20. Kapitel

Von dem noch nie erhörten und noch nie gesehenen Abenteuer, welches selbst der allervortrefflichste Ritter auf Erden nicht mit so wenig Gefahr bestanden hätte als der mannhafte Don Quijote von der Mancha

»Es ist nicht anders möglich, edler Herre mein, dieses Gras gibt Zeugnis, daß hier herum eine Quelle oder ein Bach sein muß, der das Gras befeuchtet, und sonach wird es gut sein, etwas weiterzuwandern; dann finden wir bald einen Ort, wo wir den schrecklichen Durst lindern können, der uns quält; denn der verursacht ohne Zweifel größere Pein als der Hunger.«

Der Rat gefiel Don Quijote; er nahm Rosinante am Zügel, Sancho seinen Esel am Halfter, nachdem er auf denselben die Überbleibsel des Mahles geladen, und sie wanderten die Wiese tappend hinauf, da die Finsternis der Nacht sie durchaus nichts erkennen ließ. Sie hatten aber nicht zweihundert Schritte zurückgelegt, als zu ihren Ohren ein mächtiges Rauschen von Wasser drang, als ob es von gewaltigen hohen Felsenklippen herabstürze. Das Rauschen freute sie über die Maßen; aber als sie hielten und horchten, in welcher Richtung sich dies Rauschen hören lasse, da vernahmen sie plötzlich ein andres Getöse, das ihnen die Freude über das Wasser zu Wasser machte, besonders dem armen Sancho, der von Natur furchtsam und gar geringen Mutes war. Sie hörten nämlich ein taktmäßiges Stampfen, dazu ein gewisses Klirren von Eisen und Ketten, was im Verein mit dem wütigen Tosen des Wassers jedes andere Herz als das Don Quijotes mit Bangen erfüllt hätte. Die Nacht war, wie gesagt, finster, und sie waren eben in ein Wäldchen hochwipfliger Bäume gelangt, deren Blätter, von sanftem Winde bewegt, schauerlich leise rauschten, so daß die einsame Öde, die Lage des Ortes, die Finsternis, das Brausen des Wassers mit dem Surren der Blätter, alles, alles Grausen und Entsetzen weckte, zumal als sie bemerkten, daß weder das Stampfen aufhörte, noch der Wind ruhte, noch der Morgen herannahte, zu allen welchen Schrecknissen noch das kam, daß es ihnen durchaus unbekannt war, wo sie sich befanden.

Aber Don Quijote, im alleinigen Geleite seines unverzagten Herzens, sprang auf Rosinante, und seinen Schild an den Arm nehmend, schwang er seinen Spieß und sprach: »Sancho, mein Freund, du mußt wissen, daß ich, durch des Himmels Fügung in diesem eisernen Zeitalter zur Welt kam, um in ihm das Goldene zur Auferstehung zu wecken. Ich bin der, für den die Gefahren, die Großtaten, die Werke des Heldentums aufgespart sind; ich bin der, sage ich nochmals, durch den die Ritter der Tafelrunde, die zwölf Pairs von Frankreich und die neun Männer des Ruhms wiederauferstehen und welcher die Platir, die Tablante, Olivante und Tirante, die Sonnenritter und Belianís in Vergessenheit bringen wird, sowie die ganze Schar der berühmten fahrenden Ritter der vergangenen Zeit, indem ich in dieser jetzigen, in der ich lebe, solche gewaltigen Werke, außerordentlichen Dinge und Waffentaten vollbringen werde, daß sie die glänzendsten, welche jene Helden vollbracht, in Schatten stellen sollen. Du bemerkst wohl, biederer, pflichtgetreuer Knappe, die Finsternisse dieser Nacht und ihre seltsam tiefe Stille, das dumpfe verworrene Rauschen von diesen Bäumen herab, das erschreckliche Brausen dieses Wassers, das wir aufzusuchen kamen und das so gewaltig toset, als ob es von dem hohen Mondgebirge stürzte und herniederströmte; und endlich jenes unaufhörliche Stampfen und Hämmern, das uns an die Ohren pocht und sie zerquält. All dies zusammen wie jedes einzelne für sich wäre hinreichend, um Furcht, Schrecken und Entsetzen in die Brust des Gottes Mars selbst einzugießen, wieviel mehr also dessen, der solcher Begebnisse und Abenteuer nicht gewohnt ist. Wohlan, alles dies, was ich dir male, sind nur Reizmittel und Auferwecker meines Mutes, der bereits mich so erfüllt, daß das Herz mir schier den Busen sprengt vor Gier, mich in dieses Abenteuer zu stürzen, ob es sich auch noch so schwierig zeige. Mithin zieh dem Rosinante den Gurt etwas fester an und bleibe hier mit Gott und erwarte mich an dieser Stelle, bis drei Tage vorüber sind, und nicht länger. Kehre ich binnen dieser Frist nicht zurück, so kannst du dich nach unserm Dorfe heimwenden, und von da, um einen großen Dienst und ein gutes Werk an mir zu tun, gehst du nach Toboso, wo du meiner unvergleichlichen Herrin Dulcinea sagst, daß der Ritter, den sie in Banden hielt, gestorben, weil er sich an Taten wagte, die ihn würdig machen sollten, sich den ihrigen zu nennen.«

Als Sancho diese Worte seines Herrn vernahm, brach er mit der denkbar größten Rührung in Tränen aus und sprach zu ihm: »Señor, ich weiß nicht, warum Euer Gnaden sich in dies so schreckliche Abenteuer stürzen will; es ist jetzt Nacht, hier sieht uns keiner; ganz gut können wir einen andern Weg einschlagen und der Gefahr ausweichen, sollten wir auch drei Tage lang nichts zu trinken bekommen. Und da niemand da ist, der uns sieht, ist um so sicherer niemand da, der uns der Feigheit bezichtigen kann. Zumal ich auch gar oft den Pfarrer unsres Orts, den Euer Gnaden ja sehr gut kennt, predigen hörte: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Sonach ist es nicht recht, Gott zu versuchen mit einem so ungeheuren Wagnis, aus dem zu entrinnen nur durch ein Wunder möglich; und es ist schon genug an den Wundern, die der Himmel für Euer Gnaden getan, indem er Euch davor bewahrte, gewippt zu werden, wie es mir geschehen, und Euch siegreich, frei und mit heiler Haut aus der Mitte all der vielen Feinde, die die Leiche geleiteten, herausgerissen hat. Und wenn all dieses Euer hartes Herz nicht rührt und erweicht, so möge es sich rühren lassen durch den Gedanken, ja durch die Gewißheit, daß, sowie Euer Gnaden sich von hier entfernt, ich alsbald vor Angst meine Seele jedem beliebigen preisgebe, der Lust hat, sie zu holen. Ich zog aus meiner Heimat fort und verließ Kinder und Weib, um Euer Gnaden zu dienen, weil ich glaubte, herauf- und nicht herunterzukommen. Aber wie Habgier den Säckel sprengt, so ist nichts geworden aus meinen Hoffnungen; denn als ich gerade am zuversichtlichsten erwartete, die verwünschte und unglückselige Insul zu gewinnen, die Euer Gnaden mir versprochen hat, da seh ich, daß Ihr zur Vergütung und Entschädigung dafür mich jetzt in einer öden, von allem Menschenverkehr fern abliegenden Stätte verlassen wollt. Bei dem einzigen Gott, lieber Herre mein, wollet nicht solchergestalt an mir missetun. Wollt Ihr aber durchaus nicht ablassen, diese Tat zu wagen, so verschiebt es wenigstens bis morgen; denn wie mir die Erfahrung zeigt, die ich mir erwarb, als ich Schäfer war, muß es von jetzt bis zum Frührot nicht drei Stunden sein, da die Schnauze des kleinen Bären sich über unserm Kopfe befindet und die Mitternacht in der Linie des rechten Armes steht.«

»Wie kannst du, Sancho«, sprach Don Quijote, »sehen, wo jene Linie steht, noch wo die Schnauze oder wo der Kopf, wovon du sprichst, sich befindet, wenn die Nacht so finster ist, daß am ganzen Himmel nicht ein einziger Stern erscheint?«

»Das ist wahr«, entgegnete Sancho, »aber die Furcht hat tausend Augen und sieht, was unter der Erde, wieviel mehr, was oben am Himmel ist, da man ja auch schon durch richtige Überlegung wissen kann, daß von jetzt bis zum Tage nur noch wenige Zeit fehlt.«

»Mag fehlen, was da will«, erwiderte Don Quijote, »von mir soll weder jetzt noch jemals gesagt werden, daß Tränen und Bitten mich von dem abgebracht haben, was zu tun ich nach Rittersitte verpflichtet war. Und so bitte ich dich, Sancho, zu schweigen; denn Gott, der mir es ins Herz gelegt, mich jetzt an dies so unerhörte und so schreckliche Abenteuer zu wagen, wird darauf bedacht sein, für mein Wohlergehen Sorge zu tragen und deinen traurigen Sinn zu trösten. Was du zu tun hast, ist, dem Rosinante den Gurt fest anzuziehen und hierzubleiben; denn sehr bald kehre ich wieder, lebend oder tot.«

Als nun Sancho den letzten Entschluß seines Herrn vernahm und sah, wie wenig seine Tränen, Ratschläge und Bitten bei jenem vermochten, nahm er sich vor, seine Zuflucht zur List zu nehmen und ihn womöglich zu zwingen, bis zu Tagesanbruch zu warten. Während er also dem Rosinante den Gurt fester schnallte, schnürte er sachte und unvermerkt dem Gaul beide Beine mit der Halfter seines Esels zusammen, so daß Don Quijote, als er fortreiten wollte, dazu nicht imstande war, weil der Gaul sich nur in kurzen Sprüngen bewegen konnte. Als Sancho den guten Erfolg seines tückischen Anschlags gewahr wurde, sprach er: »Wohlan, Señor, der Himmel, von meinen Tränen und flehentlichen Bitten bewegt, hat es so gefügt, daß Rosinante sich nicht von der Stelle rühren kann, und wenn Ihr dennoch auf Eurem Sinn beharren und ihm Sporn und Peitsche geben wollt, so würde das heißen, das Geschick zu erzürnen und, wie man sagt, wider den Stachel zu locken.«

Don Quijote geriet darob in helle Verzweiflung, und je mehr er dem Gaul die Sporen einsetzte, um so weniger konnte er ihn von der Stelle bringen. Ohne daß er auf die Zusammenschnürung des Gaules kam, hielt er es nun für geraten, ruhig zu bleiben und abzuwarten, entweder bis der Tag käme oder bis Rosinante sich wieder frei bewegen könne; denn er zweifelte gar nicht daran, daß die Geschichte von etwas ganz anderem als von einem listigen Streich Sanchos herrühre. Und daher sagte er zu ihm: »Da es einmal so ist, Sancho, daß Rosinante sich nicht rühren kann, so bin ich es zufrieden, abzuwarten, bis die Morgenröte lacht, wiewohl ich weinen möchte über die Frist, die sie zu kommen zögert.«

»Es ist kein Grund zu weinen«, antwortete Sancho, »ich will Euer Gnaden mit Erzählen von allerhand Geschichten von jetzt bis zu Tagesanbruch unterhalten, wenn Ihr nicht etwa absteigen und Euch nach Brauch der fahrenden Ritter ein wenig aufs Gras werfen wollt, um zu schlafen, damit Ihr desto besser ausgeruht seid, wenn der Tag und mit ihm der Augenblick kommt, Euch an das Abenteuer ohnegleichen zu wagen, das Euer harret.«

»Was heißest du absteigen; was heißest du schlafen?« sprach Don Quijote. »Gehöre ich etwa zu den Rittern, die in Gefahren der Ruhe pflegen? Schlafe du, der du zum Schlafen geboren bist, oder tue, was du sonst willst; ich aber werde tun, was meinem Vorhaben am besten ziemt.«

»Erzürnt Euch nicht, werter Herre mein«, entgegnete Sancho, »ich habe es nicht in solchem Sinne gesagt.« Und sich dicht an ihn drängend, legte er die eine Hand auf den vordem, die andre auf den hintern Sattelbogen, so daß er den linken Schenkel seines Herrn umfaßt hielt, ohne daß er es wagte, sich um eines Fingers Breite von ihm zu entfernen; solche Angst empfand er ob der gewaltigen Stöße, die noch immer, einer nach dem andern, im Takt erschollen.

Jetzt sagte ihm Don Quijote, er solle irgendeine Geschichte erzählen, um ihn zu unterhalten, wie er es ihm versprochen habe; worauf Sancho erwiderte, er wolle es allerdings tun, das heißt, wenn es ihm die Angst vor dem, was er höre, gestatten würde. »Aber trotz alledem«, so sprach er, »will ich mir Mühe geben, eine Geschichte vorzutragen, und wenn ich es fertigbringe, sie zu erzählen, und wenn ich nicht gestört werde, so ist es die beste unter allen Geschichten, und Ihr müßt gehörig aufmerken, denn ich fange jetzt an.

Es war einmal, das ist schon lange her, und wenn was Gutes kommt, so soll’s für jedermann kommen, und alles Böse soll für den sein, der nach Bösem trachtet. Und hierbei merket wohl, lieber gnädiger Herr: die Alten setzten bei ihren Märlein nicht so mir nichts, dir nichts einen beliebigen Anfang, sondern das war immer ein Spruch von Cato, dem römischen Zänkerinus, und der lautet: Alles Böse für den, der nach Bösem trachtet. Und das paßt hier, wie ein Ring an den Finger paßt, das bedeutet, daß Ihr Euch in Ruhe faßt und nirgends hingeht, nach Bösem zu trachten, sondern daß wir auf einem andern Weg zurückkehren, sintemal uns keiner zwingt, diesen Weg zu verfolgen, wo tausend Ängste über uns hereinbrechen.«

»Verfolge du deine Geschichte«, sprach Don Quijote, »und für den Weg, den wir zu verfolgen haben, überlaß mir die Sorge.«

»Ich sage also«, fuhr Sancho fort, »in einem Ort in Estremadura war ein Zieger, ich meine einen, der die Ziegen hütete, welcher Zieger oder Ziegenhirt, wie ich in meiner Geschichte finde, Lope Ruiz hieß; und dieser Lope Ruiz war in eine Hirtin verliebt, die Torralba hieß, welche Hirtin, die da Torralba hieß, die Tochter eines reichen Herdenbesitzers war, welcher reiche Herdenbesitzer …«

»Wenn du auf diese Weise deine Erzählung erzählst, Sancho«, sprach Don Quijote, »und zweimal wiederholst, was du sagst, wirst du nicht in zwei Tagen fertig. Sag alles ordentlich, eins nach dem andern, und erzähl es wie ein vernünftiger Mensch. Wo nicht, sag lieber nichts.«

»Auf die Art, wie ich’s erzähle«, antwortete Sancho, »werden bei mir zu Lande alle Märlein erzählt, und auf andre Art kann ich nicht erzählen, und Euer Gnaden tut nicht wohl daran, zu verlangen, daß ich einen neuen Brauch aufbringe.«

»Sprich denn, wie du willst«, entgegnete Don Quijote, »und da ich nach des Schicksals Willen nicht vermeiden kann, dich anzuhören, so fahre fort.«

»Also, herzliebster Herre mein«, fuhr Sancho fort, »wie ich schon gesagt, der Hirt war in Torralba, die Hirtin, verliebt, die war eine kugelrunde Dirne und spröde und hatte schier etwas vom Mannsbild an sich; denn sie hatte ein dünnes Schnurrbärtchen, ich meine, ich sehe sie noch vor mir.«

»Also hast du sie gekannt?« fragte Don Quijote.

»Ich hab sie nicht gekannt«, antwortete Sancho, »aber der mir diese Geschichte erzählt hat, der sagte mir, sie sei so gewißlich wahr, daß ich, wenn ich sie einem andern wiedererzählte, ganz wohl behaupten und beschwören könnte, ich hätte alles selber gesehen. Also wie ein Tag nach dem andern so kam und ging, so hat der Teufel, der niemals schläft und alles gern untereinanderbringt, es fertiggebracht, daß die Liebe, die der Hirt zur Hirtin trug, sich in Haß und feindseligen Sinn verwandelt hat, und die Ursache waren, wie böse Zungen sagen, eine schwere Menge Eifersüchteleien, zu denen sie ihm Anlaß gab, Dinge, die über die rechten Schranken hinausgingen und ans Verbotene grenzten; und der Hirte hatte von der Zeit an einen so großen Widerwillen gegen sie, daß er, um sie nicht mehr zu sehen, aus der Gegend wegziehen wollte, um wohin zu gehen, wo er sie nimmer vor die Augen bekäme. Die Torralba, als sie sich von Lope verschmäht sah, bekam sie ihn gleich sehr lieb, weit lieber als je zuvor.«

»Das ist die eigentümliche Natur der Weiber«, sagte Don Quijote, »den zu verschmähen, der liebend um sie wirbt, und den zu lieben, der sie haßt. Fahre fort, Sancho.«

»Es geschah nun«, sprach Sancho, »daß der Hirt seinen Entschluß ins Werk setzte, und seine Herde vor sich hertreibend, wanderte er durch das Gefilde von Estremadura, um nach den portugiesischen Landen hinüberzuziehen. Das hat die Torralba erfahren, ist hinter ihm hergewandert und ihm von weitem gefolgt, zu Fuß, ohne Strümpfe und Schuhe, mit einem Schäferstab in der Hand und einem Zwerchsack am Hals, worin sie, wie erzählt wird, ein Stückchen von einem Spiegel und einen halben Kamm trug und ein Töpfchen mit ich weiß nicht was für Schminke fürs Gesicht. Aber laßt sie bei sich tragen, was sie tragen mag, ich will mich jetzt nicht damit aufhalten, es näher zu ermitteln. Ich will nur sagen, daß man sagt, der Hirt kam mit seiner Herde hin, um über den Fluß Guadiana zu setzen, und der war um selbige Jahreszeit hoch angeschwollen und schier über seine Ufer getreten; und am Orte, wo er hinkam, war kein Boot und keine Fähre und kein Ferge, der ihn und seine Herde aufs andre Ufer hinüberbrächte, worüber er sich sehr betrübte; denn er sah, daß die Torralba schon ganz nahe war und ihm gewiß mit ihren Bitten und Tränen sehr beschwerlich fallen würde. Jedennoch, er tat sich lange umschauen, bis er zuletzt einen Fischer erblickte, der ein Boot bei sich hatte, und das war so klein, daß nur eine Person mit einer Ziege hineinging; aber trotzdem sprach er ihn an und wurde handelseinig mit ihm, er solle ihn übersetzen und die dreihundert Ziegen, die er bei sich hatte. Der Fischer stieg ins Boot und setzte eine Ziege über, fuhr zurück und setzte wieder eine über, fuhr abermals zurück und setzte abermals eine über; nun wolle Euer Gnaden genaue Rechnung über die Ziegen führen, die der Fischer nach und nach übersetzt; denn wenn sich Euch eine aus dem Gedächtnis verliert, so ist die Geschichte gleich aus, und es wird unmöglich, nur noch ein Wörtlein davon zu erzählen. Ich gehe also weiter und sage, der Landungsplatz auf dem andern Ufer war voller Kot und schlüpfrig, und der Fischer brachte lange zu mit dem Hinüber- und Herüberfahren; aber dessenungeachtet fuhr er zurück, um wieder eine Ziege zu holen, und wieder eine und nochmals eine.«

»Nimm an, er habe sie alle übergesetzt«, sagte Don Quijote, »und fahre nicht ewig so hinüber und wieder herüber, sonst wirst du in einem ganzen Jahr nicht fertig mit dem Übersetzen deiner Ziegen.«

»Wieviel Ziegen sind nun jetzt hinüber?« fragte Sancho.

»Wie, zum Teufel, soll ich das wissen?« antwortete Don Quijote.

»Das eben habe ich ja gesagt, Ihr solltet genaue Rechnung führen; denn, bei Gott, die Erzählung ist aus, es läßt sich unmöglich fortfahren.«

»Wie kann das sein?« entgegnete Don Quijote; »ist es denn so wesentlich bei der Geschichte, die übergesetzten Ziegen Stück für Stück zu wissen, daß du, wenn man sich um eine in der Zahl irrt, mit der Erzählung nicht fortfahren kannst?«

»Nein, Señor, ich kann’s durchaus nicht«, erwiderte Sancho; »denn als ich Euer Gnaden fragte, wieviel Ziegen hinüber seien, und Ihr mir antwortetet, Ihr wüßtet es nicht, im selben Augenblick ging mir alles aus dem Gedächtnis weg, was noch übrig zu sagen war, und wahrhaftig, es war höchst wertvoll und ergötzlich.«

»Demnach«, sagte Don Quijote, »ist’s mit der Geschichte jetzt aus?«

»So aus ist’s wie mit meiner Mutter selig«, sprach Sancho.

»In Wahrheit sage ich dir«, entgegnete Don Quijote, »du hast da eine ganz neue Mär oder Erzählung oder Geschichte vorgebracht, eine der merkwürdigsten in der Welt, die jemand zu erdenken vermöchte, und eine solche Art, sie zu erzählen und sie abzubrechen, wird man all seine Lebtage nicht so leicht wiederfinden und hat sie noch niemals gefunden. Ich habe in der Tat von deinem Scharfsinn nichts andres erwartet. Aber ich wundre mich nicht darüber; denn wohl mag dir das unaufhörliche Stampfen den Geist wirr gemacht haben.«

»Das kann alles sein«, antwortete Sancho, »aber ich weiß ganz sicher, in meiner Erzählung läßt sich nichts weiter sagen; denn wo der Irrtum im Zählen der Ziegen anfängt, da hört die Geschichte auf.«

»Mag sie in Gottes Namen aufhören, wo sie will«, sagte Don Quijote, »wir aber wollen zusehen, ob Rosinante sich jetzt von der Stelle rühren kann.«

Er gab dem Gaul nun wiederum die Sporen, und der sprang wieder in kurzen Sätzen in die Höhe und blieb dann stehen, so festgebunden war er.

Jetzt aber – ob nun die Kühle des bereits nahenden Morgens daran schuld war oder ob Sancho am Abend allerlei Abführendes verspeist hatte oder ob es nur der naturgemäße Verlauf der Dinge war, was am ehesten glaublich ist –, jetzt kam ihn der Wunsch und Drang an, zu verrichten, was kein andrer für ihn verrichten konnte. Indessen war die Furcht, die in sein Herz eingezogen, so groß, daß er sich nicht getraute, von seines Herrn Seite nur um die Breite des Schwarzen am Nagel zu weichen. Daß er aber daran dächte, von seinem Gelüste abzustehen, das war ebenso unmöglich. Was er nun tat, um aus der Klemme zu kommen, war dies: er nahm die rechte Hand vom hintern Sattelbogen weg und zog dann mit ihr behutsam und in aller Stille die laufende Schleife auf, die allein und ohne weiteres Hilfsmittel seine Hosen in die Höhe hielt, und sowie er sie gelöst, fielen die Hosen sofort herab und hingen um ihn her wie Beinschellen. Hierauf zog er, so gut es ging, das Hemd in die Höhe und streckte in die Lüfte zwei Sitzteile hinaus, die nicht allzu klein waren. Dieses vollbracht – und er glaubte, es sei damit das meiste bereits geschehen, was er zur Rettung aus diesen schrecklichen Bedrängnissen und Ängsten zu tun hatte –, überkam ihn eine andre, noch größere Besorgnis; es bedünkte ihn nämlich, er werde nicht ohne Geräusch und Lärm sein Geschäft verrichten können. Da begann er die Zähne zusammenzubeißen und die Schultern hochzuziehen und den Atem soweit nur möglich anzuhalten; aber unerachtet all dieser Vorsichtsmaßregeln war er so unglücklich, daß er zuletzt ein kleines Geräusch hören ließ, sehr verschieden von dem, das ihn so sehr in Besorgnis setzte.

Don Quijote hörte es und fragte: »Was für ein Getöne ist dieses, Sancho?«

»Ich weiß nicht, Señor«, antwortete er, »das muß ein neues Begebnis sein; denn bei jedem Abenteuer ist es nicht geheuer, und Glück und Unglück fängt nimmer mit Kleinem an.«

Jetzt begann er wieder sein Glück zu versuchen, und es gelang ihm so wohl, daß er ohne ein weiteres Geräusch und Getöse sich endlich von der Last befreit sah, die ihm so viele Not gemacht hatte. Aber da bei Don Quijote der Sinn des Geruchs so entwickelt war wie der des Gehörs und Sancho sich so dicht an ihn geheftet hielt, daß die Düfte beinahe in gerader Linie aufstiegen, so konnte es nicht fehlen, daß etwelche in des Ritters Nase drangen, und kaum war das geschehen, da kam er ihr schon zu Hilfe und klemmte sie zwischen die Finger und sprach mit näselndem Ton: »Mich bedünkt es, Sancho, du hast große Furcht.«

»Freilich hab ich die; aber woran merkt das Euer Gnaden jetzt mehr als sonst?«

»Daran, daß du jetzt mehr als sonst riechst, und nicht nach Ambra«, antwortete Don Quijote.

»Das kann wohl sein«, sagte Sancho, »aber ich habe keine Schuld daran, sondern Ihr, der Ihr mich bei nachtschlafender Zeit umherschleppt, ein Leben zu führen, wie ich platterdings nicht gewohnt bin.«

»Ziehe dich drei, vier Schritte seitwärts, Freund«, sprach Don Quijote – alles das, ohne die Finger von der Nase wegzunehmen –, »und hinfüro berücksichtige besser, wer du bist und was du mir schuldig bist; die häufigen Gespräche, die ich mit dir führe, haben diese Mißachtung erzeugt.«

»Ich will wetten«, entgegnete Sancho, »Euer Gnaden meint, ich hätte etwas mit mir vorgenommen, was ich nicht sollte.«

»Es wird schlimmer, wenn man dran rührt«, versetzte Don Quijote.

Mit diesen Gesprächen und andern ähnlicher Art verbrachten Herr und Diener die Nacht. Als aber Sancho bemerkte, daß der Morgen mit starken Schritten herankomme, schnürte er Rosinante mit größter Behutsamkeit los und band sich die Hosen fest. Wie Rosinante sich frei sah, schien er, wenn er auch von Hause aus keineswegs feurig war, sich doch einmal zu fühlen und stampfte etlichemal mit den Vorderfüßen, denn aufs Kurbettieren – er möge es nicht übelnehmen –, darauf verstand er sich nicht. Wie nun Don Quijote sah, daß Rosinante sich wieder rührte, hielt er es für ein gutes Zeichen, und zwar für das Zeichen, daß er sich an jenes erschreckliche Abenteuer wagen solle.

Inzwischen hatte die Morgenröte ihr Antlitz völlig entschleiert, die Gegenstände wurden deutlicher, und Don Quijote sah, daß er sich unter hohen Kastanienbäumen befand, die einen sehr dunkeln Schatten warfen. Er hörte auch, daß das Stampfen nicht nachließ, aber er sah nicht, wer es veranlassen mochte, und so, ohne längeres Zögern, ließ er Rosinante die Sporen fühlen, und indem er nochmals von Sancho Abschied nahm, gebot er ihm, drei Tage höchstens seiner hier zu warten, wie er es ihm schon früher gesagt; und wenn er mit Schluß dieser Frist nicht zurückgekehrt sei, so möge er es als gewiß annehmen, es habe Gott beliebt, daß bei diesem gefahrvollen Abenteuer seine Tage zu Ende kommen sollten. Er wiederholte ihm die Meldung und Botschaft, die er von ihm seiner Herrin Dulcinea überbringen sollte; und bezüglich des Lohns für seine Dienste möge er keine Sorge haben, denn er habe, bevor er aus seinem Dorfe geschieden, sein Testament fertig hinterlassen, in dem Sancho sich für alles, was seinen Lohn betreffe, im Verhältnis zu seiner Dienstzeit befriedigt finden werde. Wenn aber Gott ihn aus dieser Gefahr heil und gesund und ohne Schädigung hervorgehen lasse, so könne er auf die versprochene Insul sicherer als sicher rechnen.

Aufs neue fing Sancho zu weinen an, als er aufs neue die betrübsamen Worte seines guten Gebieters vernahm, und entschloß sich, ihn bis zum letzten Ausgang und Ende dieses Handels nicht zu verlassen. (Aus Sanchos Tränen und so ehrenhaftem Entschluß folgert der Verfasser dieser Geschichte, er müsse von guter Art und altchristlichem Geblüt gewesen sein.)

Diese Gesinnungen rührten seinen Herrn einigermaßen, doch nicht so sehr, daß er irgend Schwäche gezeigt hätte; vielmehr sein Gefühl, so gut er konnte, verhehlend, schlug er den Weg nach der Gegend ein, woher das Getöse des Wassers und des Stampfens zu kommen schien. Sancho folgte ihm zu Fuß und führte, wie er zur Gewohnheit hatte, an der Halfter seinen Esel, den ewigen Genossen seiner glücklichen und unglücklichen Schicksale.

Als sie ein gut Stück Weges unter diesen Kastanienbäumen und schattigen Wipfeln zurückgelegt, gelangten sie auf einen kleinen Wiesenrain am Fuße hoher Felsen, von denen ein mächtiger Schwall Wassers herniederstürzte. Am Fuße der Felsen standen etliche schlecht aussehende Hütten, die eher Trümmer von Gebäuden als Häuser schienen, und sie hörten nun, daß aus deren Mitte das Gelärm und Getöse jenes Stampfens hervorscholl, das noch immer nicht aufhörte. Vor dem Tosen des Wassers und des Stampfens scheute Rosinante, und indem Don Quijote ihn beruhigte, ritt er Schritt vor Schritt zu den Häusern hin, wobei er sich seiner Gebieterin von ganzem Herzen empfahl und sie anflehte, ihm bei dieser erschrecklichen Kriegsfahrt und Rittertat beizustehen, und dabei sich auch Gott empfahl, daß er sein nicht vergesse. Sancho wich ihm nicht von der Seite und streckte zwischen Rosinantes Beinen den Hals und das Gesicht vor, soviel wie möglich, um zu sehen, ob er endlich entdecken könne, was ihn so in Spannung und Ängsten hielt.

Noch weitere hundert Schritte mochten sie zurückgelegt haben, da zeigte sich ihnen beim Umbiegen um eine Ecke unverdeckt und offenbar die eigentliche Ursache – eine andre konnte es nicht sein – jenes grausig schallenden und ihnen so entsetzlichen Getöses, das sie die ganze Nacht so in Spannung und Furcht gehalten; und es waren – wenn es dir, o Leser, nicht zum Verdruß und Ärgernis gereicht –, es waren sechs Stämpfel einer Walkmühle, die mit ihrem abwechselnden Auf- und Niederstoßen den Lärm verursachten.

Als Don Quijote sah, was es war, verstummte er und ward starr von oben bis unten. Sancho schaute ihn an und sah, daß er den Kopf auf die Brust hängen ließ, was deutlich verriet, daß er sich beschämt fühlte. Auch Don Quijote schaute seinen Knappen an und sah, daß er die Backen aufgeblasen und den Mund zum Lachen verzogen hatte, mit unverkennbarem Anzeichen, daß er herausplatzen wolle; und sein Trübsinn vermochte doch nicht so viel über ihn, daß er beim Anblick Sanchos das Lachen hätte unterdrücken können. Wie aber Sancho bemerkte, daß sein Herr den Anfang gemacht hatte, ließ er sich freien Lauf, so unaufhaltsam, daß er sich mit beiden Fäusten die Seiten halten mußte, um nicht vor Lachen zu bersten. Vielmal hielt er inne, und ebenso vielmal brach er wieder so gewaltsam wie zu Anfang in Lachen aus. Schon hierüber war Don Quijote des Teufels; aber es kam noch ärger, als er Sancho wie zum Hohn sagen hörte: »Du mußt wissen, Freund Sancho, daß ich durch des Himmels Fügung in diesem eisernen Zeitalter zur Welt kam, um in demselben das Goldne zur Auferstehung zu wecken; ich bin der, dem die Gefahren, die Großtaten, die Werke des Heldentums vorbehalten sind.«

Und so wiederholte er nacheinander die sämtlichen oder doch die meisten Worte, die Don Quijote das erstemal, als sie das erschreckliche Stampfen hörten, gesprochen hatte.

Als nun Don Quijote sah, daß Sancho sich über ihn lustig machte, verdroß und erzürnte es ihn dermaßen, daß er seinen Spieß erhub und seinem Knappen zwei solche Schläge versetzte, daß, wenn dieser sie so, wie er sie auf den Rücken bekam, auf den Kopf bekommen hätte, der Ritter von der Verpflichtung, den Lohn zu zahlen, befreit gewesen wäre, es müßte denn an dessen Erben sein. Als Sancho merkte, daß er für seinen Scherz so bösen Ernst einheimste, bekam er Angst, sein Herr möchte darin noch weitergehen, und sprach mit großer Demut: »So beruhigt Euch doch, gnädiger Herre, ich machte bei Gott nur Spaß.«

»So?« antwortete Don Quijote, »wenn Er Spaß macht, ich spaße nicht. Komm Er mal her, Bruder Lustig; meint Er etwa, wenn dies nicht Stampfel einer Walkmühle gewesen wären, sondern sonst ein gefahrvolles Abenteuer, ich hätte nicht den Mut bewiesen, der zur Unternehmung und Vollführung eines solchen gehört? Bin ich als Ritter etwa verpflichtet, die Töne zu kennen und zu unterscheiden und zu wissen, welche von einer Walkmühle herrühren und welche nicht? Zumal es auch sein könnte, und es ist so in der Tat, daß ich in meinem Leben keine gesehen habe, während Er sie wohl gesehen haben muß als ein schlechter Bauer, der Er ist, inmitten derselben geboren und erzogen. Andernfalls mache Er doch einmal, daß diese sechs Stämpfel sich in sechs Riesen verwandeln, und stelle sie mir vors Gesicht, einen nach dem andern oder alle zusammen, und wenn ich sie nicht alle niederwerfe, daß sie die Pfoten in die Luft hinaufstrecken, dann mache Er sich lustig über mich nach Belieben.«

»Laßt genug sein, Herre mein«, versetzte Sancho, »ich bekenne ja, daß ich im Scherze zu weit gegangen bin. Aber sagt mir doch jetzt, wo wir wieder gut miteinander sind, so wahr soll Euch Gott aus allen Abenteuern, die Euch aufstoßen, so heil und gesund heraushelfen, wie er Euch aus diesem geholfen: war’s nicht zum Lachen und ist’s nicht zum Lachen, wenn man es erzählt, wie große Angst wir hatten? Wenigstens wie ich meinesteils hatte; denn von Euer Gnaden weiß ich ja, Ihr kennt keine, Ihr wißt nicht, was Furcht und Schrecken ist.«

»Ich stelle nicht in Abrede«, entgegnete Don Quijote, »was uns begegnete, ist lachenswert; aber es ist nicht des Erzählens wert; denn nicht jedermann hat so viel Verstand, um eine Sache am richtigen Ende anzufassen.«

»Wenigstens«, versetzte Sancho, »verstanden Euer Gnaden Dero Spieß am richtigen Ende anzufassen und ihn mir richtig nach dem Kopf zu richten und mich freilich nur auf den Rücken zu treffen, Dank sei Gott und der hurtigen Vorsorge, mit der ich seitwärts auswich. Na ja, Ende gut, alles gut; und ich hab sagen hören, wen Gott lieb hat, den züchtigt er. Zudem heißt es, wenn vornehme Herren einem Diener ein böses Wort gesagt haben, pflegen sie ihm gleich darauf ein Paar Hosen zu schenken; aber ich weiß nicht, was sie ihm zu schenken pflegen, wenn sie ihn mit Prügeln beschenkt haben, falls nicht etwa die fahrenden Ritter Insuln schenken oder auch Königreiche auf dem festen Lande.«

»Wohl könnten die Würfel so fallen«, sprach Don Quijote, »daß alles, was du sagst, am Ende zur Wirklichkeit würde. Jetzt entschuldige, was geschehen, da du verständig bist und weißt, daß der Mensch die ersten Regungen nicht in der Gewalt hat. Und habe du hinfüro acht auf eines, daß du dich im Zaume haltest und unterlassest, in dreister Weise mit mir zu sprechen; denn in den Ritterbüchern allen, die ich gelesen – und die sind zahllos –, habe ich nie gefunden, daß irgendwelcher Schildknappe so viel mit seinem Herrn gesprochen wie du mit dem deinigen; und in Wahrheit, ich rechne dies dir und mir für einen großen Fehler an: dir, insofern du mir geringe Ehrerbietung erweisest, mir, insofern ich mir nicht höhere Ehrerbietung erweisen lasse. War doch Gandalin, der Schildknappe des Amadís von Gallien, Graf von der Festland-Insel, und man liest von ihm, wenn er mit seinem Herrn sprach, hatte er immer die Mütze in der Hand und more turquesco den Kopf geneigt und den Körper gebückt. Und dann, was sollen wir von Gasabál, dem Schildknappen Don Galaors, sagen, der so schweigsam war, daß, um uns den hohen Grad seines wundersamen Stillschweigens klarzumachen, sein Name in jener so großartigen wie wahrhaften Geschichte nur ein einziges Mal genannt wird! Aus all dem, was ich gesagt, wirst du schließen, Sancho, daß es unerläßlich ist, zwischen Herrn und Knecht, Gebieter und Diener, Ritter und Knappen einen Unterschied zu machen. Sonach wollen wir von heut an einander fürderhin mit mehr Achtung behandeln und uns nicht foppen; denn in welcher Weise auch immer ich mich über Ihn erzürnen mag, so wird es für den irdenen Topf immer schlimm ausgehen. Die Gnadenerweise und Vergabungen, die ich Ihm versprochen, werden schon zu ihrer Zeit kommen, und wenn sie nicht kommen sollten, so wird wenigstens der Dienstlohn nicht verlorengehen, wie ich Ihm schon gesagt habe.«

»Alles das ist ganz gut, was Euer Gnaden sagt«, sprach Sancho, »aber ich möchte wissen – falls etwa die Zeit für die Gnadenbeweise nicht kommen sollte und es nötig würde, die Zeit des Dienstlohns in Betracht zu ziehen –, wieviel der Schildknappe eines fahrenden Ritters in jenen Zeiten verdiente und ob sie auf den Monat eins wurden oder auf den Tag, wie ein Handlanger beim Maurer.«

»Ich glaube nicht«, sagte Don Quijote, »daß die besagten Schildknappen jemals um Lohn dienten, sondern nur auf das Belieben ihrer Herren; und wenn ich dir nun in dem verschlossenen Testament, das ich in meinem Hause zurückließ, einen Lohn ausgesetzt habe, so geschah es in Voraussicht kommender Möglichkeiten, weil ich noch nicht weiß, wie in diesen unsern unglückseligen Zeiten das Rittertum sich bewährt, und ich nicht möchte, daß um Kleinigkeiten meine Seele in jener Welt Pein erlitte; denn in dieser, mußt du wissen, Sancho, gibt es ohnehin keinen gefahrvolleren Beruf als den der abenteuernden Ritter.«

»Allerdings ist dies wahr«, sprach Sancho, »sintemal schon das bloße Gelärm der Stämpfel einer Walkmühle das Herz eines fahrenden Abenteurers von solcher Tapferkeit wie Euer Gnaden in Unruhe und Bestürzung bringen konnte. Aber Ihr könnt vollständig sicher sein, daß ich von jetzt an meine Lippen nicht mehr auftun will, um über irgend etwas, das Euer Gnaden betrifft, mir einen Scherz zu erlauben, nein, sondern nur um Euch als meinen Gebieter und angebornen Herrn zu ehren.«

»Tue so«, erwiderte Don Quijote, »auf daß du lange lebest auf Erden; denn nach Vater und Mutter muß man die Dienstherren ehren, als ob sie die Eltern selbst wären.«

21. Kapitel

Welches von dem großartigen Abenteuer mit dem Helme Mambrins handelt und wie derselbige zur reichen Beute gewonnen ward, benebst anderem, was unserm unbesieglichen Ritter zustieß

Indem begann es ein wenig zu regnen, und Sancho hätte es gern gesehen, sie wären in die Walkmühle eingekehrt; aber gegen diese hatte Don Quijote wegen des Schimpfes und Spottes von vorher einen solchen Widerwillen, daß er sie durchaus nicht betreten wollte. Sie bogen daher nach rechts ab und gerieten auf einen andern Weg, als den sie tags zuvor eingeschlagen hatten. Bald darauf bekam Don Quijote einen Reiter zu Gesicht, der auf dem Kopfe ein Ding trug, das wie Gold glänzte, und kaum hatte er ihn erblickt, da wandte er sich zu Sancho und sprach: »Es will mich bedünken, Sancho, es gibt kein Sprichwort, das nicht die Wahrheit sagt; denn alle sind sie Sprüche, die aus der Erfahrung selbst, der Mutter aller Wissenschaften, entnommen sind, namentlich jenes, das da lautet: ›Wo eine Tür sich schließt, tut sich eine andre auf.‹ Ich sage dies deshalb: wenn das Glück diese Nacht uns seine Tür zuschloß, als wir es suchten und es uns mit den Mühlstämpfeln täuschte, so schließt es uns anjetzo eine andre weit auf zu einem andern, besseren, einem zweifelloseren Abenteuer, und wenn es mir nicht gelingt, durch diese Tür einzugehen, so wird die Schuld die meine sein, ohne daß ich sie auf meine geringe Kenntnis von Mühlstämpfeln oder auf die Dunkelheit der Nacht schieben darf. Und dies sag ich, weil, wenn ich mich nicht täusche, jemand auf uns zukommt, der den Helm des Mambrin auf dem Kopfe trägt, ob dessen ich den Schwur getan, den du kennst.«

»Bedenke Euer Gnaden ernstlich, was Ihr sagt, und noch ernstlicher, was Ihr tut«, sprach Sancho; »denn ich wünschte nicht, daß es wieder Mühlstämpfel wären, die uns den Verstand vollends zerstampften und zerschlügen.«

»Hol dich der Teufel, Mensch!« versetzte Don Quijote; »was hat der Helm mit Mühlstämpfeln zu tun?«

»Ich weiß nicht«, antwortete Sancho, »aber, meiner Treu, dürfte ich so viel reden, wie ich sonst pflegte, vielleicht gab ich solche Gründe an, daß Euer Gnaden einsähen, wie Ihr in dem, was Ihr sagt, Euch geirrt habt.«

»Wie kann ich darin irren, du Treuloser voller Bedenklichkeiten?« sprach Don Quijote. »Siehst du nicht jenen Ritter, der auf einem Apfelschimmel uns entgegenkommt und einen goldenen Helm auf dem Haupte trägt?«

»Was ich sehe und erspähe«, entgegnete Sancho, »ist nichts andres als ein Mann auf einem Esel, dunkelgrau wie der meinige, der auf dem Kopfe etwas Glänzendes trägt.«

»Das ist eben der Helm des Mambrin«, sagte Don Quijote, »mach dich auf die Seite und laß mich allein mit ihm, da wirst du sehen, wie ich, ohne ein Wort zu reden, um Zeit zu ersparen, mit diesem Abenteuer zu Ende komme und der Helm mein wird, den ich so sehr ersehnt habe.«

»Mich auf die Seite machen, das will ich schon besorgen«, erwiderte Sancho, »aber Gott gebe, sag ich noch einmal, daß wir auf einen grünen Zweig kommen und nicht in die Walkmühle.«

»Ich habe Ihm schon gesagt, guter Freund, Er soll mir nicht mehr, nicht einmal in Gedanken, die Geschichte mit der Walkmühle erwähnen«, sprach Don Quijote, »sonst gelobe ich … Ich will jetzt nichts weiter sagen, aber ich walke Ihm die Seele aus dem Leibe.«

Sancho schwieg aus Furcht, sein Herr möchte das Gelöbnis in Ausführung bringen, das er ihm so mitten ins Gesicht geschleudert.

Es hatte aber mit dem von Don Quijote gesehenen Helm, Roß und Reiter folgende Bewandtnis:

In dieser Gegend befanden sich zwei Ortschaften, die eine so klein, daß sie weder Apotheke noch Barbier hatte, die andre, dicht dabeiliegende hingegen hatte beides, und so bediente der Barbier der größeren auch die kleinere. In der letzteren sollte ein Kranker zur Ader gelassen und einem andern der Bart geschoren werden, und deshalb kam der Barbier und hatte eine Bartschüssel von Messing bei sich. Das Schicksal wollte, daß es gerade zu regnen anfing, und damit sein Hut, der wohl neu sein mochte, keine Wasserflecken bekomme, stülpte er die Bartschüssel auf den Kopf, welche, weil sie sauber poliert war, eine halbe Meile weit glitzerte. Er ritt auf einem grauen Esel, wie Sancho gesagt hatte, und dies war der Anlaß, daß ein Apfelschimmel und ein Ritter und ein goldner Helm sich vor Don Quijotes Augen zeigten. Denn alles, was er sah, wußte er seinem wahnwitzigen Ritterwesen und seinen Phantasien von fahrenden Abenteurern, womit er so übel fuhr, mit großer Leichtigkeit anzupassen. Und als er sah, daß der arme Reiter näher kam, legte er den gesenkten Spieß ein, ohne sich in Worte mit ihm einzulassen, und sprengte im vollsten Lauf Rosinantes auf ihn zu in der Absicht, ihn durch und durch zu stoßen; und wie er ihn erreichte, rief er, ohne seinen rasenden Galopp zu mäßigen: »Verteidige dich, elendes Geschöpf, oder überantworte mir aus freien Stücken, was mir mit so großem Rechte gebührt.«

Der Barbier, der, ohne dergleichen irgendwie geahnt oder befürchtet zu haben, sah, wie diese Spukgestalt über ihn herstürzte, hatte kein andres Mittel, sich vor dem Lanzenstoß zu wahren, als von seinem Esel herabzugleiten, und kaum hatte er den Boden berührt, da sprang er flüchtiger als ein Hirsch wieder auf und begann über das Blachfeld zu rennen, daß ihn der Wind nicht eingeholt hätte. Er ließ die Bartschüssel am Boden liegen; mit dieser begnügte sich Don Quijote und sagte, der Heide habe klug gehandelt und den Biber nachgeahmt, der, wenn er sich von den Jägern heftig bedrängt sieht, sich mit den Zähnen dasjenige abbeißt und wegreißt, wegen dessen, wie sein angeborner Instinkt ihn belehrt, er verfolgt wird. Er befahl Sancho, den Helm aufzuheben; dieser nahm ihn in die Hand und sprach: »Bei Gott, die Barbierschüssel ist nicht übel und ist ihre acht Realen so gut wie einen Pfennig wert.«

Damit gab er sie seinem Herrn; der setzte sie gleich auf den Kopf, drehte sie von einer Seite auf die andre, suchte den unteren Verschluß und sprach, als er keinen daran fand: »Ohne Zweifel muß der Heide, nach dessen Maß dieser herrliche Turnierhelm ursprünglich geschmiedet worden, einen sehr großen Kopf gehabt haben, und das schlimmste ist, daß die untere Hälfte daran fehlt.«

Als Sancho die Barbierschüssel einen Turnierhelm nennen hörte, konnte er das Lachen nicht unterdrücken; aber es kam ihm die Zornmütigkeit seines Herrn in den Sinn, und er hielt mitten in seiner Heiterkeit inne.

»Worüber lachst du, Sancho?« fragte Don Quijote.

»Ich lache«, antwortete Sancho, »weil ich an den großen Kopf des Heiden denke, der diesen Helm besaß, welcher nichts anderm als einer Barbierschüssel aufs Haar gleichsieht.«

Don Quijote

»Weißt du, Sancho, wie ich es mir vorstelle? Daß dies herrliche Stück von dem gefeiten Helm durch irgendeinen merkwürdigen Zufall jemandem in die Hände gefallen ist, der seinen Wert nicht zu erkennen und nicht zu schätzen wußte. Jedoch in der Gewißheit, daß er vom feinsten Golde war, muß er, ohne zu ahnen, was er tat, die eine Hälfte eingeschmolzen haben, um sie zu Geld zu machen, und aus der andern Hälfte machte er, was den Anschein einer Barbierschüssel hat, wie du sagst. Doch sei dem, wie ihm wolle; mir, der ich den Helm kenne, macht seine Veränderung gar nichts aus; am ersten besten Ort, wo sich ein Schmied findet, will ich ihn so zurechtmachen lassen, daß ihm jener Helm nicht voranstehen, ja nicht gleichkommen soll, den der Gott der Schmiedekunst für den Gott der Schlachten gefertigt und geschmiedet hat. Mittlerweile werde ich ihn tragen, so gut es geht; denn etwas ist besser als nichts, zumal er jedenfalls hinreichen wird, mich vor einem Steinwurf zu schirmen.«

»Das«, sprach Sancho, »kann der Fall sein, wenn man nicht aus Schleudern wirft, wie es in der Schlacht zwischen den zwei Kriegsheeren geschah, wo sie Euer Gnaden auf die Backenzähne regneten und Euch das Krüglein zerbrachen, darin jener hochgebenedeite Trank war, der mich schier nötigte, die Eingeweide herauszubrechen.«

»Es tut mir nicht besonders leid, daß er mir abhanden gekommen«, sagte Don Quijote, »denn du weißt ja, Sancho, daß ich das Rezept dazu im Gedächtnis habe.«

»Auch ich hab’s im Gedächtnis«, erwiderte Sancho, »aber wenn ich ihn jemals im Leben bereite oder versuche, das soll meine letzte Stunde sein; besonders da ich nicht gedenke, mich in Gelegenheiten einzulassen, wo ich ihn nötig haben könnte, vielmehr mit all meinen fünf Sinnen darauf achthaben und mich hüten will, daß ich Wunden weder schlage noch geschlagen bekomme. Ob ich etwa noch einmal gewippt werde, davon will ich nicht reden; denn vor dergleichen Unfällen kann man sich nicht gut wahren; und wenn sie eintreffen, läßt sich nichts tun, als die Schultern an den Kopf zu ziehen, den Atem an sich zu halten, die Augen zu schließen und sich gehn zu lassen, wohin das Schicksal und die Bettdecke uns schleudern will.«

»Du bist ein schlechter Christ, Sancho«, sprach Don Quijote, als er das hörte, »denn du vergissest nimmer die Kränkung, die man dir einmal angetan. Aber wisse, daß es die Art edler, großmütiger Herzen ist, Kindereien unbeachtet zu lassen. Welchen Fuß hat man dir gelähmt, welche Rippe dir zerbrochen, wo den Kopf dir zerschlagen, daß du den Possen, den man dir gespielt, nicht vergessen kannst? Denn alles wohl erwogen, war es doch nur Scherz und Zeitvertreib; und wenn ich es nicht dafür ansähe, wäre ich längst dorthin zurückgekehrt und hätte zur Rache für dich mehr Unheil angerichtet als die Griechen um der geraubten Helena willen, welche, wenn sie in der jetzigen Zeit oder meine Dulcinea in jener gelebt hätte, sicher gewesen wäre, keinen so großen Ruf der Schönheit zu erlangen, als sie besitzt.«

Und hierbei stieß er Seufzer bis hoch in die Wolken aus.

Und Sancho sprach: »So mag’s denn für Scherz hingehn, da aus der Rache doch kein Ernst werden kann. Aber ich weiß, wie der Ernst und wie der Scherz beschaffen war, und ich weiß auch, daß er niemals meinem Gedächtnis entschwinden wird, geradeso, wie man ihn niemals meinem Rücken wieder abnehmen kann.

Indes, lassen wir das beiseite und sagt mir, was wir mit diesem Apfelschimmel anfangen sollen, der wie ein grauer Esel aussieht, den jener Martin, den Euer Gnaden niedergeworfen, hier herrenlos im Stich gelassen. Denn nach der Eile zu schließen, mit der jener sich aus dem Staube machte und das Hasenpanier ergriff, hat er keine Lust, ihn jemals wiederzuholen, und bei meinem Bart, der Graue ist ein tüchtiges Tier.«

»Nimmer bin ich dessen gewohnt«, entgegnete Don Quijote, »die ich besiege zu plündern, noch ist es Ritterbrauch, ihnen das Roß zu nehmen und sie zu Fuße ziehen zu lassen, wenn nicht etwa der Sieger das seine im Kampf eingebüßt hat; denn in solchem Fall ist es verstattet, das des Besiegten zu nehmen als in ehrlicher Fehde gewonnen. Sonach, Sancho, laß diesen Gaul oder Esel oder für was du ihn sonst ausgeben willst; denn sobald sein Herr uns von hier entfernt sieht, wird er zurückkehren, ihn zu holen.«

»Gott weiß«, entgegnete Sancho, »wie gern ich ihn mitnehmen oder wenigstens gegen den meinigen vertauschen möchte, der mir lange nicht so gut scheint. Wahrlich, streng sind die Gesetze des Rittertums, da sie nicht einmal so weit zu gehen verstatten, daß man einen Esel gegen einen andern vertausche. Ich möchte aber wissen, ob ich nicht wenigstens das Geschirr vertauschen darf.«

»Darin bin ich nicht ganz sicher«, antwortete Don Quijote, »und im Zweifelsfall, bis ich einmal eines Bessern belehrt bin, sage ich, daß du es vertauschen magst, sofern du dessen dringend benötigt bist.«

»So dringend bin ich dessen benötigt«, erwiderte Sancho, »daß, wenn das Eselsgeschirr meiner eignen Person dienen sollte, ich es nicht nötiger haben könnte.«

Und da er nun mit Berechtigung und Bestallung versehen war, nahm er alsogleich die mutatio capparum vor und putzte sein Tier aufs allerfeinste heraus, indem er es mit allen verfügbaren Vermögensteilen aus der Hinterlassenschaft des andern Esels bereicherte.

Dies vollbracht, frühstückten sie von den Überbleibseln, die sie aus dem Feldlager des Packesels erbeutet hatten. Sie tranken Wasser vom Bach der Walkmühle, ohne ihr das Gesicht zuzuwenden, so großen Widerwillen hatten sie gegen selbige wegen der Angst, in die sie die Stämpfel versetzt hatten.

Nachdem dergestalt der Zorn und auch die Schwermut gänzlich abgetan waren, stiegen sie auf, und ohne einen bestimmten Weg einzuschlagen – weil es die Art der fahrenden Ritter ist, niemals eine bestimmte Richtung zu verfolgen –, ritten sie, wohin Rosinantes Belieben ging; denn dessen Willen zog stets den seines Herrn und auch den des Esels nach sich, welcher unverbrüchlich, wohin auch immer der Gaul voranschritt, ihm in redlicher Liebe und Brüderlichkeit folgte. Bei alledem gerieten sie wieder auf die Landstraße und zogen dieselbe entlang, aufs Geratewohl und ohne irgendeinen Plan.

Während sie so des Weges ritten, sprach Sancho zu seinem Herrn: »Señor, will mir Euer Gnaden die Vergünstigung zukommen lassen, daß ich eine kleine Zwiesprache mit Euch halte? Denn seit Ihr mir das harte Gebot des Stillschweigens auferlegtet, sind mir schon vier Gedanken und mehr im Magen verfault; und einen, den ich jetzt auf der Zungenspitze habe, den möchte ich nicht umkommen lassen.«

»Sag ihn her«, sprach Don Quijote, »und sei kurz in deinen Reden; denn keine ist angenehm, wenn sie weitschweifig ist.«

»Ich sage also, Señor«, versetzte Sancho, »seit einigen Tagen bis zum heutigen habe ich mir’s überlegt, wie wenig man dabei Gewinn und Nutzen hat, auf die Suche nach diesen Abenteuern zu gehn, die Euer Gnaden diese Einöden und Kreuzwege entlang sucht. Denn hier, wenn Ihr auch die allergefährlichsten siegreich besteht und zu Ende führt, ist niemand da, sie zu sehen und zu erfahren; und so müssen sie in ewigem Stillschweigen verbleiben, zum Nachteil Eurer Absicht und all dessen, was sie verdienen. Demnach wäre es meines Erachtens weit eher geraten, unvorgreiflich Eurer bessern Beurteilung, wir sollten hinziehn, irgendeinem Kaiser oder sonst einem großen Fürsten zu dienen, der da einen Krieg auf dem Hals hätte und in dessen Diensten Euer Gnaden die Mannhaftigkeit Eurer Person, Eure große Kraft und Euren Verstand, der noch größer ist, an den Tag legen kann; und sobald der Herr, dem wir alsdann dienen würden, dies alles ersehen hat, so muß er uns notwendig belohnen, jeglichen nach seinen Verdiensten. Und dort wird’s auch nicht an jemandem fehlen, der Eure Taten zum ewigen Gedächtnis schriftlich aufzeichnet. Von den meinigen sag ich nichts; denn die werden doch nicht über die Grenzen des Knappentums hinausgehn; obwohl ich sagen kann, wenn es in der Ritterschaft bräuchlich ist, Taten der Knappen zu beschreiben, so werden die meinigen auch nicht zwischen den Zeilen steckenbleiben.«

»Du sprichst nicht übel«, sagte Don Quijote. »Aber bevor man zu diesem Punkte kommt, ist es unerläßlich, durch die Welt zu streichen und gleichsam zur Beglaubigung seiner selbst auf Abenteuer zu ziehn, damit man, wenn etliche siegreich zu Ende geführt sind, einen solchen Namen und Ruf erlange, daß der Ritter, wenn er sich an den Hof irgendeines großen Monarchen begibt, schon durch seine Werke bekannt ist. Und kaum haben ihn dann die jungen Burschen durchs Stadttor einreiten gesehen, so laufen sie hinter ihm und um ihn her und schreien überall: Das ist der Ritter von der Sonne oder von der Schlange oder von sonst einem Abzeichen, unter dem er große Taten vollbracht hat. Das ist er, werden sie sagen, der im Kampfe Mann gegen Mann den Riesen Brocabruno, den Helden von großer Kraft, besiegt hat, der den Groß-Mamelucken von Persien aus der langen Verzauberung entzaubert hat, in der er schier neunhundert Jahre lag. So wird man vom einen zum andern seine Taten auszurufen gehn, und bei dem Lärm der Jungen und des andern Volkes wird sich der König jenes Reichs an den Fenstern seines königlichen Palastes zeigen, und sobald er den Ritter erblickt, wird er ihn an seiner Rüstung oder an dem Abzeichen auf seinem Schilde erkennen und notwendig rufen müssen: Auf, auf, hinaus, ihr meine Ritter, alle, die an meinem Hofe weilen, um die Blume der Ritterschaft, die da herannaht, zu begrüßen! Auf dieses Gebot werden alle hinauseilen, und der König wird bis zur Mitte der Treppe hinabschreiten und wird ihn innigst umarmen und wird ihn willkommen heißen mit einem Kuß aufs Angesicht. Dann führt er ihn sogleich an der Hand ins Gemach der Frau Königin, allwo der Ritter sie mit ihrer Prinzessin Tochter findet, welche notwendig eine der allerschönsten und vollendetsten Jungfrauen ist, die man weit und breit in den bis jetzt entdeckten Landen des Erdenrundes nur irgend mit harter Mühe aufzufinden vermöchte. Hierauf geschieht es unverzüglich, daß sie die Augen auf ihn wendet und er die seinigen auf sie, und jedes von beiden deucht dem andern eher etwas Göttliches als Irdisches, und ohne zu wissen, wie oder wieso, finden sie sich gefangen und verstrickt in das unlösliche Liebesnetz und in großen Herzensnöten, weil sie keine Mittel wissen, einander zu sprechen, um ihre Qualen und Gefühle zu offenbaren.

Von da wird man ihn ohne Zweifel in ein andres reich ausgeschmücktes Gemach des Palastes führen, wo man ihm die Waffen abnimmt und einen kostbaren Scharlachmantel zum Umlegen bringt, und wenn er in Waffen stattlich aussah, so erscheint er ebenso, ja noch stattlicher im ritterlichen Wams. Der Abend kommt, er speist mit König, Königin und Prinzessin; er wendet seine Augen nicht von ihr ab, er blickt sie verstohlen an, den Umstehenden unbemerkt, und sie tut dasselbe mit derselben Vorsicht, denn, wie gesagt, sie ist ein äußerst kluges Fräulein. Die Tafel wird aufgehoben, und plötzlich tritt zur Tür des Saales ein häßlicher, winziger Zwerg herein und hinter ihm zwischen zwei Riesen eine holdselige Dame, welche den Anwesenden ein gewisses Abenteuer mitteilt, das ein Zauberer in uralter Zeit angelegt hat, und wer es glücklich besteht, wird für den besten Ritter auf Erden erachtet werden. Sogleich gebeut der König allen, die zugegen, sich an dem Abenteuer zu versuchen. Aber keiner bringt es zum Ende und Abschluß außer dem fremden Ritter zu seines Ruhmes sonderlichem Frommen. Darob ist die Prinzessin hochvergnügt und erachtet sich beglückt und über alles Maß dafür belohnt, daß sie ihre Gedanken einem so hohen Ziele zugewendet und hingegeben hat. Das beste dabei ist, daß dieser König oder Fürst, oder was er sonst ist, einen äußerst hartnäckigen Krieg mit einem andern, ebenso mächtigen Herrn wie er zu führen hat, und der fremde Ritter, nachdem er ein paar Tage am Hof gewesen, bittet ihn um die Vergünstigung, ihm in dem besagten Krieg seine Dienste zu widmen. Der König gewährt sie ihm mit bereitwilliger Freundlichkeit, und der Ritter küßt ihm die Hand für die Gnade, so er ihm erweist.

In derselbigen Nacht verabschiedet er sich von seiner Gebieterin, der Prinzessin, im Garten, auf den ihr Schlafgemach geht, am Fenstergitter, wo er schon gar manchmal mit ihr gesprochen, wobei stets eine Zofe, die der Prinzessin großes Vertrauen besitzt, die Vermittlerin und Mitwisserin war. Er seufzt, sie fällt in Ohnmacht, die Zofe bringt Wasser, ist auch sehr bekümmert, weil der Morgen kommt und sie nicht möchte, daß sie entdeckt würden, um der Ehre ihrer Herrin willen. Zuletzt kommt die Prinzessin wieder zu sich und reicht durchs Gitter hindurch ihre weißen Hände dem Ritter. Der küßt sie tausend- und aber tausendmal und badet sie in seinen Tränen. Es wird unter beiden verabredet, auf welche Art sie sich ihre guten oder schlimmen Schicksale zu wissen tun wollen, und die Prinzessin bittet ihn, ja nur so kurz wie möglich auszubleiben. Er verheißt es ihr mit vielen Eidschwüren; er küßt ihr abermals die Hände und entfernt sich mit so vielem Schmerzgefühl, daß es ihn fast das Leben kostet.

Von hier aus geht er in sein Gemach, wirft sich aufs Bett, kann vor Schmerz ob seines Scheidens nicht schlafen, steht sehr früh am Morgen auf, geht, sich von König und Königin und Prinzessin zu verabschieden; er hört, nachdem er den beiden ersten Lebewohl gesagt, die Tochter Prinzessin sei unwohl und könne keinen Besuch empfangen. Der Ritter vermutet, der Schmerz ob seines Scheidens sei die Ursache. Das durchbohrt ihm das Herz, und wenig fehlt, daß er deutliche Zeichen seines Kummers gäbe. Die Zofe, die Vermittlerin, ist zugegen, sie merkt sich alles, geht und sagt es ihrer Herrin, die sie mit Tränen empfängt und ihr sagt: eine ihrer größten Kümmernisse sei, daß sie nicht wisse, wer ihr Ritter ist und ob er von königlichem Geschlecht ist oder nicht. Die Zofe versichert, solche Feinheit des Benehmens, solcher Adel der Sitte und solche Tapferkeit wie die ihres Ritters fänden sich nur bei einem Mann von ehrenreicher und königlicher Art. Die bekümmerte Prinzessin findet darin Trost und ist auch bestrebt, getröstet zu erscheinen, um sich bei ihren Eltern nicht in Verdacht zu bringen; und zwei Tage darauf zeigt sie sich wieder öffentlich.

Schon ist der Ritter von dannen gezogen, er kämpft im Kriege, besiegt den Feind des Königs, gewinnt viele Städte, triumphiert in vielen Schlachten. Er kehrt an den Hof zurück, sieht seine Gebieterin am gewohnten Fenstergitter, es wird verabredet, daß er sie zum Lohne seiner Dienste von ihrem Vater zur Gattin begehre. Der König will sie ihm nicht geben, weil er nicht weiß, wer der Ritter ist. Aber trotz alledem, ob sie nun entführt wird oder ob es auf irgendeine andre Weise geschieht, wird die Prinzessin am Ende seine Gattin, und am Ende muß ihr Vater es noch für ein großes Glück erachten. Denn am Ende kommt es an den Tag, selbiger Ritter ist der Sohn eines gewaltigen Königs, von welchem Reiche, weiß ich nicht; denn ich glaube, es wird wohl auf der Karte nicht zu finden sein. Der Vater der Prinzessin stirbt, sie erbt alles, kurz und gut, der Ritter wird König. Hier kommt es nun gleich zu den Gnadenerweisen für den Knappen und für alle, die ihm geholfen, zu einem so hohen Stand emporzugelangen; er verheiratet seinen Schildknappen mit einem Fräulein der Prinzessin, und ohne Zweifel wird dies die Zofe sein, die bei seinem Liebeshandel die Vermittlerin abgab, und sie ist die Tochter eines sehr hochgestellten Herzogs.«

»So will ich’s haben, und ehrlich Spiel!« sagte Sancho, »daran halte ich mich; denn alles muß bei Euer Gnaden, der Ihr Euch den Ritter von der traurigen Gestalt nennet, buchstäblich so eintreffen.«

»Zweifle nicht daran«, erwiderte Don Quijote; »denn auf dieselbe Weise und ganz mit demselben Verlauf der Dinge, wie ich dir dieses erzählt habe, stiegen und steigen noch die fahrenden Ritter empor zum Range von Königen und Kaisern. Jetzt fehlt nur noch, uns umzuschauen, welcher König unter Christen oder Heiden Krieg und eine schöne Tochter hat; aber wir haben Zeit, das zu bedenken, weil, wie ich dir gesagt, man erst Ruhm anderwärts erlangen muß, bevor man an den Hof geht. Auch mangelt mir noch etwas andres; denn gesetzt den Fall, es fände sich ein König mit Krieg und einer schönen Tochter und ich hätte unglaublichen Ruhm im ganzen Weltall erworben, so weiß ich doch nicht, wie es sich finden könnte, daß ich von königlichem Geschlecht oder zum wenigsten eines Kaisers Vetter im zweiten Grad wäre. Denn der König wird mir seine Tochter nicht zum Weibe geben wollen, wenn er dies nicht erst vollständig in Erfahrung gebracht hat, wie sehr auch immer meine Taten es verdienen, so daß ich um dieses Mangels willen fürchte zu verlieren, was mein Arm wohl verdient hat. Freilich bin ich ein Edelmann von anerkanntem Freigeschlecht, ein Mann von Vermögen und Grundeigentum, ein Mann, gegen den jeder Frevel gesetzlich mit fünfhundert Dukaten gebüßt wird; und es könnte sein, daß der Zauberer, der meine Geschichte schreibt, meine Verwandtschaft und Abstammung so gut ermittelte, daß ich mich zuletzt als eines Königs Urenkel oder Ururenkel herausstellte.

Denn ich muß dir zu wissen tun, Sancho, es gibt zweierlei Art von Familien und Geschlechtern auf der Welt; die eine Art entnimmt und leitet ihre Abstammung von Fürsten und Monarchen, und die Zeit hat sie nach und nach zunichte gemacht, und sie endigen in einer Spitze gleich einer Pyramide; die andre hat ihren Ursprung von geringen Leuten gehabt und steigt von Stufe zu Stufe, bis ihre Abkömmlinge zuletzt zu großen Herren werden. Sonach ist der Unterschied, daß die einen waren, was sie nicht mehr sind, und die andern sind, was sie vorher nicht waren; und ich könnte ja zu den letzteren gehören, so daß nach gründlicher Erforschung mein Ursprung vornehm und ruhmreich gewesen wäre, womit sich der König, der mein Schwiegervater werden soll, zufriedengeben müßte. Und wenn nicht, muß mich die Prinzessin so heiß lieben; daß sie trotz ihrem Vater, wenn sie auch klärlich wissen sollte, ich sei eines Wasserträgers Sohn, mich zu ihrem Herrn und Gemahl annehmen wird; und wo nicht, so tritt hier der Fall ein, daß ich sie entführe und sie hinbringe, wohin es mich gerade gelüstet, und die Zeit oder der Tod wird dem Zürnen ihrer Eltern ein Ende machen.«

»Hier tritt dann wohl auch der Fall ein«, sagte Sancho, »wovon etliche Gottlose so reden: Erbitte nicht gütlich, was du mit Gewalt nehmen kannst. Zwar noch besser paßt es, zu sagen: Besser frei streifen durch Wald und Auen, als auf edle Fürbitten bauen. Ich meine nämlich, wenn der Herr König, Euer Gnaden Schwiegervater, sich nicht erweichen lassen will, Euch unsre erlauchte Prinzessin hinzugeben, so ist nichts andres zu tun, als, wie Euer Gnaden sagt, sie zu entführen und sie anderswohin zu bringen. Aber das Schlimme dabei ist, mittlerweile, bis Friede gemacht wird und das Königreich in Frieden genossen werden kann, so lange mag der arme Schildknappe in betreff der Gnadenerweise vor Jammer und Not vergehen, falls nicht etwa die Jungfrau Vermittlerin, die seine Frau werden soll, mit der Prinzessin von dannen zieht und er die Zeit seines Unglücks mit ihr zubringt, bis der Himmel andres über ihn verhängt; denn ich denke, sein Herr kann sie ihm auch auf der Stelle zur rechtmäßigen Gattin geben.«

»Das kann keiner verwehren«, sprach Don Quijote.

»Demnach, wenn es so geschehen kann«, erwiderte Sancho, »so bleibt nichts übrig, als uns Gott zu befehlen und dem Schicksal seinen Lauf zu lassen und abzuwarten, wohin es die Dinge leiten mag.«

»Gott füge das so«, versetzte Don Quijote, »wie ich es wünsche und du es nötig hast, Sancho; und wer sich für einen Lumpen hält, der mag eben ein Lump bleiben.«

»So soll es sein, bei Gott«, sprach Sancho. »Ich aber bin ein Christ von altem Blut, und um ein Graf zu werden, ist mir das genug.«

»Genug und mehr als genug«, sprach Don Quijote; »und wärest du es sogar nicht, so tät es auch nichts zur Sache; denn wenn ich König bin, kann ich dir den Adel verleihen, ohne daß du ihn kaufst oder mir irgend Dienste dafür leistest. Und habe ich dich zum Grafen gemacht, sieh, da bist du von selbst ein Ritter, und die Leute mögen reden, was sie wollen, sie müssen dennoch, so hart es ihnen ankommt, dich mit dem Titel Euer Gnaden anreden.«

»Und soll mich der und jener«, sprach Sancho, »wie will ich meinen Kittel zu Ansehen bringen!«

»Titel mußt du sagen, nicht Kittel«, bemerkte Don Quijote.

»Mag sein«, entgegnete Sancho, »ich sage, ich will es schon recht machen. Denn so wahr ich lebe, ich bin eine Zeitlang Pedell bei einer Brüderschaft gewesen, und der Pedellenrock stand mir so gut, daß alle Leute sagten, ich sähe ganz danach aus, um der Obere selbiger Brüderschaft werden zu können. Wie erst dann, wenn ich mir einen langen Herzogsrock um die Schultern hänge oder mich nach fremder Grafen Brauch in Gold und Perlen kleide? Gewiß kommen die Leute hundert Meilen weit her, mich zu sehen.«

»Gut aussehen wirst du jedenfalls«, sprach Don Quijote, »aber du wirst dir den Bart öfter scheren lassen müssen; denn wie du ihn jetzt trägst, dicht, struppig und unordentlich, wenn du ihn nicht alle zwei Tage mindestens mit dem Schermesser kürzest, sieht man auf einen Büchsenschuß weit, was du bist.«

»Was ist denn da weiter«, entgegnete Sancho, »als daß ich einen Barbier nehme und ihn mit Wochenlohn im Haus halte? Und sollte es nötig sein, so lasse ich ihn hinter mir hertraben wie den Stallmeister eines Großen.«

»Ei, woher weißt du«, fragte Don Quijote, »daß die Großen ihre Stallmeister hinter sich hertraben lassen?«

»Ich will’s Euch sagen«, antwortete Sancho. »In früheren Jahren war ich einmal einen Monat lang in der Residenz, und da sah ich einen Herrn, der war sehr klein, und die Leute sagten, er sei sehr groß; und sah, wie hinter ihm ein Mann zu Pferde kam, ihm immer dicht nachfolgte, mochte er sich hierhin oder dorthin wenden, so daß es gerade aussah, als wäre er sein Schwanz. Ich fragte, warum der Mann nicht neben ihm reite, sondern immer hinter ihm her; da hieß es, das sei sein Stallmeister, und es sei bei den Großen der Brauch, solche hinterherreiten zu lassen. Seit der Zeit weiß ich es so gründlich, daß ich’s nie mehr vergessen habe.«

»Ich muß sagen, daß du recht hast«, sprach Don Quijote, »und daß du deinen Barbier ebenso mit dir nehmen kannst; denn die Bräuche sind nicht alle mit einemmal aufgekommen noch zugleich und zusammen erfunden worden, und du kannst der erste Graf sein, der seinen Barbier im Gefolge führt; und außerdem ist es eine Sache größeren Vertrauens, den Bart zu scheren, als ein Pferd zu satteln.«

»Die Sache mit dem Barbier mag mir anheimgestellt bleiben«, sagte Sancho, »und Euch, Herr Ritter, dafür zu sorgen, daß Ihr König werdet und mich zum Grafen macht.«

»So sei es«, antwortete Don Quijote; und wie er seine Augen aufhob, sah er, was im folgenden Kapitel gesagt werden soll.

16. Kapitel

Was dem sinnreichen Junker in der Schenke begegnete, die er für eine Burg hielt

Der Wirt, welcher Don Quijote quer über dem Esel liegen sah, fragte Sancho, was dem Mann fehle. Sancho antwortete ihm, es sei nichts, er habe nur einen Fall von einem Felsen getan und sich dabei den Rücken ein wenig gequetscht.

Der Wirt hatte eine Frau, die nicht des Charakters war wie sonst gewöhnlich die Leute dieses Gewerbes; denn sie war von Natur liebreich und mildtätig und hatte Mitgefühl mit dem Unglück ihrer Nebenmenschen. So kam sie denn gleich herbei, um des Ritters zu pflegen, und rief ihre Tochter, ein junges Mädchen von sehr hübschem Aussehen, ihr beim Verbinden ihres Gastes zu helfen.

In der Schenke diente auch eine Magd aus Asturien, breit von Angesicht, mit flachem Hinterkopf und stumpfer Nase; auf dem einen Auge war sie blind, mit dem andern sah sie nicht viel. Allerdings ersetzten die Reize ihrer Gestaltung die sonstigen Körperfehler; sie maß nicht ganz sieben viertel Ellen von den Füßen bis zum Kopf, und der Rücken, der sie ein bißchen schwer belastete, nötigte sie mehr, als ihr lieb war, zur Erde zu blicken. Diese liebliche Maid nun war der Tochter behilflich, und die beiden rüsteten dem Ritter ein elendes Bett auf einem Dachboden, der deutliche Spuren davon aufwies, daß er in früheren Zeiten lange Jahre hindurch als Strohspeicher gedient hatte. Daselbst hatte auch ein Maultiertreiber seine Schlafstätte; man hatte ihm sein Bett etwas entfernt von dem des Ritters aufgeschlagen, und obschon es nur aus den Sätteln und Decken seiner Saumtiere bestand, war es doch weit vorzüglicher als dasjenige Don Quijotes, welches nur auf zwei Bänken von ungleicher Höhe stand, vier ungehobelte Bretter hatte und darüber eine Matratze, die wie eine von Ratzen zernagte Matte aussah und dazu voller Knollen war, die man, wäre nicht durch ein paar Risse hindurch die Wolle zu sehen gewesen, beim Anfühlen für Kieselsteine halten mußte; ferner zwei Bettlaken wie aus dem steifen Leder eines Mohrenschilds und darüber eine Pferdedecke, deren Fäden man zählen konnte, ohne um einen in der Rechnung zu kurz zu kommen.

Auf dies verwünschte Bett nun legte sich Don Quijote, und alsbald bepflasterten ihn die Wirtin und ihre Tochter von oben bis unten, wobei ihnen Maritornes leuchtete, denn so hieß die Asturianerin; und als die Wirtin beim Auflegen der Pflaster Don Quijote so sehr mit Striemen bedeckt fand, meinte sie, das sehe mehr nach Schlägen aus als nach einem Fall.

»Schläge waren’s nicht«, sagte Sancho, »sondern der Felsen hatte viele Spitzen und viele Stellen zum Stolpern, und jede hat ihm ihren Striemen aufgemalt.« Und er fuhr fort: »Richtet’s doch so ein, Señora, daß etliche Scharpie übrigbleibt, es wird noch sonst einer da sein, der sie brauchen kann, denn auch mir tut es ein wenig im Kreuz weh.«

»Sonach«, entgegnete die Wirtin, »seid Ihr wohl auch gefallen?«

»Ich bin keineswegs gefallen«, sagte Sancho Pansa, »sondern von dem Schrecken, meinen Herrn fallen zu sehen, tut mir der ganze Körper so weh, daß es mir ist, als wären mir tausend Prügel und mehr aufgezählt worden.«

»Das kann wohl der Fall sein«, sagte die Haustochter, »denn auch mir ist’s oftmals vorgekommen, daß ich träumte, ich fiele von einem Turm herunter und fiele immer und käme nimmer unten auf dem Erdboden an, und daß ich, wenn ich dann vom Traum erwachte, mich so zerschlagen und abgemattet fand, als ob ich wirklich gefallen wäre.«

»Da eben liegt der Hase im Pfeffer, Frau Wirtin«, erwiderte Sancho Pansa; »denn ohne daß mir was träumte, vielmehr war ich so wach und wacher, als ich jetzt bin, hab ich kaum weniger Striemen auf meinen Körper bekommen als mein Herr Don Quijote.«

»Wie heißt der Herr?« fragte die Asturianerin Maritornes.

»Don Quijote von der Mancha«, antwortete Sancho Pansa, »und er ist ein abenteuernder Ritter und einer der besten und gewaltigsten, die man von langen Zeiten her bis jetzt in der Welt gesehen.«

»Was ist denn ein abenteuernder Ritter?« fragte die Magd weiter.

»Seid Ihr so neu in der Welt, daß Ihr das nicht wißt?« entgegnete Sancho Pansa. »So wisset denn, mein Kind, daß ein abenteuernder Ritter ein Ding ist, das im Handumdrehen Prügel bekommt und Kaiser wird; heut ist er das unglücklichste Geschöpf, das hilfsbedürftigste auf Erden, und morgen hat er zwei, drei Königskronen seinem Schildknappen zu vergeben.«

»Wie kommt’s also«, sagte hier die Wirtin, »da Ihr doch der Knappe dieses so trefflichen Herrn seid, daß Ihr nicht wenigstens eine Grafschaft irgendwo besitzet?«

»Dazu ist es noch zu früh«, antwortete Sancho, »denn es ist erst einen Monat her, seit wir auf die Suche nach Abenteuern gehen; und bis jetzt ist uns noch kein rechtes, echtes in den Wurf gekommen, und es gibt Fälle, wo man ein Ding sucht und ein anderes findet. Aber wahr ist’s, wenn Don Quijote, mein Herr, von seiner Wunde oder seinem Fall wieder genest und wenn ich nicht davon zum Krüppel werde, möchte ich meine Aussichten nicht gegen das vornehmste Rittergut in Spanien vertauschen.«

Bei dieser ganzen Unterhaltung war Don Quijote ein sehr aufmerksamer Zuhörer; und nun setzte er sich im Bette aufrecht, so gut er konnte, nahm die Wirtin bei der Hand und sprach zu ihr: »Glaubet mir, huldselige Herrin, Ihr könnt Euch glücklich preisen, daß Ihr in dieser Eurer Burg Herberge gegeben meiner Person, als welche so geeigenschaftet ist, daß ich selbst sie nur deshalb nicht lobe, weil, wie man zu sagen pflegt, Eigenlob stinkt, aber mein Knappe wird Euch sagen, wer ich bin. Ich sage Euch nur dies: ewig wird der Dienst, so mir von Euch getan worden, in meinem Gedächtnis eingeschrieben bleiben, auf daß ich Euch Dank dafür erweise, solang mir das Leben andauern mag. Und wollte der hohe Himmel, daß die Liebe mich nicht so unter ihre Gebote gebeugt und den Blicken jener schönen Undankbaren so Untertan gemacht hätte, die ich nur leise zwischen den Lippen nenne, dann wären jetzt die Augen dieses schönen Fräuleins die Herren meiner Freiheit.«

Die Wirtin und ihre Tochter und das gute Ding von Maritornes waren ganz verwirrt, als sie die Worte des fahrenden Ritters hörten, die sie geradeso verstanden, als hätte er Griechisch gesprochen, obschon sie doch so viel begriffen, daß alles auf Höflichkeiten und süße Redensarten hinauslief; und als Leute, die solcher Sprache nicht gewohnt waren, staunten sie ihn an und verwunderten sich und bewunderten ihn. Er dünkte sie ein ganz anderer Mann, als wie sie ihnen sonst vorkamen, sie dankten ihm für seine Höflichkeiten mit Worten aus dem Kneipenlexikon, verließen ihn dann, und die Asturianerin Maritornes verband Sancho, der es nicht weniger nötig hatte als sein Herr.

Der Maultiertreiber hatte sich mit der letzteren verabredet, sie wollten sich in dieser Nacht zusammen erlusten, und sie hatte ihm ihr Wort darauf gegeben, daß, sobald die Gäste zur Ruhe gegangen und ihre Herrschaft schliefe, sie ihn besuchen und ihm seine Wünsche in allem, was er von ihr begehre, befriedigen wolle. Und es wird von diesem wackern Mägdlein berichtet, daß sie ein derartiges Wort niemals gab, ohne es zu halten, selbst wenn sie es im dichten Wald und ohne Zeugen gegeben; denn sie war gar stolz auf ihren Adel, hielt es aber keineswegs für eine Schande, in der Schenke zu dienen, da, wie sie sagte, Unglück und traurige Lebensschicksale sie zu diesem niedern Beruf gebracht hätten.

Mitten in diesem Speicher, durch dessen Dach die Sterne schienen, stand zuerst das harte, enge, elende, vermaledeite Bett Don Quijotes, und nahe dabei hatte Sancho das seinige aufgeschlagen, das nur eine Matte von Schilf und eine Decke enthielt, welche sichtlich eher aus rauhem zerschlissenem Segeltuch als aus Wolle bestand. Nach diesen beiden Betten kam das des Maultiertreibers, hergerichtet, wie gesagt, aus den Saumsätteln und dem ganzen Aufputz seiner zwei besten Maulesel, deren er übrigens ein volles Dutzend hatte, alle mit glänzendem Fell, wohlgenährt und ganz vorzüglich. Denn er war einer der reichsten Säumer von Arévalo, wie der Verfasser dieser Geschichte berichtet, der seiner besondere Erwähnung tut, weil er ihn sehr gut kannte; man will sogar behaupten, er sei mit ihm weitläufig verwandt gewesen. Außerdem war Sich Hamét Benengelí ein sehr gründlicher und in allem genauer Geschichtsschreiber, und das läßt sich deutlich ersehen, da er die bis hierher erzählten Umstände, wiewohl so geringfügig und unbedeutend, nicht mit Stillschweigen übergehen wollte. Daran kann sich mancher wichtigtuende Geschichtsschreiber ein Beispiel nehmen, der uns die Tatsachen so verstümmelt und kurz zusammengefaßt berichtet, daß wir sie kaum mit den Lippen zu kosten bekommen; wobei die Autoren aus Sorglosigkeit oder böser Absicht oder Unwissenheit das Wesentliche des Werkes im Tintenfaß stecken lassen. Da sei doch der Verfasser des Tablante de Ricamonte tausendmal gepriesen, wie nicht minder der jenes Buches, worin die Taten des Grafen Tomillas erzählt werden; und mit welcher Genauigkeit beschrieben diese all und jedes!

Sonach berichte ich nun, daß der Maultiertreiber, sobald er nach seinen Tieren gesehen und ihnen das zweite Futter gereicht hatte, sich auf seine Saumsättel streckte, in Erwartung seiner allzeit pünktlichen Maritornes. Sancho lag bereits wohlbepflastert in seinem Bett, und obschon er sich Mühe gab zu schlafen, wollten es ihm doch seine Rückenschmerzen nicht gestatten, und Don Quijote mit den seinigen lag mit offenen Augen da wie ein Hase. Die ganze Schenke war in Schweigen versunken, und nirgends war in ihr ein Licht zu sehen als das einer Lampe, die mitten im Torweg hing. Diese wundersame Ruhe und die Gewohnheit unsres Ritters, stets an die Begebnisse zu denken, die die Bücher, die Urheber seines Unglücks, bei jedem Schritt und Tritt erzählen, erzeugte jetzt in seiner Phantasie eine der seltsamsten Tollheiten, die in der Tat dem Menschen einfallen können. Und zwar bildete er sich ein, er sei in eine herrliche Burg gekommen – denn wie gesagt, Burgen waren in seiner Meinung alle Schenken, wo er Herberge nahm – und die Tochter des Schenkwirts sei die des Burgherrn, die, besiegt von seiner anmutigen Art, sich in ihn verliebt und verheißen habe, diese Nacht hinter dem Rücken ihrer Eltern zu ihm zu kommen, um eine gute Weile bei ihm zu liegen. Indem er nun sogleich dieses Hirngespinst, das er sich selbst gewoben, für wirklich und wahr hielt, fing er an, ängstlich besorgt zu werden und an die arge Notlage zu denken, in der sich seine Sittsamkeit demnächst befinden würde, und er nahm sich in seinem Herzen vor, keinen Treubruch gegen seine Herrin Dulcinea von Toboso zu begehen, wenn selbst die Königin Ginevra mit ihrer Kammerfrau Quintañona ihm vor die Augen träte.

Wie er nun über dies tolle Zeug nachdachte, nahte sich Zeit und Stunde – für ihn eine Unglücksstunde! –, wo die Asturianerin kommen wollte. Im Hemd und barfuß, das Haar in eine Barchenthaube gebunden, mit leise-vorsichtigen Schritten trat sie in die Kammer, wo die drei übernachteten, um ihren Maultiertreiber zu suchen. Allein kaum nahte sie der Tür, als schon Don Quijote ihres Kommens inneward, sich ungeachtet seiner Pflaster, unter beständigen Rückenschmerzen, im Bett aufrecht setzte und die Arme ausstreckte, um in ihnen seine holdselige Jungfrau, die Asturianerin, zu empfangen, die, ganz in sich gebückt und schweigend, mit vorgehaltenen Händen hinschlich, um ihren Geliebten zu finden. Sie stieß gegen Don Quijotes Arme; er faßte sie mit aller Macht am Handgelenk, und indem er sie an sich zog, ohne daß sie ein Wort zu sprechen wagte, nötigte er sie, auf dem Bette niederzusitzen. Er befühlte ihr sogleich das Hemd, und obschon es von Packleinwand war, schien es ihm vom feinsten, zartesten Batist; um das Handgelenk trug sie Glaskügelchen, für ihn hatten sie den Schimmer kostbarer orientalischer Perlen; ihre Haare, die nach Roßhaar aussahen, stellte er sich vor als Fäden glänzenden Goldes aus Arabien, deren lichter Schein den der Sonne selbst verdunkle; und ihr Atem, der ohne Zweifel nach übernächtigem Fleischsalat roch, dünkte ihm so köstlich, als hauche sie aus ihrem Munde süßen, würzigen Duft aus. Kurz, er malte sie sich in seiner Einbildung ganz nach demselben Muster und Aussehen, wie er es in seinen Büchern von jener Prinzessin gelesen hatte, die, besiegt von Liebe, mit all ihrem Schmucke kam, wie es dort beschrieben ist, den wund geschlagenen Ritter zu besuchen. Und so blind war der arme Junker, daß weder das Befühlen noch der Atem noch alles sonstige, was das gute Fräulein an sich hatte und was jeden andern als einen Maultiertreiber zum Erbrechen gebracht hätte, ihn zu enttäuschen vermochte. Vielmehr deuchte es ihm, er habe die Göttin der Schönheit in den Armen, und sie eng umfaßt haltend, begann er mit leiser und von Liebe bewegter Stimme zu ihr zu sprechen: »Wohl möcht ich mich in der Lage befinden, huldselige, erhabene Herrin, eine solche Gunst vergelten zu können, wie Ihr mir sie mit dem Anblick Eurer huldseligen Schönheit zu erweisen geruht; aber dem Schicksal, das nimmer müde wird, die besten Männer zu verfolgen, hat es beliebt, mich auf das Bett hinzustrecken, wo ich so zerschlagen und zermalmt liege, daß, wenn ich auch die Neigung fühlte, Eurer Neigung zu entsprechen, es unmöglich wäre. Und überdies gesellt sich zu dieser Unmöglichkeit eine noch größere, nämlich, daß ich meine Treue der unvergleichlichen Dulcinea von Toboso, der einzigen Herrin meiner geheimsten Gedanken, verpfändet habe. Wenn dies nicht dazwischenträte, so würde ich kein so einfältiger Ritter sein, die glückliche Gelegenheit, die Eure große Güte mir bieten wollte, ungenutzt vorüberzulassen.«

Maritornes war voller Trübsal und schwitzte vor Angst, sich so von Don Quijote festgehalten zu sehen, und ohne seine Reden zu verstehen oder auch nur auf sie zu achten, suchte sie still und schweigsam sich von ihm loszumachen. Der gute Kerl von Maultiertreiber, den seine tugendlosen Begierden wachhielten, hatte seine Dirne im Augenblick, wo sie zur Tür hereintrat, gleich bemerkt und horchte gespannt auf alles, was Don Quijote sagte. Eifersüchtig, daß die Asturianerin ihm für einen andern das Wort gebrochen haben sollte, schlich er näher an des Ritters Bett heran und hielt sich ruhig, um zu erfahren, worauf diese Redensarten hinausgingen, die er nicht verstehen konnte. Als er aber sah, daß die Magd rang, um loszukommen, und Don Quijote sich abarbeitete, um sie festzuhalten, gefiel ihm der Spaß gar übel; er reckte den Arm hoch empor und ließ einen so furchtbaren Faustschlag herniederfahren auf die hagern Kinnbacken des verliebten Ritters, daß dessen Mund ganz im Blute schwamm; und damit noch nicht zufrieden, sprang er ihm auf die Rippen und stampfte mit den Füßen rascher, als wenn er im Trab liefe, von einer auf die andere, von der ersten bis zur letzten. Das Bett, etwas schwächlich und auf nicht sehr festen Grundlagen ruhend, konnte die hinzukommende Last des Säumers nicht aushalten und brach zusammen.

Von dem großen Lärm wachte der Wirt auf und kam gleich auf den Gedanken, es müßten das Händel sein, bei denen Maritornes beteiligt sei, weil sie, da er laut nach ihr gerufen, keine Antwort gab. Mit diesem Verdachte stand er auf, zündete ein Licht an und eilte dahin, wo er die Schlägerei gehört hatte.

Als die Magd ihren Herrn kommen sah und dessen fürchterliche Wut bemerkte, flüchtete sie in großer Angst und Aufregung ins Bett Sancho Pansas, der inzwischen eingeschlummert war und noch schlief, und kauerte sich da in einen Knäuel zusammen. Der Wirt kam mit den Worten herein: »Wo bist du, Metze? Gewiß ist das wieder einer von deinen Streichen!«

In diesem Augenblick erwachte Sancho, und da er den Klumpen fühlte, der schier auf ihm lag, dünkte es ihn, er habe das Alpdrücken, und er begann nach allen Seiten mit Fäusten um sich zu schlagen; und da er mit nicht wenigen von diesen Streichen auf Maritornes traf, so setzte diese in dem Schmerz, den sie fühlte, alle Scham beiseite und zahlte ihm das Empfangene mit so viel Schlägen heim, daß sie ihm zu seinem Ärger den Schlaf vollends vertrieb. Als er sich so mißhandelt sah und nicht einmal wußte, von wem, richtete er sich auf, so gut er’s vermochte, und umfaßte Maritornes, und es erhub sich zwischen den beiden das hartnäckigste und komischste Scharmützel der Welt.

Als jetzt der Maultiertreiber beim Lichte des Wirts sah, wie es seiner Dame erging, ließ er von Don Quijote ab und stürzte herzu, ihr den nötigen Beistand zu leisten. Der Wirt kam in gleicher Eile, aber in ganz anderer Absicht, denn er wollte die Magd züchtigen, da er nicht zweifelte, sie allein habe zu dieser ganzen Musik den Anlaß gegeben. Und wie man zu sagen pflegt: Hund auf Katze, Katze auf Ratze, Ratze tot auf dem Platze, so schlug der Maultiertreiber auf Sancho, Sancho auf die Magd, die Magd auf ihn, der Wirt auf die Magd, und immer ein Schlag nach dem andern, und alle setzten ihre Arbeit so eilig fort, daß keiner einen Augenblick ausruhen mochte. Das schönste bei der Sache war, daß dem Wirte das Licht verlöschte, und wie sie nun im Dunkeln blieben, schlugen sie aufs Geratewohl so unbarmherzig aufeinander los, daß sie, wo sie nur immer mit der Faust hintrafen, nirgends einen heilen Fleck ließen.

Zufällig war in der nämlichen Schenke ein Landreiter, einer von denen, die zur so betitelten alten Brüderschaft von Toledo gehören, diese Nacht eingekehrt. Als dieser nun gleichfalls das ungewöhnliche Getobe dieser Schlägerei hörte, griff er nach seinem Amtsstab und der blechernen Büchse mit seiner Bestallung darin und tappte im Dunkeln in die Kammer hinein mit den Worten: »Achtung vor der Justiz! Achtung vor der Heiligen Brüderschaft!«

Der erste, der ihm in den Wurf kam, war der schwer durchwalkte Don Quijote, der in seinem zusammengebrochenen Bette dalag, rücklings mit aufgesperrtem Munde, ohne Bewußtsein; und vor sich hintastend, faßte er ihn am Barte und hörte dabei nicht auf zu rufen: »Achtung vor der Justiz!« Da er aber sah, daß der Mann, den er festhielt, sich nicht regte noch bewegte, meinte er, derselbe sei tot und die in der Kammer Befindlichen seien seine Mörder, und in diesem Verdacht erhub er die Stimme noch lauter und rief: »Man schließe die Tür der Schenke, man gebe acht, daß keiner von dannen gehe; denn hier haben sie einen Menschen totgeschlagen!«

Dieses Wort setzte alle urplötzlich in Schrecken, und jeder ließ die Schlacht so ruhen, wie sie im Augenblicke stand, wo ihm die Stimme ins Ohr klang. Der Wirt zog sich in sein Gemach, der Maultiertreiber auf seine Saumsättel, die Dirne in die Mägdekammer zurück; nur Don Quijote und Sancho, die Unglückseligen, konnten sich nicht von der Stelle bewegen, wo sie lagen.

Jetzt ließ der Landreiter Don Quijotes Bart los und ging nach Licht hinaus, um nach den Verbrechern zu fahnden; aber er fand keines, weil der Wirt bei dem Rückzug nach seinem Zimmer absichtlich die Lampe ausgelöscht hatte. So sah er sich genötigt, den Küchenherd aufzusuchen, wo er denn mit Aufwand vieler Mühe und Zeit sich eine andre Lampe anzündete.

17. Kapitel

Weiterer Verlauf der unzähligen Drangsale, die der mannhafte Don Quijote und sein wackerer Schildknappe in der Schenke zu bestehen hatten, die der Ritter zu seinem Unglück für eine Burg ansah

Jetzt war Don Quijote aus seiner Betäubung wieder erwacht, und mit demselben Ton der Stimme, womit er tags zuvor seinem Knappen zugerufen, als er »dorten in dem Tal der Knüppel« niedergestreckt lag, begann er jetzt wieder: »Sancho, guter Freund, schläfst du? Freund Sancho, schläfst du?«

»Was soll ich schlafen, ich Ärmster!« antwortete Sancho voll Verdruß und Ärger; »ist es doch nicht anders, als hätten diese Nacht alle Teufel ihr Spiel mit mir getrieben.«

»Das darfst du wohl glauben, ohne Zweifel«, entgegnete Don Quijote; »denn entweder verstehe ich mich nicht darauf, oder diese Burg ist verzaubert; du mußt nämlich wissen … Doch was ich dir jetzt sagen will, das mußt du mir schwören bis nach meinem Tode geheimzuhalten.«

»Wohl, ich schwöre es«, erwiderte Sancho.

»Ich sage das«, versetzte Don Quijote, »weil es mir zuwider ist, daß irgend jemand an seiner Ehre geschädigt werde.«

»Ich sage ja, ich schwöre«, sprach Sancho abermals, »daß ich es bis zum Ende Eurer Tage geheimhalten will, und wollte Gott, ich könnte es schon morgen offenbaren.«

»Tu ich dir denn so viel Leides an«, entgegnete Don Quijote, »daß du mich in so kurzer Zeit tot sehen möchtest?«

»Ich sag es nicht von dessentwegen«, antwortete Sancho, »sondern weil es mir zuwider ist, die Sachen lange bei mir aufzuheben, und ich möchte sie mir nicht durch langes Aufbewahren verfaulen lassen.«

»Aus welchem Grunde auch immer du dein Versprechen hältst«, sagte Don Quijote, »ich verlasse mich immer am meisten auf deine Treue und Anständigkeit; und so sollst du denn erfahren, daß ein Abenteuer, eines der seltsamsten, die zu preisen mir je beschieden sein wird, diese Nacht mir begegnet ist. Und um dir es in Kürze zu erzählen, so sollst du wissen, daß vor wenigen Minuten die Tochter des Burgherrn hier zu mir gekommen, das reizendste, allerschönste Fräulein, das schier in allen Landen der Welt zu finden. Was könnte ich dir von der köstlichen Zier ihrer Person sagen? Was von ihrem herrlichen Geiste? Was von andern verborgenen Dingen, die ich, um meiner Gebieterin Dulcinea von Toboso die ihr schuldige Treue zu wahren, unberührt und in Stillschweigen begraben lasse! Nur das will ich dir sagen: weil der Himmel neidisch auf ein so großes Glück war, das ein günstiges Schicksal mir in die Hand gegeben, oder weil vielleicht – und das ist wohl das sicherste! – diese Burg, wie gesagt, verzaubert ist – zur selben Zeit, wo ich mit ihr im süßesten, liebeglühendsten Gespräche war, da kam unsichtbar, und ohne daß ich wußte woher, eine Hand, die zu irgendwelchem Arm irgendwelches ungeheuren Riesen gehörte, und versetzte mir einen solchen Faustschlag auf die Kinnbacken, daß sie ganz in Blut gebadet sind; und darauf zerprügelte er mich derart, daß ich jetzt schlimmer dran bin denn gestern, als die Pferdetreiber wegen Rosinantes Dreistigkeit uns die bewußte Ungebühr antaten; woraus ich denn schließe, daß der Schatz der Huldseligkeit dieses Fräuleins in der Hut irgendeines verzauberten Mohren stehen und nicht mir bestimmt sein muß.«

»Auch mir nicht«, entgegnete Sancho, »denn mich haben mehr als vierhundert Mohren so durchgewalkt, daß die Prügelei mit den Knüppeln dagegen purer Kuchen und Zuckerbrot war. Aber sagt mir doch, hochedler Herr, wie benennt Ihr denn dies herrliche, rare Abenteuer, nachdem es uns so bekommen ist, wie hier zu schauen? Freilich Euch nicht so übel wie mir, da Ihr in Eure Arme jene unvergleichliche Schönheit bekamt, die Ihr beschrieben habt; aber ich, was bekam ich als die schwersten Prügel, die ich, glaub ich, je in meinem Leben erhalten kann? Wehe mir und der Mutter, die mich geboren! Ich bin kein fahrender Ritter und gedenke es nie zu werden, und in allen Fällen, wo wir übel fahren, bin immer ich’s, der am übelsten fährt!«

»Also auch du hast Prügel bekommen?« fragte Don Quijote.

»Wehe über meine ganze Sippschaft! Habe ich Euch nicht schon gesagt, daß dem so ist?« sprach Sancho.

»Mache dir darum keinen Kummer, Freund«, erwiderte Don Quijote, »denn ich will nunmehr den köstlichen Balsam bereiten, mittels dessen wir in einem Nu heil sein werden.«

In diesem Augenblick war endlich der Landreiter mit dem Anzünden seiner Lampe fertig geworden und kam herein, um sich nach dem Manne umzutun, den er für tot hielt; und sobald Sancho ihn hereinkommen sah und gewahrte, daß er im Hemde war, mit einem Tuch um den Kopf, die Lampe in der Hand und mit bitterböser Miene, fragte er seinen Herrn: »Ob das vielleicht der verzauberte Mohr ist, der noch einmal kommt, um uns Hiebe zu verabreichen, wenn er etliche noch auf Lager hat?«

»Der Mohr kann’s nicht sein«, antwortete Don Quijote, »denn die Verzauberten lassen sich von niemandem anschauen.«

»Wenn sie sich nicht schauen lassen, so lassen sie sich fühlen«, sagte Sancho; »wer nein sagt, dem kann mein Rücken davon erzählen.«

»Auch der meinige könnte das«, erwiderte Don Quijote; »aber es ist dies kein genügendes Merkzeichen, daß man ihn für den verzauberten Mohren halten sollte.«

Der Landreiter trat näher, und als er sie in so ruhiger Unterhaltung fand, blieb er ganz verdutzt stehen. Allerdings lag Don Quijote noch ausgestreckt auf dem Rücken, ohne sich bewegen zu können, so zerschlagen und mit Pflastern bedeckt war er. Der Landreiter fragte ihn: »Nun, wie geht’s, guter Junge?«

»Ich würde höflicher reden«, antwortete Don Quijote, »wenn ich du wäre; spricht man hierzulande so mit fahrenden Rittern, du Lümmel?«

Der Landreiter konnte es nicht ertragen, sich von einem so jämmerlich aussehenden Menschen so grob behandelt zu sehen; er hob die Lampe mit all ihrem Öl hoch empor und schleuderte sie Don Quijote ins Gesicht, so daß er ihm den Schädel gar übel zurichtete. Da alles nun im Dunkeln blieb, entfernte er sich auf der Stelle, und Sancho Pansa sagte: »Ohne Zweifel, Herr Ritter, ist dies der verzauberte Mohr, und er muß gewiß den Schatz für andre aufbewahren, und für uns bewahrt er nur Hiebe mit der Faust und Schmisse mit der Lampe.«

»So ist’s«, antwortete Don Quijote, »und man darf sich aus solchen Verzauberungs-Geschichten nicht viel machen, auch nicht sich darüber in Harnisch bringen oder ärgern lassen; denn da sie unsichtbar und bloße Phantome sind, würden wir doch keinen finden, an dem wir uns rächen könnten, so große Mühe wir uns auch darum gäben. Steh auf, Sancho, wenn du kannst, und rufe mir den Vogt dieser Burg und sorge dafür, daß ich etwas Öl, Wein, Salz und Rosmarin bekomme, um den heilsamen Balsam zu bereiten; in der Tat glaube ich, ich habe ihn jetzt sehr nötig; denn es dringt mir viel Blut aus der Wunde, die dies Gespenst mir geschlagen hat.«

Sancho erhob sich mit nicht geringem Schmerz in den Knochen und tappte im Dunkeln nach dem Zimmer des Wirts, und da er auf den Landreiter stieß, welcher lauschte, wie es mit seinem Gegner werden möchte, sprach er ihn mit den Worten an: »Lieber Herr, wer Ihr auch seid, erweist uns die Gnade und Wohltat, uns ein wenig Rosmarin, Öl, Salz und Wein zu geben; es ist dies nötig zur Medizin für einen der besten fahrenden Ritter auf Erden, welcher hier im Bette liegt, wund geschlagen von den Händen des verzauberten Mohren, der sich in dieser Schenke aufhält.«

Als der Landreiter solcherlei Dinge hörte, hielt er ihn für einen verrückten Menschen, und da es jetzt schon zu tagen begann, öffnete er die Tür der Schenke, rief den Wirt und sagte ihm, was der gute Kerl verlange. Der Wirt versah ihn mit allem, was er wünschte, und Sancho brachte es zu Don Quijote, der dasaß und sich mit beiden Händen den Kopf hielt und über den Schmerz vom Wurf der Lampe klagte, der ihm doch weiter nichts als ein paar hochgeschwollene Beulen geschlagen hatte; was er für Blut hielt, war nur Schweiß, den er in der Beängstigung des über ihn hereingebrochenen Unwetters vergoß. Indessen, er nahm seine Heilmittel, schüttete sie zusammen, mischte sie tüchtig und ließ sie eine gute Weile kochen, bis ihm deuchte, sie seien nun fertig zum Gebrauch. Dann verlangte er eine Flasche, um den Trank einzufüllen, und da es eine solche in der Schenke nicht gab, entschloß er sich, ihn in einen für Öl bestimmten Topf oder Krug von Blech zu gießen, den ihm der Wirt aus Gefälligkeit zum Geschenk machte; und dann betete er über den Krug an die achtzig Vaterunser, ebenso viele Ave-Maria, Salve Regina und Credo, und zu jedem Wort schlug er ein Kreuz wie beim Segensprechen. Bei alledem waren Sancho, der Wirt und der Landreiter zugegen; denn der Maultiertreiber hatte sich sachte davongemacht, da er auf die Versorgung seiner Tiere bedacht war. Wie alles fertig war, wollte Don Quijote sofort die treffliche Wirkung, die er sich von diesem köstlichen Balsam versprach, an sich selbst erproben, und so trank er von dem, was in den Krug nicht hineingegangen und nach dem Kochen im Topfe zurückgeblieben war, ungefähr einen halben Schoppen. Und kaum hatte er es hinuntergeschluckt, so fing er an, sich dermaßen zu erbrechen, daß ihm nichts im Magen blieb, und mit der Beklemmung und Anstrengung des Erbrechens kam ihm ein reichlicher Schweiß, weshalb er verlangte, man solle ihn warm zudecken und allein lassen. Es geschah also, er fiel in Schlummer und blieb darin über drei Stunden; und nach deren Verfluß erwachte er, am ganzen Körper erleichtert, und fühlte solche Besserung in seinen zerschlagenen Gliedern, daß er sich für genesen hielt und nun wirklich daran glaubte, daß er den Balsam des Fierabrás richtig und wirklich erlangt habe und mit diesem Heilmittel hinfüro sonder Furcht an alle Streithändel, Kämpfe und Schlachten gehen könne, so gefahrvoll sie auch seien.

Sancho Pansa, der die Besserung seines Herrn gleichfalls für ein Wunder hielt, bat sich aus, was im Kruge war, und das war nicht wenig. Don Quijote überließ es ihm, Sancho nahm den Krug mit beiden Händen, und mit starkem Glauben und noch stärkerer Begier setzte er die Lippen an und goß sich kaum weniger ein als vorher sein Herr.

Don Quijote

Nun war aber der Kasus dieser: der Magen des armen Sancho war ohne Zweifel nicht so reizbar wie der seines Herrn, und mithin, ehe es bei ihm zum Erbrechen kam, befielen ihn solche Beklemmungen und Übelkeiten mit so viel Angstschweiß und Ohnmächten, daß er ernstlich und wirklich glaubte, seine letzte Stunde sei da, und in seinem Jammer und Elend den Balsam verfluchte, samt dem Spitzbuben, der ihn ihm gegeben.

Als ihn Don Quijote in diesem Zustand sah, sprach er zu ihm: »Ich glaube, Sancho, all dies Leid kommt dir davon, daß du nicht zum Ritter geschlagen bist; denn ich bin der Meinung, dieser Trank muß denen nicht helfen, die es nicht sind.«

»Wenn Euer Gnaden das wußte«, entgegnete Sancho, »wehe über mich und meine ganze Sippschaft! Warum erlaubtet Ihr, daß ich ihn kostete?«

In demselben Augenblick tat der Trank seine Wirkung, und der arme Schildknappe begann sich aus beiden Kanälen so hastig zu entleeren, daß weder die Schilfmatte, auf die er sich wieder geworfen, noch die Decke von Segeltuch, die er über sich gezogen, jemals mehr zu brauchen waren. Er schwitzte und zerfloß ganz in Schweiß, mit solchen Krämpfen und Anfällen, daß nicht nur er, sondern alle glaubten, es ginge mit seinem Leben auf die Neige.

Dies Ungewitter und Elend hielt fast zwei Stunden an, nach deren Verfluß sich Sancho keineswegs wie sein Herr befand, sondern so zerschlagen und entkräftet, daß er sich nicht aufrecht halten konnte. Indessen wollte Don Quijote, der, wie gesagt, sich erleichtert und genesen fühlte, unverzüglich auf die Suche nach neuen Abenteuern gehn, indem es ihn bedünkte, alle die Zeit, die er hier am Ort zögere, werde der Welt und all denen, die in der Welt seines Schirms und Beistands bedürftig seien, wider Gebühr entzogen, zumal bei der Zuversicht und dem Vertrauen, das er auf seinen Balsam setzte. Und somit, von seinem Begehr angetrieben, sattelte er selbst den Rosinante, legte dem Esel die Decke auf und half auch dem Schildknappen, sich anzukleiden und sein Tier zu besteigen. Hierauf setzte er sich zu Pferd, und als er im Vorüberreiten in einem Winkel der Schenke einen Feldhüterspieß stehen sah, ergriff er ihn, um sich dessen als eines Ritterspeers zu bedienen. Alles, was sich in der Schenke befand – es waren mehr als zwanzig Personen –, stand da und schaute ihm zu; so auch stand und schaute die Wirtstochter, und er ebenfalls verwandte kein Auge von ihr und stieß von Zeit zu Zeit einen Seufzer aus, den er aus tiefstem Herzen heraufzuholen schien, und alle dachten, er seufze vor Schmerz ob seines zerprügelten Rückens, oder wenigstens dachten es diejenigen, die abends zuvor gesehen, wie er mit Pflastern belegt wurde.

Als beide nun auf ihren Tieren saßen, hielt Don Quijote am Tor der Schenke, rief den Wirt herzu und sagte ihm mit gelassener, würdevoller Stimme: »Zahlreich und sehr groß sind die Gnaden, Herr Burgvogt, die ich in dieser Eurer Burg empfangen, und ich fühle mich höchlich verpflichtet, sie Euch mein Leben lang zu verdanken. Wenn ich sie Euch damit heimzahlen kann, daß ich Euch an einem übermütigen Feind, der Euch etwelche Unbill angetan, Rache schaffe, so wisset: mein Beruf ist kein andrer, als den Schwachen beizustehn und die zu rächen, die Unrecht erleiden, und Treulosigkeit zu bestrafen. Forschet nach in Euren Erinnerungen, und wenn Ihr etwas von solcherlei Art mir anzuvertrauen habt, so braucht Ihr es nur zu sagen; denn bei dem Ritterorden, den ich empfangen, verheiße ich, Genugtuung und Vergeltung Euch ganz nach Eurem Begehr zu verschaffen.«

Der Wirt antwortete ihm mit derselben Gelassenheit: »Herr Ritter, ich habe nicht nötig, daß Euer Gnaden mich ob irgendwelcher Unbill räche; denn wenn mir eine solche widerfährt, weiß ich schon eine Rache zu nehmen, wie sie mir beliebt; ich bedarf nichts weiter, als daß Euer Gnaden mir für die Nacht in dieser Schenke die Zeche zahlet sowohl für Stroh und Gerste, die Eure beiden Tiere bekamen, als auch für Abendessen und Betten.«

»So ist dies also eine Schenke?« fragte Don Quijote hierauf.

»Und eine höchst angesehene«, antwortete der Wirt.

»Bis jetzt lebte ich also im Irrtum«, entgegnete Don Quijote, »denn ich glaubte wirklich, es sei eine Burg, und das keine geringe. Aber da es sich so verhält, daß es keine Burg, sondern eine Schenke ist, so kann eben für jetzt nichts geschehen, als daß Ihr von wegen der Zahlung mich entschuldigt; denn ich kann der Ordensregel der fahrenden Ritter nicht zuwiderhandeln, von welchen ich mit Gewißheit weiß – ohne daß ich bis jetzt etwas Gegenteiliges gelesen hätte –, daß sie niemals für Herberge oder sonst was in der Schenke, wo sie einkehrten, bezahlt haben. Denn von Gesetzes und Rechts wegen schuldet man ihnen jegliche gute Aufnahme, die ihnen zuteil wird, zum Entgelt für die unerträgliche Mühsal, die sie erdulden, indem sie auf Abenteuer ausziehen bei Nacht und bei Tag, im Winter und Sommer, zu Fuß und zu Pferd, mit Durst und Hunger, in Hitze und Kälte, allen Unbilden des Himmels und allem Ungemach der Erde ausgesetzt.«

»Darum habe ich mich gar wenig zu kümmern«, entgegnete der Wirt, »man zahle mir, was man mir schuldig ist, und lassen wir die Ritterschaft beiseite und die Unbilden und das Vergelten; einen Entgelt brauche ich nicht, mein Geld will ich haben und weiter nichts.«

»Ihr seid ein alberner, nichtsnutziger Schenkwirt«, entgegnete Don Quijote, gab Rosinante die Sporen, schwang seinen Spieß und ritt zur Schenke hinaus, ohne daß jemand ihn anhielt, und entfernte sich eine tüchtige Strecke, ohne acht darauf zu haben, ob sein Schildknappe ihm folge.

Der Wirt, der sah, wie er davonritt und nicht zahlte, machte sich an Sancho Pansa, um sein Geld zu bekommen. Der aber sagte, nachdem sein Herr nicht habe zahlen wollen, so werde auch er nicht zahlen; denn da er der Schildknappe eines fahrenden Ritters sei, so gelte dieselbe Regel und Rechtsordnung für ihn wie für seinen Herrn, nämlich durchaus nichts in Wirtshäusern und Schenken zu zahlen. Darüber wurde der Wirt sehr aufgebracht und drohte ihm, wenn er nicht zahle, so werde er sich sein Geld auf eine Weise verschaffen, daß es ihm übel bekommen solle. Sancho erwiderte ihm, nach den Gesetzen des Rittertums, das seinem Herrn zuteil geworden, würde er nicht einen einzigen Pfennig bezahlen, wenn es ihn auch das Leben kosten sollte; denn er wolle nicht daran schuld sein, daß der gute alte Brauch der fahrenden Ritter abkomme, noch solle irgendwelcher Knappe der besagten Ritter, der künftig auf die Welt kommen würde, sich über ihn beschweren und ihm die Verletzung eines so gerechten Gesetzes vorwerfen.

Nun wollte es der Unstern des unglücklichen Sancho, daß unter den Gästen der Schenke sich ein Tuchscherer aus Segovia, drei Nadler vom Pferdebrunnenplatz in Córdoba und zwei Trödler vom Markte zu Sevilla befanden, alles lustige Leute, wohlaufgelegt, schadenfroh und zu jedem Mutwillen gestimmt; alle diese, wie von einem Gedanken beseelt und angetrieben, gingen auf Sancho los und zogen ihn vom Esel herunter; einer von ihnen holte drinnen die Bettdecke des Wirts, und sie warfen ihn darauf. Als sie aber die Augen in die Höhe richteten, fanden sie, daß die Stubendecke für ihr Werk zu niedrig war; sie beschlossen mithin, in den Hof zu gehen, der nur den Himmel über sich hatte, und hier legten sie Sancho mitten auf die Bettdecke und begannen ihn in die Höhe zu schnellen und hatten ihren Spaß mit ihm wie mit einem Hunde auf Fastnacht.

Don Quijote

Das Geschrei, das der arme gewippte Sancho ausstieß, war so gewaltig, daß es zu den Ohren seines Herrn drang; dieser hielt an, um aufmerksam zu horchen, und glaubte schon, daß ein neues Abenteuer im Anzug sei, bis er zuletzt deutlich erkannte, es sei sein Schildknappe, der da so schreie. Sogleich wendete er um und eilte in einem schwächlichen Galopp zur Schenke; und da er sie verschlossen fand, ritt er um sie herum, um eine Stelle aufzufinden, wo er hinein könne. Aber kaum war er zur Hofmauer gelangt, die nicht sehr hoch war, als er das arge Spiel erschaute, das man mit seinem Knappen trieb. Er sah ihn in den Lüften auf und nieder fliegen mit so viel Anmut und Behendigkeit, daß ich überzeugt bin, hätte sein grimmiger Zorn es ihm gestattet, so hätte er lachen müssen. Er versuchte, vom Sattel aus auf die Mauer zu steigen, aber er war so zerwalkt und zerschlagen, daß er nicht einmal absteigen konnte. Und so begann er vom Gaul herunter gegen die Burschen, die den guten Sancho wippten, so viel ehrenrührige Schmähungen und Schimpfworte auszustoßen, daß es unmöglich ist, sie alle niederzuschreiben. Allein sie hörten darum weder mit ihrem Gelächter noch mit ihrer Beschäftigung auf, sowenig Sancho in seinem Fluge sein Jammern ließ, in das er bald Drohungen, bald Bitten mischte. Aber alles das half ihm wenig, half ihm gar nichts, bis sie zuletzt aus lauter Ermüdung von ihm abließen.

Nun brachten sie ihm seinen Esel zur Stelle, setzten ihn darauf und legten ihm seinen Mantel um. Als das mitleidige Ding von Maritornes ihn so abgemattet sah, dünkte es sie gut, ihm mit einem Krug Wasser zu Hilfe zu kommen, und sie holte es ihm aus dem Brunnen, weil es da um so frischer war. Sancho nahm den Krug, aber als er ihn schon an den Mund setzte, hielt er wieder inne auf das laute Rufen seines Herrn, der ihm zuschrie: »Sancho, mein Sohn, trinke kein Wasser; mein Sohn, trinke es nicht, es ist dein Tod! Sieh, hier habe ich den benedeiten Balsam« – und er zeigte ihm den blechernen Krug mit dem Tranke –, »und mit zwei Tropfen, die du davon trinkst, wirst du sicher wiederum heil und gesund.«

Auf diesen Zuruf sah Sancho ihn schief an und schrie noch lauter als sein Herr: »Ist es Euer Gnaden vielleicht schon aus dem Gedächtnis, daß ich kein Ritter bin, oder wollt Ihr, daß ich vollends herauswürgen soll, was ich von heut nacht her noch von Eingeweiden im Leib habe? Mag Euer Trank zu allen Teufeln gehen, und laßt mich in Ruhe.«

Diese Worte enden und das Trinken anfangen war eins. Als er aber beim ersten Zuge spürte, daß es Wasser war, wollte er damit nicht fortfahren und bat die Maritornes, sie möchte ihm Wein bringen. Das tat sie denn auch äußerst gutwillig und zahlte mit ihrem eigenen Gelde; denn in der Tat sagt man von ihr, daß sie, obgleich sie ein derartiges Leben führte, doch Spuren und leise Züge eines christlichen Gemütes zeigte.

Mitten im Trinken setzte Sancho seinem Esel die Fersen in die Weichen, stieß das Tor der Schenke sperrangelweit auf und trabte hinaus, höchst zufrieden, daß er nichts bezahlt und seinen Willen durchgesetzt hatte, wenn auch auf Kosten seines gewöhnlichen Bürgen, nämlich seines Rückens. Allerdings blieb sein Zwerchsack zur Zahlung der Schuld beim Wirte zurück; allein Sancho merkte es nicht, in solcher Benommenheit zog er von dannen.

Der Wirt wollte das Tor fest verriegeln, sobald er Sancho draußen sah; aber die ihn gewippt hatten, gaben es nicht zu. Denn das waren Leute, die, auch wenn Don Quijote in Wahrheit ein fahrender Ritter von der Tafelrunde selbst gewesen wäre, darum doch keinen Deut auf ihn gegeben hätten.

18. Kapitel

Worin die Unterredung berichtet wird, welche Sancho Pansa mit seinem Herrn Don Quijote hatte, nebst anderen erzählenswerten Dingen

Als Sancho bei seinem Herrn anlangte, war er in so hohem Grade ermattet und entkräftet, daß er seinen Esel nicht einmal anzutreiben vermochte. Wie Don Quijote ihn in solchem Zustande sah, sprach er zu ihm: »Jetzt bin ich vollends überzeugt, Sancho, mein Guter, daß diese Burg oder Schenke verzaubert ist; denn jene, die in so scheußlicher Weise sich einen Zeitvertreib mit dir machten, was konnten sie sein als Spukgestalten und Wesen aus der andern Welt? Und ich behaupte das um so mehr, als ich fand, da ich über den Rand der Hofmauer hinüber den Auftritten deines schmerzlichen Trauerspiels zuschaute, daß es mir nicht möglich war, hinüberzukommen, und noch weniger, vom Rosinante abzusteigen, weil man mich ohne Zweifel verzaubert hatte. Sonst, ich schwör dir’s, so wahr ich der bin, der ich bin: hätte ich hinaufklimmen oder absteigen gekonnt, ich hätte dich dergestalt gerächt, daß jene Menschen und Wegelagerer immerdar dieses Spaßes hätten gedenken müssen, obwohl ich wußte, daß ich damit den Gesetzen des Rittertums zuwiderhandelte, welche, wie ich schon oftmals gesagt, dem Ritter nicht gestatten, gegen jemanden, der kein Ritter ist, die Hand zu erheben, es sei denn zur Verteidigung seines Lebens und seiner Person im Falle dringender und äußerster Notwehr.«

»Auch ich«, versetzte Sancho, »hätte mich gerächt, wenn ich gekonnt hätte, ob zum Ritter geschlagen oder nicht geschlagen: aber ich konnte eben nicht. Jedoch bin ich der Überzeugung, daß diejenigen, die ihre Kurzweil mit mir trieben, weder Spukgestalten noch verzauberte Menschen waren, wie Euer Gnaden sagt, sondern Menschen von Fleisch und Blut wie wir, und jeder von ihnen, wie sie einander zuriefen, als sie mich wippten, hatte seinen Namen. Der eine hieß Pedro Martínez und der andre Tenorio Hernández, und der Wirt, hörte ich, hieß Juan Palomeque der Linkshänder. Sohin, gnädiger Herr, daß Ihr nicht über die Mauer springen und nicht vom Gaul absteigen konntet, das lag an anderm als an Verzauberungen. Und was ich mir aus alledem abnehme, ist, daß diese Abenteuer, auf die wir ausziehen, uns am Ende und zu guter Letzt in so viel Unglück bringen werden, daß wir nicht mehr wissen, wo unser rechter und wo unser linker Fuß ist. Ja, was besser und gescheiter wäre, das, nach meinem geringen Verstand, wäre, zu unserm Ort heimzukehren, jetzt, wo es Erntezeit ist, und nach unsern Angelegenheiten zu sehen, statt daß wir von Irland nach Wirrland und von Brechhausen nach Pechhausen ziehen, wie’s im Sprichwort heißt.«

»Wie wenig Verständnis hast du«, antwortete Don Quijote, »in betreff des Ritterwesens! Schweig und habe Geduld; denn einst wird kommen der Tag, wo du mit eignen Augen siehst, welch ehrenvolle Sache es ist, diesen Beruf zu üben. Oder sage mir doch: Welch größeren Genuß kann es auf Erden geben, oder welch Vergnügen läßt sich dem vergleichen, eine Schlacht zu gewinnen und über seinen Feind zu triumphieren? Ohne Zweifel keines.«

»So muß es wohl sein«, versetzte Sancho, »wiewohl ich es nicht weiß; ich weiß nur, daß, seit wir fahrende Ritter sind oder seit Euer Gnaden es ist – denn ich habe keinen Grund, mich zu einer so ehrenwerten Gesellschaft zu zählen –, wir noch niemals eine Schlacht gewonnen haben, es sei denn die gegen den Biskayer, und auch aus dieser kam Euer Gnaden nur mit einem halben Helm und halben Ohr weniger davon. Von da an bis jetzt war alles nur Prügel und abermals Prügel, Faustschläge und abermals Faustschläge, wobei ich nur das voraus hatte, daß ich gewippt wurde und daß mir dies von verzauberten Personen widerfuhr, an denen ich mich nicht einmal rächen kann, um wenigstens zu erfahren, wie groß das Vergnügen ist, den Feind zu besiegen, wovon Euer Gnaden mir sagt.«

»Das ist ja eben der Kummer, den ich empfinde und den auch du empfinden mußt, Sancho«, antwortete Don Quijote; »aber hinfüro werde ich darauf Bedacht nehmen, stets ein so meisterlich gearbeitetes Schwert zur Hand zu haben, daß, wer es führt, keinerlei Verzauberung ausgesetzt ist. Vielleicht kann es auch geschehen, daß das Glück mir jenes Schwert beschert, das Amadís führte, als er sich den Ritter vom flammenden Schwert nannte; das war eines der besten, so je ein Ritter auf Erden besaß; denn außerdem, daß ihm die besagte Zauberkraft innewohnte, schnitt es wie ein Schermesser, und es gab keine noch so feste und gefeite Rüstung, die ihm standhielt.«

»Ich habe so viel Glück«, sagte Sancho, »daß, wenn es geschähe und Euer Gnaden gelänge es, ein solches Schwert zu finden, so würde es doch am Ende wie der Balsam nur denen, die den Ritterschlag empfingen, dienen und frommen, und die Schildknappen, die mag der Jammer aufessen.«

»Fürchte das nicht«, sprach Don Quijote, »der Himmel wird es besser mit dir fügen.«

Unter solchen Gesprächen zog Don Quijote mit seinem Schildknappen dahin; da sah er, daß ihnen auf ihrer Straße eine große, dichte Staubwolke entgegenkam, und bei diesem Anblick wandte er sich zu Sancho und sprach: »Das ist der Tag, o Sancho, an dem man erschauen wird; welches Glück mein Schicksal mir vorbehalten hat; das ist der Tag, sage ich, an dem sich so gewaltig wie je die Kraft meines Armes zeigen wird und an dem ich Taten zu tun gedenke, die alle kommenden Jahrhunderte hindurch im Buche des Ruhmes verzeichnet bleiben sollen. Siehst du die Staubwolke, die dorten sich erhebt, Sancho? Wohl, sie ist ganz und gar von einem großmächtigen Heere aufgewirbelt, das mit seinen mannigfachen unzähligen Mannschaften dort hergezogen kommt.«

»Demnach müßten es zwei Heere sein«, sagte Sancho; »denn dort erhebt sich gleichfalls von der entgegengesetzten Seite eine ähnliche Staubwolke.«

Don Quijote schaute nochmals hin und sah, daß dem wirklich so war. Da freute er sich über die Maßen, da er nicht zweifelte, es seien zwei Kriegsheere, die da kämen, einander anzugreifen und inmitten dieser weiten Ebene sich zu schlagen. Denn er hatte zu jeder Stunde und Minute die Gedanken voll von jenen Kämpfen, Verzauberungen, Begebnissen, unsinnigen Unternehmungen, Liebschaften, Herausforderungen, die in den Ritterbüchern erzählt werden, und was er sprach, dachte und tat, lief alles auf dergleichen Dinge hinaus. Die Staubwolken aber, die er gesehen, waren von zwei großen Herden Schafen und Hammeln aufgerührt, die von zwei verschiedenen Seiten her dieses selben Weges kamen, die man aber des Staubes wegen nicht erkennen konnte, bis sie ganz nahe gekommen. Don Quijote bestand mit solchem Nachdruck darauf, es seien gewaffnete Heere, daß Sancho es zuletzt wirklich glaubte und ihm sagte: »Gnädiger Herr, was aber sollen wir denn nun tun?«

»Was?« entgegnete Don Quijote, »den Bedrängten und Notleidenden beistehen und Hilfe leisten. Und du mußt wissen, Sancho: das Heer, das uns gerade entgegenkommt, das führt und leitet der große Kaiser Alifanfarón, Herr der großen Insel Trapobana; das andere, das mir im Rücken heranzieht, ist das seines Feindes, des Königs der Garamanten, Pentapolín mit dem aufgestreiften Arm, weil er stets mit entblößtem rechtem Arm in die Schlacht geht.«

»Warum sind sich denn die beiden Herren einander so feind?« fragte Sancho.

»Sie sind einander feind«, antwortete Don Quijote, »weil dieser Alifanfarón ein hartnäckiger Heide ist und sich in die Tochter des Pentapolín verliebt hat, die ein äußerst schönes und zudem sehr liebenswürdiges Fräulein ist; dazu ist sie eine Christin, und ihr Vater will sie dem heidnischen Könige nicht geben, wenn er nicht vorher dem Gesetze seines falschen Propheten Mohammed entsagt und sich zu seinem Glauben wendet.«

»Bei meinem Barte«, sagte Sancho, »ich will nicht gesund sein, wenn der Pentapolín nicht sehr wohl daran tut, und ich werd ihm beistehen, soviel ich nur vermag.«

»Da wirst du tun, was deine Pflicht fordert, Sancho«, sprach Don Quijote; »denn um an dergleichen Schlachten teilzunehmen, ist es nicht vonnöten, den Ritterschlag empfangen zu haben.«

»Das begreife ich wohl«, entgegnete Sancho. »Aber wo werden wir unsern Esel hintun, um sicher zu sein, daß wir ihn nach dem Handgemenge wiederfinden? Denn so beritten in die Schlacht zu ziehen ist, glaub ich, bis zum heutigen Tag nicht der Brauch.«

»So ist’s in Wirklichkeit«, sagte Don Quijote. »Was du mit dem Tiere tun kannst, ist, es aufs Geratewohl laufen zu lassen, möge es sich nun verlieren oder nicht; denn wir werden so viel der Pferde haben, nachdem wir als Sieger aus der Schlacht gekehrt, daß sogar Rosinante Gefahr läuft, daß ich ihn vielleicht gegen ein andres Roß vertausche. Indessen habe jetzt acht auf meine Worte und schau auf, denn ich will dir über die vornehmsten Ritter berichten, die sich bei diesen zwei Heeren befinden; und auf daß du sie besser sehen und dir merken kannst, ziehen wir uns auf jenes Hügelchen zurück, das dort ansteigt; von da muß man beide Heere übersehen können.«

Sie taten also und stellten sich auf einer Höhe auf, von welcher man die beiden Herden, die unserm Don Quijote zu Heeren wurden, recht gut gesehen hätte, wenn die von ihnen aufgerührten Staubwolken nicht den beiden Beobachtern die Augen bis zur Blindheit getrübt hätten. Aber trotzdem in seiner Einbildung erschauend, was er nicht sah und was nicht vorhanden war, begann er mit lauter Stimme also zu sprechen: »Jener Ritter, den du dorten mit gelber Rüstung siehst, der im Schild einen gekrönten Löwen führt, der zu eines Fräuleins Füßen demutvoll liegt, ist der mannhafte Laurcalco, Herr der silbernen Brücke. Der dort mit der goldgeblümten Rüstung, der im Schilde drei silberne Kronen im blauen Felde führt, ist der furchtbare Micocolembo, Großfürst von Quirossia. Jener zu seiner Rechten, mit den riesenhaften Gliedern, ist der nie zagende Brandabarbarán von Boliche, Herr der drei Arabien, der mit einer Schlangenhaut bepanzert ist und als Schild eine Tür hat, welche, wie der Ruf sagt, von jenem Tempel stammt, den Simson zusammenriß, als er durch seinen eignen Tod an seinen Feinden Rache nahm. Aber wende deine Augen nach dieser andern Seite, und da wirst du vor dir und an der Spitze dieses andren Heeres den stets siegreichen und nie besiegten Timonel von Carcajona sehen, den Fürsten von Neu-Biscaya, dessen Rüstung in vier Farben geviertelt ist, Blau, Grün, Weiß und Gelb, und der im Schild eine goldene Katze im purpurnen Felde führt mit der Umschrift Miau, was der Anfang des Namens seiner Dame ist, welche, wie man wissen will, die unvergleichliche Miaulina ist, die Tochter des Herzogs Alfeñiquén von Algarbien. Jener dort, der den Rücken seines gewaltigen Streitrosses drückt und belastet, die Rüstung weiß wie Schnee, den Schild weiß und sonder Wappen und Zeichen, ist ein angehender Ritter, Franzose von Nation, namens Peter Papin, Herr der Herrschaften Utrique. Dieser andere, der seinem leichten Zebra die eisenbeschlagenen Fersen in die Flanken stößt und blaue Eisenhütlein im Wappen führt, ist der mächtige Herzog von Nerbio, Espartafilardo vom Busch, der als Sinnbild im Schilde eine Spargelstaude führt, mit der Devise auf kastilianisch: Rastrea mi suerte (Spüre meinem Geschicke nach).«

Und auf diese Weise nannte er nacheinander zahlreiche Ritter von den beiden Geschwadern, die er in seiner Einbildung schaute, und allen gab er ihre Rüstungen, Farben, Wappen und Sinnbilder aus dem Stegreif, fortgerissen von seiner erfinderischen, unerhörten Verrücktheit. Und ohne einzuhalten, fuhr er fort: »Dies Geschwader vor uns bilden und formen Leute verschiedener Volksstämme: hier sind die, welche die süßen Wasser des berühmten Xanthus trinken, die Bergbewohner, welche die Massylischen Gefilde umwandern, die, welche den Staub feinsten Goldes im glücklichen Arabien sieben, die, so sich der herrlichen frischen Ufergelände des klaren Thermodon erfreuen, die den goldführenden Paktolus auf vielfach verschiedene Weise zur Ader lassen, die in ihren Versprechungen unzuverlässigen Numidier, die Perser, durch Bogen und Pfeile berühmt, die Parther und Meder, die im Fliehen fechten, die Araber mit beweglichen Wohnstätten, die Skythen, so grausam als hellfarbig, die Äthiopier mit durchbohrten Lippen und andere Völker ohne Zahl, deren Gesichtszüge ich kenne und sehe, wiewohl ich mich ihrer Namen nicht erinnere. In jener andern Schar zeigen sich die, so die kristallhellen Wellen des olivenreichen Bätis trinken, die, welche ihr Antlitz im Naß des immerdar reichen goldenen Tajo baden und erfrischen, die, welche der fruchtbringenden Wasser des göttlichen Genil sich erfreuen; die, deren Füße die tartessischen Fluren, an Triften reich, beschreiten, die, welche sich am elysäischen Gelände von Jeréz ergötzen, die Manchaner, reich und mit blonden Ähren bekränzt; die im Eisenhemde einhergehen, alte Überbleibsel des gotischen Bluts; die im Pisuerga sich baden, der so berühmt ist durch die Weichheit seines Gewässers; die, so ihre Herde weiden auf den ausgedehnten Auen des vielgekrümmten Stromes Guadiana, der ob seines verborgenen Laufes berühmt; die, so zittern von der Kälte der waldigen Pyrenäen und vom Schnee des hochgipfligen Apennin; endlich alle, so ganz Europa enthält und umschließt.«

Hilf, Himmel, wieviel Provinzen zählte er auf, wieviel Völkerschaften nannte er, wobei er einer jeden mit wunderbarer Fertigkeit die eigentümlichen Bezeichnungen lieh, die ihr zukamen, ganz vertieft und versunken in die Dinge, die er in seinen Lügengeschichten gelesen hatte. Sancho Pansa hing an des Ritters Lippen, ohne die seinigen zu einem Wort zu öffnen, nur hier und da den Kopf umwendend, um zu sehen, ob die Ritter und Riesen, die sein Herr nannte, auch ihm sichtbar würden; und da er nicht einen zu Gesicht bekam, sprach er zu ihm: »Gnädiger Herre, der Teufel soll’s holen, weder Mensch noch Riese noch Ritter, soviel auch Euer Gnaden benamset, läßt sich weit und breit sehen; ich wenigstens erblicke keinen, es muß alles vielleicht nur Zauberei sein wie die Spukgestalten heut nacht.«

»Wie kannst du das sagen?« entgegnete Don Quijote; »hörst du nicht das Wiehern der Rosse, das Blasen der Trompeten, das Rollen der Trommeln?«

»Ich höre nichts andres«, antwortete Sancho, »als vielfaches Blöken von Schafen und Hammeln.«

Und so war’s auch in der Tat; denn die beiden Herden kamen bereits näher.

»Die Furcht, die du fühlst, Sancho«, sprach Don Quijote, »macht, daß du nicht recht siehst und hörst; denn eine der Wirkungen der Furcht ist, die Sinne zu verwirren, so daß die Dinge nicht als das erscheinen, was sie sind. Ist’s der Fall, daß du so arge Angst hast, so zieh dich seitwärts und laß mich allein; denn allein schon bin ich Manns genug, um der Partei, der ich meinen Beistand gewähre, den Sieg zu verschaffen.«

Und mit diesen Worten gab er Rosinanten die Sporen, und mit eingelegtem Speer stürmte er wie der Blitz den Hügel hinunter. Sancho schrie ihm nach: »Kehret um, Señor Don Quijote, denn ich schwör’s zu Gott, es sind Hammel und Schafe, die Ihr angreifen wollt; kehrt um! Weh über den Vater, der mich gezeugt! Was für Tollheit! Seht doch nur hin, es ist kein Riese da und kein Ritter, keine Katzen, keine Rüstungen, keine geviertelten und keine ganzen Schilde, keine Eisenhütlein, blaue nicht und nicht verteufelte; was tut Ihr? O ich armer Sünder gegen Gott und Menschen!«

Allein Don Quijote kehrte nicht um; vielmehr ritt er voran mit dem lauten Ruf: »Auf, ihr Ritter, die ihr unter dem Banner des mannhaften Kaisers Pentapolín mit dem aufgestreiften Arme dienet und fechtet, folgt mir alle, und ihr sollt sehen, wie leicht ich ihn an seinem Feinde Alifanfarón von Trapobana räche!«

Mit diesen Worten drang er mitten in die Schlachtschar der Schafe hinein und begann sie mit solcher Kühnheit und Entschlossenheit anzuspießen, als zückte er den Speer wirklich auf seine Todfeinde. Die Schafknechte und die Herren der Herde, die mit ihren Tieren daherkamen, schrien ihm zu, er solle davon ablassen; aber da sie sahen, daß sie nichts ausrichteten, zogen sie ihre Schleudern aus dem Gurt und begannen ihm die Ohren mit faustgroßen Steinen zu begrüßen. Don Quijote kümmerte sich nicht um die Steine, vielmehr sprengte er nach allen Seiten hin und her und rief: »Wo bist du, hochmütiger Alifanfarón? Komm heran! Her zu mir! Ein Ritter, ganz allein bin ich hier, will Mann gegen Mann deine Kraft erproben und will dir das Leben rauben, zum gerechten Lohn für den schlimmen Lohn, den du dem Pentapolín bezahlt, dem Garamanten!«

In diesem Augenblick kam ein Bachkiesel geflogen, traf ihn in die Seite und schlug ihm zwei Rippen in den Leib hinein. Als er sich so übel zugerichtet sah, zweifelte er nicht, er sei zu Tode getroffen oder doch schwer verwundet; da fiel ihm sein Trank ein, er zog sein Krüglein hervor, setzte es an den Mund und begann das heilsame Naß in den Magen zu gießen. Aber ehe er das ihm genügend scheinende Maß völlig heruntergeschüttet, kam wieder eine Krachmandel und traf ihn so voll auf Hand und Krug, daß sie diesen in Stücke zerbrach, unterwegs ihm drei oder vier Vorder- und Backenzähne ausschlug und ihm zwei Finger arg zerquetschte. Derartig war der erste Wurf und derartig der zweite, daß der arme Ritter nicht anders konnte: er mußte vom Pferde herab zu Boden stürzen. Die Hirten liefen auf ihn zu und glaubten, sie hätten ihn umgebracht; und so trieben sie denn in großer Eile ihre Herde zusammen, luden die toten Tiere auf, deren es über sieben waren, und ohne sich nach was anderm umzutun, zogen sie von dannen.

Während der ganzen Zeit stand Sancho auf dem Hügel und schaute den Tollheiten seines Herrn zu, raufte sich den Bart und verwünschte die Stunde und Minute, wo ihn das Schicksal mit seinem Herrn bekannt gemacht. Als er ihn nun auf dem Boden ausgestreckt liegen und die Schäfer schon entfernt sah, eilte er vom Hügel herab, näherte sich ihm und fand ihn in sehr üblem Zustand, wiewohl er das Bewußtsein nicht verloren. Da sprach Sancho zu ihm: »Hab ich’s Euch nicht gesagt, Señor Don Quijote, Ihr solltet umkehren, weil die, so Ihr angreifen wolltet, keine Kriegsheere, sondern Schafherden wären?«

»Ja, auf solche Weise vermag jener Schurke von Zauberer, mein Feind, alles verschwinden zu lassen und umzugestalten! Du mußt wissen, Sancho, daß es den besagten Zauberern sehr leicht ist, alles vor uns erscheinen zu lassen, was sie wollen, und der Bösewicht, der mich verfolgt, neidisch auf den Ruhm, den er mich im Begriffe sah von diesem Kampfe zu gewinnen, hat die Feindesgeschwader in Schafherden verwandelt. Und wo du dies nicht glaubst, so mußt du, bei meinem Leben! eines tun, damit du deines Irrtums loswirst und siehst, daß volle Wahrheit ist, was ich sage: steig auf deinen Esel und reite ihnen sachte nach, und du wirst sehen, sobald sie sich ein weniges von hier entfernt haben, verwandeln sie sich wieder in ihr erstes Wesen, hören auf, Hammel zu sein, und sie sind wieder echte, rechte Menschen, wie ich dir sie zuerst geschildert. Aber entferne dich nicht jetzt, denn ich habe deine Hilfe und Unterstützung nötig. Komm zu mir her und sieh nach, wieviel Backen- und Vorderzähne mir fehlen; denn es kommt mir vor, als wäre nicht einer mir im Munde übrig.«

Sancho näherte sich seinem Herrn so dicht, daß er ihm beinahe mit den Augen in den Mund kam. Das geschah aber in dem Augenblick, wo der Balsam bereits in Don Quijotes Magen seine Wirkung getan, und gerade als Sancho sich näherte, um ihm in den Mund zu sehen, warf der Ritter mit größerer Gewalt, als eine Büchse schießt, alles aus, was er bei sich hatte, und schleuderte das Ganze dem mitleidigen Schildknappen ins Gesicht. »Heilige Mutter Gottes!« rief Sancho, »was ist mir da geschehen? Gewiß ist der Sündenmensch auf den Tod verwundet, da er Blut aus dem Munde bricht.«

Aber indem er es sich etwas genauer betrachtete, merkte er an Farbe, Geschmack und Geruch, daß es keineswegs Blut, sondern der Balsam aus dem Kruge war, den er ihn hatte trinken sehen; und der Ekel, der ihn dabei befiel, war so groß, daß der Magen sich in ihm umdrehte und er sein ganzes Inneres auf seinen eigenen Herrn herausbrach; und beide sahen nun gar köstlich aus.

Sancho lief zu seinem Esel hin und wollte aus dem Zwerchsack etwas holen, um sich zu reinigen und seinen Herrn zu verbinden, und als er ihn nicht fand, war er nahe daran, den Verstand zu verlieren. Er verwünschte sich aufs neue und nahm sich im Herzen vor, seinen Herrn zu verlassen und in seine Heimat zurückzukehren, wenn er auch den Lohn für die gediente Zeit und die Aussicht auf die Statthalterschaft der versprochenen Insul verlieren müßte. Inzwischen erhub sich Don Quijote, und die linke Hand an den Mund haltend, damit die Zähne ihm nicht vollends herausfielen, faßte er mit der rechten die Zügel Rosinantes, der seinem Herrn bisher nicht von der Seite gewichen war – so treuen Gemütes und gutherzigen Charakters war er –, und wandte sich zu seinem Knappen hin, der dastand, über seinen Esel gelehnt, die Hand an der Wange, wie ein Mensch in tiefsten Gedanken. Und als Don Quijote ihn so dastehen sah, mit allen Zeichen großer Traurigkeit, sprach er zu ihm: »Wisse, Sancho, kein Mensch ist mehr als ein andrer, wenn er nicht mehr vollbringt als ein andrer. All diese Ungewitter, die uns treffen, sind Anzeichen, daß der Himmel sich bald aufheitert und unsre Angelegenheiten wieder gut gehen werden; denn es ist nicht möglich, daß Glück oder Unglück von Dauer sind. Daraus folgt, daß, nachdem das Unglück lange gedauert hat, das Glück jetzt nahe ist; und so darfst du dich nicht ob des Mißgeschicks betrüben, das mir begegnet, der du keinen Teil daran hast.«

»Wie? Ich nicht?« antwortete Sancho. »War vielleicht der Mann, den sie gestern gewippt haben, ein andrer als der Sohn meines Vaters? Und der Zwerchsack, der mir heute fehlt mit all meinen Habseligkeiten, gehörte er einem andern als mir selbst?«

»Was? Der Zwerchsack mangelt dir, Sancho?« versetzte Don Quijote.

»Freilich mangelt er mir«, antwortete Sancho.

»Demnach haben wir heute nichts zu essen«, sprach Don Quijote.

»So würde es sein«, erwiderte Sancho, »wenn es auf den Feldern hier an den Kräutern fehlte, die Euer Gnaden versichert zu kennen und mit denen sich stets derartigem Mangel abhelfen läßt bei den so sehr vom Unglück verfolgten fahrenden Rittern, wie Euer Gnaden einer ist.«

»Bei alledem«, antwortete Don Quijote, »nähme ich anitzo mit größerem Begehr ein Viertellaibchen Brot oder einen Laib und ein paar Heringe als alle Kräuter, die Dioskórides in seinem Buche beschreibt, selbst wenn Doktor Lagunas Kommentar beigebunden wäre. Aber sintemal es so ist, steig auf deinen Esel, Sancho, du Guter, und ziehe hinter mir drein; Gott, der Fürsorger aller Dinge auf Erden, wird uns nicht im Stiche lassen, zumal da wir so völlig in seinem Dienste wandeln, wie wir tun; denn er verläßt nicht die Mücken in der Luft noch die Würmlein auf dem Erdboden noch die junge Froschbrut im Wasser, und er ist so barmherzig, daß er seine Sonne aufgehen läßt über Gute und Böse und regnen über Ungerechte und Gerechte.«

»Euer Gnaden«, sprach Sancho, »taugte besser zum Prediger als zum fahrenden Ritter.«

»Die fahrenden Ritter«, erwiderte Don Quijote, »verstanden von allem und mußten von allem verstehen, Sancho. In alten Zeiten gab es manch fahrenden Ritter, der inmitten eines Heerlagers ebenso bereit war, eine Predigt oder Rede zu halten, als hätte er seine akademischen Grade auf der Hochschule zu Paris erhalten, woraus zu schließen, daß weder der Speer die Feder noch die Feder den Speer jemals stumpf gemacht hat.«

»Nun gut, so sei es an dem, wie Euer Gnaden sagt«, entgegnete Sancho. »Machen wir uns jetzt von dannen und sehen, wo wir diese Nacht herbergen, und wolle Gott, daß es ein Ort ist, wo es keine Bettdecken zum Wippen und keine Wipper gibt, keine Spukgestalten, keine verzauberten Mohren; denn wenn es dergleichen dort gibt, so laß ich alles im Stiche und gehe zum Teufel in die Hölle.«

»Geh deinen Weg lieber zu Gott, mein Sohn«, sprach Don Quijote, »und reite voran in jeder Richtung, die du willst; denn diesmal überlasse ich es deiner Wahl, uns Herberge zu nehmen. Doch gib einmal die Hand her und fühle mit dem Finger und sieh genau nach, wieviel Vorder- und Backenzähne mir auf der rechten Seite in der oberen Kinnlade fehlen; denn da fühl ich den Schmerz.«

Sancho steckte ihm die Finger in den Mund, befühlte die Kinnlade und sprach: »Wieviel Backenzähne pflegte Euer Gnaden auf dieser Seite zu haben?«

»Vier«, antwortete Don Quijote, »und alle außer dem Weisheitszahn ganz und gesund.«

»Euer Gnaden bedenke wohl, was Ihr saget«, entgegnete Sancho.

»Vier sag ich, wenn es nicht fünf waren«, antwortete Don Quijote; »denn in meinem ganzen Leben ist mir weder Vorderzahn noch Backenzahn ausgefallen noch ausgezogen noch von Fäule oder Fluß angefressen worden.«

»Nun denn, in der unteren Kinnlade habt Ihr auf dieser Seite nicht mehr als zwei Backenzähne und einen halben und in der obern keinen halben und keinen ganzen mehr; denn da ist alles glatt wie die flache Hand.«

»Ich Unglückseliger!« sprach Don Quijote, als er die traurige Nachricht erfuhr, die ihm sein Knappe mitteilte; »lieber möchte ich, man hätte mir einen Arm abgeschlagen, nur müßte es nicht der sein, der das Schwert führt; denn ich tue dir zu wissen, Sancho, ein Mund ohne Backenzähne ist wie eine Mühle ohne Mühlstein, und ein Zahn ist weit höher zu schätzen als ein Diamant. Aber alledem sind wir ausgesetzt, die wir uns zum strengen Orden des Rittertums bekennen. Steig auf, Freund, und sei Wegeführer, ich werde dir folgen und gleichen Schritt nach deinem Belieben mit dir halten.«

Sancho tat also; er nahm seinen Weg dahin, wo er Herberge zu finden dachte, ohne von der Landstraße abzuweichen, die dort viel begangen war. Als sie nun Schritt vor Schritt hinritten, denn Don Quijotes Zahnschmerz gestattete ihnen weder zu rasten noch an Eile zu denken, wollte Sancho ihn unterhalten und durch Gespräch zerstreuen; und unter mancherlei Dingen, die er ihm sagte, war auch das, was im folgenden Kapitel berichtet werden soll.

13. Kapitel

Worin die Geschichte der Schäferin Marcela beschlossen wird, nebst andern Begebenheiten

Aber kaum begann der Tag sich an den Fenstern des Ostens zu zeigen, als fünfe von den sechs Ziegenhirten sich vom Lager erhoben und hingingen, Don Quijote zu wecken und ihn zu fragen, ob er noch immer des Vorhabens sei, zu dem vielbesprochenen Begräbnis des Grisóstomo zu gehen; dann würden sie ihm Gesellschaft leisten. Don Quijote, der nichts andres wünschte, stand auf und befahl Sancho, augenblicklich zu satteln und den Tieren Zaum und Halfter anzulegen; dieser tat es mit besonderer Eilfertigkeit, und ebenso eilig begaben sich alle auf den Weg. Und sie waren noch keine Viertelmeile gewandert, als sie beim Kreuzen eines Pfades etwa ein halb Dutzend Schäfer ihnen entgegenkommen sahen, alle in schwarzen Schafpelz gekleidet, das Haupt mit Zweigen von Zypressen und bitterm Oleander bekränzt. Jeder trug einen dicken Stab von der Stechpalme in Händen.

Mit ihnen zugleich kamen des Weges zwei Edelleute zu Pferd, in stattlicher Reisetracht, nebst drei Dienern zu Fuß, die ihr Gefolge bildeten. Als sie zusammentrafen, grüßten sie einander höflich, und da sie sich gegenseitig nach ihrem Reiseziel erkundigten, stellte es sich heraus, daß sie alle nach dem Ort der Bestattung wollten; und so zogen sie nun gemeinschaftlich des Weges weiter.

Einer von den Herren zu Pferd wandte sich an seinen Gefährten und sagte: »Mich dünkt, Señor Vivaldo, für eine ganz richtige Verwendung unserer Zeit müssen wir diesen Aufenthalt erachten, dem wir uns unterziehen, wenn wir diese merkwürdige Bestattung ansehen; denn sie kann nicht anders als merkwürdig ausfallen, nach den seltsamen Dingen, die diese Hirten uns von dem verstorbenen Schäfer wie von der todbringenden Schäferin erzählt haben.«

»So bedünkt es auch mich«, antwortete Vivaldo, »und ich sage, nicht nur einen Tag, sondern weitere vier Tage würde ich dran wenden, sie zu sehen.«

Don Quijote fragte sie, was sie über Marcela und Grisóstomo gehört hätten. Der Reisegefährte erwiderte, diesen Morgen seien sie den Schäfern begegnet und hätten, da sie diese in so düsterer Tracht gesehen, gefragt, aus welchem Anlaß sie in solchem Aufzug einhergingen; einer von ihnen habe es ihnen berichtet und von dem seltsamen Wesen und der Schönheit einer Schäferin namens Marcela erzählt und von der Liebe zahlreicher Jünglinge, die um sie geworben, sowie vom Tode jenes Grisóstomo, zu dessen Begräbnis sie jetzt hinzögen. Kurz, er erzählte alles, was Don Quijote bereits über Grisóstomo gehört hatte.

Dieses Gespräch ward abgebrochen und ein anderes begonnen, indem der Fremde, der Vivaldo hieß, an Don Quijote die Frage richtete, was ihn veranlasse, dergestalt gerüstet eine so friedliche Gegend zu durchwandern.

Darauf antwortete Don Quijote: »Die Ausübung meines Berufes verwilligt und verstattet es mir nicht, daß ich in andrer Tracht einhergehe. Gute Tage haben, Wohlleben und Ruhe genießen, das ist für weichliche Höflinge erfunden; aber Mühsal, Rastlosigkeit und Waffen sind für diejenigen allein geschaffen, so die Welt fahrende Ritter nennt und unter welchen ich, obschon des Berufes unwürdig, der geringste bin von allen.«

Kaum hörten sie das, als alle ihn auch schon für verrückt hielten; und da sie der Sache noch mehr auf den Grund kommen und erforschen wollten, welcher Art seine Verrücktheit sei, wandte sich Vivaldo wiederum an ihn und fragte, was mit den »fahrenden Rittern« gemeint sei.

»Haben denn Euer Gnaden«, entgegnete Don Quijote, »niemals die Jahrbücher und Geschichten von England gelesen, worin von den ruhmreichen Taten des Königs Artur gehandelt wird, welchen wir in unserm heutigen Kastilianisch den König Artus nennen und von dem die alte Sage in dem ganzen Königreich Großbritannien geht, daß er nicht gestorben, sondern durch Zauberkunst in einen Raben verwandelt ist, und daß er im Lauf der Zeiten wieder zur Herrschaft kommen und Reich und Zepter wiedererlangen wird? Weshalb denn auch niemand nachweisen kann, daß von jener Zeit ab bis heute jemals ein Engländer einen Raben getötet hätte. Nun denn, zu Zeiten dieses edlen Königs wurde jener hochberühmte Orden der Ritter von der Tafelrunde gestiftet. Und damals trug sich, genau bis aufs Tüpfelchen, die Liebesgeschichte zu, die dort von Lanzelot vom See und der Königin Ginevra erzählt wird, wobei jene würdige Dame Quintañona Vermittlerin und Mitwisserin war; und daraus entstand dann jene allbekannte Romanze, an der sich unser Spanien so satt gesungen hat:

Niemals ward annoch ein Ritter
Also wohl bedient von Damen,
Wie es wurde Lanzelot,
Da er herkam aus Britannien –

samt jenem so süßen und lieblichen Verlauf seiner Liebes- und Heldentaten. Und seitdem hat von einem zum andern jener Orden des Rittertums sich weiter verbreitet und sich über viele und mannigfaltige Teile der Welt ausgedehnt; und zu ihm gehörten, durch ihre Taten vielberufen und weitbekannt, der mannhafte Amadís von Gallien mit all seinen Söhnen und Enkeln bis ins fünfte Glied und der tapfere Felixmarte von Hyrkanien und der nie nach Verdienst gepriesene Tirante der Weiße, und viel fehlt nicht, daß wir schier noch in unsern Tagen den unbesiegbar gewaltigen Ritter Don Belianis von Griechenland gesehen und gehört und Umgang mit ihm gepflogen. Das also, werte Herren, heißt zu den fahrenden Rittern gehören, und der Orden ihres Rittertums ist der, den ich erwähnte und dem, wie auch schon erwähnt, ich, obwohl ein sündhafter Mensch, zugeschworen bin; und der Beruf, zu dem sich die besagten Ritter bekannten, zu ihm bekenne auch ich mich, und so ziehe ich durch diese Einöden und Wüsteneien und suche Abenteuer, entschlossenen Sinnes, dem gefährlichsten, so das Schicksal mir darbietet, meinen Arm und mein ganzes Selbst zu widmen, zum Schutze der Schwachen und Hilfsbedürftigen.«

Aus diesen seinen Reden wurde es den Reisenden vollends klar, wie es bei Don Quijote nicht richtig im Kopfe sei und welche Art von Narretei ihn beherrsche, und sie gerieten darüber in die nämliche Verwunderung wie alle, die zum erstenmal mit ihm bekannt wurden. Vivaldo, der ein gescheiter Kopf und fröhlichen Humors war, wollte sogleich, um den kurzen Weg, der nach Angabe der Leute ihnen noch bis zu dem felsigen Bestattungsort übrigblieb, ohne Langeweile zurückzulegen, dem Ritter Gelegenheit geben, in seiner Narretei noch weiter zu gehen. Und so sagte er ihm: »Mich bedünkt, Herr Ritter, daß Euer Gnaden sich einem äußerst strengen Berufe gewidmet hat, und ich bin des Glaubens, daß der Orden der Kartäuser minder streng ist.«

»So streng mag er wohl sein«, erwiderte Don Quijote; »aber ob so notwendig in der Welt, da bin ich nicht zwei Finger breit davon entfernt, es zu bezweifeln. Denn soll ich die Wahrheit sagen; so tut der Soldat, der ausführt, was sein Hauptmann ihm vorschreibt, nicht weniger als der Hauptmann selbst, der es ihm befiehlt. Damit will ich sagen, daß die Mönche in aller Friedlichkeit und Ruhe vom Himmel das Wohl der Erde erflehen; aber wir Soldaten und Ritter bringen zur Ausführung, was sie erbeten, indem wir alles Irdische mit der Kraft unsrer Arme und der Schneide unsres Schwertes verteidigen, und zwar nicht unter schützendem Dach, sondern unter freiem Himmel, ein Ziel den Sonnenstrahlen im Sommer und dem starrenden Frost im Winter. Sonach sind wir die Beamten Gottes auf Erden und der Arm, durch den hienieden seine Gerechtigkeit vollstreckt wird. Und da nun die Geschäfte des Krieges, und was ihn angeht und sich auf ihn bezieht, nicht anders als mit Schweiß und Arbeit und übermäßiger Mühsal betrieben werden können, so folgt daraus, daß, die ihn zum Beruf erkoren, ohne Zweifel größere Beschwer erdulden, als die in friedlicher Ruh und Stille dem Gebete zu Gott obliegen, daß er die Schwachen beschütze. Ich will nicht sagen, noch kommt es mir je in den Sinn, daß der Stand des fahrenden Ritters ein so tugendsamer sei wie der eines unter geweihtem Verschluß lebenden Klosterbruders; ich will nur aus dem, was ich zu erdulden habe, folgern, daß er ohne Zweifel mühseliger und mit Prügeln geplagter und hungriger und durstiger, jämmerlicher, zerlumpter und lausiger ist. Denn es ist unleugbar, die fahrenden Ritter der früheren Zeit erfuhren vielerlei Mißgeschick im Verlauf ihres Lebens. Und wenn etliche durch die Kraft ihres Armes zum Kaisertum aufstiegen, wahrlich, so kostete es sie ein gut Teil ihres Schweißes und Blutes; und wenn denen, die zu solchem Rang emporgelangt sind, Zauberer und Weise gefehlt hätten, um ihnen zu helfen, so hätten sie sich sicher um das Ziel ihrer Wünsche betrogen und in ihren Hoffnungen getäuscht gefunden.«

»Dieser Meinung bin ich auch«, sagte der Reisegefährte; »aber unter mancherlei anderem mißfällt mir namentlich etwas gar sehr. Nämlich wenn sie gerade im Begriffe sind, ein großes und gefährliches Abenteuer zu bestehen, wobei augenscheinliche Gefahr ist, das Leben zu verlieren, so kommt es ihnen im Augenblick, wo sie es bestehen wollen, nie in den Sinn, sich Gott zu empfehlen, wie jeder Christ bei solcherlei Gefahren zu tun verpflichtet ist, vielmehr empfehlen sie sich ihrer Dame mit solcher Inbrunst und Andacht, als wenn sie ihr Gott wäre; und das gehört zu den Dingen, die nach Heidentum schmecken, wie mich dünkt.«

»Werter Herr«, antwortete Don Quijote, »das kann unter keiner Bedingung anders sein, und übel fahren würde der Ritter, der anders handelte. Denn es ist nun einmal in Brauch und Übung bei der fahrenden Ritterschaft, daß der fahrende Ritter, sobald er an eine große Waffentat geht, seine Gebieterin vor Augen hat und die Blicke zärtlich und liebevoll auf sie richtet, als ob er sie bitte, ihm Huld und Schutz zu verleihen in der Fährlichkeit vor ungewissem Ausgang, die er zu bestehen sich anschickt. Und selbst wenn keiner ihn hört, ist er verpflichtet, ein paar Worte leise zwischen den Zähnen zu sprechen, in denen er sich ihr von ganzem Herzen empfiehlt; und davon gibt’s unzählige Beispiele in den Geschichten. Und das hat man nicht so zu verstehen, daß die Ritter deshalb unterlassen sollen, sich Gott zu empfehlen; denn dazu bleibt ihnen Zeit und Gelegenheit im Verlauf des Waffenwerks.«

»Trotz alledem«, entgegnete der Reisende, »bleibt mir doch noch ein Bedenken. Ich habe nämlich oftmals gelesen, daß zwischen zwei fahrenden Rittern ein Wortwechsel sich entspinnt, und wie ein Wort das andre gibt, entbrennt der Zorn in ihnen, sie wenden die Rosse, nehmen eine tüchtige Strecke zum Anlauf, und ohne weiteres wenden sie wieder um, im vollsten Rennen ihrer Gäule, zum Ansturm gegeneinander, und mitten im Anrennen empfehlen sie sich ihren Damen. Und was sich dann beim Aufeinandertreffen zu begeben pflegt, ist, daß der eine, vom Speer des Gegners durch und durch gestochen, über die Kruppe des Pferdes herabstürzt; und dem andren auch geschieht es, daß er, wenn er sich nicht an der Mähne des seinigen festhielte, den Fall zu Boden nicht vermeiden könnte. Und da weiß ich nicht, wie der Tote eine Möglichkeit gefunden haben soll, sich im Verlauf eines so eilig abgemachten Waffenwerks Gott zu empfehlen. Besser wäre es gewesen, er hätte die Worte, die er im Rennen darauf verwendet, sich seiner Dame zu empfehlen, auf das verwendet, was er als Christ schuldig und verpflichtet war zu tun. Und dies um so mehr, als ich der Meinung bin, nicht alle fahrenden Ritter haben Damen, denen sie sich empfehlen können; denn nicht alle sind verliebt.«

»Das ist unmöglich«, antwortete Don Quijote. »Ich sage, unmöglich kann es einen fahrenden Ritter ohne Dame geben; denn denselbigen ist es so zu eigen und angeboren, verliebt zu sein, wie dem Himmel, Sterne zu haben, und zuverlässig hat man nie eine Geschichte gelesen, wo ein fahrender Ritter ohne Liebeshandel vorkäme, und im Fall es einen gäbe, so würde er gerade darum nicht für einen echten Ritter gehalten werden, sondern für einen Bastard, der in die Burg des besagten Rittertums nicht durch die Tür, sondern über die Mauer weg eingedrungen wäre wie ein Wegelagerer und Dieb.«

»Trotz alledem«, sagte der Reisegefährte, »bedünkt es mich, wenn ich mich recht entsinne, gelesen zu haben, daß Don Galaor, der Bruder des tapferen Amadís von Gallien, niemals eine bestimmte Geliebte hatte, der er sich hätte empfehlen können; und trotzdem ward er um nichts geringer geachtet und war ein höchst streitbarer, wohlberufener Ritter.«

Darauf entgegnete Don Quijote: »Werter Herr, eine Schwalbe macht keinen Sommer, außerdem weiß ich, daß dieser Ritter insgeheim allerdings gar sehr verliebt war; nur war der Umstand, daß er alle, die ihm gefielen, gern hatte, seine angeborne Eigentümlichkeit, gegen die er nicht aufkommen konnte. Aber am Ende bleibt es doch völlig erwiesen, daß er eine einzige hatte, die er zur Herrin seiner Herzensneigungen erkoren, und dieser empfahl er sich ganz häufig und ganz im geheimen; denn er legte besonderen Wert darauf, ein das Geheimnis wahrender Rittersmann zu sein.«

»Wenn es also zum Wesen der Sache gehört, daß jeder fahrende Ritter verliebt sein muß«, sagte der Reisende, »so darf man sicherlich glauben, daß auch Euer Gnaden es ist, da Ihr zu diesem Stande gehört; und sollte es der Fall sein, daß Euer Gnaden keinen besonderen Wert darauf legt, alles so geheimzuhalten wie Don Galaor, so bitte ich Euch so inständig, als ich vermag, namens dieser ganzen Gesellschaft und meiner selbst, uns über Namen, Heimat, Stand und Schönheit Eurer Dame zu berichten; denn sie kann sich jedenfalls glücklich schätzen, wenn die ganze Welt erfährt, es sei ihr Huldigung und Liebe von einem solchen Ritter gewidmet, wie Euer Gnaden erscheint.«

Hier stieß Don Quijote einen tiefen Seufzer aus und sprach: »Ich kann nicht versichern, ob die süße Feindin mein es gern sieht oder nicht, daß die Welt wisse, daß ich ihr huldige; ich kann nur sagen, als Antwort auf ein so höfliches Ersuchen, daß ihr Name Dulcinea ist; ihre Heimat Toboso, ein Ort in der Mancha; ihrem Stande nach muß sie mindestens eine Prinzessin sein, da sie meine Königin und Gebieterin ist; ihre Schönheit überirdisch, da in ihr zur Wahrheit werden all die unmöglichen und nur von kühner Phantasie erträumten Reize, womit die Dichter ihre Geliebten begabt haben. Ihre Haare sind Gold, ihre Stirn ein Paradiesgarten, ihre Brauen gewölbte Regenbogen, ihre Wangen Rosen, ihre Lippen Korallen, Perlen ihre Zähne, Alabaster ihr Hals, Marmor ihre Brust, Elfenbein ihre Hände, ihre Weiße ist Schnee, und die Teile, welche die Ehrbarkeit dem menschlichen Anblick verdeckt, sind der Art, daß, wie ich denke und urteile, nur eine feinsinnige Beobachtung sie zu preisen, doch nicht mit andern zu vergleichen imstande ist.«

»Den Stammbaum, das Geschlecht, die Sippschaft wünschten wir zu erfahren«, versetzte Vivaldo.

Worauf Don Quijote antwortete: »Sie ist nicht aus dem Geschlechte der alten römischen Curtius, Gajus und Scipio noch der neueren Colonna und Orsini, sie ist nicht vom Stamme der Moncada oder Requesens von Katalonien, ebensowenig der Rebella und Villanova von Valencia, der Palafoj, Nuza, Rocaberti, Corella, Luna, Alagón, Urrea, Fos und Gurrea von Aragón; der Cerda, Manrique, Mendoza und Guzmán von Kastilien, der Alencastro, Pallas und Meneses von Portugal; sondern sie ist vom Hause derer von Toboso von der Mancha, einem Geschlechte, das zwar ein neues, aber doch ein solches ist, daß es den erlauchtesten Familien künftiger Jahrhunderte einen edlen Ursprung gewähren kann. Und hiergegen soll mir niemand Widerspruch erheben, es sei denn unter der Bedingung, welche Zerbin an den Fuß des Siegesmals schrieb, das er aus den Waffen Rolands errichtet hatte:

Es rühre keiner diese Waffen an,
Der nicht Roldán im Streit bestehen kann.«

»Obschon ich dem Geschlechte der Cachopines von Laredo angehöre«, entgegnete der Reisegefährte, »will ich doch nicht wagen, es mit dem Hause derer von Toboso von der Mancha zu vergleichen; wiewohl – die Wahrheit zu sagen – ein solcher Geschlechtsname mir noch nie zu Ohren gekommen ist.«

»Sonach wäre er Euch nicht zu Ohren gekommen?« erwiderte Don Quijote.

Mit großer Aufmerksamkeit hörten alle die übrigen Wanderer dem Gespräch der beiden zu, und selbst den Ziegenhirten und Schäfern wurde klar, an welch hohem Grad von Verrücktheit unser Don Quijote litt. Nur Sancho Pansa war des Glaubens, alles, was sein Herr sagte, sei volle Wahrheit, trotzdem er wußte, wer er war, und er ihn von Jugend auf kannte; nur woran er einigermaßen Anstand nahm, war, an die Sache mit der schönen Dulcinea von Toboso zu glauben; denn nie war ein solcher Name oder eine solche Prinzessin ihm zur Kenntnis gekommen, obschon er so nahe bei Toboso wohnte.

Unter solchen Gesprächen zogen sie des Weges, als sie sahen, daß aus einer Schlucht, die sich zwischen zwei hohen Bergen öffnete, etwa zwanzig Schäfer herabkamen, alle in schwarze Schafpelze gekleidet, den Kopf geschmückt mit Kränzen, die, wie man nachher in der Nähe sah, hier aus Taxus, dort aus Zypressenzweigen geflochten waren. Sechs von ihnen trugen eine Bahre, die mit einer Masse mannigfaltiger Blumen und Zweige bedeckt war. Bei diesem Anblick sprach einer der Ziegenhirten: »Die dort kommen, die tragen Grisóstomos Leiche, und am Fuß dieses Berges ist die Stelle, die er zu seinem Grabe bestimmt hat.«

Sie beeilten sich daher, an den Ort zu gelangen, und sie kamen gerade hinzu, als die Träger die Bahre eben niedergesetzt hatten. Vier von ihnen waren beschäftigt, mit spitzen Pickeln die Gruft am Rande einer harten Felswand zu graben. Mit Höflichkeit begrüßten sich alle gegenseitig, und Don Quijote und seine Begleiter richteten sofort ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Bahre und erblickten auf derselben, mit Blumen überdeckt, einen Leichnam in Schäfertracht, dem Anscheine nach im Alter von dreißig Jahren; und noch im Tode zeigte er, wie schön sein Antlitz und wie stattlich sein Aussehen im Leben gewesen war. Auf der Bahre lagen um ihn her einige Bücher und viele Papiere, teils offen und teils verschlossen. Sowohl die zuschauten als auch, die das Grab bereiteten, und alle andern, die zugegen waren, beobachteten ein wundersames Schweigen, bis einer der Träger zu dem andern sagte: »Seht wohl zu, Ambrosio, ob dies die Stelle ist, die Grisóstomo bezeichnet hat, da Ihr wollt, daß alles so ganz genau vollstreckt werde, was er in seinem Letzten Willen bestimmt hat.«

»Hier ist die Stelle«, antwortete Ambrosio, »denn hier hat mein unglücklicher Freund mir oft die Geschichte seines Mißgeschicks erzählt. Hier, sagte er mir, habe er zum erstenmal jene Todfeindin des menschlichen Geschlechts erblickt. Hier auch war’s, wo er ihr zum erstenmal seine Gesinnungen offenbarte, die so rein waren wie reich an Liebe; und hier war’s, wo Marcela zum letztenmal und unwiderruflich ihm kundgab, daß sie ihn verschmähe und alle Hoffnung ihm versagt sei, so daß er dem Trauerspiel seines elenden Lebens ein Ende machte; und hier wollte er, zum Angedenken so großen Unglücks, in den Schoß der ewigen Vergessenheit versenkt werden.«

Und sich zu Don Quijote und dessen Reisegefährten wendend, fuhr er folgendermaßen fort: »Dieser Körper, ihr Herren, den ihr mit Augen voll frommen Mitgefühls betrachtet, umschloß eine Seele, in welche der Himmel eine unendliche Fülle seiner reichsten Gaben gelegt. Dies ist der Körper jenes Grisóstomo, der einzig war an Geist, einzig an feiner Sitte, unvergleichlich an liebenswürdigem Wesen, ein Phönix in der Freundschaft, großmütig ohne Grenzen, würdevoll ohne Anmaßung, heiter, ohne zu niedrigem Scherz herabzusteigen, und, in einem Worte, der Erste in allem, was gut und edel, und ohnegleichen in allem, was unglücklich ist. Er liebte treu und wurde gehaßt; er betete an und ward verschmäht; er flehte zu einem reißenden Tier, er wollte einen Marmorblock rühren, er lief dem Winde nach, er erhob seine Stimme in der einsamen Öde, er weihte seine Dienste der Undankbarkeit, von der er als Lohn empfing, dem Tode zur Beute zu werden inmitten seiner Lebensbahn, der ihr Ende bereitet ward von einer Hirtin, die er bestrebt war unsterblich zu machen, auf daß sie im Angedenken der Menschen fortlebe; und das könnten wohl diese Blätter dartun, auf die ihr hinblickt, wenn er mir nicht geboten hätte, sie dem Feuer zu übergeben, sobald ich seinen Körper der Erde anvertraut habe.«

»Da würdet Ihr mit größerer Härte und Grausamkeit gegen sie verfahren«, sagte Vivaldo, »als ihr eigener Verfasser; denn es ist nicht gerecht noch verständig, den Willen eines Mannes zu vollziehen, dessen Anordnungen die Grenzen alles vernünftigen Denkens überschreiten. Auch Cäsar Augustus würde es nicht für recht erachtet haben, die Ausführung dessen zu gestatten, was der göttliche Mantuaner in seinem Letzten Willen verordnet hatte. Sonach, Señor Ambrosio, wenn Ihr den Körper Eures Freundes der Erde übergeben müßt, so wollet doch seine Schriften nicht der Vergessenheit übergeben; denn es ist nicht wohlgetan, daß Ihr, was er als ein schwergekränkter Mann verfügt hat, als ein unüberlegter vollstrecket. Verleihet vielmehr diesen Blättern Leben, damit sie es der Grausamkeit Marcelas auf ewig verleihen, um in den kommenden Zeiten den Lebenden zum Beispiel zu dienen, daß sie es meiden und scheuen, in solche Abgründe zu fallen. Denn ich und alle, die wir hier zugegen sind, wissen bereits die Geschichte dieses Eures durch Liebe in Verzweiflung gestürzten Freundes; wir kennen Eure Freundschaft und die Ursache seines Todes und die Verfügungen, die er bei seines Lebens Ende hinterlassen hat; eine jammervolle Geschichte, aus der man entnehmen kann, wie groß Marcelas Grausamkeit, Grisóstomos Liebe und die Treue Eurer Freundschaft gewesen und welches Ziel die erreichen, die mit verhängtem Zügel den Weg hinstürmen, den sinnlose Liebe ihnen vorzeichnet. Gestern abend erfuhren wir den Tod Grisóstomos, und daß er an diesem Orte bestattet werden solle, und deshalb haben wir, aus Neugier und aus schmerzlichem Mitgefühl, unsere gerade Straße verlassen und uns vorgenommen, mit unsern Augen zu sehen, was zu hören uns so sehr betrübt hatte. Zur Vergeltung nun für diese unsere Teilnahme und für den Wunsch, der in uns lebendig wurde, noch Hilfe zu leisten, wenn sie möglich wäre, bitten wir dich, Ambrosio, als verständigen Mann – ich wenigstens meinerseits gehe dich flehentlich an –: Laß ab von dem Vorhaben, diese Papiere zu verbrennen, und laß mich einige davon mit mir nehmen.«

Und ohne die Antwort des Schäfers abzuwarten, streckte er die Hand aus und nahm einige von den zunächst liegenden Blättern. Wie Ambrosio das gewahrte, sprach er: »Aus schuldiger Höflichkeit will ich zugeben, daß Ihr die Blätter, die Ihr schon genommen, behalten möget; aber zu denken, daß ich darauf verzichte, die übrigen zu verbrennen, wäre ein eitler Gedanke.«

Vivaldo, im lebhaften Wunsch, den Inhalt der Blätter kennenzulernen, faltete sofort eines auseinander und sah, daß die Überschrift lautete: Gesang der Verzweiflung. Das hörte Ambrosio und sprach: »Dies ist das letzte, was der Unglückliche geschrieben; und damit Ihr sehet, wie weit ihn sein Elend gebracht hat, leset es laut, daß man Euch hören kann; die Zeit, die man braucht, das Grab herzustellen, wird Euch dazu völlig ausreichen.«

»Das will ich sehr gerne tun«, sagte Vivaldo; und da die Anwesenden sämtlich den nämlichen Wunsch hegten, stellten sie sich in die Runde, und er las mit vernehmlicher Stimme das Gedicht vor, das folgendes aussagte:

14. Kapitel

Welches Grisóstomos Gesang der Verzweiflung enthält, nebst andern unerwarteten Ereignissen

Grisóstomos Gesang

Da du es willst, daß rings von Mund zu Munde,
Von Volk zu Volk erschallt, grausame Schöne,
Wie hart dein Herz und wie es mir ergrimme,

So leih ich Schmerzenston mir aus dem Grunde
Der Hölle selbst, daß mir die grausen Töne
Entstellen den gewohnten Klang der Stimme.

Und meinem Wunsch gehorchend, der das schlimme
Geschick, so deine Frevel mir verheißen,
Laut künden will, wird wilder Schmerz erbrausen
Und wird mir, um zu steigern Qual und Grausen,
Vom blutgen Herzen Stücke mit sich reißen.

Sollst du Gehör leihn, nein, dem krassen Stöhnen
Des Jammers, der tief aus erkrankten Herzen
Hervor sich ringt mit Wahnsinn, mit Entsetzen,
Um mich zu letzen
und dich doch zu schmerzen.

Des Wolfes fürchterlich Geheul, des Leuen
Gebrüll, das gräßliche Gezisch der schuppigen Schlange,
Aus fremden Untiers Schlund das heisere Bellen;

Und das Gekrächz der Krähen, die da dräuen,
Daß Unheil naht; die Stürm im Donnergange,
Wild kämpfend auf empörten Meereswellen;

Des Stiers Gebrülle, den im Kampf zu fällen
Dem Feind gelang; der Turteltaube Girren
Um ihres Gatten Tod; der düstre Sang der Eule,
Der vielbeneideten; das Angstgeheule
Verdammter Geister, die im Dunkel schwirren;

Mir sollen sich all diese Kläng entringen,
Mit meiner Seele ineinanderklingen
In einem Schrei, daß wirr zusammenbrechen
Die Sinne all; denn was mein Herz bedränge,
Heischt neue Klänge,
um es auszusprechen.

Nicht soll des Vaters Tajo Sandgefilde
Mich hören, nicht der Bätis, der in Düften
Des Ölbaums hinwallt zu des Südens Pforten:

Ausklingen soll mein Schmerz, der grimme, wilde,
Auf hohen Felsen und in tiefen Klüften,
Von toter Zunge, in lebendigen Worten;

Oder in dunklen Tälern und an Orten,
In deren Öde Menschen nie verkehren
Oder die nie den Sonnenstrahl gewahren,
Oder wo wilder Bestien giftge Scharen
Sich an des flachen Nils Gestade nähren.

Und wenn auch nur in leblos öder Heide
Das Echo, auferweckt von meinem Leide,
Verkündet deine Härte sondergleichen,
So wird es doch – ein Vorrecht meinem
Wehe – In Fern und Nähe
rings die Welt durchstreichen.

Verschmähn bringt Tod; Verdacht, ob er vergebens
Sich regt, ob wahr, weiß die Geduld zu morden;
Tod bringt auch Eifersucht, die schlimmste Plage.

Zu lange Trennung nagt am Mark des Lebens;
Gegen die Angst, daß du vergessen worden,
Hilft auch kein sichres Hoffen beßrer Tage.

Dies all ist sichrer Tod. Ich aber frage:
Welch Wunder, daß ich fort mein Dasein führe,
Entfernt, verschmäht, von Eifersucht durchlodert!
Wahrheit der Argwohn, der mein Leben fordert!
In der Vergessenheit, an der ich schüre

Des Busens Glut, in soviel Qualen, nimmer
Ersah mein Blick der Hoffnung fernsten Schimmer,
Ich wage selbst nicht mehr, ihr nachzustreben,
Nein, um mich zu versenken in mein Leiden,
Schwör ich zu meiden
sie fürs ganze Leben.

Kann man im selben Augenblicke hoffen
Und fürchten? Wer mag hoffen und vertrauen,
Wo für das Fürchten stärkre Gründe walten?

Vom Blick der nahenden Eifersucht getroffen,
Soll schließen ich mein Äug; ich muß sie schauen
Durch tausend Wunden, so die Seel zerspalten.

Wer wird dir nicht die Tür weit offenhalten,
Mißtrauen, wenn Mißachtung ihre Züge
Entschleiert zeigt, in jeder kleinsten Handlung
Verdacht zur Wahrheit wird, o schlimme Wandlung!
Und reine Wahrheit sich verkehrt zur Lüge?

Gib, Eifersucht, Tyrannin in den Landen
Der Liebe einen Dolch! Mit Todesbanden,
Verschmähung, komm, mit festgedrehten Stricken!
Doch ach, schon fühl ich, wie Erinnerungen,
Die mich bezwungen,
alles Leid ersticken.

Doch muß ich sterben. Und damit ich künftig
Nie Heil erhoffen darf in Tod und Leben,
Will ich festhalten meinen Wahn und sagen:

Daß, wer recht liebt, recht handelt und vernünftig;
Daß der am freisten, der zumeist ergeben
Sich von der Liebe läßt in Bande schlagen;

Daß dir die Feindschaft stets zu mir getragen,
Schönheit der Seele wie des Leibs beschieden;
Daß ich’s verschulde, wenn du mich vergessen;
Daß durch das Leid, das sie uns zugemessen,
Die Lieb ihr Reich hält in gerechtem Frieden.

Mit solchem Wahn und mit grausamem Strange
Das Ziel beschleunigend, zu dem seit lange
Dein Hohn mich führt, geb ich, dem Erdenqualme
Entrückt, den Lüften Leib und Seele, ohne
Daß einst mir lohne
Lorbeer oder Palme.

Durch soviel Unrecht, das du mir erwiesest,
Gabst du das Recht mir und gabst mir die Lehre:
Sein Recht zu tun dem lang verhaßten Leben.

Sieh meines Herzens Wunden an, du liesest
Darin, wie freudevoll ich dir’s gewähre,
Mich deinem Groll als Opfer hinzugeben.

Erkennst du dann vielleicht, mein treues Streben
War wert, daß deiner Augen Himmelshelle
Bei meinem Tod sich trübe – doch geschehe
Das nie! Dich rühre nie das kleinste Wehe,
Wenn ich mein Herze dir zur Beute fälle.

Nein, lachend, wenn zum Grab gehn meine Reste,
Zeig, daß mein letzter Tag dir wird zum Feste!
Doch töricht, daß ich solchen Rat verschwende;
Da es ja anerkannt, wie Ruhm und Ehre
Es dir gewähre,
wenn so rasch mein Ende.
Nun kommt, ’s ist Zeit, vom schwarzen Höllenpfade,
Kommt! Tantalus, der ewgen Dursts Geplagte,
Und Sisyphus, den Stein emporzuschwingen

Bemüht, Ixion unter seinem Rade,
Und Tithyus, der vom Geier stets Genagte,
Die Schwestern, die in ewger Mühsal ringen:

Laßt euren Jammerschrei herüberklingen
In meine Brust, kommt all mit dumpfer Klage,
Und – falls sie dem Verzweifelten gebühren
Dem Leichnam Totenchöre aufzuführen,
Ob auch die Welt das Bahrtuch ihm versage.

Du, Höllenpförtner, auch mit den drei Rachen,
Ihr Ungeheuer, all ihr tausendfachen,
Eur Grundbaß klinge drein, der rauhe, harte;
Denn wert ist keiner Beßren Leichenfeier
Ein toter Freier,
den die Liebe narrte.

Lied der Verzweiflung, nun du von mir scheidest,
Glaub, daß du darum nicht Verlust erleidest;
Denn da dem Quell, draus deine Tön entspringen,
Mein Unglück wird zur reichern Glückesgabe,
Darfst du am Grabe
selbst nicht traurig klingen.

Grisóstomos Gesang gefiel allen Zuhörern wohl; wiewohl der Vorleser sagte, das Gedicht scheine ihm nicht dem Bericht zu entsprechen, den er über Marcelas Züchtigkeit und Tugend vernommen, denn darin klage Grisóstomo über Eifersucht, Verdacht und Abwesenheit, alles zum Nachteil von Marcelas gutem Ruf und unbescholtenem Namen.

Darauf antwortete Ambrosio als der genaue Kenner der geheimsten Gedanken seines Freundes: »Damit Ihr, edler Herr, Euch wegen dieses Zweifels beruhigt, wird es Euch angenehm sein zu erfahren, daß der Unglückliche damals, da er dieses Gedicht schrieb, sich aus Marcelas Nähe fernhielt; er hatte sich freiwillig von ihr entfernt, um zu erproben, ob die Abwesenheit ihre gewöhnlichen Rechte bei ihm geltend machen würde. Und da es nichts gibt, was den entfernten Liebenden nicht quälte, und sich keine Besorgnis denken läßt, die ihn nicht ergriffe, so fühlte sich Grisóstomo gepeinigt von eingebildeter Eifersucht und von einem Argwohn, vor dem er sich ängstigte, als ob er wirklich in seiner Seele vorhanden wäre. Und so bleibt alles völlig in seiner Wahrheit, was der Ruf von Marcelas Tugend rühmt. Denn außer daß sie grausamen Sinnes ist und etwas Hoffart und sehr viel Geringschätzung an den Tag legt, darf und kann der Neid selbst Ihr keinen Fehler anheften.«

»So ist’s in Wahrheit«, erwiderte Vivaldo; und eben war er im Begriff, ein andres Blatt, das er gleichfalls aus dem Feuer gerettet, zu lesen, als eine wunderbare Erscheinung – so kam sie allen vor – ihn davon abhielt, welche unversehens sich den Blicken zeigte. Hoch oben nämlich auf dem Felsen, an dessen Fuße man das Grab aufwarf, erschien die Schäferin Marcela in so hoher Schönheit, daß sie ihren Ruf noch weit überstrahlte. Die sie bis jetzt noch nicht gesehen hatten, schauten mit schweigender Bewunderung zu ihr hinauf, und die bereits ihres Anblicks gewohnt waren, blieben nicht weniger gefesselt als jene, die sie nie gesehen.

Aber kaum hatte Ambrosio sie gewahrt, als er mit Gebärden lebhafter Entrüstung ihr zurief: »Kommst du vielleicht, du grimmer Basilisk dieser Berge, um zu sehen, ob in deiner Gegenwart die Wunden dieses Unglücklichen, dem deine Grausamkeit das Leben geraubt, zu fließen beginnen, oder um von dieser Höhe wie ein anderer Nero gefühllos auf die Flammen seines brennenden Roms zu schauen oder um diesen unseligen Leichnam mit Füßen zu treten wie die undankbare Tochter den ihres Vaters Servius Tullius? Sag uns nur unverzüglich, warum du kommst oder was eigentlich dein Begehr ist; denn da ich weiß, daß alle Gedanken Grisóstomos nie einen Augenblick im Leben aufhörten, dir dienstbar zu sein, so will ich es bewirken, daß, obschon er selber tot, dir das ganze Denken und Wollen all derer zu Diensten sei, die seine Freunde waren.«

»Ich komme keineswegs, Ambrosio«, antwortete Marcela, »in einer Absicht, wie du deren manche genannt hast, sondern um mich selbst zu verteidigen und klarzumachen, wie vernunftwidrig sie alle denken, die mir an Grisóstomos Leiden und Tod schuld geben. Und so bitte ich euch alle, die ihr zugegen seid, mir Aufmerksamkeit zu schenken; denn es wird nicht vieler Zeit noch der Aufwendung vieler Worte bedürfen, um die Verständigen von einer wahren Tatsache zu überzeugen.

Der Himmel schuf mich, wie ihr es saget, schön, und von solcher Schönheit, daß sie, ohne daß ihr anders vermöchtet, euch zwinge, mich zu lieben; und um der Liebe willen, die ihr mir bezeigt, sagt ihr, ja fordert ihr, soll ich verpflichtet sein, euch zu lieben. Wohl kann ich mit dem natürlichen Verstande, den Gott mir gegeben, einsehen, daß alles Schöne liebenswert ist; aber das kann ich nicht begreifen, wieso aus dem einzigen Grunde, daß es geliebt wird, dasjenige, was man um seiner Schönheit willen liebt, auch verpflichtet sein soll, den Liebenden wiederzulieben. Zumal es sich ja ereignen könnte, daß der Liebhaber des Schönen häßlich wäre, und da das Häßliche Haß verdient, ziemt es einem Manne gar übel, dem Weibe zu sagen: Ich liebe dich, weil du schön bist; du mußt mich lieben, obschon ich häßlich bin. Aber gesetzt den Fall, es sei die Schönheit beiderseits gleich, so müssen darum noch nicht die Neigungen beiderseits gleiche Wege verfolgen; denn nicht jede Schönheit erweckt Liebe, manche erfreut den Anblick und unterwirft sich nicht die Herzen. Wenn aber jede Schönheit Liebe erweckte und die Herzen unterwürfe, so würden die Neigungen in Wirrsal und ohne sichern Weg hin und her schwanken, so daß sie gar nicht wüßten, auf welches Ziel sie ausgehen sollten; denn da die schönen Menschen zahllos sind, müßten auch die Wünsche zahllos sein, und doch, wie ich sagen hörte, kann sich wahre Liebe nicht teilen und muß freiwillig sein und nicht erzwungen. Da dem nun so ist – und ich bin überzeugt, es ist so –, warum wollt ihr, daß ich mein Herz mit Gewalt bezwinge, da ich doch durch nichts weiter verpflichtet bin, als daß ihr versichert, mich zu lieben? Wo nicht, so sagt mir doch: wenn der Himmel, wie er mich schön erschuf, mich häßlich geschaffen hätte, wäre es gerecht, wenn ich mich über euch beschwerte, weil ihr mich nicht liebtet? Außerdem müßt ihr erwägen, daß ich die Schönheit, die ich besitze, mir nicht selbst erkoren; wie sie eben ist, so hat der Himmel sie mir als Gnadengabe verliehen, ohne daß ich sie mir erbeten oder auserwählt habe. Und wie die Viper wegen des Giftes, das sie in sich trägt, obwohl sie damit tötet, keine Anschuldigung verdient, weil die Natur es ihr gegeben, so verdiene auch ich deshalb, weil ich schön bin, keinen Vorwurf; denn die Schönheit ist bei einem sittsamen Weibe wie das entfernte Feuer oder wie die scharfe Schwertklinge: jenes brennt und diese schneidet keinen, der ihnen nicht nahe kommt. Die Ehre, die Tugenden sind der Seele Zierden, ohne welche der Leib, mag er auch schön sein, nicht als schön betrachtet werden kann. Da nun Sittsamkeit eine der Tugenden ist, die den Leib am meisten zieren und verschönern, weshalb soll diejenige, die um ihrer Schönheit willen geliebt wird, die Tugenden aufgeben, um den Wünschen dessen zu entsprechen, der bloß seiner Neigung wegen mit allen Kräften und Künsten danach trachtet, sie ihr zu rauben? Frei bin ich geboren, und um in Freiheit leben zu können, hab ich die Einsamkeit der Fluren erkoren; die Bäume dieser Berghöhen sind meine Gesellschaft, die klaren Fluten dieser Bäche sind meine Spiegel; den Bäumen und Bächen geh ich teil an meinen Gedanken und meiner Schönheit. Ich bin ein entferntes Feuer, eine beiseite gelegte Schwertklinge. Die ich durch meinen Anblick mit Liebe erfüllte, hab ich durch meine Worte enttäuscht; und wenn Wünsche sich von Hoffnungen nähren, so habe ich weder Grisóstomo noch sonst jemandem irgendeine Hoffnung gewährt, und so kann man wohl sagen, daß ihn eher sein eigensinniges Beharren als meine Grausamkeit getötet hat. Legt man mir aber zur Last, daß seine Absichten redlich waren und daß ich deshalb verpflichtet gewesen, ihnen Gehör zu geben, so sage ich: als an diesem nämlichen Orte, wo jetzt sein Grab gegraben wird, er mir das redliche Ziel seiner Wünsche offenbarte, erklärte ich ihm, daß die meinigen dahin gingen, in beständiger Einsamkeit zu leben und nur den Schoß der Erde dereinst die Frucht meiner Zurückgezogenheit, und was von meiner Schönheit alsdann noch übrig, genießen zu lassen. Und wenn er nun trotz dieser Aufklärung, der versagten Hoffnung zu Trotz, beharrlich bleiben und gegen den Wind segeln wollte, was Wunder, daß er mitten auf dem Meere seiner sinnlosen Torheit unterging? Hätt ich ihn hingehalten, so wäre ich falsch gewesen; hätt ich ihn zufriedengestellt, so hätte ich gegen meine bessere Überzeugung und Absicht gehandelt.

Er beharrte auf seinem Sinn, wiewohl über alles im klaren; er verzweifelte, ohne gehaßt zu werden: erwäget nun, ob es recht ist, seines Leidens Schuld mir aufzubürden. Es beschwere sich, wer getäuscht worden; es verzweifle, wem erweckte Hoffnungen fehlgeschlagen; den ich zu mir rufe, der hege Zuversicht; wem ich Zugang verstatte, der rühme sich dessen; aber es nenne nicht der mich grausam und Mörderin, dem ich nichts verspreche, den ich nicht täusche, nicht rufe, nicht zulasse. Der Himmel hat bis jetzt nicht gewollt, daß ich durch den Zwang des Geschickes liebe, und zu glauben, daß ich aus freier Wahl lieben werde, ist zwecklos. Diese allgemeine Absage diene allen, die mich zu ihrem eignen Besten umwerben; und fürderhin sei es klargestellt, daß, wenn jemand um meinetwillen sterben sollte, er nicht aus Eifersucht oder Zurücksetzung stirbt; denn wer keinen liebt, darf auch keinem Eifersucht einflößen, und Enttäuschung darf man nicht für Verschmähung erklären. Wer mich ein Untier, einen Basilisken nennt, der soll mich als etwas Schädliches und Böses meiden; wer mich undankbar nennt, soll mir nicht huldigen; wer unerkennbar, möge mich nicht kennenlernen; wer grausam, suche nicht meine Nähe: denn dies Untier, dieser Basilisk, diese Undankbare, diese Grausame, diese Unerkennbare wird nie und nimmermehr jene herbeiwünschen, ihnen huldigen, ihre Bekanntschaft und ihren Umgang suchen.

Wenn rastlose Leidenschaft und ungestümes Begehren Grisóstomo den Tod gebracht haben, warum soll mein sittsames Benehmen, meine züchtige Zurückhaltung beschuldigt werden? Wenn ich meine Reinheit im Verkehr mit den Bäumen des Waldes bewahre, wie kann der verlangen, daß ich sie opfere, der da verlangt, daß ich Verkehr mit Männern unterhalte? Ich besitze eigne Habe, wie ihr wisset, und begehre fremder nicht; ich bin freien Standes, und es behagt mir nicht, mich von jemand abhängig zu machen. Ich liebe und hasse niemand; nicht täusche ich daher diesen und werbe um jenen, nicht treibe ich Spiel mit dem einen noch Scherz mit dem andern. Der sittsame Umgang mit den Mägdlein dieser Dörfer und das Hüten meiner Ziegenherde ist meine Unterhaltung; meine Wünsche haben diese Berghöhen zur Grenze, und wenn sie je darüber hinausstreben, so geschieht es doch nur, um die Schönheit des Himmels zu betrachten, eine Beschäftigung, die die Seele zu ihrer ersten Wohnung zurückleitet.«

Und mit diesen Worten, ohne eine Entgegnung hören zu wollen, wandte sie ihnen den Rücken und bog ins tiefste Dickicht eines nahen Bergwaldes ein, während sie alle Anwesenden in hohem Staunen über ihren Verstand und über ihre Schönheit zurückließ. Und einige aus der Zahl jener, die sich vom mächtigen Geschoß ihrer schönen Augenstrahlen getroffen fühlten, machten Miene, ihr zu folgen, ohne die unumwundene Absage, die sie vernommen, sich zunutze zu machen.

Sowie Don Quijote dies bemerkte, erachtete er hier sogleich die rechte Gelegenheit gekommen zur Übung seiner Ritterpflicht, bedrängten Jungfrauen beizustehen; und die Hand an den Knauf seines Schwertes legend, sprach er mit lauter, vernehmbarer Stimme: »Keiner, wes Standes und Ranges er auch sei, erkühne sich, der schönen Marcela zu folgen, bei Strafe, meinen wütigen Groll zu erfahren. Sie hat mit klaren, genügenden Gründen dargelegt, wie sie geringe oder gar keine Schuld an Grisóstomos Tode trägt und wie fern sie dem Gedanken steht, auf die Wünsche irgendeines ihrer Liebeswerber einzugehen; und aus sotanen Gründen ist es gebührend, daß, anstatt Marcela zu folgen und zu verfolgen, sie geehrt und hochgeschätzt werde von allen Redlichen auf dieser Erde, sintemal sie erweiset, daß auf selbiger sie allein es ist, die in so tugendsamen Gesinnungen lebt.«

Ob es nun um der Drohungen Don Quijotes willen geschah oder weil Ambrosio sie ersuchte, bald zu Ende zu bringen, was sie ihrem guten Freunde schuldig waren, keiner von den Hirten rührte sich oder wich von der Stelle, bis das Grab fertiggegraben, Grisóstomos Papiere verbrannt und sein Leichnam – nicht ohne reichliche Tränen der Umstehenden – in die Erde versenkt worden. Dann verschlossen sie die Gruft einstweilen mit einem Felsblock, bis der Grabstein bereit wäre, den Ambrosio, wie er mitteilte, fertigen zu lassen gedachte, mit einer Inschrift, die folgendes aussagen sollte:

Hier ruht aus ein liebend Herz,
Und sie, die ihm schuf die Leiden,
Da die Herd er ging zu weiden,
Weidet sich an seinem Schmerz.

Schön war, die den Tod ihm gab,
Aber grausam ohnegleichen: –
So führt nun in Amors Reichen
Tyrannei den Herrscherstab.

Sodann streuten sie auf das Grab viele Blumen und Zweige, und nachdem sie alle ihrem Freunde Ambrosio ihr Beileid bezeigt, nahmen sie von ihm Abschied. So taten auch Vivaldo und sein Gefährte, und Don Quijote nahm Urlaub von seinen Wirten und den beiden Reisenden, welche ihn baten, mit ihnen nach Sevilla zu kommen, weil dieser Ort sich so dazu eigne, Abenteuer zu finden, daß sie sich in jeder Gasse und hinter jeder Ecke häufiger bieten als irgendwo auf Erden. Don Quijote dankte ihnen für den guten Rat und für den ihm bezeigten Willen, ihm förderlich zu sein, erklärte aber, daß er für jetzt nicht nach Sevilla gehen wolle und dürfe, bis er dieses ganze Gebirge von den Räubern und Wegelagerern gesäubert habe, mit denen es, wie es allgemein heiße, angefüllt sei.

Da die Reisenden sein edles Vorhaben ersahen, wollten sie nicht weiter in ihn dringen, sondern nahmen nochmals Abschied, verließen ihn und verfolgten ihren Weg weiter, wobei es ihnen nicht an Stoff zur Unterhaltung fehlte sowohl über Marcelas und Grisóstomos Geschichte als auch über die Narreteien Don Quijotes. Dieser indessen beschloß, die Hirtin Marcela aufzusuchen und alles ihr zu erbieten, was er zu ihrem Dienste vermöchte. Allein es erging ihm anders, als er dachte; wie dieses nun im Fortgang unserer wahrhaftigen Geschichte erzählt werden soll.

15. Kapitel

Worin das unglückliche Abenteuer erzählt wird, welches Don Quijote begegnete, als er den ruchlosen Yanguesen begegnete

Es erzählt der gelahrte Sidi Hamét Benengelí, daß Don Quijote, sobald er sich von seinen Wirten und von allen andern, die der Beerdigung des Schäfers Grisóstomo beigewohnt, verabschiedet hatte, sofort mit seinem Schildknappen den Weg in denselben Wald nahm, in welchen, wie sie gesehen, die Schäferin Marcela sich begeben hatte. Sie waren zwei Stunden lang darin umhergeschweift, hatten sie allerorten gesucht, ohne sie finden zu können, und gelangten endlich an eine Wiese voll frischen Grases, an der ein Bach vorbeifloß, so anmutig und kühl, daß er sie einlud, ja sie nötigte, hier die Stunden der Mittagshitze zu verbringen, die sich bereits mit drückender Gewalt einzustellen begann.

Don Quijote und Sancho stiegen ab, und das Grautier und Rosinante frei umher das reichlich vorhandene Gras abweiden lassend, gingen sie daran, alles Eßbare aus Sanchos Habersack in den Magen einzusacken, und ohne viel Umstände wurde, was darin war, in gemütlicher Eintracht und Kameradschaft von Herrn und Diener aufgegessen.

Sancho war es nicht zu Sinn gekommen, dem Rosinante eine Spannkette anzulegen; er war unbesorgt, da er den Gaul als ein so sanftes und so wenig brünstiges Tier kannte, daß alle Stuten von den Gehegen von Córdoba ihn nicht zu etwas Ungebührlichem hätten verleiten können.

Nun aber fügten es das Schicksal und der Teufel, der nicht immer schläft, daß eine Koppel galizischer Stuten in diesem Tale weidete, geführt von Treibern aus Yanguas, die die Gewohnheit haben, Mittagsruhe mit ihren Tieren an Orten, wo es Gras und Wasser gibt, zu halten; und der Platz, wo Don Quijote sich gelagert, war den Yanguesen sehr gelegen. Da geschah es denn, daß den Rosinante die Lust ankam, mit den jungen Galizierinnen zu kurzweilen, und gleich wie er sie witterte, ganz aus der Art schlagend, ohne seinen Herrn um Erlaubnis zu bitten, setzte er sich kecklich in einen kurzen Hundetrab und sprengte hin, um seinem Herzensdrang bei ihnen obzuliegen; aber die Stuten, die offenbar mehr Lust zur Weide als zu anderm hatten, empfingen ihn so mit Hufen und Zähnen, daß sie ihm alsbald den Gurt sprengten und er ohne Sattel und Bügel dastand. Was ihn dabei am schmerzlichsten berühren mußte, war, daß die Säumer, sobald sie sahen, daß ihren Stuten Gewalt geschehen sollte, mit Knütteln herzuliefen und ihm so viel Prügel aufzählten, daß sie ihn übel zugerichtet zu Boden streckten.

Don Quijote und Sancho, welche die Abprügelung Rosinantes mit angesehen, kamen jetzt keuchend herbei, und der Ritter sprach zu seinem Knappen: »Soviel ich sehe, Freund Sancho, sind dies nicht Ritter, sondern gemeines Volk und von niedriger Herkunft; ich sage dies, weil du hier mir allerdings beistehen kannst, die gebührende Rache zu nehmen für die Schmach, die vor unsern Augen Rosinante zugefügt worden.«

»Was Teufel für Rache sollen wir nehmen«, entgegnete Sancho, »wenn ihrer mehr als zwanzig und unser nur zwei sind, und vielleicht gar nur anderthalb?«

»Ich zähle für hundert«, entgegnete Don Quijote. Und ohne mehr Worte zu verlieren, griff er zum Schwert und fiel über die Yanguesen her; und dasselbe tat Sancho Pansa, befeuert und angetrieben durch das Beispiel seines Herrn. Und gleich zum Beginn versetzte Don Quijote dem einen einen Hieb, der ihm den Lederkittel samt einem großen Teil der Schulter spaltete. Die Yanguesen, die von nur zwei Leuten sich mißhandelt sahen, während ihrer so viele waren, griffen zu ihren Knütteln, und die beiden in die Mitte nehmend, begannen sie mit gewaltigem Nachdruck und Ingrimm auf sie loszudreschen. Die Wahrheit verlangt zu sagen, daß sie schon mit dem zweiten Schlag Sancho zu Boden streckten und dem Ritter das nämliche geschah, ohne daß seine Gewandtheit oder sein mutiger Sinn ihm geholfen hätten, und sein Geschick wollte, daß er zu Rosinantes Füßen zu Fall kam, der sich noch nicht wiederaufgerichtet hatte. Woraus man denn ersehen kann, wie wütig die Knüttel in den Händen ergrimmter Bauern dreinschlagen.

Als nun die Yanguesen die arge Bescherung sahen, die sie hier angerichtet, packten sie mit größtmöglicher Schnelligkeit ihren Tieren die Traglasten wieder auf, verfolgten ihren Weg und ließen die beiden Abenteuergierigen in übler Verfassung und noch üblerem Gemütszustand liegen.

Don Quijote

Der erste, der wieder zu sich kam, war Sancho Pansa, und da er sich neben seinem Herrn hingestreckt sah, sagte er mit schwacher, kläglicher Stimme: »Señor Don Quijote! Ach, Señor Don Quijote!«

»Was willst du, Freund Sancho?« versetzte Don Quijote mit demselben schwächlichen, jammervollen Ton wie Sancho.

»Ich möchte, wenn’s möglich wäre«, antwortete Sancho Pansa, »daß mir Euer Gnaden ein paar Tropfen von jenem Tranke des Schwerenbrast gäbe, wenn Ihr ihn hier zuhanden habt; vielleicht nützt er ebenso für zerschlagene Knochen wie für Hieb- und Stichwunden.«

»Hätt ich ihn hier, ich Unseliger, was ginge uns dann ab?« entgegnete Don Quijote. »Aber ich schwöre dir, Sancho Pansa, auf fahrenden Ritters Wort, ehe zwei Tage ins Land gehen, wenn es das Glück nicht anders fügt, wird er in meinem Besitz sein, oder ich müßte keine Hand mehr regen können.«

»So? In wieviel Tagen meinen denn Euer Gnaden, daß wir die Füße rühren können?« versetzte Sancho.

»Soviel mich angeht, muß ich sagen«, antwortete der wohlzerdroschene Ritter Don Quijote, »daß ich diesen Tagen eine Frist nicht bestimmen kann. Aber ich trage Schuld an allem, ich durfte nicht zum Schwerte greifen gegen Leute, die nicht wie ich zum Ritter geschlagen sind; und so glaube ich, daß zur Strafe für diese Übertretung der Gesetze des Rittertums der Gott der Schlachten verstattet hat, daß mir diese Züchtigung zuteil geworden. Deshalb, Sancho Pansa, ist es gebührlich, daß du wohl auf das merkest, was ich dir jetzt sagen will; denn es ist hochwichtig für unser beider Wohlfahrt: wenn du nämlich siehst, daß solches Gesindel uns eine Unbill zufügt, so warte nicht ab, daß ich zum Schwert greife, denn das werde ich unter keinerlei Umständen tun, sondern lege du Hand ans Schwert und züchtige sie gehörig nach Herzenslust. Kommen ihnen aber Ritter zu Hilfe und Beistand, so werde ich dich zu verteidigen und sie aus aller Macht zu befehden wissen; denn du wirst schon an tausend Merkzeichen und Proben gesehen haben, wieweit die Gewalt dieses starken Armes reicht.«

Mit solcher Hoffart hatte den armen Herrn die Besiegung des mannhaften Biskayers erfüllt.

Aber die Anweisung, die Don Quijote ihm gegeben, gefiel dem Knappen keineswegs so sehr, daß er eine Antwort darauf hätte unterlassen mögen. Und so sagte er: »Edler Herr, ich bin ein friedfertiger Mann, sanftmütig, geruhigen Sinnes, und weiß mich über jede Unbill hinwegzusetzen; denn ich habe Frau und Kinder zu ernähren und zu erziehen. Und so bitte auch ich Euer Gnaden, wohl darauf zu merken, denn vorschreiben kann ich ja nichts: daß ich unter keinerlei Umständen je zum Schwert greifen werde, weder gegen Bauern noch gegen Ritter, und daß ich von jetzt ab, bis ich vor Gott erscheine, jede Ungebühr verzeihe, die man mir angetan hat oder antun wird, einerlei ob der mir sie angetan oder antut oder antun wird, vornehm oder gering, reich oder arm, adelig oder bürgerlich ist, ohne irgendeinen Stand oder Beruf auszunehmen.«

Als sein Herr ihn so reden hörte, entgegnete er: »Ich möchte nur, daß ich Atem genug hätte, um ohne Beschwer reden zu können, und daß der Schmerz an der Rippe hier sich ein klein wenig lindern wollte, um dir klarzumachen, in welchem Irrtum du befangen bist. Gib acht, du sündiger Tropf: Wenn der Wind des Glückes, der uns bisher so zuwider war, sich zu unsern Gunsten dreht und uns die Segel unsres Wunsches schwellt, auf daß wir sicher und ohne Gegenwind noch Hindernis an einer der Insuln landen, die ich dir versprochen habe, wie würde es um dich stehen, wenn ich sie unterwürfe und dich zu ihrem Herrn einsetzte? Du wirst mir dieses ja zur Unmöglichkeit machen, weil du weder Ritter bist noch es werden willst und weil du weder Mut noch Willen hast, zugefügte Unbilden zu rächen und dein Fürstentum zu verteidigen. Denn du mußt wissen, in neu eroberten Reichen und Provinzen sind die Gemüter der Eingeborenen nie so ruhig noch so völlig auf seiten des neuen Herrn, daß man nicht stets besorgen müßte, daß sie irgendwelche Neuerung vornehmen wollen, um die Zustände wieder zu ändern und aufs neue, wie man sich ausdrückt, ihr Glück zu versuchen. Notwendig also muß der neue Besitzer den Verstand haben, sich richtig zu benehmen, und tapfern Mut, um bei jedem Vorkommnis zu Angriff und Abwehr bereit zu sein.«

»Bei dem Vorkommnis von heute«, antwortete Sancho, »hätte ich wohl den Verstand nebst dem tapfern Mut besitzen mögen, worüber Euer Gnaden sprechen; aber ich schwör’s auf armen Mannes Wort, mir steht der Sinn mehr nach einem Pflaster als nach Unterhaltung. Seht zu, gnädiger Herr, ob Ihr Euch aufrichten könnt, und dann wollen wir Rosinante auf die Beine helfen, wiewohl er’s nicht verdient. Nie hätt ich so was von Rosinante geglaubt; denn ich hielt ihn für einen keuschen, so friedfertigen Jungen wie mich selbst. Freilich, mit Recht sagt man, es braucht geraumer Zeit, um die Leute kennenzulernen, und nichts Gewisses gibt’s in diesem Leben. Wer hätte gedacht, daß nach jenen so gewaltigen Schwerthieben, wie sie Euer Gnaden dem Unglücksmann, dem fahrenden Ritter von dazumal, versetzt hat, gleich darauf mit der Eilpost dieses gewaltige Unwetter von Prügeln kommen sollte, das sich über unsre Rücken entladen hat?«

»Jedenfalls muß der deinige, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »auf solche Ungewitter eingerichtet sein; jedoch der meinige, von Jugend auf an feine Leinwand und Batist gewöhnt, muß natürlich den Schmerz dieses Mißgeschicks weit mehr fühlen; und wäre es nicht darum, daß ich denke – was sage ich, denke? –, daß ich mit völliger Gewißheit weiß, wie solche Unannehmlichkeiten von dem Waffenhandwerk unzertrennlich sind, so möchte ich gleich vor lauter Ingrimm des Todes sein.«

Darauf entgegnete der Schildknappe: »Werter Herr, da solcherlei Unannehmlichkeiten doch einmal die Ernte sind, die das Rittertum einheimst, so sagt mir, ob solche Ernten sehr häufig oder ob sie an ihre bestimmten Zehen gebunden sind, wo sie eintreffen? Denn mich wahrlich will’s bedünken, daß nach zwei Ernten wir für eine dritte nicht mehr nützlich sind, wenn Gott uns nicht mit seinem unendlichen Erbarmen beisteht.«

»Du mußt dir zu Gemüte führen, Freund Sancho«, erwiderte Don Quijote, »daß das Leben der fahrenden Ritter tausend Gefahren und Widerwärtigkeiten ausgesetzt ist und daß es darum nicht mehr noch minder in allernächster Möglichkeit steht, daß die fahrenden Ritter Könige und Kaiser werden, wie die Erfahrung an vielen und verschiedenen Rittern gezeigt hat, von deren Erlebnissen ich sichere Kunde habe. Und wenn der Schmerz es zuließe, könnte ich dir gleich von etlichen erzählen, die durch die Kraft ihres Armes allein zu den hohen Stufen emporgestiegen sind, wovon ich dir gesagt, und diese selben haben sich vorher und nachher in allerhand Nöten und Trübsalen befunden. Denn der tapfere Amadís von Gallien sah sich in der Gewalt seines Todfeindes Arcalaus, des Zauberers, von dem es für erwiesen gilt, daß er dem guten Ritter, als er ihn gefangen und an eine Säule in seinem Hof gebunden hatte, zweihundert Streiche und mehr mit dem Zaum seines Rosses aufmaß. Ja, es gibt einen Autor, der in geheimen Geschichten zu Hause ist und in nicht geringem Ansehen steht, der sagt, daß derselbe den Sonnenritter in einer gewissen Burg mittels einer gewissen Falltüre, die unter seinen Füßen zusammenstürzte, gefangennahm, und wie er hinabfiel, fand er sich in einem Abgrund tief unter der Erde an Händen und Füßen gebunden, und da gab man ihm eines jener Klistiere, wie man sie nennt, von Schneewasser und Sand, woran er beinahe des Todes geworden wäre; und wenn ihm nicht in dieser großen Not ein Zauberer, sein treuer Freund, Hilfe gebracht hätte, so wäre es dem armen Ritter gar übel ergangen. Sonach kann ich denn wohl unter soviel fürtrefflichen Männern auch mitgehen; denn größer sind die Unbilden, die sie erlitten haben, als die wir jetzt erleiden; und ich will dich nur gründlich belehren, daß Hiebe und Stiche, die man mit Werkzeugen empfängt, die zufällig zur Hand sind, die Ehre nicht kränken; dies steht im Gesetz des Zweikampfs mit ausdrücklichen Worten geschrieben. Wenn also ein Schuhmacher jemanden mit dem Leisten schlägt, den er in der Hand hat, so kann man, obwohl dieser wirklich aus einem Stück Holz geformt ist, darum noch keineswegs sagen, der damit Geschlagene sei geholzt worden. Dies tue ich dir kund, damit du nicht etwa denkst, daß wir, obschon in diesem Streite weidlich zerschlagen, deshalb eine Ehrenkränkung erlitten; denn die Waffen, die jene Leute führten und womit sie uns zerdroschen, waren nichts andres als die Knüppel, die sie in der Hand führten, und keiner von ihnen, soviel mir in der Erinnerung ist, hatte Stoßdegen; Schwert oder Dolch.«

»Mir ließen sie keine Zeit, auf so vieles achtzugeben«, entgegnete Sancho; »denn kaum legte ich Hand an mein mächtig Ritterschwert, da haben sie mich mit ihren Tannenstecken so auf die Schultern gesegnet, daß sie meinen Augen die Kraft zu sehen und meinen Beinen die Kraft zu stehen benahmen und mich hinwarfen, wo ich noch liege und wo der Gedanke, ob die Geschichte mit den Knüppelhieben eine Ehrenkränkung war oder nicht, mir keinen Kummer macht, wohl aber der Schmerz von den Schlägen; die werden mir im Angedenken wie auf dem Rücken fest eingeprägt bleiben.«

»Trotz alledem tu ich dir zu wissen, Freund Pansa«, erwiderte Don Quijote, »daß es kein Angedenken gibt, dem die Zeit nicht ein Ende macht, und keinen Schmerz, den der Tod nicht austilgt.«

»So? Welch ein größeres Unglück kann es geben«, versetzte Pansa, »als ein solches, das darauf warten muß, daß die Zeit es austilge und der Tod ihm ein Ende mache? Wenn dies unser Mißgeschick eins von denen wäre, die man mit ein paar Pflastern heilt, da wäre es noch nicht so arg; aber ich sehe es schon, alle Pflaster im Spital werden nicht ausreichen, um es nur auf den Weg der Besserung zu bringen.«

»Laß ab von dergleichen«, antwortete Don Quijote, »raffe dich aus deiner Schwäche zu neuen Kräften auf, so will auch ich tun; wir wollen einmal nachsehen, wie es mit Rosinante steht; denn wie mich bedünkt, ist dem armen Kerl nicht gerade der kleinste Teil an diesem Unheil zugefallen.«

»Das ist nicht zu verwundern«, entgegnete Sancho, »da er ja auch ein fahrender Ritter ist. Allein worüber ich mich wundere: mein Esel kommt davon mit gesunder Haut und wir mit geschundener Haut.«

»Das Schicksal läßt bei allen Unfällen stets ein Pförtchen offen, durch das ihnen Abhilfe kommen kann«, sagte Don Quijote; »ich meine nämlich, dies Tierlein kann wohl den Rosinante, der uns jetzt abgeht, ersetzen und mich von hier nach einer Burg tragen, allwo man meiner Wunden pflegen könnte. Zumal ich ein solches Reiten nicht für Unehre erachte, da ich mich erinnere gelesen zu haben, daß jener gute alte Silen, der Führer und Erzieher des heitern Gottes der Fröhlichkeit, als er in die hunderttorige Stadt einzog, zu seinem großen Behagen auf einem gar schönen Esel ritt.«

»Es wird wohl wahr sein«, erwiderte Sancho, »er muß so geritten sein, wie Euer Gnaden sagt; aber es ist ein großer Unterschied, ob man reitet oder quer drüberhängend liegt wie ein Sack mit Kehricht.«

Darauf versetzte Don Quijote: »Die Wunden, die man in Kämpfen empfängt, verleihen eher Ehre, als daß sie solche rauben. Sonach, Freund Pansa, keine Gegenrede mehr, sondern, wie ich dir gesagt, richte dich auf, so gut du kannst, und setze mich so, wie es dir am bequemsten ist, auf deinen Esel, und machen wir uns davon, ehe die Nacht kommt und uns in dieser Einöde überfällt.«

»Aber ich habe Euer Gnaden sagen hören«, entgegnete Pansa, »es sei der fahrenden Ritter Art, auf öder Heide und in Wüsteneien den meisten Teil des Jahres zu schlafen, und sie hielten dies für ein besonderes Glück.«

»Das heißt«, sagte Don Quijote, »wenn sie nicht anders können oder wenn sie verliebt sind; und dies ist so in Wahrheit begründet, daß es manchen Ritter gegeben hat, der auf einem Felsen im Sonnenbrand und im Schatten der Nacht und in allem Ungemach unter freiem Himmel zwei Jahre zubrachte, ohne daß seine Gebieterin darum wußte. Und einer von diesen war Amadís, als er unter dem Namen Dunkelschön auf dem Armutfelsen seinen Aufenthalt nahm, ich weiß nicht, ob acht Jahre oder acht Monde lang; denn ich bin nicht klar in der Rechnung; genug, er verweilte dorten, Buße zu tun für ich weiß nicht welche Widerwärtigkeit, die ihm das Fräulein Oriana angetan. Aber lassen wir das nun, Sancho, und komm zu Ende, bevor dem Esel auch ein Unglück widerfährt wie Rosinanten.«

»Das war ja der Teufel!« sprach Sancho; und mit einem Dutzend Ach und Weh und zwei Dutzend Seufzern und vier Dutzend Flüchen und Verwünschungen über den, so ihn hier hingebracht, erhob er sich, blieb aber auf halbem Wege zusammengekrümmt stehen wie ein türkischer Bogen, ohne daß er sich vollends aufrichten konnte. Aber bei all dieser Beschwer und Mühsal setzte er seinen Esel instand, der, ebenfalls die ungewöhnliche Freiheit dieses Tages benutzend, ein wenig weiter umhergeschweift war. Sodann half er dem Rosinante auf, der, wenn er eine Zunge gehabt hätte, sich zu beklagen, sicher nicht hinter Sancho noch seinem Herrn zurückgeblieben wäre. Endlich brachte Sancho den Ritter auf den Esel, koppelte Rosinante hinter ihm fest, und den Esel an der Halfter führend, nahm er seinen Weg, so gut es ging, in der Richtung, wo er die Heerstraße vermutete; und er hatte noch keine halbe Meile zurückgelegt, als das Schicksal, das die Dinge zum Bessern zu lenken anfing, die Landstraße seinen Blicken darbot, an der er eine Schenke entdeckte, die aber ihm zum Ärger und dem Ritter zum Vergnügen durchaus eine Burg sein sollte. Sancho blieb dabei, es sei eine Schenke, und sein Herr, es sei nicht so, sondern eine Burg; und so lang dauerte der Streit, daß sie Zeit hatten hinzukommen, bevor er zu Ende war; und ohne weitere Prüfung der Sache begab sich Sancho mit seinem ganzen Zug in die Schenke.

1. Kapitel

Welches vom Stand und der Lebensweise des berühmten Junkers Don Quijote von der Mancha handelt

An einem Orte der Mancha, an dessen Namen ich mich nicht erinnern will, lebte vor nicht langer Zeit ein Junker, einer von jenen, die einen Speer im Lanzengestell, eine alte Tartsche, einen hagern Gaul und einen Windhund zum Jagen haben. Eine Schüssel Suppe mit etwas mehr Kuh- als Hammelfleisch darin, die meisten Abende Fleischkuchen aus den Überbleibseln vom Mittag, jämmerliche Knochenreste am Samstag, Linsen am Freitag, ein Täubchen als Zugabe am Sonntag – das verzehrte volle Dreiviertel seines Einkommens; der Rest ging drauf für ein Wams von Plüsch, Hosen von Samt für die Feiertage mit zugehörigen Pantoffeln vom selben Stoff, und die Wochentage schätzte er sich’s zur Ehre, sein einheimisches Bauerntuch zu tragen – aber vom feinsten! Er hatte bei sich eine Haushälterin, die über die Vierzig hinaus war, und eine Nichte, die noch nicht an die Zwanzig reichte; auch einen Diener für Feld und Haus, der ebensowohl den Gaul sattelte als die Gartenschere zur Hand nahm. Es streifte das Alter unsres Junkers an die fünfzig Jahre; er war von kräftiger Körperbeschaffenheit, hager am Leibe, dürr im Gesichte, ein eifriger Frühaufsteher und Freund der Jagd. Man behauptete, er habe den Zunamen Quijada oder Quesada geführt – denn hierin waltet einige Verschiedenheit in den Autoren, die über diesen Kasus schreiben –, wiewohl aus wahrscheinlichen Vermutungen sich annehmen läßt, daß er Quijano hieß. Aber dies ist von geringer Bedeutung für unsre Geschichte; genug, daß in deren Erzählung nicht um einen Punkt von der Wahrheit abgewichen wird.

Man muß nun wissen, daß dieser obbesagte Junker alle Stunden, wo er müßig war – und es waren dies die meisten des Jahres –, sich, dem Lesen von Ritterbüchern hingab, mit so viel Neigung und Vergnügen, daß er fast ganz und gar die Übung der Jagd und selbst die Verwaltung seines Vermögens vergaß; und so weit ging darin seine Wißbegierde und törichte Leidenschaft, daß er viele Morgen Ackerfeld verkaufte, um Ritterbücher zum Lesen anzuschaffen; und so brachte er so viele ins Haus, als er ihrer nur bekommen konnte. Und von allen gefielen ihm keine so gut wie die von dem berühmten Feliciano de Silva verfaßten; denn die Klarheit seiner Prosa und die verwickelten Redensarten, die er anwendet, dünkten ihm wahre Kleinode; zumal wenn er ans Lesen jener Liebesreden und jener Briefe mit Herausforderungen kam, wo er an mancherlei Stellen geschrieben fand: Der Sinn des Widersinns, den Ihr meinen Sinnen antut, schwächt meinen Sinn dergestalt, daß ein richtiger Sinn darin liegt, wenn ich über Eure Schönheit Klage führe. Und ebenso, wenn er las: …die hohen Himmel Eurer Göttlichkeit, die Euch in göttlicher Weise bei den Sternen festigen und Euch zur Verdienerin des Verdienstes machen, das Eure hohe Würde verdient. Durch solche Redensarten verlor der arme Ritter den Verstand und studierte sich ab, um sie zu begreifen und aus ihnen den Sinn herauszuklauben, den ihnen Aristoteles selbst nicht abgewonnen noch sie verstanden hätte, wenn er auch zu diesem alleinigen Zweck aus dem Grab gestiegen wäre. Er war nicht sonderlich einverstanden mit den Wunden, welche Don Belianís austeilte und empfing; denn er dachte sich, wie große Ärzte ihn auch gepflegt hätten, so könnte er doch nicht anders als das Gesicht und den ganzen Körper voll Narben und Wundenmale haben. Aber bei alldem lobte er an dessen Verfasser, daß er sein Buch mit dem Versprechen jenes unbeendbaren Abenteuers beendet; und oftmals kam ihm der Wunsch, die Feder zu ergreifen und dem Buch einen Schluß zu geben, buchstäblich so, wie es dort versprochen wird; und ohne Zweifel hätte er es getan, ja er wäre damit zustande gekommen, wenn andere größere und ununterbrochen ihn beschäftigende Ideen es ihm nicht verwehrt hätten.

Vielmals hatte er mit dem Pfarrer seines Ortes – der war ein gelehrter Mann und hatte den Grad eines Lizentiaten zu Siguenza erlangt – Streit darüber, wer ein besserer Ritter gewesen, Palmerín von England oder Amadís von Gallien; aber Meister Nikolas, der Barbier desselbigen Ortes, sagte, es reiche keiner an den Sonnenritter, und wenn einer sich ihm vergleichen könne, so sei es Don Galaor, der Bruder des Amadís von Gallien, weil dessen Naturell sich mit allem zurechtfinde; er sei kein zimperlicher Rittersmann, auch nicht ein solcher Tränensack wie sein Bruder, und im Punkte der Tapferkeit stehe er nicht hinter ihm zurück.

Schließlich versenkte er sich so tief in seine Bücher, daß ihm die Nächte vom Zwielicht bis zum Zwielicht und die Tage von der Dämmerung bis zur Dämmerung über dem Lesen hingingen; und so, vom wenigen Schlafen und vom vielen Lesen, trocknete ihm das Hirn so aus, daß er zuletzt den Verstand verlor. Die Phantasie füllte sich ihm mit allem an, was er in den Büchern las, so mit Verzauberungen wie mit Kämpfen, Waffengängen, Herausforderungen, Wunden, süßem Gekose, Liebschaften, Seestürmen und unmöglichen Narreteien. Und so fest setzte es sich ihm in den Kopf, jener Wust hirnverrückter Erdichtungen, die er las, sei volle Wahrheit, daß es für ihn keine zweifellosere Geschichte auf Erden gab. Er pflegte zu sagen, der Cid Rui Diaz sei ein sehr tüchtiger Ritter gewesen, allein er könne nicht aufkommen gegen den Ritter vom flammenden Schwert, der mit einem einzigen Hieb zwei grimmige ungeheure Riesen mitten auseinandergehauen. Besser stand er sich mit Bernardo del Carpio, weil dieser in Roncesvalles den gefeiten Roldán getötet, indem er sich den Kunstgriff des Herkules zunutze machte, als dieser den Antäus, den Sohn der Erde, in seinen Armen erstickte. Viel Gutes sagte er von dem Riesen Morgante, weil dieser, obschon von jenem Geschlechte der Riesen, die sämtlich hochfahrende Grobiane sind, allein unter ihnen leutselig und wohlgezogen gewesen. Doch vor allen stand er sich gut mit Rinald von Montalbán, und ganz besonders, wenn er ihn aus seiner Burg ausreiten und alle, auf die er stieß, berauben sah und wenn derselbe drüben über See jenes Götzenbild des Mohammed raubte, das ganz von Gold war, wie eine Geschichte besagt. Gern hätte er, um dem Verräter Ganelon ein Schock Fußtritte versetzen zu dürfen, seine Haushälterin hergegeben und sogar seine Nichte obendrein.

Zuletzt, da es mit seinem Verstand völlig zu Ende gegangen, verfiel er auf den seltsamsten Gedanken, auf den jemals in der Welt ein Narr verfallen; nämlich es deuchte ihm angemessen und notwendig, sowohl zur Mehrung seiner Ehre als auch zum Dienste des Gemeinwesens, sich zum fahrenden Ritter zu machen und durch die ganze Welt mit Roß und Waffen zu ziehen, um Abenteuer zu suchen und all das zu üben, was, wie er gelesen, die fahrenden Ritter übten, das heißt jegliche Art von Unbill wiedergutzumachen und sich in Gelegenheiten und Gefahren zu begeben, durch deren Überwindung er ewigen Namen und Ruhm gewinnen würde. Der Arme sah sich schon in seiner Einbildung durch die Tapferkeit seines Armes allergeringsten Falles mit der Kaiserwürde von Trapezunt bekrönt; und demnach, in diesen so angenehmen Gedanken, hingerissen von dem wundersamen Reiz, den sie für ihn hatten, beeilte er sich, ins Werk zu setzen, was er ersehnte.

Und das erste, was er vornahm, war die Reinigung von Rüstungsstücken, die seinen Urgroßeltern gehört hatten und die, von Rost angegriffen und mit Schimmel überzogen, seit langen Zeiten in einen Winkel hingeworfen und vergessen waren. Er reinigte sie und machte sie zurecht, so gut er nur immer konnte. Doch nun sah er, daß sie an einem großen Mangel litten: es war nämlich kein Helm mit Visier dabei, sondern nur eine einfache Sturmhaube; aber dem half seine Erfindsamkeit ab, denn er machte aus Pappdeckel eine Art von Vorderhelm, der, in die Sturmhaube eingefügt, ihr den Anschein eines vollständigen Turnierhelms gab. Freilich wollte er dann auch erproben, ob der Helm stark genug sei und einen scharfen Hieb aushalten könne, zog sein Schwert und führte zwei Streiche darauf, und schon mit dem ersten zerstörte er in einem Augenblick, was er in einer Woche geschaffen hatte; und da konnte es nicht fehlen, daß ihm die Leichtigkeit mißfiel, mit der er ihn in Stücke geschlagen. Um sich nun vor dieser Gefahr zu bewahren, fing er den Vorderhelm aufs neue an und setzte Eisenstäbe innen hinein, dergestalt, daß er nun mit dessen Stärke zufrieden war; und ohne eine neue Probe damit anstellen zu wollen, erachtete und erklärte er ihn für einen ganz vortrefflichen Turnierhelm.

Jetzt ging er, alsbald nach seinem Gaule zu sehen, und obschon dieser an den Hufen mehr Steingallen hatte als ein Groschen Pfennige und mehr Gebresten als das Pferd Gonellas, das tanium pellis et ossa fuit, dünkte es ihn, daß weder der Bukephalos des Alexander noch der Babieca des Cid sich ihm gleichstellen könnten. Vier Tage vergingen ihm mit dem Nachdenken darüber, welchen Namen er ihm zuteilen sollte; sintemal – wie er sich selbst sagte – es nicht recht wäre, daß das Roß eines so berühmten Ritters, das auch schon an sich selbst so vortrefflich sei, ohne einen eigenen wohlbekannten Namen bliebe. Und so bemühte er sich, ihm einen solchen zu verleihen, der deutlich anzeige, was der Gaul vorher gewesen, ehe er eines fahrenden Ritters war, und was er jetzo sei; denn es sei doch in der Vernunft begründet, daß, wenn sein Herr einen andern Stand, auch das Roß einen andern Namen annehme und einen solchen erhalte, der ruhmvoll und hochtönend sei, wie es dem neuen Orden und Beruf zieme, zu dem er sich selbst bereits bekenne. Und so, nachdem er viele Namen sich ausgedacht, dann gestrichen und beseitigt, dann wieder in seinem Kopfe andre herbeigebracht, abermals verworfen und aufs neue in seiner Vorstellung und Phantasie zusammengestellt, kam er zuletzt darauf, ihn Rosinante zu heißen, ein nach seiner Meinung hoher und volltönender Name, bezeichnend für das, was er gewesen, als er noch ein Reitgaul nur war, bevor er zu der Bedeutung gekommen, die er jetzt besaß, nämlich allen Rossen der Welt als das Erste voranzugehen.

Nachdem er seinem Gaul einen Namen, und zwar so sehr zu seiner Zufriedenheit, gegeben, wollte er sich auch selbst einen beilegen, und mit diesem Gedanken verbrachte er wieder volle acht Tage; und zuletzt verfiel er darauf, sich Don Quijote zu nennen; woher denn, wie schon gesagt, die Verfasser dieser so wahren Geschichte Anlaß zu der Behauptung nahmen, er müsse ohne Zweifel Quijada geheißen haben und nicht Quesada, wie andre gewollt haben. Jedoch da er sich erinnerte, daß der tapfere Amadís sich nicht einfach damit begnügt hatte, ganz trocken Amadís zu heißen, sondern den Namen seines Königreichs und Vaterlands beifügte, um es berühmt zu machen, und sich Amadís von Gallien nannte, wollte er ebenso als ein guter Ritter seinem Namen den seiner Heimat beifügen und sich Don Quijote von der Mancha nennen; damit bezeichnete er nach seiner Meinung sein Geschlecht und Heimatland ganz lebenstreu und ehrte es hoch, indem er den Zunamen von ihm entlehnte.

Da er nun seine Waffen gereinigt, aus der Sturmhaube einen Turnierhelm gemacht, seinem Rosse einen Namen gegeben und sich selbst neu gefirmelt hatte, führte er sich zu Gemüt, daß ihm nichts andres mehr fehle, als eine Dame zu suchen, um sich in sie zu verlieben; denn der fahrende Ritter ohne Liebe sei ein Baum ohne Blätter und Frucht, ein Körper ohne Seele. Er sagte sich: Wenn ich um meiner argen Sünden willen oder durch mein gutes Glück draußen auf einen Riesen stoße, wie dies gewöhnlich den fahrenden Rittern begegnet, und ich werfe ihn mit einem Speerstoß darnieder oder haue ihn mitten Leibes auseinander, oder kurz, besiege ihn und zwinge ihn zu meinem Willen, wird es da nicht gut sein, eine Dame zu haben, der ich ihn zusenden kann, um sich ihr zu stellen, so daß er eintrete und sich auf die Knie niederlasse vor meiner süßen Herrin und mit demütiger und unterwürfiger Stimme sage: Ich bin der Riese Caraculiambro, Herr der Insel Malindrania, den im Einzelkampf der nie nach voller Gebühr gepriesene Ritter Don Quijote von der Mancha besiegt hat, als welcher mir befohlen, ich solle mich vor Euer Gnaden stellen, auf daß Euer Herrlichkeit über mich nach Dero Belieben verfüge?

O wie freute sich unser Ritter, als er diese Rede getan, und gar erst, als er gefunden, wem er den Namen seiner Dame zu geben hätte! Und es verhielt sich dies so – wie man glaubt –, daß an einem Ort in der Nachbarschaft des seinigen ein Bauernmädchen von recht gutem Aussehen lebte, in die er eine Zeitlang verliebt gewesen, obschon, wie man vernimmt, sie davon nie erfuhr noch acht darauf hatte. Sie nannte sich Aldonza Lorenzo, und dieser den Titel einer Herrin seiner Gedanken zu geben deuchte ihm wohlgetan. Er suchte für sie nach einem Namen, der vom seinigen nicht zu sehr abstäche und auf den einer Prinzessin und hohen Herrin hinwiese und abziele, und so nannte er sie endlich Dulcinea von Toboso, weil sie aus Toboso gebürtig war; ein Name, der nach seiner Meinung wohlklingend und etwas Besonderes war und zugleich bezeichnend wie alle übrigen, die er sich und allem, was ihn betraf, beigelegt hatte.

10. Kapitel

Von den anmutigen Gesprächen, die zwischen Don Quijote und seinem Schildknappen Sancho Pansa stattfanden

Unterdessen hatte sich Sancho, von den Dienern der Mönche ziemlich übel zugerichtet, wiederaufgerafft, hatte dem Kampfe seines Herrn achtsam zugeschaut und im Herzen zu Gott gebetet, er möchte den Ritter den Sieg und mit dem Sieg irgendwelche Insul gewinnen lassen, um ihn als deren Statthalter einzusetzen, wie er ihm versprochen. Wie er nun sah, daß der Waffenstreit zu Ende war und sein Herr wieder auf den Rosinante steigen wollte, eilte er hinzu, ihm den Steigbügel zu halten, und ehe der Ritter im Sattel war, warf er sich vor ihm auf die Knie, faßte ihn an der Hand, küßte sie und sprach: »Geruhe Euer Gnaden Señor Don Quijote, mir die Regierung über die Insul zu verleihen, die in diesem schweren Kampfe gewonnen worden; denn so groß sie auch sein mag, ich fühle mich mit genug Kraft gerüstet, um sie ebenso und ebensogut zu regieren als irgendeiner, der in der Welt jemals Insuln regiert hat.«

Darauf antwortete Don Quijote: »Merke Er sich, Freund Sancho, daß dieses Abenteuer und andre ähnlicher Art keine Insuln-, sondern Kreuzwegs-Abenteuer sind, bei denen man nichts andres gewinnt, als daß man ein Ohr weniger und einen zerschlagenen Schädel davonträgt. Habe Er Geduld, denn es werden sich Abenteuer uns bieten, wo ich Ihn nicht nur zum Statthalter machen kann, sondern zu noch etwas Höherem.«

Sancho bedankte sich höflich, küßte ihm nochmals die Hand und den Saum des Panzers und half ihm aufs Pferd; er aber bestieg seinen Esel und folgte seinem Herrn nach, der in weitausgreifendem Trabe, ohne sich von den Damen in der Kutsche zu verabschieden oder noch ein Wort mit ihnen zu wechseln, in ein nahe liegendes Gehölz einbog.

Sancho folgte ihm im vollsten Trott seines Esels, aber Rosinante hielt einen so guten Schritt ein, daß er besorgte zurückzubleiben und genötigt war, seinem Herrn laut zuzurufen, er möge auf ihn warten. Don Quijote tat also und hielt Rosinante am Zügel so lange an, bis ihn der ermüdete Schildknappe eingeholt. Der nun, als er ihn erreicht hatte, sagte: »Mich bedünkt, Señor, es wäre gescheit, in einer Kirche Zuflucht zu suchen; denn wenn ich ermesse, wie sehr der Mann, mit dem Ihr gefochten, übel zugerichtet ist, so wäre es nicht zuviel vorausgesetzt, daß man der Heiligen Brüderschaft den Fall zur Kenntnis brächte und uns gefangennähme, und wahrlich, wenn das geschieht, so werden wir gehörig zu schwitzen haben, bevor wir aus dem Gefängnis herauskommen.«

»Schweig«, versetzte Don Quijote, »wo hast du denn jemals gesehen oder gelesen, daß ein fahrender Ritter vor Gericht gestellt worden, so oftmals auch durch sein Schwert jemand wider Willen ins Gras gebissen?«

»Von Widerwillen weiß ich nichts«, antwortete Sancho, »habe ihn auch niemals gegen jemand gehabt; ich weiß nur, daß die Heilige Brüderschaft sich mit denen zu tun macht, die sich im freien Feld schlagen, und auf das andre laß ich mich nicht ein.«

»Nun, darum sei nur unbekümmert«, entgegnete Don Quijote, »denn ich würde dich aus den Händen der Chaldäer, geschweige aus denen der Brüderschaft herausreißen. Aber sage mir, bei deinem Leben sage mir, hast du je einen mannhafteren Ritter in allen bis heut entdeckten Landen des Erdkreises gesehen? Hast du in Geschichtsbüchern von einem andern gelesen, der kühneren Mut beim Angreifen hat oder gehabt hat, mehr Festigkeit beim Beharren im Kampf, größeres Geschick im Dreinschlagen, mehr Gewandtheit beim Niederwerfen des Feindes?«

»Die Wahrheit wird eben die sein«, antwortete Sancho, »daß ich niemals irgendeine Geschichte gelesen habe; denn ich kann weder lesen noch schreiben; aber darauf getrau ich mich zu wetten, daß ich zeit meines Lebens keinem vermesseneren Herrn als Euer Gnaden gedient habe, und wolle Gott, daß diese Vermessenheit ihre Bezahlung nicht da finde, wo ich gesagt habe. Um was ich aber Euer Gnaden bitte, ist, einen Verband anzulegen; denn es läuft Euch viel Blut aus dem einen Ohr, und ich habe hier Scharpie und etwas weiße Salbe im Zwerchsack.«

»Alles dessen könnten wir entraten«, entgegnete Don Quijote, »wenn ich daran gedacht hätte, eine Flasche von dem Balsam des Fierabrás zu bereiten; denn mit einem einzigen Tropfen könnte sich Zeit und Medizin ersparen lassen.«

»Was für eine Flasche, was für ein Balsam ist das?« fragte Sancho Pansa.

»Es ist ein Balsam«, antwortete Don Quijote, »von dem ich das Rezept im Kopf habe, bei dem man den Tod nicht zu befürchten hat und bei dem der Gedanke, an einer Verwundung zu sterben, gar nicht aufkommen kann. Wenn ich ihn also bereite und ihn dir übergebe, so hast du nichts weiter zu tun, als daß du, wenn du mich bei irgendeinem Kampf mitten auseinandergehauen siehst, wie das gar oft zu geschehen pflegt, mir die eine Hälfte des Körpers, die zu Boden gefallen ist, sachte und mit großer Fürsicht, ehe das Blut gerinnt, an die andre Hälfte, die im Sattel geblieben, ansetzest, wobei du achthaben mußt, sie genau und richtig aneinanderzufügen; unverzüglich gibst du mir zwei Schluck und nicht mehr von besagtem Balsam zu trinken, und du wirst sehen, gleich bin ich so gesund wie ein Fisch.«

»Wenn das wirklich so ist«, sagte Pansa, »so verzichte ich von diesem Augenblick an auf die Statthalterschaft der versprochenen Insul und begehre zum Lohn meiner vielen redlichen Dienste weiter nichts, als daß Euer Gnaden mir das Rezept dieses vortrefflichsten Trankes gibt; denn hier bin ich sicher, daß die Unze allenthalben mehr als zwei Realen wert sein muß, und mehr brauche ich nicht, um mein Leben in Ruhe und Ehren hinzubringen. Aber nun fragt sich’s, ob die Bereitung viele Kosten macht.«

»Für weniger als drei Realen lassen sich drei Maß herstellen«, erwiderte Don Quijote.

»Gott verzeih mir meine Sünden!« rief Sancho, »worauf warten denn Euer Gnaden, um ihn zu bereiten und mich es zu lehren?«

»Still, Freund«, versetzte Don Quijote, »noch größere Geheimnisse denke ich dich zu lehren und noch größere Gnaden dir zu erweisen; doch für jetzt wollen wir uns den Verband anlegen, denn das Ohr tut mir weher, als mir lieb ist.«

Sancho holte aus dem Zwerchsack Scharpie und Salbe hervor; als aber Don Quijote seinen zertrümmerten Helm zu sehen bekam, meinte er den Verstand zu verlieren, und die Hand auf den Schwertgriff legend, die Augen gen Himmel erhebend, sprach er: »Ich tue einen Eid zum Schöpfer aller Dinge und zu den heiligen vier Evangelien, als hätte ich sie ausführlichst geschrieben hier vor mir, ein Leben zu führen wie der große Markgraf von Mantua, als er den Tod seines Neffen Baldovinos zu rächen schwur, nämlich auf keinem Tischtuche sein Brot zu essen noch mit seinem Weibe der Kurzweil zu pflegen, nebst andren Dingen mehr, deren ich mich nicht entsinne, die ich aber hier ausdrücklich mit erwähnt haben will, bis ich vollständige Rache an dem geübt habe, der mir solcherlei Schmach angetan.«

Als Sancho das hörte, sagte er: »Beachte Euer Gnaden, Señor Don Quijote, wenn der Ritter erfüllt hat, was Ihr ihm auferlegtet, nämlich sich meinem gnädigen Fräulein Dulcinea von Toboso zu stellen, so hat er ja alles vollbracht, was seine Pflicht war, und verdient weiter keine Strafe, wenn er nicht ein neues Vergehen verübt.«

»Wohl gesprochen, du hast es ganz richtig getroffen«, antwortete Don Quijote, »und so erkläre ich denn den Eidschwur für nichtig, insoweit er darauf zielte, aufs neue an ihm Rache zu üben; jedoch ich tue abermals und bestätige den Schwur, ein Leben zu führen, wie ich gesagt, bis dahin, daß ich einen ebensolchen und einen ebenso guten Streithelm, als dieser ist, irgendeinem Ritter mit Gewalt abnehme. Und denke nur nicht, daß ich das so ins Blaue hineinrede; nein, ich weiß schon, wen ich hierbei nachzuahmen habe; denn das nämliche hat sich buchstäblich so mit dem Helm des Mambrín zugetragen, der dem Sakripant so teuer zu stehen kam.«

»Solche Eidschwüre solltet Ihr des Teufels sein lassen, Herre mein«, versetzte Sancho; »sie gereichen der Gesundheit zum großen Schaden und dem Gewissen zur argen Beschwer. Oder meint Ihr nicht? Nun, so sagt mir gleich einmal, wenn wir vielleicht viele Tage lang keinen treffen, der mit einem Helm bewehrt ist, was sollen wir tun? Soll der Schwur dennoch gehalten werden, trotz so vieler Mißstände und Unbequemlichkeiten, als da sind: in den Kleidern schlafen und an keinem bewohnten Orte schlafen und tausend andre Kasteiungen, die jener alte Narr von Markgraf in seinem Eidschwur aufführte, welchen Euer Gnaden jetzt wieder in Kraft setzen will? Überleget Euch einmal gründlich, daß auf all diesen Wegen keine Leute in Rüstung einherziehen, sondern Maultiertreiber und Kärrner, die nicht nur Helme nie tragen, sondern sie vielleicht ihr Leben lang nicht haben nennen hören.«

»Darin täuschest du dich«, sagte Don Quijote, »nicht zwei Stunden werden wir uns auf diesen Kreuzwegen umgetrieben haben, so werden wir mehr Leute in Rüstung zu sehen bekommen, als einst gegen Albraca zogen, um Angelika die Schöne im Kampf zu gewinnen.«

»Wohlan denn, es mag so sein«, versetzte Sancho, »und wolle Gott, daß es uns gut geht und die Zeit bald kommt, jene Insul zu gewinnen, die mich so teuer zu stehen kommt, und dann mag ich meinetwegen gleich sterben.«

»Ich sagte dir schon, Sancho, du brauchst dir darob keinerlei Sorge zu machen; denn wenn es auch an einer Insul fehlen sollte, so ist das Königreich Dänemark oder das Reich Soliadisa gleich zur Hand, die werden dir passen wie ein Ring am Finger; und zumal sie auf dem festen Lande liegen, mußt du darob um so vergnügter sein. Aber lassen wir das für die geeignete Zeit, und für jetzt sieh, ob du in deinem Zwerchsack etwas mitführst, das wir essen könnten; dann wollen wir alsbald auf die Suche nach einer Burg gehen, wo wir diese Nacht Wohnung nehmen und den besagten Balsam bereiten wollen; denn ich schwör dir’s bei Gott, mein Ohr schmerzt mich gewaltig.«

»Hier hab ich eine Zwiebel und etwas Käse und etliche Stücklein Brot, ich weiß nicht wieviel«, erwiderte Sancho; »aber das sind keine Gerichte, wie sie sich für einen so gewaltigen Ritter wie Euer Gnaden schicken.«

»Wie schlecht verstehst du dich darauf!« antwortete Don Quijote. »Ich tue dir zu wissen, daß es den fahrenden Rittern eine Ehre ist, einen ganzen Monat nichts zu essen, und selbst wenn sie essen, nur was ihnen gerade zuhanden kommt; und das würde dir außer Zweifel stehen, wenn du wie ich so viele Geschichten gelesen hättest. Und so viele es deren waren, so habe ich doch in keiner von allen berichtet gefunden, daß die fahrenden Ritter gegessen hätten, wenn es nicht durch Zufall oder bei köstlichen Festmahlen geschah, die man ihnen gab. Die andren Tage verbrachten sie mit Nichtigkeiten. Und wiewohl sich begreifen läßt, daß sie nicht ohne Essen und ohne Verrichtung aller andren natürlichen Bedürfnisse bestehen konnten, denn am Ende waren sie Menschen wie wir, so muß man auch begreifen, daß, sintemal sie den größten Teil ihres Lebens durch Wälder und Einöden und ohne einen Koch hinzogen, ihre gewöhnlichste Nahrung in ländlicher Kost, wie du sie mir jetzt anbietest, bestanden haben muß. Sonach, Freund Sancho, betrübe dich nicht über das, was mir gerade recht behagt; wolle du nicht eine neue Welt schaffen oder das fahrende Rittertum aus seinen Angeln heben.«

»Verzeihe mir Euer Gnaden«, sagte Sancho; »denn da ich weder lesen noch schreiben kann, wie ich Euch schon einmal gesagt, so kenne und begreife ich nicht die Regeln des Ritterhandwerks; und so will ich denn fürderhin den Zwerchsack mit allerlei trockenem Obst für Euer Gnaden versehen, der Ihr ein Ritter seid, und für mich, weil ich keiner bin, will ich andere Dinge, wie Geflügel und sonstige nahrhaftere Kost, vorsehen.«

»Das sage ich nicht«, entgegnete Don Quijote, »daß für die fahrenden Ritter ein Zwang bestehe, nichts andres als das besagte trockne Obst zu verzehren, sondern nur, daß ihre gewöhnliche Nahrung offenbar aus solchem bestehen mußte sowie aus gewissen Kräutern, so sie auf dem Felde fanden, die sie kannten und die auch ich kenne.«

»Es ist eine treffliche Gabe«, antwortete Sancho, »derlei Kräuter zu kennen; denn wie ich mir denke, wird’s eines Tages nötig werden, diese Kenntnis zu benützen.«

Und nun holte er hervor, was er, wie schon gesagt, bei sich hatte, und es aßen die beiden miteinander als ein paar friedliche gute Gesellen.

Jedoch vom Wunsche getrieben, eine Herberge für die Nacht aufzusuchen, beendeten sie in aller Kürze ihr armselig trocknes Mahl, saßen sofort auf und beeilten sich höchlich, einen bewohnten Ort zu erreichen, bevor es Nacht würde.

Aber es schwand ihnen das Tageslicht hinweg und damit auch die Hoffnung, das Ersehnte zu erreichen, gerade als sie bei ärmlichen Hütten von Ziegenhirten angelangt waren, und so beschlossen sie, die Nacht dort zuzubringen. Sosehr es dem guten Sancho verdrießlich war, zu keiner bewohnten Ortschaft gelangt zu sein, so sehr war es seinem Herrn vergnüglich, unter freiem Himmel zu schlafen; denn es bedünkte ihn, daß jeder solche Vorfall eine tatsächliche Ausübung des Besitzrechts sei, welche ihm den Beweis seines Rittertums erleichtern müsse.