!« murmelte Hacket mit zurückgehaltener Wuth.

»Und wenn es der Teufel wäre,« sagte Norbith, »so würde ich ihn nicht tödten.«

Er wandte sich zu Ordener und fuhr fort: »Du bist gewiß ein guter Bruder, weil Du einen Paß von Christoph Nedlam hast. Wir sind königliche Bergleute. Wir empören uns, um uns von der königlichen Vormundschaft frei zu machen. Der Herr Hacket, den Du hier siehst, sagt, daß wir für einen gewissen Grafen Schuhmacher zu den Waffen greifen; aber ich kenne diesen Schuhmacher nicht. Fremdling, unsere Sache ist gerecht. Ich frage Dich, willst Du mit uns sein?«

Ein Gedanke ging in Ordeners Seele auf.

»Ja!« antwortete er.

Norbith reichte ihm einen Säbel, den er stillschweigend annahm.

»Bruder,« sagte Norbith, »wenn Du uns verrathen willst, so tödte mich zuerst.«

Ein Horn erscholl und ferne Stimmen riefen: »Da kommt Kennybol!«

XXX

Hacket sprang dem ankommenden Kennybol entgegen.

»Endlich!« rief er aus, »mein lieber Kennybol, endlich kommt Ihr! Ich will Euch sogleich Eurem gefürchteten Anführer, Han dem Isländer, vorstellen.«

Bei diesem Namen wich Kennybol, der bleich, athemlos, mit verwirrten Haaren, schweißtriefend am Gesicht und mit blutigen Händen eingetreten war, drei Schritte zurück.

»Han der Isländer!« rief er aus.

»Erschreckt nicht, er kommt zu Eurer Hülfe. Seht in ihm einen Freund und Waffenbruder …«

»Han der Isländer hier!«

»Allerdings! Fürchtet Ihr ihn denn?«

»Han der Isländer in diesem Bergwerk!«

»Jetzt sehe ich, daß die Furcht vor Han dem Isländer Euch so lange aufgehalten hat.«

»Nicht die Furcht vor Han dem Isländer, sondern Han der Isländer selbst hat mich aufgehalten, das schwöre ich Euch.«

Ein Murmeln der Verwunderung erhob sich. Hacket schien verlegen.

»Wie! was sagt Ihr da?« fragte er mit gedämpfter Stimme.

»Ich sage, Herr Hacket, daß ich ohne Euern verfluchten Han den Isländer vor dem ersten Schrei der Eule hier gewesen wäre.«

»Wirklich, was hat er Euch denn gethan?«

»Fragt mich nicht, und möge mein Bart in einem Tage weiß werden, wie ein Hermelinfell, wenn ich je in meinem Leben wieder einen weißen Bären jage.«

»Wart Ihr in Gefahr, von einem Bären gefressen zu werden?«

Kennybol zuckte verächtlich die Achseln: »Ein Bär! Kennybol von einem Bären gefressen! Für wen haltet Ihr mich, Herr Hacket?«

»Verzeiht!« erwiederte Hacket lächelnd.

»Wenn Ihr wüßtet, was mir begegnet ist, so würdet Ihr nicht mehr zu mir sagen, Han der Isländer sei hier.«

»Mein lieber Kennybol,« sagte Hacket, »erzählt mir, was Euch aufgehalten hat. Alles kann in diesem Augenblicke von hoher Wichtigkeit für uns sein.«

»Das ist richtig,« erwiederte Kennybol nach einigem Nachdenken.

Hierauf erzählte er, wie er am Morgen mit sechs Gefährten einen weißen Bären bis in die Gegend der Grotte von Walderhog gejagt habe, ohne in der Hitze der Jagdlust zu bemerken, daß sie diesem furchtbaren Ort so nahe seien. Das klägliche Geschrei des Bären habe einen kleinen Mann, ein Ungeheuer, einen Dämon zu Hülfe gerufen, der mit einer steinernen Axt auf sie losgestürzt sei. Das plötzliche Erscheinen dieses Dämons, der Niemand anders als Han der Isländer sein konnte, habe sie mit Schrecken erfüllt. Seine sechs Gefährten seien Opfer der beiden Unthiere geworden, und er danke sein Leben nur schneller Flucht, seiner Behendigkeit und der Ermüdung Hans des Isländers.

»Ihr seht jetzt, Herr Hacket,« schloß Kennybol seine Erzählung, »daß es nicht meine Schuld ist, wenn ich spät komme, und daß der isländische Dämon, den ich diesen Morgen mit seinem Bären im Gehölze von Walderhog bei den Leichnamen meiner sechs Kameraden zurückgelassen habe, jetzt nicht als unser Freund in dieser Mine von Apsyl-Corh zugegen sein kann. Ich kenne jetzt diesen eingefleischten Teufel, ich habe ihn mit Augen gesehen.«

»Mein wackerer Kennybol,« erwiederte Hacket ernst, »wenn Ihr von Han dem Isländer oder der Hölle redet, so haltet nichts für unmöglich. Ich wußte Alles, was Ihr mir da erzählt habt, schon vorher.«

»Wie!« rief der alte Schütze der Berge von Kole erstaunt aus.

»Ja, ich wußte Alles, nur das nicht, daß Ihr der Held dieses traurigen Abenteuers gewesen seid. Han der Isländer hat es mir auf dem Wege hieher selbst erzählt.«

»Wirklich!« sagte Kennybol mit einem Blicke auf Hacket, in welchem sich Furcht und Respekt zugleich aussprachen.

Hacket fuhr mit gleicher Zuversicht fort: »Jetzt aber könnt Ihr ruhig sein; ich will Euch selbst zu diesem furchtbaren Han dem Isländer führen.«

Kennybol stieß einen Schrei des Entsetzens aus.

»Seid doch ruhig; er ist ja jetzt Euer Anführer und Waffenbruder. Hütet Euch jedoch, ihm das in Erinnerung zu bringen, was diesen Morgen vorgefallen ist. Ihr versteht mich?«

Nicht ohne inneres Widerstreben willigte Kennybol ein, vor das Angesicht des gefürchteten Dämons zu treten. Sie näherten sich der Gruppe, bei welcher sich Ordener, Jonas und Norbith befanden.

»Mein guter Jonas, mein lieber Norbith,« sagte Kennybol, »Gott mit Euch!«

»Dessen bedürfen wir,« erwiederte Jonas.

Jetzt fiel Kennybols Blick auf Ordener.

»Ah!« sagte er, »willkommen, junger Mann! Es scheint, daß Eure Kühnheit guten Erfolg hatte?«

»Ihr kennt also diesen Fremden, Kennybol?« fiel Norbith ein.

»Ob ich ihn kenne? Ich liebe und achte ihn. Er ist, gleich uns, eifrig für die gute Sache, die wir verfechten.«

Ehe Ordener ein Wort vorbringen konnte, näherte sich Hacket mit seinem Riesen, aus dessen Nähe Alle bestürzt entflohen, und sagte: »Hier, mein wackerer Kennybol, ist Euer Anführer, der berühmte Han der Isländer.«

Kennybol warf einen Blick auf ihn, in welchem mehr Staunen als Furcht lag, und neigte sich zu Hackets Ohr: »Der Han der Isländer, den ich diesen Morgen bei Walderhog zurückgelassen habe, war ein kleiner Mann …«

Hacket erwiederte leise: »Ihr vergeßt, daß er ein Dämon ist.«

»Das ist wahr,« sagte der leichtgläubige Schütze, »er wird eine andere Gestalt angenommen haben.«

XXXI.

In einem düstern alten Eichenwald trat ein kleiner Mann zu einem andern, der allein war und auf ihn zu warten schien. Folgendes leise Gespräch begann:

»Euer Gnaden verzeihen, daß ich Sie so lange warten ließ! Mehrere Zufälle haben meine Ankunft verzögert.«

»Welche?«

»Der Anführer der Bergbewohner, Kennybol, ist erst um Mitternacht eingetroffen, und dagegen sind wir durch einen unerwarteten Zeugen gestört worden.«

»Wer war dieser?«

»Ein Mensch, der sich wie ein Narr mitten in unsere nächtliche Zusammenkunft gestürzt hat. Ich hielt ihn Anfangs für einen Spion und wollte ihn umbringen lassen; er hatte aber einen Paß von irgend einem Gehenkten bei sich, der bei unsern Bergleuten sehr in Achtung steht, und sie haben ihn unter ihren Schutz genommen. Ich halte ihn jetzt für einen neugierigen Reisenden oder einen gelehrten Schwachkopf. In jedem Falle habe ich in Beziehung auf ihn meine Maßregeln genommen.«

»Geht sonst Alles gut?«

»Sehr gut. Die Bergleute von Gulbransthal und Faroer, unter dem jungen Norbith und dem alten Jonas, und die Bergbewohner von Kole, unter Kennybol, müssen jetzt auf dem Marsch sein. Vier Stunden von Apsyl-Corh werden die Bergleute von Hubfallo und Sundmoer zu ihnen stoßen; einige Stunden weiter werden sie von den Bergleuten von Kongsberg und den Eisenarbeitern von Smiassen erwartet, welche, wie Euer Excellenz weiß, bereits die Besatzung von Wahlstrom zum Rückzüge gezwungen haben. Alle diese vereinigten Haufen werden heute Nacht, zwei Stunden von Skongen, in den Schluchten des schwarzen Pfeilers, lagern.«

»Aber wie haben sie Euern Han den Isländer aufgenommen?“

»Mit vollkommener Leichtgläubigkeit.«

»Könnte ich doch den Tod meines Sohnes an diesem Ungeheuer rächen! Welches Unglück, daß er uns entkommen ist!«

»Mein gnädiger Herr! Benützen Sie allererst Han des Isländers Namen, um an Schuhmacher Rache zu nehmen. Später werden wir Mittel finden, uns an Han selbst zu rächen. Die Rebellen werden heute den ganzen Tag marschiren und diesen Abend in dem Engpaß des schwarzen Pfeilers, zwei Stunden von Skongen, Halt machen.«

»Wie! Ihr wollt einen so beträchtlichen Haufen so nahe an Skongen vorrücken lassen? Musdoemon! …«

»Verdacht, edler Graf! Schicken Sie auf der Stelle einen Boten an den Oberst Voethaün, dessen Regiment jetzt zu Skongen sein muß; geben Sie ihm Nachricht, daß sämmtliche Streitkräfte der Rebellen diese Nacht sorglos im Engpasse des Pfeilers gelagert sein werden. Dieser Engpaß scheint ausdrücklich für Hinterhalte geschaffen ….«

»Ich verstehe Euch, aber warum habt Ihr Alles so eingerichtet, daß die Rebellen so zahlreich sind?«

»Je furchtbarer der Aufstand ist, je größer werden Schuhmachers Verbrechen und Ihre Verdienste sein. Im Übrigen liegt daran, daß er mit einem Schlage ganz vernichtet werde.«

»Wohl! Aber warum ist der Ort des Lagers so nahe bei Skongen?«

»Weil dies im ganzen Gebirge der einzige Ort ist, wo die Vertheidigung unmöglich ist. Keiner wird aus diesem Engpaß entkommen, als diejenigen, welche bestimmt sind, vor den Gerichten zu figuriren.«

»Trefflich! Diese Geschichte muß schnell beendigt werden, Musdoemon! Wenn von dieser Seite Alles beruhigend ist, so ist von der andern Alles beunruhigend. Ihr wißt, daß wir zu Kopenhagen geheime Nachforschungen nach den Papieren veranstaltet haben, welche in die Hände dieses Dispolsen gefallen sein können?«

»Nun, gnädiger Herr?«

»Nun, ich erfahre eben, daß dieser Ränkemacher mit dem verfluchten Astrologen Cumbysulsum in geheimnißvoller Verbindung gestanden ist …«

»Mit diesem Cumbysulsum, der kürzlich gestorben ist?«

»Mit eben diesem, und daß der alte Hexenmeister auf dem Sterbebette Schuhmachers Agenten Papiere eingehändigt hat …«

»Verflucht! Er hatte Briefe von mir, einen Entwurf unseres Planes …«

»Eures Plans? Musdoemon!«

»Bitte tausendmal um Verzeihung, gnädiger Herr Graf, Ihres Plans! Aber warum haben Sie sich auch diesem Charlatan Cumbysulsum anvertraut? … Der alte Verräther! …«

»Hört, Musdoemon! Ich bin nicht, wie Ihr, ein Wesen ohne Treue und Glauben. Nicht ohne genügende Gründe habe ich stets Vertrauen zu der Wissenschaft des alten Cumbysulsum gehabt.«

»Warum hatten Euer Gnaden nicht eben so viel Mißtrauen in seine Treue, als Vertrauen in seine Wissenschaft? Im Uebrigen können wir ruhig sein, Dispolsen ist todt, seine Papiere sind verloren, und in wenigen Tagen wird keine Rede mehr von denen sein, welchen sie dienen könnten.«

»In jedem Fall könnte keine Anklage sich bis zu meiner Person erheben.«

»Oder bis zu mir, der unter Euer Gnaden Schutze steht.«

»Allerdings, Lieber, könnt Ihr auf mich zählen. Inzwischen wollen wir doch die Entwicklung der ganzen Geschichte beschleunigen. Ich werde sogleich einen Boten an den Oberst abschicken. Kommt, meine Leute erwarten mich hinter jenem Gebüsche. Wir müssen den Weg nach Drontheim einschlagen, das ohne Zweifel der Mecklenburger jetzt verlassen haben wird. Fahrt fort, mir wohl zu dienen und zählt auf mich im Leben und im Tode trotz allen Cumbysulsum und Dispolsen auf der Erde.«

»Glauben mir Euer Gnaden …«

Hier verloren sich Beide im Gehölze, in dessen Windungen sich ihre Stimmen allmählig verloren, und bald hörte man weiter nichts mehr von ihnen, als den immer mehr sich entfernenden Hufschlag ihrer Pferde.

XXXII.

Inzwischen waren die Rebellen durch den Haupteingang, der in einer tiefen Schlucht sich zu ebener Erde öffnet, aus der Bleimine von Apsyl-Corh ausgezogen.

Ordener, der Norbiths Bande zugetheilt worden war, sah im Anfang nur einen langen Zug von Fackeln, deren Schein, mit den ersten Strahlen des Tages im Kampfe, auf Aexten, Gabeln, Hauen, eisernen Streitkolben, Hämmern, Hebebäumen und all den plumpen Waffen wiederglänzte, welche der Aufstand von der Arbeit entlehnen kann, vermischt mit regelmäßigen Waffen, Flinten, Piken, Säbeln, Pistolen, aus denen man absehen konnte, daß dem Aufstand eine Verschwörung vorhergegangen war.

Nachdem die Sonne aufgegangen war, konnte Ordener diese seltsame Armee, die ohne Ordnung unter rohem Gesang und wildem Geschrei vorrückte, besser überblicken. Sie war in drei Divisionen, oder vielmehr in drei ordnungslose Haufen abgetheilt. Voran marschirten die Bergbewohner von Kole, angeführt von Kennybol, in Thierfelle gekleidet und von wildem, trotzigem Aussehen. Hierauf kamen die jungen Bergleute unter Norbith und die alten unter Jonas, mit ihren großen Filzhüten und weiten Beinkleidern, mit nackten Armen und geschwärzten Gesichtern. Ueber den Häuptern dieser ordnungslosen Banden flatterten in bunter Mischung feuerfarbene Fahnen mit verschiedenen Inschriften: Es lebe Schuhmacher! – laßt uns unsern Befreier befreien! – Freiheit den Bergleuten! – Freiheit dem Grafen von Greiffenfeld! – Tod Guldenlew! – Tod unsern Unterdrückern! – Tod Ahlfeldt!

Die Rebellen schienen diese Fahnen mehr als eine Last denn als eine Zierde zu betrachten, und sie gingen von Hand zu Hand, wenn die Fahnenträger müde waren, oder an dem wilden Gesang und tollen Geschrei ihrer Waffenbrüder Theil nehmen wollten.

Die Nachhut dieser seltsamen Armee bestand aus zehn, von Rennthieren und Eseln gezogenen Karren, welche den Schießbedarf führten, und die Vorhut aus dem falschen Han dem Isländer, der, mit einem ungeheuren Streitkolben und einer Axt bewaffnet, ganz allein marschirte. Weit hinter ihm kamen, in respektvoller Entfernung, die ersten Reihen der Bande Kennybols, der ihn nicht aus den Augen verlor, um seinem diabolischen Anführer in den verschiedenen Verwandlungen, welche er vorzunehmen belieben möchte, folgen zu können.

Bald wurde das Heer der Rebellen durch die Banden von Sundmoer, Hubfallo, Kongsberg und die Eisenarbeiter von Smiassen verstärkt; diese letztern waren große und starke Leute mit Zangen und Hämmern bewaffnet, lederne Schürzen um; sie hatten keine andere Fahne, als ein hölzernes Kreuz, und marschirten ernst und taktfest einher, mit einer mehr religiösen als militärischen Regelmäßigkeit, ohne andern Kriegsgesang als Psalmen und Kirchenlieder. Sie hatten keinen andern Anführer, als ihren Kreuzträger, der unbewaffnet an ihrer Spitze einherzog.

Diese Masse von Rebellen stieß auf kein menschliches Wesen auf ihrem ganzen Wege. Bei ihrer Annäherung trieb der Ziegenhirt seine Heerde in eine Höhle, und der Landmann verließ seine Wohnung, denn der Einwohner der Ebenen und Thäler ist überall derselbe, er fürchtet das Heer der Räuber so sehr, als das der Häscher.

So zogen sie durch Hügel und Thal, durch Wald und Feld, ungebahnten Pfaden folgend, wo man mehr Spuren von wilden Thieren, als Tritte von Menschen fand, umgingen Moräste, setzten über Waldströme und Schluchten. Ordener kannte keinen dieser Orte. Einmal nur, als er das Haupt hob, fiel sein Blick in weiter Ferne auf einen großen abgeplatteten Felsen. Er neigte sich zu einem seiner plumpen Reisegefährten: »Freund, was ist das für ein Felsen dort rechts im Süden?«

»Das ist der Geyerhals, der Felsen von Oelmö,« war die Antwort.

Ordener stieß einen tiefen Seufzer aus.

XXXIII.

Leibaffe, Papageien, Kämme und Bänder, Alles lag bei der Gräfin von Ahlfeldt bereit, ihren Sohn Friedrich zu empfangen. Sie hatte mit großen Kosten den neuesten Roman der berühmten Scudery kommen lassen. Nachdem sie diese kleinen Sorgen mütterlicher Zärtlichkeit beseitigt hatte, dachte sie an nichts Anderes mehr, als ihrem Hasse gegen Schuhmacher und seine Tochter freien Lauf zu lassen. Die Abwesenheit des Generals Levin lieferte die armen Gefangenen schutzlos in ihre Hände.

Sie wünschte Aufklärung über eine Menge Gegenstände, die nur sehr unbestimmt zu ihrer Kenntniß gelangt waren: Wer war der Leibeigene oder Vasall, den die Tochter des Exkanzlers liebte? In welcher Verbindung stand Baron Ordener mit dem Gefangenen von Munckholm? Was war der Grund der so unbegreiflichen Abwesenheit Ordeners? Was war zwischen Levin Knud und Schuhmacher vorgefallen? Selbstsucht und Neugierde zogen die Gräfin unwiderruflich nach Munckholm hin.

Als eines Abends Ethel einsam im Garten des Gefängnisses saß, öffnete sich die Thüre, und eine große weiß gekleidete Dame trat herein. Ein Lächeln schwebte auf ihren Lippen, süß wie vergifteter Honig.

Ethel sah sie mit Verwunderung, fast mit Furcht an. Seit dem Tode ihrer alten Amme war diese das erste Weib, das sie im Kerker von Munckholm gesehen hatte.

»Mein Kind,« sagte die Fremde mit sanfter Stimme, »Sie sind die Tochter des Gefangenen von Munckholm?«

»Ich heiße Ethel Schuhmacher,« erwiederte die Jungfrau. »Mein Vater sagt, man habe mich, als ich noch in der Wiege lag, Gräfin von Tongsberg und Prinzessin von Wollin genannt.«

»Ihr Vater sagt Ihnen das!« rief die Frau in einem Tone aus, den sie alsbald wieder ermäßigte. Dann fügte sie hinzu: »Sie haben viel Unglück erfahren!«

»Das Unglück hat mich bei meiner Geburt mit eisernen Armen umfangen; mein edler Vater sagt, daß es mich nur im Tode loslassen werde.«

»Und Sie murren nicht gegen diejenigen, die Ihr junges Leben in diesen Kerker geworfen haben? Sie verfluchen nicht die Urheber Ihres Unglücks?«

»Nein, damit nicht unser Fluch die nämlichen Uebel, welche wir leiden, auf ihre Häupter herabziehe.«

»Kennen Sie die Urheber der Uebel, über welche Sie sich beklagen?«

Ethel dachte einen Augenblick nach und erwiederte: »Alles ist durch den Willen des Himmels geschehen.«

»Redet Ihr Vater niemals mit Ihnen von dem König?«

»Dem König? Für den bete ich Morgens und Abends, ohne ihn zu kennen.«

Ethel begriff nicht, warum sich die Fremde bei dieser Antwort in die Lippen biß.

»Nennt Ihnen Ihr unglücklicher Vater, wenn er zornig ist, niemals seine unversöhnlichen Feinde, den General Arensdorf, den Bischof Spollyson, den Kanzler Ahlfeldt? …«

»Ich weiß nicht, von wem Sie da reden.«

»Kennen Sie den Namen Levin Knud?«

»Levin von Knud? Es scheint mir, daß das der Mann ist, für welchen mein Vater so viele Achtung und beinahe Zuneigung hegt.«

»Wie!« rief die Frau aus.

»Ja, Levin von Knud war es, den mein Vater vorgestern so lebhaft gegen den Gouverneur von Drontheim vertheidigte.«

»Gegen den Gouverneur von Drontheim? Treiben Sie nicht Ihr Spiel mit mir? Es ist Ihr Wohl, was mich hierher geführt hat. Ihr Vater hat gegen den Gouverneur von Drontheim die Parthie des Generals Levin von Knud genommen?«

»Des Generals! Es scheint mir des Hauptmanns … Doch nein, Sie haben Recht. Mein Vater schien eben so viel Anhänglichkeit an diesen General Levin von Knud zu haben, als er Haß gegen den Gouverneur von Drontheim bezeugte.«

»Abermals ein seltsames Räthsel!« dachte die Gräfin. »Was ist denn,« fragte sie, »zwischen Ihrem Vater und dem Gouverneur von Drontheim vorgefallen?«

Dieses Verhör ermüdete die arme Ethel; sie fixirte die Fremde und sagte: »Bin ich denn eine Verbrecherin, daß Sie mich so verhören?«

Diese einfache Frage setzte die Gräfin in Verlegenheit; sie faßte sich jedoch und erwiederte: »Sie würden nicht so reden, wenn Sie wüßten, warum und für wen ich komme …«

»Wie!« fragte Ethel hastig, »kommen Sie von ihm? Bringen Sie mir Nachricht von ihm? …«

»Von wem?«

Ethel hielt inne, als sie eben den Namen aussprechen wollte, denn sie sah eine düstere Schadenfreude im Auge der Fremden blitzen.

»Sie wissen also nicht, wen ich meine?« sagte sie traurig.

»Armes Kind, was kann ich für Sie thun?«

Ethel hörte nichts, Ihre Gedanken irrten durch die nördlichen Berge hinter dem reisenden Abenteurer her.

»Hofft Ihr Vater aus diesem Gefängniß zu kommen?«

Diese zweimal wiederholte Frage brachte die Jungfrau wieder zu sich.

»Ja,« sagte sie, und eine Thräne glänzte in ihrem Auge.

»Er hofft es! Und auf welche Weise? … Durch welche Mittel? … Wann? …«

»Wenn er das Leben verläßt.«

Es liegt bisweilen in der Einfachheit eines jungen unverdorbenen Herzens eine Macht, welche die Ränke einer in Bosheit gealterten Seele spielend vereitelt. Dieser Gedanke schien dem Geiste der Gräfin vorzuschweben, denn der Ausdruck ihres Gesichts änderte sich plötzlich, sie legte ihre kalte Hand auf Ethels Arm und sagte in einem Tone, der an Offenheit grenzte: »Haben Sie sagen hören, daß das Leben Ihres Vaters durch eine richterliche Untersuchung aufs Neue bedroht sei, daß er im Verdacht stehe, eine Empörung unter den Bergleuten im Norden angezettelt zu haben?«

Die Worte Empörung und Untersuchung boten der Jungfrau keine klaren Ideen dar; sie hob ihr großes schwarzes Auge zu der Fremden: »Was wollen Sie damit sagen?«

»Daß sich Ihr Vater gegen den Staat verschwört, daß sein Verbrechen beinahe entdeckt ist, daß dieses Verbrechen Todesstrafe nach sich zieht …«

»Todesstrafe! … Verbrechen! …« rief das arme Mädchen aus.

»Verbrechen und Tod!« sagte ernst die Fremde.

»Mein Vater! Mein edler Vater! Er ist ein Verschwörer! Was hat er Ihnen denn gethan?«

»Sehen Sie mich nicht so an, ich sage Ihnen noch einmal, daß ich nicht feindlich gegen Sie gesinnt bin. Ihr Vater steht im Verdacht, ein großes Verbrechen begangen zu haben. Ich setze Sie davon in Kenntniß und sollte eher Ihren Dank verdienen, als diese Beweise des Hasses.«

Dieser Vorwurf rührte Ethel: »Verzeihung, edle Dame! Wir haben bis jetzt nur Feinde kennen gelernt. Ich war mißtrauisch gegen Sie, das werden Sie mir verzeihen, nicht wahr?«

Die Gräfin lächelte. »Wie, meine Tochter! Haben Sie bis auf diesen Tag nicht einen einzigen Freund gefunden?«

Ethel erröthete und zauderte mit der Antwort: »Ja! … Gott weiß die Wahrheit. Wir haben einen Freund gefunden … einen einzigen!«

»Einen einzigen! Wie heißt er? … Sie wissen nicht, wie wichtig es ist … Es ist zum Besten Ihres Vaters … Wie heißt dieser Freund?«

»Daß weiß ich nicht.«

»Treiben Sie keinen Scherz mit mir, da ich Ihnen dienen will. Bedenken Sie, daß es sich um das Leben Ihres Vaters handelt. Wie heißt dieser Freund?«

»Der Himmel ist mein Zeuge, daß ich von ihm nichts als den Taufnamen weiß: er heißt Ordener.«

»Ordener! Ordener!« wiederholte die Fremde in auffallender Bewegung. »Und wie heißt sein Vater?«

»Das weiß ich nicht. Was liegt an seiner Familie und seinem Vater! Dieser Ordener ist der edelste aller Menschen.«

Der Ton, in welchem die Jungfrau diese Worte aussprach, verrieth der Fremden das Geheimniß ihres Herzens. Sie heftete einen festen Blick auf Ethel und fragte ruhig: »Haben Sie von der nahen Vermählung des Sohnes des Vicekönigs mit der Tochter des Großkanzlers von Ahlfeldt gehört?«

»Ich glaube ja,« war die gleichgültige Antwort.

»Nun, was halten Sie von dieser Heirath?«

»Möge sie glücklich sein!« erwiederte die Jungfrau unbefangen.

»Die Grafen Guldenlew und Ahlfeldt, die Väter der beiden Verlobten, sind zwei große Feinde Ihres Vaters.«

»Möge die Vereinigung ihrer Kinder glücklich sein!« wiederholte Ethel mit sanfter Stimme.

»Es kommt mir da ein Gedanke,« fuhr das verschmitzte Weib fort: »wenn das Leben Ihres Vaters in Gefahr ist, so könnten Sie bei Gelegenheit dieser Heirath durch den Sohn des Vicekönigs seine Begnadigung erlangen.«

»Der Himmel vergelte Ihnen Ihre Theilnahme an uns, aber auf welche Weise sollte ich meine Bitte bis zu dem Sohne des Vicekönigs gelangen lassen?«

»Wie! Kennen Sie ihn denn nicht?«

»Ob ich diesen mächtigen Herrn kenne? Sie vergessen, daß mein Fuß noch nicht über die Schwelle dieses Kerkers gekommen ist!«

»Unmöglich! Sie müssen den Sohn des Vicekönigs gesehen haben, er ist hieher gekommen.«

»Das ist möglich, aber von allen Menschen, die hieher kamen, habe ich nie einen andern gesehen, als ihn, meinen Ordener …«

»Ihren Ordener! … Kennen Sie einen jungen Mann von edlen Zügen, schlankem Wuchs, ernstem gesetztem Wesen, sanftem offenem Auge, frischer Farbe, hellbraunen Haaren …«

»Daß ist er! das ist mein Ordener!« rief Ethel hastig aus.

Die Gräfin zitterte, ward roth und blaß und rief mit zermalmender Stimme aus: »Unglückliche, Du liebst Ordener Guldenlew, den Bräutigam Ulrikens von Ahlfeldt, den Sohn des Todfeindes Deines Vaters, des Vicekönigs von Norwegen.« Ethel sank ohnmächtig nieder.

XXXIV.

»Sage mir, Guldon Stayver, mein alter Kamerad, weißt Du auch, daß mir der abendliche Nordwind stark ins Gesicht zu wehen beginnt?« sagte Kennybol zu einem neben ihm gehenden Bergbewohner.

»Hm! Ich glaube, wir werden in diesen verdammten Schluchten des schwarzen Pfeilers, in welche sich der Wind stromweise stürzt, heute Nacht eben nicht sonderlich warm haben.«

»Nun, so wollen wir solche Feuer machen, daß die Nachteulen von den höchsten Felsenspitzen verjagt werden. Ich liebe ohnedies die Eulen nicht, seit jener Nacht, wo mir die Fee Ubfem in Gestalt einer Eule erschienen ist.«

»Bei St. Sylvester!« unterbrach ihn Guldon Stayper, »der Engel des Windes gibt uns tüchtige Flügelschläge! Wenn es nach mir geht, so zünden wir alle Tannen des Waldes an. Eine Armee wärmet sich dann an einem brennenden Walde.«

»Gott behüte, was faselst Du da! Und was würde aus den Rehen und dem übrigen Wilde werden!«

»Du bist immer noch der alte Schütze Kennybol, der Wolf der Rehe, der Bär der Wölfe, und der Büffel der Bären!«

»Sind wir noch weit entfernt von dem schwarzen Pfeiler?« fragte eine Stimme.

»Mit sinkender Nacht werden wir in seine Schluchten einziehen,« erwiederte Kennybol.

»Freund Guldon Stayper,« fuhr er fort, »Du hast ja einige Tage zu Drontheim zugebracht?«

»Ja, bei meinem kranken Bruder Georg Stayper, dem Fischer; ich führte einige Tage seine Barke, damit seine arme Familie nicht verhungerte.«

»Nun, hast Du dort nicht den Staatsgefangenen … Stumacher … Gleffenheim … oder wie er sonst heißt, gesehen, ich meine den Mann, in dessen Namen wir uns empören?«

»Du meinst den Gefangenen auf Munckholm. Wie hätte ich den sehen können? Da hätte ich, wie der Teufel, der da vor uns marschirt, die Gabe besitzen müssen, durch Mauern zu sehen. Es ist gewiß unter uns Allen nur ein Einziger, der diesen Gefangenen gesehen hat.«

»Ein Einziger? … Ah! Herr Hacket? Aber der ist ja fort. Er hat uns diese Nacht verlassen, um …«

»Ich meine nicht den Herrn Hacket.«

»Und wen denn?«

»Den jungen Mann mit dem grünen Mantel und der schwarzen Feder, der diese Nacht so plötzlich mitten unter uns kam …«

»Nun?« »Nun, dieser kennt den Grafen, wie ich Dich kenne.«

Kennybol klopfte ihm auf die Achsel, blinzelte mit den Augen und rief: »Das habe ich mir doch gedacht!«

»Ja, dieser junge grüne Mann hat den Grafen in der Festung Munckholm selbst besucht und ist so ohne Umstände in wohlbewachte Mauern eingegangen, wie wir beide in einen königlichen Park.«

»Und woher weißt Du das, Bruder Guldon?«

Guldon schlug vorsichtig sein Thierfell auseinander: »Sieh her!«

»Bei Gott!« rief Kennybol aus, »das glänzt wie Edelstein!«

Es war wirklich eine kostbare Diamantschnalle, welche den ledernen Gürtel Guldon Staypers festhielt.

»Das ist eben so gewiß ein Edelstein,« versicherte Guldon, »als es gewiß ist, daß der Mond zwei Tagereisen von der Erde entfernt, und daß mein Gürtel von Büffelleder ist.«

Kennybol runzelte die Stirne, sah von Guldon weg und sprach in wild feierlichem Tone: »Guldon Stayper vom Dorfe Chol-Soe, in den Bergen von Kole, Dein Vater Medprath Stayper ist einhundert und zwei Jahre alt gestorben mit reinem Gewissen, denn einen Hirsch oder ein Elennthier des Königs zu tödten, ist keine Sünde. Guldon Stayper, sieben und fünfzig Jahre sind über Dein graues Haupt hingegangen, und es wäre Dir besser, wenn dieser Diamant zu einem Kieselstein würde, als daß Du ihn durch ein Verbrechen gewonnen hättest!«

»So wahr Kennybol der beste Schütze in den Bergen von Kole, und so wahr dieser Diamant ein Diamant ist, so wahr besitze ich ihn von Rechtswegen.«

»Wirklich!«

»Gott und meine Schutzengel wissen es. Eines Abends, als ich Söhnen unserer guten Mutter Norwegen, welche den Leichnam eines am Strande von Urchthal gefundenen Offiziers trugen, den Weg in das Spladgest zeigte, es sind jetzt acht Tage her, trat ein junger Mann an meine Barke und rief: Nach Munckholm! Er sprang in meinen Nachen und ich stieß vom Ufer ab. Es war mein guter Engel, der ihn zu mir führte. Als der junge Mann zu Munckholm ausstieg, warf er mir als Bezahlung diese Diamantschnalle zu, die meinem Bruder Georg, und nicht mir, gehört hätte, wenn nicht zu der Stunde, in welcher ich den Reisenden führte, das Tagewerk, das ich für meinen Bruder that, zu Ende gewesen wäre. Das ist die reine Wahrheit, Bruder Kennybol!«

»Gut, und weißt Du gewiß, daß dieser junge Mann der nämliche ist, der jetzt mit Norbiths Haufen hinter uns marschiert?«

»Gewiß! Unter tausend Gesichtern würde ich den herausfinden, der mein Glück gemacht hat. Es ist auch der nämliche Mantel und die nämliche schwarze Feder…«

»Ich glaube Dir, Guldon!«

»Und es ist offenbar, daß er den berühmten Gefangenen besucht hat, denn wäre es nicht um eines so großen Geheimnisses willen gewesen, so würde er den Schiffer nicht so reichlich beschenkt haben.«

»Du Hast Recht,«

»Und ich denke so bei mir, daß dieser junge Fremde den Grafen, den wir befreien wollen, vielleicht besser kennt, als Herr Hacket, der mir zu nichts gut scheint, als zu miauen, wie eine wilde Katze.«

»Du sagst da etwas, was ich auch denke. Ich möchte dem fremden jungen Herrn lieber gehorchen, als diesem Hacket, und wenn der Dämon von Island unser Anführer ist, so danken wir es weniger dem Schwätzer Hacket, als diesem Unbekannten.«

»Wirklich?« fragte Guldon.

Eben öffnete Kennybol den Mund zur Antwort, als ihm Norbith von hinten auf die Schulter schlug. »Kennybol,« sagte er, »wir sind verrathen. Gormon Woestroem kommt von Süden. Das ganze Regiment von Munckholm marschirt gegen uns. Die Uhlanen von Schleswig sind zu Sparbo, drei Compagnien dänischer Dragoner erwarten Pferde im Dorfe Löwig. Aus der ganzen Straße hat er eben so viele grüne Jacken als Büsche gesehen. Wir müssen schnell Skongen zu erreichen suchen und dürfen nicht Halt machen. Dort können wir uns wenigstens vertheidigen. Auch glaubte Gormon, als er durch die Schluchten des schwarzen Pfeilers kam, im Gesträuch Flintenläufe blitzen zu sehen.«

Der junge Anführer war bleich, aufgeregt, aber aus Blick und Ton sprachen gleichwohl Muth und Entschlossenheit.

»Unmöglich!« rief Kennybol aus.

»Sicher und gewiß!« erwiederte Norbith.

»Aber Herr Hacket …«

»Ist ein Verräther oder eine feige Memme. Daraus verlaß Dich, Kamerad Kennybol! … Wo ist er, dieser Hacket? …«

Der alte Jonas trat zu den Beiden. An der tiefen Muthlosigkeit, die allen seinen Zügen aufgedrückt war, ließ sich leicht erkennen, daß er bereits um die unglückliche Nachricht wußte.

Die Blicke der beiden Alten begegneten sich und sie schüttelten zumal die Köpfe.

»Nun, Jonas? Nun, Kennybol?« sagte Norbith.

Der alte Anführer der Bergleute von Faroer strich langsam mit der Hand über seine runzliche Stirne und antwortete auf den fragenden Blick, den ihm Kennybol zuwarf, mit gedämpfter Stimme: »Ja, es ist nur allzu wahr. Gormon Woestroem hat sie selbst gesehen.«

»Wenn dem so ist,« sagte Kennybol, »was ist zu thun?«

»Was zu thun ist?« versetzte Jonas.

»Ich glaube, Bruder Jonas, wir würden wohl daran thun, Halt zu machen.«

»Und noch besser, Bruder Kennybol, uns zurückzuziehen.«

»Halt machen! Zurückziehen!« rief Norbith aus. »Vorrücken muß man!«

»Vorrücken!« sagte Kennybol, »und die Arquebusiere von Munckholm?«

»Und die Uhlanen von Schleswig?« fügte Jonas hinzu,

»Und die dänischen Dragoner?« fuhr Kennybol fort.

Norbith stampfte mit dem Fuß auf den Boden: »Und die königliche Vormundschaft? Und meine Mutter, die vor Hunger und Kälte stirbt!«

»Teufel auch! die königliche Vormundschaft!« wiederholte Jonas.

»Was liegt daran!« sagte Kennybol.

Jonas nahm ihn bei der Hand: »Bruder Schütze, Ihr habt nicht die Ehre, der Mündel unseres glorreichen Souveräns Christiern IV. zu sein. Möge der heilige König Olaus, der im Himmel ist, uns von der Vormundschaft befreien!«

»Befreie Dich mit Deinem Säbel!« sagte Norbith wild.

»Kecke Worte,« antwortete Kennybol, »kosten einen jungen Menschen wenig, aber bedenkt, daß wenn wir weiter marschiren, alle diese Grünröcke …«

»Ich bedenke, daß es uns wenig nützen wird, uns wie Füchse vor den Wölfen in unsere Berge zu verkriechen, man kennt unsern Aufstand, man weiß unsere Namen, und wenn es einmal gestorben sein muß, so ziehe ich eine Flintenkugel dem Galgenstricke vor.«

Jonas nickte mit dem Kopf zum Zeichen der Zustimmung,

»Der Teufel auch!« sagte er. »Die Vormundschaft für unsere Brüder! Der Galgen für uns! Norbith könnte wohl Recht haben.«

»Deine Hand her, wackerer Norbith!« rief Kennybol aus. »Es ist Gefahr von beiden Seiten. Besser ist’s, gerade aus auf den Abgrund loszugehen, als rücklings hineinzustürzen.«

»Vorwärts denn!« schrie der alte Jonas und schlug an seinen Säbel.

Norbith schüttelte ihnen die Hand: »Hört, Brüder! Seid kühn wie ich, ich will klug sein wie ihr. Laßt uns heute nicht bälder Halt machen, als in Skongen. Die Besatzung ist schwach, wir können sie erdrücken. Laßt uns die Schluchten des schwarzen Pfeilers, weil es einmal sein muß, in tiefster Stille durchziehen. Wir müssen durch, wenn sie auch vom Feinde besetzt wären. Ich glaube, daß die Arquebusiere noch nicht an der Brücke von Ordals, vorwärts Skongen, sind, aber gleichviel! Tiefe-Stille!«

»Tiefe Stille!« wiederholte Kennybol.

»Jetzt, Jonas,« fuhr Norbith fort, »zurück auf unsern Posten! Morgen vielleicht sind wir zu Drontheim, trotz der Arquebusiere, der Uhlanen, der Dragoner und aller Grünröcke des Südens.«

Die drei Anführer kehrten zu ihren Haufen zurück. Bald lief das Losungswort: »Tiefe Stille« von Reihe zu Reihe, und diese kaum noch so tumultuarische Rebellenbande bot in diesen Wüsten, im düstern Scheine der sinkenden Sonne, nur noch eine Truppe stummer Gespenster dar, die geräuschlos über die Gräber des Kirchhofs hinstreicht.

Inzwischen verengte sich der Weg immer mehr zwischen zwei Felsenwällen, die je länger, je steiler sich erhoben.

In dem Augenblick, wo das röthliche Licht des Mondes mitten im kalten Dufte der Wolken sich erhob, neigte sich Kennybol zu Guldon Stayper: »Jetzt kommen wir an den Engpaß des schwarzen Pfeilers, Stille!«

Man hörte bereits das Geräusch des Waldstroms, der brausend zwischen den Felsen hinfließt, und im Süden sah man die ungeheure längliche Granitpyramide, die der schwarze Pfeiler heißt, sich auf dem Grau des Himmels und dem Schnee der umliegenden Berge abmalen. Die Rebellen, gezwungen, in diesen Engpässen ihre Kolonnen zu verlängern, setzten ihren Marsch fort. Sie durchzogen diese tiefen Schluchten, ohne eine Fackel anzuzünden, ohne einen Laut von sich zu geben. Selbst das Geräusch ihrer Schritte war von dem betäubenden Falle der Cascaden und dem Geheul des Windes übertönt. In den düstern Tiefen des Engpasses verloren, drang das oft umwölkte Licht des Mondes nicht bis zu dem Eisen ihrer Piken herab, und die weißen Adler, die je und je über ihren Häuptern hinflogen, merkten nicht, daß jetzt eine so große Menschenmenge ihren einsamen Aufenthalt erfülle.

Einmal klopfte Guldon Stayper mit seinem Gewehrkolben aus Kennybols Schulter: »Bruder, dort leuchtet etwas hinter jenem Ginster.«

»Ich sehe es,« erwiederte Kennybol, »es ist das Wasser des Waldstroms, in dem sich die Wolken spiegeln.«

Man schritt unaufhaltsam vorwärts.

Ein andermal faßte Guldon den Arm Kennybols: »Sind das nicht Gewehre, die da oben im Schatten des Felsen blitzen?«

Kennybol schüttelte den Kopf: »Beruhige Dich, Bruder! Es ist ein Lichtstrahl, der auf das Eis einer Felsenspitze fällt.«

Nach zwei Stunden eines beschwerlichen Marsches gelangte die Vorhut an den Ausgang der Schluchten des schwarzen Pfeilers. Guldon Stayper näherte sich Kennybol und äußerte leise seine Freude, daß sie endlich ohne Unfall am Ziel ihres Marsches angelangt seien, Kennybol lachte und schwur, daß er nicht einen Augenblick die Besorgnisse seines Gefährten getheilt habe. Für die meisten Menschen hat die Gefahr, wenn sie einmal vorüber ist, nicht bestanden, und sie heucheln einen Muth, der ihnen im dringenden Augenblick vielleicht gefehlt hätte.

In diesem Augenblicke zogen zwei runde Scheine, die im Gebüsche wie glühende Kohlen glänzten, Kennybols Aufmerksamkeit auf sich.

»Bei meiner armen Seele!« sagte er leise, indem er Guldons Arm faßte, »da sehe ich zwei glühende Augen, die Niemand anders angehören können, als der schönsten Pantherkatze, die je im Walde miaut hat.«

»Du hast Recht,« antwortete Guldon, »und wenn er nicht vor uns marschirte, so würde ich glauben, daß es die verfluchten Augen dieses isländischen Teufels…«

»Stille!« sagte Kennybol und nahm seine Büchse zur Hand. »Niemand soll sagen,« fuhr er fort, »daß ein solches Wild ungestraft vor Kennybols Augen gekommen ist.«

Der Schuß erfolgte, ehe Guldon Staypers Arm den unklugen Schützen zurückhalten konnte, aber nicht das klägliche Geschrei einer wilden Katze antwortete darauf, sondern ein furchtbares Tigergeheul, dem ein noch entsetzlicheres menschliches Lachen folgte.

Kaum war der unselige Schuß gefallen, als auf den Bergen, in den Schluchten, in den Wäldern ein tausendfaches: »Es lebe der König!« erscholl. Hinter ihnen, vor ihnen, neben ihnen ertönte der unerwartete Donner dieser Stimmen, dem von allen Seiten ein mörderisches Gewehrfeuer folgte.

XXXV.

Das Regiment der Arquebusiere von Munckholm, das wir auf dem Marsch nach Stongen verlassen haben, war in diese Stadt eingerückt. Nachdem der Oberst Baron Voethaün die nöthigen Anordnungen zur Einquartierung seiner Truppen, getroffen hatte, wollte er eben in seine Wohnung gehen, als er eine schwere Hand sich vertraulich auf seine Schulter legen fühlte. Er wendete sich um.

Vor ihm stand ein kleiner Mann, dessen großer Binsenhut sein Gesicht so bedeckte, daß man davon nur seinen dichten rothen Bart sah. Er war in einen grauen Mantel gewickelt und hatte große Handschuhe an.

»Was wollt Ihr von mir, guter Freund?« fragte der Oberst.

»Oberst der Arquebusiere von Munckholm,« erwiederte der Mann, »folge mir einen Augenblick, ich habe Dir eine Nachricht mitzutheilen.«

Bei dieser seltsamen Aufforderung blieb der Oberst einen Augenblick stumm vor Staunen.

»Eine wichtige Nachricht, Oberst!« wiederholte der Mann.

Dieses Beharren bestimmte den Entschluß des Obersten. In dem Augenblicke der Krisis, worin sich die Provinz befand, und bei der Mission, womit er beauftragt war, durfte man keine irgend nützliche Mittheilung von sich weisen. »So laß uns gehen!« sagte demnach der Oberst.

Der kleine Mann führte ihn vor die Stadt: »Oberst,« sagte er hier, »hast Du Lust, alle Rebellen mit einem Schlage zu vernichten?«

Der Oberst lächelte: »Dies hieße den Feldzug nicht übel eröffnen.«

»Nun denn, lege heute noch alle Deine Soldaten in den Schluchten des schwarzen Pfeilers in Hinterhalt; die Banden der Aufrührer werden diese Nacht daselbst lagern. Stürze Dich auf sie, und der Sieg wird leicht sein.«

»Wackerer Mann, der Rath ist gut, und ich danke Euch dafür. Aber woher wißt Ihr das, was Ihr mir da sagt?«

»Wenn Du mich kenntest, Oberst, so würdest Du vielmehr fragen, wie es möglich wäre, daß ich es nicht wüßte.« »Wer seid Ihr denn?«

Der Mann stampfte mit dem Fuße.

»Ich bin nicht hieher gekommen, Dir dies zu sagen.«

»Fürchtet nichts. Wer Ihr auch seid, der Dienst, den Ihr mir leistet, wird Euch zum Schutze gereichen. Vielleicht habt Ihr zu den Aufrührern gehört?…«

»Ich habe mich geweigert, an dem Aufstand Theil zu nehmen.«

»Warum dann Euern Namen verschweigen, da Ihr ein getreuer Unterthan des Königs seid?«

»Was liegt mir daran!«

Der Oberst suchte noch einige Erkundigungen von diesem seltsamen Menschen einzuziehen.

»Sagt mir doch, ist es wahr, daß der berüchtigte Han der Isländer die Aufrührer befehligt?«

»Han der Isländer!« wiederholte der Mann mit sonderbar gedehnter Stimme.

Der Oberst wiederholte seine Frage. Ein Auflachen, das fast einem Geheule glich, war die ganze Antwort, die er erhielt. Er versuchte noch mehr Fragen über die Zahl und die Anführer der Rebellen.

Der kleine Mann fertigte ihn mit den Worten ab: »Oberst der Arquebusiere von Munckholm, ich habe Dir Alles gesagt, was ich Dir zu sagen hatte. Lege Dich heute mit Deinem ganzen Regiment in dem Engpasse des schwarzen Pfeilers in Hinterhalt, um den ganzen Haufen der Rebellen mit einem Schlage zu vernichten.

»Wenn Ihr mir nicht sagt, wer Ihr seid, so entzieht Ihr Euch dadurch der Dankbarkeit des Königs; aber es ist billig, daß der Oberst Voethaün für den Dienst, den Ihr ihm leistet, Euch seinen Dank darbringe.«

Mit diesen Worten warf der Oberst dem kleinen Mann seine Börse vor die Füße. »Behalte Dein Gold, Oberst,« sagte dieser. »Ich brauche Dein Gold nicht,« fügte er hinzu, indem er auf einen schweren Geldsack deutete, der an seinem Gürtel befestigt war, »und wenn Du eine Belohnung verlangtest, um diese Leute zu tödten, so könnte ich Dir ihr Blut noch mit Gold bezahlen.«

Ehe noch der Oberst von dem Erstaunen zurückkam, worein ihn die unerklärbaren Worte dieses geheimnißvollen Wesens versetzt hatten, war der Mann verschwunden.

Der Oberst kehrte langsam in die Stadt zurück, und erwog bei sich, ob man wohl der Nachricht dieses Menschen Glauben schenken könne. Als er in seine Wohnung kam, überreichte man ihm ein Schreiben vom Großkanzler, worin ihm zu seiner Verwunderung der nämliche Rath ertheilt wurde, den ihm der mystische kleine Mann gegeben hatte.

XXXVI.

Als die Rebellen alle Pässe und Höhen von Feinden besetzt sahen, geriethen ihre bereits ordnungslosen Haufen in unbeschreibliche Verwirrung. Das furchtbare Feuer, das nun die aus ihrem Hinterhalt hervorgetretenen königlichen Truppen von allen Seiten auf sie schleuderten, nahm an Heftigkeit stets zu, und ehe noch von ihrer Seite ein einziger Schuß geantwortet hatte, herrschte schon überall Tod und Verwirrung in ihren Reihen. Ihre Streitkräfte waren in einem Engpasse zerstreut, der ungefähr eine Stunde Wegs lang aus der einen Seite von einem tiefen Waldstrome eingefaßt und auf der andern von einer hohen Felswand beherrscht ist.

Nachdem die erste Ueberraschung vorüber war, ergriff diese von Natur unerschrockenen Menschen alle zumal, wie einen einzigen Mann, ein Gefühl der Verzweiflung. Wüthend, sich so ohne Vertheidigung hingeschlachtet zu sehen, stießen sie ein furchtbares Geschrei aus, kletterten ohne Ordnung, fast ohne Waffen, unter dem unaufhörlichen Feuer der Feinde, die steile Felswand hinan, hielten sich mit den Händen, mit den Füßen, mit den Zähnen fest, schwangen ihre Säbel, ihre Hämmer, Waffen aller Art, boten ihren Gegnern einen so furchtbaren Anblick verzweifelnder Wuth dar, daß diese so wohl geordneten, so sicher aufgestellten Schaaren, die noch nicht einen einzigen Mann verloren hatten, sich eines unwillkürlichen Schauderns nicht enthalten konnten. Manche gelangten durch übermenschliche Anstrengung bis auf die Spitze der Felswand, aber kaum hatten sie Zeit, ihre Waffen gegen ihre Feinde zu erheben, so waren sie in den Abgrund zurückgestürzt. Es war gleich unmöglich zu fliehen oder sich zu vertheidigen; alle Ausgänge des Engpasses, alle zugänglichen Punkte waren besetzt. Einige zerschlugen selbst ihre Waffen an dem Felsen und warfen sich auf die Erde nieder, so den Tod erwartend, andere kreuzten die Arme über die Brust, hefteten den starren Blick auf den Boden, setzten sich am Wege nieder und harrten so, stumm und unbeweglich, bis eine Kugel sie treffen und in den Wellen des Stromes begraben würde. Diejenigen, welche mit Flinten bewaffnet waren, richteten auf Gerathewohl einige verlorene Schüsse gegen den Gipfel der Felsen, von denen ohne Unterbrechung ein Hagel von Kugeln herabregnete.

Die von dem tapfern und unklugen Kennybol angeführten Bergbewohner hatten vom Anfang des Treffens an am meisten gelitten. Sie bildeten; wie bereits gesagt, die Vorhut der Rebellen und hatten, als die ersten Schüsse fielen, einen Tannenwald erreicht, der den Ausgang des Engpasses bildet. Kaum war der unselige Schuß aus Kennybols Büchse gefallen, so bevölkerte sich, wie mit einem Zauberschlage, das Gehölz mit feindlichen Plänklern und schloß sie in einen Zirkel von Feuer ein, während von der Spitze eines abgeplatteten Felsens ein ganzes Bataillon des Regiments von Munckholm sie mit einem Kugelregen übergoß. In dieser furchtbaren Krisis warf Kennybol in seiner Verwirrung seine Augen auf den geheimnißvollen Riesen, da er keine andere Rettung mehr erwartete, als von einer übermenschlichen Macht, wie die Hans des Isländers war. Jetzt, dachte er, jetzt wird der furchtbare Dämon plötzlich zwei ungeheure Flügel entfalten, sich hoch über die Streitenden in die Wolken erheben und die Feinde mit einem Feuerstrome übergießen; jetzt wird auf einmal seine Gestalt größer und immer größer werden, bis sie in den Himmel ragt, dann wird er mit seinen Riesenarmen einen Berg ergreifen und die Feinde darunter begraben; jetzt wird er mit dem Fuß auf die Erde stampfen, und sie wird sich alsbald öffnen und die Feinde in ihrem Schooße verschlingen. Von Allem diesem geschah nichts. Der gefürchtete Han wich bei den ersten Schüssen zurück, wie die Andern, kam ziemlich bestürzt zu Kennybol und verlangte von ihm eine Büchse, weil, wie er mit ganz gewöhnlicher Menschenstimme sagte, in diesem Augenblicke seine Axt so wenig brauchbar sei, als die Kunkel eines alten Weibes.

Kennybol, verwundert, aber immer noch voll Glauben an die dämonischen Eigenschaften des Riesen, händigte ihm mit einem Schrecken, der ihn fast die Furcht vor den feindlichen Kugeln vergessen ließ, seine eigene Büchse ein. Immer noch hoffte er auf ein Wunder. Jetzt, dachte er, wird in des Dämons Händen meine Büchse so groß werden, wie eine Kanone, oder sich in einen geflügelten Drachen verwandeln, der aus Augen, Rachen und Naslöchern Feuer auf die Feinde speit. Wie groß war aber die Verwunderung des armen Schützen, als er den Dämon seine Büchse auf ganz ordinäre Weise mit Pulver und Blei laden, nach Art aller Schützen an den Backen legen und wie ein anderes Menschenkind losschießen sah, ohne auch nur so gut zu zielen, als er, Kennybol, hätte thun können. Er sah ihn mit stummer Verwunderung dieses ganze mechanische Verfahren mehrmals wiederholen, und da er nun begriff, daß er nicht länger auf ein Wunder zählen dürfe, dachte er darauf, sich und seine Gefährten durch irgend ein menschliches Mittel aus ihrer übeln Lage zu reißen. Schon war sein alter Kamerad Guldon Stayper an seiner Seite gefallen, und seine Bergbewohner, von allen Seiten eingeschlossen, drängten sich aufeinander, wie eine Heerde Schafe, stießen ein klägliches Geschrei aus und dachten nicht an Vertheidigung. Da Kennybol leicht begriff, welchen Vortheil diese gedrängte Stellung dem feindlichen Feuer gewährte, befahl er seinen unglücklichen Gefährten, sich zu zerstreuen und längs des Weges in die Gebüsche zu werfen, um von dort aus das Feuer des Feindes nach Kräften zu erwiedern. Die Bergbewohner, die als Schützen größtentheils wohl bewaffnet waren, vollzogen mit pünktlichem Gehorsam diesen Befehl, der jedoch bei weitem noch nicht zum Siege, nicht einmal zur Rettung führte, Die Hälfte der Bergbewohner war bereits gefallen, und mehrere von ihnen blieben, trotz des guten Beispieles, das ihnen ihr Anführer und der Riese gaben, vollkommen unthätig, stützten sich stumpfsinnig auf ihre Gewehre und beharrten dabei, den Tod zu empfangen, ohne ihn zu geben. Wer sich darüber wundern möchte, daß Menschen, welche jeden Tag ihr Leben auf Schneebergen und Gletschern wagten, die der Fährte der Gemse aus ihrer gefährlichen Bahn folgten oder den wilden Bären in seinem Lager aufsuchten, so bald den Muth verloren hatten, der bedenke, daß bei gewöhnlichen Seelen der Muth örtlich ist; Mancher lacht dem feindlichen Kartätschenfeuer gegenüber und zittert in der Finsterniß oder am Rande eines Abgrunds; Mancher zittert vor der Mündung einer Kanone und setzt mit einem Sprung über den tiefsten Abgrund, oder tritt jeden Tag den wildesten Thieren entgegen. Die Unerschrockenheit ist häufig bloße Gewohnheit, und wenn man auch dem Tod unter dieser oder jener Form trotzt, so hat man darum nicht aufgehört, ihn zu fürchten.

Kennybol, von den Trümmern seiner Haufen umgeben, begann selbst am Erfolg zu verzweifeln, obgleich er erst eine leichte Wunde am linken Arm erhalten hatte und den dämonischen Riesen sein Handwerk als Musketier mit der ruhigsten Pünktlichkeit vollziehen sah. Plötzlich bemerkte er, unter dem auf der Höhe aufgestellten feindlichen Bataillon eine außerordentliche Verwirrung, die sicherlich nicht durch den geringen Schaden, den ihm das schwache Feuer der Bergbewohner zufügte, entstanden sein konnte. Aus diesem bis jetzt siegreichen Haufen ertönten auf einmal Geschrei Verwundeter und Sterbender, Töne der Verwirrung und des Schreckens. Bald ließ das Gewehrfeuer nach, der Rauch verzog sich, und Kennybol sah deutlich von der Spitze des Felsen, der das Plateau beherrschte, ungeheure Granitblöcke auf die Arquebusiere von Munckholm hinabfallen. Diese Felsstücke folgten sich in ihrem Falle mit reißender Schnelligkeit; man hörte sie mit großem Geräusch eines über das andere fallen, die Linien der Soldaten lösten sich auf, sie verließen in ordnungslosen Haufen die Höhen und flohen in allen Richtungen davon.

Bei dieser unerwarteten Hülfe wandte Kennybol den Kopf nach dem Riesen um, er war zu seinem Erstaunen noch da, denn er hatte nicht anders geglaubt, als daß Han der Isländer endlich sich in die Lüfte geschwungen habe, und jetzt von der Höhe jenes Felsen den Feind zermalme. Er hob die Augen zu dem Gipfel des Felsen, von welchem die furchtbaren Steinmassen herabfielen, und sah nichts. Er konnte daher nicht glauben, daß ein Theil der Rebellen jenen wichtigen Posten eingenommen habe, weil er dort keine Waffen schimmern sah und kein Siegesgeschrei hörte. Inzwischen hatte das Feuer vom Plateau ganz aufgehört. Das dichte Gehölz verbarg die Trümmer des Bataillons, das sich ohne Zweifel am Fuß der Höhe wieder sammelte. Selbst das Feuer der Plänkler war weniger lebhaft geworden, Kennybol benützte als besonnener Anführer diesen unerwarteten Vortheil, machte seine Waffenbrüder auf die Verwirrung in den feindlichen Reihen aufmerksam und feuerte ihren gesunkenen Muth an. Jetzt stimmten die Bergbewohner ein Siegsgeschrei an, bildeten sich in Colonne und rückten vorwärts, entschlossen, um jeden Preis den Ausgang des Passes zu gewinnen.

Die Colonne rückte unter dem Ruf: »Freiheit! Freiheit! Keine Vormundschaft mehr!« gegen den Feind vor. Bald stießen die Bergbewohner auf den Rest der Bataillone, der sich wieder geordnet, so wie durch einige andere Truppen verstärkt hatte, und nun unter dem Schall der Trommeln und Hörner gegen die Rebellen vorrückte. In der Entfernung eines halben Flintenschusses machten die königlichen Truppen plötzlich Halt; ein Offizier mit einer weißen Fahne in der Hand, die er zum Zeichen seines friedlichen Auftrags schwenkte, ging, von einem Trompeter begleitet, den Rebellen entgegen.

Das plötzliche Anrücken der königlichen Truppen hatte Kennybol nicht erschreckt. Es gibt einen Höhepunkt im Gefühle der Gefahr, welcher der Ueberraschung und Furcht unzugänglich ist. Beim ersten Schall der Hörner und Trommeln hatte Kennybol seine Bergbewohner Halt machen lassen. Als die Front der feindlichen Colonne in guter Ordnung vorrückte, ließ er alle Büchsen laden und vertheilte seine Bergbewohner zu zwei und zwei, um den feindlichen Ladungen weniger Oberfläche darzubieten. Er selbst stellte sich an die Spitze neben den Riesen, mit welchem er sich in der Hitze des Gefechtes zu befreunden begann, da er allmählig bemerkt hatte, daß seine Augen gerade nicht so glühend waren, als der Hochofen eines Eisenwerks, und daß die angeblichen Klauen an seinen Händen sich nicht sehr von bei Länge gewöhnlicher Nägel entfernten.

Inzwischen war der Offizier mit der weißen Fahne bis in die Mitte des Raumes gelangt, der die beiden Colonnen trennte. Hier hielt er an und sein Begleiter stieß dreimal in die Trompete, Zugleich rief der Offizier mit lauter Stimme: Im Namen des Königs! Die Gnade des Königs ist allen denjenigen unter den Rebellen bewilligt, welche sogleich die Waffen ablegen und ihre Anführer der souveränen Justiz Sr. Majestät ausliefern weiden!

Kaum hatte der Parlamentär diese Worte geendigt, so fiel ein Schuß aus dem nahen Gebüsche. Der getroffene Offizier schwankte, hob seine Fahne über das Haupt, that noch einige Schritte und fiel mit dem Rufe: Verrath! Verrath!

Niemand wußte, wer den Schuß gethan hatte.

»Verrath! Verrath!« wiederholten die Arquebusiere mit wüthendem Geschrei, und eine furchtbare Gewehrsalve begrüßte die Bergbewohner.

»Verrath! Verrath!« riefen ihrerseits die Rebellen, als sie ihre Brüder neben sich fallen sahen, und eine allgemeine Ladung antwortete der Salve der Soldaten,

»Nieder mit ihnen! Nieder mit ihnen!« schrieen die Offiziere, ihre Soldaten anfeuernd,

»Nieder, nieder mit ihnen!« antworteten die Bergbewohner.

Bald trafen die beiden Colonnen in der Mitte der Distanz zusammen, und ein wüthender Kampf mit den blanken Waffen erhob sich. Die Reihen wurden durchbrochen und mischten sich untereinander. Rebellenanführer, königliche Offiziere, Soldaten, Bergbewohner, Alle in bunter Mischung, trafen zusammen, packten, erwürgten, erschlugen, zerrissen sich, wie zwei Haufen hungriger Tiger, die in einer Wüste aufeinander stoßen. Piken und Bajonette waren jetzt unbrauchbar geworden; bloß Säbel und Aexte sah man über den Häuptern der Streiter glänzen, und viele Kämpfer, die sich umfaßt hielten, konnten sogar keine andere Waffe mehr brauchen, als den Dolch, das Messer oder die Zähne. Beide Theile fochten mit gleichem Muth, und das Handgemenge war bis zu jenem Grade gestiegen, wo thierische Wildheit alle Herzen ergreift, wo man den Tod eines Feindes, den man nicht kennt, seinem eigenen Leben vorzieht, wo man gleichgültig über Haufen Todter und Verwundeter wegschreitet, wo der Sterbende den Fuß, der ihn zu Boden tritt, noch mit den Zähnen zerfleischt.

In diesem Augenblicke warf sich ein kleiner Mann, den mehrere Kämpfer, da er in Thierfelle gehüllt war, im Anfang für ein wildes Thier hielten, mit schrecklichem Lachen und Freudengeheul mitten in das Toben der Schlacht. Niemand wußte, woher er kam, noch für welchen Theil er focht, denn seine steinerne Axt wählte die Schlachtopfer nicht und spaltete eben sowohl den Scheitel eines Rebellen, als den Bauch eines Soldaten. Gleichwohl schien er lieber die Arquebusiere von Munckholm niederzumachen. Alle flohen seine Nähe; er schwebte durch das Handgemenge hin wie ein böser Geist, und ohne Unterlaß schwang er seine blutige Axt über dem Haupte; auf allen Seiten flogen abgehauene Stücke Fleisch und gebrochene Glieder um ihn her. Er rief »Rache!« wie alle Andern, und stieß unverständliche Worte aus, unter welchen der Name Gill häufig vorkam. Das Blutbad schien ein Freudenfest für den schrecklichen Unbekannten zu sein.

Ein Bergbewohner, über dessen Haupt das Unthier seine Axt schwang, fiel zu den Füßen des Riesen nieder, auf welchen Kennybol so viele jetzt getäuschte Hoffnungen gesetzt hatte, und rief: »Han von Island, rette mich!«

»Han von Island!« wiederholte der kleine Mann und wandte sich dem Riesen zu. »Bist Du Han der Isländer?« sagte er.

Statt aller Antwort hob der Riese seine eiserne Axt gegen ihn. Der kleine Mann sprang rückwärts, und die Axt fuhr in den Schädel des Unglücklichen, der den Riesen um Hülfe angefleht hatte.

Der Unbekannte schrie lachend: »Ho! Ho! Bei Ingulph dem Vertilger! Ich hielt Han den Isländer nicht für so ungeschickt.«

»So rettet Han der Isländer, wer ihn ansieht!« sagte der Riese.

»Da hast Du Recht!«

Jetzt erhob sich ein furchtbarer Kampf zwischen den Beiden. Eiserne und steinerne Axt klirrten unaufhörlich an einander. Beide fielen bald in Stücken zu Boden.

Schnell wie ein Gedanke raffte der kleine Mann eine schwere hölzerne Keule vom Boden aus, die ein Sterbender hatte fallen lassen, wich dem Riesen aus, der sich gebückt hatte, um ihn mit den Armen zu packen, und brachte seinem kolossalen Gegner einen furchtbaren Schlag über die Stirne bei.

Der Riese stieß einen Schrei aus und fiel zu Boden. Der kleine Mann, schäumend vor Wuth, trat ihn unter die Füße.

»Du führtest einen Namen, der für Dich zu schwer war,« rief er aus, schwang seine siegreiche Waffe und suchte nach andern Schlachtopfern.

Der Riese war nicht todt, sondern nur betäubt von der Heftigkeit des Schlages. Er öffnete die Augen und machte einige schwache Bewegungen, da warf sich ein Soldat mit dem Rufe auf ihn: »Sieg! Han der Isländer ist gefangen! Sieg!«

»Han der Isländer ist gefangen!« ertönte jetzt von allen Seiten, von den Einen im Tone des Triumphs, von den Andern in dem der Muthlosigkeit. Der kleine Mann war verschwunden. Die tapfern Bergbewohner fühlten sich bereits seit einiger Zeit übermannt, da ihre Feinde von allen Seiten Verstärkung erhielten. Jetzt wurde auch der muthige Kennybol, schon im Anfang des Treffens verwundet, gefangen genommen. Die Gefangennehmung Hans des Isländers schlug vollends ihren Muth nieder, sie legten die Waffen ab und ergaben sich.

Als die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne die weißen Gipfel der hohen Schneeberge beleuchteten, herrschte tiefe Ruhe und feierliche Stille in den Schluchten des schwarzen Pfeilers. Dunkle Schaaren von Raubvögeln flogen über das Schlachtfeld hin, angelockt von dem Geruch der Leichname, und als die versteckten Hirten, welche vor den Tönen der Schlacht in verborgene Höhlen geflohen waren, wieder das Licht des Tages begrüßten, sahen sie ein Thier mit menschlichem Angesicht auf todten Körpern sitzen und das noch warme Blut der Erschlagenen trinken.

XXXVII.

»Oeffne dieses Fenster, meine Tochter! Diese Scheiben sind sehr trübe; ich möchte den Tag ein wenig sehen.«

»Sehen Sie den Tag, mein Vater? Die Nacht ist nahe.«

»Noch bescheint die Sonne die Hügel, welche den Golf umringen. Ich bedarf dieser reinen Luft, welche durch die Gitter meines Kerkers dringt. Der Himmel ist so hell und schön.«

»Am fernen Horizont zieht ein Gewitter auf, mein Vater!«

»Ein Gewitter, Ethel! Wo siehst Du es?«

»Eben weil der Himmel rein ist, mein Vater, mache ich mich auf ein Gewitter gefaßt.«

Der Greis warf einen Blick des Staunens auf die Jungfrau.

»Wenn ich das in meiner Jugend bedacht hätte,« sprach er, »so wäre ich nicht hier. Was Du hier sagst, ist richtig, aber es geht über Dein Alter. Ich begreife nicht, wie es kommt, daß Deine junge Vernunft meiner alten Erfahrung gleicht.«

Ethel schlug die Augen nieder, wie verwirrt durch diese einfach ernste Betrachtung. Ihre beiden Hände falteten sich in stummem Schmerz, und ein tiefer Seufzer hob ihre Brust.

»Meine Tochter,« sagte der alte Gefangene, »seit einigen Tagen bist Du bleich, als ob ein heißes Blut durch Deine Adern geströmt wäre. Wenn Du Morgens aufstehst, sind Deine Augen roth und angeschwollen, wie nach einer durchwachten und durchweinten Nacht. Seit mehreren Tagen sitze ich einsam und verlassen, und Deine Stimme entreißt mich nicht dem düstern Nachsinnen über mein vergangenes Leben, Du bist trauriger als ich, der alte Gefangene, und doch lastet nicht auf Deinen Schultern, wie auf den meinigen, das Gewicht eines leeren und nichtigen Lebens. Trübsinn mag die Jugend befallen, aber er nistet sich nicht ein in die Tiefen ihres Herzens. Die Wolken des Morgens haben sich am Abend verzogen. Du bist in dem Alter, wo man sich in Träumen eine von der Gegenwart unabhängige Zukunft schafft, welche es auch sei. Was ist Dir denn, mein Kind? Dank dieser eintönigen Gefangenschaft, bist Du vor unvorhergesehenen Unfällen gesichert! Welchen Fehler hast Du denn begangen? Mein Loos kann Dich nicht so beugen, bist Du an mein Unglück gewöhnt, Du weisst, daß es ohne Abhülfe ist. Wenn auch hoffnungslos, bin ich am Rande des Grabes; warum solltest Du verzweifeln in den Tagen Deines blühenden Alters?«

Die strenge und ernste Stimme des alten Gefangenen war allmählig weich geworden und hatte fast den Ton väterlicher Rührung angenommen. Ethel stand stumm vor ihm. Plötzlich wandte sie sich mit einer fast krampfhaften Bewegung ab, sank auf die Kniee und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen, als wollte sie die Thränen und Seufzer ersticken, die unwiderstehlich ihrem gepreßten Herzen entströmten.

Der Vater schüttelte das greise Haupt, lächelte bitter und warf einen ernsten Blick auf seine Tochter: »Ethel,« sprach er, »warum weinst Du, während Du doch nicht unter den Menschen lebst?«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so erhob sich das sanfte und edle Geschöpf von der Erde. Die kindliche Liebe gab ihr die Kraft, ihren Schmerz tief in ihr Inneres zu verschließen. Sie fuhr mit ihrer Leibbinde über die Augen und gebot ihren Thränen Stillstand.

»Verzeihen Sie mir, mein Vater,« sagte sie, »es war nur ein Anfall von Schwäche.«

Sie heftete einen aus Thränen lächelnden Blick auf den verehrten Greis, holte die Edda, setzte sich neben ihren schweigsamen Vater und öffnete das Buch auf Gerathewohl. Sie bezwang die Rührung ihrer Stimme und las; aber der Ton ihrer Stimme verflog nutzlos, denn weder sie noch ihr Vater achteten darauf.

»Genug, meine Tochter!« sagte der Greis und gab ein Zeichen mit der Hand.

Sie schloß das Buch.

»Ethel,« fragte der Vater, »denkst Du bisweilen an Ordener?«

Die Jungfrau bebte.

»An jenen Ordener,« fuhr der Vater fort, »der abgereist ist …« »Warum an ihn denken, mein Vater?« unterbrach ihn Ethel. »Ich denke, wie Sie, daß er nie wiederkehren wird.«

»Nie wiederkehren, meine Tochter! Das könnte ich nicht sagen. Im Gegentheil sagt mir irgend eine Ahnung, daß er wiederkommen wird.«

»So dachten Sie nicht, mein Vater, als Sie mit so vielem Mißtrauen von diesem jungen Manne sprachen.«

»Habe ich denn mit Mißtrauen von ihm gesprochen?«

»Ja, mein Vater, und ich trete Ihrer Meinung bei; ich glaube, daß er uns getäuscht hat.«

»Daß er uns getäuscht hat, meine Tochter! Wenn ich ihn so beurtheilte, so habe ich gehandelt, wie alle Menschen, die ohne Beweis verdammen. Ich habe von diesem Ordener lauter Zusicherungen seiner Ergebenheit erhalten.«

»Und wissen Sie denn, mein ehrwürdiger Vater, ob hinter diesen treuherzigen Worten nicht treulose Gesinnungen versteckt waren?«

»In der Regel drängen sich die Menschen nicht zu dem ohnmächtigen Unglück. Wenn dieser Ordener nicht Anhänglichkeit an mich gefühlt hätte, wäre er nicht so ohne Zweck in meinen Kerker gekommen.«

»Wissen Sie gewiß,« fuhr Ethel mit schwacher Stimme fort, »daß er keinen Zweck dabei hatte?«

»Und welchen denn?« fragte lebhaft der Greis.

Die Jungfrau schwieg.

Es kostete sie zu viel Mühe, den geliebten Ordener, den sie sonst gegen ihren Vater vertheidigt hatte, jetzt vor ihm anzuklagen.

»Ich bin nicht mehr der Graf von Greiffenfeld,« fuhr der alte Gefangene fort. »Ich bin nicht mehr der Großkanzler von Dänemark und Norwegen, nicht mehr der begünstigte Vertheiler der königlichen Gnadenspenden, der allmächtige Minister, sondern ein armseliger Staatsgefangener, ein Geächteter, ein politisch Verpesteter. Es beweist schon Muth, wenn man gegen diese Menschen, die ich mit Ehre und Reichthum überhäuft habe, meiner nur ohne Verwünschung erwähnt; es ist Entsagung, wenn man die Schwelle dieses Kerkers betritt, außer man wäre ein Kerkermeister oder Henker! Es ist Heldenmuth, wenn man sie als mein Freund betritt. Nein, ich will nicht undankbar sein, wie dieses ganze menschliche Geschlecht. Dieser junge Mann hat meine Dankbarkeit verdient, und wenn es für nichts Anderes wäre, als daß er mir ein wohlwollendes Gesicht gezeigt hat und mich eine tröstende Stimme vernehmen ließ.«

Diese Sprache, die einige Tage früher die Jungfrau entzückt hätte, zerschnitt jetzt ihr Herz. Der Greis fuhr mit feierlicher Stimme fort: »Höre, meine Tochter, ich will jetzt ein ernstes Wort zu Dir reden. Ich fühle, daß meine Kräfte schwinden, das Leben zieht sich allmählig aus diesem abgelebten Körper zurück, ich fühle, daß mein Ende naht.«

Ethel unterbrach ihn durch einen halberstickten Seufzer.

»Um Gotteswillen, mein Vater, reden Sie nicht so! Schonen Sie Ihre arme Tochter! Wollen Sie mich einsam zurücklassen auf der Welt? Was soll dann aus mir werden? Was bin ich ohne Ihren Schutz?«

»Der Schutz eines Geächteten!« sagte der Greis mit Kopfschütteln. »Doch eben daran denke ich ja. Die Sorge für Dein künftiges Glück, meine Tochter, drückt mich mehr, als das Andenken an mein vergangenes Unglück. Darum höre die Worte Deines Vaters. Dieser Ordener verdient Dein strenges Urtheil nicht, und ich glaubte bis jetzt, daß Du keine solche Abneigung gegen ihn hättest. Sein Aeußeres ist edel und offen, was zwar allerdings nichts für sein Inneres beweist; aber ich muß gestehen, daß er mir nicht ohne einige Tugenden scheint, obwohl das menschliche Herz den Keim aller Laster und Verbrechen in sich trägt. Keine Flamme ist ohne Rauch.

»Im Vorgefühl meines nahen Todes,« fuhr der Greis feierlich fort, »habe ich an Dich und ihn gedacht, und wenn er zurückkommt, wie ich hoffe, so gebe ich ihn Dir zum Beschützer und Gatten.«

Die Jungfrau erbleichte. In demselben Augenblicke, wo ihre Träume für immer in Rauch zerflogen waren, wollte ihr Vater sie verwirklichen. Der bittere Gedanke: »Ich konnte also glücklich sein!« gab ihrer Verzweiflung ihre ganze Kraft wieder. Sie blieb einen Augenblick sprachlos, damit die glühenden Thränen, die in ihrem Auge starrten, ihm nicht entfliehen möchten.

»Wie, mein Vater!« sagte sie endlich mit erloschener Stimme, »Sie wollten mich einem Unbekannten zum Weibe geben, dessen Namen, dessen Geburt, dessen Familie Sie nicht kennen?«

»Ich wollte Dich ihm nicht geben, ich gebe Dich ihm,« erwiederte der Vater in fast gebietendem Tone.

Ethel seufzte.

»Ich gebe Dich ihm, sage ich. Was liegt mir an seiner Geburt? Was geht mich seine Familie an? Er ist der einzige Rettungsanker, der Dir übrig bleibt. Ich glaube, daß er nicht denselben Widerwillen gegen Dich hegt, wie Du gegen ihn.«

Das arme Mädchen hob ihre Augen gen Himmel.

»Du hörst es, Ethel, ich kümmere mich nichts um seine Geburt. Er ist ohne Zweifel von gemeinem Stande, denn in den Palästen der Großen lehrt man diejenigen, die darin geboren werden, nicht, die Hütten der Unglücklichen und die Kerker der Gefangenen zu besuchen. Wozu diese stolzen Rückerinnerungen? Ethel Schuhmacher ist nicht mehr Prinzessin von Wollin und Gräfin von Tongsberg! Du bist tiefer gefallen, als Dein Vater stand, da er sich erhoben hat. Schätze Dich also glücklich, wenn dieser Mann Deine Hand annimmt, welches auch seine Familie sei. Ist er von niederem Stande, desto besser, dann wird Dein Leben wenigstens vor den Stürmen sicher sein, die Dein Vater überstanden hat. Du wirst ferne vom Neid und Haß der Menschen, unter irgend einem unbekannten Namen ein verborgenes Dasein verleben, das glücklicher enden wird, als die Laufbahn meiner Größe …«

Ethel war vor ihrem Vater auf die Kniee gesunken.

»O, mein Vater! … Gnade!«

Der Greis öffnete erstaunt seine Arme.

»Was willst Du damit sagen, mein Kind?«

»Um Gotteswillen, schildern Sie mir ein Glück nicht, das mir nicht beschieden ist!«

»Ethel, spiele nicht mit Deinem ganzen künftigen Lebensglück! Ich habe die Hand einer Prinzessin von königlichem Geblüt, einer Prinzessin von Holstein-Augustenburg ausgeschlagen, und mein Stolz ist grausam bestraft worden. Du willst einen ehrlichen Mann abweisen, weil er nicht von hoher Geburt ist. Zittere, Du möchtest eben so hart gezüchtigt werden!«

»Möchte doch dieser Ordener ein rechtlicher unbekannter Mann sein!« murmelte Ethel.

Der Greis erhob sich und ging mit heftigen Schritten durch das Zimmer.

»Mein Kind, es ist Dein armer alter Vater, der Dich bittet und Dir befiehlt. Versprich mir, diesen Fremdling zum Gatten anzunehmen, damit ich ruhig sterben kann.«

»Ich werde Ihnen immer gehorchen, mein Vater! Doch zählen Sie nicht aus seine Rückkehr …«

»Ich habe die Wahrscheinlichkeiten abgewogen, und nach dem Tone, womit dieser Ordener Deinen Namen aussprach, glaube ich …«

»Daß er mich liebt!« unterbrach ihn die Tochter mit Bitterkeit. »O, nein, glauben Sie das nicht!«

»Ich weiß nicht, ob er Dich liebt; aber ich weiß, daß er zurückkommen wird.« »Geben Sie diesen Gedanken auf, mein edler Vater! Und wenn Sie diesen Fremdling kennten, so würden Sie nicht mehr wünschen, daß er der Gatte Ihrer Tochter sei.«

»Er wird es sein, welches auch sein Name und sein Stand sei.«

»Wenn nun,« erwiederte die Jungfrau feierlich, »dieser Unbekannte, in welchem Sie einen Tröster, den künftigen Beschützer Ihrer Tochter erblicken, der Sohn eines Ihrer Todfeinde, des Vicekönigs von Norwegen, des Grafen Guldenlew wäre?«

Der Greis wich drei Schritte zurück: »Was sagst Du da? Großer Gott! Ordener! Dieser Ordener! … Das ist unmöglich! …«

Der unaussprechliche Ausdruck von Haß, der sich in allen Zügen des alten Mannes malte, erfüllte Ethels Herz mit Schauder, und sie bereute das unkluge Wort, das sie gesprochen hatte.

Der Schlag war gefallen. Der Greis blieb einige Augenblicke unbeweglich mit gekreuzten Armen; sein ganzer Körper zitterte, seine flammenden Augen schienen den kalten Stein des Fußbodens durchdringen zu wollen. Allmählig entfuhren seinen blauen Lippen einige mit schwacher Stimme von einem Träumenden ausgesprochenen Worte.

»Ordener! … Ja, so ist es, Ordener Guldenlew! … So ist es! … Ganz richtig! … Schuhmacher, alter Thor, öffne ihm doch deine Arme, dieser redliche junge Mensch kommt, um dir den Dolch ins Herz zu stoßen …«

Plötzlich stampfte er mit dem Fuß auf den Boden, und seine Stimme ward donnernd.

»Ha! So haben sie mir denn ihr ganzes schändliches Geschlecht auf den Hals geschickt, mich in meinem Falle zu verhöhnen! Ich mußte einen Ahlfeldt vor Augen sehen! Ich habe einem Guldenlew zugelächelt! … Die Unmenschen! Wer hätte von diesem Ordener geglaubt, daß er diesen Namen führe, daß er ein solches Herz habe! Wehe mir! Wehe ihm!«

Der Greis fiel erschöpft in seinen Lehnsessel. Seine Brust arbeitete gewaltig. Seine weinende Tochter saß zu seinen Füßen.

»Weine nicht, meine Tochter!« sagte der Greis mit düsterer Stimme. »Komm an mein Herz!«

Er drückte sie an seine Brust.

»Du hast heller gesehen, junges Mädchen,« fuhr er fort, »als Dein alter Vater. Die giftige Schlange mit den Taubenaugen hat Dich nicht getäuscht. Ich danke Dir für Deinen Haß gegen diesen schändlichen Ordener.«

»Mein Vater, beruhigen Sie…«

»Schwöre mir, stets die nämlichen Gesinnungen gegen Guldenlews Sohn zu hegen!«

»Gott verbietet den Schwur, mein Vater!«

»Schwöre es mir, meine Tochter! Schwöre mir, immer die nämlichen Gesinnungen gegen diesen Ordener Guldenlew zu hegen!«

Ethel konnte mit Wahrheit antworten: »Immer!«

»Wohl, meine Tochter! Ich vermache Dir meinen Haß gegen sie, denn Ehre und Gut haben sie mir geraubt, und ich kann Dir sonst nichts hinterlassen. Die Elenden! Und ich war es, dem sie Macht und Ehre verdanken! Im Namen des Himmels und der Hölle verfluche ich sie in ihrem Dasein und in ihrer fernsten Nachkommenschaft!«

Der Greis schwieg einige Augenblicke und fuhr dann fort: »Aber sage mir, mein Kind, wie hast Du entdeckt, daß dieser Verräther einen der verabscheuten Namen führte, die mit Gift und Galle in mein Herz geschrieben sind? Wie bist Du hinter dieses Geheimniß gekommen?«

Die Jungfrau nahm alle ihre Kraft zusammen, diese Frage zu beantworten, als plötzlich die Thüre sich öffnete. Ein schwarz gekleideter Mann, einen Stab von Ebenholz in der Hand und eine gebräunte Stahlkette um den Hals, erschien auf der Schwelle, umgeben von schwarz gekleideten Hellebardieren.

»Was willst Du von mir?« fragte der Gefangene mit unwilligem Staunen.

Ohne zu antworten und ohne ihn nur anzusehen, rollte der Mann ein langes Pergament aus, an welchem ein Siegel von grünem Wachs an einer seidenen Schnur hing, und las mit lauter Stimme:

»Im Namen Sr. Majestät, unseres allergnädigsten Königs und Herrn, König Christiern!

»Kund und zu wissen dem Staatsgefangenen Schuhmacher in der königlichen Festung Munckholm und dessen Tochter, daß sie dem Vorweiser dieses zu folgen haben.«

»Was willst Du von mir?« wiederholte der Gefangene.

Statt aller Antwort begann der schwarze Mann abermals das königliche Dekret abzulesen.

»Schon gut!« sagte der Greis.

Er stand auf und gab seiner erstaunten Tochter ein Zeichen, mit ihm diesem Unglücksboten zu folgen.

XXXVIII.

Die Nacht war eben angebrochen. Ein kalter Wind pfiff um den verfluchten Thurm, und die Pforten der Ruinen von Vygla erzitterten in ihren Angeln, als ob derselbe Arm sie alle zumal geschüttelt hätte.

Die rohen Thurmbewohner, der Henker und seine Familie, saßen um das Feuer, das in der Mitte des Zimmers brannte und seinen röthlich flackernden Schein auf ihre finstern Gesichter und scharlachenen Gewänder warf. In den Gesichtszügen der Kinder lag etwas Wildes, wie das Lachen ihres Vaters, und etwas Grasses, wie der Blick ihrer Mutter. Die Augen des Weibes und der Kinder waren auf Orugix gerichtet, der, auf einem hölzernen Schemel sitzend, auszuschnaufen schien, und dessen mit Staub bedeckte Füße verriethen, daß er einen langen Weg gemacht habe.

»Weib, höre! Kinder, hört!« sprach er. »Ich bin nicht umsonst zwei Tage abwesend gewesen und bringe keine schlechte Nachrichten mit. Wenn ich nicht, ehe ein Monat vergeht, königlicher Vollstrecker der hohen Gerichtsbarkeit bin, so soll man von mir sagen, ich wisse keine Schleife an einen Strick zu machen und könne kein Beil führen. Freut Euch, Ihr jungen Wölflein, Euer Vater hinterläßt Euch vielleicht sogar das Schaffot von Kopenhagen zum Erbe.«

»Nychol,« fragte Bechlie, »was gibt es denn?«

»Und Du, meine alte Zigeunerin,« fuhr Nychol mit seinem schwerfälligen Lachen fort, »freue Dich, auch Du kannst ein Halsband von blauen Glaskorallen kaufen, um damit Deinen Storchenhals zu schmücken. Unsere eheliche Verpflichtung ist bald zu Ende; wenn Du mich aber in einem Monat mit der Würde eines ersten Henkers beider Königreiche bekleidet siehst, so wirst Du gerne einen zweiten Krug mit mir zerbrechen.«

»Was gibt es denn? Was gibt es denn?« fragten die Jungen, deren ältester mit einer blutigen Zange spielte, während der jüngste einen kleinen Vogel lebendig rupfte.

»Was es gibt, meine Kinder? … Bringe doch diesen Vogel um, Haspar, er schreit wie eine schlechte Säge, und überhaupt man muß nicht grausam sein. Bringe ihn um … Was es gibt? Nichts, gar wenig, außer, Dame Bechlie, daß, ehe acht Tage vergehen, der Exkanzler Schuhmacher, der zu Kopenhagen bereits mein Gesicht in der Nähe gesehen hat, und der berüchtigte isländische Räuber Han von Klipstadur, mir vielleicht beide zumal in die Hände fallen werden.«

Das verstörte Auge des Weibes nahm einen Ausdruck neugierigen Staunens an.

»Schuhmacher! Han der Isländer! Wie kommt das, Nychol?«

»Ich will Euch Alles sagen. Ich begegnete gestern Morgens auf der Straße von Skongen, auf der Brücke von Ordals, dem Regiment der Arquebusiere von Munckholm, das in triumphirendem Aufzug nach Drontheim zurückkehrte. Ich befragte einen der Soldaten, der mich einer Antwort würdigte, weil er ohne Zweifel nicht wußte, warum ich ein rothes Kleid trage, und ich erfuhr, daß die Soldaten aus den Schluchten des schwarzen Pfeilers zurückkamen, wo sie die Banden der rebellischen Bergleute in Stücke gehauen hatten. Nun mußt Du wissen, Zigeunerin Bechlie, daß diese Rebellen sich für Schuhmacher empörten und von Han dem Isländer befehligt waren. Ferner mußt Du wissen, daß diese Empörung Han den Isländer des Verbrechens des Aufruhrs gegen die königliche Gewalt, und Schuhmacher des Verbrechens des Hochverraths schuldig macht, welche beide Verbrechen zum Galgen oder auf das Schaffot zu führen pflegen. Füge nun zu diesen zwei prächtigen Hinrichtungen, deren jede mir wenigstens fünfzehn Dukaten eintragen muß, und mir in den Königreichen zur höchsten Ehre gereichen wird, noch einige andere hinzu, die zwar nicht ebenso wichtig sind …«

»Wie!« unterbrach ihn das Weib, »Han der Isländer ist also gefangen?«

»Warum unterbrichst Du Deinen Herrn und Meister, verdammtes Weib? Allerdings, dieser berüchtigte, ungreifbare Han der Isländer ist gefangen, und mit ihm einige andere Anführer der Rebellen, deren jeder mir ebenfalls zwölf Thaler eintragen wird, ohne zu rechnen, was ich aus den Leichnamen erlösen werde. Er ist gefangen, sage ich Dir, und ich habe ihn selbst gesehen, wie er in den Reihen der Soldaten ging …«

Das Weib und die Kinder traten staunend näher zu Orugir.

»Wie! Du hast ihn gesehen, Vater?« fragten die Kinder.

»Schweigt Kinder! Ihr schreit wie ein Spitzbube, der seine Unschuld betheuert. Ich habe ihn gesehen. Er ist ein Riese und die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden, und um den Kopf trug er eine Binde. Ohne Zweifel ist er am Kopfe verwundet worden. Aber er kann ruhig sein, in Kurzem werde ich ihn von dieser Wunde kurirt haben.«

Der Henker begleitete diese furchtbaren Worte mit einer schrecklichen Geberde und fuhr dann fort: »Hinter ihm gingen vier andere Gefangene, und man führt sie alle nach Drontheim, um mit dem Exkanzler Schuhmacher vor Gericht gestellt zu werden.«

»Vater, wie sahen die andern Gefangenen aus?«

»Zwei davon sind alte Männer, und einer von ihnen trug den Filzhut der Bergleute, und der andere die Mütze der Gebirgsbewohner. Beide waren traurig. Von den beiden andern war der eine ein junger Bergmann; er trug den Kopf hoch und pfiff; der andere … Erinnerst Du Dich, meine höllische Bechlie, an die Reisenden, die vor etwa zehn Tagen in diesen Thurm gekommen sind, als bei Nacht ein so heftiges Gewitter war?…«

»Wie Satan sich seines Falls erinnert,« antwortete das Weib.

»Erinnerst Du Dich des jungen Mannes unter den Reisenden, des Gefährten des alten närrischen Perrückenstocks, der den grünen Mantel und die schwarze Feder trug?«

»Ich sehe ihn noch vor mir stehen und höre ihn sagen: Weib, wir haben Gold!«

»Nun denn, Weib, der war der vierte Gefangene, und wenn es nicht so ist, so soll man von mir sagen, daß ich in meinem Leben Niemand die Kehle zugeschnürt habe, als einer alten Henne. Das gibt einen Spaß: neulich habe ich ihm zu essen gegeben, und jetzt werde ich ihm bald auf ewig den Mund stopfen.«

Der Henker lachte hell auf bei diesen Worten und fuhr dann fort: »Wir wollen uns freuen und trinken. Teufelsweib, schenke mir ein Glas Bier ein auf meine nahe Erhöhung. Auf die Gesundheit des Herrn Nychol Orugix, königlichen Vollstreckers der hohen Gerichtsbarkeit in spe! Ich muß Dir gestehen, alte Sünderin, daß es mich Mühe kostete, mich in den Flecken Noes zu begeben, um daselbst einen gemeinen Dieb zu hängen. Doch dachte ich, du kannst die paar Groschen auch mitnehmen, der Exkanzler und Han der Isländer entgehen dir doch nicht.«

In diesem Augenblicke ließ sich außen vor dem Thurme in drei Absätzen der Schall eines Hornes hören.

»Weib,« rief Orugix aufspringend, »das sind die Häscher des Oberrichters.«

Mit diesen Worten stieg er eilends die Treppe hinab. Bald darauf kam er zurück mit einem großen Pergament in der Hand, dessen Siegel er gelöst hatte.

»Hier Weib, das kommt vom Oberrichter. Entziffre mir das, da Du das Teufelsgeschmiere lesen kannst. Es ist vielleicht schon ein Beförderungspatent, denn da der Gerichtshof einen Großkanzler zum Präsidenten und einen Großkanzler zum Delinquenten hat, so schickt es sich nicht wohl anders, als daß ein königlicher Großhenker seinen Spruch vollziehe.«

Das Weib hatte inzwischen die Schrift durchgesehen und begann nun mit lauter Stimme zu lesen:

»Im Namen des Oberrichters von Drontheimhus! Nychol Orugix, Scharfrichter dieser Provinz, hat sich Angesichts dies, versehen mit seinem Ehrenbeil, dem Block »und der schwarzen Behängung nach Drontheim zu begeben.«

»Ist das Alles?« fragte der Henker mißvergnügt. »Alles,« antwortete das Weib.

»Scharfrichter dieser Provinz« murmelte Orugir zwischen den Zähnen und warf unwillige Blicke auf den Brief.

»Nun ins Teufels Namen!« rief er endlich aus, »man muß gehorchen und sich auf den Weg machen. Verlangt man doch das Ehrenbeil und die schwarze Behängung. Weib, Putze mir das Ehrenbeil blank, und bürste mir die schwarze Behängung aus. Man muß den Muth nicht sinken lassen, vielleicht wollen sie mich erst nach dieser schönen Hinrichtung befördern. Freilich werden dann die Verurtheilten der Ehre verlustig gehen, durch einen königlichen Großhenker hingerichtet zu werden.«

XXXIX.

Der Graf von Ahlfeldt, in seiner schwarzen Amtstracht und mit Orden behängt, ging nachdenklich im Zimmer seiner Gemahlin auf und ab.

»Es ist neun Uhr,« sagte die Gräfin, »der Gerichtshof soll seine Sitzung beginnen, man darf ihn nicht warten lassen. In der Nacht noch muß das Urtheil gefällt werden, daß man es spätestens morgen früh vollziehen kann. Der Oberrichter hat mich versichert, daß der Scharfrichter vor Sonnenaufgang hier sein werde.«

»Elphege, haben Sie die Barke, welche mich nach Munckholm bringen soll, bereit halten lassen?«

»Sie wartet schon über eine halbe Stunde auf Sie.«

»Und ist meine Sänfte vor der Thüre?« »Sie steht bereit.«

»So will ich nicht säumen. Noch ein Wort, Elphege! Sie behaupten also, daß ein Liebeshandel zwischen Ordener Guldenlew und Schuhmachers Tochter bestehe?«

»Und das ein ernstlicher, versichere ich Sie!« versetzte die Gräfin mit einem Lächeln des Zorns und der Verachtung.

»Wer hätte das gedacht? Doch muß ich gestehen, daß ich es bereits vermuthet hatte.«

»Und ich auch,« sagte die Gräfin. »Das ist ein Streich, den uns dieser verdammte Levin gespielt hat.«

»Der alte mecklenburgische Schurke!« murmelte der Kanzler zwischen den Zähnen. »Warte nur, ich will Dich Arensdorf empfehlen. Wenn ich ihn nur stürzen könnte! Jetzt geht mir ein Licht auf. Hören Sie einmal, Elphege!«

»Nun denn? Reden Sie!«

»Sie wissen, daß es sechs Individuen sind, welche wir im Schlosse von Munckholm zu richten haben: Schuhmacher, den ich morgen um diese Zeit hoffentlich nicht mehr fürchten werde, unser falscher Han der Isländer, der versprochen hat, seine Rolle bis ans Ende festzuhalten, in der Hoffnung, daß ihn Musdoemon, von dem er bereits starke Geldsummen erhalten hat, entwischen lassen werde. Dieser Musdoemon hat wahrhaft teuflische Ideen. Die vier andern Angeklagten sind die drei Anführer der Rebellen und ein Quidam, der unter die Anführer gekommen ist, man weiß nicht wie, und den Musdoemon hat festsetzen lassen. Er hält diesen Menschen für einen Spion Levins von Knud, und wirklich hat er hier gleich bei seiner Ankunft nach dem General gefragt und schien bestürzt, als er die Abwesenheit des Mecklenburgers erfuhr. Im Uebrigen hat er auf keine der Fragen geantwortet, welche Musdoemon an ihn gerichtet hat.«

»Warum haben Sie ihn nicht selbst verhört?« »Meine Geschäfte ließen mir keine Zeit dazu, wie Sie selbst wissen, und übrigens konnte ich mich in dieser Sache ganz auf Musdoemon verlassen. Ueberhaupt lege ich auf diesen Menschen an sich keinen besondern Werth; er ist ohne Zweifel irgend ein armer Landstreicher. Er kann uns bloß dazu dienen, daß wir ihn als einen Agenten Levins darstellen, und da er in den Reihen der Rebellen ergriffen worden ist, so könnte daraus ein strafbares Einverständniß zwischen dem Mecklenburger und Schuhmacher gefolgert werden, das hinreichend wäre, wo nicht die Versetzung in Anklagestand, doch wenigstens die Ungnade dieses verdammten Levin Knud herbeizuführen.«

Die Gräfin schien einen Augenblick nachzudenken: »Sie haben Recht, aber diese unglückliche Leidenschaft des Barons Thorwick für Ethel Schuhmacher …«

»Hören Sie, Elphege, wir sind beide nicht mehr jung und keine Neulinge im Leben, wir sollten die Menschen kennen. Wenn Schuhmacher zum zweitenmal wegen Hochverraths verurtheilt ist, wenn er auf dem Schaffot seine Strafe erstanden haben wird, wenn diese Schmach auf seine Tochter übergegangen ist und sie tief unter die letzten Reihen der Staatsgesellschaft herabgesetzt hat, glauben Sie, daß dann Ordener Guldenlew sich dieser kindischen Liebe, welche Sie Leidenschaft nennen, wieder erinnern und nur einen Augenblick zwischen der entehrten Tochter eines elenden Staatsverräthers und der erlauchten Tochter eines glorwürdigen Großkanzlers schwanken werde? So und nicht anders ist das menschliche Herz.«

»Ich wünsche, daß Sie Recht haben mögen. Sie werden inzwischen nicht überflüssig finden, daß Schuhmachers Tochter dem Prozeß ihres Vaters anwohne, und zwar in der nämlichen Loge mit mir. Ich möchte gerne dieses Geschöpf studiren.«

»Nichts, was uns über diese Geschichte aufklären kann, ist zu versäumen,« erwiederte der Kanzler phlegmatisch … »Aber sagen Sie mir doch, weiß man, wo Ordener gegenwärtig ist?«

»Kein Mensch weiß es. Er ist der würdige Zögling des alten Levin, ein fahrender Ritter, wie er. Ich glaube, daß er sich jetzt zu Ward-Hus befindet …«

»Das ist gut. Unsere Ulrike wird ihn festhalten. Doch ich vergesse, daß der Gerichtshof wartet …«

»Noch ein Wort! Ich habe Sie schon gestern gefragt, aber Sie waren so in Geschäften vertieft, daß ich keine Antwort von Ihnen erhalten konnte. Wo ist mein Friedrich?«

»Friedrich!« wiederholte der Kanzler in düsterem Tone und fuhr mit der Hand über das Gesicht.

»Ja, mein Friedrich! Sein Regiment ist ohne ihn nach Drontheim zurückgekommen! Schwören Sie mir, daß Friedrich nicht in diesen furchtbaren Schluchten des schwarzen Pfeilers war. Warum erblaßten Sie bei seinem Namen? Ich bin in tödtlicher Angst.«

Der Kanzler nahm seine gleichgültige Miene wieder an: »Elphege, seien Sie ruhig. Ich schwöre Ihnen, daß er nicht in den Schluchten des schwarzen Pfeilers war. Im Uebrigen hat man ja die Liste der Offiziere, die in diesem Gefecht getödtet oder verwundet wurden, bekannt gemacht …«

»Das beruhigt mich allerdings. Nur zwei Offiziere sind geblieben: der Hauptmann Lory und der junge Baron Randmer, der auf den Bällen zu Kopenhagen mit meinem Friedrich so vielen Spaß gemacht hat. Ich habe die Liste mehr als einmal gelesen, das versichere ich Sie. Aber sagen Sie mir, mein Sohn ist also zu Wahlstrom geblieben?«

»Er ist dort geblieben.«

»Ich bitte Sie, lieber Freund,« sagte die Gräfin mit einem Lächeln, in das sie einige Zärtlichkeit zu legen vergebens bemüht war, »lassen Sie doch um Himmels willen meinen Friedrich schnell aus diesem abscheulichen Lande zurückkommen …«

»Madame, was Sie da verlangen, steht nicht in meiner Macht.«

Mit diesen Worten entfernte er sich schnell. Die Gräfin blieb in düsterem Nachdenken zurück.

»Das steht nicht in seiner Macht!« sagte sie für sich. »Es kostet ihn ja nur ein Wort, mir meinen Sohn zurückzugeben. Das ist doch ein abscheulicher Mensch, voll Hinterlist und Bosheit! Hatte ich nicht Recht, ihn nie leiden zu können?«

XL.

Die zitternde Ethel, welche die Wachen beim Ausgang aus dem Kerker des Löwen von Schleswig von ihrem Vater getrennt hatten, wurde durch finstere, ihr bis dahin unbekannte Gänge in eine Art dunkler Zelle geführt, die man bei ihrem Eintritt hinter ihr schloß. Gegenüber der Zellenthüre war eine vergitterte Oeffnung, durch welche der Schein von Fackeln und Kerzen hereinfiel; hinter dieser Oeffnung eine Bank, auf der eine schwarz gekleidete verschleierte Frau saß, die ihr ein Zeichen gab, sich neben sie zu setzen. Sie gehorchte in schweigender Verwirrung.

Ihre Augen richteten sich auf den Raum jenseits des Gitters. Ein düsteres Schauspiel stellte sich ihr dar.

Am äußersten Ende eines schwarz behängten Saals, der durch kupferne Lampen, welche an der Decke hingen, schwach beleuchtet war, erhob sich in Gestalt eines Hufeisens ein schwarz ausgeschlagenes Gerüste, auf welchem sieben schwarz gekleidete Richter saßen, deren einer, im Mittelpunkt auf einem erhöhten Sitze, glänzende Sterne und diamantene Ketten auf seiner Brust trug. Der Richter, der ihm zur Rechten saß, zeichnete sich von den andern durch einen weißen Leibgürtel und einen Hermelinmantel, die Amtskleidung des Oberrichters der Provinz aus. Rechts vom Tribunal war eine Erhöhung mit einem Thronhimmel, auf welcher ein Greis in geistlichem Ornat saß; links ein mit Papieren belegter Tisch, hinter welchem ein kleiner Mann stand, der eine ungeheure Perrücke auf dem Kopfe hatte und in einen langen, weiten schwarzen Mantel ganz eingewickelt war.

Den Richtern gegenüber war eine hölzerne Bank, von Hellebardieren umgeben, welche Fackeln in der Hand trugen, deren von einem Walde von Piken und Flinten wiederstrahlender Schein seinen ungewissen Strahl auf die wogenden Häupter einer Menge von Zuschauern warf, die sich gegen das eiserne Gitter drängten, das sie von dem Tribunal absonderte.

Ethel sah diesem Schauspiele zu, als ob sie wachend einem Traum angewohnt hätte. Sie sah den Präsidenten sich erheben und im Namen des Königs verkünden, daß jetzt das Gericht eröffnet sei.

Nun las der kleine schwarze Mann mit flüchtiger und fast unvernehmbarer Stimme einen langen Bericht ab, in welchem der Name ihres Vaters in Verbindung mit den Worten »Verschwörung, Hochverrath, Aufstand der Bergleute« häufig vorkam. Sie erinnerte sich nun mit Schrecken an das, was ihr die Unbekannte von einer Anklage gesagt hatte, die ihrem Vater drohe, und sie schauderte, als sie den schwarzen Mann seinen Bericht mit dem Worte Tod, das er stark betonte, schließen hörte.

Erschüttert wandte sie sich zu der verschleierten Frau, vor welcher sie, sie wußte selbst nicht warum, ein Gefühl der Furcht hegte, und fragte schüchtern: »Wo sind wir? Was heißt Alles dies?« Eine Geberde der Unbekannten verwies sie zur Stille und Aufmerksamkeit. Sie wandte ihre Blicke wieder dem Tribunal zu.

Der ehrwürdige Greis im geistlichen Ornat hatte sich erhoben und sprach mit lauter und deutlicher Stimme: »Im Namen des allmächtigen und allbarmherzigen Gottes, ich Pamphilius Eleutherus, Bischof der königlichen Stadt Drontheim und der königlichen Provinz Drontheimhus, grüße den ehrwürdigen Gerichtshof, der im Namen des Königs, welcher nächst Gott unser Herr und Gebieter ist, richtet.

Da die vor dieses Tribunal geführten Gefangenen Menschen und Christen sind, und da sie keine Vertheidiger haben, so erkläre ich hiemit den ehrwürdigen Richtern, daß ich ihnen in der bedrängten Lage, worein sie der Himmel versetzt hat, mit meiner schwachen Kraft beizustehen gedenke.

So bitte ich nun Gott, daß er meine Schwäche mit seiner Kraft stärken, und meine Blindheit mit seinem Licht erleuchten wolle!«

Mit diesen Worten stieg der Bischof von seinem erhabenen Sitze und setzte sich auf die für die Angeklagten bestimmte hölzerne Bank. Ein Murmeln des Beifalls erhob sich unter den Zuschauern.

Der Präsident stand auf und sagte mit kalter und trockener Stimme: »Hellebardiere, gebietet Stille!«

»Hochwürdiger Herr Bischof,« fuhr er fort, »der Gerichtshof dankt Ihnen im Namen der Gefangenen. Einwohner von Drontheimhus, habt Acht auf die hohe Rechtspflege des Königs, von diesem Gericht findet keine Berufung Statt! Kerkermeister, führt die Gefangenen herein!«

Unter den Zuschauern entstand eine Stille schauerlicher Erwartung; sie theilten sich in zwei Reihen. Bald ertönten Schritte vieler Menschen, Piken und Gewehre blitzten, und sechs Gefangene in Ketten und von Wache umgeben, traten mit entblößten Häuptern ein. Ethel sah nur den ersten dieser sechs Gefangenen: es war ein Greis mit weißen Haaren, ihr Vater.

Sie lehnte sich halb ohnmächtig auf das steinerne Geländer, ihr Blick umnebelte sich und sie seufzte mit erloschener Stimme: »O, Herr mein Gott, stehe mir bei!« Die verschleierte Frau neigte sich gegen sie und hielt ihr ein Riechfläschchen vor, das sie aus ihrer Ohnmacht wieder erweckte.

Der Präsident erhob sich und sprach mit langsam feierlicher Stimme: »Gefangene, man hat Euch vor diesen Gerichtshof geführt, damit er untersuche und entscheide, ob Ihr des Hochverraths, der Verschwörung und des bewaffneten Aufstands gegen unsern König und Herrn schuldig seid oder nicht. Geht nun in Euch und überlegt in Euerm Gewissen, denn eine Anklage der Majestätsbeleidigung ersten Grads lastet auf Euern Häuptern.«

In diesem Augenblicke fiel ein Lichtstrahl auf das Gesicht eines der sechs Gefangenen, eines jungen Mannes, der den Kopf auf die Brust geneigt hatte, als ob er seine Gesichtszüge unter seinen langen, herabhängenden Locken verbergen wollte. Ethel zitterte an allen Gliedern, sie glaubte zu erkennen, daß … doch nein, es war bittere Täuschung; der Saal war nur schwach beleuchtet, und die Menschen bewegten sich darin gleich Schatten; kaum konnte man das große Christusbild von schwarzem Ebenholz, das über dem Lehnstuhl des Präsidenten hing, erblicken.

Aber dieser junge Mann trug einen Mantel, der von Weitem grün schien, seine Haare, die in Unordnung herabhingen, waren kastanienbraun, und der Strahl des Lichts, der sein Gesicht gezeigt hatte … Doch nein, er war es nicht, er konnte es nicht sein! Es war eine furchtbare Täuschung.

Die Gefangenen saßen auf der Bank, auf welche der Bischof herabgestiegen war. Schuhmacher saß an einem Ende derselben, der unbekannte junge Gefangene am andern. Der Bischof saß auf dem äußersten Ende der Bank.

Der Präsident wandte sich an Schuhmacher und fragte mit strengem Tone: »Wer seid Ihr und wie heißt Ihr?«

Der Gefangene erhob sich und blickte den Präsidenten starr an: »Ehemals nannte man mich Graf von Greiffenfeld und Tongsberg, Prinz von Wollin, Fürsten des heiligen römischen Reichs, Ritter des Elephantenordens, Ritter des Danebrogordens, Ritter des goldenen Vließes und des Hosenbandordens, ersten Minister, Generalinspektor des Kirchen- und Schulwesens, Großkanzler von Dänemark und …«

Der Präsident unterbrach ihn: »Angeklagter, der Gerichtshof will nicht wissen, wie man Euch ehemals genannt, noch wer Ihr sonst gewesen seid, sondern wie man Euch jetzt nennt, und wer Ihr jetzt seid.«

»Jetzt,« erwiederte der Gefangene, »jetzt heiße ich Johann Schuhmacher, neunundsechzig Jahre alt, und bin nichts mehr, als Euer alter Wohlthäter, Kanzler von Ahlfeldt.«

Der Präsident schien verlegen.

»Ich habe Euch erkannt, Herr Graf,« fügte der Gefangene hinzu, »und da Ihr mich nicht erkannt habt oder nicht erkennen wolltet, so bin ich so frei gewesen, Euer Gnaden in Erinnerung zu bringen, daß wir alte Bekannte sind.«

»Schuhmacher,« sagte der Präsident mit einem Tone, in welchem der unterdrückte Zorn unverkennbar war, »spart dem Gerichtshof seine kostbare Zeit.«

Der alte Gefangene unterbrach ihn abermals: »Wir haben die Rolle gewechselt, edler Kanzler. Ehemals nannte ich Euch bloß Ahlfeldt, und Ihr nanntet mich Herr Graf.«

»Angeklagter,« erwiederte der Präsident, »Ihr schadet Eurer Sache, wenn Ihr das schimpfliche Urtheil in Erinnerung bringt, das schon über Euch ergangen ist.«

»Wenn dieses Urtheil schimpflich ist, Graf Ahlfeldt, so beschimpft es wenigstens nicht mich.«

Der Gefangene war bei diesen Worten, die er mit starker Stimme sprach, halb aufgestanden. Der Präsident streckte die Hand gegen ihn aus.

»Setzt Euch! Schmäht nicht vor einem Tribunal auf die Richter, die Euch verurtheilt haben, und auf den König, der Euch diese Richter gab. Denkt daran zurück, daß der König Euch das Leben zu schenken geruhte, und beschränkt Euch hier auf Eure Vertheidigung.«

Der alte Gefangene antwortete bloß mit einem Achselzucken.

»Habt Ihr,« fragte der Präsident, »in Betreff des Kapitalverbrechens, dessen Ihr angeklagt seid, dem Gerichtshof einige Geständnisse zu machen?«

Der Gefangene gab keine Antwort. Der Präsident wiederholte die Frage.

»Sprecht Ihr mit mir?« erwiederte der Exkanzler. »Ich glaubte, edler Graf von Ahlfeldt, Ihr sprecht mit Euch selbst. Welches Verbrechen meint Ihr denn? Habe ich je einem Freunde einen Judaskuß gegeben? Habe ich je einen Wohlthäter eingekerkert und schimpflich verurtheilt? Habe ich dem Alles genommen, dem ich Alles dankte? Ich weiß in der That nicht, Herr Kanzler von heute, warum man mich hieher gebracht hat. Ohne Zweifel um zu sehen, mit welcher Geschicklichkeit Sie unschuldige Köpfe fallen machen. Allerdings werden Sie mich mit eben so leichter Mühe ins Verderben zu stürzen wissen, wie dieses Königreich, und ein Komma oder Punktum wird hinreichend sein, mich des Todes schuldig zu finden, gleichwie es für Sie nur eines Buchstabens bedurfte, um einen Krieg mit Schweden zu provociren.«1

Kaum hatte der Exkanzler diese bittere Anspielung vollendet, so erhob sich der kleine schwarze Mann an der Nebentafel.

»Herr Präsident,« sagte er mit einer tiefen Verbeugung, »meine Herren Richter, ich trage darauf an, dem Johann Schuhmacher das Wort zu entziehen, wenn er fortfährt, auf solche Weise Se. Gnaden den Herrn Großkanzler und dieses ehrwürdige Gericht zu schmähen.«

Der Bischof erhob mit ruhiger Würde seine Stimme: »Herr geheimer Sekretär, man kann einem Angeklagten das Wort nicht entziehen …«

»Sie haben ganz Recht, hochwürdiger Herr Bischof,« fiel der Präsident ein. »Es ist unsere Absicht, der Vertheidigung alle mögliche Freiheit zu lassen. Ich fordere den Angeklagten bloß auf, seine Sprache zu mäßigen, und das liegt in seinem eigenen Interesse.«

Schuhmacher schüttelte den Kopf und sagte kalt: »Es scheint der Graf Ahlfeldt sei diesmal seiner Sache gewisser, als im Jahre 1677.«

»Schweigt,« erwiederte der Präsident, wandte sich sogleich an den Gefangenen, der neben Schuhmacher saß, und fragte ihn um seinen Namen.

Dieser Gefangene war ein Mann von riesenmäßiger Gestalt, dessen Stirne verbunden war. Er erhob sich und sagte: »Ich bin Han von Klipstadur in Island.«

Eine Bewegung des Schauders lief durch das Auditorium, und Schuhmacher, dessen Kopf bereits nachdenkend auf seine Brust gefallen war, erhob ihn wieder und warf einen schnellen Blick auf seinen furchtbaren Nachbar, von dem sich alle andern Mitangeklagten entfernt hielten.

»Han von Island,« fuhr der Präsident zu fragen fort, »was habt Ihr dem Gerichtshofe mitzuteilen?«

»Ich war der Anführer des Aufstands.«

»Habt Ihr aus eigenem Antrieb oder aus fremdes Antreiben den Befehl über die Rebellen übernommen?«

»Nicht aus eigenem Antrieb.«

»Wer hat Euch zu diesem Verbrechen verleitet?«

»Ein Mensch, der sich Hacket nannte.«

»Wer war dieser Hacket.«

»Ein Agent von Schuhmacher, den er auch Graf von Greiffenfeld nannte.«

Der Präsident wandte sich an Schuhmacher: »Kennt Ihr diesen Hacket?«

»Ihr seid mir zuvorgekommen, Graf Ahlfeldt, ich wollte die nämliche Frage an Euch richten.«

»Johann Schuhmacher, Ihr seid übel berathen mit Eurem Hasse. Der Gerichtshof wird Euer Vertheidigungssystem zu würdigen wissen.«

Der Bischof nahm das Wort: »Herr geheimer Sekretär, befindet sich dieser Hacket unter meinen Klienten?«

»Nein, hochwürdiger Herr!«

»Weiß man, was aus ihm geworden ist?«

»Er hat sich aus dem Staube gemacht, ehe man ihn festnehmen konnte.«

»Läßt man ihn verfolgen? Hat man seine Gestaltsbezeichnung?«

Ehe der geheime Sekretär antworten konnte, erhob sich der junge Bergmann und sagte mit lauter kräftiger Stimme: »Sein Signalement ist leicht zu geben. Dieser elende Hacket, dieser Agent Schuhmachers, ist ein Mann von kleiner Gestalt, von offenem Gesicht, aber offen wie der Schlund der Hölle … Seine Stimme, hochwürdiger Herr Bischof, hat viele Aehnlichkeit mit der Stimme des Herrn, der an dieser Tafel schreibt und den Euer Hochwürden geheimer Sekretär nennen. Und wenn dieser Saal weniger düster wäre, und wenn weniger Haare das Gesicht des geheimen Sekretärs bedeckten, so möchte ich fast behaupten, daß in seinen Zügen einige Aehnlichkeit mit denen des Verräthers Hacket liege.«

»Unser Bruder redet die Wahrheit, riefen die beiden Nachbarn des jungen Bergmanns aus.«

»Wirklich!« murmelte Schuhmacher mit einem Ausdrucke des Triumphs.

Der Sekretär machte eine unwillkürliche Bewegung, sei es aus Furcht, sei es aus Unwillen, daß man ihn mit diesem Hacket verglich. Der Präsident, der selbst verlegen schien, beeilte sich, seine Stimme zu erheben.

»Gefangene, vergeßt nicht, daß Ihr nur dann reden dürft, wenn Euch der Gerichtshof fragt, und vor allen Dingen beleidigt kein Mitglied des Tribunals durch unwürdige Vergleichungen!«

»Inzwischen, Herr Präsident,« sagte der Bischof, »ist hier nur von einem Signalement die Rede. Wenn der flüchtige Hacket einige Aehnlichkeit mit dem geheimen Sekretär hat, so könnte das von Nutzen sein …«

Der Präsident unterbrach ihn: »Han von Island, Ihr, der Ihr in so genauer Verbindung mit Hacket gestanden, sagt uns doch, zur Befriedigung des hochwürdigen Herrn Bischofs, ob dieser Mensch wirklich unserem geheimen Sekretär gleicht?«

»Ganz und gar nicht,“ antwortete der Riese ohne Zögern.

»Da sehen Sie also selbst, Herr Bischof!«

Der Bischof gab durch ein Kopfneigen zu erkennen, daß er befriedigt sei. Der Präsident wendete sich zu einem andern Angeklagten mit der üblichen Frage: »Wie heißt Ihr?«

»Wilfried Kennybol aus den Bergen von Kole.«

»Wart Ihr unter den Aufrührern?«

»Ja, gnädiger Herr! Die Wahrheit geht über das Leben. Ich bin in den verdammten Schluchten des schwarzen Pfeilers gefangen worden. Ich war der Anführer der Gebirgsbewohner.«

»Was hat Euch zum Verbrechen des Aufruhrs angetrieben?«

»Unsere Brüder, die Bergleute, beklagten sich über die königliche Vormundschaft und da hatten sie ganz Recht, mit Euer Gnaden Erlaubniß. Wenn Einer nur eine elende Lehmhütte und zwei schlechte Fuchsbälge hat, so ist es ihm doch lieb, daß er darüber Herr und Meister ist. Die Regierung hat auf ihre Bitten nicht geachtet; darum, gnädiger Herr, haben sie sich empört und um unsern Beistand gebeten. So etwas kann ein Bruder dem andern nicht abschlagen. So ist es gegangen.«

»Hat Niemand Euern Aufstand angereizt, ermuntert und geleitet?«

»Ein Herr Hacket sprach uns immer viel von einem Grafen vor, der zu Munckholm gefangen sitze, und den wir befreien sollten. Wir haben es ihm versprochen, denn es machte uns nichts aus, ob einer mehr frei sei.«

»Hieß dieser Graf nicht Schuhmacher oder Greiffenfeld?«

»Richtig, so hieß er.«

»Habt Ihr ihn nie gesehen?«

»Nein, gnädiger Herr! Wenn es aber der alte Mann ist, der Ihnen eben so viele Namen gegeben hat, so muß ich gestehen …«

»Was?« fragte hastig der Präsident.

» … Daß er einen schönen weißen Bart hat, fast eben so schön, als der des Schwiegervaters meiner Schwester Maase, im Flecken Surb, welcher 120 Jahre alt geworden ist.«

Der Präsident schien durch diese naive Antwort des Gebirgsbewohners nicht sonderlich befriedigt; er befahl den Gerichtsdienern einige feuerfarbene Fahnen, die vor dem Tribunal niedergelegt waren, aufzurollen.

»Wilfried Kennybol,« sagte er, »erkennt Ihr diese Fahnen?«

»Ja, Ihr Gnaden, Hacket hat sie uns im Namen des Grafen Schuhmacher zugestellt. Er hat auch Gewehre unter die Bergleute austheilen lassen, denn wir Gebirgsbewohner, die wir von der Büchse und Waidtasche leben, brauchen keine. Und ich, wie Sie mich hier sehen, gebunden wie eine alte Henne, die man braten will, ich habe mehr als einmal aus der Tiefe unserer Thäler alte Adler herabgeschossen, die in der Höhe ihres Flugs nicht größer erschienen, als eine Lerche oder Wachtel.«

»Die Herren Richter hören,« sagte der geheime Sekretär, »daß der angeklagte Schuhmacher durch Hacket Waffen und Fahnen unter die Rebellen austheilen ließ.«

»Kennybol,« fuhr der Präsident fort, »habt Ihr sonst nichts zu sagen?«

»Nichts, als daß ich den Tod nicht verdiene. Ich habe bloß, als redlicher Bruder, den Bergleuten Beistand geleistet, und ich kann versichern, daß die Kugel meiner Büchse, so ein alter Schütze ich auch bin, noch nie einen Damhirsch des Königs getödtet hat.«

Der Präsident begann jetzt das Verhör der beiden Anführer der Bergleute. Der älteste derselben, Namens Jonas, wiederholte mit andern Worten, was Kennybol bereits gesagt hatte. Der jüngere, Norbith, gestand furchtlos seinen Antheil an der Empörung, über Hacket und Schuhmacher aber wollte er nichts aussagen. »Er habe,« sagte er, »den Eid der Verschwiegenheit abgelegt.« Alle Ermahnungen und Drohungen des Präsidenten brachten ihn nicht von diesem Vorsätze ab. »Im Uebrigen,« fügte er hinzu, »habe er sich nicht für Schuhmacher empört, sondern für seine arme Mutter, die Hunger und Kälte leide.«

Der geheime Sekretär resumirte die Aussagen der Angeklagten und bemühte sich, daraus Folgerungen und Beweise für die Schuldbarkeit des Exkanzlers zu ziehen. »Es ist jetzt,« fuhr er fort, »nur noch ein Angeklagter zu verhören, und wir haben gegründete Ursache, denselben für einen geheimen Agenten der Befehlshaberschaft zu halten, welche für die Ruhe der Provinz Drontheimhus so schlecht gesorgt hat. Diese Befehlshaberschaft hat, wo nicht durch strafbares Einverständniß, mindestens doch durch ihre unselige Nachlässigkeit den Ausbruch des Aufstands begünstigt, der alle diese Unglücklichen ins Verderben stürzen und diesen Schuhmacher abermals auf das Schaffot bringen wird, von dem ihn schon einmal die Gnade des Königs gerettet hat.«

Ethel schauderte bei diesen Worten, und ein Strom von Thränen entfloß ihren Augen. Ihr Vater erhob sich und sagte mit Ruhe: »Kanzler Ahlfeldt, Alles das ist trefflich eingefädelt. Habt Ihr doch die Vorsicht gehabt, den Scharfrichter schon zu bestellen?«

Inzwischen hatte sich der sechste Angeklagte erhoben. Als der Präsident die übliche Frage an ihn richtete, strich er die Haare aus dem Gesicht und antwortete mit lauter, fester Stimme: »Ich heiße Ordener Guldenlew, Baron von Thorwick, Ritter des Danebrogordens.«

Ein Schrei des Staunens entwischte dem Sekretär: »Der Sohn des Vicekönigs!«

»Der Sohn des Vicekönigs!« wiederholten alle Stimmen.

Der Präsident fuhr auf seinem Lehnstuhl zusammen, die bis dahin unbeweglichen Richter neigten sich tumultuarisch zusammen. Eben so große Gährung herrschte unter den Zuschauern.

Nachdem die Stille allmählig wieder hergestellt war, schickte sich der Präsident an, das Verhör zu beginnen.

»Herr Baron,« sagte er mit zitternder Stimme…

»Ich heiße hier nicht »›Herr Baron,‹« unterbrach ihn Ordener, »sondern Ordener Guldenlew, wie der ehemalige Graf von Greiffenfeld bloß Johann Schuhmacher.«

Der Präsident blieb einige Augenblicke wie versteinert.

»Nun denn,« fuhr er dann fort, »Ordener Guldenlew, ohne Zweifel hat Sie ein bloßer Zufall vor diesen Gerichtshof geführt. Die Rebellen haben Sie auf der Reise aufgefangen und gezwungen, ihnen zu folgen, und so kommt es ohne allen Zweifel, daß man Sie in ihren Reihen gefunden hat.«

Der Sekretär erhob sich: »Verehrteste Herren Richter: schon der Name des Sohns des Vicekönigs allein ist für ihn eine hinreichende Vertheidigung. Der Baron Ordener Guldenlew kann kein Rebelle sein. Unser erlauchter Präsident hat seine Anwesenheit unter den Aufrührern genügend erklärt. Das einzige Unrecht, das dieser edle Gefangene begangen hat, besteht darin, daß er seinen Namen nicht bälder sagte. Wir geben jede Anklage gegen ihn auf, tragen auf seine augenblickliche Freilassung an und bedauern nur, daß er einen Augenblick auf der Bank saß, die der Staatsverbrecher Schuhmacher und seine Mitschuldigen besudeln.«

»Was soll das heißen?« fragte Ordener.

»Der geheime Sekretär,« erwiederte der Präsident, »enthält sich aller gerichtlichen Anklage gegen Ihre Person.«

»Daran thut er Unrecht,« sagte Ordener mit lauter volltönender Stimme, »ich bin es, der hier allein angeklagt, gerichtet und verurtheilt werden muß. Ich bin der einzige Schuldige.«

»Der einzige Schuldige!« rief der Präsident aus.

»Der einzige Schuldige!« wiederholte der geheime Sekretär.

Ein neuer Ausbruch des Staunens erfolgte unter den Zuschauern. Die unglückliche Ethel schauderte.

»Hellebardiere, gebietet Stille!« sagte der Präsident, der mühsam seine Geisteskräfte zu sammeln suchte.

»Ordener Guldenlew,« fuhr er fort, »erklären Sie sich näher.«

Der junge Mann blieb einige Augenblicke sinnend, stieß einen Seufzer aus und antwortete dann mit der Ruhe der Ergebung: »Ich weiß, welches Ende meiner wartet, aber ich weiß auch, was die Pflicht mir gebietet. Ja, ihr Herren Richter, ich bin schuldig, und allein schuldig. Schuhmacher ist unschuldig, die Andern sind bloß verführt. Der Urheber des Aufstandes bin ich.«

»Sie!« riefen der Präsident und der geheime Sekretär zumal in seltsamer Ueberraschung.

»Ich! Ich habe die Bergleute in Schuhmachers Namen zur Empörung gereizt, ich habe in seinem Namen Geld und Waffen unter sie vertheilt. Hacket war mein Agent. Ich trieb sie zum Aufstand an, ich bin in ihren Reihen gefangen worden. Ich allein habe Alles gethan. Mein ist das Verbrechen, Schuhmacher ist unschuldig. Jetzt, ihr Herren Richter, fällen Sie das Urtheil.«

Ethel war der Ohnmacht nahe. Eine Pause allgemeinen Erstaunens trat ein. Der Präsident sammelte sich mühsam.

»Wenn Sie wirklich der einzige Urheber dieses Aufstandes sind,« fragte er endlich, »zu welchem Zwecke haben Sie ihn angestiftet?«

»Das kann ich nicht sagen.«

»Hatten Sie nicht,« fuhr der Präsident nach einer Pause fort, »einen Liebeshandel mit Schuhmachers Tochter?«

Ordener trat einen Schritt gegen das Tribunal vor und sagte mit würdiger Haltung: »Kanzler von Ahlfeldt, begnügen Sie sich mit meinem Leben, das ich hingebe, und achten Sie eine edle, unschuldige Jungfrau.«

»Ordener Guldenlew, achten Sie selbst den Gerichtshof des Königs. Ich frage Sie nochmals, zu welchem Zwecke Sie diesen Aufstand angestiftet haben?«

»Und ich wiederhole Ihnen nochmals, daß ich das nicht sagen kann.«

»Geschah es nicht, um Schuhmacher zu befreien?«

Ordener schwieg.

»Es ist erwiesen, daß Sie Einverständnisse mit Schuhmacher hatten, und das Geständniß Ihrer Strafbarkeit klagt ihn selbst mehr an, als es ihn rechtfertigt. Sie sind oft nach Munckholm gekommen, und Ihre Besuche müssen etwas Anderem, als gewöhnlicher Neugierde, zugeschrieben werden. Beweis dafür ist diese diamantene Schnalle.«

Der Präsident nahm eine Diamantschnalle vom Tisch und hielt sie Ordener vor: »Erkennen Sie diese Schnalle als die Ihrige?«

»Ja! Durch welchen Zufall? …«

»Einer der Aufrührer hat sie, ehe er den Geist aufgab, unserem geheimen Sekretär zugestellt, mit der Erklärung, daß er sie von Ihnen als Bezahlung der Ueberfahrt aus dem Hafen von Drontheim nach Munckholm erhalten habe. Ich frage nun die Herren Richter, ob eine solche Belohnung für einen so geringen Dienst nicht beweise, welchen Werth der Angeklagte darauf legte, in Schuhmachers Gefängniß zu gelangen?«

»Ich verhehle nicht, daß ich Schuhmacher zu sehen wünschte; aber diese Schnalle beweist nichts. Man darf nicht mit Diamanten und andern Kostbarkeiten in die Festung: der Schiffmann hatte sich bei der Ueberfahrt über seine Dürftigkeit beklagt; ich warf ihm diese Schnalle zu, die ich nicht bei mir behalten durfte.«

»Verzeihung, gnädiger Herr,« unterbrach ihn der geheime Sekretär, »das Reglement nimmt den Sohn des Vicekönigs von dieser Maßregel aus. Sie konnten also …«

»Ich wollte meinen Namen nicht nennen.«

»Warum?« fragte der Präsident.

»Das kann ich nicht sagen.« »Ihr Einverständniß mit Schuhmacher und seiner Tochter beweist, daß der Zweck Ihres Complots war, sie zu befreien.«

Schuhmacher, der bis dahin kein anderes Zeichen von Aufmerksamkeit von sich gegeben hatte, als ein verächtliches Achselzucken, erhob sich: »Mich befreien! Der Zweck dieses höllischen Complots war, mich in Verdacht zu bringen und ins Verderben zu stürzen, wie er es noch ist. Glaubt Ihr denn, daß Ordener Guldenlew seinen Antheil an dem Verbrechen gestanden hätte, wenn er nicht unter den Aufrührern gefangen genommen worden wäre? Oh! Ich weiß wohl, daß er seines Vaters Haß gegen mich geerbt hat. Und was das Einverständniß betrifft, das man bei ihm mit mir und meiner Tochter voraussetzte, so mag er wissen, dieser schändliche Guldenlew, daß auch meine Tochter meinen Haß gegen ihn, gegen daß ganze Geschlecht der Guldenlew und Ahlfeldt geerbt hat.«

»Der Gerichtshof wird sein Urtheil fällen,« sagte der Präsident.

Ordener erhob das Haupt und sprach: »Verehrte Richter, vergessen Sie nicht, daß Ordener Guldenlew allein schuldig, Schuhmacher unschuldig ist. Die andern Unglücklichen sind durch meinen Agenten Hacket irregeführt worden. Ich habe alles Uebrige gethan.«

Kennybol unterbrach ihn: »Der gnädige Herr sagt die Wahrheit, denn er hat Han den Isländer in der Grotte von Walderhog aufgesucht und uns zugeführt. Ja, wir sind durch diesen verfluchten Hacket verleitet worden, und wir verdienen den Tod nicht.«

»Herr geheimer Sekretär,« sagte der Präsident, »die Verhandlungen sind geschlossen. Wie lautet Ihr Antrag?«

Der Sekretär erhob sich: »Herr Präsident, verehrteste Herren Richter! Die Anklage bleibt in voller Kraft. Ordener Guldenlew, der eine Schande seines glorwürdigen Namens ist, hat seine Strafbarkeit bewiesen, ohne dadurch Schuhmachers und der übrigen Angeklagten Unschuld darzuthun. Ich trage daher darauf an, sämmtliche sechs Angeklagte des Hochverraths und Majestätsverbrechens ersten Grads schuldig zu erkennen.«

Der Bischof erhob sich: »Gelehrte Herren Richter! Dem Vertheidiger der Angeklagten gebührt das letzte Wort. Ich wundere mich über den strengen Antrag des geheimen Sekretärs. Das Verbrechen meines Clienten Schuhmacher ist durch nichts erwiesen. Man kann keine unmittelbare Theilnahme an dem Aufstand gegen ihn aufstellen, und da mein anderer Client, Ordener Guldenlew, erklärt, daß er Schuhmachers Namen mißbraucht habe und der einzige Urheber dieser verdammlichen Empörung sei, so schwindet aller Verdacht gegen Schuhmacher, der deßhalb gänzlich freizusprechen ist. Die andern Angeklagten, die bloß verführt worden sind, empfehle ich Ihrer christlichen Milde, und selbst den jungen Ordener Guldenlew, der wenigstens das in den Augen des Himmels große Verdienst hat, sein Verbrechen bekannt zu haben. Legen Sie seine Jugend und Unerfahrenheit in die Wagschale Ihres Urtheils und entziehen Sie ihm nicht ein Leben, das ihm der Himmel vor noch nicht langer Zeit geschenkt hat.«

Der ehrwürdige Bischof setzte sich, und die Richter entfernten sich in ihr Berathungszimmer. Die Berathung dauerte lange, der Morgen brach bereits an, als sie in den Sitzungssaal zurückkehrten.

Der Oberrichter der Provinz erhob sich und entfaltete ein Papier:

»Seine Gnaden, unser erlauchter Präsident, ermüdet von der Länge der Sitzung, hat uns, Oberrichter der Provinz Drontheimhus, gewöhnlichen Präsidenten dieses ehrwürdigen Gerichtshofs, ermächtigt, das im Namen des Königs gefällte Urtheil statt seiner abzulesen. Wir werden nun diese ebenso ehrenvolle als traurige Pflicht erfüllen, und ermahnen die Zuhörer, den Spruch der unfehlbaren Rechtspflege des Königs in ehrerbietiger Stille anzuhören.«

Die Stimme des Oberrichters nahm jetzt einen ernsten und feierlichen Ton an, der die Herzen der Zuhörer erbeben machte:

»Im Namen unseres allergnädigsten Königs und Herrn, Christiern, Königs von Dänemark und Norwegen!

Wir, die Richter des Obertribunals der Provinz Drontheimhus, nachdem wir die Gesetze und unser Gewissen befragt, erlassen, betreffend Johann Schuhmacher, Staatsgefangenen, Wilfried Kennybol, Bewohner der Berge von Kole, Jonas, königlichen Bergmann, Norbith, königlichen Bergmann, Han von Klipstadur in Island, und Ordener Guldenlew, Baron von Thorwick, Ritter des Danebrogordens, sämmtlich des Hochverraths und Majestätsverbrechens ersten Grads, Han von Island überdies der Verbrechen des Mords, der Brandstiftung und des Straßenraubs, angeklagt, folgendes Urtheil:

  1. Johann Schuhmacher ist nicht schuldig.
  2. Wilfried Kennybol, Jonas und Norbith sind schuldig, aber der Gerichtshof findet einen Milderungsgrund darin, daß sie verführt worden sind.
  3. Han der Isländer ist aller ihm zur Last gelegten Verbrechen schuldig.
  4. Ordener Guldenlew ist des Hochverrats und Majestätsverbrechens ersten Grads schuldig.«

Der Richter hielt einen Augenblick inne, als ob er Athem schöpfen wollte.

»Johann Schuhmacher,« fuhr er fort, »der Gerichtshof absolvirt Euch und schickt Euch in Euer Gefängniß zurück.

Kennybol, Jonas und Norbith, der Gerichtshof verwandelt die Todesstrafe, welche Euch gebührt hätte, in ewige Gefangenschaft und eine Strafe von tausend Thalern für jeden von Euch.

Han von Klipstadur, Mörder und Brandstifter, Ihr werdet diesen Abend auf den Waffenplatz von Munckholm geführt und am Halse gehängt werden, bis der Tod erfolgt.

Ordener Guldenlew, Hochverräther, Ihr werdet vor diesem Gerichtshofe Eurer Ehren und Würden entsetzt, sofort diesen Abend, mit einer Fackel in der Hand, an den nämlichen Ort geführt werden, allwo man Euch das Haupt abschlagen und Euern Körper verbrennen wird, damit Eure Asche in alle Winde zerstreut und Euer Haupt auf den Pfahl gesteckt werde.

Jetzt entfernt euch Alle. So lautet der Spruch, den die Rechtspflege des Königs erlassen hat.«

Kaum hatte der Oberrichter dieses furchtbare Urtheil verkündet, so ertönte im Saale ein Schrei. Dieser Schrei erfüllte die Umstehenden mit noch mehr Schauder, als das Bluturtheil selbst. Ordener erbleichte.

XLI.

Ordener Guldenlew saß in einem feuchten Kerker, in welchen das Licht des Tages nur spärlich durch vergitterte Oeffnungen fiel. Seine Hände und Füße waren gefesselt, ihm zur Seite stand ein Wasserkrug und lag ein schwarzes Brod. Die schwere eiserne Pforte drehte sich kreischend in ihren verrosteten Angeln, Ethel Schuhmacher trat herein.

Halb ohnmächtig fiel die Jungfrau in seine Arme, ein Thränenstrom floß aus ihren Augen über seine gefesselten Arme hinab. Lange hielten sie sich sprachlos umarmt. Endlich erhob die Jungfrau das Haupt von seiner Brust.

»Ordener,« sagte sie, »ich komme, Dich zu retten.«

Ordener schüttelte lächelnd den Kopf: »Mich retten, Ethel! Flucht ist unmöglich.«

»Das weiß ich wohl. Dieses Schloß wimmelt von Soldaten, jeder Ausgang ist bewacht. Aber ich bringe Dir ein anderes Mittel der Rettung.«

»Vergebliche Hoffnung! Täusche Dich nicht selbst durch Trugbilder. In wenigen Stunden wird das Beil des Henkers …«

»Halt ein, Ordener! Nein, Du sollst nicht sterben. Der Tod in seiner ganzen schrecklichen Gestalt steht vor meinen Augen, ich will freudig das Opfer bringen.«

»Welches Opfer?«

»Ordener, Du sollst nicht sterben. Um das Leben zu behalten, darfst Du nur versprechen, Ulrike Ahlfeldt zu heirathen.«

»Ulrike Ahlfeldt! Dieser Name in meiner Ethel Mund!«

»Unterbrich mich nicht. Die Gräfin Ahlfeldt schickt mich hieher. Man verspricht Dir, Deine Begnadigung vom König zu erlangen, wenn Du der Tochter des Großkanzlers Deine Hand reichen willst. Mich hat man zur Botin gewählt, weil man glaubt, daß meine Stimme etwas über Dich vermöge.«

»Ethel, wenn Du aus diesem Kerker gehst, so sage ihnen, daß sie den Henker schicken.«

Die Jungfrau sank auf die Kniee vor ihm, hob ihre Hände flehend zu ihm auf und sagte mit brechender Stimme: »Ordener, willst Du mich tödten?«

Eine Thräne trat in des Jünglings Auge: »Ethel, hast Du aufgehört mich zu lieben?«

»Ich Dich nicht mehr lieben?« rief die Jungfrau aus.

»Du liebst mich nicht mehr, denn Du verachtest mich.«

»O mein Gott! Den sollte ich verachten, den ich anbete!«

»Wie konntest Du mich dann auffordern, mein Leben durch das Opfer meiner Liebe zu erkaufen?«

»Ordener, von den Fenstern meines Kerkers sieht man auf dem Waffenplatze Dein Schaffot erbauen. Die Gräfin Ahlfeldt kam zu mir, sie fragte mich, ob ich Dich retten wolle, sie bot mir dieses Rettungsmittel an. Ich schwankte keinen Augenblick, ich kenne kein anderes Glück mehr, als Dich dem Leben zu erhalten.«

»Auch ich schwanke keinen Augenblick, geliebte Ethel! Ich will sterben, und wenn Du wüßtest, warum ich sterbe, so wärest Du nicht gekommen, mir mit Ulrikens Hand das Leben anzubieten.«

»Wie? Welches Geheimniß! …«

»Laß mir mein Geheimniß. Ich will sterben, und Du sollst nicht wissen, ob ich für meinen Tod Deinen Dank oder Deinen Haß verdient habe.«

»Du willst sterben! Ist es denn kein Traum? Und eben schlägt man das Blutgerüste auf, und keine menschliche Macht vermag Dich zu befreien! Nein, Du sollst nicht sterben; Du bist zu einem langen glücklichen Leben bestimmt. Gewiß ist diese Ulrike Ahlfeldt ein edles Geschöpf, die Dir das Leben versüßen wird.«

»Nichts mehr davon, meine Ethel! In diesen letzten Augenblicken soll nur Dein und mein Name aus unserem Munde gehen.«

Ein Greis in priesterlicher Kleidung trat aus dem Schatten des dunklen Eingangs.

»Was wollen Sie?« fragte ihn Ordener.

»Gnädiger Herr, ich bin mit der Abgesandten der Gräfin Ahlfeldt gekommen. Sie haben mich nicht bemerkt, und ich wartete in der Stille, bis Ihre Augen auf mich fallen würden. Ich bin der Geistliche, welcher …«

»Ich verstehe, und bin bereit.«

»Auch Gott ist bereit, Sie aufzunehmen, mein Sohn.«

»Herr Prediger, Ihr Gesicht ist mir bekannt. Ich habe Sie schon irgendwo gesehen.«

»Im Thurme von Bygla. Sie versprachen mir die Begnadigung von zwölf Verurtheilten, und ich setzte kein Vertrauen in Ihr Versprechen, denn ich wußte nicht, daß Sie der Sohn des Vicekönigs sind, und Sie, gnädiger Herr, der damals auf seinen Rang und seine Macht vertraute …«

»Ich kann jetzt heute nicht einmal meine eigene Begnadigung erlangen. Ich baute auf meine Macht, aber das Schicksal ist mächtiger, als wir arme Sterbliche.«

Der Geistliche beugte das Haupt: »Gott ist allmächtig, Gott ist allgütig.«

»Herr Prediger,« sagte Ordener nach einer Pause, »ich will mein Versprechen halten. Wenn ich vollendet haben werde, so gehen Sie nach Bergen zu meinem Vater, und sagen Sie ihm, die letzte Bitte seines Sohnes an ihn sei die Begnadigung der zwölf Verurtheilten. Er wird sie Ihnen gewähren.«

»Mein Sohn,« erwiederte der Geistliche mit gerührter Stimme. »Sie müssen ein edles Herz haben, daß Sie in der Stunde, wo Sie Ihre eigene Begnadigung verschmähen, um Gnade für Andere bitten. Sagen Sie mir nun: Unde scelus? Wie kommt es, daß ein Mann, der so edle Gefühle hegt, sich mit dem Verbrechen des Hochverraths besudeln konnte?«

»Mein Vater, das habe ich selbst diesem Engel verhehlt, und kann es Ihnen auch nicht sagen. Das dürfen Sie aber glauben, daß die Ursache meiner Verurtheilung nicht in einem Verbrechen liegt.«

»Erklären Sie sich näher, mein Sohn.«

»Drängen Sie mich nicht, ich will mein Geheimniß mit in das Grab nehmen.«

»Dieser Mensch kann nicht schuldig sein,« murmelte der Prediger zwischen den Zähnen. Hierauf zog er ein Crucifix aus dem Busen, stellte es auf die Mauer, zündete eine kleine eiserne Lampe an, die er mitgebracht hatte, und legte eine Bibel daneben.

»Jetzt, mein Sohn, erheben Sie Ihren Geist im Gebet. In einigen Stunden werde ich wiederkehren. Wir müssen jetzt,« fügte er zu Ethel gewendet hinzu, »den Gefangenen verlassen.«

Ethel erhob sich mit Ruhe. Ein Strahl himmlischen Friedens leuchtete aus ihren Augen.

»Verweilen Sie noch einen Augenblick, Herr Prediger,« sagte sie. »Sie müssen zuvor Ethel Schuhmacher mit Ordener Guldenlew ehelich verbinden.«

Sie warf einen Blick auf Ordener: »Wenn Du noch glücklich, frei und mächtig wärest, so würde ich mein Schicksal von dem Deinigen trennen. Jetzt, da Du ein armer Gefangener bist wie ich, so will ich mich mit Dir im Tode vereinen.«

Ordener umschlang entzückt ihre Kniee.

»Sie, ehrwürdiger Greis, werden Vaterstelle an uns vertreten, dieser Kerker ist der Tempel, dieser Stein der Altar. Hier ist mein Brautring, wir liegen auf den Knieen vor Gott und seinem Diener. Weihen Sie den Bund unserer Ehe ein.«

Der Prediger betrachtete sie mit mitleidigem Wohlwollen: »Wie, meine Kinder! Was machen Sie da?«

»Mein Vater,« erwiederte die Jungfrau, »die Zeit enteilt. Gott und der Tod erwarten uns.«

Der Priester hob seine Augen zum Himmel: »Möge mir Gott verzeihen, wenn meine Schwäche strafbar ist! Ihr liebt Euch, Euch ist nur noch eine Spanne Zeit auf Erden übrig, ich will Eurer Liebe den Segen der Kirche ertheilen.«

Die Ceremonie war vorüber, sie erhoben sich als Gatten.

»Was das Leben nicht konnte,« sagte die Jungfrau feierlich, »hat der Tod vollbracht: wir sind durch das Band der heiligen Ehe vereint. Höre mich jetzt, mein Gatte! Ich werde an das Fenster treten, wenn man Dich auf das Blutgerüste führt, und ehe der tödtliche Streich fällt, wird meine Seele ihre irdische Hülle verlassen haben. An den Pforten des Himmels sehe ich Dich wieder.«

Der Jüngling drückte sie schweigend an seine Brust.

»Meine Kinder,« sagte der Priester gerührt, »sagt Euch Lebewohl!«

Ethel sank auf die Kniee nieder: »Segne mich, mein Geliebter, ehe ich scheide!«

Ordener legte segnend seine Hand auf ihr Haupt; dann wandte er sich an den Priester, um ihn zum Abschied zu grüßen. Der ehrwürdige Greis kniete vor ihm.

»Was verlangen Sie von mir, mein Vater?« fragte er staunend.

»Deinen Segen, mein Sohn!« erwiederte der Priester mit christlicher Demuth.

»So segne Dich der Himmel, mein Vater, und vergelte Dir in der Ewigkeit, was Du hienieden für die Menschen, Deine Brüder, gethan hast!« sagte Ordener feierlich.

XLII.

»Baron Voethaün, Oberst der Arquebusiere von Munckholm, nennen Sie dem Gerichtshofe den Soldaten, der in den Schluchten des schwarzen Pfeilers Han den Isländer zum Gefangenen gemacht hat, damit er die versprochenen tausend Thaler in Empfang nehme.«

So sprach der Präsident des Tribunals zu dem Oberst der Arquebusiere. Das Tribunal, das ohne Appellation verurtheilte, blieb nach altem Gebrauche versammelt, bis sein Spruch vollzogen war. Vor ihm stand der falsche Han von Island mit dem Strick um den Hals.

Der Oberst, der an dem Tische des Geheimschreibers saß, erhob sich.

»Verehrteste Herren Richter,« sprach er, »der Soldat, der Han den Isländer gefangen hat, ist hier; er heißt Torie Belfast, zweiter Arquebusier meines Regiments.«

»So trete er vor,« sagte der Präsident, »die zugesagte Belohnung zu empfangen.«

Ein junger Soldat trat vor.

»Seid Ihr Torie Belfast?«

»Ja, Ihr Gnaden!«

»Habt Ihr Han von Island gefangen genommen?«

»Ja, mit Beelzebubs Hülfe, Euer Gnaden erlauben!«

Man legte einen schweren Geldsack auf den Tisch nieder.

»Erkennt Ihr in diesem Manne da Han den Isländer?«

»Das Gesicht der schönen Cattie kannte ich besser, als das Han’s von Island, aber wenn Han der Isländer irgendwo ist, so steckt er gewiß in diesem Riesen da.«

»Tretet näher, Torie Belfast, hier sind die versprochenen tausend Thaler.«

Der Soldat trat näher. Da erhob sich unter den Zuschauern eine Stimme: »Arquebusier von Munckholm, Du hast Han den Isländer nicht gefangen!«

»Bei allen Teufeln!« rief der Soldat und wandte sich um, »ich habe nichts im Vermögen, als meine Tabakspfeife, aber dem, der dies sagt, will ich zehntausend Thaler geben, wenn er beweist, was er gesagt hat.«

Der Soldat kreuzte die Arme über die Brust und warf einen zuversichtlichen Blick auf die Zuschauer umher: »Nun, trete hervor, wer gesprochen hat!«

»Ich!« sagte ein kleiner Mann und trat aus der Menge.

Der Mann war in Seehundsfelle gehüllt, ein schwarzer Bart und schwarze Haare bedeckten sein Gesicht; was man davon sehen konnte, war scheußlich anzublicken. Seine Kleidung war über ihn ausgebreitet, wie das Dach einer konischen Hütte, und man sah nichts von seinen Armen und Händen.

»Ah! Du bist es!« sagte der Soldat mit lautem Lachen. »Und wer sonst hat denn diesen teufelhaften Riesen gefangen?«

Der kleine Mann lächelte spöttisch und sagte: »Ich!«

»Wirklich! Du!« erwiederte der Soldat ironisch. »Wenn Du nicht in diesen grönländischen Seehundsfellen stecktest, würde ich Dich für jenen andern Zwerg halten, der vor etwa vierzehn Tagen im Spladgest Streit mit mir anfing … Es war an dem Tage, wo man den Leichnam des Bergmanns Gill Stadt …«

»Gill Stadt!« unterbrach ihn der kleine Mann heulend.

»Ja, Gill Stadt, der abgewiesene Liebhaber eines Mädchens, welches die Geliebte eines meiner Kameraden war, und für die er gestorben ist, wie ein Thor.«

Der kleine Mann fragte mit dumpfer Stimme: »War nicht auch im Spladgest der Leichnam eines Offiziers Deines Regiments?«

»Richtig, ich werde mein Lebenlang an diesen Tag denken, ich hatte im Spladgest die Stunde des Zapfenstreichs vergessen, und wäre deßhalb beinahe degradirt worden. Dieser Offizier war der Hauptmann Dispolsen …«

Bei diesem Namen erhob sich der geheime Sekretär: »Diese beiden Individuen mißbrauchen die Geduld des Gerichtshofs. Wir bitten den Herrn Präsidenten, diesem nutzlosen Gespräch ein Ende zu machen.«

»Bei den Schelmenaugen meiner Cattie, das ist mir ganz recht, wenn mir nur die Herren Richter die tausend Thaler zuerkennen, denn ich habe Han den Isländer gefangen genommen.«

»Du lügst!« schrie der kleine Mann.

Der Soldat griff mit der rechten Hand an die linke Seite.

»Es ist ein Glück für Dich, daß wir vor Gericht stehen, wo ein Soldat unbewaffnet erscheinen muß, wie ein altes Weib,« sagte der Soldat.

»Mir,« erwiederte frostig der kleine Mann, »gehört der Preis, denn ohne mich würde man Han des Isländers Kopf nicht haben.«

Der Soldat wurde wüthend und schwur, daß er Han den Isländer gefangen genommen habe, als er auf dem Schlachtfelde lag und die Augen wieder zu öffnen begann.

»Es ist möglich,« antwortete sein Gegner, »daß Du ihn gefangen hast, aber ich habe ihn niedergeschlagen. Ohne mich hättest Du ihn nicht gefangen nehmen können. Also gehören mir die tausend Thaler.«

»Das ist erlogen, nicht Du hast ihn niedergeschlagen, sondern ein in Thierhäute gehüllter Dämon.«

»Ich war es!«

»Nein! Nein!«

Der Präsident legte Beiden Stille auf; dann fragte er den Oberst Voethaün, ob Torie Belfast es gewesen, der ihm Han den Isländer gefangen zugeführt, und auf dessen bejahende Antwort erklärte er, daß die Belohnung dem Soldaten gehöre.

Der kleine Mann knirschte mit den Zähnen, und der Soldat streckte gierig die Hände aus, den Geldsack in Empfang zu nehmen.

»Einen Augenblick Geduld!« rief der kleine Mann aus. »Herr Präsident, nach dem Edikt des Oberrichters gehört dieses Geld bloß demjenigen, der Han den Isländer überliefern wird?«

»Nun denn,« sagten einige Richter.

Der kleine Mann wendete sich gegen den Riesen: »Dieser Mensch da ist nicht Han der Isländer.«

Ein Murmeln des Staunens durchlief den Saal. Der Präsident und der geheime Sekretär ereiferten sich auf ihren Sitzen.

»Nein,« wiederholte mit starker Stimme der kleine Mann, »das Geld gehört nicht dem verdammten Arquebusier von Munckholm, denn dieser Mensch da ist nicht Han der Isländer.«

»Hellebardiere,« sagte der Präsident, »man führe diesen Rasenden ab, er ist wahnsinnig.«

Der Bischof erhob seine Stimme: »Der Herr Präsident erlaube mir die Bemerkung, daß man, wenn dieser Mensch nicht angehört wird, die Rettungsplanke unter den Füßen des hier gegenwärtigen Verurtheilten zertrümmern kann. Ich verlange daher, daß die Confrontation fortgesetzt werde.«

»Hochwürdiger Herr Bischof,« erwiederte der Präsident, »der Gerichtshof willfahrt Ihnen.«

Hierauf wandte er sich zu dem Riesen: »Ihr habt erklärt, Han der Isländer zu sein. Bestätigt Ihr diese Aussage im Angesicht des Todes?«

Der Verurtheilte erwiederte: »Ich bestätige sie, ich bin Han der Isländer.«

»Sie hören jetzt selbst, Herr Bischof!«

Der kleine Mann rief zu gleicher Zeit: »Du lügst, Bergbewohner von Kole! Du lügst! Beharre nicht länger darauf, einen Namen zu führen, dessen Gewicht Dich zu Boden drückt! Denke daran, daß er Dir schon einmal Unheil gebracht hat!«

»Ich bin Han von Klipstadur in Island,« wiederholte der Riese, während er den geheimen Sekretär starr anblickte.

Der kleine Mann trat näher zu dem Soldaten von Munckholm, der, wie alle Zuschauer, diesen Auftritt neugierig beobachtete.

»Bergbewohner von Kole, Han der Isländer trinkt Menschenblut. Wenn Du Han bist, so trink! Hier ist Menschenblut!«

Kaum waren diese Worte gesprochen, so ließ er seinen Seehundsmantel fallen, und durchbohrte mit einem Dolche die Brust des Soldaten, der entseelt zu den Füßen des Riesen niederfiel.

Ein Schrei des Entsetzens erhob sich, die Soldaten, welche den Riesen bewachten, wichen scheu zurück. Der kleine Mann, schnell wie der Blitz, stürzte auf den Bergbewohner los und mit einem zweiten Dolchstiche streckte er ihn auf den Leichnam des Soldaten nieder. Jetzt warf er sein falsches Haar und seinen falschen Bart ab und stand da in der ganzen Kraft seiner nervigen Glieder, scheußlich in Thierfelle gehüllt und mit einem Gesichte, das unter den Umstehenden noch mehr Entsetzen erregte, als selbst der von Menschenblut gefärbte Dolch, den er in seiner Hand hielt.

»He, Ihr Richter,« rief er aus, »wo ist Han der Isländer?«

»Wachen,« rief der Präsident mit Entsetzen, »greift dieses Ungeheuer!«

Er warf seinen Dolch auf den Boden: »Er ist mir unnütz, es sind keine Soldaten von Munckholm mehr da!«

Nachdem er dies gesprochen hatte, ließ er sich von den Häschern und Hellebardieren, die sich angeschickt hatten, ihn wie eine Festung zu belagern, ohne Widerstand greifen. Man kettete ihn auf die Bank der Angeklagten, und eine Sänfte trug seine beiden Schlachtopfer, von denen das eine, der Bergbewohner, noch athmete, weg.

Der Bischof erhob sich: »Verehrteste Herren Richter…«

»Bischof von Drontheim,« unterbrach ihn das Ungeheuer, »ich bin Han der Isländer, gib Dir nicht die Mühe, mich zu vertheidigen.« Der geheime Sekretär stand auf: »Erlauchter Präsident…«

»Geheimer Sekretär,« fiel ihm das Unthier ins Wort, »ich bin Han der Isländer, gib Dir nicht die Mühe, mich anzuklagen.«

Jetzt, mit seinen Füßen im Blute der Ermordeten, ließ er seinen wilden Blick über die Richter, die Wächter und die Zuschauer hinschweifen, und diese ganze Menschenmasse schien vor einem einzelnen waffenlosen, angeketteten Manne zu zittern und sich zu entsetzen.

»Ihr Richter,« fuhr er fort, »erwartet kein langes Geschwätz von mir. Ich bin der Dämon von Klipstadur. Meine Mutter ist das alte Island, die Insel der Vulkane. Sie bildete ehemals nur einen einzigen Berg, aber ein Riese, der sich auf sie stützte, als er vom Himmel fiel, hat sie zusammengedrückt. Ich bin der Abkömmling Ingulphs des Vertilgers und sein Geist ruht auf mir. Ich habe mehr Mordthaten begangen und mehr Gebäude angezündet, als Ihr in Eurem Leben ungerechte Urtheile gesprochen habt. Ich habe gemeinschaftliche Geheimnisse mit dem Kanzler Ahlfeldt. Ich würde alles Blut, das in Euren Adern fließt, mit Vergnügen trinken. Meine Natur ist, die Menschen hassen, mein Beruf, ihnen zu schaden. Oberst der Arquebusiere von Munckholm, ich war es, der Dir von dem Marsch der Bergleute durch die Schluchten des schwarzen Pfeilers Nachricht gab, weil ich wußte, daß Du in diesen Schluchten viele Menschen tödten würdest, ich war es, der ein Bataillon Deines Regiments mit meinen Feldstücken zerschmetterte; ich rächte meinen Sohn. Jetzt, Ihr Richter, ist mein Sohn todt, und ich komme, hier den Tod zu suchen. Ingulphs Seele wird mir zur Last, weil ich sie allein trage und keinem Erben übergeben kann. Ich bin des Lebens müde, weil es nicht mehr Lehre und Beispiel für einen Nachfolger sein kann. Ich habe Menschenblut genug getrunken, ich habe keinen Durst mehr. Hier bin ich, jetzt könnt Ihr mein Blut trinken.«

Er schwieg, und leise liefen seine furchtbaren Worte von Mund zu Mund.

Der Bischof sprach zu ihm: »Mein Sohn, in welcher Absicht habt Ihr denn so viele Verbrechen begangen?«

Das Unthier lachte: »Ich schwöre Dir, hochwürdiger Bischof, daß es nicht in der Absicht geschah, wie Dein Kollege, der Bischof von Borglum that, mich zu bereichern.2 Es lag etwas in meinem Innern, das mich dazu trieb.«

»Gottes Geist ruht nicht auf allen seinen Dienern,« erwiederte demüthig der Bischof. »Ihr wolltet mich schmähen, ich möchte Euch vertheidigen können.«

»Du verlierst Deine Zeit, Bischof! Frage Deinen andern Kollegen, den Bischof von Scalholt in Island. Bei Ingulph, das ist seltsam, daß zwei Bischöfe sich meines Lebens angenommen haben, der eine an meiner Wiege, der andere an meinem Grabe, Bischof, Du bist ein alter Narr.«

»Glaubst Du an Gott, mein Sohn?«

»Warum nicht? Es soll ein Gott sein, damit ich ihn lästern kann.«

»Halt ein, Unglücklicher! Du stirbst und demüthigst Dich nicht zu Christi Füßen!«

Das Ungeheuer zuckte die Achseln: »Wenn ich es thäte, so würde es auf die Weise des Kriegsmanns Rolf geschehen, der des Königs Füße küßte, um ihn zu Boden zu werfen.«

Der Bischof setzte sich tief betrübt nieder.

»Nun, ihr Richter,« rief der Räuber, »auf was wartet Ihr noch? Wäre ich an Eurer Stelle gewesen und Ihr an der meinigen, ich hätte Euch nicht so lange auf Euer Todesurtheil warten lassen.«

Die Richter entfernten sich. Nach einer kurzen Berathung kehrten sie zurück, und der Präsident las mit lauter Stimme ein Urtheil, das in den üblichen Formeln Han den Isländer verurtheilte, am Halse gehängt zu werden, bis der Tod erfolge.

»So ist es recht,« sagte das Ungeheuer. »Kanzler von Ahlfeldt, ich weiß genug von Dir, um ein gleiches Urtheil für Dich zu erlangen; aber lebe, weil Du den Menschen Böses thust. Macht fort, ich bin jetzt sicher, nicht in den Nysthiem3 zu kommen.

Der geheime Sekretär befahl der Wache, ihn in den Keller des Löwen von Schleswig zu führen, während man ihm in der Kaserne der Arquebusiere von Munckholm ein Gefängniß bereite.

»In der Kaserne der Arquebusiere von Munckholm,« wiederholte das Unthier mit freudigem Grinsen.

XLIII.

Vor Sonnenaufgang, in der Stunde, wo Ordeners Urtheil zu Munckholm gesprochen ward, war der neue Aufseher des Spladgest zu Drontheim, der ehemalige Gehülfe und jetzige Nachfolger des Benignus Spiagudry, der Lappe Oglypiglap, durch heftiges Pochen an der Thüre aus dem Schlafe geweckt worden, Fischer aus dem See von Sparbo brachten einen Leichnam.

Nachdem Oglypiglap allein war, entkleidete er den todten Körper, der sich durch seine Lange und Magerkeit auszeichnete. Der erste Gegenstand, der ihm in die Augen fiel, nachdem er das Tuch, das den Leichnam bedecke, weggezogen hatte, war eine ungeheure Perrücke.

»Diese Perrücke kenne ich,« sagte er, »sie hat dem jungen französischen Stutzer gehört … Hier,« fuhr er fort, »sind die Reiterstiefel des armen Postillons Kramner, den seine Pferde geschleift haben … Was Teufels bedeutet das?«

»Der schwarze Rock des Professors Syngramtax, der sich kürzlich ersäuft hat … Wer ist denn dieser neue Ankömmling, der die Kleider aller meiner alten Bekannten auf dem Leibe hat?«

Er besichtigte den Todten genauer, aber seine Gesichtszüge waren nicht mehr zu erkennen. Er durchsuchte die Taschen und fand darin einige alte Pergamentblättchen, die vom Wasser durchnäßt waren; er wischte sie ab und konnte darauf noch einzelne Worte ohne Zusammenhang lesen: »Rudbeck: Sachs der Grammatiker; Arngrimm, Bischof von Holum … Es gibt in Norwegen nur zwei Grafschaften, Löwig und Jarlsberg, und eine Baronie … Man findet bloß zu Kongsberg Silberminen; Magnet und Asbest bloß zu Sundmoer; Amethyst bloß zu Guldbransthal … In Nukahiva aßen zur Zeit der Hungersnoth die Männer ihre Weiber und Kinder … Thormodus Thorföus, Bischof von Scalholt, erster Historiker Islands … Hirundo, hirudo … Je mehr der Boden … um so weniger führt er Gyps …

»Kaum traue ich meinen Augen,« rief Oglypiglap aus, »das ist ja die Handschrift meines alten Meisters Benignus Spiagudry!«

Jetzt besichtigte er den Leichnam von Neuem, erkannte die langen Hände, das kahle Haupt und den ganzen Körperbau seines alten Herrn.

»Nicht mit Unrecht,« dachte er, »hat man ihn wegen Schwarzkunst und Entweihung des Heiligen verfolgt. Der Teufel hat ihn durch die Lüfte geführt und in den See Sparbo fallen lassen.«

Er hob den Körper auf, um ihn auf eines der steinernen Betten zu legen, als er etwas Schweres bemerkte, das mit einem Leder um den Hals des unglücklichen Spiagudry befestigt war.

»Das ist ohne Zweifel der Stein,« murmelte er, »den ihm der Teufel umhing, als er ihn in den See stürzte.«

Er hatte sich geirrt, es war eine kleine eiserne Büchse, auf welcher er bei näherer Besichtigung ein mit einem Wappen versehenes breites Schloß wahrnahm.

»Ohne Zweifel sind irgend Teufelskünste in dieser Büchse verborgen,« sagte er, »denn dieser Mensch war ein Schwarzkünstler. Ich will diese Büchse zum Bischof tragen, es steckt vielleicht irgend ein gebannter Teufel oder Geist darin.«

Nachdem er den Leichnam auf das steinerne Bett gelegt hatte, rannte er in aller Eile mit der furchtbaren Büchse, gegen deren teuflischen Inhalt er sich unterwegs durch einige Gebete verwahrte, in den bischöflichen Palast.

XLIV.

Han der Isländer saß in Ketten, von Wachen umgeben, im Kerker des Löwen von Schleswig. Schuhmacher ging mit finsterer Miene langsam im Zimmer auf und ab. Die beiden Gefangenen beobachteten sich lange stillschweigend; man hätte glauben können, daß sie instinktartig sich gegenseitig als Menschenfeinde erkannten.

»Wer bist Du?« fragte endlich der Exkanzler den Räuber.

»Wenn Du meinen Namen hörst, wirst Du davon fliehen. Ich bin Han der Isländer.«

Schuhmacher trat auf ihn zu: »Hier ist meine Hand!«

»Soll ich sie fressen?«

»Han von Island, ich liebe Dich, weil Du die Menschen hassest.«

»Darum hasse ich auch Dich.«

»Höre, ich hasse die Menschen, wie Du, weil ich ihnen Gutes gethan habe, und sie mir dafür Böses thaten.«

»Du hassest sie nicht wie ich; ich hasse sie, weil sie mir Gutes thaten, und ich ihnen mit Bösem vergalt.«

Schuhmacher schauderte zurück vor dem Blicke des Unthiers. Wohl mochte er seiner Natur Gewalt anthun, aber mit dieser Seele konnte die seinige sich nicht befreunden.

»Ja,« rief er aus, »ich verwünsche die Menschen, weil sie heuchlerisch, undankbar, grausam sind. Menschen sind an allem Unglück meines Lebens Schuld.«

»Desto besser! Ich danke ihnen alles Glück meines Lebens.«

»Welches Glück?«

»Das Glück, noch zuckendes Fleisch zwischen meinen Zähnen zu fühlen und das noch rauchende Blut in meine Kehle zu schütten; die Wollust, lebende Wesen an Felsen zu zerschmettern, zu hören, wie das Geschrei der Schlachtopfer sich mit dem Krachen ihrer brechenden Glieder mischt. Solche Vergnügungen haben mir die Menschen verschafft.«

Schuhmacher wich mit Entsetzen vor dem Ungeheuer zurück, dem er sich fast mit dem Stolz, ihm zu gleichen, genähert hatte. Von Scham durchdrungen, bedeckte er sein ehrwürdiges Gesicht mit beiden Händen, denn seine Augen waren voll Thränen des Unwillens, nicht gegen das menschliche Geschlecht, sondern gegen sich selbst. Sein edelmüthiges Herz begann zurückzuschaudern vor dem Hasse, den er so lange gegen die Menschen genährt hatte, als er diesen Haß, wie in einem Spiegel, aus dem Herzen dieses Ungeheuers wiederstrahlen sah.

»Nun,« sagte das Unthier lachend, »Du Feind der Menschen, wagst Du Dich zu rühmen, daß Du mir gleichest?«

Der Greis schauderte zurück: »O Gott! Ehe ich die Menschen hassen sollte wie Du, wollte ich sie eher lieben.«

Eine Wache holte das Ungeheuer ab, um es in einen festern Kerker zu bringen. Schuhmacher blieb sinnend allein im Zimmer zurück, aber er war kein Feind der Menschen mehr.

XLV.

Nur noch die Hälfte der Sonnenscheibe stand über dem Horizont, die furchtbare Stunde nahte. Alle Posten in der Festung waren verdoppelt, vor jeder Thüre gingen schweigsame Schildwachen trotzig auf und ab. In allen Höfen ertönte der dumpfe Schall der schwarz behängten Trommeln; je und je fiel von den Außenwerken ein Kanonenschuß; die schwere Glocke ertönte in schauerlich langsamen Schlägen, und aus allen Punkten des Hafens eilten Fahrzeuge, mit Neugierigen angefüllt, der Festung zu.

Ein schwarz ausgeschlagenes Schaffot, um das sich die ungeduldige Menge drängte, war auf dem Waffenplatz aufgeschlagen und von einem Viereck von Soldaten umgeben. Auf dem Schaffot ging ein roth gekleideter Mann, der ein Beil in der Hand trug, auf und ab. Neben dem Schaffot war ein Holzstoß aufgeschichtet, zwischen beiden war ein Pfahl aufgepflanzt, an welchem eine Tafel hing, worauf mit großen Buchstaben geschrieben stand: »Ordener Guldenlew, Hochverräther.« Hoch oben von dem Kerker des Löwen von Schleswig flatterte eine große schwarze Fahne.

In diesem Augenblicke wurde Ordener vor den noch immer versammelten Gerichtshof geführt. Der Bischof allein war abwesend, da seine Funktion als Vertheidiger aufgehört hatte.

Ordener war schwarz gekleidet und trug den Danebrogorden um den Hals. Sein Gesicht war bleich, aber stolz und ruhig. Er war allein, denn man hatte ihn zur Hinrichtung abgeholt, ehe noch der Almosenier Athanasius Munder in seinen Kerker zurückgekommen war. Die Zuschauer waren bewegter, als der Verurtheilte selbst. Sein hoher Rang und sein grausames Schicksal erweckten Mitleid in Aller Herzen.

Kaum hatte sich die durch seine Ankunft erregte Bewegung gelegt, so ließ sich der Präsident das Wappenbuch beider Königreiche und die Statuten des Danebrogordens darreichen. Hierauf forderte er den Verurtheilten auf, niederzuknieen, ermahnte die Zuschauer zu ehrerbietigem Schweigen und begann mit lauter und ernster Stimme zu lesen:

»Wir Christiern, von Gottes Gnaden König von Dänemark und Norwegen, der Vandalen und Gothen, Herzog von Schleswig, Holstein, Stornmarn und Dithmarsen, Graf von Oldenburg und Delmenhurst, thun hiemit kund und zu wissen, nachdem wir auf den Antrag Unseres Großkanzlers, Grafen von Greiffenfeld (der Präsident sprach diesen Namen so schnell aus, daß man ihn kaum hörte), den von unserem Vorfahrer in der Regierung St. Waldemar gegründeten königlichen Danebrogorden wieder hergestellt, In Betracht, daß dieser ehrwürdige Orden zum Andenken an die Danebrogfahne, die Unserm gesegneten Königreich von dem Himmel selbst zugesendet ward, geschaffen worden,

Und daß es den göttlichen Ursprung dieses Ordens verläugnen hieße, wenn ein Mitglied desselben die Ehre und die heiligen Gesetze der Kirche und des Staats ungestraft verletzen könnte,

Als verordnen wir, vor Gott auf den Knieen liegend, daß ein jeglicher unter den Rittern des Ordens, welcher mittelst Treulosigkeit und Verraths seine Seele dem Teufel übergeben hätte, vor Gericht öffentlich gerügt und für immer des Rangs eines Ritters unseres königlichen Danebrogordens entsetzt werde.«

Der Präsident schloß das Buch wieder und sprach: »Ordener Guldenlew, Baron von Thorwick, Ritter des Danebrogordens, Ihr habt Euch des Hochverraths schuldig gemacht, für welches Verbrechen Euer Kopf abgeschlagen, Euer Körper verbrannt und Eure Asche in alle Winde zerstreut werden wird. Ordener Guldenlew, Hochverräther, Ihr habt Euch unwürdig erwiesen, unter die Ritter des Danebrogordens zu gehören, darum demüthigt Euch, denn ich werde öffentlich im Namen des Königs Euch aus ihrer Liste ausstreichen.«

Der Präsident streckte die Hand nach dem Ordensbuche aus, um den Urtheilsspruch zu vollziehen, als plötzlich eine Seitenthüre, rechts vom Tribunal, sich öffnete. Ein geistlicher Diener erschien unter ihr und kündigte den hochwürdigen Bischof von Drontheim an.

Der ehrwürdige Geistliche trat in den Saal, begleitet von einem andern Priester, der ihn unterstützte.

»Halten Sie ein, Herr Präsident!« rief er eifrig. »Halten Sie ein! Gelobt sei Gott! Noch ist es Zeit.«

Der Präsident wandte sich mißmuthig dem Bischof zu: »Erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, hochwürdiger Herr, daß Ihre Anwesenheit hier überflüssig ist. Der Gerichtshof ist im Begriff, den Verurtheilten seiner Ehren und Würden zu entsetzen, ehe er seine Strafe ersteht.«

»Hüten Sie sich,« erwiederte der Bischof, »an den Ihre Hand zu legen, der rein ist vor dem Herrn. Dieser Verurtheilte ist unschuldig.«

Ein Schrei des Staunens erhob sich unter den Zuschauern und Richtern.

»Ja,« fuhr der Bischof fort, »zittert, ihr Richter! Ihr wart auf dem Punkt, unschuldiges Blut zu vergießen.«

»Herr Bischof,« sagte der Präsident, »lassen Sie sich nicht durch einen leeren Schein täuschen. Wenn Ordener Guldenlew unschuldig ist, wer ist dann schuldig?«

»Euer Gnaden wird das erfahren,« antwortete der Bischof. Bei diesen Worten zeigte er dem Gerichtshof eine eiserne Büchse vor, die ein Diener hinter ihm trug.

»Verehrte Richter,« rief er aus, »ihr habt im Finstern gerichtet, in dieser Büchse ist das wunderbare Licht, das Euch erleuchten wird.«

Der Präsident, der geheime Sekretär und Ordener schienen von dem Anblick dieser geheimnißvollen Büchse gleich ergriffen.

Der Bischof fuhr fort: »Hört mich, ihr Richter! Heute, als ich in meine bischöfliche Wohnung zurückkehrte, um von den Beschwerden dieser Nacht auszuruhen und Gott für das ewige Heil der Verurtheilten anzuflehen, hat man mir diese versiegelte eiserne Büchse zugestellt. Der Aufseher des Spladgest hatte sie diesen Morgen gebracht, mit der Versicherung, daß sie ohne Zweifel irgend ein satanisches Geheimniß enthalte, da er sie bei dem Schwarzkünstler Benignus Spiagudry gefunden habe, dessen Leichnam man im Sparbosee aufgefischt hat. Nachdem ich über diese Büchse den Segen gesprochen, öffnete ich das Siegel, das, wie Sie hier noch sehen können, das alte abgeschaffte Wappen des Grafen von Greiffenfeld an sich trägt. Ich habe in der That ein satanisches Geheimniß darin gefunden. Schenken Sie mir jetzt Ihre ganze Aufmerksamkeit, denn es handelt sich hier um Menschenblut, und der Herr wägt jeden Tropfen desselben auf gerechter Wage.«

Mit diesen Worten öffnete er die Büchse und zog ein Pergament daraus hervor, auf dessen Rückseite folgendes Zeugniß geschrieben war:

»Ich Blaxtum Cumbysulsum, Doktor, erkläre in der Stunde meines Todes, daß ich dem Hauptmann Dispolsen, Prokurator des ehemaligen Grafen von Greiffenfeld, folgendes Aktenstück zugestellt habe, das ganz von der Hand Turiaf Musdoemons, in Diensten des Grafen von Ahlfeldt, geschrieben ist, damit der oben benannte Hauptmann Dispolsen davon denjenigen Gebrauch mache, der ihm gefallen wird. Somit bitte ich Gott, mir meine Sünden zu vergeben.«

»Kopenhagen am 11. Tage des Monats Januar im Jahr unserer Erlösung 1699.«

»Cumbysulsum.«

Der geheime Sekretär zitterte krampfhaft. Er wollte sprechen und vermochte es nicht. Der Bischof stellte das Pergament dem Präsidenten zu, der bleich und heftig bewegt war.

»Was sehe ich?« rief der Präsident aus, als er das Aktenstück entfaltete: »Note an den erlauchten Grafen von Ahlfeldt, betreffend die Mittel, sich auf gerichtlichem Wege des Exkanzlers Schuhmacher zu entledigen …«

»Ich schwöre Ihnen, hochwürdiger Bischof …«

Das Papier entfiel der Hand des Präsidenten.

»Lesen Sie, lesen Sie, gnädiger Herr!« fuhr der Bischof fort. »Ich zweifle nicht daran, daß Ihr unwürdiger Sekretär Ihren Namen mißbraucht hat, wie er den des unglücklichen Schuhmacher mißbrauchte. Sie werden jetzt einsehen, welche unselige Folgen Ihr unchristlicher Haß gegen Ihren Vorgänger gehabt hat. Einer Ihrer Untergebenen hat in Ihrem Namen ihn zu Grunde zu richten gesucht, in der Hoffnung, sich dadurch bei Ihnen in Gunst zu setzen.«

Als der Präsident sah, daß der Verdacht des Bischofs, der den ganzen Inhalt der Büchse kannte, sich nicht bis zu ihm erhob, faßte er wieder frischen Muth. Ordener fühlte sich freudig ergriffen, als ihm klar ward, daß Schuhmachers Unschuld mit der seinigen zugleich an den Tag kommen würde.

Der Präsident nahm jetzt seine ganze Besonnenheit zusammen und las mit allen Zeichen des Unwillens, den sämmtliche Zuschauer theilten, eine lange Note, in welcher Musdoemon den Plan, welchen wir ihn im Laufe dieser Geschichte befolgen sahen, in allen seinen Einzelnheiten entwickelte. Mehrere Male wollte der geheime Sekretär aufstehen, um sich zu vertheidigen, aber jedesmal warf ihn das Geräusch der öffentlichen Entrüstung wieder auf seinen Sitz zurück. Als die Verlesung des schändlichen Aktenstücks zu Ende war, ließ sich unter den Zuschauern ein Murren des Abscheus vernehmen.

»Hellebardiere, greift diesen Menschen!« sagte der Präsident, indem er mit dem Finger auf den geheimen Sekretär deutete.

Der elende Wicht stieg, sprachlos und mit wankenden Füßen, unter dem lauten Zischen des Volks von seinem Sitze herab auf die Bank der Angeklagten.

»Verehrteste Herren Richter,« sprach der Bischof, »schaudern Sie und freuen Sie sich zugleich. Die Wahrheit, welche bereits Ihre Gewissen durchdrungen hat, wird noch bestätigt werden durch das, was der Almosenier der Gefängnisse dieser königlichen Stadt, mein ehrwürdiger Mitbruder Athanasius Munder, der hier gegenwärtig ist, Ihnen zu berichten hat.«

Athanasius Munder neigte sich vor dem Bischof und dem Gerichtshof: »Was ich jetzt sagen werde, ist die reine Wahrheit. Nach allem dem, was ich diesen Morgen in dem Kerker des Sohns des Vicekönigs sah, konnte ich den Gedanken nicht unterdrücken, daß dieser junge Mann unschuldig sei, obwohl ihn das Tribunal auf sein eigenes Geständniß hin verurtheilt hatte. Vor einigen Stunden nun bin ich berufen worden, dem unglücklichen Bergbewohner, der hier vor Ihren Augen so grausam erdolcht worden ist, und den Sie als Han den Isländer verurtheilt hatten, den letzten Trost der Religion zubringen. Dieser Mensch hat mir sterbend Folgendes mitgetheilt: Ich bin nicht Han der Isländer; ich habe diesen Namen fälschlich geführt und bin nur allzusehr dafür gestraft worden. Derjenige, welcher mich bezahlt hat, diese Rolle zu spielen, ist der geheime Sekretär des Großkanzlers; er heißt Musdoemon und hat den Aufstand unter dem Namen Hacket angezettelt. Ich halte ihn für den allein Schuldigen bei der ganzen Sache. – Nach diesem Bekenntniß hat er mich um den Segen der Kirche gebeten und mir empfohlen, alsbald hieher zu eilen, um seine letzten Worte dem Gerichtshof mitzutheilen. Gott ist Zeuge, daß ich die Wahrheit sage. Möchte es mir gelingen, das Blut des Unschuldigen zu retten, ohne daß das des Schuldigen vergossen wird!«

»Ew. Gnaden sehen,« sagte der Bischof zum Präsidenten, »daß einer meiner Clienten nicht mit Unrecht so viele Aehnlichkeit zwischen diesem Hacket und Ihrem geheimen Sekretär gefunden hat.«

»Turins Musdoemon,« fragte der Präsident den neuen Angeklagten, »was habt Ihr zu Eurer Vertheidigung vorzubringen?«

Musdoemon erhob zu seinem Herrn einen Blick, der diesen erschreckte. Seine ganze Besonnenheit war zurückgekehrt, und er antwortete nach einigem Bedenken: »Nichts, gnädiger Herr!«

Der Präsident fuhr mit schwacher angegriffener Stimme fort: »Ihr bekennt Euch demnach des Euch zur Last gelegten Verbrechens schuldig? Ihr gesteht, daß Ihr der Urheber einer Verschwörung seid, welche gegen den Staat und ein Individuum Namens Schuhmacher zugleich gerichtet war?«

»Ja, gnädiger Herr!« antwortete Musdoemon.

Der Bischof erhob sich: »Damit kein Zweifel in dieser Sache übrig bleibe, so bitte ich den Angeklagten zu fragen, ob er Mitschuldige gehabt hat?«

»Mitschuldige!« wiederholte Musdoemon.

Er schien einen Augenblick nachzusinnen. Im Gesicht des Präsidenten malte sich peinliche Angst.

»Nein, Herr Bischof!« sagte endlich Musdoemon.

Der Präsident warf einen Blick des Dankes auf ihn, der dem seinigen begegnete. »Nein,« fuhr Musdoemon mit Bestimmtheit fort, »nein, ich habe keine Mitschuldige gehabt. Ich habe dieses Complot aus Anhänglichkeit an meinen Herrn, der nichts davon wußte, geschmiedet, um seinen Feind Schuhmacher ins Verderben zu stürzen.«

Die Blicke des Angeklagten und des Präsidenten begegneten sich abermals.

»Da Musdoemon keine Mitschuldige gehabt hat,« sagte der Bischof, »so folgt daraus von selbst, daß Ordener Guldenlew nicht schuldig sein kann.«

»Wenn er es nicht war, hochwürdiger Herr Bischof, warum hat er sich dann als schuldig bekannt?«

»Warum, Herr Präsident, hat sich dieser Gebirgsbewohner auf Gefahr seines Kopfes hartnäckig für Han den Isländer ausgegeben? Gott allein weiß, was im Grunde der Herzen vorgeht.«

Ordener nahm das Wort: »Verehrteste Herren Richter, da nun der wahre Schuldige entdeckt ist, kann ich offen reden. Ja, ich habe mich selbst fälschlich angeklagt, um den gewesenen Kanzler Schuhmacher, dessen Tod seine Tochter ohne Schutz gelassen hätte, zu retten.«

Der Präsident biß sich in die Lippen.

»Ich ersuche das Tribunal,« sagte der Bischof, »die Unschuld meines Clienten Ordener auszusprechen.«

Der Gerichtshof entfernte sich und kehrte nach kurzer Berathung in den Saal zurück. Der Präsident las mit fast erloschener Stimme das Urtheil ab, das Turiaf Musdoemon zum Tode verdammte, Ordener Guldenlew freisprach und in alle Ehren und Würden wieder einsetzte.

XLVI.

Der Ueberrest des Regiments der Arquebusiere von Munckholm war in seine Kaserne zurückgekehrt, welche innerhalb der Festung einzeln in einem großen viereckigen Hofe stand. Mit Einbruch der Nacht wurden die Pforten dieses Gebäudes, wie es gebräuchlich war, verrammelt. In diesem Gefängniß, dem sichersten und am besten bewachten in der ganzen Festung, wurden die beiden Verurtheilten, die am folgenden Morgen gehängt werden sollten, Han der Isländer und Musdoemon, verwahrt.

Han der Isländer lag allein in seinem Kerker. Plötzlich erhob er sich und rief den Kerkermeister, der in einem Nebenzimmer bei der Wache saß.

»Was willst Du?« fragte der Kerkermeister.

»Es friert mich. Mein steinernes Bett ist hart und feucht. Gib mir einen Bund Stroh zum Schlafen und ein wenig Feuer, mich zu wärmen.«

»Es ist billig, einem armen Teufel, der morgen gehängt werden soll, mindestens einige Bequemlichkeit zu verschaffen, wäre es auch Han der Isländer. Ich will Dir bringen, was Du verlangst … Hast Du Geld?«

»Nein!« erwiederte der Räuber.

»Wie! Du, der berüchtigtste Räuber in Norwegen, Du hast nicht einmal ein paar elende Dukaten in Deiner Tasche?«

»Nein!«

»Doch etliche Thaler?«

»Nein, sage ich Dir!«

»Nicht einmal einige armselige Groschen?«

»Nein! Nein! Nichts, nicht so viel, um davon das Fell einer Ratte oder die Seele eines Menschen kaufen zu können.«

Der Kerkermeister schüttelte den Kopf: »Das ist ein Anderes, dann hast Du Unrecht, Dich zu beklagen. Deine Zelle ist nicht so kalt, als die, worin Du morgen schlafen wirst, ohne Dich, das versichere ich Dir, über die Härte des Bettes zu beklagen.«

Der Kerkermeister entfernte sich unter den Verwünschungen des Gefangenen, der seine schweren Ketten schüttelte.

Bald darauf öffnete sich die Thüre wieder. Ein großer Mann in rother Kleidung, eine Blendlaterne in der Hand, trat in den Kerker, begleitet von dem Kerkermeister.

»Han von Island,« sagte der Mann, »ich bin Nychol Orugir, Scharfrichter der Provinz Drontheimhus. Ich werde morgen mit Tagesanbruch die Ehre haben, Deine Excellenz auf dem öffentlichen Platze von Drontheim an einen schönen neuen Galgen zu hängen.«

»Weißt Du gewiß, daß Du mich hängen wirst?« fragte der Räuber. Der Henker lachte: »Wenn Du nur so gewiß wärest, auf der Jakobsleiter geradewegs in den Himmel zu steigen, als Du gewiß bist, morgen auf der Orugixleiter auf den Galgen zu steigen.«

»Meinst Du wirklich?« sagte das Unthier mit höhnischem Grinsen.

»Ich sage Dir ja, Freund Galgenschwengel, daß ich der Scharfrichter der Provinz bin.«

»Wenn ich nicht ich wäre, möchte ich Du sein,« sagte der Gefangene.

»Ich möchte Dir nicht das Nämliche sagen,« erwiederte der Henker. Dann rieb er sich im Gefühle geschmeichelter Eitelkeit die Hände und fuhr fort: »Mein Freund, Du hast Recht, es ist ein schöner Stand um den unserigen. Ah! Meine Hand weiß, was der Kopf eines Menschen wiegt.«

»Hast Du bisweilen Blut getrunken?« fragte der Räuber.

»Nein, aber ich habe oft auf die Folter gespannt.«

»Hast Du manchmal die Eingeweide eines noch lebenden kleinen Kindes aufgefressen?«

»Nein, aber ich habe menschliche Knochen in meinen eisernen Schraubstöcken zermalmt; ich habe menschliche Glieder zwischen den Fugen meines Rads gebrochen; ich habe menschliches Fleisch mit glühenden Zangen gezwickt; ich habe siedendes Oel und heißes Blei in geöffnete Adern gegossen.«

»Du hast allerdings auch Deine Genüsse, das muß ich gestehen,« sagte das Unthier nach einigem ernsten Nachdenken.

»Ueberhaupt,« fuhr der Henker fort, »obwohl Du Han der Isländer bist, glaube ich, daß meine Hände noch mehr Seelen zum Teufel geschickt haben, als die Deinigen, ohne Dich selbst mitzuzählen, da ich morgen früh die Ehre haben werde, Dich in die Hölle zu befördern.«

»Weißt Du denn, ob ich eine Seele habe? Meinst Du denn, Henker von Drontheimhus, daß Du Ingulphs Geist aus Han’s Körper austreiben könnest, ohne daß er den Deinigen mitnimmt?“

»Das werden wir morgen sehen!« erwiederte der Henker lachend.

»Wir werden es sehen!« sagte der Räuber.

»Aber,« fuhr der Henker fort, »ich bin nicht gekommen, mit Dir von Deiner Seele zu reden, sondern von Deinem Körper, Dein Leichnam gehört mir nach Deinem Tode von Rechtswegen, allein das Gesetz gibt Dir die Befugniß, ihn an mich zu verkaufen. Sage mir nun, was willst Du dafür?«

»Was ich für meinen Leichnam will?«

»Ja, und mache es christlich!«

Han der Isländer wandte sich an den Kerkermeister: »Was willst Du für einen Bund Stroh und ein wenig Feuer?«

»Zwei Dukaten,« erwiederte der Kerkermeister nach einigem Besinnen.

»Also,« sagte der Gefangene zum Henker, »verlange ich zwei Dukaten für meinen Leichnam.«

»Zwei Dukaten!« rief der Henker aus. »Das ist entsetzlich theuer. Zwei Dukaten für einen elenden Leichnam! Nein, so viel gebe ich nicht.«

»Dann,« antwortete ruhig das Unthier, »bekommst Du ihn auch nicht.«

»Dann wird Dein Leichnam auf den Schindanger geworfen, statt das Museum zu Kopenhagen oder Bergen zu zieren.«

»Was liegt mir daran!«

»Noch lange nach Deinem Tode würde man Dein Skelett besehen und sagen: Das ist das Skelett des berühmten Han’s des Isländers! Man würde Deine Gebeine sorgfältig poliren, mit kupfernen Ringen zusammen befestigen, man würde Dich in einem Glasschrank aufstellen, der jeden Morgen sauber abgewischt würde. Im andern Falle werden Dich Geier und Raben fressen, und Würmer an Deinem Leichnam zehren.«

»Dann gleiche ich den Lebenden, die stets von den Kleinen benagt und von den Großen aufgezehrt werden.«

»Zwei Dukaten!« murmelte der Henker zwischen den Zähnen. »Welch ungeheure Forderung! Wenn Du den Preis nicht herabsetzest, werden wir nicht einig.«

»Es ist zum ersten und letztenmal, daß ich mein Leben verkaufe, und da will ich einen guten Handel machen.«

»Bedenke, daß ich Dich Deine Halsstarrigkeit bereuen lassen kann. Morgen bist Du in meiner Gewalt.«

»Meinst Du?«

Diese Worte wurden mit einem Ausdruck gesprochen, der dem Henker entging.

»Allerdings, und es gibt eine Art, die Schleife zu machen … während ich, wenn Du vernünftig bist, Dich aufs beste hängen will.«

»Mir liegt wenig daran, was Du morgen mit meinem Halse machst!« antwortete das Unthier spöttisch.

»Könntest Du nicht mit zwei Thalern zufrieden sein? Was nützt Dir denn das Geld?«

»Wende Dich an Deinen Kameraden; er fordert mir zwei Dukaten für ein wenig Stroh und Feuer.«

»Es ist empörend,« sagte der Henker, sich gegen den Kerkermeister ereifernd, »sich ein wenig Stroh und Holz mit Gold aufwägen zu lassen. Zwei Dukaten!«

»Ich bin ein guter Kerl, daß ich nicht vier Dukaten fordere. Du, Meister Nychol, bist ein Jude, daß Du diesem armen Gefangenen nicht zwei Dukaten für seinen Leichnam geben willst, den Du um wenigstens zwanzig Dukaten an irgend einen Gelehrten oder Arzt verkaufen kannst.«

»Ich habe nie mehr als fünfzehn Groschen für einen Leichnam gegeben.«

»Ja, für den Leichnam eines elenden Diebs oder eines Betteljuden, das mag sein, aber man weiß wohl, daß Du für Han des Isländers Leichnam bekommen wirst, was Du nur forderst.«

Der Räuber schüttelte verächtlich den Kopf.

»Was geht es Dich an!« sagte Orugix rasch. »Kümmere ich mich um Deine Beute, um die Kleider, das Geld, die Kleinodien, welche Du den Gefangenen stiehlst, um das schmutzige Wasser, das Du in ihre magere Suppe gießest, um alle die Drangsale, die Du ihnen anthust, um Geld von ihnen zu erpressen? Nein, ich gebe nicht zwei Dukaten.«

»Keine zwei Dukaten, kein Stroh und kein Feuer!« erwiderte der halsstarrige Kerkermeister.

»Keine zwei Dukaten, kein Leichnam!« fügte ruhig der Räuber hinzu.

Nach einigem Schweigen stampfte der Henker auf den Boden: »Ich habe keine Zeit zu verlieren: ein anderes Geschäft ruft mich. Hier, verfluchter isländischer Teufel, hier hast Du Deine zwei Dukaten! Der Satan gibt gewiß nicht so viel um Deine Seele, als ich um Deinen Körper.«

Der Räuber nahm die beiden Goldstücke. Sogleich streckte der Kerkermeister die Hand darnach aus, um sie zu empfangen.

»Geduld, guter Freund, gib mir zuvor, was ich von Dir verlangt habe!«

Der Kerkermeister ging hinaus und kehrte bald mit einem Bund Stroh und einer Kohlpfanne voll glühender Kohlen zurück, die er neben den Gefangenen stellte.

»So,« sagte der Räuber und gab ihm die beiden Goldstücke, »jetzt will ich mich diese Nacht wärmen. Noch ein Wort,« fügte er in düsterem Tone hinzu: »Stößt nicht dieser Kerker an die Kaserne der Arquebusiere von Munckholm?«

»Allerdings!« erwiederte der Kerkermeister.

»Und woher kommt der Wind?«

»Von Westen,« glaube ich.

»Recht,« sagte der Gefangene.

»Wo willst Du damit hinaus?« fragte der Kerkermeister.

»Nirgends,« antwortete der Räuber.

Die Pforte schloß sich hinter dem Henker und Kerkermeister, und sie hörten nichts mehr als das grinsende Lachen des Unthiers.

XLVII.

In einem andern Kerker des nämlichen Gebäudes saß Turiaf Musdoemon. Als er sein ganzes höllisches Complot so plötzlich entschleiert und so unwiderlegbar erwiesen gesehen hatte, war er in augenblickliche Verwirrung gerathen. Bald aber kehrte seine Besonnenheit zurück, und er sah wohl ein, daß er jetzt nicht mehr an das Verderben seiner Feinde, sondern nur noch an seine eigene Rettung zu denken hatte. Er konnte zweierlei thun: Das Ganze auf die Schultern des Grafen von Ahlfeldt abladen, der ihn so feig im Stich gelassen hatte, oder Alles auf sich nehmen. Musdoemon wählte letzteres. Der Graf von Ahlfeldt war Großkanzler; nichts in den vorhandenen Papieren compromittirte ihn unmittelbar; er hatte einige Blicke des Einverständnisses mit Musdoemon gewechselt; er entschloß sich daher, das Urtheil über sich ergehen zu lassen, in der sichern Hoffnung, daß der Graf von Ahlfeldt sein Entkommen erleichtern werde, weniger aus Dankbarkeit für seine geleisteten Dienste, als wegen der Unentbehrlichkeit seiner künftigen Leistungen.

Musdoemon ging daher mit großer Gemüthsruhe in seinem Kerker auf und ab und zweifelte nicht, daß dessen Thüre sich in der Nacht für ihn öffnen werde. Er untersuchte beim Schein einer düstern Lampe die Form dieses Gefängnisses, das alte Könige, deren Namen die Geschichte kaum nennt, gebaut hatten, und wunderte sich nur, daß es einen hölzernen Boden hatte, auf welchem seine Tritte wiederhallten, wie auf einer unterirdischen Höhlung. Oben an der Decke war ein großer eiserner Ring befestigt, in dem noch ein Stück eines alten Strickes hing.

Die Zeit verging, eine Stunde nach der andern hörte er schlagen, und noch immer erschien kein Retter. Der Gefangene ward allmählig ungeduldig. Da klirrten plötzlich die Riegel im Schloß, und die alte Thüre bewegte sich in ihren verrosteten Angeln.

Ein roth gekleideter Mann trat in den Kerker. Er trug einen aufgewickelten hänfenen Strick in der Hand, vier schwarz gekleidete Hellebardiere folgten ihm.

Musdoemon trug noch seine Perrücke und seinen richterlichen Anzug. Diese Kleidung schien dem roth gekleideten Mann die gewohnte Achtung einzuflößen. Er grüßte den Gefangenen ehrerbietig.

»Gnädiger Herr,« fragte er nach einigem Zaudern, »sind es Euer Gnaden, mit dem wir zu schaffen haben?«

»Ja, ja,« erwiederte eilig Musdoemon, den dieser höfliche Eingang in seiner Hoffnung auf Entweichung bestärkte, und der die rothe Kleidung des Ankömmlings übersah.

»Sie heißen,« fuhr der roth gekleidete Mann fort, indem er auf ein Papier blickte, das er in der Hand hielt, »Turias Musdoemon?«

»Richtig! Der Großkanzler schickt Euch, meine Freunde?«

»Ja, Ew. Gnaden!«

»Vergeßt nicht, nachdem Ihr Euern Auftrag vollzogen haben werdet, Sr. Gnaden dem Großkanzler meinen innigsten Dank zu melden.«

Der rothe Mann warf einen Blick des Staunens auf ihn: »Ihren innigsten Dank! …«

»Allerdings, denn es wird mir wahrscheinlich unmöglich sein, ihn Sr. Gnaden im Augenblicke selbst darzubringen.«

»Wahrscheinlich nicht,« erwiederte Jener mit einem Ausdruck der Ironie.

»Und Ihr werdet selbst einsehen,« fuhr Musdoemon fort, »daß ich mich für einen solchen Dienst nicht undankbar erweisen darf.«

Der rothe Mann schlug ein lautes Gelächter auf: »Sollte man nicht glauben, wenn man Sie hört, daß der Kanzler für Euer Gnaden etwas ganz Anderes thue!«

»Für jetzt allerdings läßt er mir nur strenge Gerechtigkeit widerfahren …«

»Streng! Allerdings! Aber Sie geben selbst zu, daß es Gerechtigkeit ist. Dies ist das erste Geständniß dieser Art, das ich in den sechsundzwanzig Jahren meiner Amtsführung höre. Aber die Zeit vergeht unter unnützem Geschwätz. Sind Sie bereit, gnädiger Herr?«

»Fix und fertig,« erwiederte Musdoemon freudig und ging der Thüre zu.

»Einen Augenblick Geduld!« rief der rothe Mann und bückte sich, um seinen aufgerollten Strick auf den Boden zu legen.

Musdoemon blieb stehen: »Wozu denn diesen ganzen Bund Stricke?«

»Ew. Gnaden haben Recht, es ist mehr, als wir brauchen, aber im Anfang dieses Prozesses glaubte ich viel mehr Verurtheilte zu bekommen.«

Mit diesen Worten löste der Mann seinen aufgerollten Strick auf.

»Laßt uns eilen!« sagte Musdoemon.

»Euer Gnaden sind sehr pressirt … Haben Sie nicht noch irgend eine Bitte? …«

»Keine andere, als daß Ihr, wie bereits gesagt, Sr. Gnaden dem Herrn Großkanzler meinen Dank darbringt. Jetzt laßt uns eilen, es treibt mich von hier fort. Haben wir einen weiten Weg vor uns?«

»Weg!« wiederholte der rothe Mann, indem er sich aufrichtete und mehrere Ellen des aufgerollten Stricks loswickelte. »Der Weg, den wir zu machen haben, wird Euer Gnaden nicht sehr ermüden. Wir werden Alles hier an Ort und Stelle zu Stande dringen.«

Musdoemon erbebte: »Was wollt Ihr damit sagen?«

»Was wollen Sie selbst sagen, Ew. Gnaden?«

»O, mein Gott!« sagte Musdoemon erbleichend, als ob ihm plötzlich ein Licht aufgegangen wäre. »Wer seid Ihr?«

»Ich bin der Henker.«

Der Elende zitterte wie ein vom Winde bewegtes Laub: »Kommt Ihr denn nicht, um mir fortzuhelfen?« murmelte er mit erloschener Stimme.

Der Henker lachte laut auf: »Allerdings will ich Ihnen forthelfen, und zwar in das Land der Geister, wohin Ihnen gewiß Niemand nachsetzen wird.«

Musdoemon warf sich mit dem Gesicht auf die Erde nieder: »Gnade! … Barmherzigkeit! … Gnade!«

»Bei meiner Treu,« sagte der Henker kaltblütig, »das ist das erste Mal, daß man eine solche Bitte an mich richtet. Halten Sie mich etwa für den König?«

Der Elende schleppte sich auf den Knieen zu dem Henker und umfaßte seine Beine unter Thränen und Seufzern.

»Ruhig!« fuhr der Henker fort. »Es ist das erste Mal, daß ich das schwarze Richterkleid sich vor meinem rothen Henkermantel demüthigen sehe.«

Er stieß den Bittenden mit dem Fuße von sich: »Guter Freund, flehe Gott und die Heiligen an, die werden Dich eher anhören, als ich.«

Musdoemon blieb auf den Knieen liegen, bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und weinte bitterlich. Inzwischen hatte der Henker sich auf den Zehen erhoben und den Strick in den Ring an der Decke befestigt, ließ ihn bis auf den Fußboden herabhängen und machte dann eine Schleife daran, welche bis zu den Dielen des Kerkers herabreichte.

»Ich bin fertig,« sprach er zu dem Gefangenen, »bist Du auch mit dem Leben fertig?«

»Nein,« rief Musdoemon aufstehend, »nein, das ist unmöglich! Hier waltet ein furchtbares Mißverständnis ob. Der Kanzler von Ahlfeldt handelt nicht so niederträchtig … Er bedarf meiner zu sehr. Es ist unmöglich, daß man Euch zu mir geschickt hat. Laßt mich entwischen … Fürchtet den Zorn des Großkanzlers …«

»Hast Du uns nicht selbst erklärt, daß Du Dich Turiaf Musdoemon nennst?«

Der Gefangene blieb einen Augenblick stumm: »Nein,« rief er plötzlich aus, »ich heiße nicht Musdoemon, sondern Turiaf Orugix.«

»Orugix!« schrie der Henker, »Orugix!«

Er riß schnell die Perrücke ab, welche das Gesicht des Verurtheilten bedeckte, und stieß einen Schrei des Staunens aus: »Mein Bruder!«

»Dein Bruder!« rief der Verurtheilte mit einer Verwunderung aus, in welche sich Scham und Freude mischten, »wärest Du? …«

»Nychol Orugix, Scharfrichter der Provinz Drontheimhus, Dir zu dienen, mein Bruder Turiaf!«

Der Verurtheilte fiel dem Henker um den Hals und nannte ihn seinen Bruder, seinen theuren Bruder.

Er machte ihm eine Menge erzwungener Liebkosungen mit einem falschen und furchtsamen Lächeln, und Nychol beantwortete sie durch finstere und verlegene Blicke. Man hätte ihn für einen Tiger halten können, der einen Elephanten in dem Augenblicke leckt, wo das Ungeheuer seinen Fuß auf ihn setzt, ihn zu zertreten.

»Welches Glück, Bruder Nychol! … Wie freue ich mich, Dich wieder zu sehen!«

»Und mir, Bruder Turiaf, thut es leid darum um Deinetwillen.«

Der Verurtheilte stellte sich, als ob er dies nicht höre, und fuhr mit zitternder Stimme fort: »Du hast ohne Zweifel Weib und Kinder? führe mich doch zu ihnen, daß ich meine liebenswürdige Schwägerin begrüßen und meine niedlichen kleinen Neffen umarmen kann! …«

»Den Teufel auch!« murmelte der Henker.

»Ich will ihr zweiter Vater sein… Höre, Bruder, ich bin mächtig, ich habe Einfluß…«

»Ich weiß, daß Du Einfluß hattest. Jetzt aber denke nur noch an den Einfluß, den Du Dir ohne Zweifel im Himmel zu bewahren gewußt haben wirst.«

Jede Hoffnung schwand aus dem Gesichte des Verurtheilten: »Mein Gott! Was soll das heißen, lieber Bruder Nychol? Ich bin ja gerettet, weil ich Dich wiedergefunden habe. Bedenke doch, daß wir unter dem nämlichen Herzen gelegen sind, und daß dieselbe Brust uns gesäugt hat. Vergiß nicht, Nychol, daß Du mein Bruder bist!«

»Bis heute hast Du Dich dessen nicht erinnert!« erwiederte der rohe Nychol.

»Nein, von meines Bruders Hand kann ich nicht sterben.«

»Das ist Deine Schuld, Turiaf! Du hast meine Laufbahn unterbrochen, ohne Dich wäre ich königlicher Scharfrichter zu Kopenhagen. Wer hat mich als Scharfrichter der Provinz in dieses elende Land verwiesen? Hättest Du nicht als schlechter Bruder an mir gehandelt, so würdest Du Dich nicht über das zu beklagen haben, was Dir jetzt empörend erscheint. Ich wäre dann nicht in der Provinz Drontheimhus, und ein Anderer würde das Geschäft an Dir verrichten. Jetzt genug, mein Bruder, Du mußt sterben.«

Der Verurtheilte rollte sich auf dem Boden, rang die Hände und stieß ein klägliches Geheul aus, wie die Verdammten in der Hölle.

»Lieber Herr Gott,« rief er aus, »wenn es einen gibt, habe Barmherzigkeit mit mir! Nychol, mein Nychol! Ich beschwöre Dich bei unserer gemeinschaftlichen Mutter, laß mich doch leben!«

Der Henker zeigte sein Papier: »Ich kann nicht, der Befehl ist bestimmt.«

»Dieser Befehl betrifft nicht mich,« stotterte der Elende in seiner Verzweiflung, sondern einen gewissen Musdoemon; ich bin Turiaf Orugix.«

»Sei nicht einfältig,« erwiederte Nychol mit Achselzucken, »ich weiß wohl, daß er Dich betrifft. Im Uebrigen,« fügte er noch hinzu, »wärest Du gestern noch für Deinen Bruder nicht Turiaf Orugix gewesen, so sollst Du denn heute für ihn nur Turiaf Musdoemon sein.«

»Mein Bruder! Mein Bruder! So warte doch bis morgen! Der Großkanzler kann unmöglich Befehl zu meiner Hinrichtung gegeben haben. Es ist ein entsetzliches Mißverständniß. Der Graf von Ahlfeldt liebt mich sehr. Ich beschwöre Dich, mein lieber Nychol, laß mir das Leben! Ich werde bald wieder in Gunst sein und will Dir dann alle möglichen Dienste leisten…«

»Du kannst mir nur noch Einen Dienst leisten, Turiaf. Ich bin bereits um zwei schöne Hinrichtungen gekommen, die des Exkanzlers Schuhmacher und des Sohns des Vicekönigs. Ich habe nichts als Unglück. Jetzt sind mir nur noch Han der Isländer und Du übrig. Deine Hinrichtung bringt mir, als nächtlich und geheim, zwölf Dukaten ein. Laß mich also in Gottes Namen mein Geschäft verrichten, das ist der einzige Dienst, den ich von Dir erwarte.«

»O, mein Gott!« rief der Verurtheilte schmerzlich aus.

»Ich verspreche Dir, daß ich Dich nicht lange leiden lassen will. Ich werde Dich mit brüderlicher Zärtlichkeit hängen. Ergib Dich darein!«

Musdoemon stand auf, seine Nasenflügel waren weit geöffnet vor Wuth, seine blauen Lippen zitterten, die Zähne klapperten aneinander, sein Mund schäumte.

»Satan!« rief er … »ich habe diesen Ahlfeldt gerettet! Ich habe diesen Bruder da umarmt! Und sie tödten mich! Und ich soll sterben … bei Nacht … in einem finstern Kerker, ohne daß die Welt meine Verwünschungen hören, ohne daß meine Stimme von einem Ende des Königreichs zum andern über sie donnern, ohne daß meine Hand den Schleier, der ihre Verbrechen bedeckt, zerreißen kann! Um diesen Tod zu erleiden, hätte ich mein ganzes Leben besudelt! Elender,« fuhr er zu seinem Bruder gewendet fort, »Du willst also Brudermörder werden?«

»Ich bin Henker!« antwortete Nychol phlegmatisch.

»Nein!« rief der Verurtheilte aus und warf sich ingrimmig auf den Henker, und seine Augen spieen Flammen und vergossen Thränen, wie ein in die Enge getriebener Stier. »Nein, so will ich nicht sterben! Ich will nicht als furchtbarer Drache gelebt haben, um mich zuletzt als elender Wurm zertreten zu lassen!«

Er würgte jetzt als Feind den, welchen er eben erst als Bruder umarmt hatte. Die Verzweiflung spannte alle seine Kräfte an; sie rangen miteinander, und es wäre schwer zu entscheiden gewesen, welcher der beiden Brüder scheußlicher war, der eine mit der stupiden Wildheit eines reißenden Thiers, der andere mit der verschmitzten Wuth eines Teufels.

Die bis dahin theilnahmlos gebliebenen Hellebardiere traten jetzt ins Mittel. Sie standen dem Henker bei und rissen Musdoemon von ihm weg. Er warf sich der Länge nach auf die Erde, stieß ein entsetzliches unartikulirtes Geheul aus und kratzte sich die Nägel blutig.

»Sterben!« … rief er … »Ihr Geister der Hölle! Sterben, ohne daß mein Geschrei diese Hallen durchdringt, ohne daß meine Arme diese Mauern umstürzen! …«

Man ergriff ihn, er leistete keinen Widerstand mehr. Man zog ihm seine weite Kleidung aus, um ihn zu binden. Ein versiegeltes Paket fiel auf den Boden.

»Was ist das?« fragte der Henker.

Eine höllische Freude leuchtete aus dem grassen Auge des Verurtheilten. »Wie konnte ich das vergessen!« murmelte er. »Höre, Bruder Nychol,« fügte er mit fast freundschaftlicher Stimme hinzu, »diese Papiere gehören dem Großkanzler. Versprich mir, sie ihm einzuhändigen, und mache dann mit mir was Du willst.«

»Weil Du jetzt ruhig bist, verspreche ich Dir Deine letzte Bitte zu erfüllen. Ich werde diese Papiere dem Großkanzler einhändigen, so wahr ich Orugix heiße.«

»Uebergib sie ihm selbst,« fuhr Musdoemon boshaft lächelnd fort, »das Vergnügen, das sie dem Kanzler machen werden, kann Dir vielleicht von Nutzen sein.«

»Wirklich, Bruder! Ich danke Dir. Vielleicht kann ich dadurch königlicher Scharfrichter werden. Nun, wir wollen als gute Freunde scheiden. Ich verzeihe Dir, daß Du mich mit den Nägeln blutig gekratzt hast, verzeihe mir das hänfene Halsband, das ich Dir umknüpfen werde.«

»Der Kanzler hatte mir ein anderes Band versprochen,« antwortete Musdoemon.

Die Hellebardiere führten ihn jetzt geknebelt in die Mitte des Kerkers, und der Henker legte ihm die Schlinge um den Hals.

»Turiaf, bist Du bereit?«

»Noch einen Augenblick! Einen Augenblick!« rief der Verurtheilte aus, dessen Angst zurückgekehrt war. »Ich bitte Dich, Bruder, ziehe den Strick nicht eher an, bis ich es Dir sage.«

»Ich brauche den Strick nicht anzuziehen,« antwortete der Henker.

Eine Minute darauf wiederholte er seine Frage: »Turiaf, bist Du bereit?«

»Nur noch einen Augenblick! Muß ich denn sterben? …«

»Turiaf, ich habe nicht länger Zeit zu warten.«

Orugix forderte die Hellebardiere auf, sich von dem Verurtheilten zu entfernen.

»Noch ein Wort, Bruder! Vergiß nicht das Paket dem Grafen Ahlfeldt einzuhändigen.«

»Sei ruhig deßhalb. Turiaf, bist Du bereit?«

Der Elende öffnete den Mund, um vielleicht noch eine Minute Leben zu erbetteln, aber der ungeduldige Henker bückte sich, drehte an einer Schraube, und der Boden öffnete sich unter den Füßen des Patienten, der Unglückliche verschwand im Abgrund, und man sah nur noch den schwankenden Strick, der in die dunkle Höhlung hinabhing. Tief unten hörte man Wasser rauschen. Ein schwacher Seufzer ertönte aus der Tiefe. Die Hellebardiere wichen entsetzt zurück.

»Es ist geschehen!« sagte der Henker. »Fahre wohl, Bruder!«

Er zog ein Messer aus dem Gürtel und schnitt den Strick ab: »Fahre hin und nähre die Fische des Golfs.«

Der Henker schloß die Oeffnung wieder. Als er sich aufrichtete, war der Kerker voll Rauch.

»Was ist das?« fragte er die Hellebardiere. »Woher kommt dieser Rauch?«

Sie öffneten die Thüre des Kerkers. Alle Gänge waren voll dicken Rauchs. Ein geheimer Ausgang führte sie in den viereckigen Hof, wo ein furchtbarer Anblick ihrer wartete.

Ein ungeheurer Brand, verstärkt durch den heftigen Westwind, verzehrte die Kaserne der Arquebusiere. Die Flamme schlug auf allen Seiten heraus.

Ein Kerkermeister, der in den Hof geflohen war, erzählte ihnen, daß das Feuer in Han des Isländers Kerker ausgebrochen sei, dem man unklugerweise Feuer und Stroh gegeben habe.

»Ich habe doch viel Unglück,« rief Orugix aus, »da entgeht mir nun wieder Han der Isländer. Der Wicht ist verbrannt, und ich bekomme nun nicht einmal seinen Körper, den ich doch mit zwei Dukaten erkauft habe!«

Die unglücklichen Arquebusiere, plötzlich aus dem Schlafe aufgeschreckt, drängten sich dem großen Thore zu, das verrammelt war. Man hörte ihr Angstgeschrei, man sah, wie sie an den Fenstern die Hände rangen. Viele stürzten sich in den Hof herab und fanden einen andern Tod, als den durch die Flammen. Das furchtbare Element verbreitete sich durch das ganze Gebäude, ehe der übrige Theil der Besatzung zur Hülfe herbeieilen konnte. Man schlug das große Thor mit Aexten ein, aber es war schon zu spät; das ganze Dach stürzte zusammen und begrub die Bewohner des Hauses unter seinen Trümmern.

Am andern Morgen waren von dem Gebäude nur noch die verbrannten und noch glühenden Mauern übrig. Von dem schönen Regiment der Arquebusiere von Munckholm entgingen nur etwa dreißig Mann dem Tode, aber die meisten waren Krüppel geworden.

In Han des Isländers Kerker fand man die Ueberreste eines menschlichen Körpers neben einem eisernen Rost und zerbrochenen Ketten.

XLVIII.

Bleich und niedergeschlagen ging der Graf von Ahlfeldt mit großen Schritten in seinem Zimmer auf und ab. Er zerknitterte mit seinen Händen ein Paket Briefe, das er eben durchlesen hatte, und stampfte mit dem Fuß auf den Boden.

Am andern Ende des Gemachs stand, mit allen Zeichen tiefster Ehrfurcht, Nychol Orugix in seiner rothen Kleidung, seinen Filzhut in der Hand.

»Du hast mir da einen Dienst geleistet, Musdoemon!« murmelte der Kanzler mit verbissenem Zorn zwischen den Zähnen.

Der Henker hob schüchtern seinen stupiden Blick zu ihm empor: »Euer Gnaden sind also zufrieden?«

»Was willst Du da?« fragte der Kanzler, indem er sich barsch umwandte.

Der Henker, stolz darauf, einen Blick des hohen Hauptes auf sich gezogen zu haben, lächelte voll Hoffnung: »Was ich will, Ew. Gnaden? Die Stelle des königlichen Scharfrichters zu Kopenhagen, wenn Euer Gnaden mir die guten Nachrichten, welche ich Ihnen gebracht habe, durch diese Gunstbezeugung vergelten wollen.«

Der Kanzlei rief die beiden Hellebardiere, die vor seiner Thüre Wache hielten: »Greift diesen Schlingel da, der die Frechheit hat, mich zu verspotten!«

Die beiden Hellebardiere schleppten den bestürzten Nychol weg, der in der Angst noch zurückrief: »Aber, gnädiger Herr…«

»Du bist nicht mehr Scharfrichter der Provinz Drontheimhus! Ich setze Dich ab,« rief ihm der Kanzler zornig nach und schlug die Thüre hinter ihm zu.

Der Kanzler griff wieder zu den Briefen, es waren die Liebesbriefe, welche die Gräfin von Ahlfeldt mit Musdoemon gewechselt hatte. Das ist Elphegens Hand. Der Kanzler ersieht daraus, daß Ulrike nicht seine Tochter, der so sehr bedauerte Friedrich vielleicht nicht sein Sohn ist. Dieser Hochmuth, die Ursache aller seiner Verbrechen, rächt sich jetzt an ihm selbst. Er wollte seine Feinde ins Verderben stürzen; er hat nur sein eigenes Ansehen, seinen eigenen Einfluß vernichtet. Er mußte seinen bösen Rathgeber selbst dem Tode überliefern, und dieser rächte sich an ihm durch die Mittheilung, daß sein Weib eine Ehebrecherin sei.

Er geräth in Wuth, er will die Elende noch einmal sehen; er will ihr ihre verbuhlten Briefe ins Gesicht werfen, ehe er sie verstößt. Er durcheilt mit schnellen Schritten die Zimmer des Palastes, er tritt wüthend in ihr Gemach – und findet eine Wahnsinnige. Die Nachricht von dem schrecklichen Tode ihres Sohnes hatte sie der Vernunft beraubt.

XLIX.

Vierzehn Tage nach diesen Ereignissen kam Ordener Guldenlew, begleitet von Levin von Knud und Athanasius Munder in den Kerker des Löwen von Schleswig.

Schuhmacher ging eben im Garten mit seiner Tochter spazieren. Er drückte zärtlich Ordeners Hand und grüßte die beiden Andern.

»Junger Mann,« sagte der alte Gefangene, »der Himmel segne Deine Rückkehr!«

»Herr Graf,« erwiederte Ordener, »ich komme von Bergen von meinem Vater.«

»Was soll das heißen?« fragte der erstaunte Greis.

»Das soll heißen, daß ich um die Hand Ihrer Tochter bitte.«

»Meiner Tochter!« rief der alte Gefangene aus und wandte sich zu Ethel, die schamroth und zitternd da stand.

»Ja, Herr Graf, ich liebe Ihre Ethel.«

Schuhmachers Stirne umwölkte sich: »Du bist ein edler und würdiger junger Mann, mein Sohn. Dein Vater hat mir viel Böses zugefügt, aber ich verzeihe ihm um Deinetwillen, und ich würde diese Heirath gerne sehen. Aber es ist ein Hinderniß …«

»Welches, Herr Graf?« fragte Ordener unruhig.

»Du liebst meine Tochter, aber weißt Du auch, ob sie Dich liebt?«

Die beiden Liebenden betrachteten sich stumm vor Staunen.

»Ja,« fuhr der Vater fort, »es ist mir leid, denn ich liebe Dich, und hätte Dich gerne meinen Sohn genannt. Aber meine Tochter wird nicht wollen. Sie hat mir neulich ihre Abneigung gegen Dich erklärt. Seit Deiner Abreise schweigt sie, wenn ich von Dir rede, und scheint den Gedanken an Dich zu vermeiden. Verzichte daher auf Deine Liebe. Die Liebe heilt sich, wie der Haß …«

»Herr Graf! …« sagte Ordener bestürzt.

»Mein Vater!« rief Ethel aus.

»Sei ruhig, meine Tochter! Diese Heirath gefällt mir, aber sie mißfällt Dir. Ich will Dich nicht zwingen, mein Kind; seit vierzehn Tagen bin ich ein anderer Mensch. Du bist frei …«

Athanasius Munder lächelte: »Sie ist nicht frei.«

»Sie irren sich, mein Vater,« fügte Ethel ermuthigt hinzu, »Ordener ist mir nicht zuwider.«

»Wie!« rief der alte Gefangene aus.

»Ich bin …« fuhr Ethel fort.

Sie hielt inne. Ordener kniete vor dem Greise nieder.

»Sie ist mein Weib,« sagte er. »Verzeihen Sie uns und segnen Sie Ihre Kinder!«

Der Greis, erstaunt und gerührt, gab dem vor ihm knieenden Paar seinen Segen.

Man theilte ihm mit, wie Alles gegangen war. Er weinte vor Rührung und Dankbarkeit gegen die Vorsehung, die Alles zu einem glücklichen Ende gefühlt hatte.

»Ich hielt mich für weise,« sagte er, »ich bin alt, und das Herz eines jungen Mädchens war mir ein Räthsel!«

»Mein Sohn Ordener,« fügte er hinzu, »Du bist besser als ich, denn in den Tagen meines Glücks hätte ich mich gewiß nicht so tief herabgelassen, die Tochter eines armen Gefangenen zu heirathen, der Ehre und Güter verloren hat.«

Der General Levin schüttelte die Hand des Gefangenen und reichte ihm ein Paket zusammengerollter Papiere dar.

»Herr Graf,« sagte er, »reden Sie nicht so. Hier sind Ihre Adelstitel, welche Ihnen der König bereits durch Dispolsen zurückgeschickt hatte. Se. Majestät fügt das Geschenk Ihrer Begnadigung und Freiheit hinzu. Dies ist die Mitgift der Gräfin von Daneskiold, Ihrer Tochter.«

»Gnade! Freiheit!« wiederholte Ethel entzückt.

»Gräfin von Daneskiold!« fügte der Vater hinzu.

»Ja, Herr Graf!« erwiederte der General, »Sie werden in Ihre Güter, Ehren und Würden wieder eingesetzt.«

»Wem danke ich dies Alles?« fragte der beglückte Greis.

»Dem General Levin von Knud,« antwortete Ordener.

»Levin von Knud! Ich sagte es ja, er ist der beste der Menschen. Aber warum ist er nicht selbst gekommen, mir mein Glück zu verkünden?«

»Hier steht er!« sagte Ordener lächelnd und deutete auf den Gouverneur.

Welch rührende Scene, als die beiden Jugendfreunde sich wieder umarmten! Des alten Gefangenen Herz öffnete sich ganz. Als er Han den Isländer kennen lernte, hatte er aufgehört, die Menschen zu hassen; Ordener und Levin lehrten ihn sie lieben.

Ordeners heimliche Vermählung wurde durch prachtvolle Feste öffentlich gefeiert. Der Graf Ahlfeldt sah sie glücklich und dies war seine größte Strafe.

Athanasius Munder hatte auch seine Freude: er erlangte die Begnadigung nicht nur der zwölf Verurtheilten, sondern auch die Kennybols, Jonas und Norbiths, die frei und freudig in ihre Heimath zurückkehrten und den Bergleuten verkündeten, daß der König sie von der Vormundschaft befreit habe.

Schuhmacher erfreute sich nicht lange des Glücks seiner Kinder, sein Herz war unter den Wechselfällen dieser wenigen Tage zu sehr erschüttert worden; er starb in demselben Jahre. Man begrub ihn in der Kirche von Beer, einer Besitzung seines Tochtermanns in Jütland. Aus dem Ehebund Ordeners und Ethels entsprang die Familie der Grafen von Daneskiold.

  1. Es waren ernstliche Zwistigkeiten zwischen Dänemark und Schweden ausgebrochen, weil der Graf von Ahlfeldt in einer Unterhandlung verlangt hatte, durch einen Vertrag zwischen den beiden Staaten dem König von Dänemark den Titel rex Gothorum beizulegen, welches dem dänischen Monarchen die Souveränetät über Gothland, eine schwedische Provinz, zu überweisen schien; während ihm die Schweden bloß die Eigenschaft eines rex Gototorum bewilligen wollten, welche unbestimmte Benennung dem alten Titel der dänischen Monarchie »König der Goten« gleichkam. Auf dieses h, welches die Ursache einer langen Unterhandlung war und beinahe zu einem Kriege geführt hätte, spielte hier Schuhmacher an.
  2. Nach alten Chroniken machte sich im Jahre 1525 ein Bischof von Borglum durch verschiedene Räubereien berüchtigt. Er war im Bunde mit Seeräubern, welche die Küsten von Norwegen plünderten.
  3. Nach dem Volksglauben war bei Nysthiem die Hölle derjenigen, die an Krankheit oder Altersschwäche sterben.

XXIII.

Der Reisende, welcher heutzutage die mit Schnee bedeckten Berge bereist, die, gleich einem weißen Gürtel den See Smiassen umgeben, findet keine Spur mehr von dem, was die Norweger des siebenzehnten Jahrhunderts die Ruine von Urbar genannt haben. Man hat nie ergründen können, welcher menschlichen Bauart, welcher Gattung von Gebäuden die Ruine angehörte, wenn man ihr anders diesen Namen geben kann. Wenn man aus dem Walde heraustritt, der die südliche Seite des Sees bedeckt, sofort einen Abhang heraufsteigt, der da und dort mit verfallenen Mauern und Thürmen besät ist, gelangt man an eine gewölbte Oeffnung, welche in die Seite des Berges gebrochen ist. Diese Oeffnung, welche jetzt ganz durch Erdfälle verschüttet ist, war der Eingang einer in den Felsen gehauenen Art Galerie, die den Berg von einem Ende zum andern durchschnitt. Diese Galerie, welche durch kegelförmige, von Distanz zu Distanz in der Wölbung angebrachte Luftlöcher spärlich erleuchtet war, führte zu einer Art von länglichrundem Saale, der halb in den Felsen gegraben und durch eine Art cyklopischen Mauerwerks geschlossen war. Rundum in diesem Saale standen in tiefen Nischen plump gearbeitete Figuren von Granit. Einige dieser mystischen Götzenbilder, die von ihren Gestellen gefallen war, lagen, mit andern unförmlichen Trümmern vermischt, auf dem steinernen Boden, überwachsen mit Moos und Kräutern, in welchen Eidechsen, Spinnen und anderes Gewürm ihr Lager aufgeschlagen hatten.

Dieser unheimliche Ort erhielt sein schwaches Tageslicht durch eine dem Eingang aus der Galerie gegenüberliegende, bogenförmige Pforte. Man hätte diese Thüre, obwohl sie mit dem Boden gleichlaufend war, ein Fenster nennen können, denn sie öffnete sich auf einen tiefen Abgrund, und man konnte nicht begreifen, wohin die drei oder vier Stufen führen sollten, die außerhalb dieses seltsamen Ausgangs und unter demselben über dem Abgrund gleichsam in der Luft schwebten.

Dieser Saal war das Innere einer Art gigantischen Thurms, der in der Ferne, von der Seite des Abgrundes betrachtet, eine der Spitzen des Berges schien. Dieser Thurm stand einzeln, und Niemand wußte, zu welchem Gebäude er je gehört hatte. Man sah bloß oberhalb des Thurmes auf einem Plateau, das selbst dem kühnsten Jäger unzugänglich war, eine Masse, die man der Entfernung wegen nicht genau unterscheiden, und entweder für ein abgeplattetes Felsstück, oder für die Trümmer eines kolossalen Bogenganges halten konnte. Diesen Thurm und dieses Bogengewölbe nannte man im Lande die Ruine von Arbar. Man kannte eben so wenig den Ursprung des Namens als des Gebäudes selbst.

Auf einem Stein, der in der Mitte dieses länglichrunden Saales lag, saß, in seine blutigen Thierfelle gehüllt, Han der Isländer. Er wandte der Oeffnung, durch welche ein schwacher Schimmer des Tageslichts hereinfiel, den Rücken zu. Der Wilde beugte sich zu einem Gegenstand hinab, dessen Beschaffenheit man bei dem spärlichen Lichte, das in den Saal fiel, nicht unterscheiden konnte. Nur hörte man von Zeit zu Zeit ein dumpfes Stöhnen, das von diesem Gegenstande auszugehen schien, und schwache Bewegungen deuteten an, daß es ein belebter Körper sei. Bisweilen richtete sich der Wilde in die Höhe und brachte einen Menschenschädel an die Lippen, in welchem eine rauchende Flüssigkeit war, deren Farbe man nicht unterscheiden konnte, und die er in langen Zügen einschlürfte. Plötzlich erhob er sich rasch: »Ich höre etwas in der Galerie,« sagte er. »Ist es wohl schon der Kanzler der beiden Königreiche?«

Ein furchtbares Lachen, dem ein thierisches Geheul folgte, begleitete diese Worte. Plötzlich antwortete aus der Galerie ein Thiergeheul dem Heulen des wilden Menschen.

»Ho, Ho!« sagte der Bewohner der Ruine von Arbar, »das ist kein Mensch, aber doch ein Feind; es ist ein Wolf.«

Wirklich sprang auch ein großer Wolf aus der Wölbung der Galerie, blieb einen Augenblick stehen und näherte sich dann in schiefen Wendungen dem Menschen, den Bauch auf dem Boden und glühende, im Dunkel stammende Blicke auf seine Beute werfend.

»Ah!« sagte der Wilde, »das ist der alte Wolf mit grauen Haaren, der älteste Wolf der Wälder von Smiassen. Gegrüßet seist du, Wolf! Deine Augen funkeln. Nagender Hunger und der Leichengeruch führen dich hieher. Bald wird dein eigenes Fleisch hungrige Wölfe herbeilocken. Willkommen, alter Wolf von Smiassen! Längst habe ich gewünscht, dir zu begegnen. Du bist so alt, daß es heißt, du könnest nicht sterben. Morgen wird es nicht mehr so heißen.«

Das Thier antwortete durch ein furchtbares Heulen, krümmte sich rückwärts und stürzte mit einem Satze auf den wilden Menschen.

Der Wilde blieb festen Fußes stehen. Schnell wie der Blitz faßte er das Thier mit der linken Hand an der Gurgel, während die langen Nägel seiner rechten Hand in dem Bauch des Wolfes wühlten und seine Haut blutig färbten. Das Thier stand aufrecht, die beiden Vorderpfoten auf den Schultern seines Feindes, mit aufgesperrtem Rachen und geifernder Zunge, aber die eiserne Faust des Wilden schnürte ihm den Rachen so fest zu, daß es kaum einen Laut des Schmerzes von sich zu geben vermochte.

»Wolf von Smiassen,« sagte der sieghafte Wilde triumphirend, »deine Krallen zerreißen mein Kleid, aber deine Haut wird mir ein anderes geben,«

Der Wolf machte eine letzte krampfhafte Anstrengung, den Menschen niederzuwerfen; dieser fiel über einen der zerstreut umherliegenden Steine. Mensch und Thier lagen am Boden, und Beider Geheul mischte sich miteinander.

Im Fallen hatte der Wilde die Gurgel des Thieres losgelassen, und schon fühlte er dessen schneidende Zähne in seiner Schulter, Beide rollten sich auf dem Boden und stießen an eine ungeheure weiße Masse, die im dunkelsten Winkel des Saales zusammengerollt lag und schlief.

Es war ein großer weißer Bär, der brummend aus dem Schlafe auffuhr. Kaum hatten sich seine trägen Augen so weit geöffnet, daß er den Kampf sehen konnte, so stürzte er sich mit Wuth, nicht auf den Menschen, sondern auf den Wolf, der in diesem Augenblicke siegreich war, faßte ihn in der Mitte des Körpers mit seinem ungeheuren Rachen, und befreite auf diese Art den Wilden von seinem Feinde,

Der Wilde, von Blut triefend, erhob sich, und weit entfernt, für diesen Dienst dankbar zu sein, stürzte er auf den Bären los und gab ihm einen tüchtigen Fußtritt auf den Bauch, wie ein Herr seinem Hunde, wenn er einen Fehler begangen hat.

»Freund!« sagte er, »wer hat dir gerufen? Worein willst du dich mischen?« Diese Worte wurden unter Grinsen und Zähneknirschen hervorgebracht. »Fort mit dir!« fügte der Wilde heulend hinzu.

Der Bär, der von dem Menschen einen Fußtritt und von dem Wolf einen Biß erhalten hatte, stieß eine Art kläglichen Brummens aus, senkte seinen schwerfälligen Kopf, und ließ den Wolf los, der sich sogleich mit neuer Wut auf den Menschen stürzte.

Während der Kampf fortdauerte, kehrte der Bär in seine Ecke zurück, setzte sich auf seine Hinterbeine und sah ihm ruhig zu.

Als der Wolf sich wieder auf den Wilden stürzte, fasste dieser den blutigen Rachen des Tieres in seine nervige Faust, und drückte ihn fest und immer fester zusammen. Der Wolf krümmte und bäumte sich vor Wut und Schmerz in der eisernen Faust seines Feindes, die ihn wie eine Zange festhielt. Ein schwarzblauer Schaum floss aus seinem zusammengepressten Rachen, und seine Augen, von Wut und Schmerz angeschwollen, schienen aus ihren Höhlen treten zu wollen. Derjenige der beiden Kämpfer, dessen Beine von scharfen Zähnen zermalmt, dessen Fleisch von heissen Krallen zerfleischt wurde, war hier nicht der Mensch, sondern das Tier des Waldes; das Brüllen, dessen Ton am wildesten, dessen Ausdruck am grimmigsten war, kam nicht aus der Brust des wilden Tieres, sondern des Menschen.

Endlich nahm der Wilde seine ganze Kraft, die durch den langen Widerstand des alten Wolfs beinahe erschöpft war, zusammen, und drückte mit seinen beiden Händen auf den Rachen des Tieres mit solcher Kraft, dass ihm das Blut aus der Kehle und den Naslöchern sprang; die Flamme der Augen erlosch, und sie fielen halb zu; das Tier schwankte und fiel leblos zu den Füßen seines Siegers nieder.

»Da liegst du, Werwolf!« sagte der Wilde und stieß ihn verächtlich mit dem Fuße von sich. »Glaubtest du denn noch älter werden zu können, nachdem du mein Angesicht gesehen hattest? Jetzt wirst du nicht mehr mit unhörbarem Schritt über das Schneefeld laufen, der Spur deiner Beute folgend; du bist jetzt selbst ein Raub der Wölfe und Geier. In deinem langen Leben voll Mord und Blutbad hast du viele verirrte Wanderer am Strande des Smiassen erwürgt. Jetzt bist du selbst todt und wirst keine Menschen mehr fressen. Das ist Schade!«

Der Wilde nahm einen schneidenden Stein, kniete vor dem noch rauchenden Leichnam des Thieres nieder, und in einem Nu hatte er ihm die Haut abgezogen.

»Man muß wohl,« murmelte er zwischen den Zähnen, indem er die blutige Haut um seine Schultern warf, »sich in Thierfelle kleiden, denn die Haut des Menschen ist zu dünn, um gegen die Kälte zu schützen.«

Inzwischen hatte sich der Bär zu dem Gegenstand, dessen oben erwähnt worden ist, und dessen Wesen man in der Dunkelheit nicht erkennen konnte, hingeschlichen, und bald hörte man in dem finstern Theil des Saales ein Knacken der Zähne, untermischt mit schwachen und schmerzhaften Seufzern eines im Todeskampf liegenden Geschöpfes.

»Freund!« schrie der Wilde mit drohender Stimme. »Warte, Bursche! Daher!«

Mit diesen Worten raffte er einen schweren Stein auf und warf ihn dem Ungeheuer auf den Kopf, das, ganz betäubt von dem Wurf, langsam seine Beute fahren ließ, seine blutigen Lippen leckte, wedelnd zu den Füßen des Wilden kroch, den Rücken krümmte und seinen dicken Kopf zu ihm erhob, als wollte es um Verzeihung bitten.

Jetzt fand zwischen den beiden Ungeheuern ein Austausch bedeutungsvollen Brüllens statt. Das Brüllen des menschlichen Unthiers drückte Herrschergewalt und Zorn aus, das des Bären Bitte und Unterwürfigkeit.

»Hier,« sagte endlich der Wilde, indem er auf den Leichnam des Wolfs deutete, »hier ist deine Beute, laß mir die meinige!«

Der Bär beroch den Leichnam des Wolfs, schüttelte mißvergnügt den Kopf und hob sein Auge zu dem Wilden, der sein Herr war.

»Ich verstehe dich, das ist schon zu todt für dich, während das andere noch zuckt. Du bist ein feiner Züngler, dein Fleisch soll noch Leben haben, wenn du es zerreißest, und soll unter deinem Zahne vollends sterben: du hast nur Freude an dem, was leidet! wir gleichen uns, denn ich bin auch kein Mensch, ich stehe über diesem elenden Geschlecht, ich bin ein wildes Thier, wie du. Recht so, brumme zu meinen Füßen, brülle durch den Wald, daß Mensch und Thier erschrocken fliehen! Den Kopf in die Höhe, Freund, lecke mich mit dieser Zunge, die so oft Menschenblut getrunken hat!«

Während der Wilde so sprach, lauerte der Bär vor ihm, leckte seine Hände, wälzte sich auf dem Rücken und gab seine Freude zu erkennen, wie ein wohl dressirter Hund.

»Die Menschen sagen, ich fliehe sie,« fuhr der Wilde fort, »aber sie fliehen mich; sie thun aus Furcht, was ich aus Haß thue … Du weißt ja, Freund, daß ich gerne einem Menschen begegne, wenn ich Hunger oder Durst habe.«

Plötzlich erschien in der Galerie ein röthliches Licht, das sich allmählig näherte und einen schwachen Schein auf die alten feuchten Mauern warf.

»Da kommt gerade ein Mensch,« sagte der Wilde. »Man darf nur von der Hölle reden, so zeigt der Teufel seine Hörner. Holla! Freund! Auf!«

Der Bär richtete sich in die Höhe.

»Ich muß wohl deinen Appetit befriedigen, um deinen Gehorsam zu belohnen,« sagte der Wilde und bückte sich auf den Gegenstand am Boden nieder.

Jetzt hörte man ein Krachen, wie von Gebeinen, die mit der Axt zerhauen werden; es mischte sich aber kein Ton eines lebendigen Wesens mehr darein. »Hier, Freund, vollende dein begonnenes Mahl,« fuhr der Wilde fort und warf etwas, das er von dem zu seinen Füßen ausgestreckten Gegenstand abgelöst hatte, dem Thore über dem Abgrund zu. Der Bär stürzte sich so gierig auf diese Beute, daß man kaum durch einen schnellen Blick unterscheiden konnte, daß dieser Fetzen die Form eines menschlichen Armes hatte und mit einem Stück grünen Stoffes bekleidet war, wie die Soldaten der Besatzung von Munckholm trugen.

»Es kommt näher,« sagte der Wilde, die Augen auf das Licht heftend, das immer größer erschien. »Bruder, Freund! Laß mich allein! Fort mit dir!«

Der Bär nahm mit zufriedenem Brummen den Raub in seinen Rachen, stürzte der Pforte zu, stieg die äußeren Stufen hinter sich hinab, und verschwand im Abgrund.

Gleich darauf erschien unter dem Ausgang der Galerie ein Mann, der in einen braunen Mantel gewickelt war und eine Blendlaterne in der Hand trug, mit welcher er dem Wilden ins Gesicht leuchtete.

Der Wilde, der mit gekreuzten Armen auf dem Steine saß, rief ihm zu: »Sei nicht willkommen hier, Du, den ein Gedanke herführt, nicht ein Instinkt!«

Der Fremde antwortete nicht, sondern betrachtete aufmerksam den Wilden.

»Sieh mich nur an,« sagte dieser und hob den Kopf in die Höhe, »in einer Stunde vielleicht hast Du nicht mehr so viel Hauch der Stimme, Dich rühmen zu können, daß Du mich gesehen habest.«

Der Fremde beleuchtete den Wilden von allen Seiten, und schien mehr verwundert als erschrocken.

»Worüber wunderst Du Dich denn? Ich habe Arme und Beine, wie Du, nur werden meine Glieder nicht, wie die Deinigen, der Fraß der Pantherkatzen und Raben werden.«

Endlich that der Fremde den Mund auf und sagte mit leiser, aber ruhiger Stimme, als ob er nichts weiter fürchtete, als von Außen gehört zu werden: »Hört, ich komme nicht als Feind, sondern als Freund …« »Wenn Du als Freund kommst, hättest Du Deine menschliche Gestalt ablegen sollen.« »Wenn Ihr der seid, den ich suche, komme ich in der Absicht, Euch einen Dienst zu erweisen…« »Das heißt, Dir von mir einen Dienst erweisen zu lassen. Mensch, jeder Deiner Schritte zu mir ist verloren. Ich kann nur denen Dienste leisten, die des Lebens müde sind.« »An Euern Worten sehe ich wohl, daß Ihr der Mann seid, wie ich ihn brauche, aber Eure Gestalt … Han der Isländer ist ein Riese … Ihr könnt nicht dieser Han sein …« »Das ist zum erstenmal, daß man in meiner Gegenwart daran zweifelt.« »Wie! Ihr seid Han der Isländer? Es heißt ja, Han sei ein Riese … « »Füge meinen Ruf meiner Größe bei, und Du wirst mich höher sehen, als der Hella ist.« »Wirklich! Ihr seid also Han, gebürtig von Klivstadur in Island?« »Auf diese Frage antworte ich nicht mit Worten,« erwiederte der Wilde, indem er aufstand und dem unklugen Fremden einen Blick zuwarf, vor welchem dieser drei Schritte zurückwich. »Dieser Blick überzeugt mich hinreichend,« sagte der Fremde mit einer fast flehenden Stimme, und warf aus den Eingang des Saals einen Blick, in welchem sich das Bedauern aussprach, dessen Schwelle überschritten zu haben. »Nur Euer eigener Vortheil hat mich hieher geführt…« Als der Fremde in den Saal trat, konnte er sein kaltes Blut behalten, da er den Bewohner der Ruine von Urbar nur unvollständig sah; als aber jetzt der Wilde aufrecht vor ihm stand, mit seinem Tigergesicht, seinem gedrängten Gliederbau, seinen blutigen Schultern, die kaum mit einem noch frischen Felle bedeckt waren, mit seinen großen Händen, seinen Tigerkrallen, seinen stechenden Augen, da schauderte der Fremde, wie ein unwissender Reisender, der einen Aal anzurühren glaubt, und den eine Schlange sticht. »Mein Vortheil,« wiederholte das Unthier. »Willst Du mir etwa Nachricht geben, wo irgend eine Quelle zu vergiften, irgend ein Dach anzuzünden, irgend ein Soldat von Munckholm zu erwürgen ist?« »Vielleicht. Hört einmal! Die norwegischen Bergleute empören sich. Ihr wißt, wie vieles Unglück jede Empörung nach sich zieht.« »Ja, Raub, Mord und Brand.« »Ich biete Euch Alles dies an.« Der Wilde lachte laut auf: »Ich brauche nicht zu warten, bis Du mir dieses anbietest, ich kann es selbst nehmen.« »Ich trage Euch im Namen der Bergleute den Oberbefehl über die Rebellen an.« »Ist das wahr, daß Du mir diesen Oberbefehl in ihrem Namen anträgst?« Diese Frage schien den Fremden in Verlegenheit zu setzen; da er aber hier sich gänzlich unbekannt wußte, so faßte er sich gleich wieder. »Weßhalb empören sich die Bergleute?« fragte der Wilde. »Um sich von den Lasten der königlichen Vormundschaft zu befreien.« »Bloß deßwegen?« fragte der Isländer höhnisch. »Sie wollen auch den Staatsgefangenen in Munckholm befreien.« »Ist das der einzige Zweck dieses Aufstandes?« »Ich kenne keinen andern.« »So! Du kennst keinen andern?« Diese Worte waren, wie die vorgehenden, in ironischem Tone ausgesprochen. Um der Verlegenheit ein Ende zu machen, worein ihn Ton und Inhalt versetzten, zog der Fremde eine schwere Geldbörse unter seinem Mantel hervor und warf sie dem Räuber hin. »Hier,« sagte er, »ist Euer Gehalt als oberster Anführer.« »Behalte es! Meinst Du denn, wenn ich Lust hätte zu Deinem Gold oder nach Deinem Blut, so würde ich erst auf Deine Erlaubniß warten, beides zu nehmen?« Der Fremde machte eine Geberde des Staunens und Schreckens. »Es ist ein Geschenk, das mir die Bergleute für Euch übergeben…« »Ich will es nicht,« sage ich Dir. »Gold brauche ich nicht. Die Menschen verkaufen wohl ihre Seele, aber nicht ihr Leben. Man muß es ihnen nehmen.« »Ich werde also den Bergleuten ankündigen, daß der gefürchtete Han der Isländer nur den Befehl über sie, aber nicht ihr Gold annimmt…« »Ich nehme ihn nicht an.« Diese kurz und bestimmt ausgesprochenen Worte schienen unangenehm in die Ohren des angeblichen Emissärs der Bergleute zu klingen. »Wie!« sagte er. »Nein!« erwiederte Jener. »Ihr wollt an einer Unternehmung nicht Theil nehmen, die Euch so viele Vortheile verspricht?« »Vortheile! Ich kann die Meierhöfe allein plündern, und wenn ich Dörfer verwüsten, Bauern und Soldaten umbringen will, brauche ich Niemands Hülfe dazu.« »Aber bedenkt, daß Euch die Straflosigkeit gesichert ist, wenn Ihr den Befehl über die Bergleute annehmt.“ »Ist es abermals im Namen der Bergleute, daß Du mir Straflosigkeit zusicherst?“ fragte der Räuber lachend. »Ich will Euch nicht verhehlen,“ antwortete der Fremde mit geheimnißvollem Wesen, »daß dies im Namen eines mächtigen Mannes geschieht, der bei diesem Aufstand die Hand im Spiele hat.“ »Und ist dieser mächtige Mann sicher, daß er nicht selbst gehängt wird?“ »Wenn Ihr ihn kenntet, so würdet Ihr nicht den Kopf schütteln.“ »Nun, wer ist er denn?“ »Das kann ich Euch nicht sagen.“ Der Räuber trat vorwärts, klopfte dem Fremden auf die Schulter und sagte, stets mit demselben satanischen Lachen: »Soll ich es Dir sagen?“ Der Fremde machte eine Bewegung des Schreckens und beleidigten Stolzes. Er war eben so wenig auf die barsche Unterbrechung als aus die wilde Vertraulichkeit des Räubers gefaßt. »Ich treibe mein Spiel mit Dir,“ fuhr dieser fort, »denn Du weißt nicht, daß ich Alles weiß. Diese mächtige Person ist der Großkanzler von Dänemark und Norwegen, und der Großkanzler von Dänemark und Norwegen, das bist Du!“ Es war in der That der Großkanzler selbst. Er wollte Niemand anders die Unterhandlung mit dem gefürchteten Räuber anvertrauen. Eine der ersten Eigenschaften des Grafen Ahlfeldt war Geistesgegenwart. Als der Räuber seinen Namen so barsch aussprach, konnte er einen Schrei des Staunens nicht unterdrücken, aber in einem Nu nahm sein bleiches Gesicht wieder den Ausdruck ruhiger Überlegenheit an. »Nun denn,« sagte er, »ich will ganz offen gegen Euch sein. Ja, ich bin der Großkanzler. Seid nun aber auch offen gegen mich …« Der Räuber lachte laut: »Habe ich mich denn bitten lassen, Dir meinen Namen und den Deinigen zu sagen?« »Sagt mir eben so offen, woher Ihr erfahren habt, wer ich bin?« »Hat man Dir noch nicht gesagt, daß Han der Isländer quer durch die Berge sieht?« Der Graf suchte auf seiner Frage zu bestehen: »Ihr seht in mir einen Freund vor Euch …« »Deine Hand, Graf Ahlfeldt!« sagte der Räuber barsch, blickte ihm starr ins Gesicht und rief: »Wenn in diesem Augenblicke unsere beiden Seelen den Körper verließen, so würde Satan nicht wissen, welche von beiden die des Ungeheuers ist.« Der hochmüthige Edelmann biß sich in die Lippen; aber die Furcht vor dem Räuber und die Nothwendigkeit, ihn als Werkzeug zu gewinnen, ließen ihn sein Mißvergnügen verschlucken. »Denkt besser auf Euern Voltheil,« sagte er, »nehmt den Befehl über die Rebellen an und seid meiner Dankbarkeit versichert.« »Kanzler von Norwegen, Du rechnest auf den Erfolg Deiner Unternehmungen, wie ein altes Weib, das an den Rock denkt, den es mit gestohlenem Hanfe zu spinnen, beabsichtigt, während die Pfote der Katze ihren Spinnrocken verwirrt.« »Noch einmal, besinnt Euch, ehe Ihr mein Anerbieten zurückweist.« »Noch einmal, ich, der Räuber, sage Dir, dem Großkanzler beider Königreiche: Nein!« »Ich erwartete eine andere Antwort von Euch nach dem ausgezeichneten Dienste, den Ihr mir bereits geleistet habt.« »Welchen Dienst hätte ich Dir denn geleistet?« »Ist nicht von Euch der Hauptmann Dispolsen ermordet worden?« »Das kann sein, Graf Ahlfeldt! Ich kenne diesen Menschen nicht. Wer ist er denn?« »Wie! Ist nicht etwa zufällig eine eiserne Büchse, welche er mit sich führte, in Eure Hände gefallen?« Diese Frage kam der Erinnerung des Räubers zu Hülfe. »Richtig,« sagte er, »ich erinnere mich in der That dieses Menschen und seiner eisernen Büchse. Es war am Strande von Urchthal.« »Wenn Ihr mir wenigstens diese Büchse zustellen könntet, so würde meine Dankbarkeit grenzenlos sein. Sagt mir, was aus dieser Büchse geworden ist, denn sie kam in Euren Besitz.« Der Kanzler zeigte einen solchen Eifer für diesen Gegenstand, daß der Räuber dadurch aufmerksam gemacht und befremdet wurde. »Diese Büchse ist also von großer Wichtigkeit für Dich, Kanzler von Norwegen?« »Allerdings!« »Welche Belohnung willst Du mir geben, wenn ich Dir sage, wo Du sie finden kannst?« »Alles, was Ihr verlangt, mein lieber Han von Island!« »Nun, so sage ich Dir es nicht.« »Das wäre Spaß! bedenkt, welchen Dienst Ihr mir dadurch leistet.« »Das eben bedenke ich.« »Ich würde Euch mit Reichthum überhäufen und Eure Begnadigung von dem König auswirken.« »Wirke lieber Deine Begnadigung von mir aus. Höre mich, Großkanzler von Dänemark und Norwegen, die Tiger zerreißen die Hyänen nicht. Ich entlasse Dich lebend von meinem Angesicht, weil Du ein Bösewicht bist, und weil jeder Augenblick Deines Lebens, jeder Gedanke Deiner Seele ein Unglück für die Menschen und ein Verbrechen für Dich zur Welt bringt. Aber kehre nicht wieder, denn mein Haß verschont Niemand, selbst die Bösewichter nicht. Schmeichle Dir nicht, daß ich diesen Hauptmann um Deinetwillen umgebracht habe. Seine Uniform hat ihn zum Tode verurtheilt, so wie jenen andern Elenden, den ich ebenfalls nicht deßhalb ermordet habe, weil ich Dir einen Dienst leisten wollte.« Mit diesen Worten faßte er den Kanzler am Arm und zog ihn zu dem Gegenstande hin, der im Schatten lag. Das Licht der Blendlaterne fiel darauf. Es war ein verstümmelter, mit einer Offiziersuniform des Regiments Munckholm bekleideter Leichnam. Der Kanzler warf einen Blick des Abscheus auf ihn. Plötzlich starrte er das eingefallene, blutige Gesicht des Tobten an. Er erkannte ihn trotz des blauen, halb geöffneten Mundes, der sich in die Höhe sträubenden Haare, der schwarzblauen Wangen, der erloschenen Augen. »Himmel! Mein Sohn Friedrich!« rief er mit einem Schrei des Entsetzens aus. Der Mörder stieß ein tolles Gelächter aus. Es war furchtbar anzuhören, wie die Seufzer, welche der unglückliche Vater vor dem entseelten Körper seines ermordeten Sohnes ausstieß, sich mit dem furchtbaren Lachen des Unthiers mischten, das ihn gemordet hatte. »Heule, heule um Deinen Sohn!« rief das Ungeheuer aus. »Mein Ahnherr Ingulph der Vertilger hat mich gelehrt, den meinigen zu rächen!« Ein Geräusch schneller Schritte ließ sich in der Galerie hören. Vier große Männer, mit bloßen Schwertern in den Händen stürzten in den Saal herein; ein fünfter, der klein und dick war, folgte ihnen, mit einer Fackel in der einen, einem Säbel in der andern Hand. »Gnädiger Herr!« rief dieser letztere, »wir haben Ihre Stimme gehört und eilen Ihnen zu Hülfe!« Es war Musdoemon mit den vier bewaffneten Dienern, welche das Gefolge des Kanzlers bildeten. Als die Fackel mit ihrem hellen Licht diesen Schauplatz beleuchtete, erstarrten die andern Ankömmlinge vor Schrecken. Hier das noch blutige Aas des Wolfs, dort der entseelte Leichnam des jungen Offiziers; hier der entsetzte Vater mit verstörten Blicken und herzzerreißendem Jammergeschrei, dort das Ungeheuer in menschlicher Gestalt, den Ankommenden sein scheußliches Gesicht zukehrend, auf dem sich ein furchtloses Staunen malte. Als der Kanzler diese unerwartete Hülfe ankommen sah, bemächtigte sich seiner der Gedanke der Rache, und seine Verzweiflung verwandelte sich in Wuth. »Nieder mit diesem Mörder!« schrie er, indem er seinen Degen zog. »Er hat meinen Sohn erschlagen! Nieder, nieder mit ihm!« »Er hat Herrn Friedrich ermordet?« sagte Musdoemon, und die Fackel, die er trug, zeigte nicht die mindeste Rührung in den Zügen seines Gesichts. »Nieder, nieder mit ihm!« wiederholte der wüthende Vater, und alle sechs stürzten sich auf das Ungeheuer. Der Wilde, über diesen raschen Angriff erstaunt, stieß ein entsetzliches Geheul aus und zog sich gegen die Pforte zurück, die über dem Abgrund schwebte. Sechs Schwerter waren gegen seine Brust gezückt, sein Blick aber war flammender und sein Gesicht drohender, als das irgend eines seiner Angreifer. Durch die Zahl seiner Feinde zur Vertheidigung gezwungen, schwang er seine Axt mit so reißender Schnelligkeit um sein Haupt, daß der Zirkel des Umschwungs ihn gleich einem Schilde deckte. Wenn die steinerne Axt den Spitzen der Schwerter begegnete, sprühten Funken aus ihnen, aber keine Klinge drang bis zu seinem Körper durch. Gleichwohl verlor er, durch seinen früheren Kampf mit dem Wolf ermüdet, allmählig Boden, und bald sah er sich bis zu der Pforte gedrängt, die sich über dem Abgrund öffnete. »Muth, meine Freunde!« rief der ingrimmige Vater des Schlachtopfers aus. »Laßt uns das Unthier in den Abgrund stürzen!« »Eher werden die Gestirne des Himmels hinabfallen!« erwiederte der Wilde. Inzwischen verdoppelten die Angreifenden ihren Eifer, und schon stand der Räuber auf der obersten Stufe der Treppe, die über dem Abgrund hing. »Drauf! drauf!« rief der Vater aus. »Er muß hinab! Hinunter mit ihm! Elender, das war Deine letzte Gräuelthat!« Mit gleicher Kraft und Schnelligkeit schwang der Wilde seine Axt in der rechten Hand, während die linke ein hölzernes Horn ergriff, das an seinem Gürtel hing; er brachte es an seine Lippen und entlockte ihm einen rauhen, langen, nachhaltenden Ton, dem plötzlich aus der Tiefe des Abgrunds ein furchtbares Brüllen antwortete. Jetzt war er auf die zweite Stufe hinabgedrängt, da erschien plötzlich neben ihm der dicke Kopf eines weißen Bären. Von Staunen und Schrecken ergriffen, wichen die Angreifenden zurück. Der Bär stieg vollends die Treppe herauf und öffnete gegen sie seinen blutigen Rachen mit dem furchtbaren Gebiß. »Habe Dank, Freund!« rief der Wilde und schwang sich, die Ueberraschung seiner Gegner benützend, auf den Rücken des Bären, der rückwärts hinabstieg, mit drohend geöffnetem Rachen gegen die Feinde seines Herrn. Als sie sich von ihrer ersten Bestürzung erholt hatten, sahen sie, wie der Bär seinen Herrn den Abgrund hinabtrug, indem er sich mit seinen Klauen an allen Baumstämmen und vorspringenden Felsstücken festhielt. Sie wollten ihm einen der umherliegenden schweren Steine nachwerfen, aber bevor sie ihn vom Boden aufgehoben hatten, war das Thier mit dem Wilden in einer Höhle des Berges verschwunden.

XXXII.

Inzwischen waren die Rebellen durch den Haupteingang, der in einer tiefen Schlucht sich zu ebener Erde öffnet, aus der Bleimine von Apsyl-Corh ausgezogen.

Ordener, der Norbiths Bande zugetheilt worden war, sah im Anfang nur einen langen Zug von Fackeln, deren Schein, mit den ersten Strahlen des Tages im Kampfe, auf Aexten, Gabeln, Hauen, eisernen Streitkolben, Hämmern, Hebebäumen und all den plumpen Waffen wiederglänzte, welche der Aufstand von der Arbeit entlehnen kann, vermischt mit regelmäßigen Waffen, Flinten, Piken, Säbeln, Pistolen, aus denen man absehen konnte, daß dem Aufstand eine Verschwörung vorhergegangen war.

Nachdem die Sonne aufgegangen war, konnte Ordener diese seltsame Armee, die ohne Ordnung unter rohem Gesang und wildem Geschrei vorrückte, besser überblicken. Sie war in drei Divisionen, oder vielmehr in drei ordnungslose Haufen abgetheilt. Voran marschirten die Bergbewohner von Kole, angeführt von Kennybol, in Thierfelle gekleidet und von wildem, trotzigem Aussehen. Hierauf kamen die jungen Bergleute unter Norbith und die alten unter Jonas, mit ihren großen Filzhüten und weiten Beinkleidern, mit nackten Armen und geschwärzten Gesichtern. Ueber den Häuptern dieser ordnungslosen Banden flatterten in bunter Mischung feuerfarbene Fahnen mit verschiedenen Inschriften: Es lebe Schuhmacher! – laßt uns unsern Befreier befreien! – Freiheit den Bergleuten! – Freiheit dem Grafen von Greiffenfeld! – Tod Guldenlew! – Tod unsern Unterdrückern! – Tod Ahlfeldt!

Die Rebellen schienen diese Fahnen mehr als eine Last denn als eine Zierde zu betrachten, und sie gingen von Hand zu Hand, wenn die Fahnenträger müde waren, oder an dem wilden Gesang und tollen Geschrei ihrer Waffenbrüder Theil nehmen wollten.

Die Nachhut dieser seltsamen Armee bestand aus zehn, von Rennthieren und Eseln gezogenen Karren, welche den Schießbedarf führten, und die Vorhut aus dem falschen Han dem Isländer, der, mit einem ungeheuren Streitkolben und einer Axt bewaffnet, ganz allein marschirte. Weit hinter ihm kamen, in respektvoller Entfernung, die ersten Reihen der Bande Kennybols, der ihn nicht aus den Augen verlor, um seinem diabolischen Anführer in den verschiedenen Verwandlungen, welche er vorzunehmen belieben möchte, folgen zu können.

Bald wurde das Heer der Rebellen durch die Banden von Sundmoer, Hubfallo, Kongsberg und die Eisenarbeiter von Smiassen verstärkt; diese letztern waren große und starke Leute mit Zangen und Hämmern bewaffnet, lederne Schürzen um; sie hatten keine andere Fahne, als ein hölzernes Kreuz, und marschirten ernst und taktfest einher, mit einer mehr religiösen als militärischen Regelmäßigkeit, ohne andern Kriegsgesang als Psalmen und Kirchenlieder. Sie hatten keinen andern Anführer, als ihren Kreuzträger, der unbewaffnet an ihrer Spitze einherzog.

Diese Masse von Rebellen stieß auf kein menschliches Wesen auf ihrem ganzen Wege. Bei ihrer Annäherung trieb der Ziegenhirt seine Heerde in eine Höhle, und der Landmann verließ seine Wohnung, denn der Einwohner der Ebenen und Thäler ist überall derselbe, er fürchtet das Heer der Räuber so sehr, als das der Häscher.

So zogen sie durch Hügel und Thal, durch Wald und Feld, ungebahnten Pfaden folgend, wo man mehr Spuren von wilden Thieren, als Tritte von Menschen fand, umgingen Moräste, setzten über Waldströme und Schluchten. Ordener kannte keinen dieser Orte. Einmal nur, als er das Haupt hob, fiel sein Blick in weiter Ferne auf einen großen abgeplatteten Felsen. Er neigte sich zu einem seiner plumpen Reisegefährten: »Freund, was ist das für ein Felsen dort rechts im Süden?«

»Das ist der Geyerhals, der Felsen von Oelmö,« war die Antwort.

Ordener stieß einen tiefen Seufzer aus.

XXXIII.

Leibaffe, Papageien, Kämme und Bänder, Alles lag bei der Gräfin von Ahlfeldt bereit, ihren Sohn Friedrich zu empfangen. Sie hatte mit großen Kosten den neuesten Roman der berühmten Scudery kommen lassen. Nachdem sie diese kleinen Sorgen mütterlicher Zärtlichkeit beseitigt hatte, dachte sie an nichts Anderes mehr, als ihrem Hasse gegen Schuhmacher und seine Tochter freien Lauf zu lassen. Die Abwesenheit des Generals Levin lieferte die armen Gefangenen schutzlos in ihre Hände.

Sie wünschte Aufklärung über eine Menge Gegenstände, die nur sehr unbestimmt zu ihrer Kenntniß gelangt waren: Wer war der Leibeigene oder Vasall, den die Tochter des Exkanzlers liebte? In welcher Verbindung stand Baron Ordener mit dem Gefangenen von Munckholm? Was war der Grund der so unbegreiflichen Abwesenheit Ordeners? Was war zwischen Levin Knud und Schuhmacher vorgefallen? Selbstsucht und Neugierde zogen die Gräfin unwiderruflich nach Munckholm hin.

Als eines Abends Ethel einsam im Garten des Gefängnisses saß, öffnete sich die Thüre, und eine große weiß gekleidete Dame trat herein. Ein Lächeln schwebte auf ihren Lippen, süß wie vergifteter Honig.

Ethel sah sie mit Verwunderung, fast mit Furcht an. Seit dem Tode ihrer alten Amme war diese das erste Weib, das sie im Kerker von Munckholm gesehen hatte.

»Mein Kind,« sagte die Fremde mit sanfter Stimme, »Sie sind die Tochter des Gefangenen von Munckholm?«

»Ich heiße Ethel Schuhmacher,« erwiederte die Jungfrau. »Mein Vater sagt, man habe mich, als ich noch in der Wiege lag, Gräfin von Tongsberg und Prinzessin von Wollin genannt.«

»Ihr Vater sagt Ihnen das!« rief die Frau in einem Tone aus, den sie alsbald wieder ermäßigte. Dann fügte sie hinzu: »Sie haben viel Unglück erfahren!«

»Das Unglück hat mich bei meiner Geburt mit eisernen Armen umfangen; mein edler Vater sagt, daß es mich nur im Tode loslassen werde.«

»Und Sie murren nicht gegen diejenigen, die Ihr junges Leben in diesen Kerker geworfen haben? Sie verfluchen nicht die Urheber Ihres Unglücks?«

»Nein, damit nicht unser Fluch die nämlichen Uebel, welche wir leiden, auf ihre Häupter herabziehe.«

»Kennen Sie die Urheber der Uebel, über welche Sie sich beklagen?«

Ethel dachte einen Augenblick nach und erwiederte: »Alles ist durch den Willen des Himmels geschehen.«

»Redet Ihr Vater niemals mit Ihnen von dem König?«

»Dem König? Für den bete ich Morgens und Abends, ohne ihn zu kennen.«

Ethel begriff nicht, warum sich die Fremde bei dieser Antwort in die Lippen biß.

»Nennt Ihnen Ihr unglücklicher Vater, wenn er zornig ist, niemals seine unversöhnlichen Feinde, den General Arensdorf, den Bischof Spollyson, den Kanzler Ahlfeldt? …«

»Ich weiß nicht, von wem Sie da reden.«

»Kennen Sie den Namen Levin Knud?«

»Levin von Knud? Es scheint mir, daß das der Mann ist, für welchen mein Vater so viele Achtung und beinahe Zuneigung hegt.«

»Wie!« rief die Frau aus.

»Ja, Levin von Knud war es, den mein Vater vorgestern so lebhaft gegen den Gouverneur von Drontheim vertheidigte.«

»Gegen den Gouverneur von Drontheim? Treiben Sie nicht Ihr Spiel mit mir? Es ist Ihr Wohl, was mich hierher geführt hat. Ihr Vater hat gegen den Gouverneur von Drontheim die Parthie des Generals Levin von Knud genommen?«

»Des Generals! Es scheint mir des Hauptmanns … Doch nein, Sie haben Recht. Mein Vater schien eben so viel Anhänglichkeit an diesen General Levin von Knud zu haben, als er Haß gegen den Gouverneur von Drontheim bezeugte.«

»Abermals ein seltsames Räthsel!« dachte die Gräfin. »Was ist denn,« fragte sie, »zwischen Ihrem Vater und dem Gouverneur von Drontheim vorgefallen?«

Dieses Verhör ermüdete die arme Ethel; sie fixirte die Fremde und sagte: »Bin ich denn eine Verbrecherin, daß Sie mich so verhören?«

Diese einfache Frage setzte die Gräfin in Verlegenheit; sie faßte sich jedoch und erwiederte: »Sie würden nicht so reden, wenn Sie wüßten, warum und für wen ich komme …«

»Wie!« fragte Ethel hastig, »kommen Sie von ihm? Bringen Sie mir Nachricht von ihm? …«

»Von wem?«

Ethel hielt inne, als sie eben den Namen aussprechen wollte, denn sie sah eine düstere Schadenfreude im Auge der Fremden blitzen.

»Sie wissen also nicht, wen ich meine?« sagte sie traurig.

»Armes Kind, was kann ich für Sie thun?«

Ethel hörte nichts, Ihre Gedanken irrten durch die nördlichen Berge hinter dem reisenden Abenteurer her.

»Hofft Ihr Vater aus diesem Gefängniß zu kommen?«

Diese zweimal wiederholte Frage brachte die Jungfrau wieder zu sich.

»Ja,« sagte sie, und eine Thräne glänzte in ihrem Auge.

»Er hofft es! Und auf welche Weise? … Durch welche Mittel? … Wann? …«

»Wenn er das Leben verläßt.«

Es liegt bisweilen in der Einfachheit eines jungen unverdorbenen Herzens eine Macht, welche die Ränke einer in Bosheit gealterten Seele spielend vereitelt. Dieser Gedanke schien dem Geiste der Gräfin vorzuschweben, denn der Ausdruck ihres Gesichts änderte sich plötzlich, sie legte ihre kalte Hand auf Ethels Arm und sagte in einem Tone, der an Offenheit grenzte: »Haben Sie sagen hören, daß das Leben Ihres Vaters durch eine richterliche Untersuchung aufs Neue bedroht sei, daß er im Verdacht stehe, eine Empörung unter den Bergleuten im Norden angezettelt zu haben?«

Die Worte Empörung und Untersuchung boten der Jungfrau keine klaren Ideen dar; sie hob ihr großes schwarzes Auge zu der Fremden: »Was wollen Sie damit sagen?«

»Daß sich Ihr Vater gegen den Staat verschwört, daß sein Verbrechen beinahe entdeckt ist, daß dieses Verbrechen Todesstrafe nach sich zieht …«

»Todesstrafe! … Verbrechen! …« rief das arme Mädchen aus.

»Verbrechen und Tod!« sagte ernst die Fremde.

»Mein Vater! Mein edler Vater! Er ist ein Verschwörer! Was hat er Ihnen denn gethan?«

»Sehen Sie mich nicht so an, ich sage Ihnen noch einmal, daß ich nicht feindlich gegen Sie gesinnt bin. Ihr Vater steht im Verdacht, ein großes Verbrechen begangen zu haben. Ich setze Sie davon in Kenntniß und sollte eher Ihren Dank verdienen, als diese Beweise des Hasses.«

Dieser Vorwurf rührte Ethel: »Verzeihung, edle Dame! Wir haben bis jetzt nur Feinde kennen gelernt. Ich war mißtrauisch gegen Sie, das werden Sie mir verzeihen, nicht wahr?«

Die Gräfin lächelte. »Wie, meine Tochter! Haben Sie bis auf diesen Tag nicht einen einzigen Freund gefunden?«

Ethel erröthete und zauderte mit der Antwort: »Ja! … Gott weiß die Wahrheit. Wir haben einen Freund gefunden … einen einzigen!«

»Einen einzigen! Wie heißt er? … Sie wissen nicht, wie wichtig es ist … Es ist zum Besten Ihres Vaters … Wie heißt dieser Freund?«

»Daß weiß ich nicht.«

»Treiben Sie keinen Scherz mit mir, da ich Ihnen dienen will. Bedenken Sie, daß es sich um das Leben Ihres Vaters handelt. Wie heißt dieser Freund?«

»Der Himmel ist mein Zeuge, daß ich von ihm nichts als den Taufnamen weiß: er heißt Ordener.«

»Ordener! Ordener!« wiederholte die Fremde in auffallender Bewegung. »Und wie heißt sein Vater?«

»Das weiß ich nicht. Was liegt an seiner Familie und seinem Vater! Dieser Ordener ist der edelste aller Menschen.«

Der Ton, in welchem die Jungfrau diese Worte aussprach, verrieth der Fremden das Geheimniß ihres Herzens. Sie heftete einen festen Blick auf Ethel und fragte ruhig: »Haben Sie von der nahen Vermählung des Sohnes des Vicekönigs mit der Tochter des Großkanzlers von Ahlfeldt gehört?«

»Ich glaube ja,« war die gleichgültige Antwort.

»Nun, was halten Sie von dieser Heirath?«

»Möge sie glücklich sein!« erwiederte die Jungfrau unbefangen.

»Die Grafen Guldenlew und Ahlfeldt, die Väter der beiden Verlobten, sind zwei große Feinde Ihres Vaters.«

»Möge die Vereinigung ihrer Kinder glücklich sein!« wiederholte Ethel mit sanfter Stimme.

»Es kommt mir da ein Gedanke,« fuhr das verschmitzte Weib fort: »wenn das Leben Ihres Vaters in Gefahr ist, so könnten Sie bei Gelegenheit dieser Heirath durch den Sohn des Vicekönigs seine Begnadigung erlangen.«

»Der Himmel vergelte Ihnen Ihre Theilnahme an uns, aber auf welche Weise sollte ich meine Bitte bis zu dem Sohne des Vicekönigs gelangen lassen?«

»Wie! Kennen Sie ihn denn nicht?«

»Ob ich diesen mächtigen Herrn kenne? Sie vergessen, daß mein Fuß noch nicht über die Schwelle dieses Kerkers gekommen ist!«

»Unmöglich! Sie müssen den Sohn des Vicekönigs gesehen haben, er ist hieher gekommen.«

»Das ist möglich, aber von allen Menschen, die hieher kamen, habe ich nie einen andern gesehen, als ihn, meinen Ordener …«

»Ihren Ordener! … Kennen Sie einen jungen Mann von edlen Zügen, schlankem Wuchs, ernstem gesetztem Wesen, sanftem offenem Auge, frischer Farbe, hellbraunen Haaren …«

»Daß ist er! das ist mein Ordener!« rief Ethel hastig aus.

Die Gräfin zitterte, ward roth und blaß und rief mit zermalmender Stimme aus: »Unglückliche, Du liebst Ordener Guldenlew, den Bräutigam Ulrikens von Ahlfeldt, den Sohn des Todfeindes Deines Vaters, des Vicekönigs von Norwegen.« Ethel sank ohnmächtig nieder.